122177.fb2 Die schwarze Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Die schwarze Bruderschaft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Die halbe Stunde ging vorüber, ohne daß sich eine Spur von Lady Grandersmith zeigte. Sie warteten fünf Minuten, zehn, schließlich eine Viertelstunde. Trautman schickte einen Hotelboy hinauf zu Lady Grandersmith' Zimmer, aber dieser kam schon nach wenigen Minuten unverrichteter Dinge zurück. Kurz darauf erschien der Hotelmanager selbst, um mit Trautman zu sprechen, und Mike sah sich und die anderen bereits mit dem gesamten Gepäck auf der Straße sitzen. Bevor es jedoch soweit kommen konnte, fuhr draußen schnaufend und klappernd ein Lastwagen vor. Er sah aus, als ob er mindestens hundert Jahre alt wäre, und bestand fast ausschließlich aus Rostschutzfarbe, Schmutzflecken, nachträglich eingesetzten Blechen, ausgebesserten Stellen und Flecken aller möglichen Farben. Gut die Hälfte der Windschutzscheibe fehlte, und das Geländer rings um die Ladefläche schien ungefähr hundert Generationen junger Termiten als Trainingslager gedient zu haben. Der Motor hustete und keuchte, und aus dem Auspuff quollen schwarze, fettige Qualmwolken, die wahrscheinlich noch am anderen Ende der Stadt zu riechen sein mußten. Ein kleiner, in einen bunten Kaftan gekleideter Mann sprang heraus undbewegte sich zielstrebig auf den Empfang zu. »Au weia!« sagte Ben. »Mir schwant Übles. Diese Klapperkiste ist doch nicht etwa der Wagen, von dem Lady Grandersmith gesprochen hat?« Aber genau das war er. Trautman beendete seine Diskussion mit dem Manager und kam zu ihnen. »Also, jeder schnappt sich einen Koffer und trägt ihn zum Wagen«, sagte er. »Je eher wir hier wegkommen, desto besser. «

»Aber das ist doch nicht Ihr Ernst!« beschwerte sich Ben. »Ich weigere mich, auch nur einen Fuß auf diesen rollenden Schrotthaufen zu setzen!«

»Kein Problem«, sagte Trautman kühl. »Du kannst gerne hinterherlaufen. Der Wagen wird uns zu Lady Grandersmith bringen. Er ist vielleicht nicht schön, aber er fährt, oder? Und ich weiß nicht, wie lange ich den Manager noch davon abhalten kann, die Polizei zu rufen. Also los!«

Ben zog ein langes Gesicht, aber er schnappte sich schweigend einen Koffer (den kleinsten, der greifbar war) und trug ihn zum Wagen. Auch die anderen -Trautman und Singh eingeschlossen -packten kräftig mit an, so daß nur ein paar Minuten vergingen, bis der Wagen beladen war.

»Und jetzt?« maulte Ben. »Wo sollen wir sitzen?« Trautman machte eine Geste zur Ladefläche hinauf. »Da ist immer noch Platz genug. « Sie kletterten hintereinander auf die Ladefläche des Lkw. Der Motor erwachte qualmend und spuckend zum Leben, kaum daß Trautman nach vorne zu dem Fahrer in die Kabine gestiegen war, und nach wenigen Augenblicken entfernten sie sich vom Hotel.Du könntest mich allmählich aus diesem Käfig herauslassen,sagte eine Stimme in Mikes Kopf.Hier drinnen ist es ungefähr so gemütlich wie in einem Backofen.»Geschieht dir ganz recht«, antwortete Mike. »Eigentlich sollte ich dich drinnenlassen. Immerhin ist die ganze KatastrophedeineSchuld. « Trotzdem beugte er sich vor und öffnete den Verschluß des Katzenkorbes. Astaroths Kopf erschien über dem Rand des Korbes, aber er machte keine Anstalten, herauszuspringen.Puh, wie ungemütlich! Und so etwas nennt ihr Urlaub machen?

»Ein komfortableres Gefährt stand uns leider nicht zur Verfügung«, antwortete Mike spitz. »Wir mußten das Hotel nämlich ziemlich überhastet verlassen, weißt du?«

»Sag bloß, dieser einäugige Mäuseschreck beschwert sich auch noch!« sagte Ben.

Einäugiger Mäuseschreck?! Wen, bitte schön, meint er damit?

»Hör nicht hin«, sagte Mike hastig. »Er sagt manchmal komische Sachen. «

Komisch?spöttelte Astaroth.Das war nicht komisch, glaub mir. Aber... weißt du, was wirklich komisch ist?»Nein. «

Komisch ist,antwortete Astaroth betont,daß die großen

Pyramiden von hier aus gesehen im Westen liegen. Und wenn ich mich nicht furchtbar täusche, dann fahren wir schon seit einer ganzen Weile in die entgegengesetzte Richtung.

Mike fuhr so abrupt in die Höhe, daß die anderen ihre Gespräche unterbrachen und ihn neugierig ansahen. »Was ist los?« fragte Ben.

»Ich... bin nicht sicher«, sagte Mike. »Aber liegen die Pyramiden nicht in der entgegengesetzten Richtung?« Serena runzelte die Stirn, Chris und Juan blickten aufmerksam um sich, sagten aber nichts. Singh sah sich nur einmal kurz um, dann stand er auf und kletterte mit geschickten Bewegungen über die nahezu vollgestopfte Ladefläche des Lkw nach vorne. Mike sah, wie er sich mit der linken Hand an den Aufbauten festhielt, zugleich mit dem linken Fuß festen Halt suchte und sich dann in weitem Bogen nach außen schwang, um so neben die Beifahrertür des Wagens zu gelangen. Der Motorenlärm verschlang den größten Teil seiner Worte, aber Mike bekam immerhin mit, daß er mit Trautman sprach. Singhs Gesicht war wie üblich keinerlei Regung anzusehen, als er wieder auf den Wagen heraufkletterte, aber Mike spürte, daß ihm das, was er gehört hatte, nicht besonders gefiel. »Er sagt, es wäre eine Abkürzung«, sagte er. »Ob es stimmt, weiß ich nicht. Aber in einem habt Ihr recht, Herr -wir fahren in die falsche Richtung. « Sie hatten die Hauptstraße verlassen und bewegten sich mittlerweile durch eines jener Stadtviertel Kairos, die man Touristen normalerweise wohl nicht zu zeigen pflegte. Die Häuser zu beiden Seiten waren zumeist zweigeschossig und weiß, mit flachen Dächern und kleinen, glaslosen Fenstern, aus denen neugierige Gesichter zu ihnen herausstarrten; viele davon verschleiert. Sie kamen jetzt auch nur noch im Schrittempo vorwärts. Die Straße war sehr viel schmaler als die, durch die sie bisher gefahren waren, aber dafür vollgestopft mit Menschen, die dem heranrumpelnden Lkw nur widerwillig Platz machten.

»Schau dir mal die beiden Typen da hinten an!« sagte Ben düster. »Sie folgen uns schon eine ganze Weile. « Mikes Blick folgte der Richtung, in die Bens ausgestreckte Hand wies. Zwanzig oder dreißig Schritte hinter ihnen befanden sich zwei schwarzgekleidete Gestalten, die dem Wagen folgten. In der einen Straße herrschte ein ziemliches Gedränge von Menschen und Tieren, und trotzdem schienen die beiden fast allein. Jedermann machte ihnen Platz, als wäre etwas an ihnen, was die Menschen davon abhielt, ihnen zu nahe zu kommen.

Mike erkannte die beiden im selben Augenblick, in dem Ben laut sagte: »Ich fresse eine Woche lang nichts anderes als Astaroths Katzenfutter, wenn das nicht Lady Grandersmith' Lakaien sind!« Er hatte recht. Die beiden waren Yasal und Hasim. Lady Grandersmith' Leibwächter und Diener. »Was soll das?« fragte Juan. »Wieso folgen uns die beiden?«

»Fragen wir sie«, sagte Singh entschlossen. Er wandte sich wieder um, balancierte auf die gleiche halsbrecherische Weise nach vorne wie gerade vorhin und rief dem Fahrer durch das offene Fenster auf der Beifahrerseite etwas zu.

Als Antwort darauf trat dieser auf das Gaspedal -und der scheinbar schrottreife Lkw machte einen Satz, der einem Rennwagen zur Ehre gereicht hätte. Singh schrie auf, verlor um ein Haar den Halt und klammerte sich im allerletzten Moment an den Aufbauten des Lkw fest.

Menschen und Tiere sprangen entsetzt dem heranrasenden Wagen aus dem Weg. Wie durch ein Wunder hatten sie bisher noch niemanden überfahren, aber Mike fürchtete, daß das sehr bald geschehen würde, denn der Wagen wurde nicht langsamer, sondern immer schneller, und dazu begann er heftig zu schlingern, schoß mal nach rechts, dann wieder nach links, und prallte schließlich gegen eines der Häuser auf der linken Straßenseite. Mike wurde von den Füßen gerissen und fiel kopfüber in den Gepäckberg hinein, der sich auf dem vorderen Teil der Ladefläche stapelte. Funken stoben, als das Führerhaus kreischend an der Hauswand entlangschrammte. Steinsplitter, Kalk und die Reste von abgerissenen Türund Fensterläden flogen wie eine bizarre Bugwelle hinter ihnen her, dann machte der Wagen einen jähen Satz zur Seite, rumpelte einen Moment lang auf der Straße entlang und näherte sich dann der gegenüberliegenden Häuserreihe. Ein Chor von Flüchen und Verwünschungen folgte ihnen, Fäuste wurden geschüttelt, Steine und andere Wurfgeschosse hinter ihnen hergeschleudert, und Mike sah, daß Yasal und Hasim zu rennen begonnen hatten.

Dann erinnerte er sich an etwas, was ihn vor Schreck herumfahren und die beiden unheimlichen Beduinen auf der Stelle vergessen ließ: Singh!

Der Inder hatte es nicht geschafft, sich wieder auf den Wagen hinaufzuziehen. Er hing, sich mit nur einer Hand festklammernd, an den Aufbauten und ruderte verzweifelt mit der anderen in der Luft und versuchte sich festzuklammern. Seine Beine pendelten wild hin und her und knallten immer wieder gegen die Tür auf Trautmans Seite. Und das war nicht das schlimmste. Das schlimmste war, daß sich der Wagen unaufhaltsam der Häuserreihe auf der rechten Straßenseite näherte. Singh würde einfach zerquetscht werden, wenn er gegen die Wand prallte! »Singh!« schrie Mike entsetzt. »Laß los!« Aber Singh hörte seine Worte entweder nicht, oder er wagte es nicht, bei diesem mörderischen Tempo tatsächlich abzuspringen. Mikes Gedanken überschlugen sich. Es blieben vielleicht noch drei oder vier Sekunden... Mike schnellte vor, umfaßte Singhs Handgelenk und riß den Inder mit aller Gewalt in die Höhe. Singh packte gedankenschnell zu, fand schließlich irgendwo doch noch Halt und wurde regelrecht über die Ladewand des Lkw katapultiert.

Keinen Augenblick zu früh. Das Führerhaus des Wagens krachte gegen die Wand und schlingerte funkensprühend daran entlang. Nur einen Sekundenbruchteil später, und Singh wäre...

Nein. Mike, der von dem Anprall wie alle anderen von den Füßen gerissen worden war, arbeitete sich in die Höhe und blickte direkt in Singhs schreckensbleiches Gesicht.

»Danke, Herr«, keuchte der Inder. »Ihr habt mir das Leben gerettet. «

Damit steht es ungefähr fünfundzwanzig zu eins, dachte Mike. Er hatte längst aufgehört zu zählen, wie oft Singhihmdas Leben gerettet hatte. »Trautman!« schrie er. »Was ist da vorne los?!«

Für das wilde Hinundherschaukeln des Wagens gab es eigentlich nur eine einzige Erklärung: Wahrscheinlich lieferten sich Trautman und der Fahrer gerade eine wilde Rangelei -die durchaus mit ihrer aller Tod enden konnte, denn der Wagen wurde noch schneller. »Mike!« brüllte Ben von hinten. Seine Stimme schnappte fast über. »Tu was! Wir müssen den Wagen anhalten! Sieh doch!«

Mike sah in die Richtung, in die Bens ausgestreckte Hand wies -nicht weit vor ihnen endete die Straße vor einer zwei Stockwerke hohen Mauer mit einem geschlossenen Tor!

Es war zu spät, um noch irgend etwas zu unternehmen -alles, was ihm noch blieb, war, entsetzt die Arme über den Kopf zu schlagen und sich auf den Anprall vorzubereiten.

Der Wagen krachte wie eine Kanonenkugel gegen das Tor und zerfetzte es, als bestünde es aus dünnem Papier, und für eine einzige, scheinbar endlose Sekunde schien die Welt nur noch aus Schreien, wirbelnden Trümmern und auseinanderbrechendem Metall zu bestehen. Ein unvorstellbarer Schlag ließ das gesamte Gebäude in seinen Grundfesten erbeben, und Mike fühlte sich wie von einer unsichtbaren Faust gepackt und in die Höhe gerissen. Noch während der Wagen durch das zerberstende Tor schoß, wurden Mike und alle anderen in hohem Bogen von der Ladefläche geschleudert. Wahrscheinlich rettete ihnen das das Leben. Mike überschlug sich ein paarmal hintereinander, ehe er liegenblieb, aber er sah trotzdem, wie der Wagen, eingehüllt in einen Regen aus durcheinanderfliegenden Ziegeln und Metallteilen, weiter in das Haus hineinschoß und dann mit fast unverminderter Wucht gegen die jenseitige Wand prallte. Was vom Führerhaus noch übrig war, verwandelte sich sofort in einen Schrotthaufen. Der Wagen wurde durch die Wucht des Aufpralles ein Stück

zurückgeschleudert, neigte sich zur Seite und kippte schließlich

um.

»Trautman!« keuchte Mike. »Um Gottes willen -Trautmann!!!«

Die Angst um seinen väterlichen Freund ließ ihn alles andere vergessen. Er sprang in die Höhe und raste auf den umgestürzten Lastwagen zu. Dabei bekam er noch mit, wie Singh hinter ihm hochkam und ebenfalls zu laufen begann. Vor seinem geistigen Auge sah er ein schreckliches Bild: Trautman, der tot im Wrack des Führerhauses lag, zerschmettert durch den gewaltigen Aufprall, den kein Mensch überlebt haben konnte. Singh und er mußten den Wagen umrunden, um an die zerbeulte Beifahrertür zu gelangen, und gerade, als Mike sie aufreißen wollte, ertönte ein metallisches Reißen, und sie wurde von innen aufgestoßen. Alles ging so schnell, daß er im Grunde nur einen Schatten sah. Etwas -irgend etwas, nicht Trautman! tauchte in einem Wirbel aus Schwarz aus dem Wagen auf, fetzte mit einer gewaltigen Bewegung die kaputte Tür vollends aus den Angeln und raste so schnell zwischen Singh und ihm hindurch, daß sie nicht einmal Gelegenheit bekamen, es richtig zu sehen; geschweige denn, danach zu greifen. Irgend etwas Kaltes schien ihn zu streifen, aber vielleicht war das das falsche Wort: es berührte Mike nicht wirklich, sondern schien vielmehr seine Seele zu streifen...

Mike verscheuchte den Gedanken, rannte weiter und zog sich mit einer hastigen Bewegung an dem zertrümmerten Führerhaus in die Höhe, um einen Blick in sein Inneres zu werfen.

Trautman hockte mit blutüberströmtem Gesicht und sichtbar benommen auf dem Boden, aber er war am Leben, und er schien nicht einmal sehr schwer verletzt zu sein, denn als Mike die Hand nach ihm ausstreckte und Anstalten machte, zu ihm in den Wagen zu klettern, schüttelte er hastig den Kopf und begann mit beiden Händen zu gestikulieren, in denen er etwas Buntes hielt.

»Der Fahrer!« sagte er. »Schnappt euch den Kerl! Schnell!«

Mike starrte ihn eine halbe Sekunde lang völlig verwirrt an. Erst dann sah er, daß Trautman allein im Wagen war -und daß er nichts anderes als die Fetzen eines bunten Kaftans in den Händen hielt. Was Singh und ihn fast von den Füßen gerissen hätte, war nichts anderes als der Lkw-Fahrer gewesen! »Schnappt ihn euch!« schrie Trautman noch einmal. »Los doch! Er darf nicht entkommen!« Das wirkte. Mike fuhr herum und hielt nach dem Schatten Ausschau, der aus dem Wagen gesprungen war. Er sah gerade noch, wie dieser durch eine schmale Tür in einer der Seitenwände verschwand. Seltsamerweise konnte er ihn auch jetzt nicht richtig erkennen. Alles, was er sah, war etwas Dunkles, Wirbelndes, das gar keine richtige Form zu haben schien. Dann war es verschwunden, und die Tür fiel mit einem dumpfen Knall ins Schloß.

»Hinterher!« befahl Mike. Singh war bereits herumgefahren und setzte mit ein paar großen Sprüngen hinter dem Fahrer her. Noch bevor Mike vom Wagen heruntergesprungen war, hatte er die Tür erreicht und aufgerissen.

»Singh!«schrie Mike.»Nicht! Warte auf mich!«Er wußte selbst nicht, warum er das rief, er brauchte sich bestimmt keine Sorgen um Singh zu machen -der Inder war nicht nur sein Freund und Leibwächter, sondern auch einer der stärksten Männer, die Mike je kennengelernt hatte, auch wenn man ihm dies auf den ersten Blick nicht ansah. Er war ein Sikh, ein Mitglied der alten Kriegerkaste Indiens, die überall auf der Welt für ihren Mut und ihre Tapferkeit bekannt war. Und trotzdem... Es hatte mit dem Schatten zu tun, den er kaum richtig gesehen hatte. Irgend etwas an diesem Schatten war unheimlich gewesen; auf eine seltsame, kaum in Worte zu fassende Weisefalsch...Singh reagierte nicht auf Mikes Schrei, sondern verschwand mit einem gewaltigen Schritt durch die Tür. Mike rannte, so schnell er konnte, und erreichte den Durchgang kaum eine Sekunde nach dem Inder. Trotzdem konnte er Singh nicht mehr sehen -der Inder war bereits eine ausgetretene Steintreppe hinuntergehetzt, die unmittelbar hinter der Tür begann und sich bereits nach wenigen Stufen in undurchdringlicher Finsternis verlor. Mike konnte bloß die Schritte Singhs irgendwo unter sich hören.

Etwas an dieser Dunkelheit erschreckte ihn so sehr, daß er abrupt stehenblieb und für ein paar Sekunden zögerte weiterzulaufen. Es war, als wäre dort vor ihm nicht nur Dunkelheit, nicht nur die Abwesenheit von Licht, sondern die Anwesenheit von etwas anderem, Unbeschreibbarem, das das Tageslicht aufgesogen hatte und auch ihn verschlingen würde, wenn er den Fehler beging, ihm zu nahe zu kommen. Das Gefühl war für einen Moment so intensiv, daß er einfach nicht dagegen ankam.

Aber dann hörte er wieder Singhs Schritte, und die Sorge um seinen Freund war größer als seine Furcht. Mike nahm all seinen Mut zusammen und stürmte hinter Gundha Singh die Treppe hinab.

Vor ihm war nichts -keine körperlosen Ungeheuer, die sich auf ihn stürzten, kein Abgrund, der sich jäh unter seinen Füßen auftat, sondern tatsächlich nichts als Dunkelheit. Und doch.. In dieser Dunkelheitwaretwas. Mike konnte es mit fast körperlicher Intensität spüren; so als berührten unsichtbare Spinnweben sein Gesicht und seine Hände. Was er gerade noch als Ausgeburt seiner eigenen überreizten Phantasie abgetan hatte, das wurde jetzt fast zur Gewißheit. Erhatteeine unsichtbare Grenze überschritten. Es war, als wäre er plötzlich gar nicht mehr in seiner Welt, sondern in... Ja, wo eigentlich?

Das Gefühl war so erschreckend, daß er gar nicht bemerkte, daß er das Ende der Treppe erreicht hatte, sondern mit voller Wucht gegen Singh prallte und ihn um ein Haar von den Füßen gerissen hätte. Singh taumelte zur Seite, Mike stolperte einen Schritt zurück und hatte alle Mühe, sein Gleichgewicht zu halten.

»Ist Euch etwas passiert, Herr?« fragte Singh erschrocken.

Mike schüttelte den Kopf und sah sich mit Erstaunen und Unglauben um. Singh und er befanden sich in einem kleinen, vielleicht fünf oder auch acht Schritte messenden Kellerraum, der weder einen zweiten Ausgang noch ein Fenster hatte. Die Wände bestanden aus uraltem, aber trotzdem höchst massivem Mauerwerk. Direkt neben der Tür brannte eine Fackel, die die Kammer in düsterrote, flackernde Helligkeit tauchte. »Wo... wo ist er?« frage Mike verwirrt. Singh hob hilflos die Schultern. Er sagte nichts, aber Mike konnte auf seinem Gesicht dieselbe Verblüffung lesen, die auch er selbst verspürte. Der Mann war fort. »Aber das ist doch unmöglich!« murmelte Mike. Diesmal antwortete Singh. »Ich war nur zwei oder drei Schritte hinter ihm. Ich konnte ihnhören.Aber er ist verschwunden. «

»Unmöglich«, sagte Mike noch einmal -als würde es ausreichen, dieses Wort nur oft genug auszusprechen, um den verschwundenen Fahrer wie aus dem Nichts wieder erscheinen zu lassen, aber es blieb dabei: Der Fremde war spurlos verschwunden. Innerhalb einer einzigen Sekunde und aus einem Kellerraum, der keinen zweiten Ausgang hatte. Jedenfalls keinen, den mansehenkonnte... »Das ist es!« sagte Mike aufgeregt. »Ein Geheimgang. Es muß hier irgendwo eine Geheimtür geben! Komm, hilf mir suchen!«

Singh sah ihn zweifelnd an, und Mike spürte, wie wenig überzeugend seine Worte klangen. Selbst wenn es hier unten eine Geheimtür gab -die Zeit hätte für den Mann nicht ausgereicht, sie zu öffnen, hindurchzuschlüpfen und spurlos wieder hinter sich zu schließen, und das alles in der einen Sekunde, die sein Vorsprung betragen hatte.

Trotzdem protestierte Singh nicht, sondern begann gehorsam die steinerne Wand auf der rechten Seite abzutasten, während Mike auf der linken Seite dasselbe tat. Mit dem Ergebnis, das er sich eigentlich hätte denken können -nämlich keinem. Die Wand war das, wonach sie aussah: alt, modrig und sehr massiv. Plötzlich aber stieß Singh einen leisen, überraschten Ruf aus. Mike fuhr herum und trat mit zwei schnellen Schritten neben ihn. »Was ist?« fragte er. »Hast du die Tür gefunden?«

»Nein, Herr«, antwortete Singh. »Aber seht -das ist -seltsam.

«