122163.fb2 Die Insel der Vulkane - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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»Hört auf zu streiten«, sagte Trautman vom Kontrollpult aus. Ohne von seinen Instrumenten aufzusehen fuhr er fort: »Das hilft uns jetzt auch nicht mehr. Monsieur Delamere, kommen Sie her. Ich brauche Sie, um den genauen Kurs zu ermitteln.« »Kurs?« Delamere blinzelte. »Aber ... was denn für einen Kurs?«

Trautman sah hoch und spießte ihn mit Blicken regelrecht auf. »Den Kurs dieser Erdspalte, von der Sie Mike erzählt haben.«

Jacques wurde noch ein bisschen blasser, als er sowieso schon war. Und noch nervöser. »Aber was denn für eine Erdspalte, um Himmels willen?«, murmelte er. »Ich ... ich weiß ja noch nicht einmal, ob es sie gibt! Verstehen Sie denn immer noch nicht, dass ich nur von einer Theorie gesprochen habe?« Seine Stimme wurde bei den letzten Worten schrill. »Dann haben Sie jetzt eine wunderbare Gelegenheit, Ihre Theorie zu überprüfen«, antwortete Juan ruhig. »Ihr ... ihr wollt das doch nicht wirklich tun!«, stammelte Jacques. »Das ist doch der helle Wahnsinn.« »Haben Sie einen besseren Vorschlag?«, fragte Ben. »Wir können Hilfe holen«, antwortete Jacques. »Sie meinen: Wir können fliehen und unsere Freunde im Stich lassen«, sagte Ben abfällig. »Tut mir Leid. Das mag jaIhreArt sein, Ihre Freunde zu behandeln, aber nicht unsere.« Er wandte sich an Mike. »Haben wir eine Chance, Serena und Singh zu befreien ... und die anderen auch?«

Mike schüttelte schweigend den Kopf. Auf dem ganzen Weg vom Berg hier herunter hatte er über nichts anderes nachgedacht als genau über diese Frage, aber es war unmöglich. Die Pahuma bewachten ihre Gefangenen zu gut. Und ein gewaltsamer Befreiungsversuch kam nicht in Frage. »Dann ist es bereits entschieden«, sagte Trautman. »Meinen Glückwunsch, Monsieur Delamere. Sie haben die einmalige Chance, sich den Nobelpreis zu verdienen.«

Es war dunkel. Die NAUTILUS befand sich in mehr als achthundert Metern Tiefe, einem Bereich des Ozeans also, in den noch nie ein Sonnenstrahl gedrungen war und ewige Nacht herrschte. Das Wasser, durch das das Tauchboot glitt, war jedoch von einem unheimlichen, düsterroten Glühen erfüllt, das aus einer Anzahl breiter, gezackter Risse aus dem Meeresgrund drang. Und es warheiß.Ein flüchtiger Blick auf die Instrumente zeigte Mike, dass das Wasser, durch das die NAUTILUS glitt, fast hundert Grad heiß war und seine Temperatur immer noch stieg. Der Druck in dieser Tiefe war bereits so groß, dass der Siedepunkt des Wassers bei annähernd zweihundert Grad liegen musste. Mike fragte sich, ob die NAUTILUS überhaupt imstande war, solche Temperaturen über längere Zeit auszuhalten. Er hatte bereits jetzt das Gefühl, dass es hier drinnen spürbar wärmer geworden war. Natürlich stimmte das nicht. Die Temperatur im Salon der NAUTILUS betrug genau einundzwanzig Grad Celsius, wie immer; trotzdem war er am ganzen Leib in Schweiß gebadet. Und nicht nur er. Mit Ausnahme Delameres, der am Tisch saß und nervös Zahlen auf Papier kritzelte, hatten sie alle ihre Plätze an den Kontrollinstrumenten des Schiffes eingenommen, und Ben, Chris, Juan und selbst Trautman waren nicht nur ungewohnt schweigsam, sondern auch ziemlich nervös und wie er in Schweiß gebadet.

Vor gut einer Stunde waren sie von Hathi losgefahren und hatten Kurs auf den Punkt im Meer genommen, an dem der unterseeische Vulkan ausgebrochen war. Die NAUTILUS war nur wenige Meilen weit über das Meer gefahren, dann hatte sie der schwere Seegang gezwungen zu tauchen und ihren Weg unter Wasser fortzusetzen.

Ruhiger war ihre Fahrt nicht geworden. Das Meer befand sich in Aufruhr und nicht nur an der Oberfläche. Die NAUTILUS erbebte in fast regelmäßigen Abständen unter harten Stößen, die vom Meeresgrund ausgingen und den gesamten Ozean erschütterten. Mike hatte Delamere nicht extra fragen müssen um zu begreifen, dass sich der Vulkanologe in seiner Vorhersage kräftig verschätzt hatte. Das Bild vor dem Fenster sprach seine eigene, sehr deutliche Sprache. Bis zum nächsten großen Ausbruch des unterseeischen Vulkans würden nicht mehr Tage oder gar Wochen vergehen, sondern wahrscheinlich nur noch Stunden. Sie hatten den Ort des letzten Ausbruchs noch lange nicht erreicht. Trotzdem war der Meeresboden hundert Meter unter ihnen von einem Gewirr rot leuchtender, gezackter Linien durchzogen, das langsam, aber trotzdem in sichtbarer Geschwindigkeit wuchs und dabei beständig dichter wurde. An manchen Stellen sah es tatsächlich aus wie ein Spinnennetz. Mike fragte sich, wie lange der Meeresgrund dem immer stärker werdenden Druck noch standhalten konnte. Wieder erzitterte die NAUTILUS unter einem harten Schlag. Irgendwo zerbrach Glas und aus dem gleichmäßigen Dröhnen der Motoren wurde für einen Moment ein unregelmäßiges Stampfen. »Sehr viel näher können wir nicht heran, Monsieur Delamere«, sagte Trautman.

»Ich dachte, dieses Schiff ist so fantastisch«, knurrte der Belgier ohne von seinen Berechnungen aufzusehen.

»Die NAUTILUS wurde dafür gebaut, den Wasserdruck in extremen Tiefen auszuhalten«, antwortete Trautman kühl. »Nicht in einem Dampfkessel herumzufahren.«

Delamere schrieb noch einige Sekunden lang scheinbar ungerührt weiter, dann sprang er mit einem plötzlichen Ruck auf und warf den Bleistift mit solcher Kraft auf den Tisch, dass der Stift in zwei Teile brach. »Ich kann das nicht!«, rief er. »Ich habe weder die nötigen Daten noch genügend Erfahrung! Niemand hat das! Weil so etwas noch niemals gemacht worden ist!«

»Irgendwann ist immer das erste Mal«, sagte Trautman gelassen. »Was wollen Sie? Bisher hat sich Ihre Theorie bestätigt. Der Lavastrom scheint sich genau auf die Insel zuzubewegen.« »Ziemlich schnell«, fügte Mike hinzu. Delamere blickte ihn düster an, drehte sich dann um und sah mit noch finstererem Gesichtsausdruck aus dem Fenster. »Das ist es ja gerade«, sagte er. »Es geht viel zu schnell. Der Druck dort unten muss sehr viel größer sein, als ich angenommen habe.«

»Und was genau heißt das?«, fragte Ben. »Dass uns weniger Zeit bleibt, als ich dachte«, antwortete Jacques. »Vielleicht nur noch ein paar Stunden.«

»Dann sollten wir vielleicht nicht noch mehr Zeit verlieren«, sagte Trautman. Er deutete zum Fenster. »Wir sind fast zwanzig Seemeilen von Hathi entfernt und über uns liegt fast ein Kilometer Wasser. Das sollte der Eruption eigentlich die schlimmste Wucht nehmen.«

»Hier?« Delameres Stimme klang schon wieder ein bisschen hysterisch. Mike fragte sich allerdings, ob es nur am Anblick der lavagefüllten Spalten und Risse hundert Meter unter ihnen auf dem Meeresgrund lag. Für einen Moment wünschte er sich, sie hätten Astaroth bei sich. Auch wenn er immer noch das Gefühl hatte, dem Vulkanologen Unrecht zu tun, so traute er ihm doch weniger denn je. Delamere verheimlichte ihnen etwas. Man musste nicht wie Astaroth Gedanken lesen können um das zu erkennen. Mike fragte sich nur, ob es tatsächlich nur die Furcht vor den entfesselten Naturgewalten war, deren Zeuge sie wurden, oder vielleicht doch mehr, und wenn ja, was. Letztendlich stand auch Delameres Leben auf dem Spiel.

»Sie haben es selbst gesagt«, sagte Trautman. »Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit.« »Das stimmt«, gestand Delamere. Er trat einen Schritt weiter ans Fenster heran. Das rote Licht, das vom Meeresgrund heraufstrahlte, spiegelte sich auf seinem Gesicht. »Es ist zu nah«, murmelte er. »Zu nah wofür?«, wollte Trautman wissen. »Die Insel«, antwortete Jacques. »Wenn der Vulkan ausbricht, könnte sie trotzdem zerstört werden.« »Aber wir sind gut zwanzig Seemeilen entfernt!«, gab Juan zu bedenken, aber Delamere schüttelte nur den Kopf.

»Das ist nichts«, behauptete er. »Ihr macht euch immer noch keine Vorstellungen davon, mit welchen Gewalten wir es hier zu tun haben. Der Ausbruch vorhin war nur ein kleines Rumoren, nicht mehr.« Er drehte sich zu Trautman herum. »Wir müssen die Entfernung vergrößern«, sagte er. »Mindestens noch einmal das Doppelte, besser mehr.« Trautman sah ihn nachdenklich an. »Bleibt uns genug Zeit?«

Jacques zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht«, antwortete er -ein Satz, den Mike für seinen Geschmack in den letzten Stunden ein paar Mal zu oft von Delamere gehört hatte. »Aber wenn wir nur einen kleinen Ausbruch auslösen, haben wir nichts gewonnen. Wenn es uns gelingt, den gesamten Druck auf den Lavakanal zu entlasten, dann müssen wir eine unvorstellbare Eruption provozieren. Sie würde die Insel vielleicht nicht vollkommen zerstören, aber nichts könnte dort überleben.« »Dann bleibt uns keine Wahl«, sagte Trautman. »Zwanzig oder dreißig Seemeilen sind eine halbe Stunde bei voller Fahrt. Das Risiko müssen wir eben eingehen.« Er nickte Juan und Ben zu den neuen Kurs einzugeben und betätigte gleichzeitig ein paar seiner Instrumente, woraufhin sich das Motorengeräusch veränderte und die NAUTILUS wieder Fahrt aufnahm. Zugleich stieg sie ein wenig höher, sodass das rote Glosen und Wabern unter ihnen zu einem blassen, kaum noch sichtbaren Schimmern wurde.

Es wurde wieder sehr still. Mike und die anderen taten so, als wären sie voll und ganz mit ihren Geräten beschäftigt, aber Mike war nicht der Einzige, der immer wieder nervös zum Fenster sah. Vor allem Delamere schien sich kaum noch auf seine Berechnungen konzentrieren zu können. Er fuhr sich ständig mit der Hand über das Gesicht um den Schweiß fortzuwischen, strich Zahlen und Buchstabenkolonnen durch, schüttelte den Kopf oder murmelte leise in seiner Muttersprache vor sich hin. Der Gedanke, einem Mann mit einem so sichtbar angegriffenen Nervensystem ihrer aller Schicksal anzuvertrauen, gefiel Mike immer weniger.

»Erklären Sie mir doch noch einmal ganz genau, was Sie vorhaben«, sagte er um Delamere abzulenken und vielleicht auch sich selbst ein bisschen. Jacques sah nervös von seinem Blatt hoch. »Alles kommt darauf an, ob meine Schätzungen richtig sind«, sagte er. »Das ist es ja, was mir solche Sorge bereitet: Es sind nur Schätzungen. Ich bin ja niemals hier unten gewesen wie ihr.«

»Wir wären auch lieber woanders, glauben Sie uns«, sagte Ben.

Jacques warf ihm einen raschen, fast erschrockenen Blick zu, drehte sich dann aber wieder zu Mike herum und fuhr fort: »Es ist im Grunde ganz simpel. Es muss hier unten unter dem Meeresgrund ein ganzes Gewirr von Lavagängen und Stollen geben, die offensichtlich alle miteinander verbunden sind. An manchen Stellen verlaufen sie tief unter der Erde, an anderen weniger tief und an einigen Punkten ist die Erdkruste so dünn, dass sie dem Druck nicht mehr standhält -das sind die Vulkane, die bisher ausgebrochen sind. Wir müssen eigentlich nur einen Punkt finden, an dem genügend dieser Kanäle zusammentreffen. Wenn wir einen Ausbruch an dieser Stelle provozieren, dann könnte vielleicht genug Lava entweichen, damit der Druck auf die anderen Krater weit genug nachlässt.«

Es war tatsächlich ein ganz einfacher Gedanke, wie Mike zugeben musste. Nur waren ihm in den Ausführungen Delameres entschieden zu vieleWennsundVielleichts.Sie würden schon ein geradezu unverschämtes Glück brauchen, um diesem wahnwitzigen Plan zum Erfolg zu verhelfen. Andererseits hatten sie gar keine Wahl. Was den erloschenen Vulkan auf Hathi anging, gab es weder ein Wenn noch ein Vielleicht, sondern nur einWann.Er würde ausbrechen, und das bald. Und dann war es nicht nur um die Insulaner geschehen, sondern auch um Serena, Singh und Astaroth.

Die Zeit verstrich träge. Die NAUTILUS fuhr mit voller Kraft, was bedeutete, dass sie sich vier-oder fünfmal so schnell unter Wasser fortbewegte, als es das schnellste Schiff über der Wasseroberfläche gekonnt hätte, und trotzdem kam es Mike so vor, als wären die Zeiger der Uhr auf dem Zifferblatt festgeklebt. Dafür änderte sich das Bild draußen vor dem Fenster ganz allmählich. Aus dem bisher blassroten Glühen sehr tief unter ihnen wurde ein immer stärker werdendes unheimliches Lodern und Glosen. Ein Blick auf das Außenthermometer zeigte ihm, dass das Wasserheißergeworden war, nicht kälter, obwohl sie sich jetzt viel weiter vom Meeresgrund entfernt befanden als noch vor zehn Minuten. Und er begriff auch den Grund dafür: Sie näherten sich dem Krater. Das rote Gespinst unter ihnen stellte ja nur die Risse dar, an denen der Meeresboden geborsten war, vielleicht sogar nur unterseeische Lavaströme, die selbst das Meerwasser bisher nicht hatte löschen können. Der eigentliche Krater, dessen Explosion sie vorhin beobachtet hatten, lag noch vor ihnen. Offenbar war Trautman in Gedanken zu demselben Ergebnis gekommen, denn er fragte in diesem Moment: »Was ist mit diesem Krater?« »Zu nahe«, antwortete Delamere knapp. »Außerdem ist er nicht geeignet. Wäre er es, wäre die Eruption viel heftiger ausgefallen. Wir müssen weiter.« Angesichts des roten Glosens unter ihnen empfand Mike bei diesen Worten vor allem eines: Erleichterung. Auch Trautman widersprach nicht, sondern änderte den Kurs der NAUTILUS nur geringfügig, damit sie nicht direkt über dem zwar im Augenblick halbwegs ruhigen, aber keineswegs erloschenen unterseeischen Vulkankrater hinweggleiten mussten, und wieder vergingen endlose Minuten, die sich schließlich zu einer Viertelstunde reihten. Das rote Lodern und Flammen wurde wieder schwächer, fiel schließlich hinter ihnen zurück und erlosch dann ganz. Der Meeresboden lag jetzt nicht mehr achthundert Meter unter ihnen, sondern drei Kilometer, wie Mike mit einem schnellen Blick auf die Instrumente feststellte. Ganz wie Jacques gesagt hatte, war der Vulkan nichts als der Gipfel eines gewaltigen unterseeischen Berges, der wiederum zu einer ganzen Bergkette gehörte, die sich über Hunderte von Meilen am Meeresgrund entlang erstreckte. Als hätte er seine Gedanken gelesen, fragte Jacques in diesem Moment: »Wie tief ist das Meer an dieser Stelle?«

»Dreieinhalbtausend Meter«, antwortete Trautman, »manchmal auch mehr. Warum?« Delamere sah auf seine Notizen, bevor er langsam und so als müsse er jedes Wort einzeln abwägen, antwortete: »Es wäre ein guter Ort. Wenn meine Berechnungen -meineSchätzungen -stimmen, dann kann die Erdkruste hier nicht allzu dick sein. Außerdem würden vier Kilometer Wasser selbst der größten Eruption die schlimmste Wucht nehmen. Andererseits ...«

»Andererseits was?«, fragte Mike, als Jacques nicht weitersprach.

Delamere lächelte nervös. »Nichts. Es gäbe eine gewaltige Flutwelle, die vielleicht genauso viel Verheerung anrichtet wie der Vulkanausbruch. Aber es ist ohnehin nur eine Theorie.« »Wieso?«, fragte Ben.

»Hast du nicht gehört, was dein Kapitän gesagt hat?«, erwiderte Jacques. »Der Meeresgrund liegt dreitausend Meter unter uns.«

»Und wo ist das Problem?«, wollte Ben wissen. Delamere blickte ihn an. Er runzelte die Stirn, sah fragend zu Mike und riss dann überrascht die Augen auf, als er begriff, was Ben meinte. »Du ... du meinst, wir könnten sotiefnach unten?« »Wir sind schon tiefer getaucht«, antwortete Ben. »Wenn das alles ist.«

Sein überheblicher Ton war vielleicht nicht ganz berechtigt. Sie waren tatsächlich schon tiefer getaucht, aber unter gänzlich anderen Umständen undniemalsfreiwillig. Selbst den fantastischen Möglichkeiten der NAUTILUS waren Grenzen gesetzt und die waren mit dem Druck in viertausend Metern Wassertiefe eindeutig erreicht. Das Schiff würde ihn zwar theoretisch aushalten, aber auch nur, wenn nicht die kleinste Kleinigkeit schief ging. Und bei dem, was sie vorhatten, gab es eine ganze MengeKleinigkeiten,die schief gehen konnten ...

»Dann ... dann wäre es ideal«, murmelte Delamere. Juan und Trautman verständigten sich mit einem raschen Blick und Mike spürte, wie die NAUTILUS schnell an Geschwindigkeit verlor und zugleich in den schwarzen Abgrund, der unter ihnen klaffte, hinabzustürzen begann. Der Abstieg dauerte lange, sehr, sehr lange. Das Schiff glitt durch eine unendliche Einöde aus Dunkelheit und Schwärze, in die noch nie zuvor ein Sonnenstrahl gedrungen und die noch nie zuvor das Auge eines Menschen erblickt hatte. Mikewusste zwar, dass es trotzdem dort draußen Leben gab -sogar im Überfluss! -, aber sie konnten nichts von alledem sehen. Trautman hatte die Außenscheinwerfer der NAUTILUS abgeschaltet, sodass sich das Fenster in eine schwarze Wand verwandelt zu haben schien, die das wenige Licht, das nach draußen fiel, einfach verschluckte. »Vielleicht«, sagte Delamere nervös, »sollten wir wenigstens das Fenster schließen. Dieses Glas -« »-hält mehr aus als der beste Stahl, den Sie kennen«, unterbrach ihn Trautman. »Keine Sorge. Es kann auch nicht mehr allzu weit sein.« Er sah flüchtig auf eines seiner Instrumente und fügte hinzu: »Drei-oder vierhundert Meter noch. Ein paar Minuten.« Sie wurden zu Ewigkeiten und noch bevor sie dem Meeresboden auch nur nahe kamen, sah Mike erneut ein düsteres, flackerndes rotes Leuchten tief unter ihnen. Zumindest ein Teil von DelameresSchätzungenschien sich zu bewahrheiten: Sie befanden sich auch hier über einem unterirdischen Lavastrom, der gegen den Meeresboden drängte. Unendlich langsam glitt die NAUTILUS tiefer. Trautman manövrierte das Schiff so vorsichtig und behutsam, wie er nur konnte. Sein Blick taxierte immer nervöser die Instrumente auf seinem Pult und auch er sah öfter zum Fenster, als notwendig gewesen wäre.

Das rote Glühen unter ihnen nahm zu. Aus dem anfangs noch blassen, konturlosen Schimmern wurde bald wieder ein Gewirr einander überkreuzender und schneidender roter, gezackter Linien, wie glühende Blitze, die im Meeresboden gefangen waren. Sie konnten sehen, dass das Wasser unmittelbar über diesen Lavagräben zu Dampf wurde, der in riesigen Wolken großer, schimmernder Blasen nach oben stieg, bis er vielleicht zwei-oder dreihundert Meter über dem Grund zu kochendem Wasser wurde. »Hält die NAUTILUS die Temperaturen aus?«, fragte Mike. Er konnte einfach nicht mehr anders als Trautman diese Frage zu stellen.

Dessen Antwort fiel aber anders aus, als ihm lieb gewesen wäre. Statt mit einem klaren Ja zu antworten aus keinem anderen Grund als genaudaszu hören hatte Mike seine Frage schließlich gestellt -, zuckte Trautman mit den Achseln und sagte: »Wir werden es sehen.«

»Auf jeden Fall nicht allzu lange«, fügte Juan hinzu. Er blickte auf und sah Delamere an. »Keiner von uns hat etwas dagegen, wenn Sie sich an der Diskussion beteiligen, Monsieur Delamere ...« Jacques erhob sich wieder und ging zum Fenster. Die NAUTILUS verlor immer noch an Höhe, jetzt aber sehr viel langsamer, und manchmal zogen ganze Armeen faustgroßer Dampfblasen am Fenster vorbei, die wie winzige verspiegelte Kugeln aussahen. Dazwischen wogten Schwaden von Sand, der vom Meeresboden hochgewirbelt wurde. »Ein wenig nach links«, bat er. »Können Sie die NAUTILUS genau über diesen großen Riss steuern?« Immer noch weiter an Höhe verlierend, glitt die NAUTILUS auf die bezeichnete Stelle zu. Mikes Herz begann stark zu klopfen, als er sah, worauf Jacques gedeutet hatte. Was Delamere mit dem harmlosen WortRissbezeichnete, war in Wirklichkeit eine gigantische, sicher eine halbe Meile breite Bresche im Meeresgrund, gezackt und mit Rändern, von denen kochender Dampf aufstieg und immer wieder Felsgestein abbrach, um lautlos in der Tiefe zu verschwinden und von rot glühender Lava verschlungen zu werden, und länger, als ihr Blick ihr folgen konnte. Der Grund dieser gigantischen Spalte war mit roter, brodelnder Lava gefüllt, auf der sich hier und da eine dünne, schwarze Haut gebildet hatte, die aber immer wieder aufriss wie Schorf auf einer Wunde, die einfach nicht heilen wollte.

Trautman steuerte die NAUTILUS dicht an diesen gewaltigen Lavacanyon heran, tauschte einen weiteren, undeutbaren Blick mit Delamere und setzte das Schiff dann genau über den Spalt. Das riesige Tauchboot begann zu zittern. Vor den Fenstern war nun ein unablässiger, tobender Vorhang silberner Dampfblasen, und einige Anzeigen auf dem Instrumentenpult vor Mike spielten einfach verrückt; er zog es vor, sichnichtden Kopf darüber zu zerbrechen, was sie genau bedeuteten.

Das Schiff bebte und zitterte immer stärker. Es kostete Trautman sichtlich Mühe, es auf der Stelle zu halten, und es wurde im Inneren des Kontrollraumes nun wirklich wärmer. Sehr lange würden sie sich in dieser Position nicht mehr halten können.

»Und?«, fragte Trautman.

Auf Delameres Stirn standen tiefe Falten. »Dieser Lavastrom ist gewaltig«, sagte er. »Eskönnteder Hauptstrom sein. Aber sicher bin ich nicht ... Können Sie noch ein Stück weiterfahren?« Die NAUTILUS bebte immer heftiger, als versuche sie sich gegen diesen Vorschlag zu wehren. Das Motorengeräusch wurde zu einem unruhigen Husten und Stampfen und die Scheibe des Aussichtsfensters begann sich zu beschlagen, so heiß war es jetzt hier drinnen. Trotzdem tat Trautman, was Jacques von ihm verlangt hatte, und ließ die NAUTILUS langsam in vierzig oder fünfzig Metern Höhe über dem Lavastrom dahingleiten.

Es war ein unheimlicher und zugleich faszinierender Anblick: Unter ihnen, dreitausend Meter tief auf dem Meeresgrund, bewegte sich ein gewaltiger Strom auf dem Grunde eines Canyons. Seine Oberfläche brodelte und kochte. Es gab Strudel, Stromschnellen, Wasserfälle und gischende Brandung, nur dass dieser Strom nicht aus Wasser bestand, sondern aus Feuer, aus rotem und gelbem geschmolzenem Stein und Erdreich.

Die NAUTILUS glitt langsam über diesem höllischen Fluss dahin, bis vor ihnen plötzlich ein gigantisches schwarzes Loch im Meeresboden aufklaffte. Wie schäumende Gischt über den Rand eines Wasserfalles, so ergoss sich die Lava in dieses Loch und begann einen Sturz, der Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Metern weit in die Tiefe führte. »Das wird gefährlich«, sagte Trautman. »Näher können wir nicht heran. Die Strömung wir immer stärker.«

»Das könnte die richtige Stelle sein«, sagte Delamere nachdenklich. »Dort unten -« Er kam nicht weiter. Ein unheimliches, durchdringendes Stöhnen und Mahlen erklang, so laut, als schreie die Erde selbst vor Schmerz und Pein, und vor Mikes und aller anderer entsetzt aufgerissenen Augen begann sich ein riesiges Stück Felsen aus dem oberen Rand der Klippe zu lösen. Die Größe der Katastrophe verlieh ihr einen Anschein von trügerischer Langsamkeit: Eine grellweiße, wie mit einem Lineal gezogene Linie erschien im Fels, heller noch als der Lavastrom, wuchs rasch in beide Richtungen und verschwand dann hinter einem Vorhang aus brodelndem, kochend heißem Dampf, der mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges der Wasseroberfläche entgegenraste.

Mike begriff die Gefahr im selben Moment wie Trautman, aber sein warnender Ruf kam ebenso zu spät wie Trautmans hastiger Griff nach den Kontrollinstrumenten. Alles ging viel zu schnell, als dass irgendeine Reaktion sie noch hätte retten können. Ein fünf-oder sechshundert Meter breites Teilstück der Kante brach ab und stürzte hinter der geschmolzenen Lava her in die bodenlose Tiefe und der so entstehende Sog packte die NAUTILUS, wirbelte sie wie ein Spielzeug durch das Wasser und zerrte sie einfach mit sich.

Trautman klammerte sich mit verzweifelter Kraft am Kontrollpult fest und versuchte das Letzte aus den Maschinen herauszuholen um die Katastrophe noch zu verhindern, aber das Schiff wurde nicht einmal spürbar langsamer. Die NAUTILUS wurde einfach gepackt, wie von einer unsichtbaren Riesenhand herumgewirbelt und dann ebenfalls in die Tiefe gerissen.

Mike schrie vor Angst und Schreck laut auf. Wie alle anderen wurde er zu Boden geschleudert und schlitterte hilflos durch den Raum, bis irgendetwas seinem unsanften Sturz ein Ende setzte. Die NAUTILUS schwankte wild hin und her, drohte sich zu überschlagen, richtete sich wieder auf undbegann erneut zu taumeln. Überall krachte und klirrte es. Glas zerbrach. Dinge stürzten aus den Regalen und fielen zu Boden und der gesamte Schiffsrumpf dröhnte und knirschte, als wäre die NAUTILUS unter eine riesige Presse geraten, die sie zu zermalmen versuchte. Trautman schrie irgendetwas, das im allgemeinen Lärm und dem Chor der anderen gellenden Schreie einfach unterging, versuchte sich auf Hände und Knie hochzustemmen und wurde erneut zu Boden geworfen, und auch Mike schoss ein zweites Mal quer durch den Salon, prallte hilflos gegen das Fenster und schrie auf, als er spürte, wie heiß das Glas geworden war. Gleißendes Licht strömte von draußen herein. Irgendetwas schlug wie mit Hämmern auf den Rumpf des Schiffes ein und für einen schrecklichen Moment erlosch das Geräusch der Motoren um dann unregelmäßiger und lauter wieder einzusetzen. Das grelle Licht draußen vor dem Fenster wurde immer unerträglicher, sodass es Mike nicht mehr möglich war, dorthin zu blicken, und er hörte ein furchtbares Zischen, als wäre irgendwo eine Leitung geplatzt, aus der nun Gas ausströmte -oder eine Schweißnaht, durch die Wasser unter ungeheurem Druck in die NAUTILUS eindrang! Endlich verlor das Stampfen und Beben des Bodens etwas von seiner Stärke. Die NAUTILUS schüttelte sich nochimmer und auch das Ächzen des überlasteten Rumpfes hielt an, aber es war jetzt wenigstens nicht mehr so schlimm, dass sie sofort wieder von den Füßen gerissen wurden, wenn sie versuchten sich aufzurichten.

Trautman stemmte sich hastig auf Hände und Knie hoch und wankte zu seinem Kontrollpult. Auch Mike, Juan und Ben nahmen so schnell wie möglich ihre Plätze wieder ein. Keiner von ihnen wagte es, zum Fenster zu sehen oder sich auch nur um eines der zahllosen blinkenden, roten und orangefarbenen Warnlichter zu kümmern. Nur Delamere blieb liegen, wo er war, japste nach Luft und wimmerte vor Angst.

Mike blieb jedoch gar keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, sich am Rand seines Instrumentenpultes festzuklammern und Trautman und Juan dabei zu helfen den Kurs der NAUTILUS zu stabilisieren. Alle ihre Bemühungen schienen jedoch vergeblich zu sein. Das Schiff zitterte und bebte weiter wild, das Schlagen und Hämmern gegen den Rumpf hielt an und die Temperaturen stiegen erbarmungslos. Und dann plötzlich war es vorbei. Die NAUTILUS glitt wieder ruhig dahin, die furchtbaren Laute hörten auf und selbst das lodernde weiße Licht vor dem Fenster erlosch und wurde wieder rot; noch immer hell, noch immer in der Farbe des Feuers, aber nicht mehr so unerträglich, dass es wie mit Messern in seine Augen stach, wenn Mike hineinsah.

Und trotzdem wünschte er sich nach einer Sekunde, er hätte es nicht getan.

Die NAUTILUS befand sich nicht mehr im freien Meer, sondern trieb durch einen gewaltigen,unregelmäßig geformten Stollen aus Fels. Über ihr war kein Wasser, sondern nur Dampf und Luft, die vor Hitze waberte, und auch das, worauf sie schwamm, war kein Wasser.

Es war dunkelrote, zähflüssige Lava, die an der Oberfläche immer wieder erstarrte, dann wieder zu Stücken zerbrach und erneut schmolz. Hier und da trieben große Brocken sich allmählich auflösenden Felsens an der Oberfläche dieses Feuerflusses wie Eisschollen in einem tropischen Meer, die sich in der Wärme auflösen. Flammenzungen loderten um die NAUTILUS, manchmal so hoch, dass sie gegen die Decke des Felsentunnels prallten, und immer wieder erzitterte das Schiff unter dumpfen Schlägen, als würden Riesen mit unsichtbaren Fäusten auf den Rumpf eindreschen.

»Großer Gott!«, keuchte Ben. »Was ist das? Wo ... sind wir hier?«

Die Frage galt niemand Bestimmtem und er bekam auch keine Antwort. Niemand war in der Lage zu antworten. Alle starrten gebannt auf das unglaubliche Bild, das sich ihnen draußen bot. Der Tunnel, durch den das Schiff glitt, begann sich ganz allmählich zu verändern. Es wurde heller. Licht in allen nur denkbaren Rot-und Gelbtönen brach sich an den unregelmäßigen Wänden und ließ keinen anderen Gedanken aufkommen als den an Hitze, Feuer und prasselnde Flammen.