122179.fb2 Die sieben Sonnen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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Es gab ein großes Risiko, gegen das er sich nicht zu schützen vermochte. Wenn Seranis ihr Versprechen brach und in seinen Gedanken las, waren seine sorgfältigen Vorbereitungen umsonst.

Er streckte Hilvar die Hand entgegen, der sie fest ergriff, aber nicht zu sprechen vermochte.

„Wir wollen zu Seranis hinuntergehen“, sagte Alvin. „Ich möchte noch einige Leute aus dem Dorf sehen, ehe ich fort muß.“

Hilvar folgte ihm stumm in die friedliche Kühle des Hauses und dann durch den Gang hinaus auf den farbigen Grasgürtel, der das Haus umgab. Dort wartete Seranis auf ihn, ruhig und entschlossen aussehend.

Sie wußte, daß Alvin etwas vor ihr zu verbergen suchte, und dachte wieder an ihre Vorsichtsmaßnahmen. Wie ein Mann seine Muskeln vor einer schweren Tätigkeit spielen läßt, durchlief sie noch einmal die Zwangsstrukturen, die sie vielleicht anwenden mußte.

„Sind Sie bereit, Alvin?“ fragte sie.

„Völlig“, erwiderte Alvin, und der Unterton in seiner Stimme veranlaßte sie, ihn scharf anzusehen.

„Dann wird es am besten sein, Sie löschen Ihre Gedanken wie beim erstenmal. Sie werden danach nichts fühlen oder wissen, bis Sie wieder in Diaspar sind.“

Alvin drehte sich zu Hilvar um und flüsterte schnell: „Auf Wiedersehen, Hilvar. Keine Angst — ich komme wieder.“ Dann sah er wieder Seranis an.

„Ich nehme Ihnen nicht übel, was Sie tun“, sagte er. „Ohne Zweifel halten Sie es für das beste, aber ich glaube, Sie irren sich. Diaspar und Lys sollten sich nicht ewig voneinander abschließen; eines Tages werden sie sich brauchen. Darum gehe ich jetzt mit allem, was ich erfahren habe, nach Hause — und ich glaube nicht, daß Sie mich aufhalten können.“

Er zögerte nicht länger, und das war gut so. Seranis bewegte sich nicht, aber augenblicklich fühlte er, daß ihm die Kontrolle über seinen Körper entglitt. Die Macht, die seinen Willen beiseite drängte, war größer, als er vermutet hatte, und er begriff, daß Seranis vielfach unterstützt wurde.

Hilflos ging er ins Haus zurück, und für einen Augenblick dachte er, sein Plan sei mißlungen.

Dann — ein Blitz aus Stahl und Kristall; die Metallarme schlossen sich fest um ihn. Sein Körper wehrte sich, wie er es vorausgesehen hatte, aber seine Bemühungen waren zwecklos. Der Boden entglitt seinen Füßen, und er warf einen Blick auf Hilvar, der mit einem idiotischen Lächeln erstarrte.

Der Roboter trug ihn über dem Boden dahin, viel schneller, als ein Mensch laufen konnte. Seranis brauchte nur eine Sekunde, um den Trick zu durchschauen. Aber sie war noch nicht besiegt, und kurz darauf geschah das, was Alvin befürchtet und entsprechend zu vereiteln gesucht hatte.

In seinem Verstand rangen jetzt zwei verschiedene Wesen miteinander; eines von ihnen flehte den Roboter an, ihn niederzusetzen. Der wirkliche Alvin wartete atemlos, nur schwach gegen Kräfte ankämpfend, denen er nichts Ebenbürtiges entgegensetzen konnte. Er hatte das Spiel gewagt, ohne voraussagen zu können, ob sein unsicherer Verbündeter so komplizierte Befehle auszuführen imstande war. Unter keinen Umständen, hatte er dem Roboter mitgeteilt, durfte er weitere Befehle von ihm anerkennen, bevor sie Diaspar sicher erreicht hatten. Das war der Auftrag.

Wenn er ausgeführt wurde, hatte Alvin sein Schicksal außerhalb des Bereiches menschlicher Einflußnahme gelegt.

Ohne zu zögern, raste die Maschine auf dem Weg dahin, den ihr Alvin genau vorgezeichnet hatte. Ein Teil von ihm bat immer noch zornig um Befreiung, aber er wußte sich bereits in Sicherheit. Und bald begriff es auch Seranis, denn die Kräfte in seinem Verstand hörten auf, sich zu bekämpfen. Wieder genoß er Frieden, wie vor urdenklichen Zeiten ein früher Wanderer, als er an seinen Mast gebunden den Gesang der Sirenen über dem weindunklen Meer verklingen hörte.

15

Alvin atmete erst auf, als er wieder in der Fließstraßenhöhle stand. Er hatte immer noch mit der Möglichkeit gerechnet, die Leute aus Lys könnten sein Fahrzeug zum Halten oder gar zur Umkehr zwingen. Aber die Rückfahrt war eine ereignislose Wiederholung der Hinreise; vierzig Minuten nach der Flucht aus Lys stand er im Grabmal von Yarlan Zey.

Die Wachen des Rates erwarteten ihn, in die förmlichen schwarzen Roben gekleidet, die sie seit Jahrhunderten nicht mehr getragen hatten. Alvin spürte keine Überraschung und kaum Unruhe, als er dieses Empfangskomitee sah. Seit der Abfahrt aus Diaspar hatte er viel gelernt, und mit diesem Wissen eine an Arroganz grenzende Zuversicht erworben.

Überdies besaß er jetzt einen mächtigen, wenn auch launenhaften Verbündeten. Die klügsten Gehirne von Lys waren nicht imstande gewesen, seine Pläne zu durchkreuzen; irgendwie glaubte er, daß es Diaspar ebensowenig gelingen würde.

Für diese Meinung gab es vernünftige Gründe, aber zum Teil beruhten sie auf einer Tatsache, die über die Vernunft hinausging — auf einem Glauben an seine Bestimmung, der sich langsam in Alvin entwickelt hatte. Das Geheimnis seiner Herkunft, die Art, in der sich ihm neue Ausblikke eröffnet hatten, sein Erfolg bei einem Tun, das noch nie jemand gewagt hatte — das alles trug zu seiner Selbstsicherheit bei.

„Alvin“, sagte der Anführer der Stadtwachen, „wir haben den Auftrag, dich überallhin zu begleiten, bis der Rat deinen Fall verhandelt und ein Urteil beschlossen hat.“

„Welchen Vergehens klagt man mich an?“ fragte Alvin. Er war noch von der Aufregung seiner Flucht aus Lys hochgestimmt und versuchte diese neue Entwicklung noch nicht ernst zu nehmen. Wahrscheinlich hatte Khedron ausgepackt; er ärgerte sich über den Spaßmacher, weil er das Geheimnis preisgegeben hatte.

„Eine Anklage ist noch nicht erhoben worden“, kam die Antwort. „Falls nötig, wird man sie nach deiner Einvernahme formulieren.“

„Und wann ist damit zu rechnen?“

„Sehr bald, nehme ich an.“ Der Mann fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut und wußte auch nicht, wie er diesen unwillkommenen neuen Auftrag ausführen sollte. Einmal behandelte er Alvin wie einen Mitbürger, dann fiel ihm seine Rolle als Bewacher ein, und er nahm eine Haltung übertriebener Ablehnung an.

„Dieser Roboter“, sagte er plötzlich, auf Alvins Begleiter deutend, „woher kommt er? Gehört er der Stadt?“

„Nein“, erwiderte Alvin. „Ich habe ihn in Lys gefunden, in dem Land, das ich besuchte. Ich brachte ihn mit, um ihn dem Zentralgehirn vorzustellen.“

Diese ruhige Feststellung rief beträchtliche Unruhe hervor. Die Tatsache, daß außerhalb Diaspars etwas existierte, war schwer genug zu akzeptieren, aber daß Alvin einen Bewohner mitgebracht hatte und ihn dem Gehirn der Stadt vorführen wollte, übertraf alles. Die Wachen sahen einander so ratlos an, daß Alvin kaum das Lachen verbeißen konnte.

Als sie durch den Park marschierten, wobei die Bewacher diskret im Hintergrund blieben und aufgeregt miteinander flüsterten, überlegte Alvin sein weiteres Vorgehen. Als erstes mußte er herausfinden, was sich in seiner Abwesenheit ereignet hatte. Khedron war verschwunden. Es gab zahllose Stellen in Diaspar, an denen er sich verstecken konnte, und bei der unübertroffenen Stadtkenntnis des Spaßmachers würde es schwerfallen, ihn zu finden, ehe er sich entschloß, wieder aufzutauchen. Vielleicht konnte er eine Botschaft hinterlassen, wo sie Khedron sehen mußte, und ein Zusammentreffen vereinbaren. Die Anwesenheit der Wachen konnte das jedoch vereiteln.

Er mußte zugeben, daß die Überwachung sehr diskret erfolgte. Als er seine Wohnung erreichte, hatte er die Wachen fast vergessen. Er vermutete, daß sie ihm nichts in den Weg legen würden, solange er nicht Diaspar zu verlassen suchte, und das lag ihm im Augenblick fern. Ja, er war sich sogar sicher, daß er auf dem ursprünglichen Weg nicht mehr nach Lys gelangen konnte. Inzwischen würden Seranis und ihre Berater das unterirdische Transportsystem gewiß unterbrochen haben.

Die Wachen folgten ihm nicht in sein Zimmer; sie wußten, daß es nur einen einzigen Ausgang gab, und dort ließen sie sich nieder.

Sobald sich die Wand hinter ihm geschlossen hatte, materialisierte Alvin sein Lieblingssofa und warf sich darauf. Er ließ seine letzten Erzeugnisse in Malerei und Bildhauerei aus den Gedächtnisanlagen erscheinen und betrachtete sie mit kritischem Blick. Er löschte diese Produkte seiner Kindheit für immer. Das Zimmer war wieder leer, bis auf das Sofa und den Roboter, der ihn immer noch mit großen, unergründlichen Augen ansah. Was hielt der Roboter wohl von Diaspar? dachte Alvin. Dann erinnerte er sich daran, daß er kein Fremder hier war, denn er hatte die Stadt in den letzten Tagen ihrer Berührung mit den Sternen gekannt.

Erst als sich Alvin wieder ganz heimisch fühlte, begann er, seine Freunde zu rufen. Er fing mit Eriston und Etania an, wenn auch mehr aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus als aus dem wirklichen Wunsch, sie zu sehen. Er bedauerte es nicht, als ihm mitgeteilt wurde, daß sie nicht zu erreichen seien, und hinterließ ihnen eine kurze Nachricht. Das war eigentlich unnötig, weil inzwischen sicher die ganze Stadt von seiner Rückkehr erfahren hatte. Er hoffte jedoch, daß sie seine Zuvorkommenheit schätzen würden; er war dabei, Rücksichtnahme zu lernen, obwohl ihm noch nicht aufgegangen war, daß sie, wie die meisten Tugenden, wenig Wert besaß, solange sie nicht spontan und ohne Hintergedanken geübt wurde.

Dann rief er, einer plötzlichen Eingebung folgend, die Nummer, die ihm Khedron vor so langer Zeit im Turm von Loranne gegeben hatte. Er erwartete natürlich keine Antwort, aber es bestand immerhin die Möglichkeit, daß Khedron eine Nachricht hinterlassen hatte.

Seine Vermutung erwies sich als richtig, aber die Nachricht selbst kam völlig unerwartet.

Die Wand löste sich auf, und Khedrons Bild stand vor ihm. Der Spaßmacher sah müde und nervös aus; er war nicht mehr der sichere, etwas zynische Mensch, der Alvin auf den Pfad nach Lys geführt hatte. Seine Augen blickten gehetzt, und er sprach, als habe er wenig Zeit.

„Alvin“, begann er, „das ist eine Aufzeichnung. Nur du kannst sie empfangen, aber du kannst damit tun, was du willst. Es wird mir nichts mehr ausmachen.

Als ich zum Grabmal Yarlan Zeys zurückkehrte, stellte ich fest, daß uns Alystra gefolgt war. Sie muß dem Rat berichtet haben, daß du Diaspar verlassen hattest und daß ich dir behilflich gewesen bin. Kurz darauf suchten die Wachen nach mir, und ich beschloß, mich zu verstecken.

Daran bin ich gewöhnt — ich war gelegentlich darauf angewiesen, wenn meine Späße nicht den entsprechenden Anklang fanden. Sie hätten mich in tausend Jahren nicht finden können — aber es wäre beinahe einer anderen Person gelungen. Es gibt Fremde in Diaspar, Alvin; sie können nur aus Lys gekommen sein, und sie suchen mich. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, und es gefällt mir nicht. Die Tatsache, daß sie mich beinahe erwischten, obwohl sie sich in einer fremden Stadt befinden, läßt darauf schließen, daß sie telepathische Kräfte besitzen. Ich könnte dem Rat widerstehen, aber das andere ist eine unbekannte Gefahr, der ich mich nicht stellen will.

Ich nehme daher etwas vorweg, was mir der Rat wohl aufzwingen wird, nachdem man es mir bereits früher androhte. Ich gehe an einen Ort, wohin mir niemand folgen kann und wo ich allen Veränderungen entgehe, die über Diaspar hereinbrechen werden. Vielleicht verhalte ich mich unklug; das kann nur die Zeit erweisen.

Eines Tages werde ich die Antwort kennen.

Inzwischen wirst du erraten haben, daß ich in die Halle der Schöpfung, in die Sicherheit der Gedächtnisanlagen, zurückgekehrt bin. Was auch immer geschehen mag, ich setze mein Vertrauen in das Zentralgehirn und die Kräfte, die es zum Besten Diaspars lenken. Wenn irgend etwas das Zentralgehirn verändert, sind wir alle verloren. Anderenfalls habe ich nichts zu fürchten.

Für mich scheint nur ein Augenblick zu vergehen, ehe ich Diaspar in fünfzig- oder hunderttausend Jahren wieder betrete. Welche Art von Stadt werde ich vorfinden? Es wird seltsam sein, wenn auch du da bist; eines Tages werden wir vermutlich wieder zusammentreffen. Ich kann nicht sagen, ob ich mich auf diesen Tag freuen oder ob ich mich vor ihm fürchten soll.

Ich habe dich nie verstanden, Alvin, obwohl ich eine gewisse Zeit eingebildet war, es zu glauben. Nur das Zentralgehirn kennt die Wahrheit, wie es die Wahrheit über die anderen Einzigartigen kennt, die von Zeit zu Zeit verschwanden und niemals wiederkehrten. Hast du entdeckt, was mit ihnen geschah?

Ein Grund für meine Flucht in die Zukunft ist wohl darin zu sehen, daß ich ungeduldig bin. Ich möchte die Ergebnisse dessen sehen, was du begonnen hast, aber die Zwischenstufen will ich auslassen — ich nehme an, daß sie ungemütlich werden. Es wird interessant sein, dann festzustellen, ob man sich deiner als Schöpfer oder als Zerstörer erinnert oder ob man sich überhaupt deiner erinnert.

Leb wohl, Alvin. Ich wollte dir eigentlich einige Ratschläge geben, aber ich glaube nicht, daß du sie annehmen würdest. Du wirst deinen eigenen Weg gehen, wie du es immer getan hast, und deine Freunde werden dir Werkzeuge sein, die du gebrauchst oder wegwirfst, je nach Notwendigkeit.

Das ist alles. Ich wüßte nicht, was es noch zu sagen gäbe.“ Einen Augenblick lang sah Khedron — der Khedron, den es nicht mehr gab, außer als Struktur elektrischer Impulse in den Gedächtniszellen der Stadt — mit Resignation und Trauer auf Alvin. Dann war der Bildschirm leer.

Alvin saß lange Zeit regungslos da. Er hatte Khedron nie besonders gern gehabt; die Persönlichkeit des Spaßmachers verhinderte jede enge Bindung, selbst wenn Alvin sie gewünscht hätte. Aber bei dem Gedanken an seine Abschiedsworte überfiel ihn Reue.

Seinetwegen war der Spaßmacher in die unbekannte Zukunft geflüchtet.