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Science Fiction Roman

Aus dem Englischen übertragen von Tony Westermayr

Titel der englischen Originalausgabe: The City and the Stars

© der Originalausgabe 1956 by Arthur C. Clarke

© der deutschsprachigen Ausgabe 1986

Arthur C. Clarke

ARTHUR C(HARLES) CLARKE ist der bekannteste SFSchriftsteller Englands — zusammen mit Asimov und Heiniein wohl der berühmteste Autor dieses Genres auf der Welt. Seinen Weltruf erlangte er als Mitautor von ›2001 — Odyssee im Weltraum‹. Diesem Film von Stanley Kubrick lag eine Geschichte Clarkes zugrunde, die er später zum Roman ausbaute.

Clarke wurde 1917 in Somerset geboren, begann schon vor dem Zweiten Weltkrieg SF Stories zu schreiben, die jedoch erst nach 1945 von einem Verlag angenommen wurden. Im Krieg war er Offizier, danach studierte er in London Mathematik und Physik. Bereits 1945 hatte er die Idee, durch Nachrichtensatelliten ein weltweites Fernsehprogramm zu ermöglichen. 1950 wurde er freiberuflicher Schriftsteller. Ab den 60er Jahren wandte er sich mehr dem wissenschaftlichen Sachbuch als der SF zu. Schließlich zog er sich fast völlig vom Schreiben zurück und betreibt heute ein Tauchunternehmen auf Sri Lanka (Ceylon). A. C. Clarke hat sämtliche auf dem Gebiet der SF möglichen Preise mehrmals erhalten. Außer ›2001‹ sind seine berühmtesten und von der Kritik am meisten geschätzten Romane ›Die sieben Sonnen‹ und ›Die letzte Generation‹, die auch beim großen Publikum Erfolge wurden.

PROLOG

Wie ein glitzerndes Juwel lag die Stadt inmitten der Wüste. Einst hatte sie Veränderung und Wechsel erfahren, jetzt aber ging die Zeit an ihr vorüber. Tag und Nacht flogen über die Wüste dahin, aber in den Straßen Diaspars war es immer Nachmittag, und niemals brach die Dunkelheit herein. Die langen Winternächte mochten die Wüste mit Reif überziehen, wenn die in der dünnen Luft der Erde enthaltene Feuchtigkeit erstarrte — doch die Stadt kannte weder Hitze noch Kälte. Sie hatte keine Berührung mit der Außenwelt; sie war ein abgeschlossenes Universum.

Auch früher hatten die Menschen Städte gebaut, aber nie eine Stadt wie diese. Manche überdauerten Jahrhunderte, einige sogar Jahrtausende, ehe die Zeit auch ihre Namen verschlang. Allein Diaspar hatte die Ewigkeit herausgefordert, sich und alle, denen sie Schutz gewährte, gegen die langsame Abnutzung der Zeit, die Verheerung der Fäulnis und die Verderbnis des Rostes verteidigt.

Seit der Gründung der Stadt waren die Meere ausgetrocknet, und die Wüste hatte sich über den ganzen Erdball ausgebreitet. Die letzten Berge waren vom Wind und Regen zu Staub zermahlen worden, und die Welt fühlte sich zu müde, um neue Berge hervorzubringen. Die Stadt kümmerte sich nicht darum. Und sollte die Erde selbst zerbröckeln, Diaspar würde die Kinder ihrer Schöpfer schützen und sie sicher den Strom der Zeit hinuntertragen.

Sie hatten viel vergessen, aber das wußten sie nicht. Sie waren an ihre Umwelt so vollkommen angepaßt, wie diese an sie — denn man hatte beide gleichzeitig entworfen. Was jenseits der Stadtmauern lag, berührte sie nicht. Diaspar war alles, was existierte, alles, was sie brauchten, alles, was sie sich vorstellen konnten. Es war ihnen gleichgültig, daß der Mensch die Sterne besessen hatte.

Und doch erhoben sich manchmal die alten Mythen und verfolgten sie; sie wurden unruhig, wenn sie sich an die Legenden des Imperiums erinnerten, als Diaspar noch jung war und vom Handel mit vielen Sternen lebte. Sie wollten die alten Tage nicht wiederbringen; sie waren mit dem ewigen Herbst zufrieden. Der Ruhm des Imperiums gehörte der Vergangenheit an, und dort sollte er bleiben — denn sie dachten auch an das Ende des Imperiums. Bei dem Gedanken an die Invasoren kroch die Eiseskälte des Weltraums in ihren Adern hoch.

Dann wandten sie sich wieder dem Leben und der Wärme der Stadt zu, dem langen goldenen Zeitalter, dessen Anfang bereits im Nebel der Vergangenheit verloren und dessen Ende noch entfernter war. Andere Menschen hatten von einem solchen Zeitalter geträumt, aber sie allein hatten es erreicht.

Denn sie hatten in der gleichen Stadt gelebt, waren die gleichen, wunderbar unveränderten Straßen gegangen, während mehr als tausend Millionen Jahre dahingezogen waren.

1

Sie hatten viele Stunden gebraucht, um sich aus der Höhle der weißen Drachen frei zu kämpfen. Selbst jetzt wußten sie nicht genau, ob sie noch von den Ungeheuern verfolgt wurden — und die Leistungskraft ihrer Waffen war beinahe erschöpft. Voraus wies ihnen der schwebende Lichtpfeil, ihr geheimnisvoller Führer im Labyrinth des Kristallberges, den Weg. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, obwohl er sie in noch schrecklichere Gefahren locken konnte.

Alvin sah sich nach seinen Begleitern um. Dicht hinter ihm ging Alystra; sie trug die Kugel aus kaltem, unauslöschlichem Licht, die seit dem Beginn ihres Abenteuers so viele Schrecken und so viele Schönheiten enthüllt hatte. Der blasse, weiße Glanz überflutete den engen Gang und fiel von den glitzernden Wänden zurück; solange die Kugel schimmerte, konnten sie ihren Weg erkennen und jede sichtbare Gefahr sofort entdecken. Aber die größten Gefahren in diesen Höhlen, das wußte Alvin nur allzugut, waren keineswegs die sichtbaren.

Hinter Alystra schleppten sich Narillian und Floranus mit den schweren Projektoren ab. Alvin fragte sich, warum die Projektoren so schwer waren; es wäre so einfach gewesen, sie mit Schwerkraftneutralisatoren zu versehen. Er dachte immer an solche Dinge, selbst mitten in den aufregendsten Abenteuern. Wenn solche Gedanken in ihm auftauchten, schien es, als erzittere für einen Augenblick die Struktur der Wirklichkeit, und er würfe hinter der Welt der Sinne einen Blick auf ein anderes Universum…

Der Gang endete vor einer nackten Felswand. Hatte sie der Pfeil wieder betrogen? Nein — als sie näher kamen, zerbröckelte der Fels zu Staub.

Durch die Mauer drang ein wirbelnder Metallspeer, der sich schnell zu einer riesigen Schraube verbreiterte. Alvin und seine Freunde zogen sich etwas zurück und warteten, bis die Maschine den Fels durchstoßen hatte. Mit ohrenbetäubendem Kreischen brach das Fahrzeug durch die Wand und kam neben ihnen zum Stehen. Eine massive Stahltür öffnete sich, und Callistron rief ihnen zu, sich zu beeilen. Warum Callistron? dachte Alvin. Was macht er hier? Einen Augenblick später waren sie in Sicherheit; die Maschine schwankte, als sie ihre Fahrt durch die Tiefen der Erde antrat.

Das Abenteuer war vorüber. Wie immer würden sie bald zu Hause sein, und das ganze Wunder, der Schrecken und die Aufregung würden hinter ihnen liegen. Sie waren müde und zufrieden. Alvin erkannte an der Neigung des Bodens, daß das unterirdische Fahrzeug in die Erde hinabfuhr.

Vermutlich wußte Callistron, was er tat, und dieser Weg führte tatsächlich nach Hause. Dennoch schien es bedauerlich…

„Callistron“, sagte er plötzlich, „warum gehen wir nicht nach oben?

Niemand weiß, wie der Kristallberg wirklich aussieht. Wie herrlich wäre es, irgendwo an seinen Hängen hinauszukommen, den Himmel und das Land ringsumher zu sehen. Wir waren lange genug unten.“

Schon als er diese Worte sprach, wußte er irgendwie, daß sie unrecht waren. Alystra schrie auf, das Innere des Untergrundfahrzeugs flimmerte wie ein Bild im Wasser, und jenseits der Metallwände, von denen sie umgeben waren, bemerkte Alvin wieder dieses andere Universum. Die zwei Welten schienen miteinander in Widerstreit zu liegen, wobei erst die eine, dann die andere das Übergewicht gewann. Dann war ganz plötzlich alles vorbei. Ein knackendes, reißendes Gefühl — und der Traum war zu Ende. Alvin befand sich wieder in Diaspar, in seinem eigenen, vertrauten Raum, einen halben Meter über dem Boden schwebend, da ihn das Schwerkraftfeld vor der Berührung mit der groben Materie schützte.

Er war wieder er selbst. Dies war die Wirklichkeit — und er wußte genau, was nun geschehen würde.

Alystra erschien als erste. Sie war eher verwirrt als ärgerlich, denn sie liebte Alvin sehr.

„Ach, Alvin!“ jammerte sie, als sie von der Wand auf ihn heruntersah, in der sie sich anscheinend materialisiert hatte. „Das Abenteuer war so aufregend! Warum mußtest du es verderben?“

„Es tut mir leid! Ich wollte eigentlich nicht — ich dachte nur, es wäre eine gute Idee…“

Er wurde vom gleichzeitigen Erscheinen Callistrons und Floranus' unterbrochen.

„Jetzt hör mal zu, Alvin“, begann Callistron. „Das ist nun das dritte Mal, daß du ein Abenteuer unterbrichst. Du hast gestern die Szene durchbrochen, als du aus dem Tal der Regenbogen emporzuklettern versuchtest.

Und am Tag vorher brachtest du alles durcheinander, als du die Zeitspur bis zum Ursprung zurückverfolgen wolltest. Wenn du die Regeln nicht einhältst, mußt du in Zukunft allein gehen.“

Zornig verschwand er mit Florarius. Narillian erschien überhaupt nicht; wahrscheinlich hatte er die ganze Sache satt. Nur das Bild Alystras blieb übrig und schaute traurig auf Alvin herab.

Alvin kippte das Schwerkraftfeld, stellte sich auf die Füße und ging zu dem Tisch, den er materialisiert hatte. Eine Schale mit exotischen Früchten erschien darauf — nicht die Speisen, die er eigentlich wünschte; in der Verwirrung waren seine Gedanken abgeirrt. Er wollte seinen Fehler nicht aufdecken, nahm die am wenigsten gefährlich aussehende Frucht und begann vorsichtig, an ihr zu saugen.

„Nun“, sagte Alystra schließlich, „was willst du tun?“

„Ich kann's nicht ändern“, erwiderte er mürrisch. „Ich halte die Regeln für Unsinn. Außerdem, wie soll ich mich an sie erinnern, wenn ich ein Abenteuer erlebe? Ich benehme mich ganz natürlich. Wolltest du denn den Berg nicht sehen?“

Alystras Augen weiteten sich entsetzt.

„Das hätte doch bedeutet, nach draußen zu gehen!“ stieß sie hervor.

Alvin wußte, daß es zwecklos war, weiterzudiskutieren. Hier lag die Schranke, die ihn von allen Menschen seiner Welt trennte und die ihn zu einem Leben der Enttäuschung zu verurteilen drohte. Er wünschte immer, nach draußen zu gehen, in Wirklichkeit wie im Traum. Und dabei war ›draußen‹ für jeden Menschen in Diaspar ein Alptraum, den keiner ertrug. Wenn es sich vermeiden ließ, sprach man nie darüber; es war etwas Unreines und Böses. Nicht einmal Jeserac, sein Hauslehrer, wollte ihm den Grund verraten…

Alystra beobachtete ihn immer noch besorgt und zärtlich zugleich. „Du bist unglücklich, Alvin“, sagte sie. „In Diaspar sollte niemand unglücklich sein. Laß mich hinüberkommen und mit dir sprechen.“

Alvin schüttelte unhöflich den Kopf. Er wußte, wo das hinführen würde.

Im Augenblick wollte er allein sein. Alystra verschwand enttäuscht.

In einer Stadt von zehn Millionen, dachte Alvin, gab es nicht einen einzigen Menschen, mit dem er wirklich reden konnte. Eriston und Etania hatten ihn auf ihre Weise gern, aber jetzt, da ihre Vormundschaft zu Ende ging, waren sie froh, ihn seinen eigenen Vergnügungen und der Gestaltung seines weiteren Lebens überlassen zu können. Als in den letzten Jahren seine Abweichung von der üblichen Art immer deutlicher zutage getreten war, hatte er oft den Groll seiner Eltern gefühlt. Nicht ihm persönlich gegenüber — das hätte er wahrscheinlich leichter bekämpfen können —, sondern gegen den unglücklichen Zufall, der ausgerechnet sie aus den Millionen Menschen der Stadt ausersehen hatte, ihm zu begegnen, als er vor zwanzig Jahren aus der Halle der Schöpfung getreten war.

Zwanzig Jahre. Er konnte sich an den ersten Augenblick erinnern und an die ersten Worte, die er jemals gehört hatte: „Willkommen, Alvin. Ich bin Eriston, dein ausgewählter Vater. Das ist Etania, deine Mutter.“ Die Worte hatten ihm damals nichts bedeutet, aber sein Verstand zeichnete sie mit fehlerloser Genauigkeit auf. Er erinnerte sich daran, wie er an seinem Körper heruntergesehen hatte; er war jetzt ein paar Zentimeter größer, hatte sich aber seit dem Augenblick seiner Geburt kaum verändert. Er war fast völlig erwachsen auf die Welt gekommen und würde sich wenig geändert haben, wenn es in tausend Jahren Zeit war, sie wieder zu verlassen.

Vor dieser ersten Erinnerung lag nichts. Eines Tages vielleicht würde dieses Nichts wiederkehren, aber diese Vorstellung war zu entlegen, um seine Gefühle in irgendeiner Weise berühren zu können.

Er wandte seine Gedanken wieder dem Geheimnis seiner Geburt zu. Es schien ihm nicht seltsam, daß er in einem einzigen Augenblick von den Mächten und Kräften geschaffen worden war, die alle anderen Dinge seines Alltagslebens erzeugten. Nein, das war nicht das Geheimnis. Das Rätsel, das er nie zu lösen vermochte und das ihm nie jemand erklären würde, war seine Einzigartigkeit.

Einzigartig. Es war ein seltsames, trauriges Wort — seltsamer und trauriger, so zu sein. Wenn es auf ihn angewendet wurde — er hatte es oft gehört, wenn ihn niemand in der Nähe glaubte —, schienen unheimliche Untertöne mitzuschwingen, die mehr als nur seine persönliche Glückseligkeit bedrohten.

Seine Eltern, sein Lehrer — jeder, den er kannte — hatten versucht, ihn vor der Wahrheit zu beschützen, als seien sie ängstlich bemüht, die Unschuld seiner langen Kindheit zu bewahren. Dieser Vorwand mußte bald entfallen; in wenigen Tagen würde er ein vollberechtigter Bürger Diaspars sein, und man würde ihm nichts vorenthalten können, was er zu wissen begehrte.

Warum, zum Beispiel, paßte er nicht in die Abenteuer? Von den vielen tausend Formen der Erholung in dieser Stadt waren sie die populärste.

Wenn man in ein Abenteuer eintrat, war man nicht nur passiver Beobachter wie bei den rohen Vergnügen primitiver Zeiten, die Alvin gelegentlich ausprobiert hatte. Man war aktiv daran beteiligt und besaß — oder es schien jedenfalls so — freien Willen. Die Ereignisse und Szenen der Abenteuer waren zwar von inzwischen vergessenen Künstlern vorbereitet worden, aber sie erlaubten einen beachtlichen Spielraum. Man konnte sich mit seinen Freunden in diese Phantasiewelten begeben, jene Spannung suchen, die es in Diaspar nicht gab — und solange der Traum dauerte, war er nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden. In der Tat, wer konnte mit Sicherheit behaupten, daß nicht Diaspar selbst der Traum war?