122182.fb2 Die Stadt unter dem Eis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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Es wurde sehr still. Nicht nur Trautman starrte ihn fassungslos an. Für drei, vier Atemzüge war es so ruhig, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.

»Was ... sagst du da?«, murmelte Trautman schließlich. »Jedenfalls glaube ich, dass es Ihr Vater ist«, sagte Mike. »Er muss es sein. Er hat Kopf und Kragen riskiert, um hierher zu kommen. Wir konnten uns gar nicht erklären, warum. Bis jetzt.«

»Ist er hier?«, fragte Trautman. »Mein Vater ist hier? Hier in der Stadt?«

»In der Krankenstation«, sagte Mike und fügte hastig hinzu: »Keine Angst. Er ist verletzt, aber ich glaube, nicht allzu schlimm.« »Und die anderen?«, fragte Trautman. »Ich meine, ihr seid doch bestimmt nicht allein gekommen.« »Du hast von der NAUTILUS gesprochen«, erinnerte der andere. Mike schwieg. Statt die Frage zu beantworten, warf er einen bezeichnenden Blick in die Runde. Sie

waren nicht allein. »Sprichst du Französisch?«, fragte Trautman, wobei er bereits zu dieser Sprache wechselte. Mike nickte.»Oui«,sagte er.»Un petit.«Trautman junior machte ein Gesicht, als hätte er plötzlich Zahnschmerzen bekommen. »Autsch«, sagte er,

fuhr aber trotzdem in derselben Sprache fort: »Es wird schon irgendwie gehen. Die Typen hier sprechen jedenfalls kein Wort

Französisch, da bin ich ziemlich sicher.« Mike war ganz und gar nicht sicher, ob er dieser Sprache mächtig genug war, um wirklich eine Unterhaltung führen zu können. Nach einigen Minuten jedoch und unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen gelang es ihnen tatsächlich, eine entsprechende Basis zu finden.

Das Gespräch dauerte sehr lange. Natürlich wollten Trautman und die anderen haarklein wissen, wie sie hergekommen waren und wie ihre Chancen aussahen, vielleicht doch noch von hier wegzukommen. Aber Mike erfuhr auch eine Menge über Trautman und sein Verhältnis zu seinem Sohn. Wie sich herausstellte, hatten sich die beiden seit über zwanzig Jahren nicht gesehen, und auch wenn Trautmans Sohn entsprechenden Fragen geschickt aus dem Weg ging, so war Mike doch nach einer Weile ziemlich sicher, dass die beiden nicht im Guten auseinander gegangen waren.

Sie redeten, bis das Mittagessen gebracht wurde. Während der Gefangenenwärter die dünne Suppe ausschenkte, die sich im Übrigen in nichts von der vom Morgen unterschied, versanken sie wieder in Schweigen, und während sie darauf warteten, dass die geleerten Teller wieder abgeholt wurden, ging die Tür am Ende des Ganges auf und Vom Dorff und Kapitänleutnant Berghoff erschienen.

»Wie ich sehe, hast du ja schon neue Freunde gefunden«, begann Vom Dorff. »Die Überraschung ist mir gelungen, wie?« Mike sagte nichts und auch Trautman junior schwieg, spießte Vom Dorff aber mit Blicken regelrecht auf. »Also gut«, seufzte Vom Dorff. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Hast du dir mein Angebot überlegt?«

»Meine Freunde zu verraten?« »Dir wenigstens anzuhören, was wir zu sagen haben, mein Junge«, sagte Berghoff. »Vielleicht urteilst du vorschnell.«

»Was haben sie dir erzählt?«, fragte Trautman böse. »Dass sie diese Anlage und die WOTAN benützen wollen, um der Welt den himmlischen Frieden zu bringen?« Er machte ein abfälliges Geräusch. »Glaub ihnen kein Wort. Sie sind nichts als habgierige Piraten.«

»Das hat die Welt über Mikes Vater auch gedacht«, sagte Vom Dorff ruhig. »Ist Ihnen noch nie in den

Sinn gekommen, dass Sie sich irren könnten?« »Mir ist alles Mögliche in den Sinn gekommen, in den Monaten, in denen ich jetzt in diesem Loch sitze«, grollte Trautman.

Vom Dorff setzte zu einer Antwort an, beließ es aber dann bei einem wertlosen Kopfschütteln und

wandte sich wieder an Mike. »Könnenwirwenigstens vernünftig miteinander reden?«, fragte er. Mikes erster Impuls war natürlich, empört den Kopf zu schütteln. Aber dann zögerte er, dachte einen Moment nach und sagte schließlich: »Ich kann das nicht allein entscheiden. Ich muss mit Trautman reden. Und ich will, dass er dabei ist.« Er deutete auf Trautmans Sohn.

Berghoffs Gesicht verdüsterte sich. »Du bist wohl kaum in der Position, Forderungen zu –«

»Moment!« Vom Dorff unterbrach ihn mit einer Geste. »Warum eigentlich nicht? Als kleine Geste des guten Willens sozusagen ... Wenn Sie einverstanden sind.« Trautman junior wirkte kaum weniger verblüfft und er zögerte auch ein kleines bisschen länger, als

eigentlich gut war. Aber dann nickte er.

»Wunderbar!«, freute sich Vom Dorff. »Das ist doch schon einmal ein Anfang. Ich lasse euch dann in einer halben Stunde abholen.« Die Eskorte, die sie zu Trautman bringen sollte, erschien fast auf die Minute pünktlich. Aber sie wurden

nicht sofort in die Krankenstation geführt. Stattdessen wiesen die Männer sie in ein anderes Gebäude, in

dem eine Badewanne mit heißem Wasser, frische Kleider und sogar ein Frisör auf Trautmans Sohn warteten.

Als er – nach einer guten halben Stunde – wieder aus dem angrenzenden Zimmer kam, hatte er sich totalverändert. Mike war trotz allem überrascht. Schon am Morgen war ihm die verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem schwarzhaarigen Mann und seinem Vater aufgefallen. Jetzt, mit kurz geschnittenem Haar, sorgsam gestutztem Bart und frischen Kleidern, hätten die beiden – abgesehen vom Alter – eineiige Zwillinge sein können. Sein Gesicht sah erstaunlich frisch aus für einen Mann, der fast ein Jahr lang in einer Gefängniszelle gesessen hatte.

»Großer Gott, hat das gut getan!«, seufzte er. »Jetzt noch eine anständige Mahlzeit und ein riesiges Glas Bier und ich fühle mich fast wieder wie ein Mensch!« Er setzte sich schwer in einen der bequemen Stühle, mit denen das Zimmer ausgestattet war. »Es ist schon erstaunlich, wie sehr man die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen lernt, wenn man sie erst einmal eine

Weile nicht hat.«

»Vielleicht bekommen Sie sie ja bald wieder«, sagte Mike.

Trautman lachte vollkommen humorlos. »Ich habe dich für klüger gehalten«, sagte er. »Du fällst doch nicht wirklich auf diesen Vom Dorff herein?«

»Natürlich nicht«, antwortete Mike. »Aber ich habe Ihnen nicht alles erzählt.«

Trautman warf einen raschen Blick zur Tür und Mike tat dasselbe, ehe er weitersprach. Aber sie waren allein.

»Ich war unten nicht ganz sicher, ob uns nicht doch jemand belauscht«, fuhr Mike fort.

»Das war sehr vernünftig«, pflichtete ihm Trautman bei. »Aber ich habe mir so etwas schon fast gedacht. Euer Schiff ist in der Nähe, nicht wahr? Die NAUTILUS.«

»Gut kombiniert«, bestätigte Mike.

»Das war nicht schwer zu erraten«, sagte Trautman. »Und du glaubst, deine Freunde werden herkommen, um uns zu befreien?«

»Darauf verwette ich mein Leben«, sagte Mike überzeugt. »Ihr Vater hat Singh zwar befohlen, nicht länger als zwei Tage auf uns zu warten, aber ich kenne Singh. Und auch die anderen. Sie werden wahrscheinlich die zwei Tage abwarten und dann herkommen, um nach uns zu suchen.«

»Dann sind sie jetzt noch draußen vor der Küste?«, fragte Trautman.

Mike nickte. »Sie spielen Fangen mit Kapitän Hansen und seinem Zerstörer. Singh beherrscht die NAUTILUS perfekt. Er wird diesen Hansen schön weit weglocken, da bin ich sicher. Die NAUTILUS schafft die Entfernung, für die die PRINZ FERDINAND einen Tag braucht, in weniger als einer Stunde.«

»Dann muss sie ein gutes Stück schneller sein als die WOTAN«, sagte Trautman. »Woher wissen Sie das?« Trautman winkte ab. »Ich war der Leiter dieser Expedition, mein Junge. Vom Dorff hat mir dasselbe

Angebot gemacht wie dir. Und ich bin natürlich zum Schein darauf eingegangen und habe mich hier umgesehen. So lange, bis ich dachte, ich hätte einen sicheren Fluchtweg entdeckt. Leider habe ich mich getäuscht.«

»Und seitdem sitzen Sie im Kerker.«

»Ja«, sagte Trautman. »Genau wie du und mein Vater – wenn es deinen Freunden nicht gelingt, uns hier herauszuholen. Ich hoffe, sie kommen auch wirklich.« »Hundertprozentig«, versicherte Mike. Draußen auf dem Gang wurden Schritte laut und sie verstummten abrupt. Nach einigen Augenblicken

traten Vom Dorff, Berghoff und zwei Soldaten ein. Mike fiel auf, dass die Soldaten nicht bewaffnet waren. »Nun?«, fragte Berghoff, an Trautman gewandt. »Sind Sie so weit?« »Ja.« Trautman stand auf. »Sie können die WOTAN zum Auslaufen bereitmachen, Herr Kapitän.« Mike blinzelte. Was? Was?! »Sie wollen nicht vorher zu Ihrem Vater?«, fragte Vom Dorff. »Das muss warten«, antwortete Trautman kopfschüttelnd. »Ich fürchte, wir haben nicht allzu viel Zeit. Die NAUTILUS kreuzt draußen vor der Küste und versucht

im Moment Hansen wegzulocken. Funken Sie ihn an, dass er nicht darauf hereinfallen soll. Wir sind in

spätestens drei Stunden bei ihm.« Mikes Atem stockte schier und sein Herz begann zu rasen. Er hörte, was Trautman sagte, aber er weigerte sich einfach, es zu glauben.

»Was ... was bedeutet ... das?«, krächzte er. »Ich würde sagen, dass du zu vertrauensselig bist, mein Junge«, sagte Trautman lächelnd.

»Sie haben ... gelogen«, stammelte Mike. »Es war alles gelogen! Von Anfang an!« »Nicht alles«, sagte Trautman. »Eigentlich nur das Allerwenigste, um genau zu sein. Ich habe dir doch gesagt, dass sich ein paar von uns mit Vom Dorff und den anderen zusammengetan haben. Um genau zu sein, sogar die meisten. Auch wenn anscheinend einer unserer Kameraden falsch spielt.« Er wandte sich an Vom Dorff. »Lassen Sie Sörensen verhaften. Offenbar funkt er seit einiger Zeit heimlich nach Hilfe.«

»Wir sollten ihm dankbar sein«, sagte Vom Dorff. »Ohne ihn wäre die NAUTILUS wahrscheinlich niemals hier aufgetaucht.« Er gab einem Soldaten einen Wink. »Erledigen Sie das.«

Der Mann ging und Mike starrte wieder Trautman an. Er spürte, wie sich seine Augen mit brennenden Tränen füllten. »Sie ... Sie haben mich die ganze Zeit über belogen«, sagte er. »Wahrscheinlich sind Sie nicht einmal Trautmans Sohn, sondern sehen ihm nur ähnlich.«

»O nein, er ist schon mein Vater«, sagte Trautman. »Wir haben sogar eine Menge mehr gemein, als du vielleicht ahnst.« Er lachte. »Wir haben sogar denselben Beruf. Wir kommandieren beide ein atlantisches Unterseeboot. Nur unsere Ziele sind ein bisschen unterschiedlich.«

»Haben Sie den Mut, das Ihrem Vater ins Gesicht zu sagen?«,fragte Mike.»Selbstverständlich«,antworteteTrautman.»Sobaldichzurück bin.«»Siesindverrückt,wennSieglauben,dassSiedie

NAUTILUS so leicht aufbringen können«, sagte Mike. »Ich habe nicht gesagt, dass es leicht wird«,antwortete Trautman. »Aber wir haben den Vorteil der Überraschung auf unserer Seite. Dein Freund Singh erwartet vielleicht die >U37<, aber bestimmt nicht so etwas wie die WOTAN.«