122177.fb2 Die schwarze Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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»Wartet«, sagte er. Dann wandte er sich an Yasal. »Nehmt mich. Der Junge kann euch nicht helfen.Ichbegleite euch. «

Zum ersten Mal, seit Mike die beiden unheimlichen Beduinen kennengelernt hatte, antwortete einer von ihnen direkt auf eine Frage; wenn auch nur mit einem heftigen Kopfschütteln und einer neuerlichen, diesmal befehlenderen Geste in seine Richtung. Trautman wollte erneut auffahren, aber Mike war schneller. »Schon gut«, sagte er. »Ich gehe mit. Ich glaube nicht, daß er mir etwas tun will. « »Das gefällt mir nicht«, knurrte Trautman. Mir auch nicht, dachte Mike niedergeschlagen. Er ersparte es sich, das laut auszusprechen. Erneut überkam ihn ein Gefühl der Ohnmacht, das auf seine Weise fast schlimmer war als die Furcht, die er vorhin verspürt hatte. Aber er folgte Yasal wortlos, ebenso wie Singh.

Sie verließen den Salon und stiegen die kurze Treppe in den unteren Laderaum der NAUTILUS hinab. Yasal und Hasim hatten sich in den letzten Tagen oft hier zu schaffen gemacht, ihnen aber nicht gestattet, diesen Teil des Schiffes zu betreten, und jetzt sah Mike auch, warum: Sie hatten den großen Laderaum vollkommen ausgeräumt und eine sonderbare Konstruktion aus dünnen silberfarbenenen Metalldrähten errichtet, die eine Art Wabenmuster bildete und den vorhandenen Raum fast vollkommen beanspruchte. Der verbleibende Platz reichte gerade aus, um sich hindurchzuquetschen.

»Cheops scheint über eine Menge Schätze verfügt zu haben«, sagte Mike in dem schwachen Versuch, einen Scherz zu machen. Singh sah ihn nur irritiert an, und Mike bereute seine Worte. Im Grunde wußten sie alle längst, daß die Ladung, die sie aus der TITANIC bergen sollten, bestimmt nicht aus Gold und Silber bestand. Aber er hatte plötzlich das immer stärker werdende Gefühl, daß sie vielleicht noch viel phantastischer und bizarrer war, als er sich bisher auch nur hatte träumen lassen...

Aus Mikes unguter Vorahnung wurde Gewißheit, als sie ihr Ziel erreichten: die Bodenschleuse der NAUTILUS, eine kleine Tauchkammer, die gerade groß genug für zwei Personen war. Yasal machte eine entsprechende Geste, hineinzugehen, aber Mike schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich bin doch nicht wahnsinnig!« sagte er. »Du weißt nicht, was du da verlangst! Die Taucheranzüge sind nicht für diesen Wasserdruck -« Yasal schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab, und Mike gab auf. Er war nicht einmal sicher, ob seine Behauptung tatsächlich der Wahrheit entsprach. Die Taucheranzüge, über die die NAUTILUS verfügte, waren der übrigen menschlichen Technik ebenso überlegen wie das Schiff selbst. Aber sie hatten sie niemals in dieser Tiefe ausprobiert, und Mike hatte auch keine Lust, am eigenen Leib herauszufinden, ob sie wirklich für einen Spaziergang in mehr als zweitausend Meter tiefem Wasser geeignet waren.

Yasal interessierte sich wenig dafür, wozu er Lust hatte oder nicht. Er wiederholte seine Aufforderung ein drittes Mal -und diesmal auf eine Weise, die eindeutig drohend wirkte -, und Singh und er gaben auf. Hintereinander quetschten sie sich in die kleine Tauchkammer und halfen sich gegenseitig dabei, die klobigen Anzüge anzulegen und die Sauerstoffflaschen zu montieren. Kurz bevor er das schwere Panzerschott über ihnen schloß, bedeutete Yasal ihnen, draußen auf ihn zu warten; die Kammer war nicht groß genug, um zu dritt hindurchzugehen.

»Witzbold«, murmelte Mike. »Was denkt er denn, wo wir hingehen werden?«

»Irgend etwas stimmt mit den Anzügen nicht«, erklang Singhs Stimme in Mikes Helm. Mike erschrak. »Wie?«

»Ich weiß auch nicht, was, aber irgendwie... « Singh suchte hörbar nach Worten. »Sie haben etwas damit gemacht. Vielleicht haben sie sie verändert, damit sie den Druck in dieser Tiefe aushalten. « Mike hoffte es inständig. Während das Wasser rings um sie herum allmählich höher zu steigen begann, versuchte er Singhs Anzug durch die Sichtscheibe seines Helmes genauer zu mustern. Ihm fiel kein Unterschied an den klobigen Anzügen auf, die jede Bewegung zu einer bewußten Anstrengung machten. Die runde Scheibe in dem schweren Messinghelm verlieh seinem Träger etwas Zyklopenhaftes. Dann fiel Mikedoch etwas auf: Über dem schwarzen, gummiähnlichen Material, aus dem der gesamte Anzug gefertigt war, war plötzlich... noch etwas. Mike konnte es in dem schwachen Licht im Inneren der Schleusenkammer nicht richtig erkennen, aber es schien etwas wie ein feines, mattschwarzes Netz zu sein.

»Unsere Freunde waren ziemlich fleißig, scheint mir«, sagte er.

»Ja. Und ich bete, daß sie gewußt haben, was sie tun«, antwortete Singh.

Das Wasser stieg rasch höher. Mittlerweile reichte es Mike bereits bis zur Hüfte. Er spürte die Kälte selbst durch das dicke Material des Taucheranzuges hindurch, aber von dem erwarteten Druck, der ihn eigentlich auf der Stelle hätte zermalmen müssen, war nichts zu fühlen. Das Wasser stieg höher, erreichte seine Schultern und überspülte schließlich seinen Helm. Nichts. Was immer Hasim und Yasal mit den Anzügen getan hatten, es wirkte.

Als die Kammer geflutet war, schalteten sie ihre Scheinwerfer ein und verließen die NAUTILUS durch die Bodenschleuse. Im ersten Moment umgab sie vollkommene Schwärze, in der selbst die beiden starken Scheinwerferstrahlen dünn und verloren wirkten, denn es gab nichts, worauf sie sie hätten richten können. Dann aber folgte er Singh aus dem Schatten der NAUTILUS heraus, und jetzt sahen sie das gigantische Schiff, das im Licht der großen Bugscheinwerfer des U-Bootes über ihnen emporragte. Von hier aus betrachtet, wirkte es noch gigantischer als aus der vermeintlichen Sicherheit des Salons heraus. Das Schiff schien jetzt tatsächlich zu einem Berg geworden zu sein, wenn auch zu einem stählernen, von Menschenhand gemachten Berg, der vierzig, fünfzig oder auch mehr Meter über ihnen emporragte und sich zu beiden Seiten weiter in die ewige Nacht des Meeresgrundes hinein erstreckte, als das Licht der Scheinwerfer reichte. Es war genau wie oben im Salon: Singh und er standen einfach stumm da und blickten das Schiff an, ohne sich zu rühren.

Ein sonderbares Gefühl überkam Mike, als sein Blick über die mehr als mannsgroßen Buchstaben glitt, die den Namen des Schiffes bildeten. TITANIC. Das Schiffwarein Titan. Es war der Stolz der Weltmeere gewesen - oder hätte es werden sollen, denn die Katastrophe hatte es bereits auf seiner Jungfernfahrt heimgesucht -, und es hatte als unsinkbar gegolten. Er fragte sich, ob einer der Gründe für die Katastrophe vielleicht die Anmaßung war, die in diesem Namen und diesem Schiff lag; eine Herausforderung an die Gewalten der Natur selbst, sich dem Willen des Menschen unterzuordnen.

Was für ein sonderbarer Gedanke. Er lächelte flüchtig darüber und rief sich selbst in die Wirklichkeit zurück, als Singh ihn an der Schulter berührte und auf die NAUTILUS deutete. Die Schleusenkammer öffnete sich wieder, und Yasal erschien. Mike hätte beinahe aufgeschrien. Nach allem bisher Erlebten hatte er geglaubt, daß ihn nichts mehr überraschen könnte, was mit Yasal und seinen Brüdern zusammenhing, aber das stimmte nicht. Yasal trat mit einem raschen Schritt aus der Schleuse. Sein schwarzes Gewand wehte in der Strömung wie

in einem unsichtbaren Wind. Er trug keinen Taucheranzug.

Für ein paar Sekunden weigerte sich Mike einfach, zu glauben, was er sah.

Sie befanden sich mehr als zweitausend Meter tief unter Wasser. Der Druck hier unten war so gigantisch, daß er selbst einen Panzerwagen zerquetscht hätte wie eine Konservendose, aber Yasal trug noch immer seinen schwarzen Burnus. Weder einen Anzug noch einen Helm oder gar eine Sauerstoffflasche.

»Das ist nicht möglich«, flüsterte Mike. »Ich... ich träume!«

»Wenn, dann träumen wir denselben Traum«, sagte Singh. Seine Stimme klang seltsam tonlos. Was er sah, schockierte ihn offensichtlich ebenso wie Mike. »Aber wie... wie kann denn das sein?« flüsterte Mike fassungslos. »Er muß doch atmen. Und der Druck... « Singh sagte nichts, und warum auch? Mike wußte die Antwort auf seine eigene Frage ja selbst. Was er schon seit einer geraumen Weile insgeheim vermutet hatte -jetzt war es zur Gewißheit geworden. Yasal und seine beiden Brüder waren keine Menschen.

Sie brauchten eine gute halbe Stunde, um in die TITANIC hineinzugelangen. Die Anzüge schützten sie zwar zuverlässig vor dem Wasserdruck, aber sie machten jede Bewegung zu einer riesigen Anstrengung, und an Schwimmen war darin gar nicht zu denken, so daß sie ein ganzes Stück weit an dem Schiff entlanggehen mußten, ehe sie endlich einen Zugang fanden das Ende des gewaltigen Risses, der den Rumpf gespalten hatte. Er lag gerade noch im Bereich der Scheinwerferstrahlen der NAUTILUS, und hier sahen sie die Zerstörung, die sie bisher vermißt hatten: Die fast zehn Zentimeter dicken Stahlplatten, aus denen der Rumpf der TITANIC gefertigt war, waren zerrissen wie dünnes Pergament, und die dahinterliegenden Räume bildeten ein einziges, gewaltiges Chaos aus Trümmern und zermalmtem Metall.

Mikes Blick tastete sich an der klaffenden Wunde im Leib der TITANIC entlang, bis er sich in der Dunkelheit verlor. Seine Gedanken von gerade schossen ihm noch einmal durch den Kopf. Ob es nun eine höhere Gerechtigkeit gewesen war oder nur ein Zufall - der Anblick dieser unvorstellbaren Zerstörung machte ihm wieder einmal klar,wiegewaltig die Kräfte der Natur waren. Ganz egal, zu welchen technischen Leistungen die Menschheit einst vielleicht in der Lage sein würde, gegen die Gewalten der Natur würde sie immer ein Nichts bleiben. Seltsamerweise erschreckte ihn dieser Gedanke jedoch nicht, sondern beruhigte ihn eher; auch wenn er selbst nicht sagen konnte, warum. »Dort drüben können wir hinein. « Singh berührte ihn an der Schulter und deutete mit der anderen Hand auf Yasal, der bereits ein Stück vorangegangen war und auf eine Stelle zuhielt, an der die TITANIC weit genug in den Schlamm eingesunken war, daß der Riß fast den Boden berührte. Mike schauderte erneut. Auch nach einer halben Stunde war der Anblick des Beduinen, der mit wehendem Gewand vor ihnen über den Meeresboden marschierte, noch so unwirklich wie zuvor. Aber er folgte Singh und Yasal wortlos und so schnell er konnte.

Trotz allem wurde es eine anstrengende Kletterei, ins Innere des Schiffes zu kommen. Der Riß war auch hier hoch genug, um bequem hindurchzuklettern, aber Mike mußte aufpassen, seinen Anzug nicht an den scharfen Metallkanten zu beschädigen, und jeder weitere Schritt in das Schiff hinein wurde zu einem lebensgefährlichen Abenteuer. Der Boden stand ein wenig schräg, so daß er aufpassen mußte, nicht die Balance zu verlieren, und war mit Trümmerstücken nur so übersät. Das Schiff war beinahe im NeunzigGrad-Winkel gesunken, ehe es auf dem Meeresgrund aufgeschlagen war, und bei der höllischen Fahrt in die Tiefe war alles, was nicht niet-und nagelfest war, losgerissen und durch das Wasser gewirbelt worden.Überall lagen zerborstene Möbel, losgerissene Türen und zertrümmerte Maschinenteile. Sie durchquerten einige Räume, in denen sie regelrecht über Trümmerberge hinwegklettern mußten, und einmal mußten sie sogar ein Stück des Weges zurückgehen, weil es einfach kein Durchkommen gab.

Und trotz allem schien Yasal mit traumwandlerischer Sicherheit seinen Weg zu finden. Mike hatte den sicheren Eindruck, daß er noch viel schneller gewesen wäre, hätte er nicht auf sie Rücksicht genommen. Er begann sich allmählich zu fragen, warum sie überhaupt hier waren -wie die Dinge bisher lagen, behinderten sie Yasal eher, statt ihm zu helfen. »Das ist seltsam«, sagte Singh plötzlich. »Was ist seltsam?«

Singh schwieg einen Augenblick. »Erinnert Ihr Euch, Herr«, sagte er dann. »Wir haben vorhin darüber gesprochen: die Toten. Die ertrunkenen Passagiere und die Besatzung. «

Und ob sich Mike daran erinnerte. Erneut fröstelte er, und diesmal lag es eindeutig nicht an der eisigen Kälte, die allmählich durch seinen Anzug zu kriechen begann. Er sah sich um, fast als rechne er damit, ganze Legionen von Toten durch das klare Wasser auf sich zutreiben zu sehen. »Wo sind sie alle?« fragte Singh.

Mike blickte ihn verwirrt an - und riß plötzlich die Augen auf. Singh hatte Recht. Sie waren bereits tief in den Rumpf des Schiffes eingedrungen und durchquerten gerade etwas, was vielleicht einmal ein Speisesaal gewesen war, aber sie hatten bisher keinen einzigen Leichnam gesehen!

»Vielleicht... vielleicht sind sie abgetrieben worden«, sagte er stockend.

»Hier drinnen gibt es keine Strömung. « Mike ersparte es sich, seinen zweiten Gedanken auszusprechen: nämlich daß die Toten einfach von Raubfischen gefressen worden waren. Sie hatten bisher nicht einmal eine Spur von Leben gesehen, geschweige denn einen Raubfisch.

»Unheimlich«, murmelte er. Aber zugleich war er auch erleichtert. Ihr Ausflug in dieses gigantische Wrack war schlimm genug, aber vielleicht blieb ihnen das Allerschlimmste erspart. Aber die Sache war sehr rätselhaft. Und es blieb dabei. Sie durchquerten den Saal und stiegen eine große Treppe hinab, folgten Yasal durch eine vollkommen verwüstete Küche und anschließend drei, vier weitere Räume, deren ursprünglicher Bestimmungszweck nicht einmal mehr zu erraten war, aber sie fanden keine Toten. Es war, als wäre das Schiff leer gewesen, als es sank. Oder als hätte jemand die Toten geholt. Schließlich betraten sie die Laderäume des Schiffes. Das Chaos war hier noch wesentlich größer, so daß es bald selbst Yasal schwerfiel, einen Weg für sie zu finden. Mike sah immer öfter auf die Uhr. Der Sauerstoffvorrat in ihren Anzügen war nicht unbeschränkt. Sie hatten die Hälfte davon fast verbraucht und würden sich bald auf den Rückweg machen müssen. Gerade als er zu überlegen begann, wie er Yasal auf diesen Umstand aufmerksam machen konnte, erreichten sie ihr Ziel. Sie hatten einen völlig verheerten Lagerraum voller großer, fast ausnahmslos aufgeplatzter Kisten durchquert, und vor ihnen lag ein großes metallenes Tor, offensichtlich der Durchgang zu einem weiteren Lager. Yasal gebot ihnen mit einer entsprechenden Geste, zurückzubleiben, und machte sich allein einen Moment lang daran zu schaffen. Mike konnte nicht genau erkennen, was er tat, aber plötzlich blitzte ein grelles weißes Licht auf, und schon im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür einen Spaltbreit -und Singh und er hatten ihre liebe Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ein ungeheurer Sog ergriff sie mit einem Mal und zerrte sie auf die Tür zu. Mike griff haltsuchend um sich, fand irgend etwas, woran er sich klammern konnte, und sah aus den Augenwinkeln, daß es Singh nicht besser erging. Es dauerte nur einige wenige Sekunden, bevor sich das tobende Wasser wieder beruhigte, aber diese Sekunden beanspruchten seine gesamte Kraft.

»Was... was war denn das?« keuchte er, als es endlich vorbei war und er es vorsichtig wagte, seinen Halt loszulassen.

»Der Lagerraum muß noch voller Luft gewesen sein«, antwortete Singh. »Yasal hat irgendwie die Tür aufgesprengt. «

Mit klopfendem Herzen bewegte sich Mike auf die Tür zu, die nun weit offenstand. Er fragte sich, was sie dahinter finden

würden -Kisten voller Schätze, wie Trautman und Ben

anzunehmen schienen, oder etwas ganz, ganz anderes?

Das erste, was er im Licht seines Scheinwerfers sah, war ein Ballen weißer Stoff. Er war durch den plötzlichen Wassereinbruch offensichtlich losgerissen worden und wirbelte sich überschlagend durch den Raum, und es war nicht der einzige. Hier und da trieben weitere der gut mannslangen, weißen Bündel dahin, und auf dem Boden stapelten sich gleich Dutzende, wenn nicht Hunderte der sonderbaren Gebilde. Mike ließ den Strahl seines Scheinwerfers ein paarmal durch den Lagerraum gleiten, der fast die Abmessungen einer kleinen Turnhalle hatte. Ein Teil der verbliebenen Luft hatte sich unter der Decke gesammelt und bildete einen silbernen Himmel aus Millionen zerbrochener Halbmonde. Das und die weißen Ballen waren die einzigen Dinge, die sich in dem Raum befanden. »Was ist denn das?« fragte Mike.»Dassoll der Schatz der Cheopspyramide sein?«

Singh schwieg. Er bewegte sich schwerfällig weiter in den Raum hinein und wollte sich nach einem der Ballen bücken, aber er kam nicht dazu, die Bewegung zu Ende zu fuhren. Yasal war mit einem blitzschnellen Schritt neben ihm und riß ihn so grob zurück, daß er fast die Balance verloren hätte.

»Ja«, sagte Mike säuerlich. »Kein Zweifel. Dasistder Schatz. « Während Singh mit wild rudernden Armen sein Gleichgewicht wiederfand, ließ sich Mike behutsam in die Hocke sinken, um einen der seltsamen »Stoffballen« genauer in Augenschein zu nehmen. Yasal beobachtete ihn mißtrauisch,

versuchte aber nicht, ihn davon abzuhalten. Offensichtlich

wollte er nur nicht, daß sie die Bündel berührten.

Mike sah jetzt, daß ihn sein erster Eindruck getäuscht hatte. Es war kein Stoffballen, und es war auch nicht rund, wie es ein solcher gewesen wäre, sondern sechseckig. Wo hatte er diese Form schon einmal gesehen? Außerdem war es gar kein Stoff. Es war...

Mike suchte vergeblich nach einer Bezeichnung für das, was ersah.Es ähnelte nichts, was er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Mal schimmerte es wie Metall, dann schien es wie Stoff zu sein, etwas wie ein unendlich feines Gespinst vielleicht, gegen das selbst die kostbarste Seide wie grobes Sackleinen erschienen wäre, und es wirkte zugleich sehr zerbrechlich wie äußerst massiv. Nach dem, was Singh widerfahren war, wagte er es nicht, es zu berühren, aber er war sicher, daß dieser sonderbare Kokon so stabil wie Stahl war. »Das muß es sein, wonach sie gesucht haben«, sagte er überflüssigerweise. »Es scheint nicht beschädigt zu sein. Offensichtlich ist der Laderaum luftdicht geblieben. Die ganze Zeit über. Was... was kann das sein?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Singh. »Aber ich frage mich, wie wir es an Bord der NAUTILUS bekommen sollen. «

Mike sah ihn fragend an.

»Wir haben fast eine Stunde gebraucht, um hierherzukommen«, antwortete Singh mit einer erklärenden Geste. »Und wir brauchen garantiert länger für den Rückweg, selbst wenn diese Bündel so leicht sind, wie es scheint. Wißt Ihr, wie viele es sind?« Mike sah sich ratlos um und schüttelte den Kopf.

»Sehr viele«, sagte er kleinlaut. »Dutzende. « »Wohl eher Hunderte«, verbesserte ihn Singh. »Wir würden Wochen brauchen, um sie alle auf die NAUTILUS zu schaffen. Und so viel Zeit haben wir nicht. « Mike gestand sich ein, daß er auf diesen Gedanken noch gar nicht gekommen war. Bisher waren sie ja immer davon ausgegangen, nur einige Kisten aus dem Wrack der TITANIC holen zu müssen; eine Aufgabe, die mit zwei oder drei Expeditionen hier herunter sicher zu bewältigen gewesen wäre. Aber das hier... »Das ist unmöglich!« sagte er überzeugt. Singh nickte betrübt. Die Bewegung war hinter der Scheibe seines Helmes kaum zu erkennen, aber sie versetzte Mike trotzdem einen gewaltigen Schrecken. Seine Worte hatten keinen anderen Sinn gehabt, als Singh widersprechen zu lassen. Er hatte einfach vorausgesetzt, daß der Inder wie immer schon einen Ausweg parat haben würde. Diesmal schien es nicht der Fall zu sein. Und das bedeutete, daß sie ihre Aufgabe unmöglich in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen konnten.

Und das wiederum bedeutete, daß er Serena und Astaroth niemals wiedersehen würde. Verzweifelt sah er hoch und blickte sich nach Yasal um. Er entdeckte den Beduinen an der gegenüberliegenden Seite des Raums. Yasal hatte vor der Wand Aufstellung genommen und beide Arme in einer seltsamen, beinahe beschwörend anmutenden Geste erhoben. Er stand vollkommen reglos da. »Was tut er da?« murmelte Mike. Es sah beinahe aus, als wolle Yasal die Wand... beschwören? »Was um alles in der Welt -« Mike brach ab und schloß geblendet die Augen, aber es nutzte nicht viel. Zwischen Yasals Fingern war jäh ein grelles, bläulich-weißes Licht aufgeflammt; ein Schein, ganz ähnlich dem, den sie gerade beobachtet hatten, als er die Tür aufsprengte, nur ungleich heller. So rasch es in dem schwerfälligen Anzug möglich war, hob Mike beide Hände vor das Sichtfenster und wandte sich ab. Trotzdem blitzte und funkelte es weiterhin so grell und schmerzhaft vor seinen Augen, daß er absolut nichts sehen konnte. Erst nach einer ganzen Weile wagte er es wieder, den Kopf zu heben und vorsichtig in die Richtung zu blinzeln, wo Yasal gestanden hatte. Er war noch immer da, aber die Wand vor ihm war zum größten Teil verschwunden. Im ersten Moment glaubte Mike, seine geblendeten Augen würden ihm einen Streich spielen. Er blinzelte ein paarmal, aber es blieb dabei: Genau dort, wo der Beduine stand, gähnte ein gut zweieinhalb Meter messendes, kreisrundes Loch in der massiven Stahlwand des Rumpfes, dessen Ränder noch dunkelrot glühten. Kochendes Wasser und silberne Luftblasen stoben in einem wilden Sog nach draußen.

»Er... er hat ein Loch in die Wand gebrannt!« murmelte Mike fassungslos. »Aber... aber wie hat er das gemacht? Er hat doch nichts mit hierhergebracht. Ich meine, kein Werkzeug, kein... « Er sprach nicht weiter. Offensichtlich verfügte Yasal -und sicher auch Hasim -über Fähigkeiten und Kräfte, die an Zauberei grenzten.

Yasal winkte ihnen zu und bückte sich dann nach einem der weißen Kokons. Ohne sichtbare Anstrengung hob er ihn hoch und versetzte ihm einen sachten Stubs, so daß er durch das Loch in der Schiffswand hindurchglitt und sich draußen sanft auf den Meeresgrund herabsenkte. Eine Wolke aus beigeweißem Sand stob hoch und verteilte sich in weitem Umkreis im Wasser, ehe sie wieder zu sinken begann. Yasal deutete auf die übrigen Ballen, drehte sich dann herum und sprang nach draußen.