122163.fb2 Die Insel der Vulkane - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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Trautman sah hoch. Seine Augen weiteten sich vor Schrecken, als er Serena und Mike sah. »Mein Gott!«, keuchte er. »Wart ihr etwa im Wasser?« »Uns ist nichts passiert«, sagte Mike rasch. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Er hatte sich einige üble Verbrühungen zugezogen und seine Augen brannten noch immer wie Feuer und er konnte nicht richtig sehen. Aber wenn das, was er befürchtete, tatsächlich wahr wurde, dann waren sie alle in höchster Gefahr.

»Wie lange noch?«, fragte er.

Trautman verstand sofort, was Mike meinte. »Mindestens noch zwei Minuten«, sagte er. Die neuen Maschinen, die die Atlanter eingebaut hatten, besaßen bei gesteigerter Leistung einen entscheidenden Nachteil: Sie mussten vier oder fünf Minuten warm laufen, ehe sich das Schiff auch nur in Bewegung setzen konnte.

»Was ... was geschieht denn hier überhaupt?«, murmelte Serena.

Trautman betätigte seine Instrumente, ehe er antwortete. Die Maschinen der NAUTILUS rumorten lauter, aber das Schiff weigerte sich, auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu rücken. Dafür schwankte es immer mehr auf den Wellen. »Ich fürchte, wir befinden uns mitten in einem Vulkanausbruch«, sagte Trautman. »Präzise ausgedrückt: genau darüber.« »Ein ...Vulkan?«,wiederholte Serena ungläubig. »Aber das Meer ist hier -«

»Zweitausend Meter tief«, unterbrach sie Trautman. Seine Stimme klang immer nervöser. »Und das ist wahrscheinlich der einzige Grund, aus dem wir noch leben.«

Er riss wieder an den Kontrollinstrumenten und diesmal setzte sich die NAUTILUS tatsächlich in Bewegung, wenn auch viel langsamer, als Mike lieb gewesen wäre.

»Gott sei Dank!«, seufzte Ben. »Jetzt aber nichts wie weg hier.«

»O verdammt«, murmelte Trautman plötzlich. Und dann schrie er:»Haltet euch fest! Da kommt etwas hoch!«

Mike sah erschrocken zu Trautman zurück, dann wieder zum Fenster. Die NAUTILUS hatte Fahrt aufgenommen und wurde nun zusehends schneller, aber irgendetwas stimmte mit dem Meer nicht. Das Sprudeln der Millionen Blasen hatte aufgehört und auch die Wellen verebbten zusehends. Für einen Moment war die Wasseroberfläche fast unheimlich schnell und so glatt wie ein großer, türkisfarbener Spiegel. Dann explodierte sie.

Mike konnte regelrecht spüren, wie irgendetwas ungeheuer Großes aus der Tiefe des Ozeans emporstieg, und in der nächsten Sekunde wölbte sich das Wasser hinter der NAUTILUS schäumend hoch, hoch und immer noch höher, bis es zu einem regelrechten Berg angewachsen war, neben dem die NAUTILUS wie ein Spielzeug wirkte.

Was hinter der NAUTILUS durch die Wasseroberfläche brach, war keine Lava oder Feuer, sondern eine gewaltige, kochend heiße Dampfblase, die immer noch weiter und weiter wuchs und schließlich mit einem ungeheuerlichen Donnerschlag zerplatzte. Die NAUTILUS wurde davongewirbelt wie ein Blatt im Sturm, legte sich auf die Seite und drohte für einen schrecklichen Moment ganz zu kentern. Mike wurde ebenso wie alle anderen einfach von den Füßen gerissen und quer durch den Salon geschleudert. Glas zerbrach klirrend. Bücher stürzten aus den Regalen, Möbel fielen um und alle schrien vor Schmerz und Schrecken durcheinander. Die NAUTILUS begann sich wie ein Kreisel zu drehen und aus dem Motorengeräusch wurde ein gequältes Stampfen und Dröhnen. Mike hatte das Gefühl, dass das Schiff rings um ihn herum in Stücke brechen würde. Er versuchte vergeblich auf die Füße zu kommen, schlug ein zweites Mal der Länge nach hin und sah aus den Augenwinkeln, dass Trautman irgendwie das Kunststück fertig gebracht hatte, sich am Steuerpult in die Höhe zu ziehen. Mit einer fast verzweifelt wirkenden Bewegung stieß er den großen Beschleunigungshebel ganz nach vorne. Die Motoren der NAUTILUS brüllten auf. Das Schiff drehte sich noch immer wie ein Kreisel auf der kochenden Meeresoberfläche, aber Mike spürte auch, wie die mächtigen Maschinen endlich ihre ganze gewaltige Kraft entfalteten und das hundert Meter lange Tauchboot regelrecht von der Stelle katapultierten. Aus dem wilden Kreiseln wurde eine immer flacher werdende Spirale, bis sich die NAUTILUS schließlich in fast gerader Richtung von dem gewaltigen Sog entfernte, der hinter ihr entstanden war.

Mike arbeitete sich mühsam in die Höhe, kümmerte sich zuerst um Serena und überzeugte sich dann mit einem raschen Blick davon, dass auch alle anderen unverletzt geblieben waren. In dem großen Raum war so ziemlich alles von seinem Platz geschleudert und zerbrochen worden, was nicht niet-und nagelfest war, und auf den Gesichtern aller stand das blanke Entsetzen geschrieben.

Mike drehte sich wieder zum Fenster. Trautman ließ die Maschinen noch immer mit voller Kraft laufen, sodass sich die NAUTILUS zusehends von der Stelle entfernte, an der der unterseeische Vulkan ausgebrochen war. Das Wasser kochte und sprudelte noch immer. Mike konnte keinen Feuerschein entdecken, aber die Hitze des Vulkans, der zweitausend Meter unter dem Meeresspiegel ausgebrochen war, verwandelte das Wasser schlagartig in Dampf, der in riesigen Blasen aufstieg und die Meeresoberfläche in einer nicht enden wollenden Kette gewaltiger Explosionen zerriss. Sie waren schon Meilen vom Ort des Geschehens entfernt und trotzdem zitterte und wankte die NAUTILUS noch immer heftig. Mike wagte sich nicht einmal vorzustellen, was geschehen wäre, hätte sich die NAUTILUS unmittelbar im Zentrum der Dampfexplosion befunden.

Er schien nicht der Einzige zu sein, dessen Gedanken sich in dieser Richtung bewegten. »Puh«, machte Ben. »Das war verdammt knapp ... Ein bisschen zu knapp für meinen Geschmack«, fügte er mit einem schrägen Blick in Trautmans Richtung hinzu. »Für meinen auch«, antwortete Trautman. Aber dann zwang er sich zu einem Lächeln, seufzte hörbar erleichtert und sagte: »Aber es ist vorbei.«

Er hatte das letzte Wort noch nicht einmal ganz ausgesprochen, als der Horizont vor ihnen in einem grellen weißen Lichtblitz explodierte.

Die Insel bot einen Anblick der Verwüstung. Jedenfalls nahm Mike an, dass es einmal eine Insel gewesen war. Ganz sicher war er nicht. Was sich ungefähr eine Seemeile vor der NAUTILUS aus dem Meer erhob, das erinnerte eher an einen gigantischen Mohrenkopf, aus dem ein Riese ein gewaltiges Stück herausgebissen hatte. Der Berg war regelrecht halbiert. Wenn er jemals einen Krater gehabt hatte, so war er nun verschwunden; der Gipfel und die südliche Hälfte des Berges waren regelrecht weggesprengt, sodass sein Inneres bloß lag. Mike gewahrte rauchenden Stein und poröse Lava, zwischen der es hier und da noch immer dunkelrot glühte. So wie der Berg war auch die südliche Hälfte der gesamten Insel verschwunden. Geblieben war ein zerbrochener Ring aus Riffen und dampfender Lava, der sich bereitsmit Wasser gefüllt hatte. Über diesem auf gewaltsame Weise entstandenen Atoll lag noch immer eine dicke Nebelbank aus Dampf und über dieser wiederum brodelte eine braunschwarze Wolkendecke, die nur ganz allmählich auseinander trieb. Mike hatte nicht auf die Uhr gesehen, aber er schätzte, dass seit der Explosion mindestens eine Stunde vergangen war. Trotzdem roch die Luft noch immer verbrannt und der Wind, der ihnen in die Gesichter blies, war unangenehm warm.

»Unglaublich«, murmelte Chris. »Was ist denn hier passiert? Das ... das war doch kein normaler Vulkanausbruch!«

Seine Stimme klang in der unheimlichen Stille, die sich über dem Meer ausgebreitet hatte, sonderbar fremd und Mike konnte die Furcht, mit der ihn der schauderhafte Anblick erfüllte, deutlich heraushören. Ihm selbst erging es kaum anders. Sie waren nicht in Gefahr. Der Ausbruch war vorüber und selbst wenn der zerbrochene Berg in diesem Moment wieder anfangen sollte, Feuer und Lava zu speien, konnte ihnen nichts passieren. Die NAUTILUS befand sich weit genug von dem entfernt, was von der Vulkaninsel übrig geblieben war. Die Motoren summten im Leerlauf. Sie waren zwar alle auf das Deck heraufgekommen um die Insel zu betrachten, konnten aber, wenn es sein musste, binnen einer Minute tauchen und sich mit Höchstgeschwindigkeit vom Ort des Geschehens entfernen. Trautman antwortete mit einiger Verspätung auf Chris' Frage. »Doch, das war es. Vulkanausbrüche bestehen nicht immer aus glühender Lava, die in den Himmel geschleudert wird. Das ist nur bei aktiven Vulkanen so.«

»Der da siehtziemlichaktiv aus«, sagte Ben betont, aber Trautman schüttelte nur den Kopf. »Ich vermute, dass er Jahrhunderte lang ruhig war, vielleicht sogar Jahrtausende«, antwortete er. »Der Krater ist verstopft, manchmal nicht einmal mehr zu sehen. Wenn dann glühende Lava aus dem Erdinneren heraufströmt, findet sie keinen Ausweg. Der Druck steigt immer mehr-so als würdest du bei einem Kochtopf den Deckel zubinden, verstehst du? Irgendwann findet der Druck einen Ausweg -entweder durch einen neuen Krater, eine poröse Stelle im Gestein ... und manchmal explodiert der ganze Berg. So wie hier.«

»Sie verstehen eine Menge davon, wie?«, fragte Ben. Trautman schüttelte den Kopf. »Nicht genug, fürchte ich. Mein Gott und ich hatte schon überlegt, diese Insel anzulaufen und in Ruhe die notwendigen Umbauten vorzunehmen. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was passiert wäre!« »Ist es ja schließlich nicht«, sagte Mike in bewusst fröhlichem Ton. »Seit wann machen wir uns Gedanken über Dinge, diehätten passieren können!«.Trautman warf ihm einen schrägen Blick zu, der deutlich machte, dass er mit Mikes Worten nicht unbedingt einverstanden war, widersprach aber nicht, sondern zuckte nur mit den Schultern und hob den Feldstecher, den er an einem Lederband um den Hals trug, an die Augen,

»Ob dort wohl Menschen gelebt haben?«, fragte Serena schaudernd.

»Ich glaube nicht«, antwortete Mike rasch. »Die meisten dieser kleinen Inseln hier sind unbewohnt.« Er hoffte es wenigstens.Wennauf diesem kleinen Eiland tatsächlich Menschen gelebt hatten, dann mussten sie tot sein. Kein menschliches Wesen konnte den Urgewalten widerstehen, diesolcheZerstörungen anzurichten imstande waren. »Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen«, sagte Trautman leise. Er senkte den Feldstecher, streifte mit der linken Hand das dünne Lederband über den Kopf und reichte das Glas mit der anderen an Mike weiter. »Rechts. Unten am Strand, neben dem großen Felsen. Siehst du es?«

Mike setzte das Fernglas an und schwenkte es hin und her, brauchte aber ein paar Sekunden, bis auch er sah, was Trautman entdeckt hatte. Dann erschrak er zutiefst. Direkt neben einem großen, sehr auffällig geformten Felsen ragte etwas aus dem Boden, was er im ersten Augenblick ebenfalls für nichts anderes als zerborstene Steine gehalten hatte. Auf den zweiten Blick erkannte er, was es wirklich war: Diezusammengebrochenen Überreste eines aus großen Steinquadern errichteten Gebäudes. »Das sieht sehr alt aus«, sagte er nachdenklich. »Wie eine Art Tempel oder so etwas.« Er reichte das Glas an Ben weiter, der bereits ungeduldig die Hände ausgestreckt hatte. »Es könnte Jahrhunderte alt sein.«

»Es sieht vor allem sehrkaputtaus«, sagte Ben, nachdem er ebenfalls einige Sekunden lang durch das Fernglas geblickt hatte. »Da drinnen hat bestimmt keiner überlebt.«

»Das meine ich nicht«, sagte Mike. »Dieser Tempel oder was auch immer es ist, könnte seit ein paar hundert Jahren dort stehen. Es ist nicht gesagt, dass dort wirklich Menschen gelebt haben.« »Ich möchte mich trotzdem davon überzeugen«, sagte Trautman. »Es kostet uns nur eine halbe Stunde um die Insel herumzufahren. Bleibt ruhig hier, wenn ihr wollt. Ich steuere die NAUTILUS vom Turm aus.« Er drehte sich herum, kletterte rasch die eiserne Leiter zum Turm hinauf und verschwand in der Luke. Kaum hatte er es getan, da erschien Astaroth über der Turmluke. Er machte keine Anstalten, sich zu ihnen zu gesellen, sondern machte es sich auf dem Turm gemütlich und sah zu dem halbierten Berg hin.Spürst du etwas?dachte Mike.Ja,antwortete Astaroth.Hunger. Ihr habt vor lauter Sensationsgier

nämlich vergessen, dass schon Mittag ist.

Das meine ich nicht,antwortete Mike ärgerlich. Wasist mit der Insel? Gibt es dort Menschen? KeineAhnung,sagte Astaroth.Die Entfernung ist zu groß. Und selbst wenn ...

»Selbst wenn was?«, fragte Mike, diesmal laut, damit auch die anderen hörten, dass er mit dem Kater sprach.

Astaroth gähnte ungeniert, aber seine gedankliche Stimme klang nicht so entspannt, wie er aussah.Da... ist irgendetwas.»Was hat er?«, fragte Serena nervös. Mike zuckte die Achseln. »Ich glaube, er spürt etwas«, antwortete Mike. »Aber ich weiß nicht, was.«Was ist es, Astaroth? Ein Mensch? Ich weiß es nicht!erwiderte Astaroth unwillig.

Etwas ... leidet. Ich fühle große Schmerzen. Und noch größere Furcht.»Ein Mensch?«

Bin ich allwissend?nörgelte Astaroth.Habe ich Löcher in den Pfoten oder kann ich über Wasser laufen? Wofür hältst du mich? Willst du das wirklich wissen? fragteMike. Astaroth schenkte ihm einen giftigen Blick, enthielt sich aber jedes Kommentars, sondern blickte wieder konzentriert zu der halben Insel hinüber. Einen Augenblick später begann das Deck unter ihren Füßen sanft zu zittern und das Motorengeräusch wurde lauter. Der Bug der NAUTILUS schwenkte herum, bis die Insel nicht mehr vor ihnen lag, sondern an Steuerbord. Gleichzeitig nahm das gewaltige Unterseeboot Fahrt auf.

Trautman ließ die NAUTILUS nicht annähernd so schnell laufen, wie er es gekonnt hätte, und hielt auch einen weit größeren Abstand ein, als notwendig gewesen wäre. Offenbar traute er dem friedlichen Anblick doch nicht so sehr, wie er gerade selbst behauptet hatte.

Je mehr sie sich der Insel näherten, desto mehr konnte Mike Trautmans Vorsicht auch verstehen. Der halbierte Berg zog langsam an ihnen vorüber und die Hitze stieg im gleichen Maße, in dem sie dem Ufer näher kamen. Die Luft roch so durchdringend nach Schwefel, dass das Atmen mühsam wurde. Sie sprachen nur sehr wenig, während die NAUTILUS die Insel umrundete. Mike warf dann und wann einen Blick zu Astaroth hin, der reglos auf dem Turm hockte und den Berg mit angelegten Ohren anstarrte, stellte aber keine Frage. Trotz seines vorlauten Mundwerks war Astaroth sehr zuverlässig, wenn es darauf ankam. Wenn er irgendetwas entdeckte, würde er es ihm sofort sagen. Schließlich hatte die NAUTILUS die andere Seite des Eilands erreicht und glitt um einen gewaltigen Felsen, der wie ein steinerner Wachtposten aus dem Meer ragte. Dahinter befand sich eine weit geschwungene, flache Bucht, die in einen weißen, von dichtem Dschungel begrenzten Sandstrand überging. Mike konnte einen entsetzten Aufschrei kaum noch unterdrücken.

Die Insel musste noch vor zwei Stunden einen wahrhaft paradiesischen Anblick geboten haben. Jetzt sah sie aus wie ein Vorhof der Hölle. Der Strand war von einer hellgrauen, pulverigen Ascheschicht bedeckt, aus der hier und da noch dünne Rauchfäden aufstiegen. Der Dschungel, der diesen Strand einst begrenzt hatte, war zu einer schwarzen Albtraumlandschaft verbrannt. Die Palmen hatten keine Blätter mehr und ihre Stämme waren zu schwarzen Strunken verkohlt. Überall zwischen den Bäumen brannte es noch.

Das Schlimmste aber war das halbe Dutzend Hütten, das auf dem Strand stand -genauer gesagt das, was davon übrig geblieben war. Es waren keine steinernen Bauten wie der Tempel, den sie auf der anderen Seite der Insel gesehen hatten, aber auch keine Bambus-oder Strohhütten, sondern fünf oder sechs in aller Hast errichtete Wellblechhütten, die vermutlich auch keinen besonders hübschen Anblick geboten hatten, als sie noch intakt gewesen waren. Jetzt bestanden sie nur noch aus einem wirren Haufen von zerfetztem, ausgeglühtem Blech. Ein tonnenschwerer Lavablock war wie ein Geschoss vom Himmel gestürzt und hatte die kleine Hüttensiedlung mit der Wucht einer Bombe getroffen. »Dort!« Serenas ausgestreckter Arm deutete nach rechts, und als Mikes Blick der Geste folgte, sah er das zertrümmerte Heck eines kleinen Schiffes aus dem Wasser ragen. Auch Trautman schien das Boot im selben Augenblick gesehen zu haben, denn die NAUTILUS verlor deutlich an Fahrt und änderte zugleich ihren Kurs, sodass sie nun direkt auf das Schiffswrack zuhielt.

Wieder einmal erwies sich Trautman als wahrhaft meisterlicher Kapitän, denn als die NAUTILUS schließlich zur Ruhe kam, befand sie sich weniger als einen Meter neben dem gesunkenen Schiff. Mike verständigte sich mit einem raschen Blick mit Singh, dann sprang er ohne zu zögern auf das Schiffswrack hinab und der Inder folgte ihm auf dieselbe Weise. Das Boot schaukelte fühlbar unter ihnen; offensichtlich lag es nicht auf Grund, sondern trieb frei im Wasser. Dabei hätte es eigentlich wie ein Stein sinken müssen, dachte Mike. Das Schiff war wesentlich größer, als sie im ersten Moment angenommen hatten, und bestand nicht aus Holz, sondern aus Eisen. Vielleicht war in seinem Heck eine große Luftblase eingeschlossen, die es an der Wasseroberfläche hielt. »Ich tauche«, sagte Singh knapp. »Sieh dich hier um.« Er deutete auf das zerborstene Heck des Schiffes, holte tief Luft und verschwand mit einem Hechtsprung im Wasser, während Mike die Arme ausbreitete, um auf dem schwankenden Boden das Gleichgewicht zu halten, und sich dem gewaltigen Riss näherte, der im hinteren Teil des Schiffes gähnte. Er sah nichts anderes, als er erwartet hatte, aber der Anblick war erschreckend genug: Unter ihm lag das, was einmal der Maschinenraum des Schiffes gewesen sein musste. Jetzt glich es eher dem Hof eines Schrotthändlers. Etwas hatte das zwei Zentimeter dicke Eisen des Rumpfes wie Papier zerfetzt und im Schiffsinneren alles kurz und klein geschlagen. Und was immer es gewesen war, musste heiß wie die Hölle gewesen sein, denn das eingedrungene Wasser sprudelte noch immer. Wasserdampf schlug Mike entgegen und ließ ihn den Gedanken, ins Innere des Schiffes hinabzutauchen, auf der Stelle wieder vergessen.

Auf der anderen Seite des Schiffes tauchte jetzt Singh auf, nach überraschend kurzer Zeit, wie Mike fand. Prustend schwang er sich auf den Schiffsrumpf hoch und spuckte Wasser aus. »Es schmeckt grauenhaft«, sagte er schwer atmend. »Und es ist heiß. Als ob man in schlecht gewordener Fischsuppe baden würde.Im Rumpf scheint eine Luftblase zu sein. Groß genug für einen Überlebenden. Aber ich komme nicht rein. Unmöglich länger als ein paar Augenblicke unter Wasser zu bleiben.«

»Das ist auch nicht nötig«, antwortete Mike. »Wozu haben wir jemanden an Bord, der unter Wasser atmen kann?« Mike drehte sich zur NAUTILUS herum. »Astaroth!«

Astaroth rührte sich nicht, antwortete aber mit seiner Gedankenstimme.Ich denke nicht daran, in diese Brühe zu tauchen. Sehe ich aus wie ein eingelegter Hering?

»Astaroth!«, sagte Mike laut und ziemlich wütend. »Du wirst sofort in dieses Wrack hinuntertauchen!«Fällt mir nicht ein,antwortete Astaroth patzig. Daswäre auch vollkommen sinnlos. Da unten ist niemand.Mike warf einen raschen Blick zu Singh, hielt es aber angesichts dessen finsteren Gesichtsausdrucks für besser, ihm diesen Teil von Astaroths Antwort zu verschweigen.Warum hast du das nicht gleich gesagt? Niemand hat mich gefragt,antwortete Astaroth. Mike formulierte keine Antwort in Gedanken, aber Astaroth schien trotzdem etwas darin zu lesen, was ihm klarmachte, dass Mikes Vorrat an Humor im Augenblick ziemlich begrenzt war, denn er fügte hastig hinzu:Ich war nicht ganz sicher. Aber ich glaube, es kommt vom Ufer.

»Was ist los?«, rief Ben vom Schiff aus. »Wieso reagiert er nicht?«

»Astaroth meint, es könnte einen Überlebenden an Land geben«, antwortete Mike.

»Das ist nicht sein Ernst!« Ben riss ungläubig die Augen auf. Sie waren noch ein gutes Stück vom Strand entfernt, aber selbst von hier aus konnte man erkennen, dass die Zerstörung total war. Es war schwer vorstellbar, dass dort noch jemand am Leben sein sollte. Aber wenn auch nur die geringste Chance bestand, dass dort noch ein Mensch am Leben war, dann

konnten sie nicht einfach abfahren und so tun, als hätten sie nichts gemerkt.

Mike und Singh sprangen auf den Bug der NAUTILUS zurück. Mike winkte Trautman im Turm des Schiffes zu und deutete dann auf die zerstörte Hüttensiedlung. Er konnte Trautmans Reaktion nicht erkennen, aber einen Moment später setzte sich die NAUTILUS erneut in Bewegung und hielt auf den Strand zu.

Sie konnten nicht ganz bis ans Ufer heranfahren, da der Tiefgang der NAUTILUS zu groß war. Das Schiff hielt in dreißig oder vierzig Metern Entfernung an und Mike, Singh und Juan begannen hastig das kleine Beiboot aus der Haltevorrichtung am Heck zu lösen. Sie hätten das kurze Stück mühelos schwimmen können, aber nach Singhs Worten hatte niemand mehr Lust, ins Wasser zu gehen; Singh am allerwenigsten.

»Ihr wollt da wirklich hin?«, fragte Ben, nachdem sie das Boot ins Wasser gelassen hatten und hintereinander hineinkletterten. Er warf einen schrägen Blick zum Berg hoch. Von dieser Seite aus sahen die Zerstörungen gar nicht so schlimm aus, aber der verbrannte Wald und die aschefarbene Wolke am Himmel über der Insel sprachen eine sehr deutliche Sprache.

Auch Mike war nicht besonders wohl in seiner Haut, aber er nickte trotzdem. »Wir sind vorsichtig«, sagte er. »Und wir beeilen uns.« »Das würde ich auch vorschlagen«, sagte Ben. »Je schneller wir von hier wegkommen, desto besser. Ich traue dem Frieden nicht.«

Mike ging es genauso. Wenn Trautmans Erklärung stimmte, dann hatten sie von diesem Vulkan nichts mehr zu befürchten aber schließlich hatte Trautman ja selbst zugegeben, dass er nicht besonders viel von Vulkanen verstand. Der unterseeische Ausbruch, dem sie vorhin mit knapper Mühe entkommen waren, war schließlich auch völlig warnungslos erfolgt.