122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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Serena war nicht mehr da. Das Bett war zerwühlt, Laken und Kissen heruntergerissen, aber das blonde Mädchen war verschwunden.

Ein weiterer Schlag ließ die NAUTILUS bis in die letzte Schweißnaht erzittern. Mike riß es nach vorne, er stolperte über etwas Weiches und fiel auf das leere Bett. Während er sich wieder aufrappelte, drängten sich Ben, Juan, André und Chris vor der Kabinentür. Hinter den Jungen war die hochgewachsene Gestalt Singhs zu erkennen.

Jetzt bemerkte Mike, daß er über Serena gestolpert war. Offensichtlich hatten die Erschütterungen des Schiffes sie aus dem Bett geworfen, und sie lag nun auf dem nackten Metallboden.

Der Anblick versetzte Mike einen jähen Schrecken. Mit einem einzigen Satz war er aus dem Bett und kniete neben dem Mädchen nieder. Serenas Augen waren noch immer geschlossen, aber sie lag nicht mehr still, sondern bewegte unruhig die Hände, und manchmal hörte Mike ein leises, qualvolles Wimmern, obwohl sich ihre Lippen nicht bewegten. Mike wollte nach ihren Händen greifen, um sie festzuhalten, aber sie riß sich mit erstaunlicher Kraft immer wieder los. »Was ist passiert?« fragte er. »Warum hat sie geschrien?« Die Frage galt Astaroth, der sie auch unverzüglich beantwortete: Dasweiß ich nicht. Sie ist plötzlich aufgewacht und hat zu schreien begonnen.

»Sie ist aufgewacht?« wiederholte Mike überrascht. Die anderen sahen abwechselnd ihn und den einäugigen Kater erschrocken an. Sie wußten alle, daß Mike und der Kater auf eine geheimnisvolle Weise miteinander zu reden imstande waren, auch wenn es dem einen oder anderen ein wenig unheimlich sein mochte.

Nur einen Moment,bestätigte der Kater.Ich wollte sie zurückhalten, aber sie hat mich weggestoßen.

»Und dann?« fragte Mike, als der Kater nicht weitersprach, sondern sich zu Serena herumdrehte und unter lautstarkem Schnurren ihr Gesicht abzulecken begann.Nichts und. Sie hat geschrien, und dann ist sie aus dem Bett gefallen,antwortete der Kater.

Mike erklärte hastig, was der Kater gesagt hatte. »Was hat sie geschrien?« fragte Juan.

Das habe ich nicht verstanden,antwortete Astaroth.Das heißt: verstanden schon, aber ich weiß nicht, was es bedeuten soll.

»Was war es?« fragte Mike ungeduldig. »Verdammt, laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!«Niemand wird meine Nase be –

»Astaroth!« sagte Mike scharf.Schon gut,antwortete Astaroth kleinlaut.Sie hat geschrien: Die Alten. Das war alles.

»Die Alten?« wiederholte Mike verwirrt. »Aber was soll das bedeuten?«Keine Ahnung,sagte Astaroth. Mike erklärte erneut, aber auch von den anderen konnte sich keiner einen Reim darauf machen. Sie

diskutierten einige Augenblicke lang heftig, dann beendete Mike das Gespräch mit

einer entschiedenen Handbewegung. »Das spielt jetzt keine Rol le«, sagte er. »Helft mir, sie wieder aufs Bett zu legen.« Ben kam herein, beugte sich hinunter und streckte die Arme aus – und zog die Hände hastig wieder

zurück, als Astaroth mit den Krallen nach ihm schlug.Der nicht!erklang die Stimme des Katers in Mikes Kopf.Ich will nicht, daß er sie anfaßt!

Mike sparte sich die Mühe, das den anderen zu sagen. Astaroth könne Ben ebensowenig leiden wie Ben umgekehrt den Kater. Jedermann an Bord der NAUTILUS wußte das. Ben zog sich mißgelaunt zurück, während Mike ebenso ungeschickt wie verbissen versuchte, Serena allein wieder auf das Bett zurückzuheben. Schließlich drängte sich Singh wortlos an den vier Jungen vorbei und hob Serena ohne sichtbare Mühe aufs Bett. Astaroth ließ es widerspruchslos geschehen.

»Wie geht es ihr jetzt?« fragte Mike. »Schläft sie wieder? Träumt sie noch?«Ja,antwortete der Kater zögernd.Aber ihre Träume sind… anders.»Was soll das heißen, anders?« fragte Mike.Anders eben,antwortete der Kater mürrisch.Sie… machen mir angst.

Das wiederum machte Mike angst. Plötzlich fiel ihm wieder etwas ein, was er beobachtet, aber in der Aufregung der letzten Minuten einfach vergessen hatte: Der Sturm hatte aufgehört, und zwar im gleichen Moment, in dem die Riesenqualle das Schiff angegriffen hatte. Zum ersten Mal kam Mike der Verdacht, daß dieses Monster dort draußen möglicherweise mehr war als ein hirnloses Meeresungeheuer, das die NAUTILUS mit einem fetten Fisch verwechselt hatte.

»Jedenfalls scheint sie jetzt wieder zu schlafen«, sagte Ben nervös. »Laßt uns in den Salon zurückgehen. Möglicherweise braucht Trautman unsere Hilfe.«

Das war sicher richtig. Die Sache mit Serena hatte die Tatsache, daß sie sich noch immer in einer lebensgefährlichen Situation befanden, in den Hintergrund gedrängt. Es war gut möglich, daß sie sich schon in ganz naher Zukunft keine Gedanken mehr darum zu machen brauchten, ob Serena träumte oder nicht. Um alles andere übrigens auch nicht. Trotzdem war ihm nicht wohl dabei, das Mädchen allein zu lassen.

Geht ruhig,sagte Astaroth.Ich passe schon auf sie auf.

Mike war noch immer nicht beruhigt, aber er wandte sich trotzdem zur Tür und gab den anderen einen Wink, ihm zu folgen. Astaroth hatte recht. Wenn es jemand an Bord des Schiffes gab, der dazu in der Lage war, über Serena zu wachen, dann er. Schließlich erfüllte er diese Aufgabe seit gut und gerne zehntausend Jahren.

Trautman hörte in Ruhe an, was Mike zu berichten hatte, aber er gab keinen Kommentar dazu ab. Sein Gesichtsausdruck wurde immer besorgter, und das tiefe Seufzen, mit dem er sich wieder in seinen Stuhl zurücksinken ließ, sprach für sich. Mike vermutete wohl nicht zu Unrecht, daß ihn das Gehörte weit mehr erschreckte, als er eigentlich zugeben wollte.

»Hier sieht es leider auch nicht sehr viel besser aus«, sagte Trautman schließlich. Er wies auf das Fenster. »Wie ihr seht, sind wir noch immer in der Gewalt des Ungeheuers.«

»Dann… dann sind wir verloren«, murmelte Chris. »Es wird

uns zerquetschen, oder wir werden ersticken, wenn unser

Sauerstoff aufgebraucht ist.«

»So schnell geht es nun auch wieder nicht«, antwortete Trautman. »Nicht einmal ein Wesen dieser Größe kann die NAUTILUS so einfach zerquetschen. Und unsere Luft reicht noch eine ganze Weile. Vielleicht wird es bald ein bißchen ungemütlich hier drinnen, aber ersticken werden wir so schnell nicht, keine Angst.«

»Irgendwann wird dieses Ding schon kapieren, daß die NAUTILUS unverdaulich ist«, fügte André hinzu, wie Trautman ganz offensichtlich darum bemüht, Chris zu beruhigen – und genauso offensichtlich wie er nicht überzeugt von dem, was er sagte. »Spätestens dann wird es uns wieder loslassen.«

»Falls wir dann noch am Leben sind«, fügte Ben hinzu. »Und falls es bis dahin nicht so tief getaucht ist, daß uns der Wasserdruck einfach zerdrückt.«

Trautman verdrehte die Augen, und Mike warf Ben einen mordlüsternen Blick zu. Er hatte einmal gehört, daß Diplomatie eine Erfindung der Engländer war. Wenn das stimmte, dann stellte Ben wohl die berühmte Ausnahme dar, die die Regel bestimmte.

»Geht jetzt in eure Kabinen«, sagte Trautman befehlend, offenbar um einem eventuell ausbrechenden Streit vorzubeugen. »Ich sage auch sofort Bescheid, wenn es etwas Neues gibt.«

Chris gehorchte sofort, während Ben Trautman stirnrunzelnd ansah, sich aber dann achselzuckend abwandte und ebenfalls zur Tür ging. Auch Mike war verblüfft. Eigentlich war es nicht Trautmans Art, sie wie kleine Kinder ins Bett zu schicken, wenn es ihm beliebte. Im Gegenteil: Seit dem ersten Tag, an dem sie zusammen waren, hatte Trautman sie stets wie Gleichberechtigte behandelt. Sie hatten alle Probleme gemeinsam besprochen und gelöst. Niemals hatte er den Erwachsenen herausgekehrt. Das war auch einer der Gründe, aus denen der alte Mann den Jungen so ans Herz gewachsen war. Um so mehr überraschte Mike jetzt Trautmans Verhalten.

Aber Trautman wiederholte seine auffordernde Geste, und schließlich trollte sich auch Juan und der Franzose. Als Mike sich jedoch ebenfalls umdrehen und gehen wollte, hielt Trautman ihn mit einem Wink zurück. Gleichzeitig deutete er ihm, still zu sein. Mike warf einen Blick zur offenen Tür, durch die Juan und André gerade verschwunden waren. Ganz offensichtlich wollte Trautman nicht, daß die anderen merkten, daß er noch etwas mit ihm zu besprechen hatte, und auch das war ungewöhnlich. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander.

»Was… gibt es denn noch?« fragte er zögernd. Trautman ging an ihm vorbei und schloß die Tür, ehe er antwortete. »Entschuldige die Geheimnistuerei«, sagte er, »aber ich wollte die anderen nicht unnötig beunruhigen.«

Mike sagte nichts, aber er schluckte. Zumindest ihn hatte Trautman mit diesen Worten noch mehr beunruhigt. »Serena hat wirklich nur das gesagt?« vergewisserte sich Trautman. »Die Alten?« »Soviel ich weiß, ja«, antwortete Mike. »Astaroth hat mich noch nie belogen. Warum?« Trautman antwortete nicht darauf, aber er tauschte einen

Blick mit Singh, der als einziger zurückgeblieben war.

»Sie wissen, was dieses Wort bedeutet«, vermutete Mike.

»Dein Vater hat es ein paarmal erwähnt«, sagte Trautman. »Er hat mir nie gesagt, wer diese Alten sind. Aber jedesmal, wenn er dieses Wort aussprach, war er sehr ernst. So, als spräche er über etwas, was ihm furchtbare Angst macht.«

Mike spürte ein eisiges Frösteln. Astaroths Worte fielen ihm wieder ein:Ihre Träume machen mir angst.

Trautman ging zu dem großen Tisch in der Mitte des Salons, zog eine Schublade auf und nahm eine zusammengerollte Karte heraus, die er auf dem Tisch ausbreitete. Als Mike neben ihn trat, erkannte er, daß es sich um eine Karte des Atlantik handelte.

»Wir sind ungefähr hier«, sagte Trautman und deutete auf einen Punkt irgendwo zwischen der Halbinsel Florida und den Bermuda-Inseln. »Ich nehme nicht an, daß dir das etwas sagt?«

Mike verneinte. »Sollte es das?«

»Nur, wenn du dich für Seefahrt interessierst«, sagte Trautman. »Dieses Gebiet ist bei allen Seefahrern bekannt – und gefürchtet. Seit es Menschen gibt, die zur See fahren, verschwinden hier immer wieder Schiffe.« »Verschwinden? Sie meinen: sinken?«

»Die meisten sicher«, antwortete Trautman. »Aber einige verschwinden auch einfach. Wenn ein Schiffsinkt, findet man fast immer irgend etwas: Überlebende, ein leeres Rettungsboot, Wrackteile, Trümmer… Aber hier nicht. In diesem Seegebiet verschwinden immer wieder Schiffe einfach spurlos, und niemand hat eine Erklärung dafür.«

»Bis jetzt«, murmelte Mike. »Sie meinen, es… es ist die Riesenqualle?« »Die Vermutung liegt zumindest auf der Hand«, sagte Trautman. »Und was hat das mit den Alten zu tun?« fragte Mike. »Das weiß ich nicht«, antwortete Trautman.

»Aber dieses Schiff stammt aus Atlantis. Dein Vater wußte das. Er wußte viel über das untergegangene Volk der Atlanter, wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Mensch auf der Welt. Und jetzt haben wir eine echte Atlanterin an Bord. Auch sie hat von den Alten gesprochen, im gleichen Moment, in dem wir von diesem …Dingangegriffen worden sind. Das kann kein Zufall mehr sein.«

»Und jetzt möchten Sie, daß ich sie wecke und sie frage, wer die Alten sind«, vermutete Mike. Trautman nickte ernst. »Es ist vielleicht unsere einzige Chance.« »Sie wissen, was passiert ist, als wir sie das letzte Mal geweckt haben«, sagte Mike.

»Das war etwas anderes«, behauptete Trautman. »Erstens habenwirsie nicht geweckt, und zweitens wurde sie angegriffen und glaubte sich verteidigen zu müssen. Außerdem – schlimmer kann es kaum noch kommen.«

»Wieso?« fragte Mike.