122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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»Flieht!« schrie Singh. »Ich halte sie auf!«

Trautman ergriff Mike am Arm und zerrte ihn mit sich, hinunter in den Rumpf der NAUTILUS. »In den Salon!« keuchte er. »Schnell! Vielleicht kommen wir von dort aus weiter!«

Mike begriff sofort, was Trautmans Plan war. Der Salon verfügte über die mit Abstand massivste Tür von allen Räumen an Bord der NAUTILUS. Auch sie würde den Angreifern nicht ewig standhalten, aber vielleicht verschaffte sie ihnen die Frist, die sie brauchten, um einen Plan zu fassen. Alles war so unheimlich schnell gegangen, daß Mike immer noch nicht richtig mitbekommen hatte, wie ihnen überhaupt geschah. Die zerlumpte Bande, die so jählings über sie hergefallen war, machte ganz den Eindruck von Piraten. Aber Mike weigerte sich, das zu glauben. Piraten, im zwanzigsten Jahrhundert, und hier, etliche tausend Meter unter dem Meer? Lächerlich!

Sie hatten das Ende der Treppe erreicht.

Mit weit ausgreifenden Schritten stürmten Trautman und Mike in den Salon und bemühten sich mit vereinten Kräften, die schwere Stahltür zu schließen. Es gelang ihnen im buchstäblich allerletzten Moment. Der schwere Riegel war kaum eingerastet, da erzitterte die Tür auch schon unter einer Reihe heftiger Schläge, die ihre andere Seite trafen und lang durch den gesamten Rumpf des Schiffes nachhallten.

»Jetzt sind wir eine Weile sicher vor ihnen«, sagte Trautman, während er mit erleichtertem Aufatmen zurücktrat. »Und was ist mit Singh?« fragte Mike. Er konnte den Inder unmöglich dieser Bande draußen überlassen. Trautman machte eine beruhigende Handbewegung. »Wenn er klug ist, gibt er auf, sobald er merkt, daß wir in Sicherheit sind«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß sie ihm etwas antun.«

»Nein. Sie sind sicher nur gekommen, um uns einen Höflichkeitsbesuch abzustatten«, antwortete Mike sarkastisch. »Auch wenn ich finde, daß sie eine etwas merkwürdige Art haben, hallo zu sagen.«

»Sie wollen bestimmt nicht unseren Tod«, beharrte Trautman. »Erinnere dich – keiner von ihnen hat seine Waffe gezogen, um dich und die anderen zu überwältigen.«

»Aber was wollen sie dann?«

Trautman hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung«, gestand er. »Piraten! Daß ich das noch erleben muß. Ich wünschte, ich wäre zwanzig Jahre jünger.«

»Das klingt, als wären Sie schon einmal mit Piraten zusammengetroffen.«

»Einmal?« Trautman lachte. »Dein Vater und ich haben sie quer über die Weltmeere gejagt. Früher war der Ozean voll von diesem Gesindel. Dein Vater hat sie gehaßt wie die Pest. Wir müssen zwei oder drei Dutzend von ihnen versenkt haben!«

Mike fröstelte plötzlich. Worüber Trautman da sprach, das klang im ersten Moment wie eine spannende Geschichte. Aber in Wahrheit redete er über den Tod von Menschen. Von vielen Menschen. Möglicherweise, dachte Mike, gab es da doch noch das eine oder andere Detail aus dem Leben seines Vaters, das er nicht kannte. Und auch nicht kennen wollte.

Wieder erzitterte die Tür unter einer Folge harter, lang nachhallender Schläge. Trautman fuhr erschrocken zusammen und deutete auf den hinteren Ausgang des Salons. »Schnell jetzt!« rief

er. »Ehe sie auch von dort kommen!«

In panischer Hast verließen sie den Salon. Aber sie schafften es trotzdem nicht. Einige Piraten mußten in der oberen Etage schon weiter zum Heck der NAUTILUS vorgedrungen sein, denn vor ihnen klapperten plötzlich Schritte auf dem Metall des Gangbodens, und sie hörten aufgeregte, wild durcheinanderrufende Stimmen – und dann tauchten hintereinander vier, fünf, sechs der Piraten vor ihnen auf, die triumphierend zu brüllen begannen, als sie Trautman und Mike erblickten. Unverzüglich stürzten sie sich auf sie.

Trautman stellte sich schützend vor Mike und wehrte sich heftig, wurde aber binnen Sekunden überwältigt und zu Boden gezwungen. Dabei vermieden sie jede Brutalität. Keiner von ihnen schlug oder trat gar nach dem alten Mann – Trautman wurde einfach an den Armen gepackt und niedergehalten.

Zwei der Piraten versuchten nun dasselbe mit Mike. Obwohl er wußte, daß es vollkommen sinnlos war, setzte er sich mit erbitterter Kraft zur Wehr. Blitzschnell duckte er sich unter einer zupackenden Hand hinweg, versetzte dem Mann einen derben Stoß, der ihn zurücktaumeln ließ, und trat dem anderen Piraten so kräftig vor das Schienbein, daß dieser aufheulte und auf einem Bein zur Seite sprang.

Auf diese Weise verschaffte er sich für eine Sekunde Luft. Nicht, daß es ihm etwas nutzte.

Die Piraten rückten nun gemeinsam gegen ihn vor, und Mike wich Schritt für Schritt vor ihnen zurück, wobei er sich wild nach irgendeinem Versteck oder einem Fluchtweg umsah.

In diesem Moment ging die Tür zu seiner ehemaligen Kabine auf, und ein schwarzes, einäugiges Ungeheuer flog heraus und fiel fauchend und mit den Klauen um sich schlagend über die Piraten her. Einer der Burschen stürzte kreischend zu Boden und schlug beide Hände vor das Gesicht, und noch bevor seine Kameraden überhaupt begriffen, wie ihnen geschah, sprang Astaroth bereits einen zweiten an, biß ihm kräftig in die Unterlippe und benutzte anschließend sein Gesicht als Sprungschanze, um über einen dritten herzufallen.

Aber der Mann war vorbereitet. Als der Kater ihn ansprang, riß er schützend den Unterarm vor das Gesicht. Als Quittung verpaßte Astaroth ihm vier lange, blutige Kratzer vom Ellbogen bis zur Handwurzel, doch der Pirat nutzte die Chance, seinen Säbel zu ziehen. Mike stieß einen entsetzten Schrei aus, als die schartige Klinge aufblitzte, und reagierte ganz instinktiv.

Er sprang den Piraten an und umklammerte den Säbel mit beiden Händen.

Sein Angriff verblüffte den Piraten so sehr, daß dieser zurücktaumelte und seine Waffe losließ. Der Säbel fiel klappernd zu Boden, und Mike blieb sogar noch eine kurze Gnadenfrist, in der er triumphierend aufschrie.

Dann explodierte ein Schmerz in seinen Händen, der so grausam war, daß er nicht einmal mehr schreien konnte. Mike wurde schwarz vor den Augen. Er wankte, fiel auf die Knie herab und preßte die Handflächen gegen die Brust. Warmes Blut tränkte sein Hemd. Und der Schmerz wurde immer schlimmer. Mike krümmte sich wimmernd, kämpfte mit aller Macht gegen die Bewußtlosigkeit, die nach seinen Gedanken griff, und sah wie durch einen roten Nebel, daß der Pirat den Kater zu Boden warf und ihm einen Tritt verpaßte, der ihn wie einen lebenden Ball quer über den Gang und an die gegenüberliegende Wand schleuderte. Astaroth kreischte schrill und blieb liegen.

Wieder kamen die Piraten auf ihn zu. Mike hatte weder die Kraft noch den Willen, sich zu wehren. Ihm war übel, und er hätte alles gegeben, hätte das grausame Brennen und Stechen in seinen Händen nur nachgelassen.

Und dann geschah etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hatte – Mike am allerwenigsten.

Unter der Tür seiner Kabine erschien eine blondhaarige, in ein weißes Gewand gekleidete Gestalt. Serenas Gesicht war so bleich, wie er es in Erinnerung hatte, und ihr Blick war benommen wie der eines Menschen, der jäh aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden ist und noch nicht genau weiß, wo er sich überhaupt befindet. Einige Sekunden lang sah sie sich mit offenkundiger Verwirrung um, dann blieb ihr Blick an Mike hängen. Sie blinzelte und musterte dann der Reihe nach die Piraten, die bei ihrem Erscheinen ebenfalls erstarrt waren und das Mädchen anblickten.

»Was um alles in der Welt bedeutet dieser Lärm?« fragte Serena in ungeduldigem Tonfall. »Wer seid ihr überhaupt? Und was habt ihr auf meinem Schiff zu suchen?« Mike riß ungläubig die Augen auf, aber wenn er gedacht hatte, daß es nichts mehr gab, was ihn jetzt noch überraschen konnte, dann wurde er in der nächsten Sekunde eines Besseren belehrt.

Die Piraten reagierten jetzt auf Serenas Erscheinen – aber auf eine vollkommen andere Art und Weise, als Mike sich selbst im Traum hätte vorstellen können. Die Männer griffen sie nicht etwa an. Im Gegenteil.

Mike wurde übel, und er spürte, wie er endgültig in Ohnmacht fiel. Aber bevor ihm die Sinne gänzlich schwanden, sah er noch, wie die Piraten einer nach dem anderen vor Serena auf die Knie sanken und demütig das Haupt senkten …

Die letzte Empfindung vor seiner Bewußtlosigkeit und die erste nach seinem Erwachen waren gleich: eine grenzenlose Verblüffung und ein heftiger, brennender Schmerz in beiden Händen, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Mike öffnete sie stöhnend und wollte die Arme heben – das hieß, er versuchte es nur. Seine Hände waren festgebunden. Sein Körper ebenfalls, aber das nahm er gar nicht wahr, denn das, was er erblickte, als er blinzelnd den Kopf wandte, war zu überraschend.

Er befand sich nicht an Bord der NAUTILUS, daran bestand gar kein Zweifel. Und Trautman und er waren nicht allein. Mike lag auf einer schmalen, sehr harten Pritsche, die in einem großen, hellen Raum stand, der nichts, aber auch gar nichts mit der NAUTILUS gemein hatte. Der Boden bestand aus festgestampftem Lehm oder Erdreich, und Wände und Decke schienen aus einer Art Bast gefertigt zu sein, die zahllose Ritzen und Spalten aufwies. Das Licht fiel nicht durch ein Fenster oder eine Tür herein, sondern sickerte durch die Bastwände, und es war ein sehr seltsames Licht – heller als das der Sonne, aber zugleich auch weicher und eher weiß als gelb. Die spärliche Einrichtung, die Mike auf den ersten Blick erkennen konnte, war aus einer Art Bambus grob zusammengezimmert und bestand nur aus ein paar Stühlen, einigen sehr unbequem aussehenden Betten und etwas, was man mit viel Phantasie als Tisch bezeichnen konnte. Juan, Chris und Trautman hockten auf drei dieser Stühle, und als Mike den Kopf wandte, erblickte er auf der anderen Seite auch Ben, André und schließlich Singh. Der Inder sah etwas mitgenommen aus und hatte einen frischen Verband um die Stirn, der wie eine Verlängerung seines Turbans ausgesehen hätte, wäre er nicht mit einem großen Blutfleck verunziert worden, schien aber ansonsten unverletzt zu sein. Von Astaroth oder gar Serena konnte er keine Spur entdecken.

»Er ist wach!« rief Chris plötzlich. Die gemurmelten Gespräche verstummten abrupt, und aller Aufmerksamkeit wandte sich Mike zu. Singh erhob sich unverzüglich von seinem Platz und eilte zu ihm.

Mike versuchte erneut, die Hände zu bewegen, und jetzt erst bemerkte er, daß er wie ein Weihnachtspaket verschnürt war.

»Wartet, Herr!« sagte Singh hastig. »Ich binde Euch los.« Mike faßte sich in Geduld, bis der Inder die breiten Stoffstreifen gelöst hatte, die ihn hielten, und nutzte die Zeit, seinen Körper einer kurzen Inspektion zu unterziehen. Seine Hände waren so dick verbunden, daß es aussah, als trüge er weiße Fäustlinge, und sie taten erbärmlich weh, aber ansonsten schien er ebenso unversehrt wie die anderen zu sein.

Damit war die Erinnerung an die letzten Augenblicke vor seiner Ohnmacht endgültig geweckt. »Trautman!« murmelte er.

»Was ist mit –«

»Mir fehlt nichts«, unterbrach ihn Trautman rasch. »Keine Sorge. Mir geht es gut. Wesentlich besser jedenfalls als dir. Wie fühlst du dich?«

»Meinen Sie diese Frage ernst?« knurrte Mike. Singh hatte endlich die letzte Fessel gelöst und trat von seinem Lager zurück, und Mike richtete sich etwas auf. Ihm war ein bißchen schwindelig, und er fühlte sich sehr schwach.

»Durchaus«, antwortete Trautman. Er schüttelte den Kopf und maß Mike mit einem Blick, der ihm selbst angesichts seiner Heldentat an Bord der NAUTILUS nicht halb so bewundernd vorkam, wie es angemessen gewesen wäre. »Was du getan hast, war ziemlich tapfer –« Mike lächelte geschmeichelt, und Trautman fügte im gleichen Tonfall hinzu: »– aber auch ziemlich dumm.«

»So?« sagte Mike kleinlaut.

»Wenn du das nächste Mal kämpfen willst«, schlug Ben vor, »vergiß nicht wieder, ein Schwert zu benutzen.« Trautman brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Im Ernst«, fuhr er fort. »Fühlst du dich gut?«

»Ja«, antwortete Mike etwas ungeduldig. »Meine Hände tun weh, aber das ist auch alles.«

»Sei froh, daß du noch Hände hast, die dir weh tun können«, sagte Trautman ernst. »Eine Weile hatten wir ziemliche Angst um dich.«

»Habt ihr mich deshalb festgebunden?« fragte Mike. »Du hast geschrien und um dich geschlagen«, erklärte Trautman. »Und du hast immer wieder versucht, die Verbände herunterzureißen, so

daß wir dich schließlich fesseln mußten. Du hattest ziemlich

hohes Fieber.«

»Wie?« machte Mike verständnislos. Er kramte vergeblich in seinem Gedächtnis. Wenn er all das getan hätte, dann müßte er sich doch erinnern. Außerdem konnte er doch gar nicht so lange bewußtlos gewesen sein. Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Trautman in diesem Moment: »Du warst fast zwei Tage lang bewußtlos.«

»Zwei Tage?!« Mike richtete sich erschrocken auf und fiel sofort wieder zurück, denn das Schwindelgefühl hinter seiner Stirn wurde prompt heftiger. Zwei Tage! Kein Wunder, daß er sich so schlapp fühlte. Sehr viel vorsichtiger richtete er sich ein zweites Mal auf und sah erst Trautman, dann die anderen an.