122181.fb2 Die Stadt der Verlorenen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

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»Wovon leben diese Tiere?«, fragte Mike. »Es müssen Tausende sein!«

»Sie gehen auf die Jagd«, antwortete Sarn. »Diese Höhlen hier sind ihr Jagdrevier. Deshalb können wir auch nicht lange bleiben. Wenn sie ausschwärmen, dann ist nichts vor ihnen sicher ... Aber keine Angst.

Im Moment sind sie satt. Wir haben also ein wenig Zeit.«

Mike fand die letzte Bemerkung ziemlich geschmacklos. Deshalb ging er auch nicht weiter darauf ein, sondern fragte: »Wohin bringst du mich?«

»An einen geheimen Ort«, antwortete Sarn. »Die Führer des Widerstands wollen dich sehen. Ich und andere haben seit Wochen nach dir gesucht.« Er stand auf. »Und nun komm weiter. Die Fangkrebse sind nicht die einzige Gefahr, die in diesen Höhlen lauert.«

Sie marschierten weiter. Der Weg erwies sich tatsächlich als gefährlich, obgleich ihnen nicht ein einziges lebendes Wesen

begegnete, geschweige denn ein Raubtier. Doch was als kaum

sichtbarer Spalt im Fels begonnen hatte, das erwies sich mehr und mehr als gewaltiges unterirdisches Labyrinth, in dem sich Mike alleine schon nach wenigen Minuten hoffnungslos verirrt hätte. Es war ihm ein Rätsel, wie Sarn hier die Orientierung behielt.

Doch selbst mit einem ortskundigen Führer grenzte es an ein Wunder, dass sie den Weg zur Oberfläche hinauf schafften. Mehr als einmal mussten sie sich durch Spalten und Felsritzen quetschen, die kaum groß genug schienen, einen Arm hindurchzustrecken, und ein paar Mal führte der Weg durch gewaltige Hohlräume oder vorbei an Abgründen, die eine Meile oder mehr in die Tiefe führen mussten.

Als sie endlich wieder Tageslicht vor sich erblickten, hatte Mike kaum noch die Kraft, sich auf den Füßen zu halten. Sarn musste ihn auf den letzten Metern beinahe tragen.

Nach endlosen Stunden, die sie sich nur im blassen Schein der Leuchtalgen bewegt hatten, blendete ihn das im Grunde nicht einmal sehr intensive Licht der Himmelskuppel Lemuras fast. Er konnte nicht viel erkennen. Rings um sie herum war immer noch Wald, aber sie mussten sich wohl auf der oberen Ebene Lemuras aufhalten, denn weit hinter der grünen Mauer des Dschungels konnte er die schimmernden Türme des Königspalastes erkennen.

»Können wir jetzt ... ausruhen?«, murmelte er, während er mit hängenden Schultern an Sarn vorbeischlurfte.

»Sicher«, sagte Sarn. »Wir sind jetzt –warte!«

Das letzte Wort hatte er in einem erschrockenen Flüstern hervorgestoßen. Gleichzeitig fuhr er herum, duckte sich halb und griff nach seinem Schwert.

»Was ist?«, fragte Mike alarmiert.

Sarn hob warnend die linke Hand und zog mit der anderen sein Schwert. »Still!«, sagte er. »Hörst du nichts?«

Mike lauschte, konnte aber keinen Laut vernehmen. »Jemand kommt«, sagte Sarn. »Zwei oder drei Mann. Schnell!«

Er stürmte los und gab Mike ein Zeichen ihm zu folgen, aber er kam nur wenige Schritte weit. Plötzlich teilte sich das Unterholz vor ihm und ein Mann in der Kleidung eines Kriegers trat hervor. Einen Moment später raschelte es erneut und ein zweiter und dann ein dritter Mann traten aus dem Wald. Alle waren mit Schwertern und großen, runden Schilden bewaffnet.

Sarn schrie wütend auf, riss seine Klinge in die Höhe und attackierte den vor ihm stehenden Mann. Aber die stundenlange Flucht durch die Höhlen hatte ihren Preis gefordert: Der Mann musste sich nicht einmal anstrengen, um Sarns Hieb auszuweichen. Sarn stolperte an ihm vorbei und fiel auf die Knie. Der Krieger schlug ihm die flache Seite der Klinge in den Nacken. Sarn stürzte, ließ seine Waffe fallen und rollte schwerfällig auf den Rücken.

Einen Moment später war der Angreifer über ihm und setzte ihm das Schwert an die Kehle. »Begeh jetzt keinen Fehler, Sarn«, sagte er. »Ich möchte dich nicht töten. Noch nicht.«

Eine starke Hand legte sich auf Mikes Schulter und einer der anderen Krieger trat neben ihn. Der dritte gesellte sich zu dem,

der Sarn überwältigt hatte. Vielleicht trauten sie der

vermeintlichen Schwäche des Kriegers doch nicht so ganz.

»Du enttäuschst mich, Sarn«, sagte der erste Krieger kopfschüttelnd. »Du enttäuschst mich wirklich sehr. Ich habe dich für einen meiner besten Männer gehalten. Und du hintergehst mich auf eine so schmähliche Weise.« Er trat einen Schritt zurück und machte gleichzeitig eine auffordernde Bewegung mit seinem Schwert.

Sarn gehorchte, wenn auch erst nach kurzem Zögern. Sein Blick wanderte zwischen den Gesichtern seiner ehemaligen Kameraden und Mike hin und her. In seinen Augen stand eine unendlich tiefe Enttäuschung geschrieben, aber er verzog keine Miene.

Nachdem er vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, trat der Kommandant kopfschüttelnd zurück und wandte sich zu Mike um. »Du bist also der Junge, um dessentwillen Sarn und der gesamte Widerstand ein solches Risiko eingehen«, sagte er.

»Davon weiß ich nichts«, antwortete Mike – und taumelte im nächsten Moment zwei Schritte zurück. Sein Gesicht brannte so heftig, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Der Krieger hatte ihn ohne Vorwarnung geohrfeigt.

»Was fällt dir ein, das Wort an mich zu richten, ohne dass ich dich dazu aufgefordert habe!«, fauchte er. »Tu es noch einmal und ich lasse dir die Zunge herausschneiden!«

Mike hütete sich irgendetwas dazu zu sagen, sondern senkte hastig den Blick. Der Krieger starrte ihn noch einen Moment zornig an, dann fuhr er auf dem Absatz herum und deutete auf Sarn.

»Bindet ihn!«, befahl er. »Macht es gründlich und passt auf.

Sarn ist gefährlich, selbst mit gebundenen Händen. Und beeilt euch. Argos erwartet uns auf der Burg, noch ehe die Schlafenszeit beginnt!«

Mike wurde gepackt und grob herumgestoßen. Er war so müde, dass er im Gehen hätte einschlafen können.

Aber darauf nahmen die drei Männer natürlich keine Rücksicht.

Es musste wohl wirklich so gewesen sein, dass er im Gehen eingeschlafen war, denn das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war, dass er heftig gegen den Rücken seines Vordermannes prallte und dann noch heftiger zurückstolperte und zu Boden fiel, als dieser herumfuhr und ihn ohrfeigte.

Halb benommen stürzte er zu Boden, blieb einen Moment liegen und rappelte sich dann hastig wieder hoch.

»Pass gefälligst auf, wo du hinläufst, du Tölpel!«, knurrte der Mann, den er angerempelt hatte, und versetzt ihm einen unsanften Knuff in die Seite. »Das nächste Mal kommst du nicht so glimpflich davon!«

Mike war klug genug, nichts zu sagen, aber er spuckte ein bisschen Blut aus. Ganz so glimpflich kam es ihm gar nicht vor...

»Lasst ihn in Ruhe«, mischte sich Sarn ein. »Ihr seht doch, dass der Junge vollkommen erschöpft ist. Wollt ihr ihn als Leiche bei Argos abliefern?«

Etwas klatschte. Mike sah nicht hin, aber er nahm an, dass man nun auch Sarn geschlagen hatte, und dieselbe Stimme, die auch ihn angefahren hatte, sagte in hämischem Ton: »Genau genommen sollen wir nur dich lebendig abliefern, Verräter. Ich weiß nur nicht, ob du dich darüber freuen solltest. Weiter jetzt!«

Mike wurde erneut grob vorwärts gestoßen. Nachdem sich das Dröhnen in seinem Kopf ein wenig gelegt hatte, begriff er, dass er wohl eine geraume Zeit mehr schlafend als wach hinter den Männern hergeschlurft sein musste, denn ihre Umgebung hatte sich stark verändert. Statt durch dichten Wald marschierten sie nun einen gewundenen, sanft ansteigenden Weg entlang, zu dessen Seiten sich große, offensichtlich gerade abgeerntete Felder erstreckten. Hier und da erhoben sich kleine, aus Fels und Korallenbruch erbaute Hütten und ungefähr eine halbe Meile vor ihnen endete der Pfad vor einer gut zehn Meter hohen, bunt bemalten Wand; der Stadtmauer Lemuras, der Hauptstadt und gleichzeitig aber aucheinzigen Stadt des unterirdischen Reiches. Über der Mauerkrone konnte Mike die Dächer der Häuser erkennen und weit darüber wiederum die Türme der schimmernden Burg, in denen Argos und die herrschende Kaste lebten. Er hatte kein sehr gutes Gefühl. Seine Erinnerungen waren noch immer blockiert, aber allein beim Klang des Namens Argos lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Und er empfand ein starkes Gefühl von Enttäuschung.

Sie passierten das Stadttor, ohne aufgehalten zu werden. Der Hauptmann hob nur kurz die Hand und winkte einer der beiden Wachen am Tor zu und sie durften passieren.

Offensichtlich waren sie erwartet worden.

Mike sah sich neugierig um, als sie die Stadt betraten. Lemura war nicht besonders groß, aber dafür umso einzigartiger. Die Häuser waren nach den Regeln einer fremdartigen Architektur erbaut und die Straßen waren schmal. Viele Türen waren mit kostbaren Schnitzereien verziert und hier und da sah er auch abblätterndes Gold oder gar Edelsteine, die in die Reliefarbeiten eingelassen waren. Aber er sah auch eine Menge Beschädigungen, geborstene Türen, gesplitterte Fensterscheiben und eingesunkene Dächer, die nie repariert worden waren. Lemurajedenfalls der Teil, durch den sie gingen – machte den Eindruck von verblichener Pracht, und die Menschen, die ihnen entgegenkamen, passten dazu. Die meisten waren ärmlich gekleidet und wirkten ausgezehrt und krank und sie bewegten sich mit gesenkten Köpfen und kleinen, schleppenden Schritten, als trügen sie eine unsichtbare Last mit sich herum. Mike hatte das Gefühl sich durch eine Stadt voller Sklaven zu bewegen. Der Anblick der schimmernden, perlmuttbesetzten Türme über ihren Dächern wirkte wie der pure Hohn.

»Sieh dich ruhig um«, sagte Sarn, dem seine Blicke nicht entgangen waren. »So leben die Menschen in Lemura, damit die Herrscher ein möglichst angenehmes Leben führen können!«

Mike antwortete nicht, aber der Kommandant sagte: »Ich an deiner Stelle würde mir überlegen, was ich rede. Argos wird von solchen Sprüchen nicht begeistert sein.«

»Und?«, fragte Sarn. »Ihr tötet mich doch sowieso!«

»Das ist wahr«, antwortete der Kommandant. »Die Frage ist nur, ob schnell oder möglichst langsam und qualvoll. Also schweig jetzt lieber.«

Sarn lachte, folgte dem Rat seines ehemaligen Vorgesetzten aber trotzdem und schwieg, während sie weiter durch die schmalen Straßen in Richtung Schloss gingen.

Sie überquerten eine Art Marktplatz, der den Eindruck noch untermauerte, den Mike von dieser Stadt auf dem Meeresgrund hatte: Die wenigen Buden waren ärmlich und heruntergekommen und die feilgebotenen Waren luden nicht zum Kauf ein: verschlissene Stoffe, rostiges Metall und größtenteils fremdartiges Gemüse und Obst, das nicht besonders appetitlich aussah.

Nachdem sie den Marktplatz überquert hatten, bogen sie in eine weitere, noch schmalere Gasse ein. Zwei oder drei Männer mit gesenkten Häuptern und unansehnlichen grauen Mänteln kamen ihnen entgegen und in mehreren Türen lehnten Gestalten, die ihnen mit gelangweilten Blicken nachsahen.