122177.fb2 Die schwarze Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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Als sie gemeinsam auf das Restaurant zugingen, das auf der anderen Seite des weitläufigen Hotelhofes lag, hatte Mike plötzlich keine Lust mehr, mit Lady Grandersmith zu essen, auch nicht, sich mit ihr zu unterhalten. Er fühlte sich sogar äußerst unbehaglich in ihrer Nähe, und er wußte sofort, warum. Yasal.

Mike hatte bisher noch nie so deutlich gespürt, was für eine unheimliche Atmosphäre ihn umgab, und als er in Juans und Chris' Gesichter sah, glaubte er zu erkennen, daß sie dasselbe fühlten.

»Heute ist möglicherweise unser letzter Tag«, sagte Juan unvermittelt. »Wie?« Mike schreckte hoch.

Juan nickte und wiederholte: »Vielleicht reisen wir morgen früh schon ab. « »Wieso denn das?« fragte Mike.

Juan seufzte. »Trautman hat fast alles beisammen, was er braucht, um unsere Reisevorbereitungen zu treffen. Ihm fehlen nur noch ein oder zwei Kleinigkeiten, und er hofft, daß er sie heute auftreiben kann. Hättest du nicht den halben Vormittag verschlafen, sondern zusammen mit uns gefrühstückt, wüßtest du es. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen. « Mike war etwas enttäuscht. Sie hatten zwar nie eindeutig darüber geredet, aber er hatte ganz selbstverständlich angenommen, daß sie länger in Kairo bleiben würden.

»Aber wir haben doch noch gar nichts von der Stadt gesehen!« wandte er ein.

Juan zuckte mit den Schultern und wollte etwas entgegnen, aber Lady Grandersmith kam ihm zuvor: »Es ist schade, daß ihr schon abreisen wollt. Mike hat Recht -ihr habt bisher nichts von Kairo gesehen, ganz zu schweigen von den anderen Sehenswürdigkeiten, die dieses herrliche Land bietet. Seid ihr überhaupt bei den großen Pyramiden gewesen?« Juan schüttelte den Kopf, und Lady Grandersmith sagte: »Also, die müßt ihr euch unbedingt ansehen, bevor ihr die Stadt verlaßt. Kairo zu besuchen, ohne die Pyramiden zu sehen, ist eine Todsünde! Ich werde gleich nachher mit Mister Trautman darüber reden. «

Juan atmete hörbar ein. »Ich glaube nicht, daß -« In diesem Moment betraten sie das Hotelrestaurant, und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Mike begriff sofort, was geschehen würde, als sein Blick durch den Saal flog, der zu dieser Stunde bis auf den letzten Platz gefüllt war, und an dem Schreibtisch am anderen Ende des Restaurants hängenblieb, an dem der Hotelmanager saß - und an dem langhaarigen deutschen Schäferhund, der neben ihm auf den Mosaikfliesen vor sich hin döste.

»O nein!« murmelte Mike, aber es war bereits zu spät.

Astaroth hatte unmittelbar hinter ihm und Lady Grandersmith das Restaurant betreten und ebenfalls sofort den Hund erspäht. Mike bückte sich nach dem Kater, um ihn festzuhalten, aber Astaroth schlüpfte mit einer flinken Bewegung unter seinen Händen weg und raste los.

Mike sah, wie die Augen des Hotelmanagers groß wurden. Sein Gesicht färbte sich in einer einzigen Sekunde bleich, dann puterrot und dann schneeweiß. Der Hund, der den Kopf auf die Vorderpfoten gebettet hatte, fuhr mit einem Ruck hoch, erkannte den schwarzen Riesenkater, der auf ihn zuschoß, und stieß ein überraschtes Heulen aus. Dann sprang er auf und raste mit Riesensätzen davon, wobei er wieder ein Heulen ausstieß, als wären sämtliche Furien der Hölle auf einmal hinter ihm her.

»0 nein!« keuchte Mike noch einmal. Und dann schrie er: »Astaroth! Nein! Komm zurück!« Astaroth wäre nicht Astaroth gewesen, hätte er auch nur im Geringsten auf diesen Befehl reagiert. Wie ein pelziger schwarzer Ball galoppierte er hinter dem Hund her, der hakenschlagend zwischen den Tischen hindurchflüchtete. Astaroth kannte solche Hemmungen nicht. Er jagte in gerader Linie seinem Opfer nach, wobei er rücksichtslos über Stühle, Tische oder auch über Hotelgäste hinwegsetzte. Eine Spur aus zerrissenen Tischdecken, zerbrechendem Geschirr und hastig aufspringenden Menschen markierte den Weg, den die beiden Tiere durch das Restaurant nahmen.

»Astaroth!« schrie Mike verzweifelt und begann ihm nachzulaufen. »Laß den Hund in Ruhe!« Der Schäferhund rannte nun ebenfalls ohne Rücksicht Tische, Stühle und alles, was sich in seinem Weg befand, einfach um, und nicht nur ein Hotelgast landete aufschreiend oder lauthals fluchend auf dem Boden. Mike sah aus den Augenwinkeln, wie der Hotelmanager zur Verfolgung der beiden Tiere ansetzte, und auch Chris und Juan riefen nach dem Kater und liefen ebenfalls los. Aber sie vergrößerten damit nur das allgemeine Chaos. Mike prallte gegen einen Mann, der überrascht von seinem Stuhl hochgesprungen war, und wäre wohl gestürzt, wäre nicht in diesem Moment Juan von hinten in ihn hineingerannt. Der Zusammenprall nahm ihm die Luft, und er mußte mit aller Gewalt um sein Gleichgewicht kämpfen. Als er wieder aufblickte, sah er, wie der Schäferhund auf die große metallbeschlagene Pendeltür zujagte, hinter der die Küche lag. Als er sie fast erreicht hatte, wurde die Tür geöffnet, und ein Kellner mit einem hochbeladenen Tablett trat heraus. Er machte einen energischen Schritt, um der zurückpendelnden Tür mit jahrelanger Routine auszuweichen, doch in diesem Moment prallte der Hund gegen seine Beine. Mensch und Tier stolperten in entgegengesetzten Richtungen davon. Der Hund schlitterte über die glatten Bodenfliesen und verschwand heulend in der Küche, während der Kellner gegen die Wand stürzte und mit fast komisch anmutenden Bewegungen sein Tablett festzuhalten versuchte.

Dann jagte Astaroth heran, flitzte direkt zwischen seinen Beinen hindurch und verschwand hinter dem Schäferhund in der Küche. Der Mann verlor endgültig das Gleichgewicht und kippte mit einem schrillen Schrei nach vorne. Das Tablett flog ihm aus den Händen und schüttete seinen Inhalt über den Hotelmanager aus, der das Pech hatte, gerade in diesem Augenblick anzukommen. Inmitten eines Hagelschauers aus dampfender Fleischbrühe, zerbrechendem Geschirr, Salat, Saucen, fliegenden Brotscheiben, splitterndem Glas und gerösteter Kartoffeln stürzte der Mann zu Boden.

Mike schenkte ihm kaum einen Blick. Er sprang kurzerhand über ihn hinweg, stieß die Pendeltür mit der Schulter auf -und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Er konnte Astaroth und den Hund von hier aus nicht sehen -aber ihre Spur war deutlich zu erkennen: Töpfe und Geschirr flogen in hohem Bogen durch die Luft, überall schepperte und klirrte es, und mehr als ein Angehöriger des Küchenpersonals brachte sich mit einem entsetzten Sprung in Sicherheit, um nicht von den beiden außer Rand und Band geratenen Tieren über den Haufen gerannt zu werden.

»Astaroth!« schrie Mike. Der Kater und der Schäferhund hatten mittlerweile das gegenüberliegende Ende der Küche erreicht, und als Mike losstürmte, machte der Hund kehrt und versuchte hakenschlagend wieder aus der Küche hinauszurennen -wobei er eine zweite Spur der Verheerung durch den Raum zog. Mike versuchte den Punkt abzuschätzen, an dem sein Kurs den des Hundes kreuzen würde, rannte geradewegs auf das Tier zu und streckte die Arme aus. Der vollkommen verängstigte Hund schnappte nach ihm, aber damit hatte Mike gerechnet. Im letzten Moment zog er die Hände zurück, warf sich zur Seite und sprang mit weit ausgestreckten Armen vor. Seine Hände gruben sich in Astaroths Fell und versuchten ihn aufzuhalten. Astaroth fauchte wütend. Sein Schwung war so groß, daß Mike von den Füßen gerissen und hinter dem Kater hergeschleift wurde, ehe es ihm endlich gelang, Astaroth richtig zu packen.

Selbst dann brauchte er all seine Kraft, um den wütend um sich schlagenden Kater festzuhalten, und er handelte sich dabei etliche schmerzhafte Kratzer auf Gesicht und Händen ein. Erst als er Astaroth mit beiden Händen im Nacken ergriff und ihn wie ein kleines Kätzchen hochhob und hin und her schüttelte, hörte der Kater auf, um sich zu schlagen und vor Wut zu spucken. Aber sein Fell war immer noch gesträubt, und er knurrte tief und drohend; beinahe mehr wie ein Hund als eine Katze.

»Hörst du jetzt endlich auf?!« fragte Mike zornig. »Astaroth! Komm zu dir!«

Ja, ja, ist ja schon gut,erklang Astaroths Stimme in seinem Kopf.Du kannst aufhören, mich zu schütteln wie einen Cocktail!

»Nur wenn du versprichst, vernünftig zu sein!« antwortete Mike. »Was ist in dich gefahren? Hast du völlig den Verstand verloren?« Er war wütend auf den Kater wie selten zuvor. Astaroth war dafür bekannt, sich gerne einmal einen derben Scherz zu erlauben, aber so toll wie heute hatte er es noch nie getrieben. »Benimmst du dich?« vergewisserte sich Mike.Ja doch. Laß mich los!

Mike setzte den Kater vorsichtig auf den Boden, löste aber nur eine Hand aus seinem Nackenfell und blieb bereit, jederzeit wieder fester zuzupacken. Dabei war er nicht sicher, ob er überhaupt kräftig genug war, Astaroth festzuhalten, wenn es darauf ankam.

Jetzt laß mich schon los,maulte Astaroth.Ich verspreche dir, lieb wie ein kleines Kätzchen zu sein. Nebenbei-es sieht so aus, als hättest du im Moment andere Probleme als mich...

Erst jetzt nahm Mike wieder bewußt wahr, daß Astaroth und er nicht allein in der Küche waren. Er sah sich von mindestens einem Dutzend Köchen und Kellnern umringt, die wütend gestikulierten und durcheinanderredeten. Manche hielten Messer, kleine Beile oder andere Küchengeräte in den Händen, und der Ausdruck auf ihren Gesichtern verhieß nichts Gutes. Um nicht zu sagen: In dem einen oder anderen Augenpaar glaubte er so etwas wie Mordlust aufblitzen zu sehen... Hastige Schritte näherten sich, und dann übertönte eine kräftige Stimme das Durcheinander. Mike erkannte sie sofort. Er hatte sie vor zwei Tagen schon einmal gehört, und da war sie fast ebenso aufgebracht und schrill gewesen wie jetzt. Er hatte die Worte damals wie heute nicht verstanden, aber das brauchte er auch nicht.

Ein einziger Blick in das Gesicht des Hotelmanagers reichte vollkommen.

Singh und Trautman kamen eine gute halbe Stunde später zurück, und was Trautman ihm zu sagen hatte, das verstand Mike sehr wohl.

Irgendwie war es ihm gelungen, aus dem Hotelrestaurant zu entkommen, ohne vom aufgebrachten Personal oder dem Manager gelyncht zu werden, und sich in sein Zimmer zu flüchten, aber jetzt fragte er sich, ob es vielleicht nicht besser gewesen wäre, in der Küche zu bleiben. Trautman hielt ihm nämlich die schärfste Gardinenpredigt seines Lebens. Mike hatte den grauhaarigen Steuermann der NAUTILUS niemals so zornig erlebt wie jetzt.

»... wirklich mehr Verantwortungsgefühl von dir erwartet!« sagte Trautman gerade. »Du bist wirklich alt genug! Und nach dem letzten Vorfall habe ich dir doch deutlich gesagt, daß Astaroth hier im Zimmer zu bleiben hat!«

»Aber ich -« begann Mike, wurde aber sofort von Trautman unterbrochen:

»Dir ist anscheinend nicht klar, was ihr getan habt! Ich war von Anfang an dagegen, hierherzukommen, und wie es aussieht, hatte ich damit nur zu Recht. « Das stimmte. Mike und die anderen -allen voran Serena -hatten ihre gesamte Überredungskunst aufbieten müssen, um von Trautman die Erlaubnis zu diesem Ausflug nach Kairo zu bekommen. Trautman war zwar nicht der Kapitän des Schiffes, auch nichtder Anführer der Gruppe -so etwas gab es nicht -, aber als Ältester hatte er doch automatisch die Verantwortung für sie alle übernommen, und nach ihrem letzten Versuch, irgendwo wie normale Menschen an Land zu gehen, der in einer Katastrophe und um ein Haar mit der Vernichtung der NAUTILUS geendet hatte, litt er geradezu unter der panischen Angst, entdeckt zu werden. »So schlimm war es doch gar nicht«, wiederholte Mike. Die Worte klangen nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend, aber er fuhr trotzdem fort: »Es ist doch kaum etwas passiert. Ein bißchen Geschirr ist zu Bruch gegangen, aber niemand wurde verletzt. Die Leute haben schallend gelacht. «

»Gelacht?!« Trautmans Augen wurden groß, und sein Gesicht sah aus, als träfe ihn jeden Moment der Schlag. »Mein lieber junger Freund, ich kann dir versichern, daß der Hotelmanager nicht gelacht hat! Und was die anderen angeht... Wir erregen sowieso schon genug Aufsehen, auch ohne daß du für einen Skandal sorgst, über den spätestens morgen ganz Kairo spricht. «

»Wie meinen Sie das?« erkundigte sich Mike. Trautman atmete hörbar ein und fuhr dann mit etwas ruhigerer Stimme fort: »Nun, Singh und ich sind die letzten drei Tage in den Basaren unterwegs gewesen. Man spricht dort über uns. Ein alter Mann, ein Inder und fünf Halbwüchsige, die in einem der besten Hotels der Stadt absteigen und von denen niemand weiß, wer sie sind und woher sie kommen, erregen nun einmal Aufsehen. Vor allem in diesen Zeiten. « »Aber wir sind doch nur ganz normale Touristen!« entgegnete Mike.

Trautman lachte auf. »Draußen in der Welt herrscht Krieg«, sagte er. »Jeder mißtraut jedem. Die Leute hier fangen bereits an, Fragen zu stellen. Ich möchte so etwas wie in England nicht noch einmal erleben. Wir haben nämlich das Glück keineswegs gepachtet, weißt du? Das nächste Mal könnte es anders ausgehen. « Mike schwieg. Bis jetzt hatte Trautman es noch nie so offen ausgesprochen, aber Mike hatte gewußt, wie sehr ihn die Geschichte am Polarkreis mitgenommen hatte. Für Trautman waren sie wohl alle -selbst Serena -so etwas wie seine Kinder. Er redete niemals viel von seiner Vergangenheit, aber Mike wußte, daß er der älteste und wahrscheinlich einzige noch lebende Freund seines Vaters war und daß er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, nicht nur die NAUTILUS, sondern auch ihn, Mike, Kapitän Nemos Sohn, zu beschützen. Aber er begann sich zu fragen, ob Trautman diese Aufgabe nicht etwas zu ernst nahm.

Gerade als Mike überlegte, wie er diesen Einwand in möglichst diplomatischer Form vorbringen konnte, wurde an die Tür geklopft. Trautman fuhr zusammen, und Ghunda Singh, der bisher mit vor der Brust verschränkten Armen schweigend an die Wand gelehnt dagestanden hatte, spannte den Körper an. Die beiden tauschten einen raschen Blick, dann wandte sich Trautman um und ging zur Tür, während sich der Inder so postierte, daß er von dem Hereinkommenden nicht gleich gesehen werden konnte. Das Klopfen wiederholte sich, als Trautman die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, und diesmal klang es eindeutig energischer. Aber draußen standen weder der Hotelmanager noch die Polizei, sondern Lady Grandersmith. Ohne auf eine entsprechende Aufforderung zu warten, ging sie an Trautman vorbei ins Zimmer, dicht gefolgt von einer ganz in Schwarz gekleideten, hochgewachsenen Gestalt. Eine zweite gleichartige Gestalt stand draußen auf dem Korridor, machte aber keine Anstalten, den beiden zu folgen. »Mylady?« Trautman deutete ein Kopfnicken an, und seine Stimme klang einigermaßen freundlich, aber seine Augen verrieten ihn. Der Ausdruck darin machte klar, daß er nicht besonders begeistert über die Störung war.

Lady Grandersmith ließ sich allerdings davon nicht beeindrucken. Sie marschierte einfach an ihm vorbei und steuerte auf Mike zu. »Mike! Wie ich sehe, bist du ja noch wohlauf und das Miezekätzchen auch!« DasMiezekätzchenblinzelte irritiert zu Lady Grandersmith hoch, enthielt sich aber jeden Kommentars. Was Mike ein wenig erstaunte. Normalerweise reagierte Astaroth ziemlich allergisch darauf, so genannt zu werden.

»Ja«, knurrte Trautman. »Obwohl ich ziemliche Lust dazu hätte, einen Käfig für dasMiezekätzchenzu besorgen und es für den Rest unseres Aufenthaltes hier darin einzusperren. «

Lady Grandersmith' Gesicht wurde ernst, und sie drehte sich zu Trautman herum. »Es tut mir leid, Mister Trautman«, sagte sie in verändertem Tonfall. »Ich habe mit dem Hotelmanager gesprochen. Ich habe mit Engelszungen geredet, aber ich konnte ihn nicht überzeugen. Ich fürchte, ihr müßt das Hotel verlassen. « »Verlassen?« wiederholte Mike verblüfft. »Sie werfen uns raus«, bestätigte Trautman. »Ich habe zwar alles versucht und Lady Grandersmith auch, wie du gehört hast, aber der Hoteldirektor besteht darauf, daß wir ausziehen, und zwar sofort. « »Sofort? Aber wir wollten doch morgen sowieso -« »Nicht morgen«, unterbrach ihn Trautman. »Jetzt. Innerhalb der nächsten Stunde. Juan und Chris sind schon dabei, ihre Sachen zu packen. « »Dann ziehen wir eben in ein anderes Hotel«, sagte Mike.

»So einfach ist das nicht«, antwortete Trautman düster. »Es ist Hochsaison. Die Stadt ist so gut wie ausgebucht, und außerdem habe ich einer ganzen Anzahl von Leuten diese Adresse hier gegeben. Du weißt ja, daß ich noch gewisse Einkäufe tätigen muß. Das meiste habe ich mittlerweile bekommen, aber das eine oder andere wird noch hierhergebracht. «

»Vielleicht kann ich Ihnen da helfen«, sagte Lady Grandersmith. »Ich besitze ein Haus in der Nähe Kairos. Es ist groß genug, und es ist ausreichend Personal da. Sie und Ihre jungen Freunde können gerne dort wohnen, bis Sie Ihre Besorgungen erledigt haben. Ich werde Hasim hier lassen. Er wird alles, was für Sie angeliefert wird, zuverlässig weiterleiten. «

Trautman zögerte. Es war ihm anzusehen, daß ihm Lady Grandersmith' Vorschlag nicht gefiel. »Das Haus liegt übrigens ganz in der Nähe der Pyramiden«, fuhr Lady Grandersmith fort. »Ich habe den Kindern versprochen, sie heute Abend dorthin zu begleiten. Auf diese Weise könnten wir das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. «

»Die Pyramiden?« wiederholte Trautman verständnislos. Offenbar war ihm bisher noch gar nicht klargeworden, daß sie sich ganz in der Nähe eines der phantastischsten Bauwerke der Welt befanden. »Kairo zu besuchen, ohne die Pyramiden zu sehen, ist eine Sünde«, sagte Lady Grandersmith. »Geben Sie sich einen Ruck, Mister Trautman. Die Kinder werden sich freuen, und was Ihre Einkäufe angeht, so wird Hasim Ihnen nach Kräften helfen. « Plötzlich lächelte sie ein wenig spöttisch. »Sie hätten mich ohnehin schon viel eher fragen sollen. Hasim ist der geborene Händler. Wenn er Sie auf den Basar begleitet, sparen Sie garantiert ein hübsches Sümmchen. «

Trautman kämpfte noch einen Moment mit sich, aber dann nickte er schließlich widerstrebend. »Wie die Dinge liegen, haben wir ja wohl keine andere Wahl«, sagte er. Zu Mike gewandt, fügte er hinzu: »Auch wenn ich keinen Hehl daraus machen will, daß es mir nicht gefällt, dich für den Vorfall von heute morgen auch noch zu belohnen. «

Es klopfte wieder, und diesmal wurde die Tür geöffnet, noch bevor sich Trautman ganz herumgedreht hatte, und Serena und Ben traten ein. Von Ben waren allerdings nur die Beine zu sehen -sein Oberkörper war hinter einem gewaltigen Berg von Kartons und Tüten verschwunden, den er auf ausgestreckten Armen vor sich her balancierte.

Serena lief an Trautman vorbei auf Mike zu. »Mike! Du glaubst gar nicht, was ich Wundervolles -« Siebrach mitten im Satz ab. Mit leiser Überraschung sah sie Lady Grandersmith an, doch als ihr Blick auf die in Schwarz gekleidete Gestalt hinter der Lady fiel, erschien ein Ausdruck des Schreckens auf ihrem Gesicht. Es war nicht das erste Mal, daß Serena so auf Yasal oder dessen Bruder Hasim reagierte. Mike hatte sie ein paar Mal darauf angesprochen, aber nie eine ausreichende Antwort bekommen, doch er zweifelte keine Sekunde daran, daß Serena regelrecht Angst vor den beiden hatte. Sie hatte zwar seit ihrem Abenteuer in der Stadt auf dem Meeresgrund all ihre magischen Fähigkeiten eingebüßt, die einen Teil ihres Erbes als Prinzessin von Atlantis ausmachten, aber sie war trotzdem noch sehr viel sensibler als die meisten Menschen. »Oh«, sagte sie. »Lady Grandersmith. Ich wußte nicht, daß Sie hier sind. «

Lady Grandersmith lächelte, aber es wirkte ein bißchen verlegen. Serena hatte sich bereits wieder in der Gewalt, aber ihr Erschrecken bei Yasals Anblick war nicht zu übersehen gewesen. Vermutlich war es Lady Grandersmith peinlich, daß der Anblick ihres Leibwächters anderen Menschen Furcht einflößte. »Mister Trautman und ich hatten etwas zu besprechen«, antwortete sie ausweichend. »Aber nun muß ich gehen. Ich habe noch eine Menge Vorbereitungen zu treffen. « Sie wandte sich direkt an Trautman: »Sagen wir, in einer halben Stunde, unten beim Empfang? Oder brauchen Sie mehr Zeit?«

»Eine halbe Stunde?« fragte Serena. »Wozu?« »Um zu packen«, antwortete Trautman mit einem schrägen Blick in Mikes Richtung. »Wir reisen heute schon ab. Frag Mike, weshalb. Er kann es dir besser erzählen als ich. «

Mike schrumpfte unter seinen Blicken ein wenig zusammen, während auf Lady Grandersmith' Lippen ein gutmütiges Lächeln erschien.

»He! Könnte mir vielleicht jemand irgend etwas abnehmen?« Bens Stimme drang nur dünn durch den Kartonstapel, den er noch immer vor sich trug. Niemand reagierte. »Also in einer halben Stunde unten am Empfang«, wiederholte Lady Grandersmith. »Und jetzt entschuldigen Sie mich, Mister Trautman. Ich werde versuchen, einen Wagen zu besorgen, der uns alle in mein Haus bringt. Keine Sorgen wegen der dummen Geschichte von vorhin. Ich bringe das schon in Ordnung. « Sie ging zur Tür. Singh öffnete ihr, und Yasal schloß sich seiner Herrin schweigend an. Während Lady Grandersmith das Zimmer verließ, machte der Beduine einen Bogen um Ben, aber in diesem Moment begann der junge Engländer unter seiner Last zu wanken. Yasal versuchte ihm auszuweichen, doch Ben stolperte gegen den Beduinen, und einige der Kartons, die sich auf seinen Armen stapelten, gerieten ins Rutschen. Serena stieß einen erschrockenen Laut aus, und Mike machte instinktiv eine Bewegung, um zuzugreifen, aber er schaffte es nicht. Einige der sorgsam in Geschenkpapier eingeschlagenen und mit Schleifen versehenen Kartons rutschten zur Seite und stürzten zu Boden. In diesem Moment geschah etwas Unheimliches. Yasal schien zu einem Schatten zu werden, der so schnell vibrierte, daß seine Umrisse zu verschwimmen begannen. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber als er wieder er selbst war, da hatte er alle vier Kartons sicher in seinen Armen. Mike starrte den Beduinen fassungslos an. Auch Ben blickte ungläubig zu der schwarzen Gestalt hoch, von der nur die Augen unter dem schwarzen Turban sichtbar waren, und zwischen Serenas hellblonden Augenbrauen war eine steile Falte erschienen. Trautman blinzelte. »Das war aber knapp«, sagte Lady Grandersmith fröhlich. »Du solltest die Kartons absetzen, Ben, bevor noch etwas herunterfällt und kaputtgeht. « »Aber... aber... aber wie hat er das gemacht?« murmelte Ben verblüfft. Lady Grandersmith lachte. Bens Erstaunen amüsierte sie ganz offensichtlich. »Er ist ziemlichschnell, nicht wahr? Und das ist nicht die einzige Überraschung, die er und Hasim bereit haben. «

Und damit ging sie. Yasal setzte die Kartons neben Ben auf den Boden und folgte ihr, und draußen auf dem Gang schloß sich ihnen auch sein Bruder Hasim an. Mike starrte den beiden nach, bis sie im Aufzug verschwunden waren. Ein unheimliches, diesmal fast beängstigendes Gefühl breitete sich in ihm aus. Was hatte Lady Grandersmith gesagt?Und das ist nicht die einzige Überraschung, die sie bereit haben?Er war nicht sicher, ob er wissen wollte, was Lady Grandersmith damit gemeint hatte.

Lady Grandersmith war gerade gegangen, als es erneut an der Tür klopfte. Diesmal stand eine ganze Abordnung des Hotelpersonals draußen auf dem Gang, die den Auftrag hatte, Mike und den anderen dabei behilflich zu sein, ihre Sachen zu packen und die Zimmer zu räumen. Offensichtlich konnte der Hotelmanager sie nicht schnell genug loswerden.

Noch vor Ablauf der vereinbarten halben Stunde standen sie alle mit einem gewaltigen Berg aus Koffern, Kisten, Tüten, Paketen und Päckchen (das allermeiste davon gehörte Serena) im Foyer des Hotels und warteten auf Lady Grandersmith. Trautman hatte darauf bestanden, für ihre letzten Momente hier im Hotel gewisse Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Sie bestanden aus einem geflochtenen Katzenkorb (den Astaroth in ungefähr einer Sekunde hätte sprengen können) und einer zehnminütigen Standpauke, die Trautman dem Kater gehalten hatte. Sie mußte wohl sehr eindringlich gewesen sein, denn zur allgemeinen Überraschung war Astaroth widerspruchslos in den Korb gehüpft, ehe Mike sein Zimmer verließ.