122182.fb2 Die Stadt unter dem Eis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

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Aus der dünnen Linie in der Mitte des Fluttores war mittlerweile ein Spalt geworden, der sich rasch weiter verbreitete. Das Wasser schäumte hoch auf, als sich die beiden Torhälften immer schneller auseinander bewegten. Dahinter kam ein gewaltiges, graugrünes Etwas mit gezacktem Stachelkamm und riesigen Bullaugen zum Vorschein.

»Das ist die WOTAN!«, keuchte Trautman. »Vom Dorff, was haben Sie vor?«

»Ich verstehe das ja auch nicht!«, protestierte Vom Dorff. »Glauben Sie mir, ich habe keine Ahnung! Das Schiff ist vor zwei Stunden erst ausgelaufen! Irgendetwas muss an Bord vorgefallen sein!«

Mittlerweile hatten sich die Tore weit genug geöffnet, um das Schiff passieren zu lassen. Die WOTAN glitt behäbig durch die gewaltige Pforte und kam in der Mitte des Hafenbeckens zur Ruhe.

»Irgendetwas stimmt da nicht«, sagte Trautman. »Vom Dorff, wenn das ein Trick ist, werden Sie ihn in weniger als sechs Stunden bereuen. Mein Sohn ist nicht in der Lage, die Kernschmelze aufzuhalten, falls Sie darauf spekulieren.«

Hinter den mannsgroßen Bullaugen im Turm der WOTAN bewegte sich ein Schatten und nur Augenblicke später öffnete sich die Luke oben am Turm und eine schlanke Gestalt in schwarzer Kleidung stieg heraus.

Nicht nur Mike zog überrascht die Luft zwischen den Zähnen ein, als er sie erkannte. Es war niemand anderer als Ben. Und natürlich war es die NAUTILUS.

»Ahoi, da unten!«, rief Ben fröhlich. »Wie geht's denn so?«

Eine Sekunde lang regte sich überhaupt nichts, aber dann kam plötzlich hektische Betriebsamkeit unterdie Soldaten, die ihnen in einigem Abstand gefolgt waren. Und nicht nur in sie. Überall auf Balkonen und Simsen, hinter Türen und Fenstern erschienen plötzlich Soldaten, die ihre Gewehre auf die NAUTILUS und den Jungen auf ihrem Turm richteten.

Ben zeigte sich davon allerdings nicht besonders beeindruckt. Er griff nur nach unten, und als er weitersprach, hielt er ein kleines, an einer spiraligen Schnur hängendes Mikrofon in der Hand, das seine Stimme zigfach verstärkte.

»Ich an eurer Stelle würde mir das dreimal überlegen«, donnerte er. »Auf diese Entfernung ist es nicht ganz leicht, mich zu treffen. Aber selbst wenn: Unten im Kommandoraum steht mein guter Freund Singh und er hat einen Finger auf dem Feuerknopf. Ihr wisst, was die Torpedos dieses Schiffes anrichten können. Ein einziger Schuss und wir verwandeln eure hübsche kleine Stadt in Kleinholz!«

»Das wagt er nicht!«, flüsterte Vom Dorff. »Das würde die NAUTILUS genauso vernichten.«

»Vielleicht«, sagte Trautman. »Vielleicht aber auch nicht. Außerdem glaube ich nicht, dass Ben darauf Rücksicht nimmt. Er ist ein bisschen verrückt, müssen Sie wissen. Und keiner von uns würde zögern sein Leben zu riskieren, um einen der anderen zu retten. So sind wir nun einmal.«

Vom Dorff schwieg verbissen. Sein Blick tastete unsicher über die Kaimauer und die Gebäude dahinter. Die Anzahl der Soldaten war noch weiter gewachsen. Mike schätzte, dass mittlerweile mehr als hundert Waffen auf die NAUTILUS gerichtet waren.

»Was ist nun, Freunde?«, fragte Ben. »Singh hat einen nervösen Zeigefinger. Was soll ich ihm sagen?«

»Vom Dorff?«, fragte Trautman. Vom Dorff schluckte nervös. »Was ... was ist mit dieser Kernschmelze? «, fragte er.

»Ich sage Ihnen, was zu tun ist«, antwortete Trautman. »Sobald wir an Bord der NAUTILUS und in sicherer Entfernung sind. Sie haben mein Wort. Hier kann in zehn Sekunden ein Krieg ausbrechen, der uns alle das Leben kostet, zumindest aber das sehr vieler Ihrer Leute. Oder Sie vertrauen mir und niemand kommt zu Schaden.«

Vom Dorff überlegte. Zehn Sekunden. Fünfzehn. Dreißig. Und dann hob er den Arm und winkte Ben zu.

»Ahoi, NAUTILUS!«, rief er. »Lassen Sie das Beiboot zu Wasser! Wir kommen an Bord!«

Zehn Minuten später glitt die NAUTILUS rückwärts und sehr langsam wieder aus dem Hafen hinaus. Die Lücke im Eis, in der sie sich nun befand, war gerade groß genug, um dem gewaltigen Schiff Platz zu bieten. Wenn sie tauchten, um unter die Eisdecke des zugefrorenen Sees zu gelangen, würden sie senkrecht absteigen müssen.

»Es wird Zeit«, sagte Ben. »Wir sollten nicht zu lange an diesem gastlichen Ort bleiben. Die WOTAN ist zwar im Moment irgendwo auf hoher See und jagt Gespenster, aber ich möchte nicht hier sein, wenn sie ankommt. Dieses Schiff macht mir Angst.«

»Wo ist es überhaupt?«, fragte Trautman.

»Weit weg«, antwortete Ben ausweichend. »Keine Angst.

Ihrem Sohn ist nichts passiert.«

»Woher ... weißt du das?«, fragte Mike verblüfft, aber Ben antwortete nur mit einem Grinsen und Trautman unterbrach das Gespräch, indem er sich an Vom Dorff wandte und mit der unverletzten Hand zum Ufer hinunter wies.

»Sie sollten jetzt von Bord gehen, Herr Vom Dorff. Sie haben auch nicht mehr alle Zeit der Welt.«

Vom Dorff sah auf die schimmernde Eisfläche fünf Meter neben dem Deck der NAUTILUS hinab. »Sie haben mir etwas versprochen«, erinnerte er.

»Dass niemand zu Schaden kommen wird, wenn Sie uns gehen lassen, ja«, bestätigte Trautman. »Und das wird auch nicht geschehen. Sie haben Zeit genug, die Stadt zu evakuieren. Kanuat wird Ihnen zeigen, wie Sie auf dem kürzesten Weg hier wegkommen.«

Vom Dorff blinzelte. »Das war nicht unsere Vereinbarung. Ich habe Sie für einen Ehrenmann gehalten, Trautman!«

»Was ich getan, habe, ist nicht rückgängig zu machen«, sagte Trautman. »Der Reaktorkern wird schmelzen. Keine Macht der Welt kann das jetzt noch verhindern.«

»Auch ... Sie nicht?«

»Auch ich nicht«, bestätigte Trautman.

Vom Dorff schloss für einen Moment die Augen. Als er weitersprach, war seine Stimme ganz leise und klang auf eine fast unheimliche Art leer und flach. »Sie konnten das nie, habe ich Recht?«, fragte er.

Trautman nickte.

»Sie müssen wirklich an das glauben, was Sie sagen«, fuhr Vom Dorff kopfschüttelnd fort. »Sie hatten tatsächlich vor, Ihr eigenes Leben zu opfern, nur um den Jungen zu retten. Sie sind ein erstaunlicher Mann, wissen Sie das eigentlich? So ganz anders als Ihr Sohn. Ich bedaure es ehrlich, dass wir uns nicht unter anderen Umständen begegnet sind.« »Was jetzt nicht ist, kann ja noch werden«, antwortete Trautman. »Aber nur, wenn Sie nicht noch mehr Zeit verschwenden. Gehen Sie und warnen Sie Ihre Leute. In fünf Stunden bricht hier ein Vulkan aus, der alles Leben im Umkreis von zehn Kilometern vernichtet. Ich nehme an, dass der gesamte See auftauen wird. Sie sollten also sehen, dass Sie und Ihre Leute bis dahin nicht mehr auf dem Eis sind. Kanuat wird Ihnen helfen. Geben Sie mir Ihr Wort, dass ihm nichts geschieht?«

»Ja«, antwortete Vom Dorff. Dann drehte er sich herum, sprang mit einer erstaunlich kraftvollen Bewegung auf das Eis hinab und rannte mit weit ausgreifenden Schritten auf das offen stehende Fluttor zu.

»Glauben Sie, dass er Wort hält?«, fragte Mike.

»Was Kanuat angeht?« Trautman nickte. »Ja. Er ist trotz allem ein Ehrenmann – was man von meinem Sohn nicht unbedingt behaupten kann.«

»Ich schlage vor, dass ihr euch darüber später unterhaltet«, sagte Ben. »Wir müssen von hier verschwinden, und zwar schnell!«

Sie kletterten auf den Turm hinauf, quetschten sich nacheinander durch die Luke und machten sich auf den Weg zum Kommandoraum. Die NAUTILUS begann zu tauchen, noch bevor sie angekommen waren. Als sie in den Salon

stürmten, befand sich vor den großen Bullaugen schon nichts

mehr als die Dunkelheit des zugefrorenen Sees.

»Nichts wie weg hier!«, sagte Ben, während er bereits mit Riesenschritten auf das Kommandopult zustürmte. »Wenn wir die offene See nicht erreichen, bevor die WOTAN wieder in den Fluss einläuft, haben wir ein echtes Problem!«

»Wie kommt ihr überhaupt hierher?«, fragte Mike. »Und woher wisst ihr von der WOTAN und allem anderen?« Er fühlte sich ein wenig hilflos – und überflüssig. Im Steuerraum der NAUTILUS war eine hektische Aktivität ausgebrochen, aber jedermann war an seinem Platz und für Trautman und ihn gab es im Moment eigentlich nichts zu tun. In Ermangelung irgendeiner anderen Beschäftigung ging er zum Tisch und setzte sich. Die Tischplatte hatte sich nicht verändert. Sie lag noch immer so hoch voller Papiere und Karten wie in dem Moment, als Mike das letzte Mal hier gewesen war. Selbst das alberne Ouija-Brett lag noch an seinem Platz.

»Woher wohl?«, fragte Ben. »Von dir.« Das Schiff begann zu zittern und das Geräusch der Motoren wurde lauter, als sich die NAUTILUS auf der Stelle drehte und Fahrt aufnahm.

»Von ... mir?!«

»Astaroth«, erklärte Serena. »Er hat die ganze Zeit über deine Gedanken gelesen.« Sie deutete auf den schwarzen Kater, der zu Mikes Füßen auf dem Boden hockte und sich intensiv die Vorderpfoten leckte, so als ginge ihn das alles hier nichts an. »Wir waren sozusagen die ganze Zeit über dabei. Wäre es nicht so gewesen, dann hätte uns die WOTAN garantiert erwischt.«

»Ach so«, sagte Mike. Dann blinzelte er, sah zuerst Serena, dann den Kater und dann wieder Serena an. »Moment mal«, sagte er. »Das klingt ja alles ganz gut, aber wie zum Teufel hat Astaroth euch irgendetwas erzählen können? Ich bin der einzige Mensch an Bord, der mit ihm reden kann.«

»Stimmt«, sagte Serena fröhlich. Ben grinste noch breiter und Singh und Juan konzentrierten sich plötzlich vollkommen auf ihre Instrumente.

»Astaroth!«, sagte Mike scharf. »Würdest du mir freundlicherweise antworten!«