122182.fb2 Die Stadt unter dem Eis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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»Unsinn!«, widersprach Mike. »Ich bin nicht mitgekommen, um Sie im Stich zu lassen, sondern um Ihnen zu helfen.«

»Aber du hilfst mir nicht, wenn du dich auch gefangen nehmen lässt!«, antwortete Trautman. »Schlagt euch zur Küste durch. Ihr müsst die NAUTILUS finden. Und dann sagst du Singh, dass genau das passiert ist, wovor wir uns seit fünf Jahren gefürchtet haben. Er weiß dann schon, was zu tun ist.«

»Also doch«, sagte Mike. »Sie haben die ganze Zeit über –«

»Das ist jetzt wirklich nicht der Moment, Mike!«

Das Schlimme ist, dass er Recht hat, dachte Mike. In jeder Beziehung. Jetzt war weder der Moment für Erklärungen noch konnten sie Trautman mitnehmen. Er wurde immer schwächer. Ihre Verfolger würden sie binnen weniger Minuten einholen. »Haut schon ab!«, schnappte Trautman. »Macht euch keine Sorgen um mich! Sie werden mir nichts tun. Vom Dorff kann es sich gar nicht leisten, mich umzubringen. Nicht bevor ich ihm verraten habe, was ihr wisst. Und das werde ich ganz bestimmt nicht tun!«

Wie um seine Worte noch zu unterstreichen, erschien in diesem Augenblick der Kopf des ersten deutschen Soldaten über der Eiskante. Kanuat boxte ihm auf die Nase. Der Mann schrie auf, ließ seinen Halt los und kippte nach hinten. Zur Antwort krachte unten eine ganze Salve Gewehrschüsse und Kanuat zog hastig den Kopf ein. »Weg hier!«

Mike zögerte noch einen letzten Moment, aber dann sah er endlich ein, dass sie nichts mehr für Trautman tun konnten. Hastig sprang er auf und folgte Kanuat. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass er einen guten Freund im Stich gelassen hatte.

Der Spalt führte ungefähr fünfzehn Meter tief in den Eisberg hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus. Statt des erwarteten Gewirrs aus Kanten und reißenden Spitzen befand sich vor ihnen eine schräge, vollkommen glatte Fläche, über die sie wie auf einer von der Hand der Natur modellierten Rutschbahn in die Tiefe schlittern konnten. Unten angekommen sprangen sie sofort wieder auf die Füße und hetzten weiter.

Mike sah mit klopfendem Herzen über die Schulter zurück. Der Felsspalt, aus dem sie herausgekommen waren, blieb leer. Entweder es war Trautman tatsächlich gelungen, ihre Verfolger aufzuhalten, oder sie hatten die Jagd abgebrochen und gaben sich mit einem Gefangenen zufrieden. Zu seiner Erleichterung hörte er jedoch auch keine weiteren Schüsse.

Trotzdem rannten sie noch eine ganze Weile weiter, ehe sie es

zum ersten Mal wagten, anzuhalten. Mike ließ sich schwer atmend auf einen Eisklotz sinken, während Kanuat trotz der kräftezehrenden Hetzjagd noch geradezu unverschämt frisch wirkte.

»Haben wir es geschafft?«, keuchte Mike.

»Für den Moment«, sagte Kanuat. »Aber sie werden nicht aufgeben. Wir sind noch nicht in Sicherheit.«

»Ich brauche einen Moment Ruhe«, presste Mike hervor. Sein Herz raste, als wollte es jeden Moment aus seinem Hals herausspringen. »Sind wir ... weit von deinem Schlitten entfernt?«

Kanuat sah sich einen Moment unschlüssig um, ehe er antwortete. »Ehrlich gesagt weiß ich es nicht«, gestand er.

»Sie haben sich verirrt?«

»Wir«,verbesserte ihn Kanuat. »Wirhaben uns verirrt. Aber damit hast du leider Recht. Hier sieht alles gleich aus. Und ich war noch nie hier.«

Das stimmt, dachte Mike niedergeschlagen. In dem Gewirr bizarr geformter Eisstrukturen und Spalten war es wahrscheinlich vollkommen unmöglich, sich nicht zu verirren.

»Der Schlitten würde uns sowieso nichts nutzen«, murmelte er. »Sie würden uns sofort sehen, wenn wir uns auf das Eis hinauswagen.« Er sah Kanuat Verzeihung heischend an. »Es tut mir Leid.«

»Was?«

»Dass wir Sie in diese Situation gebracht haben«, sagte Mike. »Sie hätten auf Ihre innere Stimme hören und uns davonjagen

sollen. Wir hatten kein Recht, Sie um Hilfe zu bitten.«

»Es war meine Entscheidung«, antwortete Kanuat. »Außerdem ist es sinnlos, einmal gemachte Fehler zu bejammern.«

Mike war ein bisschen enttäuscht. Er hatte gehofft, dass Kanuat ihm heftiger widersprechen würde. Stattdessen fuhr der Inuit fort:

»Es muss einen Weg in diesen Berg hinein geben. Jetzt, da wir wissen, dass es ihn gibt, werden wir ihn auch finden.«

»Wenn die Deutschen uns nicht vorher einfangen.« Mike stand auf. »Aber Sie haben Recht. Je eher wir mit der Suche anfangen, desto –«

Der Boden unter ihm gab nach. Das vermeintlich massive Eis, auf das er den Fuß setzte, erwies sich als kaum fingerdicke Schicht, die unter seinem Gewicht wie Glas zersplitterte. Darunter kam ein gut metergroßer, kreisrunder Schacht zum Vorschein, der im steilen Winkel in eine bodenlose Tiefe hinabführte.

Mike schrie auf, warf sich in einer verzweifelten Bewegung zurück und griff nach irgendeinem Halt. Kanuat seinerseits griff mit beiden Händen zu, bekam im buchstäblich allerletzten Moment Mikes Handgelenk zu fassen – und machte die Katastrophe damit komplett.

Kanuat war alles andere als ein Schwächling, aber auf dem spiegelglatten Boden fand er einfach nicht den Halt, der notwendig gewesen wäre, um Mike aufzufangen. Statt seinen Sturz zu bremsen, wurde er ebenfalls aus dem Gleichgewicht gerissen und stürzte zusammen mit ihm hilflos in die Tiefe.

Der Aufprall hätte zweifellos ihr Ende bedeutet, wäre der Schacht bis zum Ende so senkrecht verlaufen wie oben. Seine Neigung nahm jedoch mehr und mehr ab, sodass sie bald mehr durch die Röhre schlitterten als stürzten, und am Ende gab es nur noch eine sanfte Neigung. Der Schacht endete in weniger als einem halben Meter Höhe in einer senkrechten Wand aus Stein. Statt des tödlichen Aufpralls, auf den Mike gefasst war, plumpsten sie nur unsanft zu Boden. Trotzdem blieb Mike fast eine Minute lang reglos liegen und lauschte in sich hinein. Es dauerte eine Weile, bis er sich eingestand, noch am Leben zu sein.

Vorsichtig öffnete er die Augen, richtete sich behutsam auf und sah sich um. Im ersten Moment war er dann doch nicht mehr sicher, noch am Leben zu sein; oder doch zumindest nicht mehr bei klarem Verstand. Was er sah, war so unglaublich, dass es ebenso gut aus einem Traum hätte stammen können.

Sie befanden sich in einer riesigen, ganz aus bläulich schimmerndem Eis bestehenden Höhle, deren Decke an ihrem höchsten Punkt sicher hundert oder mehr Meter über ihnen war.

Und diese Höhle war keineswegs leer.

Rings um sie herum erhoben sich mächtige, uralte Gebäude aus gewaltigen Steinquadern. Ihre Architektur war unheimlich, durch und durch fremd und bizarr und doch auf sonderbare Weise vertraut. Viele der Gebäude glichen wuchtigen Steinpyramiden, aber es gab auch Türme, gewaltige, quadratische Bauten und Gebäude von einer Form, die er nicht einmal in Worte fassen konnte, geschweige denn schon einmal gesehen hatte. Und trotzdem hatte er das unheimliche Gefühl,

dass ihm diese Stadt nicht fremd war.

»Bei den Geistern des Nordwinds«, flüsterte Kanuat erschüttert. »Was ist das?«

Statt zu antworten – was er ohnehin nicht wirklich gekonnt hätte – stand Mike ganz auf und sah sich ein zweites Mal um. Die riesigen, rechteckigen Steinquadern, aus denen die Gebäude bestanden, mussten jeder für sich mindestens eine Tonne wiegen und waren von unheimlicher, dunkelgrüner Farbe. Früher einmal mussten ihre Oberflächen kunstvoll gearbeitete Reliefs und Bilder aufgewiesen haben, aber die Zeit hatte die Schriftzeichen und Verzierungen nahezu unkenntlich gemacht.

Die Stadt musste unvorstellbar alt sein. Viele Gebäude lagen trotz ihrer massiven Bauweise in Trümmern, viele andere waren halb vom Eis eingeschlossen oder ragten gar nur noch zu kleinen Teilen aus den Wänden. Mehr als einmal konnte Mike nicht mit Sicherheit sagen, ob er nun Stein oder Eis betrachtete.

Das vielleicht Unheimlichste überhaupt aber war, dass diese Stadt keineswegs leer und verlassen war, sondern ganz offensichtlich Bewohner hatte. Ein Teil des Lichtes, das die im ewigen Eis eingeschlossene Stadt erhellte, kam direkt aus den Wänden, die zwar dick waren, das Sonnenlicht aber doch nicht vollkommen verscheuchten. In zahlreichen Gebäuden brannte aber auch Licht. Außerdem war es erstaunlich warm. Mike hatte schon nach einigen Augenblicken das Bedürfnis, seine Jacke auszuziehen.

»Unglaublich«, murmelte Kanuat. »Das ist ... Zauberei. Kein Mensch hat so etwas je gesehen!«

»Das stimmt nicht«, antwortete Mike. Plötzlich wusste er es.

Als hätten seine eigenen Worte die Erinnerungen heraufbeschworen, wusste er jetzt, wo er diese Gebäude schon einmal gesehen hatte. Sie waren nicht annähernd so gut erhalten gewesen, sondern beinahe nur noch Trümmer, und es war sehr lange her, aber es war dieselbe fremdartige Architektur.

»Atlantis«, sagte er.

Kanuat sah ihn fragend an. »Was soll das sein?«

»Das ist eine Stadt der Atlanter«, sagte Mike. »Genau so sah es auf der Insel aus, auf der wir die NAUTILUS gefunden haben. Würdest du glauben, dass diese Stadt mindestens zehntausend Jahre alt ist? «

»Eine Stadt des Alten Volkes?«

»Ihr wisst davon?«, fragte Mike überrascht.

»So wie ihr auch«, antwortete Kanuat. »Jedes Volk kennt die Legende von denen, die vor uns da waren. Auch eure.« Er machte eine Geste, als Mike etwas sagen wollte. »Jetzt ist nicht der Moment für alte Geschichten. Jemand kommt.«

Mike verschwendete keine Zeit damit, sich von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen, sondern lief auf das nächste Gebäude zu und huschte durch die Tür. Kanuat folgte ihm dichtauf und sie pressten sich nebeneinander an die Wand. Mike legte den Zeigefinger über die Lippen.

Das Innere des Gebäudes bot einen kaum weniger bizarren Anblick als sein Äußeres. Sie befanden sich in einem sehr großen, asymmetrisch geformten Raum ohne Decke, in dem gleich mehrere Treppen in die Höhe führten. Oder auch nicht. Jede dieser Treppen hatte unterschiedlich große und breite Stufen und zumindest eine davon führte in eine Richtung, die er einfach nicht benennen konnte. Mike sah allerdings auch nicht sehr aufmerksam hin. Er hatte mehr als einmal erlebt, was die atlantische Architektur einem menschlichen Geist antun konnte, wenn man den Fehler beging, sie aufmerksam zu studieren.