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Astaroth reagierte auch diesmal nicht. Er wollte oder konnte nicht antworten.
Unter Mikes Füßen zitterte ganz sacht der Boden, und tief, unendlich tief unter der Erde drang ein drohendes Grollen herauf.
Seine Geduld wurde auf eine Probe gestellt, die mehr als hart war. Eine Stunde verging, dann noch eine und schließlich noch eine. Die Insel bebte in dieser Zeit zwei weitere Male -einmal so heftig, dass die Hütte wankte und alle drinnen erschrocken die Luft anhielten -und Mike versuchte mindestens ein Dutzend Mal zu Ah'Kal vorgelassen zu werden und ungefähr hundertmal Kontakt zu Astaroth aufzunehmen; mit demselben Ergebnis. Seine Besorgnis nahm allmählich zu. Er war von Anfang an nicht begeistert von Serenas Idee gewesen, sich als Sendbote irgendeines uralten Gottes auszugeben, und wie es schien, hatte er damit nur zu Recht gehabt: Entweder glaubten die Pahuma ihm und seinem »Zauberkasten« kein Wort oder ihre Art, ihre Götter zu behandeln, war etwas eigenwillig. Mike glaubte nicht wirklich, dass die Insulaner ihnen etwas zuleide tun wollten, aber die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln.
Es musste fast Mitternacht sein, als endlich einer der Krieger die Hütte betrat und zielstrebig auf ihn zukam. Er sagte irgendetwas in seiner Muttersprache, gestikulierte dabei wild mit beiden Händen und ließ ein paar Mal ein Wort hören, das sich wie der Name des Stammesführers anhörte. »Ich glaube, der Häuptling will uns sehen«, sagte Singh und Delamere fügte in ungeduldigem Ton hinzu: »Das wurde aber auch Zeit!« Als er und Singh sich Mike jedoch anschließen wollten, machte der Eingeborene eine eindeutig abwehrende Handbewegung.
»Es sieht so aus, als wollte er nur mich sehen«, sagte Mike. Er sah, wie sich Delameres Gesicht verfinsterte, und da er sich ungefähr denken konnte, was der Belgier sagen würde, fuhr er rasch und mit einem optimistischen Lächeln fort: »Keine Sorge. Ich glaube, er ist ein ganz vernünftiger Mann. Wir werden schon klarkommen.«
»Na, dann hoffe ich, dass er in der Zwischenzeit Englisch gelernt hat oder eine andere Sprache, die du beherrschst«, sagte Jacques säuerlich. »Oder dass dein >Zauberkasten< wieder funktioniert. Denn wenn nicht, dann habt ihr ein Problem.« Mike machte ein betroffenes Gesicht. Er sagte zwar nichts, gab Jacques im Stillen aber Recht -er hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung, wie er sich mit Ah'Kal verständigen sollte. Er würde eben improvisieren müssen. Jacques und seinen Leuten war es schließlich auch gelungen, sich mit den Pahuma zu verständigen.
Da der Krieger allmählich ungeduldig zu werden begann, beeilte er sich nun ihm zu folgen. Sie verließen die Hütte und gingen am Ufer des kreisrunden Kratersees auf ein anderes Gebäude zu. Trotz der fortgeschrittenen Stunde herrschte im Dorf der Pahuma helle Aufregung. Niemand schlief. Dutzende von Eingeborenen standen zu zweit oder in kleinen Gruppen beisammen, schnatterten aufgeregt oder sahen zur NAUTILUS hinab, die noch immer mit voller Beleuchtung am Fuße der Insel im Wasser lag und mehr denn je an einen bizarren Riesenfisch erinnerte. Viele starrten aber auch wortlos und sehr besorgt in die Richtung, in der der Horizont gebrannt hatte, und Mike entgingen auch keineswegs die Blicke, mit denen sie ihn maßen. Sie waren nicht unbedingt sehr freundlich. Er sah eine Menge Angst darin, aber auch etwas, was ihm nicht besonders gefiel. Sie betraten die Hütte, die von Fackeln fast taghell erleuchtet war. Anders als die, in der er bisher gewesen war, bestand sie aus mehreren kleinen Räumen, und das Erste, was
Mike entgegenkam, war ein wuselndes schwarzes Fellbündel auf vier Beinen. »Astaroth!«, sagte er erleichtert. Er hatte sich zwar vorgenommen, dem Kater gründlich den Kopf zu waschen, aber in den letzten beiden Stunden hatte er doch angefangen sich ernsthafte Sorgen um Astaroth zu machen, sodass seine Erleichterung, Astaroth gesund und unverletzt wieder zu sehen, deutlich überwog. Trotzdem runzelte er die Stirn und sagte in übertrieben vorwurfsvollem Ton: »Wo bist du gewesen? Wieso hast du dich nicht gemeldet?«Ich war anderweitig beschäftigt,antwortete Astaroth. »Anderweitig? Darf ich fragen, womit?«Aber selbstverständlich darfst du das,antwortete Astaroth freundlich, drehte sich auf der Stelle herum und verschwand im angrenzenden Raum -natürlich ohne seinen Worten irgendeine Art von Erklärung folgen zu lassen. Mike schüttelte den Kopf und machte ein finsteres Gesicht -aber im Stillen hatte er alle Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Seufzend folgte er Astaroth durch die Tür -und riss ungläubig die Augen auf. Der Raum, den er betrat, war überraschend groß, hell erleuchtet und eingerichtet wie ein Thronsaal. Ah'-Kal und vier weitere, mit bunten Federn geschmückte Insulaner saßen im Halbkreis auf dem Boden und redeten mit keiner anderen als Serena, die in ihrem weißen Kleid auf einem aus Bambus und Schilfrohr gefertigten Thronsessel saß und mehr denn je wie eine Prinzessin aussah. Als sie Mike erblickte, unterbrach sie ihr Gespräch mitten im Wort, sprang in die Höhe und eilte ihm entgegen, um ihn fast überschwänglich in die Arme zu schließen -als hätten sie sich Monate nicht gesehen statt ein paar Stunden. Auch Mike freute sich Serena zu sehen, war aber
zugleich auch ziemlich bestürzt. Mit sanfter Gewalt schob er Serena auf Armeslänge von sich fort, hielt sie aber zugleich am Handgelenk fest. »Was um alles in der Welt tust du hier?«, fragte er. »Weißt du nicht, wie gefährlich es hier ist?«
»Astaroth hat mich hergebracht«, antwortete Serena. Mike drehte sich zu dem Kater herum und holte gerade tief Luft, um ihn zusammenzustauchen, da fuhr Serena mit leicht erschrockener Stimme fort: »Ich habe ihn darum gebeten.«
»Aber warum denn?«, sagte Mike fassungslos. »Es ist gefährlich hier! Dieser ganze Berg kann jeden Moment in die Luft fliegen!«
»Genau aus diesem Grund bin ich hier«, antwortete Serena. »Die Sprechgeräte funktionieren nicht mehr. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.«
»Und da hat Trautman ausgerechnet dich geschickt?«, murmelte Mike ungläubig. »Ich wollte es so«, sagte Serena. »Ich habe sogar darauf bestanden um genau zu sein.« »Aber warum denn bloß!«
»Du machst mir Spaß«, antwortete Serena. »Diese Leute sprechen die Sprache meines Volkes! Du an meiner Stelle wärst auch gekommen!« Mike konnte ihr nicht einmal widersprechen. Seit Serena aus ihrem zehntausendjährigen Dornröschenschlaf aufgewacht war, war sie auf der Suche nach anderen Überlebenden ihres Volkes; bisher allerdings praktisch ohne Erfolg. Die Begegnung mit den einzigen anderen Atlantern, auf die sie bisher gestoßen waren, hätte um ein Haar in einer gigantischen Katastrophe geendet. Er an ihrer Stelle wäre vermutlich auch gekommen.
Aber das änderte nichts daran, dass sie sich in einer äußerst gefährlichen Lage befanden. »Und?«, fragte er trotzdem. »Sind es Nachkommen deines Volkes?« Eigentlich hätte er sich diese Frage sparen können. Ein einziger Blick auf die kleinwüchsigen, gedrungenen Insulaner machte klar, dass sie bestimmt nichts mit den hoch gewachsenen, hellhäutigen Bewohnern des untergegangenen Kontinents zu tun hatten. Serena schüttelte auch nur den Kopf und machte ein trauriges Gesicht. »Nein. Ich glaube, ihre Vorfahren hatten Kontakt mit meinem Volk. Aber sie kennen nur noch ein paar Legenden.« »Das Alte Volk hat unsere Ahnen beschützt«, sagte Ah'Kal in fast akzentfreiem Englisch. »Es hat unsere Vorfahren auf die Insel gebracht, wo es vor seinen Feinden in Sicherheit war und fruchtbaren Boden und reiche Fischgründe fand.«
Mike starrte den Pahuma mit offenem Mund an. Das Gesicht des alten Insulaners blieb vollkommen ausdruckslos, aber in seinen Augen war ein ganz sachtes, spöttisches Glitzern und Mike fragte sich, ob es vielleicht die ganze Zeit über darin gewesen war und er es nur nicht bemerkt hatte. »Sie ... Sie sprechen unsere Sprache?«, murmelte er.
»Wir leben auf dem Platz, den uns das Schicksal zugeteilt hat«, sagte Ah'Kal. »Und wir leben im Einklang mit der Natur und brauchen keine Technik und keine Maschinen. Doch ihr seid nicht die Ersten, die mit eisernen Schiffen hierher kommen und versuchen uns ihre Art zu leben aufzuzwingen.« »Und die so tun, als wären sie Sendboten der Götter«, murmelte Mike zerknirscht. »Wir haben uns ganz schön blamiert, wie?«
Ah'Kal deutete auf Serena. »Das Mädchen des Alten Volkes hat uns erzählt, warum ihr so gehandelt habt. Es war falsch, aber wir erkennen eure gute Absicht.« Zum ersten Mal, seit Mike den Pahuma kennen gelernt hatte, lächelte der alte Mann. »Hast du wirklich geglaubt, dass wir dich für einen Boten der Götter halten? Abgesandte der Götter bitten nicht. Sie befehlen.«
»Hmm«, machte Mike -was in diesem Moment zweifellos die intelligenteste Antwort war, die ihm einfiel. Zugleich suchte sein Blick nach Astaroth. Der Kater stand mit steil aufgestelltem Schwanz neben Serena, rieb sich an ihrem Bein und hatte das unverschämteste Cheshire-Cat-Grinsen aufgesetzt, das Mike jemals gesehen hatte.
Das findest du jetzt witzig, wie?grollte Mike in Gedanken.Dein Humor wird allmählich gefährlich. Wieso Humor?fragte Astaroth harmlos.Du liegst mir seit Jahren in den Ohren, dass ich nicht in den Gedanken der Menschen herumstöbern soll, die das nicht wünschen. Und jetzt wirfst du mir vor, dass ich
genau das getan habe, was du seit Jahren von mir verlangst?Mike ersparte sich eine Antwort, aber er dachte intensiv an Katzen und spitze Stöcke und die eine oder andere interessante Möglichkeit, Letztere einzusetzen, und er hätte wetten können, dass Astaroth unter seinem schwarzen Fell deutlich erbleichte. »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, wandte er sich an Ah'Kal. »Hat Serena euch erzählt, was hier geschieht?«
»Ogdy ist zornig«, antwortete Ah'Kal. Es klang sehr ernst, und diesmal war das spöttische Funkeln in seinen Augen eindeutig erloschen. Mike sah zu Serena, aber sie deutete nur ein Achselzucken an und machte ein langes Gesicht. Vorsichtig fuhr er fort: »Ich will mich bestimmt nicht über euren Glauben lustig machen, Ah'Kal, aber wir glauben nicht, dass das, was hier geschieht, auf das Wirken der Götter zurückzuführen ist. Es ist ein Vulkanausbruch und er ist nicht zu Ende.« »Ist es nicht egal, welchen Namen man einem Ding gibt?«, fragte Ah'Kal.
»Das stimmt«, sagte Serena rasch. »Aber was Mike sagte, ist trotzdem die Wahrheit. Es ist noch nicht zu Ende. Im Gegenteil: Ich fürchte, dass es noch schlimmer wird. Die ganze Insel könnte zerstört werden. Euer aller Leben ist in Gefahr.« »Wir sind Ogdys Kinder«, antwortete der Häuptling. »Er würde uns niemals etwas zuleide tun.« »Euer Glaube in Ehren«, sagte Mike vorsichtig. »Aber in diesem Fall -«
Überleg dir, was du sagst,unterbrach ihn Astaroth.Sie nehmen ihren Glauben ernst.»Wir werden nicht hier weggehen«, sagte Ah'Kal bestimmt. »Ogdy hat uns schon oft gezürnt. Wir vertrauen darauf, dass er seine Kinder auch diesmal verschonen wird.« »Aber -«
»Gib dir keine Mühe, Mike«, unterbrach ihn Serena. »Ich habe eine Stunde lang mit ihnen geredet. Sie werden die Insel nicht verlassen.«
»Dann hört wenigstens auf sie!« Mike schrie fast. »Ihr habt selbst gesagt, sie ist ein Kind des Alten Volkes.«
»Uns wird nichts geschehen«, sagte Ah'Kal sanft. »Wir vertrauen auf unser Schicksal.« »Und wenn ihr euch täuscht?«, fragte Mike. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Serena erschrocken zusammenfuhr, aber der alte Stammesführer blieb weiter ruhig.
»Wenn die Götter so entschieden haben, dann ist es nicht an uns, an ihrem Willen zu zweifeln«, sagte er. »Unser Volk lebt auf dieser Insel, solange wir denken können. Vielleicht ist unsere Zeit irgendwann abgelaufen, vielleicht werden wir länger leben als ihr. Wer will das wissen?«
Er machte eine Bewegung, mit der er das Thema für beendet erklärte, und Mike musste nur einen einzigen Blick in sein Gesicht werfen um zu begreifen, dass jedes weitere Wort überflüssig gewesen wäre. Die Pahuma würden diesen Ort nicht verlassen. »Ihr solltet jetzt gehen«, sagte Ah'Kal nach einer Weile. »Wir vertrauen auf unsere Götter, aber vielleicht sind sie ja mit euch nicht so duldsam wie mit uns. Du und deine Freunde, ihr könnt gehen.« »Und Delamere?«, fragte Mike. Ah'Kals Gesicht verhärtete sich. »Die Fremden haben unsere Gesetze gebrochen«, sagte er. »Wir haben sie freundlich aufgenommen. Wir haben sie bewirtet wie Könige und ihnen die Hand in Frieden gereicht. Aber sie haben unsere Gesetze gebrochen. Sie haben unsere Götter gelästert. Und sie haben Männer unseres Volkes getötet. Sie werden sich unseren Gesetzen stellen müssen.« »Das heißt, ihr wollt sie töten«, sagte Mike. »Es ist Blut geflossen«, sagte Ah'Kal. »Ogdys Gesetze sagen, dass Blut nur mit Blut fortgewaschen werden kann.«
»Sagt Ogdys Gesetz auch, dass Unschuldige für etwas büßen müssen, was sie nicht getan haben?«, fragte Mike. »Delameres Frau und seine Leute haben nichts getan. Er und die zwei anderen haben deine Krieger getötet. Zwei von ihnen haben bereits mit dem Leben dafür bezahlt. Und ich verspreche dir, dass ich dafür sorgen werde, dass sich Delamere vor einem Gericht verantworten muss.«
Tatsächlich schien Ah'Kal einen Moment lang über diesen Vorschlag nachzudenken. Aber dann schüttelte er den Kopf. »Ich vertraue euren Gesetzen nicht«, sagte er. »Ich glaube dir, dass du es ehrlich meinst, aber ich glaube nicht an eure Gerechtigkeit. Das Blut unseres Volkes wurde vergossen und dieses Verbrechen muss hier gesühnt werden.« »Dann seid ihr nicht besser als er!«, sagte Mike. Ah'Kal runzelte die Stirn und Serena riss die Augen auf und wurde kreidebleich, aber Mike fuhr mit fester Stimme fort: »Ich weiß nicht viel von euren Göttern, Ah'Kal. Aber ich kann nicht glauben, dass es Ogdys Wille ist, das Blut Unschuldiger zu vergießen, um die Verbrechen eines anderen zu sühnen.« Für einen Moment schien die Zeit stehen zu bleiben. Serena hielt vor Entsetzen die Luft an und Astaroth riss sein einziges Auge auf und starrte ihn an. In das atemlose Schweigen hinein sagte Ah'Kal: »Du zeigst großen Mut, so zu reden. Hast du keine Angst, dir Ogdys Zorn zuzuziehen?«Oder seinen?fügte Astaroth hinzu. »Nicht, wenn er ein gerechter Gott ist«, antwortete Mike.
Ah'Kal brachte es irgendwie fertig, zu lächeln und dabei gleichzeitig sehr ernst zu bleiben. »Ogdy ist ein gerechter Gott«, antwortete er. »Niemand wird getötet. Er selbst wird über das Schicksal der Fremden entscheiden.« »Was ... meinst du damit?«, fragte Mike zögernd.
Der Pahuma deutete auf ihn, dann auf Serena. »Ihr und der Mann, der mit euch gekommen ist, ihr mögt gehen. Steigt in euren eisernen Fisch und bringt euch in Sicherheit, wenn ihr wirklich glaubt, dass dieser Ort nicht mehr sicher ist. Die anderen aber bleiben hier. Ogdy wird über ihr Schicksal entscheiden. Es war ihr Frevel, der die Götter erzürnt hat. Wenn dieser Ort untergeht, dann sterben auch sie. Verschonen uns die Götter, dann werden auch sie leben.« »Dann könnt ihr sie genauso gut gleich erschießen«, sagte Mike.
»So lautet unsere Entscheidung«, sagte Ah'Kal. »Nun geht. Bevor die Götter die Geduld mit euch verlieren.«
Oder er,sagte Astaroth.
Mike hätte auch so gespürt, wie gefährlich der Moment war. Ah'Kals Geduld war erschöpft und wahrscheinlich konnte er ihnen auch gar nicht weiter entgegenkommen, ohne vor seinen Leuten das Gesicht zu verlieren. Aber sie konnten auch nicht einfach gehen und fast ein Dutzend Menschen einfach ihrem Schicksal überlassen! Aber was sollte er tun? Es gab absolut nichts, was den Stammesführer vielleicht noch umstimmen konnte. Nichts, außer ...
Aber dieser Gedanke war vollkommener Wahnsinn. Und trotzdem: »Beantworte mir noch eine Frage, Ah'Kal«, sagte er. »Was, wenn es uns gelänge, die Götter wieder zu beruhigen?«
»Wie könntest du das wohl -wo du nicht einmal an sie glaubst?«, fragte Ah'Kal spöttisch. »Ich kann es auch nicht«, erwiderte Mike. »Aber vielleicht kann es der Mann, der eurer Meinung nach die Schuld am Zürnen der Götter trägt.«Bist du sicher, dass du genau weißt, was du tust?fragte Astaroth nervös. Mike ignorierte ihn. Ganz bewusst. Hätte er auch nur eine Sekunde ernsthaft über seinen eigenen Vorschlag nachgedacht, dann hätte er sich vermutlich eher die Zunge abgebissen als weiterzusprechen. »Dieser Fremde? Warum sollte ich ihm trauen?« »Weil er vielleicht in der Lage ist, den Schaden wieder gutzumachen«, antwortete Mike. »Mit unserer Hilfe.«
»Er ist schon einmal geflohen und hat seine Freunde im Stich gelassen«, antwortete Ah'Kal. »Diesmal nicht«, versicherte Mike. »Ich werde ihn begleiten. Ich gebe dir mein Wort, dass er nicht fliehen wird.«
»Und was sagst du dazu, Tochter des Alten Volkes?«, fragte der Pahuma.
Mike sah Serena deutlich an, dass sie am liebsten gar nichts dazu gesagt hätte; und so ganz nebenbei auch, dass sie in diesem Moment heftig an seinem Verstand zweifelte. Und wieso auch nicht? Schließlich konnte sie von seinem Gespräch mit Delamere nichts wissen. Mike wünschte sich ja fast schon selbst, es nicht geführt zu haben. Schließlich zuckte Serena mit den Schultern und sagte: »Ich vertraue Mike. Wenn er glaubt, eure Götter beruhigen zu können, dann wird es ihm auch gelingen. Vielleicht«, fügte sie ganz leise hinzu.
Ah'Kal sah sie einen Augenblick lang nachdenklich und durchdringend an, aber dann nickte er. »So solles sein«, sagte er. »Mögen die Götter entscheiden. Über das Schicksal der Fremden und das von uns allen.« Er wandte sich an Mike. »Du und der Mann, den du Delamere nennst, ihr mögt gehen. Die anderen werden hier bei uns bleiben und auf Ogdys Gnade hoffen.«
Mike atmete erleichtert auf - und sah erst dann den Schrecken in Serenas Augen. Aber es dauerte noch einmal ein paar Sekunden, bis erwirklichbegriff, was Ah'Kals Worte bedeuteten.
»Und ... Serena und Singh?«, fragte er. »Die Tochter des Alten Volkes und dein Freund bleiben hier«, antwortete der Häuptling. »Die Götter werden über ihr Schicksal entscheiden.«
»Du willst was?! Hast du vollkommen den Verstand verloren?«
Mike zog den Kopf zwischen die Schultern, wich einen halben Schritt vor Trautman zurück und sah sich in der Kommandozentrale der NAUTILUS um, als suche er ein Mauseloch, in dem er sich verkriechen konnte.
Am liebsten hätte er genau das getan. Es war eine der ganz seltenen Gelegenheiten, bei denen er Trautman schreien hörte. Und eine der noch selteneren Gelegenheiten, bei denen er miterlebte, dass der weißhaarige Steuermann der NAUTILUS drauf und dran war, die Beherrschung zu verlieren. Nicht dass Mike Trautman nicht verstehen konnte. Insgeheim gab er ihm sogar Recht. Seit ihre Abenteuer an Bord der NAUTILUS begonnen hatten, hatte er schon eine Menge schlechter Ideen gehabt... aber diese war mit Abstand die schlechteste. »Ich bin nicht ganz unschuldig daran«, mischte sich Delamere ein. »Im Grunde war es meine Idee. Aber es war nur eineTheorie.Ich meine: So wie man theoretisch auch zum Mond fliegen könnte.« »Eine Theorie, die das Leben von einem Dutzend Menschen in Gefahr bringt!«, grollte Trautman. »Und so ganz nebenbei auch unsere eigenen«, fügte Ben hinzu.
»Ich sagte bereits, es tut mir Leid«, verteidigte sich Jacques. »Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt. Ich dachte, Mike hätte verstanden, dass es nur ein Gedankenspiel ist.«
»Das macht es auch nicht besser«, grollte Trautman. Eine Sekunde lang war Mike fest davon überzeugt, dass sich sein Zorn nun auf den Belgier entladen würde, aber dann seufzte er nur, schüttelte den Kopf und trat an sein Instrumentenpult. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Ben spöttisch. »Du hast ja schon eine Menge Mist gebaut, aber das schießt wirklich den Vogel ab!« »Was hätte ich denn tun sollen?«, verteidigte sich Mike. »Vielleicht -«