122179.fb2 Die sieben Sonnen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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„Das hängt ausschließlich von der Art der Sperre ab“, kam die Antwort.

„Man kann eine Sperre errichten, die bei einer fremden Einflußnahme den Inhalt aller Gedächtniszellen löscht. Ich halte es jedoch nicht für wahrscheinlich, daß der Meister die dafür erforderliche Geschicklichkeit besaß. Ich werde deine Maschine fragen, ob in ihren Gedächtniseinheiten ein Löschkreis besteht.“

„Aber angenommen“, sagte Alvin, plötzlich beunruhigt, „die Löschung wird schon dadurch hervorgerufen, daß man diese Frage stellt?“

„Es gibt ein Standardverfahren für solche Fälle, an das ich mich halten werde. Ich bereite sekundäre Anweisungen vor, die der Maschine befehlen, meine Frage zu ignorieren, falls eine derartige Situation besteht.

Damit wird sie sich in ein logisches Paradox verwickeln, weil sie meinen Anweisungen zuwiderhandeln muß, ob sie nun antwortet oder nichts sagt. In einem derartigen Fall verhalten sich alle Roboter gleich, zu ihrem eigenen Schutz. Sie löschen ihre Aufnahmeeinheiten und tun so, als hätten sie keine Frage vorgelegt bekommen.“

Alvin bedauerte, die Sache angeschnitten zu haben, und beschloß, die gleiche Taktik anzuwenden und so zu tun, als habe er die Frage nie gestellt. Zumindest hatte er sich einer Tatsache vergewissert — das Zentralgehirn war in der Lage, mit allen Fällen fertig zu werden, die in den Gedächtniseinheiten des Roboters enthalten sein mochten. Alvin wollte nicht aus der Maschine einen Haufen Schrott machen; lieber hätte er sie wieder nach Shalmirane zurückgebracht.

Er wartete so geduldig, wie es ihm möglich war, während das stumme, unbegreifliche Treffen der Gehirne stattfand. Hier ereignete sich eine Begegnung zweier Intelligenzen, beide vom menschlichen Genie im langverlorenen goldenen Zeitalter geschaffen. Und jetzt konnte sie kein lebender Mensch völlig begreifen.

Viele Minuten später sprach die hohle Stimme des Zentralgehirns zu Alvin. „Ich habe teilweisen Kontakt aufgenommen“, sagte sie. „Immerhin kenne ich die Art der Sperre, und ich glaube zu wissen, warum sie errichtet wurde. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, sie aufzuheben. Der Roboter wird erst wieder sprechen, wenn die Großen auf die Erde kommen.“

„Aber das ist doch Unsinn!“ rief Alvin. „Der andere Anhänger des Meisters glaubte auch an sie und versuchte uns zu erklären, wer sie seien.

Die meiste Zeit schwatzte er unverständliches Zeug. Die Großen hat es nie gegeben, und es wird sie nie geben!“

Alvin fühlte bittere, hilflose Enttäuschung. Er wurde von der Wahrheit durch die Wünsche eines Mannes abgehalten, der wahnsinnig gewesen und vor einer Milliarde Jahre gestorben war.

„Du magst recht haben“, erklärte das Zentralgehirn, „wenn du sagst, daß es die Großen nie gegeben hat. Aber das heißt nicht, daß es sie nie geben wird.“

Lange Zeit war es wieder still. Alvin versuchte den Sinn dieser Bemerkung zu ergründen, während die beiden Roboter wieder miteinander in Verbindung traten. Und plötzlich, ohne Vorankündigung, stand Alvin in Shalmirane.

17

Es sah genauso aus, wie er es verlassen hatte; die große schwarze Mulde schluckte das Sonnenlicht, ohne die Strahlen zu reflektieren. Alvin stand vor den Ruinen der Festung und schaute auf den See hinaus, dessen regungslose Oberfläche bewies, daß der große Polyp nicht mehr als eigenes, bewußtes Wesen existierte.

Der Roboter schwebte noch neben ihm, aber von Hilvar war nichts zu sehen. Er fand nicht die Zeit, sich zu wundern oder über die Abwesenheit seines Freundes besorgt zu sein, weil im nächsten Augenblick etwas so Phantastisches geschah, daß alle anderen Gedanken verdrängt wurden.

Der Himmel begann sich zu spalten. Ein dünner Keil der Dunkelheit reichte vom Horizont bis zum Zenit und verbreitete sich langsam, als brächen Nacht und Chaos über das Universum herein. Unerbittlich weitete sich der Keil, bis er ein Viertel des Himmels umfaßte. Trotz seiner Kenntnisse der anerkannten Fakten der Astronomie konnte sich Alvin nicht des überwältigenden Eindruckes erwehren, daß er und seine Welt unter einer großen blauen Kuppel lagen und daß jetzt irgend etwas von draußen durch diese Kuppel brach.

Der Nachtkeil hörte auf zu wachsen. Die Mächte, die ihn geschaffen hatten, starrten jetzt auf das neuentdeckte Spielzeuguniversum hinunter und berieten sich vielleicht, ob es ihre Aufmerksamkeit lohnte. Unter dieser kosmischen Überprüfung fühlte Alvin keine Unruhe, keine Angst. Er wußte, daß er einer Macht und Weisheit gegenüberstand, vor der ein Mensch wohl Scheu, aber nicht Entsetzen empfinden konnte.

Und jetzt hatten sie entschieden — sie würden einige Fragmente der Ewigkeit an die Erde und ihre Bewohner verschwenden. Sie kamen durch das Fenster, das sie in den Himmel gebrochen hatten.

Wie die Funken aus einer himmlischen Schmiede trieben sie auf die Erde hinab. Dichter und dichter kamen sie, bis ein feuriger Wasserfall vom Himmel herabströmte und sich in Seen aus flüssigem Licht am Boden niederschlug. Alvin brauchte die Worte nicht mehr, die in seinen Ohren klangen: „Die Großen sind gekommen.“

Das Feuer erreichte ihn, und es brannte nicht. Es war überall, es füllte die große Mulde von Shalmirane mit goldenem Glühen. Alvin sah, daß es keine formlose Lichtflut war; es besaß Form und Struktur. Es begann sich in deutliche Umrisse aufzuteilen, in getrennten wilden Wirbeln zu sammeln. Die Wirbel drehten sich immer schneller um ihre Achsen, sie stiegen empor und bildeten Säulen, in denen Alvin seltsame Formen erkennen konnte. Von diesen glühenden Säulen tönte es leise, unendlich fern und geheimnisvoll süß: „Die Großen sind gekommen.“

Diesmal kam eine Antwort. Als Alvin die Worte hörte: „Die Diener des Meisters grüßen euch. Wir haben euer Erscheinen erwartet“, wußte er, daß das Hindernis gefallen war. Und in diesem Augenblick stand er wieder vor dem Zentralgehirn in den Tiefen Diaspars.

Es war nur eine Illusion gewesen, nicht wirklicher als die Phantasiewelt der Abenteuer, in der er viele Stunden seiner Jugend verbracht hatte.

Aber wie war sie geschaffen worden? Woher kamen die seltsamen Bilder?

„Es war ein außergewöhnliches Problem“, sagte die ruhige Stimme des Zentralgehirns. „Ich wußte, daß der Roboter eine körperliche Vorstellung von den Großen haben mußte. Wenn ich ihn davon überzeugen konnte, daß die ihm vermittelten Sinneseindrücke mit diesem Bild übereinstimmten, war das übrige einfach.“

„Und wie gelang dir das?“

„Einfach ausgedrückt, indem ich den Roboter fragte, wie die Großen aussehen, und dann die Struktur übernahm. Sie war sehr unvollkommen, und ich mußte improvisieren. Ein- oder zweimal begann das vor mir geschaffene Bild erheblich von der Vorstellung des Roboters abzuweichen, aber ich bemerkte seine Verwirrung und veränderte das Bild, ehe er Verdacht schöpfen konnte. Du wirst begreifen, daß ich Hunderte von Anlagen einsetzen kann, wo dem Roboter nur eine Zelle zur Verfügung steht, und so schnell von einem Bild zum anderen überzuwechseln vermag, daß der Wechsel nicht erkennbar wird. Eigentlich war es ein Zauberkunststück; es gelang mir, die Sinnesanlagen des Roboters zu überladen und auch seine kritischen Fähigkeiten zu überwältigen. Was du gesehen hast, war nur das letzte, korrigierte Bild — jenes, das den Eröffnungen des Meisters am meisten entsprach. Es war unvollkommen, aber es genügte. Der Roboter war lange genug von seiner Echtheit überzeugt, so daß die Sperre aufgehoben wurde, und in diesem Augenblick konnte ich mit seinem Verstand völligen Kontakt aufnehmen. Er ist nicht mehr wahnsinnig; er wird alle Fragen beantworten, die du ihm zu stellen hast.“

Alvin erinnerte sich an die Warnung des Zentralgehirns und fragte besorgt: „Wie steht es mit den moralischen Einwänden, die dich zögern ließen, die Befehle des Meisters außer Kraft zu setzen?“

„Ich habe entdeckt, warum sie gegeben wurden. Wenn du seine Lebensgeschichte im einzelnen durchgehst, wie es jetzt möglich ist, wirst du feststellen, daß er behauptete, viele Wunder vollbracht zu haben.

Seine Anhänger glaubten ihm, und ihre Überzeugungen steigerten seine Macht. Aber für alle diese Wunder gab es natürlich irgendeine einfache Erklärung — wenn die Wunder überhaupt stattfanden. Es überrascht mich, daß sonst sehr intelligente Menschen auf solche Dinge hereinfallen.“

„Der Meister war also ein Betrüger?“

„Nein, so einfach ist das nicht. Wenn er nur ein Scharlatan gewesen wäre, hätte er nie diesen Erfolg gehabt, und seine Bewegung hätte sich niemals so lange gehalten. Er war ein guter Mensch, und vieles an seiner Lehre war richtig und weise. Am Schluß glaubte er an seine eigenen Wunder, aber er wußte, daß es einen Zeugen gab, der sie widerlegen konnte. Der Roboter kannte seine sämtlichen Geheimnisse; er war sein Sprecher und sein Mitstreiter; wenn man ihn aber ausführlich befragen sollte, konnte er die Grundlage seiner Macht zerstören. Deswegen befahl er ihm, seine Erinnerungen bis zum letzten Tag des Universums, wenn die Großen kämen, nicht preiszugeben. Es scheint kaum glaublich, daß in einem Menschen eine derartige Mischung aus Aufrichtigkeit und Täuschung bestehen kann, aber so war es.“

Alvin fragte sich, was der Roboter über seine Befreiung von der uralten Fessel dachte. Er war genügend kompliziert, um Gefühle wie Groll und Zorn verstehen zu können. Vielleicht haßte er den Meister, weil er ihn versklavt hatte — vielleicht haßte er Alvin und das Zentralgehirn, weil sie ihm den gesunden Verstand wieder aufgezwungen hatten.

Die Zone des Schweigens war aufgehoben; sie brauchten nichts mehr geheimzuhalten. Der Augenblick, auf den Alvin gewartet hatte, war gekommen. Er wandte sich an den Roboter und stellte ihm die Frage, die ihn verfolgte, seit er die Geschichte des Meisters gehört hatte.

Jeserac und die Wachen warteten immer noch geduldig. Oben auf der Rampe blickte Alvin noch einmal auf den Saal zurück. Unter ihm lag eine tote Stadt aus seltsamen weißen Gebäuden, eine vom grellen Licht gebleichte Stadt, nicht für menschliche Augen gedacht. Solange die Welt bestand, würden diese stummen Maschinen hier sein.

Obwohl Jeserac auf dem Weg zum Ratssaal Alvin befragte, erfuhr er nichts von dem Gespräch mit dem Zentralgehirn, weil Alvin von seinem Erfolg wie berauscht und zu keinem vernünftigen Gespräch fähig war.

Jeserac mußte sich in Geduld fassen und darauf vertrauen, daß Alvin bald aus seinem Traumzustand aufwachen würde.

Während des ganzen Rückwegs gewann Alvin immer größeren Kontakt zu der Maschine, die er aus ihrer langen Gefangenschaft befreit hatte.

Sie war immer in der Lage gewesen, seine Gedanken zu empfangen, aber vorher hatte er nie gewußt, ob sie seinen Befehlen gehorchen würde. Jetzt gab es diese Unsicherheit nicht mehr; er konnte mit ihr wie mit einem anderen Menschen sprechen, aber er wies sie an, einfache Gedankenbilder zu verwenden, solange sie nicht allein waren. Manchmal ärgerte er sich über die Tatsache, daß Roboter miteinander telepathisch verkehren konnten, obwohl es dem Menschen nicht möglich war — außer in Lys. Auch diese Fähigkeit hatte Diaspar verloren oder absichtlich beseitigt.

Er setzte das stumme, aber etwas einseitige Gespräch fort, während sie im Vorraum des Ratssaales warteten. Bei der gegenwärtigen Situation bot sich unabweisbar der Vergleich mit Lys an, als Seranis und ihre Berater versucht hatten, ihn ihrem Willen gefügig zu machen. Er hoffte, eine weitere Auseinandersetzung vermeiden zu können, aber wenn es soweit kommen sollte, war er weit besser gerüstet als je zuvor.

Sein erster Blick auf die Räte verriet ihm die Entscheidung. Er war weder überrascht noch besonders enttäuscht und zeigte keine der Gefühlsaufwallungen, die die Ratsmitglieder erwartet haben mochten, als der Präsident die Entscheidung begründete.

„Alvin“, begann der Präsident, „wir haben mit großer Sorgfalt die Situation geprüft, die durch deine Entdeckung entstanden ist, und sind zu einer einstimmigen Entscheidung gelangt. Weil niemand eine Veränderung unserer Lebensweise will und weil ferner nur sehr selten jemand geboren wird, der Diaspar überhaupt verlassen kann, ist das Tunnelsystem nach Lys unnötig und sicher auch eine Gefahr. Der Zugang zu der Fließstraßenhöhle wurde daher versiegelt.

Überdies wird eine Durchforschung der MonitorGedächtnisanlagen veranlaßt, da möglicherweise noch andere Wege aus der Stadt hinausführen.

Wir haben uns auch überlegt, ob gegen dich persönlich etwas zu unternehmen sei. Unter Berücksichtigung deiner Jugend und der seltsamen Umstände deiner Herkunft kamen wir zu der Auffassung, einen Tadel für dein Verhalten als unberechtigt anzusehen. Im Gegenteil. Durch die Aufdeckung einer möglichen Gefahr für unsere Lebensweise hast du unserer Stadt einen Dienst geleistet, und wir sprechen dir dafür ausdrücklich unsere uneingeschränkte Anerkennung aus.“

Es gab ein zustimmendes Gemurmel, und die Mienen der Räte nahmen einen Ausdruck der Zufriedenheit an. Man hatte eine schwierige Situation schnellstens bereinigt, eine Zurechtweisung Alvins vermieden und konnte nun wieder seiner Wege gehen, in der Überzeugung, als Bürger von Diaspar seine Pflicht getan zu haben. Bei einigem Glück mochte es Jahrhunderte dauern, bis man wieder zusammentreten mußte.

Der Präsident sah Alvin erwartungsvoll an; vielleicht hoffte er, daß Alvin in seiner Erwiderung die Güte des Rates würdigen werde. Er wurde enttäuscht.

„Darf ich eine Frage stellen?“ fragte Alvin höflich.

„Selbstverständlich.“

„Das Zentralgehirn hat Ihrem Vorgehen vermutlich zugestimmt?“

Normalerweise wäre das eine unverschämte Frage gewesen. Der Rat brauchte seine Beschlüsse nicht zu rechtfertigen oder mitzuteilen, wie er zu ihnen gelangt war. Aber Alvin genoß das Vertrauen des Zentralgehirns, aus irgendeinem seltsamen Grund. Er nahm eine bevorzugte Stellung ein.

Die Frage verursachte deutlich einige Verwirrung, und die Antwort wurde etwas widerwillig gegeben.