122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

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Für diese Menschen hier, begriff Mike, waren die Hütten, die mehr Ruinen glichen, ihr Zuhause. Und geradeweilsie so wenig besaßen, mußte dieses wenige für sie ungleich kostbarer sein, als er auch nur ermessen konnte.

»Wir hätten ihn niemals hierbehalten dürfen«, sagte Malcolm düster. »Ich wußte, daß es in einer Katastrophe endet!«

In Serenas Augen blitzte es zornig auf. »Ihr hättet es niemals dazu kommen lassen dürfen!« widersprach sie. Sie machte eine weit ausholende Geste. »Das alles hier ist eure eigene Schuld! Ihr lebt seit Jahrhunderten hier, und in all der Zeit habt ihr geduldet, daß sie stärker und stärker wurden.«

Malcolm sah sie nur traurig an, aber Denholm widersprach. »Aber wir leben seit Generationen in Frieden mit ihnen. So etwas ist noch nie geschehen!«

»Weil sie auf eine günstige Gelegenheit gewartet haben, du Narr!« fuhr ihn Serena an.

»Ja – oder weil sie vorher keinen Grund hatten, diese Menschen hier anzugreifen«, sagte Ben. Und offensichtlich war das, was er aussprach, nicht alles, was er dabeidachte,denn Serena fuhr plötzlich wie von der Tarantel gestochen herum und funkelte ihn an.

»Was meinst du damit?« schnappte sie. Ben lächelte geringschätzig. Seine Haltung war plötzlich ein wenig angespannt – schließlich war es noch nicht lange her, daß er am eigenen Leibe gespürt hatte, wie wenig ratsam es war, Serena zu sehr zu reizen. Aber entweder war er mutiger, als Mike bisher angenommen hatte, oder zu zornig, um sich noch zu beherrschen. »Das weißt du doch genau, oder?« fragte er. »Aber ich kann es auch gerne laut aussprechen, wenn Euer Gnaden darauf bestehen!«

»Ben!« sagte Trautman warnend, aber diesmal ignorierte Ben seine Ermahnung.

»Die Fischmenschen und Denholms Leute leben seit Jahrhunderten in Frieden miteinander, nicht wahr?« fuhr er in herausforderndem Ton fort. »Und im gleichen Moment, in dem du hier auftauchst, endet dieser Frieden. Ich frage mich, ob das wirklich noch Zufall ist.«

Mike hielt erschrocken den Atem an. Er sah Ben in Gedanken bereits quer über die Lichtung fliegen oder bewußtlos zu Boden stürzen, aber zu seiner Verblüffung reagierte Serena vollkommen anders als erwartet auf Bens Worte. Sie sah den jungen Engländer nur sehr nachdenklich an, und dann nickte sie.

»Vielleicht hast du sogar recht«, sagte sie. »Vielleicht haben sie sich bisher sicher genug gefühlt, um der Meinung zu sein, daß es nicht nötig ist, eure Stadt anzugreifen. Aber nun wissen sie, daß ihr Ende gekommen ist.«

»Wie?« fragte Trautman alarmiert.

»Ja«, fuhr Serena fort, »ich denke, das ist die Erklärung. Sie sind zwar nur dumme Tiere, aber sie haben scharfe Instinkte. Sie spüren, daß ihr Ende naht, und versuchen sich natürlich zu wehren.« Sie legte eine kurze und – dessen war sich Mike sicher – ganz genau bemessene Pause ein, ehe sie mit leicht erhobener Stimme fortfuhr: »Aber ich werde das nicht hinneh

men. Sie werden für diesen Angriff bezahlen.«

»Was meinst du damit?« fragte Mike. Er wußte nur zu gut, was Serenas Worte bedeuteten, aber er weigerte sich noch, es zu glauben.

Serena maß ihn mit einem spöttischen Blick. »Wir werden sie angreifen«, sagte sie. »Wir werden nachholen, was diese gutgläubigen Narren hier schon vor Jahrhunderten hätten tun sollen, in die Alte Stadt gehen und diese Brut ausrotten.«

Nicht nur Mike fuhr erschrocken zusammen. Denholms Augen weiteten sich vor Schrecken, und in der Menge ringsum erhob sich ein ungläubiges, erschrockenes Raunen und Murmeln. Nur Malcolm sah das Mädchen vollkommen ausdruckslos an. Vielleicht hatte er geahnt, was Serena vorhatte.

»Aber das… das geht nicht!« entgegnete Denholm. »Es ist verboten, in die Alte Stadt zu gehen! Keiner, der es gewagt hat, ist von dort zurückgekehrt!«

»Weil ihr nie den Mut hattet, euch ihnen zu stellen, ja«, antwortete Serena. »Was wollt ihr? Weiter in Angst und Schrecken leben, jeden Tag darauf gefaßt, daß sie kommen und euch endgültig vernichten?« Sie hob die Stimme, so daß nun alle in weitem Umkreis ihre Worte hören konnten. »Seht euch um! Sie sind hierhergekommen und haben eure Stadt zerstört! Alles, wofür ihr gearbeitet und gelebt habt, liegt in Trümmern! Und sie werden wiederkommen, nun, da sie wissen, daß ihr schwach und hilflos seid und Angst vor ihnen habt! Wollt ihr das wirklich?« Sie lachte. »Ich zwinge euch nicht. Wenn es sein muß, gehe ich ganz allein hinüber und lösche diese Brut aus! Es ist eure Entscheidung.«

Mike starrte Serena entsetzt an. Das Mädchen sprach über die Fischmenschen… wie überDinge,nicht wie über lebende Wesen. Und das war vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimmste war, daß er genau spürte, daß Serenas Worte nicht ungehört verhallten. Es war absurd – vor ihm stand ein nicht einmal fünfzehnjähriges Mädchen und rief ein Volk, das seit Jahrhunderten mit seinen Nachbarn in Frieden lebte, zumKriegauf – und er spürte, daß die Menschen ringsum nur allzu bereit waren, diesem Aufruf auch zu folgen!

»Serena!« flüsterte er. »Das kannst du nicht ernst meinen! Es… es wird Tote geben, und –«

»Kaum«, unterbrach ihn Serena hochmütig. »Ich kenne diese Kreaturen. Mein Volk hat schon Jagd auf sie gemacht, ehe es das eure auch nur gab. Sie sind nicht mehr als Tiere.« Sie wandte sich wieder Denholm zu.

»Nun?«

»Wir… wir sind keine Krieger«, murmelte Denholm ausweichend. »Sie waren nicht einmal halb so viele wie wir, und wir hatten keine Chance. Sie –«

» – haben euch überrascht, und ich war nicht bei euch«, unterbrach ihn Serena. »Das wird nicht noch einmal geschehen.«

Denholm schwieg. Serena wartete einige Sekunden lang vergeblich auf eine Antwort, dann drehte sie sich zu Malcolm um, der die ganze Zeit über kein Wort gesagt hatte. »Und du?« fragte sie. Offensichtlich hatte auch sie längst gemerkt, daß Malcolms Wort in der Stadt fast ebensoviel galt wie das Denholms.

»Denholm hat recht«, sagte Malcolm. »Wir sind keine Krieger.

Aber sie haben meine Tochter.«

Mike fuhr erschrocken zusammen. »Malcolm!« keuchte er. »Das kannst du nicht ernst meinen!«

»Sie haben Sarah entführt«, wiederholte Malcolm, nun an ihn gewandt. »Ich werde sie zurückholen, ganz gleich, ob allein oder zusammen mit den anderen. Und wenn sie ihr etwas angetan haben, dann werde ich nicht eher ruhen, als bis auch der letzte von ihnen tot ist, das schwöre ich!«

Und das war die Entscheidung. Niemand sagte etwas, aber Mike spürte regelrecht, wie die Stimmung umschlug. Die Menschen, die sie umstanden, hatten noch immer Angst, aber Furcht und Zorn liegen eng beisammen, und Serenas – und wohl vor allem Malcolms – Worte hatten diese Grenze verwischt.

»Also gut!« sagte Serena, nun wieder mit lauter, weithin hörbarer Stimme. »Dann macht euch bereit. Holt eure Waffen und stärkt euch noch einmal! Wir brechen in zwei Stunden auf. Sie sollen keine Gelegenheit haben, ihre Kräfte neu zu sammeln!«

Mike widersprach nicht mehr. Es war sinnlos. Er drehte sich herum und ging zu Juan und den beiden anderen Jungen zurück. Serena machte eine rasche, befehlende Geste, und einige von Denholms bewaffneten Begleitern bildeten einen Kreis um sie.

»Was soll das?« fragte Mike.

Die Männer gaben sich redliche Mühe, grimmig dreinzuschauen, doch sahen sie in Wahrheit mehr verlegen aus. Sie antworteten nicht, aber Serena sagte: »Nichts. Nur eine Vorsichtsmaßnahme – für alle Fälle.«

»EineVorsichtsmaßnahme?«wiederholte Mike. »Wie soll ich das verstehen?«

»Dir und deinen Freunden passiert nichts, keine Angst«, sagte Serena spöttisch. »Ich möchte nur verhindern, daß ihr euch im Wald verirrt und vielleicht rein zufällig wieder zum Strand hinunterlauft, während wir weg sind, weißt du?«

Mike spürte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg. »Du meinst, wir sind deine Gefangenen?« vergewisserte er sich.

»Wenn du so willst – ja«, antwortete Serena kalt. »Aber keine Sorge – nur, bis wir zurück sind. Es wird nicht sehr lange dauern.« Sie machte eine befehlende Geste.

»Bringt sie weg!«

Sie wurden in das einzige nicht zerstörte Gebäude der Stadt gebracht – in das »Museum«, das zuvor schon als Gefängnis für den Fischmenschen gedient hatte, und dort trafen sie auch Singh wieder. Der Inder hockte zusammengekauert neben dem steinernen Relief und trug einen blutgetränkten Verband um die Stirn. Als er Mike und die anderen gewahrte, sprang er hastig auf und eilte ihnen entgegen, und Mike sah, daß auch seine linke Hand dick verbunden war und er leicht humpelte. Der Anblick erfüllte Mike nicht nur mit Sorge um den Sikh-Krieger, sondern weckte auch sein schlechtes Gewissen. Während der ganzen Zeit, die sie draußen mit Serena gesprochen hatten, hatte er nicht einmal daran gedacht, wie esSingh bei dem Überfall wohl ergangen war!

»Singh!« sagte er erschrocken. »Du bist verletzt! Ist es schlimm?«

Der Sikh machte eine wegwerfende Geste mit der unverletzten Hand. »Das ist nichts«, behauptete er. »Ein paar Schrammen, die rasch verheilen werden. Aber ich habe versagt, Herr. Es… es tut mir leid.«

Im ersten Moment verstand Mike nicht, was Singh meinte. Dann schüttelte er verblüfft den Kopf. »Versagt? Du hast –«

»Es ist mir nicht gelungen, André zu beschützen«, unterbrach ihn Singh, ruhig und mit fast tonloser Stimme.

»Red nicht solch einen Unsinn!« erwiderte Mike scharf. »Was hättest du tun sollen! Sie ganz allein aufhalten?«

Singh nickte. »Ich habe es versucht«, sagte er. »Aber es waren zu viele. Und sie kämpfen gut.«

»Du bist noch am Leben, und das allein zählt«, sagte Mike entschieden. »Bist du schwer verletzt? Und was ist mit André? Was haben sie mit ihm gemacht?«

»Er hat versucht, das Mädchen zu beschützen«, sagte Singh. »Er hat tapfer gekämpft und sich heftiger gewehrt als die meisten hier. Aber am Schluß wurde er niedergerungen, genau wie ich. Sie haben ihn mitgenommen, aber ich glaube nicht, daß er schwer verletzt wurde.«

»Mitgenommen?« Trautman runzelte die Stirn. »Warum?«