122181.fb2 Die Stadt der Verlorenen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

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»– wir zetteln eine Revolution an?«, unterbrach ihn Singh in scharfem Ton. Obwohl er so müde sein musste wie sie alle, blitzten seine Augen plötzlich vor Zorn. »Richten wir ein Blutbad an! Lassen wir Hunderte sterben, vielleicht Tausende! Ist es das, was du willst?«

Sarn hielt seinem Blick einige Sekunden lang stand. Aber er widersprach nicht und schließlich drehte er den Kopf mit einem hastigen Ruck zur Seite und starrte die Wand an.

»Es ist spät geworden«, sagte Singh. »Wir sind alle müde und gereizt. Lasst uns ein paar Stunden schlafen und das Gespräch danach fortsetzen.«

Sarn zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Seine Augen blitzten immer noch trotzig, aber er widersprach nicht, sondern funkelte Singh nur weiter an.

»Singh hat völlig Recht«, sagte Mike hastig. »Ich bin müde. Lasst uns später weiterreden ... habt ihr irgendwo ein Bett für mich?«

»Selbstverständlich«, sagte Singh. »Sarn – bring ihn in mein Quartier. Und dann such dir selbst einen Schlafplatz. Du hast Großartiges geleistet. Jetzt ruh dich wenigstens ein bisschen aus. Die Welt können wir auch morgen noch retten!«

Der sanfte Spott in seiner Stimme war mit Sicherheit versöhnlich gemeint, aber Mike sah an Sarns Miene, dass der Krieger ihn nicht so verstand. Fast hastig sprang er hoch und wandte sich direkt an Sarn.

»Singh hat Recht. Ich breche gleich zusammen.«

Sarn starrte ihn einen Moment lang zornig an, aber dann nickte er und drehte sich mit einem Ruck herum. Mike tauschte noch einen raschen Blick mit Singh, dann folgte er Sarn.

Der Krieger geleitete ihn in eine weitere, spartanisch eingerichtete Höhle, die von einer heftig rußenden Fackel erhellt war. Wortlos deutete er auf das Bett und Mike ließ sich ebenso wortlos darauf niedersinken.

Kaum hatte sein Kopf das harte Kissen berührt, da musste er auch schon mit aller Gewalt gegen den Schlaf ankämpfen. Er wusste, dass er sich trotz allem noch keine Ruhe gönnen konnte; Singh würde zweifellos in wenigen Augenblicken kommen, um

allein mit ihm zu reden. Trotzdem kostete es ihn all seine Wil

lenskraft nicht einzuschlafen.

Er wurde auch nicht enttäuscht. Es verging nicht viel Zeit, da wurde der Vorhang vor der Tür zurückgeschlagen und der Inder kam herein. »Schläfst du schon?«, fragte er leise.

»Tief und fest«, antwortete Mike. »Aber ich habe einen furchtbaren Albtraum. Er dauert schon ziemlich lange und ich weiß nicht, wie ich daraus aufwachen soll.«

»Es ist schön, dass du deinen Humor nicht verloren hast«, sagte Singh, ohne dass sich auch nur die Spur eines Lächelns auf seinem Gesicht gezeigt hätte. Er warf noch einen suchenden Blick durch den Vorhang nach draußen, wie um sich zu überzeugen, dass sie auch tatsächlich nicht belauscht wurden, dann kam er auf Mike zu, machte aber eine abwehrende Bewegung, als Mike sich erheben wollte.

»Bleib liegen«, sagte er. »Du brauchst Ruhe. Und ich werde nicht lange bleiben. Es gibt nur ein paar Dinge, die ich dir sagen muss.«

»Ohne dass die anderen es hören«, vermutete Mike. »Ich hätte mir eigentlich denken können, dass du der Führer des Widerstandes bist.«

»Ich habe mich nicht darum gerissen«, sagte Singh.

»Und wie bist du es geworden?«

»Ich war Sklave wie du«, antwortete Singh. »Auch meine Erinnerungen waren vollkommen ausgelöscht – ich nehme an, dass es den anderen ebenso ergeht.«

»Also hat Argos uns belogen«, sagte Mike. »Belogen?« Singh lächelte bitter und schüttelte den Kopf. »Er hat uns nur versprochen, uns am Leben zu lassen, nicht mehr. Nicht, uns

unsere Erinnerungen zu lassen.« »Was ja auch ein riesiger Unterschied ist«, sagte Mike mit zynischem Unterton. »Ich meine: Wenn ich mein ganzes Leben vergesse und sogar, wer ich selbst bin, dann bin ich ja eigentlich so gut wie tot, oder? «

»Eine interessante Frage«, sagte Singh. »Aber ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir zu philosophieren – obwohl du wahrscheinlich Recht hast.«

»Weshalb dann?« »Es geht um die NAUTILUS«, antwortete Singh. In seiner Stimme war ein ungewohnter, noch größerer Ernst als bisher. »Du darfst in Gegenwart der anderen nicht mehr über sie reden.«

»Warum?«, fragte Mike.

»Ich erkläre es dir, aber nicht jetzt«, antwortete Singh. »Ich kann nicht lange bleiben. Sarn und die anderen trauen mir nicht. Ich will ihr Misstrauen nicht noch mehr schüren.« »Sie trauen dir nicht? Ich dachte, du bist ihr Anführer?« »Nur so lange sie es wollen. Und was Sarn angeht, er wollte nicht wirklich. Im Grunde ist er der

Anführer dieser Menschen. All das hier hat er geschaffen, weißt du? Die Widerstandsbewegung istsein

Werk.« »Warum führt er sie dann nicht an?« »Bisher konnte er das nicht«, antwortete Singh. »Bis gestern Morgen war er Mitglied der Kriegerkaste. Er konnte nur im Verborgenen agieren. Jetzt, wo er die Maske fallen gelassen hat, wird er über kurz oder lang sein Recht fordern.«

»Und?«, fragte Mike. »Macht es dir etwa Spaß, den Widerstandskämpfer zu spielen?« »Natürlich nicht.« Singh wirkte ein bisschen verärgert. Er sah wieder nervös zum Eingang. »Vertrau mir

einfach. Rede nicht mehr über die NAUTILUS und wundere dich nicht, wenn ich vielleicht ... sonderbare Befehle gebe.«

»Sonderbare Befehle?« »Ich weiß, wo Chris und Ben sind«, sagte Singh. »Und ich glaube, dass ich auch herausfinden kann, wo sie Trautman hingebracht haben.«

»Dann befreien wir sie!«, sagte Mike impulsiv.

»So einfach ist das nicht«, erwiderte Singh. »Ben und Chris sind in die Eisengruben gebracht worden. Der Weg dorthin ist weit und die Gefangenen werden streng bewacht. Wir brauchen Sarns Hilfe, um sie zu befreien. Und die seiner Leute.«

»Und zum Dank willst du sie betrügen«, sagte Mike. Singh sah ihn eine Sekunde lang ausdruckslos an. Dann sagte er ruhig: »Ich habe befürchtet, dass du so reagierst. Es ist nicht so, wie du glaubst. Ich werde dir alles erklären, aber nicht jetzt. Ich bin schon viel zu lange hier. Schlaf dich jetzt aus und danach überlegen wir, wie wir Chris und Ben befreien.«

»Und was ist mit den anderen?«, fragte Mike. »Juan? Und ...« Er zögerte, fast als hätte er Angst, die Frage ganz auszusprechen. »Serena?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Singh. »Vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir Chris und Ben befreit haben.«

Er ging. Mike starrte den geschlossenen Vorhang hinter ihm noch lange an. Ein sonderbares Gefühl von Verwirrung machte

sich in ihm breit. Natürlich war er immer noch erleichtert,

einen seiner Freunde wieder gefunden zu haben. Aber Singh benahm sich ganz und gar nicht so, wie er erwartet hatte.

Und er hatte das sichere Gefühl, dass das noch längst nicht die letzte unangenehme Überraschung sein würde, die auf ihn wartete.

Am nächsten Morgen lernte er die meisten anderen Mitglieder des Widerstandes kennen. Es waren etwa vierzig, vielleicht fünfzig Männer und Frauen – die Unzufriedensten der Unzufriedenen und die wenigen, die den Mut gefunden hatten, sich wenigstens im Geheimen gegen Argos’ Tyrannei und die Unterdrückung der herrschenden Kaste aufzulehnen.

»Es fällt mir schwer, das zu glauben«, sagte Mike, als Sarn, der ihn gemeinsam mit Singh zu einem reichhaltigen Frühstück erwartet hatte, mit der Aufzählung seiner Verbündeten zu Ende gekommen war.

»Was?«, fragte Sarn. »Dass wir schon so viele sind? Es gibt den Widerstand erst seit einigen Jahren.«

»Ganz im Gegenteil«, antwortete Mike. Er fing einen warnenden Blick Singhs auf, den er aber ignorierte. Sarn war an diesem Morgen wie ausgewechselt: sehr freundlich, gut aufgelegt und ohne die Spur von Misstrauen. Vielleicht war es ja Singh, der zu misstrauisch war, und nicht der Krieger.

»Im Gegenteil?«, fragte Sarn. »Was meinst du damit?«

»Ich habe ein paar Monate hier gelebt«, erinnerte ihn Mike. »Ich meine: Ich habe zwar das meiste davon vergessen, aber ich weiß trotzdem, wie es den Menschen hier geht. Die meisten werden behandelt wie Sklaven!«

»Deshalb haben wir uns zusammengetan«, bestätigte Sarn. »Um die Tyrannei der herrschenden Kaste zu brechen.«

»Wie viele Menschen leben in Lemura?«, fragte Mike. Sarn blinzelte. »Vielleicht ... zwanzigmal tausend«, sagte er. »Warum?«

»Zwanzigtausend«, sagte Mike. »Und vierzig oder fünfzig davon begehren nur gegen die Tyrannei auf!«