122179.fb2 Die sieben Sonnen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Die sieben Sonnen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Vor ihnen fiel der Boden steil nach unten, wurde am Grund der Mulde eben und stieg, steiler und steiler werdend, wieder zum gegenüberliegenden Rand empor. In der untersten Schale dieser Mulde lag ein runder See, dessen Oberfläche unaufhörlich bebte.

Obwohl sie in vollem Sonnenlicht lag, war die gesamte Senke von kohlschwarzer Farbe. Alvin und Hilvar wagten nicht einmal zu raten, aus welchem Material dieser Riesenkrater bestand, aber er war so schwarz wie der Fels einer Welt ohne Sonne. Das war noch nicht alles: Unter ihren Füßen und um den ganzen Krater verlief ein fugenloses, fast hundert Meter breites Metallband, vom Lauf der Zeit getrübt, aber ohne jedes Anzeichen des Verfalls.

Als sich ihre Augen an die unirdische Szenerie gewöhnten, begriffen Alvin und Hilvar, daß die Schwärze der Mulde nicht so allgemein war, wie sie ursprünglich gedacht hatten. Hier und dort flackerten winzige Lichter in den schwarzen Wänden auf. Sie erschienen aufs Geratewohl, verschwanden, so schnell wie sie gekommen waren, wie der Widerschein von Sternen auf einem sturmgepeitschten See.

„Wunderbar!“ rief Alvin.. „Aber was ist es?“

„Sieht aus wie ein Reflektor.“

„Aber es ist so schwarz!“

„Nur für unsere Augen. Wir wissen nicht, welche Strahlung sie verwendeten.“

„Aber sicher muß doch noch mehr vorhanden sein! Wo ist die Festung?“

Hilvar deutete auf den See.

„Sieh genau hin“, sagte er.

Alvin starrte durch die zitternde Oberfläche des Sees und versuchte, die in seinen Tiefen verborgenen Geheimnisse zu enträtseln. Anfangs konnte er nichts sehen; dann erkannte er an den seichten Stellen am Ufer ein schwaches Netzmuster aus Licht und Schatten. Er konnte das Muster bis zum Mittelpunkt des Sees verfolgen, bis das tiefe Wasser alle Einzelheiten verbarg.

Der dunkle See hatte die Festung verschlungen. Dort unten lagen die Ruinen einst mächtiger Gebäude, gestürzt von der Zeit. Aber nicht alle waren untergegangen, denn an der anderen Seite des Kraters bemerkte Alvin jetzt Steinhaufen und große Blöcke, die einst einen massiven Wall gebildet haben mußten. Das Wasser umspielte sie, aber es war noch nicht so hoch gestiegen, um sie ganz zu bedecken.

„Wir umgehen den See“, sagte Hilvar leise, als habe die majestätische Einöde Scheu in seine Seele gesenkt. „Vielleicht finden wir etwas in den Ruinen.“

Auf den ersten paar hundert Metern war die Kraterwand so steil und glatt, daß man sich kaum aufrecht halten konnte, aber nach einer Weile erreichten sie sanftere Hänge, auf denen sie ohne Schwierigkeit vorwärtskamen. Inder Nähe des Seeufers wurde die glatte Schwärze des Wasserspiegels von einer dünnen Schicht Erde verdeckt, die von den Winden herbeigetragen sein mußte.

Fünfhundert Meter entfernt türmten sich titanische Steinblöcke aufeinander, wie verstreutes Spielzeug eines kindlichen Riesen. Hier war ein Teilstück der massiven Mauer erkennbar; dort bezeichneten zwei gemeißelte Obelisken die Stelle, an der sich einst ein mächtiger Eingang befunden hatte. Überall wuchsen Moos und Kriechpflanzen und winzige, verkümmerte Bäume. Selbst der Wind wagte sich kaum zu rühren.

So stießen Alvin und Hilvar auf die Ruinen von Shalmirane. Gegen diese Mauern hatten Kräfte, die eine Welt zerstören konnten, Flammen und Donner geschleudert und waren zurückgeschlagen worden. Einst hatte dieser friedliche Himmel mit Feuer aus dem Inneren vieler Sonnen gebrannt, und die Berge von Lys mußten sich unter dem Zorn ihrer Herren wie lebende Wesen geduckt haben.

Nie hatte jemand Shalmirane erobert. Aber jetzt war die Festung, die unüberwindliche Festung, doch gefallen — gefangen und zerstört von den geduldigen Ranken des Efeus, den Generationen blind wühlender Würmer und dem langsam steigenden Wasser des Sees.

Überwältigt von dieser Majestät, gingen Alvin und Hilvar schweigend auf das kolossale Wrack zu. Sie kamen in den Schatten einer verfallenen Mauer und betraten eine Schlucht, wo die Felsberge auseinandergerissen worden waren. Vor ihnen lag der See, und kurz darauf standen sie am dunklen Wasser. Am schmalen Ufer brachen sich unaufhörlich winzige Wellen.

Hilvar sprach als erster, und seine Stimme klang ein wenig unsicher. Alvin sah ihn überrascht an.

„Das verstehe ich nicht“, sagte Hilvar langsam. „Es weht kein Wind; was also verursacht die Wellen? Das Wasser müßte eigentlich vollkommen ruhig sein.“

Ehe Alvin eine Antwort einfiel, kniete Hilvar nieder, drehte den Kopf auf die Seite und tauchte sein rechtes Ohr unter Wasser. Alvin fragte sich, was er in einer so lächerlichen Stellung zu entdecken hoffte; dann wurde ihm klar, daß er horchte. Mit Widerwillen — das Wasser sah keineswegs einladend aus — folgte er Hilvars Beispiel.

Der erste Kälteschock hielt nur eine Sekunde an; als er vergangen war, hörte er schwach, aber deutlich, ein gleichmäßiges, rhythmisches Pochen. Es schien, als könnte er, weit unten in den Tiefen des Sees, den Schlag eines Riesenherzens belauschen.

Sie schüttelten das Wasser aus dem Haar und sahen sich stumm an.

Keiner wollte aussprechen, was sie dachten — daß der See lebte.

„Es wäre am besten“, sagte Hilvar, „wenn wir in diesen Ruinen suchten und uns vom See fernhielten.“

„Glaubst du, daß da unten irgend etwas lebt?“ fragte Alvin und deutete auf die rätselhaften Wellen. „Könnte es gefährlich sein?“

„Nichts ist gefährlich, was Verstand besitzt“, erwiderte Hilvar.

Stimmt das? dachte Alvin. Und was ist dann mit den Invasoren? „Ich kann keine Gedanken entdecken, aber ich glaube, wir sind nicht alleine.

Es ist sehr seltsam.“

Sie gingen langsam zu den Ruinen der Festung zurück; jeder hörte in Gedanken diesen gleichmäßigen, gedämpften Pulsschlag. Es schien Alvin, als häufe sich Geheimnis auf Geheimnis, als entferne er sich trotz seiner Bemühungen immer weiter vom Verständnis der Wahrheiten, die er suchte.

Es hatte nicht den Anschein, als könnten ihnen die Ruinen etwas verraten, aber sie suchten sorgfältig unter den Schutthaufen und den großen Steinblöcken. Hier lagen vielleicht die Gräber der verschütteten Maschinen — jener Maschinen, die vor so langer Zeit ihren Dienst geleistet hatten. Sie wären jetzt unbrauchbar, dachte Alvin, wenn die Invasoren zurückkehrten. Warum waren sie nie zurückgekommen? Aber das war ein weiteres Geheimnis: Er hatte genug Rätsel zu lösen und brauchte nicht nach neuen zu suchen.

Wenige Meter vom See entfernt fanden sie einen kleinen freien Platz. Er war mit Unkraut bewachsen gewesen, das gewaltige Hitze geschwärzt und verkohlt hatte. Wenn sie darauf traten, wurden ihre Füße mit schwarzen Streifen beschmiert. Im Mittelpunkt des freien Platzes stand ein metallener Dreifuß, fest im Boden verankert und einen runden Ring tragend, dessen Achse schräg geneigt war, so daß er auf einen Punkt in halber Höhe des Himmels deutete. Zuerst schien es, als schlösse der Ring nur Luft ein; als Alvin aber näher hinsah, bemerkte er, daß der Ring mit einem dünnen, kaum sichtbaren Nebel ausgefüllt war — dem Glimmen von Energie. Ohne Zweifel hatte dieser Mechanismus die Lichtexplosion hervorgebracht, die sie nach Shalmirane lockte.

Sie wagten sich nicht näher, sondern betrachteten die Maschine aus sicherer Distanz. Sie waren auf der richtigen Spur, dachte Alvin; jetzt blieb nur noch zu entdecken, wer oder was diesen Apparat hierhergesetzt hatte und worin seine Absicht bestand. Dieser gekippte Ring war ganz deutlich in den Weltraum gerichtet. Hatte es sich bei dem Blitz in der vergangenen Nacht um ein Signal gehandelt? Ein Gedanke mit atemberaubenden Folgerungen.

„Alvin“, sagte Hilvar plötzlich in ruhigem, aber dringendem Ton, „wir haben Besucher.“

Alvin drehte sich blitzschnell um und starrte in ein Dreieck lidloser Augen. Das war zumindest sein erster Eindruck; dann sah er hinter den starrenden Augen die Umrisse einer kleinen, aber komplizierten Maschine. Sie schwebte eineinhalb Meter über dem Boden und glich nicht den Robotern, die er bisher gesehen hatte.

Sobald die erste Überraschung abgeklungen war, fühlte er sich vollkommen Herr der Lage. Er hatte sein Leben lang Befehle an Maschinen erteilt, und die Tatsache, daß es sich hier um eine fremdartige Konstruktion handelte, war nicht von Wichtigkeit. Im übrigen hatte er nie mehr als ein paar Prozent der Roboter gesehen, die in Diaspar für seine täglichen Bedürfnisse sorgten. „Kannst du sprechen?“ fragte er.

Stille.

„Steuert dich jemand?“

Immer noch Schweigen.

„Geh fort. Komm her. Auf. Ab.“

Keiner der üblichen Steuerungsbefehle zeigte Wirkung. Die Maschine blieb untätig. Sie war entweder zu unintelligent, um ihn zu verstehen, oder sie war sogar sehr intelligent und mit eigner Willenskraft ausgestattet. In diesem Fall mußte er sie als gleichberechtigt behandeln. Selbst dann konnte er sie unterschätzen — aber sie würde es ihm nicht nachtragen, denn unter Dünkel litten Roboter selten.

Hilvar mußte über Alvins offensichtliche Enttäuschung lachen. Er wollte eben vorschlagen, ihm die Aufgabe der Verständigung zu übertragen, als die Worte auf seinen Lippen erstarben. Die Stille Shalmiranes wurde von einem unheimlichen und unmißverständlichen Geräusch durchbrochen — dem gurgelnden Planschen eines großen Körpers, der sich aus dem Wasser erhob.

Zum zweitenmal nach dem Verlassen Diaspars wünschte Alvin, zu Hause zu sein. Dann dachte er daran, daß das nicht die richtige Einstellung für Abenteurer war, und er ging langsam, aber entschlossen auf den See zu.

Das Wesen, das aus dem dunklen Wasser auftauchte, schien eine ungeheure Parodie in lebender Materie auf den Roboter, der sie immer noch stumm beobachtete. Die gleiche Anordnung der Augen konnte kein Zufall sein; selbst das Gefüge von Greifarmen und kleinen, gelenkigen Gliedern, kehrte, grob vereinfacht, wieder. Darüber hinaus endete jedoch die Ähnlichkeit. Der Roboter besaß nicht den Besatz aus feinen, fedrigen Fühlern, die das Wasser in gleichmäßigem Rhythmus schlugen, die vielen stämmigen Beine, auf denen das Wesen zum Ufer wankte, oder die Lüftungseinlässe, wenn sie das waren, die in der dünnen Luft stoßweise keuchten.

Der größte Teil des Körpers blieb im Wasser; nur die ersten zehn Beine hoben sich in ein ihnen anscheinend fremdes Element. Das ganze Wesen war etwa fünfzehn Meter lang, und auch eine Person ohne Biologiekenntnisse hätte bemerkt, daß mit ihm grundsätzlich etwas nicht stimmte. Es wirkte außergewöhnlich improvisiert und unüberlegt entworfen, als seien seine Bestandteile ohne besondere Voraussicht erzeugt und dann wahllos zusammengewürfelt worden.

Trotz seiner Größe und der ursprünglichen Zweifel spürten weder Alvin noch Hilvar die geringste Nervosität, als sie den Seebewohner deutlich sahen. Das Wesen besaß eine ansprechende Plumpheit; man konnte es nicht als ernsthafte Bedrohung betrachten. Die Menschheit hatte längst ihren kindlichen Schrecken vor dem nur Fremdartigen in der äußeren Erscheinung verloren. Diese Furcht hatte die erste Berührung mit freundlich gesinnten außerirdischen Rassen nicht überlebt.

„Laß mich das machen“, sagte Hilvar ruhig. „Ich bin gewöhnt, mit Tieren umzugehen.“

„Aber das ist kein Tier“, flüsterte Alvin. „Ich bin sicher, daß es intelligent ist und daß ihm dieser Roboter gehört.“

„Vielleicht ist es eher umgekehrt. Auf jeden Fall muß seine Mentalität sehr eigenartig sein. Ich kann noch kein Zeichen von Gedanken entdekken. Nanu — was ist das?“

Das Ungeheuer hatte sich nicht von seiner Stellung am Rand des Wassers gerührt. Aber in der Mitte des Augendreiecks bildete sich eine halbdurchsichtige Membran — eine Membran, die pulsierte und zitterte und kurz darauf hörbare Töne von sich zu geben begann. Es war ein tiefes, klingendes Brummen ohne verständliche Worte, obwohl man deutlich erkennen konnte, daß das Wesen zu sprechen versuchte.