122182.fb2 Die Stadt unter dem Eis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

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Trautman versetzte Vom Dorff einen Stoß, der ihn auf das Eis stürzen und hilflos davonschlittern ließ, und begann gleichzeitig zu rennen. Auch Mike beschleunigte seine Schritte, so weit er es nur wagte. Trotzdem war Kanuats Gespann noch immer ungleich schneller als er.

Trautman war der Erste, der den Sprung wagte. Er landete erstaunlich geschickt auf dem Schlitten, fiel auf die Seite und streckte trotzdem sofort die Hand in Mikes Richtung aus.»Spring!«,schrie er.

Mike raffte all seinen Mut zusammen, stieß sich ab und sprang mit aller Kraft.

Er merkte sofort, dass er sich verschätzt hatte. Der Schlitten war zu schnell und er hatte auf dem glatten Untergrund nicht genug Schwung holen können. Es gelang ihm zwar, Trautmans ausgestreckte Hände zu ergreifen, aber er verfehlte den Schlitten und prallte mit grausamer Wucht auf das Eis.

Trautman zerrte ihn unbarmherzig zu sich heran, krallte schließlich die Hand in seinen Gürtel und zog ihn mit einem Ruck auf den Schlitten hinauf. Mike rollte sich keuchend auf den Rücken, blinzelte die Tränen weg und versuchte sich aufzurichten.

»Das war knapp«, keuchte Trautman. »Bist du in Ordnung?«

»Ja«, antwortete Mike gepresst. »Ich muss wahrscheinlich in

Zukunft nur aufpassen, dass ich mir nicht dauernd selbst auf die

Hände trete.«

Trautman grinste, setzte sich vorsichtig auf und sah zum Ufer zurück. Ihre Verfolger waren weiter zurückgefallen, legten aber allmählich an Tempo zu.

»Keine Angst!«, rief Kanuat. »Sie holen uns nicht ein!«

Tatsächlich handhabten die Soldaten die Schlitten nicht einmal annähernd so geschickt, wie es der Inuit tat. Kanuat stand hoch aufgerichtet auf einem sonderbar anmutenden Gestell am Heck des geflochtenen Schlittens. Obwohl sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahinrasten, hielt er sich mit nur einer Hand fest. Mit der anderen ließ er immer wieder die Peitsche knallen, ohne dass die geflochtene Schnur die Rücken der Tiere vor ihnen allerdings auch nur ein einziges Mal berührte.

Ihre Verfolger hatten in dieser Hinsicht allerdings weniger Hemmungen. Das Bellen der Hunde klang immer schriller und gequälter und das Ergebnis ließ auch nicht lange auf sich warten. Einer der Schlitten begann plötzlich zu schlingern. Die Hunde heulten schrill auf, dann stellte sich das Gespann quer und zerbarst plötzlich, als wäre es von einer Kanonenkugel getroffen worden. Trümmer und Soldaten flogen in alle Richtungen davon, während sich die Hunde losrissen und ihr Heil in der Flucht suchten.

»Diese Narren!«, schrie Kanuat. »Hoffentlich brechen sie sich die Hälse!«

Zumindest das hatten die Besatzungen der beiden anderen Gespanne wohl nicht vor, denn sie wurden nun deutlich

langsamer. Zuerst fiel das eine zurück und wenige Augenblicke

später gab auch das zweite Gespann die Verfolgung auf. Sie waren gerettet. Zumindest für den Augenblick.

Kanuat nahm ein wenig Tempo zurück, hielt aber keineswegs an, als sie das jenseitige Flussufer erreichten, sondern wechselte nur auf einen etwas westlicheren Kurs und fuhr noch beinahe eine Stunde lang weiter. Weder er selbst noch Trautman oder Mike sprachen in dieser Zeit auch nur ein einziges Wort.

Endlich wurde das Gespann langsamer. Sie glitten über eine schneebedeckte Ebene, auf der sich niedrige Felsformationen mit weiten, leeren Eisflächen abwechselten, auf denen der Wind immer neue bizarre Formen aus pulverfeinem Schnee erschuf und wieder auseinander riss. Kanuat lenkte das Gespann auf eine dieser Felsformationen zu, hielt an und sprang mit einem federnden Satz vom Schlitten.

»Steigt ab«, sagte er. »Wir rasten hier.«

Mike und Trautman gehorchten, doch Trautman schien von der Unterbrechung der Fahrt nicht begeistert. »Jetzt schon?«, sagte er. »Wir sind noch sehr nahe an der Stadt, meinen Sie nicht?«

»Ein Sturm zieht auf«, erwiderte Kanuat. »Niemand wird uns verfolgen. Helft mir das Zelt aufzubauen. Rasch!«

Mike sah den Inuit zweifelnd an und warf dann einen Blick in den Himmel. Über ihnen war nicht eine einzige Wolke zu sehen und der Wind hatte während der letzten Minuten sogar deutlich an Kraft verloren. Trotzdem tat Mike, was Kanuat verlangt hatte. Unter der Anweisung des Inuit errichteten sie ein kleines, aus kunstvoll zusammengenähten Fellstückchen bestehendes Zelt, das sich in den Windschatten der Felsen schmiegte. Als sie fertig waren, schirrte Kanuat die Hunde ab. Die Tiere stießen ein erleichtertes Kläffen aus und verschwanden wie der Blitz.

»Wollen Sie sich nicht um sie kümmern?«, fragte Mike.

Kanuat schüttelte den Kopf. »Sie geben schon auf sich selbst Acht«, sagte er, »besser, als ich es könnte. Du magst Tiere sehr, wie?« Als er dies sagte, erschien zum ersten Mal, seit Mike ihn kannte, ein flüchtiges Lächeln auf seinem Gesicht. Er wurde jedoch sofort wieder ernst und deutete auf das Zelt. »Geht hinein. Der Sturm bricht gleich los.«

Mike sah erneut in den Himmel. Der Anblick hatte sich nicht verändert und der Wind war nun fast ganz zum Erliegen gekommen. Er widersprach jedoch nicht, sondern kroch gehorsam in das Zelt. Nachdem Kanuat und Trautman ihm gefolgt waren, war es drinnen so drückend eng, dass Mike das Gefühl hatte, kaum noch richtig atmen zu können. Das Zelt war eindeutig nur für eine Person gedacht, nicht für drei.

»Wir sind noch gar nicht dazu gekommen, uns für Ihre Hilfe zu bedanken«, sagte Trautman. »Ich hoffe, Sie bekommen nicht zu viel Ärger. Vom Dorff wird nicht sehr begeistert von dem sein, was Sie getan haben.«

»Das spielt keine Rolle mehr«, sagte Kanuat. Sein Gesicht blieb vollkommen ausdruckslos. »Es war schon um mich geschehen, als sie euch bei mir entdeckt haben. Sie verzeihen keinen Verrat.«

»Das tut mir Leid«, sagte Trautman betroffen. »Das wollten wir nicht.« »Ich weiß«, antwortete Kanuat. »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Es war meine Entscheidung, mich mit euch einzulassen. Ich hätte es nicht tun müssen.«

»Und warum haben Sie es dann getan?«, fragte Mike. »Die Feinde der Deutschen sind unsere Verbündeten«, antwortete Kanuat. »Nicht alle Deutschen sind schlecht«, sagte Trautman. »Das weiß ich«, sagte Kanuat. »Aber die, die hier sind, sind es. Ich hätte euch nicht geholfen, hätte ich

geglaubt, dass ihr wie sie seid.« »Entschuldigen Sie«, murmelte Mike. Ein plötzlicher Windstoß traf das Zelt und ließ sie alle verstummen. Trautman warf einen ängstlichen

Blick zum Eingang, aber Kanuat zeigte sich vollkommen unbeeindruckt. »Sie hatten mir eine Bezahlung

versprochen«, sagte er, an Trautman gewandt. »Ich brauche sie jetzt.« Trautman wirkte ein wenig überrascht, griff aber trotzdem unter seine Jacke und zog die Perlen hervor. Mit spitzen Fingern nahm er eine der Perlen heraus, zögerte aber, sie Kanuat zu geben.

»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Kanuat. »Es geht nicht um mich. Ich kann für lange Zeit nicht

wieder nach Hause zurück. Vielleicht Jahre. Ich muss meine Familie versorgen.« Trautman nickte. Dann ließ er die Perle wieder in den Beutel zurückfallen, schnürte ihn zu und wog das ganze Säckchen nachdenklich in der Hand. »Das gehört Ihnen«, sagte er, »wenn Sie uns zu unserem Ziel und sicher wieder zurück zur Küste bringen.«

Zum ersten Mal hatte sich Kanuat nicht in der Gewalt. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck maßloser Verblüffung. Allerdings nicht die Spur von Gier – obwohl Trautman ihm ein wahres Vermögen in Aussicht gestellt hatte.

Trotzdem zögerte er nach dem Beutel zu greifen. »Wohin wollt ihr?«, fragte er.

»Genau weiß ich es selbst nicht«, gestand Trautman. »Ich kenne nur die Längen- und Breitengrade. Aber es kann nicht sehr weit von hier sein.« »Ich kenne mich mit diesen Angaben aus«, sagte Kanuat.

Trautman nannte ihm die Positionsangaben und Kanuat überlegte einen Augenblick. »Der Berg der Geister«, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf. »Das ist unmöglich. Niemand geht dorthin. Und niemand, der es bisher versucht hat, ist je zurückgekommen.«

»Wie denn, wenn es noch nie jemand versucht hat?«, fragte Mike impulsiv.

Kanuat sah ihn irritiert an, aber Trautman fuhr fort, ehe er antworten konnte. »Wir müssen dorthin. Wenn Sie uns nicht begleiten wollen, habe ich Verständnis dafür. Bringen Sie uns, so weit es geht, und erklären Sie uns den Weg.« Er reichte Kanuat den Beutel. »Die Perlen können Sie trotzdem behalten.«

»Es geht nicht darum«, antwortete Kanuat – was ihn allerdings nicht daran hinderte, den Beutel in Blitzesschnelle in der Tasche verschwinden zu lassen. »Niemand geht dorthin. Dieser Ort ist verflucht. Böse Geister leben dort. Es ist kein Platz für Menschen.«

»Wir glauben nicht an Geister«, sagte Trautman sanft.

»Weder an böse noch an gute.«

»Sie sprechen wie alle weißen Männer, die hierher kommen und glauben, über unser Land und unser Leben bestimmen zu können«, antwortete Kanuat.

»Im letzten Sommer waren schon einmal Männer wie Sie hier. Auch sie haben über unsere Legenden gelacht. Wir haben sie gewarnt, zum Berg der Geister zu gehen, aber sie haben nicht auf uns gehört. Niemand hat sie je wieder gesehen.«

»Männer wie ich?«, wollte Trautman wissen. Er tauschte einen raschen Blick mit Mike. »Erzählen Sie mir von ihnen!«

»Es waren viele«, sagte Kanuat. »Mehr als zwanzig. Sie hatten eine Menge Ausrüstung und Waffen und Fahrzeuge mit Ketten und Kufen. Das alles hat ihnen nichts genutzt.«

»Und was hat Vom Dorff dazu gesagt?«

»Nichts.« Kanuat machte ein abfälliges Geräusch. »Er ist feige. Sie waren zu viele, als dass er es gewagt hätte, sich gegen sie zu stellen.«