122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

»Was ist passiert?« fragte er. »Wo sind wir, und wo ist Serena?«

»Was passiert ist, weißt du ja selbst am besten«, antwortete Trautman. Er setzte sich auf die Kante von Mikes Bett und wartete, bis die anderen ebenfalls Platz genommen hatten. »Und wo wir sind, kann ich dir leider nicht sagen. Auch Das Volk weiß nichts über diesen Ort.«

»Das Volk?«

»Die Leute, die uns gefangengenommen haben«, antwortete Trautman. »Sie nennen sich selbst Das Volk. Sie sagen, sie brauchen keinen anderen Namen. Und eigentlich haben sie auch recht damit. Schließlich sind sie die einzigen hier unten… wenigstens die einzigen Menschen.«

Der letzte Satz weckte Mikes Neugier, aber Trautman sprach bereits weiter. »Serena ist bei ihnen. Keine Sorge, es geht ihr gut.«

Und da erinnerte sich Mike an den allerletzten Augenblick, bevor ihm die Sinne geschwunden waren. »Moment mal!« sagte er. »Wieso… wieso sind wir gefangen? Serena ist doch… ich meine, sie haben sie doch –«

Trautman unterbrach ihn. »Die Geschichte ist nicht ganz einfach, fürchte ich. Willst du etwas zu trinken? «

Mike war sehr durstig, und so nickte er. Singh reichte ihm eine hölzerne Schale mit etwas, was er für Wasser hielt, sich aber als eine Art klarer Fruchtsaft herausstellte, der nicht nur ausgezeichnet schmeckte, sondern auch den Durst viel besser löschte, als Wasser dies getan hätte. Trotzdem leerte er auch noch eine zweite Schale, ehe er sie an Singh zurückgab und Trautman mit einem entsprechenden Blick aufforderte, weiterzusprechen.

»Das beste wird wohl sein, wenn ich dir der Reihe nach erzähle, was wir in den letzten beiden Tagen in Erfahrung gebracht haben«, sagte Trautman. »Kannst du aufstehen?«

Mike versuchte es. Er war noch ein bißchen wackelig auf den Beinen, so daß Singh ihm helfen mußte, aber schon nach ein paar Schritten kehrten seine Kräfte zurück, und er konnte – wenn auch mühsam – allein gehen. Trautman und die anderen eilten voraus, und Chris öffnete eine Tür, die aus dem gleichen Material wie ihre gesamte Behausung bestand und sich knarrend in Angeln bewegte, die aus groben Stricken geflochten waren.

Mike war erstaunt. »Ich denke, wir sind Gefangene?« fragte er.

»Nicht wirklich«, antwortete Ben. »Du wirst gleich erfahren, warum.«

Das erste, was Mike sah, als sie das Haus verließen, war der Hafen. Die Basthütte lag auf einer etwa dreißig oder vierzig Meter hohen Klippe, die unmittelbar an das Wasser des halbrunden Hafenbeckens grenzen mußte, denn er konnte tief unter sich die sonderbare Flotte erkennen, die sie beim Auftauchen erblickt hatten. Er sah jetzt, daß sie in Wahrheit noch viel größer war, als sie auf den ersten Blick angenommen hatten – es mußten buchstäblich Hunderte von Schiffen sein. Und unter all diesen zum Teil vertrauten, zum Teil vollkommen fremdartigen Konstruktionen erblickte er auch die NAUTILUS. Sie war mit einem gewaltigen Seil am Heck des spanischen Kriegsschiffes vertäut, von dessen Deck aus die Piraten sie angegriffen hatten, und sah aus wie ein gefangener, stählerner Riesenfisch. Dieser Anblick gab Mike einen tiefen, schmerzhaften Stich, und offensichtlich spiegelten sich seine Empfindungen deutlich auf seinem Gesicht wider, denn Trautman sagte:

»Es ist nicht so schlimm, wie du vielleicht glaubst. Was dir passiert ist, war ein Unfall. Und das gleiche gilt für Singh. Es tut ihnen auch sehr leid. Aber das wird Denholm dir sicher noch selbst sagen.«

»Denholm?«

»Der Anführer des Volkes«, erklärte Trautman. »Du hast ihn bereits kennengelernt. Er war derjenige, den du… ähm… entwaffnet hast. Im Grunde sind es sehr freundliche Menschen.«

»Das habe ich gemerkt«, bemerkte Mike bissig.

Trautman lächelte. »Ich kann dich verstehen«, behauptete er. »Wir alle haben im ersten Moment so gedacht wie du – und das ist ja auch nicht weiter erstaunlich, nicht wahr? Aber sie haben es uns erklärt. Sie leben schon sehr lange hier unten, weißt du, und diese Art, Neuankömmlinge zu empfangen, hat sich nun einmal als die beste herausgestellt.«

»Sie zuüberfallen?«fragte Mike ungläubig.

»Es war kein richtiger Überfall«, antwortete Trautman. »Ist dir nicht aufgefallen, daß sie versucht haben, keinen von uns zu verletzen?« Er machte eine erklärende Handbewegung zum Hafen hinunter. »Siehst du, all diese Schiffe sind auf die gleiche Weise wie wir hier heruntergekommen – sie wurden von der Qualle überfallen und hierhergebracht. Wir haben es nicht gemerkt, weil wir sowieso in einem luftdicht abgeschlossenen Schiff waren, aber das Tier hüllt seine Beute vollkommen ein, so daß die Menschen an Bord vor dem Wasser geschützt sind und nicht ertrinken müssen. Aber du kannst dir vorstellen, daß sie vollkommen verängstigt und zutiefst verstört sind, wenn sie hier ankommen. Es kam immer wieder vor, daß sie aus reiner Panik Denholms Männer angegriffen haben – weil sie glaubten, sie wären mit dem Ungeheuer im Bunde, das ihr Schiff verschlungen hatte. Es gab auf beiden Seiten Verletzte, manchmal auch Tote. Also haben sie beschlossen, alle Neuankömmlinge sofort und mit möglichst wenig Gewaltanwendung zu überwältigen und erst einmal auf diese Klippe zu bringen. Anscheinend funktioniert dieses System hervorragend – auf jeden Fall gibt es seit Jahren keine unnötigen Verluste an Menschenleben mehr.«

»Ach?« sagte Mike übellaunig. »Und dann?«

»Später nehmen wir sie in unsere Gemeinschaft auf. Sobald sie Zeit genug gehabt haben, sich an ihre neue Situation zu gewöhnen.«

Es war nicht Trautmans Stimme, die das sagte, sondern eine fremde, und Mike drehte sich hastig herum. Sie waren nicht mehr allein. Hinter Trautman und den anderen waren drei der zerlumpten Gestalten aufgetaucht. Zwei davon waren Mike vollkommen fremd, während ihm das Gesicht des dritten bekannt vorzukommen schien.

»Sie müssen dieser Denholm sein«, sagte er in unfreundlichem Ton.

»Stimmt«, antwortete der Fremde. »Aber es heißt:Dumußt Denholm sein. Wir duzen uns hier unten alle. Und du bist Mike.«

Mike verzichtete auf eine Antwort, sondern blickte Denholm feindselig an. Denholm war ein sehr großer, hagerer Mann, dessen Gesicht von der gleichen, fast unnatürlichen Blässe war wie das seiner beiden Begleiter, und er war in die hier offenbar üblichen Fetzen gehüllt, die kaum mehr als Kleidung zu erkennen waren. Sein Gesicht war scharf geschnitten und hatte einen sehr energischen Zug, und seinen dunklen, eng beieinanderstehenden Augen schien nicht die winzigste Kleinigkeit zu entgehen. Obwohl er sehr hager war, hatte er ungemein kräftige Hände. Und trotz allem wirkte er nicht unsympathisch.

Denholm ließ Mike Zeit, ihn in aller Ruhe zu mustern, und fuhr schließlich fort: »Um deine Frage vollends zu beantworten: Manche brauchen lange, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie nie wieder von hier weg können. Aber früher oder später akzeptieren sie es alle, und dann gibt es in unserer Stadt für jeden eine offene Tür. Oder auch einen Platz, um sich ein eigenes Heim zu errichten, falls sie das wollen.«

Mike war nicht sicher, ob er wirklich verstanden hatte, was Denholm ihm damit sagen wollte – und wenn, ob er es wirklich verstehen wollte. Im Augenblick jedenfalls hatte er keine Lust, näher darauf einzugehen.

»Was habt ihr mit Serena gemacht?« fragte er schroff. »Wo ist sie?«

Trautman sah ihn erschrocken an, aber Denholm schien ihm seinen aggressiven Ton nicht übelzunehmen. Er lächelte. »Du meinst die Atlanterin? Keine Angst – sie ist in Sicherheit.« »Das glaube ich erst, wenn ich sie sehe«, antwortete Mike. »Das wirst du«, erwiderte Denholm. »Deshalb bin ich hier – unter anderem.« Aber statt diese Andeutung

zu erklären, drehte er sich zu Trautman herum. »Ihr könnt uns jetzt begleiten, wenn ihr wollt. Ihr könnt

euch die Stadt ansehen.« »Gerne«, antworteten Ben und André gleichzeitig. Chris schwieg, wie meistens, und Trautman warf einen fragenden Blick in Mikes Richtung.

»Ich fürchte, dein hitzköpfiger junger Freund muß noch ein wenig hierbleiben«, sagte Denholm lächelnd. »Wenigstens, bis er sich ganz erholt hat – und seine Wunden einigermaßen verheilt sind.«

»Ich werde bei Euch bleiben, Herr«, sagte Singh. »Und ich auch – wenn du es möchtest«, fügte Trautman hinzu. Mike hätte seinen Vorschlag nur zu gerne angenommen. Schon der Gedanke, nach allem, was er gehört hatte, allein hier zurückbleiben zu sollen, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Aber er spürte auch, wie gerne Trautman und die anderen Denholms Angebot angenommen hätten, und letztendlich

wollte er auch nicht als Feigling dastehen. Also schüttelte er den Kopf. »Geht ruhig«, sagte er. »Denholm hat recht – ich fühle mich noch nicht sehr wohl. Und ich bin ja auch

nicht allein. Singh wird schon auf mich aufpassen.« Trautman warf ihm einen dankbaren Blick zu. »Es wird bestimmt nicht sehr lange dauern«, versprach er. »Wir beeilen uns. Einverstanden?« »Jaja«, murmelte Mike. »Schon in Ordnung. Nun geht schon, ehe ich es mir doch noch anders überlege.« Singh und er kehrten in die Hütte zurück, nachdem Trautman und die anderen in Denholms Begleitung

gegangen waren. Mike hatte nicht einmal übertrieben, wie er selbst geglaubt hatte: Er fühlte sich tatsächlich noch sehr schwach, und seine Hände begannen immer heftiger zu schmerzen, so daß er sich schon nach einigen Minuten wieder auf sein unbequemes Lager sinken ließ. Singh nahm auf einem Hocker neben ihm Platz, und nachdem er sich umständlich und mehrmals nach seinem Befinden erkundigt hatte und danach, ob er irgend etwas für ihn tun konnte, begann er Mike den Rest der Geschichte zu erzählen, die er und die anderen von Denholm erfahren hatten. Sie war nicht sehr lang – aber so phantastisch, daß es Mike schwerfiel, sie zu glauben – obwohl er den Beweis für ihre Wahrheit ja mit eigenen Augen gesehen hatte.

Das Volk lebte seit Urzeiten hier unten. Singh konnte nicht sagen, wie viele sie waren – auf diese Frage hatte Denholm beharrlich geschwiegen –, aber aus gewissen Andeutungen hatte Trautman wohl geschlossen, daß sie allerhöchstens nach Hunderten zählten, nicht nach Tausenden, und es handelte sich ausnahmslos um Nachkommen der Seefahrer, die mit ihren Schiffen hierher verschleppt worden waren. Niemand vermochte zu sagen, wann der erste Mensch in dieser unterseeischen Welt angekommen war, und niemand wußte,warum.Obwohl Denholms Vorfahren jahrhundertelang verbissen versucht hatten, dieses Geheimnis zu lösen, ebensowenig, wie sie sagen konnten, wer diese unglaubliche Stadt erschaffen hatte und zu welchem Zweck. Sie hatten sich eingerichtet, so gut es eben ging, und da es an Bord der Schiffe auch immer wieder Frauen gegeben hatte, war hier, auf dem Grund des Meeres, eine richtige kleine Gesellschaft entstanden, die nach ihren eigenen Regeln funktionierte und offensichtlich überlebensfähig war.

An diesem Punkt endete Singhs Geschichte auch schon wieder, und sie ließ Mike alles andere als befriedigt zurück. Was der Inder ihm erzählt hatte, hatte viel mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, und es hatte auch nicht dazu beigetragen, ihn zu beruhigen. Ganz im Gegenteil. Je länger er zuhörte, desto mehr machte sich eine neue, nagende Furcht in ihm breit. »Hat Trautman schon einen Plan?« fragte er, als Singh geendet hatte.

»Einen Plan?« wiederholte der Inder. »Ich fürchte, ich verstehe nicht…«

»Einen Plan, wie wir hier wieder herauskommen«, antwortete Mike ungeduldig. Er richtete sich wieder auf und sah den Inder erschrocken an. »Du willst mir doch nicht erzählen, daß ihr

euch damit abgefunden habt, hierzubleiben, oder?« »Ich… weiß es nicht, Herr«, antwortete Singh ausweichend. »Wir haben bisher nicht darüber gesprochen.«

Mike setzte zu einer scharfen Antwort an, aber in diesem Moment hörten sie ein Geräusch von der Tür her, und Mike fand gerade noch Zeit, sich herumzudrehen, da huschte auch schon ein struppiger schwarzer Blitz herein, war mit einem einzigen Satz auf dem Bett und sprang Mike so ungestüm an, daß dieser wieder zurückfiel und sich erst einmal sekundenlang des Katers zu erwehren versuchte, der auf seiner Brust hockte und ihm wie ein liebestoller Hund mit seiner rauhen Zunge das Gesicht abschleckte.

Mike! Mein dummer, kleiner Menschenfreund! Du lebst und bist gesund! Poseidon sei Dank!

Mike rang nach Atem, packte den Kater mit beiden Händen und schob ihn ein Stück weit von sich fort. »Was ist denn in dich gefahren?« keuchte er. »Hältst du dich für einen Dackel?«Ich wollte mich nur bedanken,antwortete Astaroth.Und was ist ein Dackel?

Ehe Mike es verhindern konnte, erschien das Bild dieses Tieres in seinen Gedanken, und Astaroth zog beleidigt die Nase kraus und löste sich aus seinem Griff.Typisch Mensch,maulte er.Da läßt man sich

einmal herab und will freundlich sein, und er dankt es einem mit einer Beleidigung

.»So war das nicht gemeint«, sagte Mike hastig. Plötzlich lachte er. »Ach, verdammt, ich bin genauso froh, dich zu sehen. Ich hatte schon Angst, daß es um dich geschehen ist.«

Wäre es auch fast,erwiderte Astaroth.Wenn du nicht eingegriffen hättest… Das war unbeschreiblich tapfer von dir – wenigstens für einen Menschen –

»Danke«, sagte Mike strahlend.