122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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Astaroth sah sich unsicher nach beiden Seiten um, machte einen Schritt nach rechts, dann nach links und kehrte schließlich wieder zu Mike zurück.Dort.Er wies mit einer Kopfbewegung auf die erste Tür.Er ist dort. Das Mädchen auch.

Mike überwand seine Furcht, trat dicht an das Portal heran und legte die Hand auf den schwarzen Stein. Er war darauf gefaßt, mit aller Gewalt drücken zu müssen, denn jeder der beiden gewaltigen Torflügel mußte Tonnen wiegen, aber er hatte sie kaum berührt, da schwangen sie vollkommen lautlos und wie von Geisterhand bewegt zur Seite.

Dahinter lag eine riesige, finstere Halle, die groß genug schien, Denholms gesamte Stadt aufzunehmen. Sie war vollkommen leer. Die Wände waren schwarz und glatt, schienen aber trotzdem auf unheimliche Weise zu leben; es war, als bewegten sie sich. Genau in der Mitte des Saales befand sich ein runder, bestimmt dreißig Meter durchmessender Schacht, aus dessen Tiefe ein unheimliches, blaßgrünes Leuchten heraufdrang. Und auf der anderen Seite dieses Schachtes, dicht an seinem Rand, befanden sich André und das Mädchen.

»André!« Mike rannte mit einem gellenden Schrei los.

André hob mühsam den Kopf und sah ihm entgegen. Er saß auf dem Boden und hatte Sarahs Kopf in seinen Schoß gebettet. Das Mädchen wies keine äußerlichen Verletzungen auf, aber es schien besinnungslos zu sein.

Andres linke Hand strich immer wieder über ihre Stirn, ohne daß er sich der Bewegung selbst bewußt zu sein schien.

»André! Was ist passiert?« Mike langte schweratmend bei dem Jungen an, fiel vor ihm auf die Knie und berührte ihn an den Schultern. »Bist du verletzt?«

André schüttelte schwach den Kopf. Sein Gesicht war kreidebleich, und seine Stimme so dünn und ausdruckslos, daß Mike Mühe hatte, die Worte überhaupt zu verstehen, als er antwortete.

»Nein. Er hat mir nichts getan. Aber Sarah. Er hat sie berührt, und… und seitdem ist sie so.«

»Er?«Mike sah André fragend an, dann beugte er sich zu Sarah hinab. Das Mädchen war am Leben, aber noch bleicher als André, und sein Atem war flach und kaum noch wahrnehmbar. »Wen meinst du mit er? «

Statt einer Antwort deutete André auf den Schacht, und Mike drehte sich herum und warf einen Blick in die Tiefe. Der Anblick ließ ihn schwindeln. Er wußte nicht, was Wirklichkeit und was ein weiteres Trugbild war, aber zumindest im ersten Moment glaubte er, in einen Abgrund von mindestens einer Meile Tiefe zu blicken. Seine Wände schienen zu pulsieren, und an seinem Grund brodelte ein See aus

kochendem Wasser, das von einem unheimlichen grünen Licht durchdrungen war.

»Ich kann sie nicht wachbekommen«, murmelte André. Seine Stimme zitterte. »Ich weiß nicht, was er mit ihr gemacht hat. Sie… sie wacht einfach nicht auf.« Mike streckte die Hände nach dem Mädchen aus, aber dann wagte er es doch nicht, es zu berühren. Sarah

lag tatsächlich wie eine Tote in Andres Schoß, unbeschadet des Umstandes, daß sie noch atmete. Mike fühlte sich hilflos wie nie zuvor im Leben. Schließlich wandte er sich an Astaroth.

»Was ist mit ihr?« fragte er. »Kannst du etwas erkennen?« Der Kater bewegte sich auf das Mädchen zu, sprang nach einem kurzen Zögern auf seine Brust und begann ihr Gesicht abzulecken. Er schnurrte leise, aber es war kein zufriedener Laut, sondern eher ein Geräusch, das Furcht auszudrücken schien.

Sie lebt,sagte er schließlich.Aber etwas ist mit ihr geschehen. Sie ist… verändert.»Verändert?« fragte Mike.Irgend etwas ist nicht mehr da,antwortete Astaroth.Ich weiß nicht, was, aber jetzt… ist sie wie ihr.»Wie wir?« wiederholte Mike. »Was meinst du damit? War sie denn vorher anders?«Ja,antwortete

Astaroth.Viele hier sind anders. Mehr wie Serena als wie ihr.»Mehr wie Serena als wir…« Die Worte schienen irgend etwas in Mike zu bewirken. Für einen Moment hatte er das Gefühl, ihre Bedeutung zu erkennen, aber dann entschlüpfte ihm der Gedanke wieder. Mit

einem entschlossenen Ruck richtete er sich wieder auf und streckte André die Hand entgegen. »Komm!« sagte er. »Wir müssen hier raus. Schnell. Trautman wartet draußen mit der NAUTILUS auf uns!« André rührte sich nicht. Kurz entschlossen bückte sich Mike und hob Sarah auf die Arme. Das Mädchen

war erstaunlich leicht, und es reagierte auf die Berührung und begann leise zu stöhnen, wachte aber nicht auf. »Schnell jetzt!« keuchte Mike. »Nichts wie raus hier!«

Er fuhr herum – und im gleichen Moment wußte er, daß es zu spät war. Mike spürte es, eine halbe Sekunde, bevor Astaroth mit einem entsetzten Kreischen zurückprallte und das Wasser auf dem Grund des Schachtes stärker zu brodeln begann. Etwas kam. Etwas Gewaltiges, unvorstellbar Altes und Mächtiges.

Das grüne Leuchten am Grunde des Schachtes verstärkte sich, bis die ganze Halle in einem unwirklichen, kalten grünen Feuer zu erstrahlen schien. Ein unheimliches, elektrisches Knistern erfüllte die Luft, und Mike hatte plötzlich das Gefühl, am ganzen Körper von unsichtbaren Spinnweben berührt zu werden.

Und dann erschien der Koloß.

Das grüne Feuer verdichtete sich unmittelbar vor Mike zu einem Ball aus reiner, lodernder Glut, in deren Zentrum sich ein massiger Körper bildete.

Es war das Geschöpf vom Relief, aber was vor Mike und André auftauchte, das war kein Bild, sondern ein lebendes, gewaltiges Wesen, ein Ding mit einem massigen, zweibeinigen Körper, einem riesigen Schädel und weit gespannten, ledrigen Schwingen, von denen glitzerndes Wasser wie geschmolzenes Metall herablief. Ein Dutzend riesiger Krakenarme wuchs wie ein Wald peitschender Schlangen aus dem aufgeblähten Schädel heraus, der ganz von einem Paar übergroßer, rot leuchtender Augen ohne Pupillen beherrscht wurde.

Mike hatte gewußt, daß derAltegroß war, obwohl er ihn nur als winzige Abbildung auf dem Stein gesehen hatte, aber was da vor ihm stand, das war kein Riese, sondern ein Gigant, mindestens fünf Meter groß und unvorstellbar stark. Seine Schwingen hatten die Größe von Segeln, und die zuckenden Krakenarme waren dicker als Mikes Oberschenkel.

Das Geschöpf war ein Ungeheuer, wie es entsetzlicher in keinem Alptraum vorkommen konnte, aber tausendmal schlimmer als das, was er sah, war das, was erspürte.Dieses Wesen war alt, unglaublich alt. Und es war so fremd und unverständlich wie diese Pyramide, denn sie waren beide Teile einer Welt, die sich vollkommen von der der Menschen unterschied, so sehr, daß beide zusammen an einem Ort nicht existieren konnten. Etwas in Mike krümmte sich vor Entsetzen, als sich die gewaltigen Krakenarme nach ihm ausstreckten, aber er war unfähig, davonzulaufen. Die bloße Nähe desAltenlahmte ihn vollkommen.

Dann berührten ihn die peitschenden Arme.

Er spürte… nichts.

Der Schmerz, vielleicht der Tod, auf den er gefaßt war, kam nicht. Die Haut des Ungeheuers war glatt, warm und trocken, und obwohl seine Kraft ausreichen mußte, einen Elefanten in Stücke zu reißen, war seine Berührung sanft, ein behutsames Tasten und Suchen statt des tödlichen Schlages, den Mike erwartete.

Und dieses Suchen ging tiefer als nur bis zu seiner Haut. Er spürte, wie eine zweite, unsichtbare Hand in seine Gedanken griff, seine Erinnerungen und sein Selbst, bis in die verborgensten Winkel seiner Seele vordrang – und sich wieder zurückzog. Einen Moment lang stand der Titan noch da und starrte ihn aus seinen unheimlichen, blutroten Augen an, dann begann er zu verblassen und zog sich wieder in jene andere Dimension zurück, aus der er gekommen war.

Mike taumelte. Plötzlich hatte er nicht mehr die Kraft, Sarah zu halten. Er fiel auf die Knie herab, ließ das Mädchen zu Boden gleiten und mußte sich im nächsten Moment mit beiden Händen abstützen, um nicht selbst zu fallen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er fühlte sich ausgelaugt und leer. Jedes bißchen Kraft schien aus ihm gewichen zu sein. Für eine Sekunde mußte er mit aller Gewalt gegen eine Ohnmacht ankämpfen.

Als sich die grauen Schleier vor seinen Augen lichteten, stand André über ihm. »Alles in Ordnung?« fragte er.

Mike versuchte zu nicken, brachte aber kaum die Kraft dazu auf. »Was… was war das?« fragte er mühsam.

André zuckte mit den Achseln und sank auch auf die Knie, um nach Sarah zu sehen. »Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Dasselbe hat er auch mit mir gemacht. Ich habe gedacht, mein Leben wäre zu Ende, aber er hat mir nichts getan. Als ob er kein Interesse an mir hätte.« In diesem Moment öffnete Sarah die Augen.

Sie blinzelte ein paarmal, dann richtete sie sich mühsam auf und sah sich um, verwirrt und benommen, als hätte sie Mühe, sich zu erinnern, wo sie war.

»Sarah!« rief André. »Wie fühlst du dich? Bist du in Ordnung?«

Sarah nickte. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte langsam: »Was ist geschehen?«

»Du erinnerst dich nicht?« wollte André wissen.

Das Mädchen schüttelte wieder den Kopf, stöhnte und hob die Hand an die Stirn. »Ich weiß nicht«, murmelte es. »Da war… dasUngeheuer!«Sie stieß einen leisen Schrei aus, sprang auf die Füße und sah sich wild um.

Mike hob beruhigend die Hand. »Keine Sorge!« sagte er rasch. »Er ist fort. Er wird uns nichts mehr tun.«Diese Behauptung entsprang mehr seiner Hoffnung als wirklicher Überzeugung, aber sie schien das Mädchen trotzdem zu beruhigen. Sarah hörte auf zu zittern, aber sie sah Mike und André vollkommen verstört an.

»Versuch dich zu erinnern!« sagte Mike beschwörend. »Was ist geschehen? Was hat er mit dir gemacht? «

»Gemacht?« Sarah blickte ihn verständnislos an. »Ich verstehe nicht… was… was meinst du?«

Mike hätte vor Hilflosigkeit beinahe aufgeschrien. Er hatte das Gefühl, der Wahrheit ganz nahe zu sein. Aber immer, wenn er danach greifen wollte, huschte sie im letzten Augenblick davon.

Sie ist jetzt so wie ihr.Das war es, was Astaroth gesagt hatte.Nicht mehr wie Serena.Aber was um alles in der Welt hatte er damit gemeint?!

Sie ist jetzt so wie ihr, nicht mehr so wie Serena. Viele sind hier wie sie.

Und dann, ganz plötzlich, von einem Sekundenbruchteil auf den anderen, wußte er es. Die Erkenntnis stand so klar und deutlich in seinem Bewußtsein, daß es keinen Zweifel daran gab.

»Um Gottes willen!« stöhnte er. »André, ich weiß jetzt, was das alles bedeutet.« Er fuhr herum und deutete auf den Ausgang. »Schnell! Wir müssen zu Serena und den anderen! Vielleicht können wird das Schlimmste noch verhindern!«

Er rannte los, ehe André auch nur den Mund aufmachen konnte, um eine Frage zu stellen.

Obwohl Mike rannte wie nie zuvor im Leben, hörte er schon von weitem, daß sie zu spät kamen. Der Lärm der Schlacht drang ihnen entgegen, als sie sich dem Stadttor näherten, ein Dröhnen und Klirren, in das sich immer wieder gellende Schreie mischten, und über der Mauer tobte ein Gewitter aus blauen Blitzen und knisternder, magischer Energie.

Als sie durch das Tor stürmten, erwartete sie ein entsetzlicher Anblick.