122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

aber auch unbeschreiblich dämlich,fuhr Astaroth fort.Seit wann greift man mit bloßen Händen nach einem scharfen Messer?Mike seufzte. Was hatte er eigentlich erwartet?

Aber ich bin nicht nur gekommen, um mich von dir beschimpfen zu lassen,erklärte Astaroth großzügig. »Sondern?« fragte Mike.

Ich soll dir das Erscheinen einer hochgestellten Persönlichkeit ankündigen,antwortete der Kater. Er hob mit einer durch und durch menschlich anmutenden Geste die rechte Vorderpfote und deutete zur Tür.

Prinzessin Serena, die rechtmäßige Herrscherin von Atlantis.

Mike sah zur Tür – und hielt die Luft an, als das Mädchen den Raum betrat. Und vermutlich hätte er das auch ohne Astaroths bombastischer Ankündigung getan, denn Serena bot einen wahrhaft atemberaubenden Anblick. Sie trug noch immer das einfache weiße Kleid, in dem er sie das erste Malgesehen hatte, und ihr Gesicht war noch immer so bleich wie zuvor, aber damit hörte die Ähnlichkeit mit der Serena, die er kannte, auch schon auf. Statt krank und leidend sah ihr Gesicht jetzt unglaublich lebendig aus. In ihren Augen glänzte ein Feuer, wie Mike es noch nie zuvor in denen eines Menschen erblickt hatte, und das blonde Haar umfloß ihr Gesicht und ihre Schultern wie eine Löwenmähne; es schien elektrisch geladen zu sein und funkelte, wenn das Sonnenlicht darauf fiel. Ihre Bewegungen waren so elegant und grazil wie die einer Katze. Serena strahlte eine Lebendigkeit und Stärke aus, die Mike schaudern ließ. Er hatte niemals zuvor einen Menschen gesehen, der mehr Kraft zu haben schien; auf eine Weise, die nichts mit körperlicher Stärke zu tun hatte.

Und so ganz nebenbei – derschönergewesen wäre.

»Danke für das Kompliment«, sagte Serena. »Aber du hast meine Mutter nicht gekannt. Gegen sie wäre ich eine häßliche Kröte. Und außerdem mag ich keine Schmeicheleien.«

Mikes Unterkiefer klappte herunter. »Du… liest meine Gedanken?« keuchte er.

»Selbstverständlich tue ich das«, antwortete Serena. Sie machte ein fragendes Gesicht, dann fuhr sie fort: »Oh, entschuldige – ich habe ganz vergessen, daß ihr das ja nicht mögt. Ihr seid ein seltsames Volk.«

Mike starrte sie aus ungläubig aufgerissenen Augen an, dann riß er seinen Blick mühsam von ihr los und sah den Kater vorwurfsvoll an. »Davon hast du mir nichts gesagt!«

Astaroth grinste unverschämt.Du hast mich nie gefragt,antwortete er.Außerdem liebe ich Überraschungen.»Soll das heißen, daß… daßalleAtlanter Gedanken lesen können?« fragte Mike fassungslos.

»Das soll es heißen«, antwortete Serena an Astaroths Stelle. Ihre Stimme klang ein wenig ungeduldig. »Aber was willst du eigentlich – dich mit dem Kater unterhalten oder mit mir?«

»Mit dir selbstverständlich«, antwortete Mike hastig. »Entschuldige. Es ist so –« »Jaja, schon gut.« Serena machte eine ungeduldige Geste. Sie

kam näher. Der Stuhl, auf dem Singh saß, stand ihr im Weg, aber sie machte keinerlei Anstalten, ihm auszuweichen, und so sprang der Inder im letzten Augenblick hoch und trat beiseite. Der Blick, mit dem er Serena dabei maß, war alles andere als freundlich. Seine Gedanken wohl auch nicht, denn Serena blieb schließlich doch stehen und sah den Sikh mit gerunzelter Stirn an. Sie sagte nichts, sondern wandte sich wieder Mike zu. Aber die Art, auf die sie dies tat, gefiel ihm nicht. Er hatte das Gefühl, daß Serena es einfach nicht der Mühe wert fand, sich mit Singh abzugeben.

»Astaroth hat mir erzählt, was du für mich getan hast«, sagte sie. »Und für ihn. Ich bin hergekommen, um mich dafür zu bedanken – und meine Schulden zu begleichen.«

Mike hörte die Worte kaum. Er starrte Serena unverwandt an. Je näher sie ihm kam, desto schöner erschien sie ihm. Er blickte in ihr Gesicht, und er konnte sich an dem, was er sah, einfach nicht satt sehen.

Serenas Stirnrunzeln vertiefte sich. »Wenn du noch ein bißchen weiter in die Richtung denkst, in die du gerade denkst, handelst du dir eine saftige Ohrfeige ein«, sagte sie. »Zeig mir deine Hände!«

Mike fuhr schuldbewußt zusammen, streckte aber gehorsam die Hände aus. Er wußte selbst nicht genau, woran er gerade gedacht hatte – hinter seiner Stirn purzelten die Gedanken wild durcheinander, und er hatte das Gefühl, daß er nur Unsinn reden würde, wenn er jetzt den Mund aufmachte.

»Nicht nur, wenn du den Mund aufmachst«, sagte Serena in leicht verärgertem Ton. Sie begann die Verbände von Mikes Händen zu lösen, sehr schnell, aber alles andere als zartfühlend. Nach ein paar Sekunden schon dachte Mike nicht mehr an die Schönheit Serenas, sondern raffte all seine Selbstbeherrschung zusammen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen.

»Was tust du da eigentlich?« stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Halt still, und du siehst es gleich«, antwortete Serena. Sie schüttelte den Kopf. »Ihr seid ein ziemlich weinerliches Volk, wie?«

Mike ächzte – wenn auch jetzt eher vor Verblüffung als vor Schmerz.Weinerlich?Jetzt, wo die Verbände nicht mehr da waren, konnte er sehen, daß die Schnittwunden in seinen Handflächen bis auf die Knochen hinunterreichten. Kein Wunder, daß er um ein Haar gestorben wäre. Und Serena bezeichnete ihn alsweinerlich,weil er Schmerzen verspürte?!

»Schmerz ist etwas, was man abschalten kann, wenn es lästig wird«, belehrte ihn Serena. »Man muß es nur wollen.«

Mike erwiderte vorsichtshalber nichts darauf. Die Unterschiede zwischen den Menschen und den Bewohnern des untergegangenen Atlantis schienen wohl größer zu sein, als er bisher angenommen hatte.

»Halt still!« sagte Serena noch einmal. »Es hört gleich auf.«

Und dann geschah etwas ganz und gar Unheimliches. Der Schmerz in Mikes Händen erlosch auf einmal, und an seiner Stelle machte sich ein Gefühl wohltuender Wärme breit. Mike verspürte ein sachtes Kribbeln, als liefen hundert Ameisen in Samtpantoffeln über seine Handflächen – und als Serena die Finger zurückzog und seine Hände freigab, waren die Wunden

verschwunden. Nur zwei dünne, rote Linien zeigten, wo sie vor einer Sekunde gewesen waren.

Fassungslos hob Mike die Hände vor das Gesicht. Auch die dünnen Narben verblaßten, und es vergingen nur noch Sekunden, und seine Hände sahen so unverletzt und gesund aus, als wären sie niemals zerschnitten gewesen.

»Aber das ist doch… unmöglich!« flüsterte er. »Das ist Zauberei!«

Serena verzog geringschätzig die Lippen. »Das ist gar nichts«, sagte sie. »So etwas kann bei uns jedes Kind. Bei euch etwa nicht?«

Mike schüttelte den Kopf. Er war viel zu perplex, um den überheblichen Ton in Serenas Stimme wahrzunehmen. »Wie hast du das gemacht?« flüsterte er. »Also das kann ich dir wirklich nicht erklären«, antwortete Serena, und ihr Blick schien hinzuzufügen:Und du würdest es sowieso nicht verstehen.

»Aber du… du…« stammelte Mike, blickte auf seine auf so wunderbare Weise geheilten Hände hinunter und dann in Serenas Gesicht. Seit er vor nun mittlerweile mehr als einem halben Jahr England verlassen hatte, hatte er eine Menge Dinge erlebt, die er zuvor nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätte. Aber das hier, das war… ein Wunder. Ein anderes Wort dafür gab es einfach nicht.

»Was für ein Unsinn«, sagte Serena verächtlich. »Fehlt dir sonst noch etwas?«

»Nein«, sagte Mike und dachte daran, wie miserabel er sich noch immer fühlte – sein Kopf tat weh, und er war so schwach und müde wie selten zuvor im Leben. Serena zog seufzend die Augenbrauen zusammen, streckte den Arm aus und legte die flache Hand auf seine Stirn. Das Gefühl war unbeschreiblich. Serenas Hand war so kühl, und schon ihre erste, flüchtige Berührung reichte, um das taube Gefühl und den Schmerz hinter seiner Stirn zu vertreiben. Nur einen Moment später konnte er regelrecht spüren, wie ein Strom neuer, pulsierender Kraft durch seinen Körper floß. Alle Müdigkeit war verschwunden, und er fühlte sich von einer Sekunde auf die andere so kräftig und frisch, als hätte er wochenlang geschlafen.

Ihm blieb nicht einmal die Zeit, sein Erstaunen darüber zu äußern, da richtete sich Serena wieder auf, blickte noch kurz mit einem sonderbaren Ausdruck auf ihn herunter und drehte sich dann ohne ein weiteres Wort herum und ging zur Tür. Erst als sie die Hütte schon beinahe verlassen hatte, überwandMike seine Überraschung soweit, um sich mit einem Ruck aufzurichten und sie zurückzurufen. »Serena!«

Sie blieb tatsächlich stehen und drehte sich noch einmal um. Aber sie tat es widerwillig, und auf ihrem Gesicht erschien ein sehr ungeduldiger, beinahe schon ärgerlicher Ausdruck. »Was ist denn noch?« fragte sie.

»Ich… ich dachte, du…« stammelte Mike. Serenas Verhalten verwirrte ihn. »Warum willst du denn schon gehen?« fragte er.

»Ich habe getan, wozu ich gekommen bin«, antwortete Serena. »Du hast mir geholfen, und ich habe dir jetzt geholfen. Ich denke, wir sind quitt – oder?«

»Natürlich«, antwortete Mike hastig. »Ich dachte nur… ich meine…« »Ja?« fragte Serena. Ihre Ungeduld war nun nicht mehr zu

übersehen.

»Ich dachte, wir könnten miteinander reden«, murmelte Mike.

»Reden? Aber worüber denn?« Serena schürzte geringschätzig die Lippen und schüttelte heftig den Kopf. »Es tut mir leid, aber dafür habe ich jetzt wirklich keine Zeit. Wir sehen uns bestimmt später.«

Und damit ging sie, rasch und ohne ein weiteres Wort. Mike blieb vollkommen verwirrt zurück. Er starrte die Tür an, und für einen Moment mußte er mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfen, die ihm in die Augen steigen wollten. Er war… ja, was eigentlich? Enttäuscht?

Es gelang Mike nicht, die Gefühle wirklich in Worte zu kleiden, die in ihm tobten. Es war nicht nur Enttäuschung. Es war etwas, wofür er einfach keine Bezeichnung fand, vielleicht, weil es sich um etwas handelte, was ihm bisher vollkommen fremd gewesen war. Wie lange hatte er diesen Moment herbeigesehnt, in dem Serena endlich aus ihrem todesähnlichen Schlaf erwachen und ihn das erste Mal bewußt aus ihren schönen Augen ansehen würde, den Augenblick, in dem er das erste Mal ihre Stimme hören würde? Und wie vollkommen anders war dieser Augenblick dann gewesen.

Nein, er war nicht nur enttäuscht. Was Mike in diesem Moment empfand, das ging viel tiefer, und es tat viel heftiger weh, als bloße Enttäuschung es gekonnt hätte.

Es vergingen mehr als zwei Stunden, bis Trautman und die anderen zurückkehrten. Mike hatte die ganze Zeit auf seinem Bett zugebracht und die Decke über sich angestarrt. Vergeblich hatte er versucht, eine Erklärung für Serenas sonderbares Verhalten zu finden. Er nahm sich vor, Serena bei nächster Gelegenheit geradeheraus zu fragen, womit er sich ihren Zorn zugezogen hatte. Sicher war es nur ein Mißverständnis.

Es konnte die aufgeregten Stimmen der anderen hören, bevor sie die Hütte betraten, und auch wenn er die Worte nicht verstand, so verriet ihm doch ihr Klang, daß sie in ausgezeichneter Stimmung waren. Was immer Denholm ihnen gezeigt hatte, es konnte nichts Unangenehmes gewesen sein. Wer weiß – vielleicht hatten sie ja bereits einen Weg gefunden, um wieder aus dieser merkwürdigen Stadt herauszukommen. Er stand auf und zwang ein möglichst unbefangenes Lächeln auf sein Gesicht.

Trautman und die vier anderen staunten nicht schlecht, als sie die Hütte betraten und Mike, der noch vor wenigen Stunden todkrank und erschöpft auf seinem Bett gelegen hatte, ihnen fröhlich entgegenspaziert kam. Aber der Moment, auf den Mike sich am meisten gefreut hatte – nämlich der, in dem er ihnen seine vollkommen verheilten Hände präsentierte und sie eigentlich fassungslos Mund und Augen hätte aufreißen sollen, kam nicht. Trautman betrachtete seine Hände nur mit wenig Interesse, und Ben sagte ruhig: »Sie war also schon da.«

Mike begriff. Offensichtlich waren Serenas unheimliche Kräfte nur für ihn noch ein Geheimnis gewesen

– aber schließlich hatten die anderen ja schon zwei Tage länger Gelegenheit gehabt, mit der Atlanterin zu sprechen und sie kennenzulernen. Wahrscheinlich war es genau umgekehrt gewesen, und Trautman und seine Freunde hatten ihm absichtlich nichts von Serenas Fähigkeiten erzählt, um ihn zu überraschen. Trotzdem war er ein wenig enttäuscht.