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Seine Kehle war trocken, und vor seinen Augen flimmerte es, als er die Kabine seines Schiffes erreichte. Er stellte sich ein leichtes Marschgepäck zusammen — Kompaß, Trinkflasche, Nahrungstabletten und Salztropfen und was er sonst unterwegs brauchen würde. Er schnallte sich das Bündel auf den Rücken. Es wog nicht mehr als fünf Pfund, ein Gewicht, dessen sich ein Mensch unter normalen Verhältnissen kaum bewußt geworden wäre. Hier wog es neun Pfund, und Foss wußte, daß es ihm weit schwerer erscheinen würde, wenn er sich dem Ende seines Marsches näherte.
Er opferte einige Minuten, um sich auf der Couch auszuruhen, aber seine Aufgabe ließ ihm keine Ruhe. Er raffte sich auf und kletterte aus dem Schiff, sorgfältig ein Bein vor das andere setzend, während er sonst im Laufschritt über den schmalen Gang zu eilen pflegte.
Die Nachmittagssonne stand hoch am Himmel. Zehn Meilen, dachte er. Wie lange würde er für zehn Meilen brauchen? Es war jetzt 13.00 Uhr. Wenn er nur zwei Meilen in der Stunde schaffte, würde er am Ziel sein, bevor die Nacht einbrach.
Eine Gruppe von Adaptierten, die ihn beobachtete, rief ihm etwas zu, was er nicht verstand. Er zerbrach sich nicht den Kopf über den Sinn ihrer Worte. Für ihn stand fest, daß sie ihm keine Ermunterung zugerufen hatten.
Weit und flach breitete sich das Land vor ihm aus. Es war gutes Farmland, sanft gewellt und mit braunem, fruchtbarem Boden. In weiter Ferne türmten sich steile Hügel, aber nicht hoch genug, um Berge genannt zu werden. Die Luft war warm. Ein schmutzigbrauner Weg wand sich durch das Farmland auf die nächste Siedlung zu, in der Carol sich befand.
Es war ein liebliches Land, eine Welt, die zu wertvoll war, um brachzuliegen, was auch der Anlaß gewesen war, Menschen zu formen, die sich unter den herrschenden Verhältnissen behaupten konnten. Aber Foss gehörte nicht in diese Landschaft, und er wußte es.
Langsam quälte er sich vorwärts, Muskeln, dazu geschaffen, einen Mann von 170 Pfund zu stützen, stöhnten unter der Last von 306 Pfund, Sehnen und Bänder drohten, ihren Dienst zu versagen. Foss fühlte sich, als wäre er riesengroß, unvorstellbar schwer und bemitleidenswert schwach. Ströme von Schweiß tränkten seine Kleidung.
Nach einer halben Stunde legte er eine kurze Pause ein und schnitt sich von einem Baum am Straßenrand einen Wanderstock. Es kostete ihn unsagbare Anstrengung, den grünen Zweig vom Baum herabzureißen; sein Atem keuchte und pfiff, als er es geschafft hatte. Mit Hilfe des Stockes zog er sich Schritt für Schritt vorwärts.
Am Ende der ersten Stunde hatte er zweiundeinehalbe Meile zurückgelegt. Das war etwas mehr, als er sich vorgenommen hatte, aber er fühlte sich jetzt schon erschöpft und ausgehöhlt. In der zweiten Stunde schaffte er weniger. Das Pedometer, das er trug, zeigte ihm an, daß er etwas mehr als vier Meilen vom Startpunkt entfernt war; sein Marsch hatte sich verlangsamt.
Noch sechs Meilen lagen vor ihm.
Mechanisch ging er weiter. Er legte keinen Wert mehr auf aufrechte Haltung, brauchte alle Energie für die simple Aufgabe, ein Bein vor das andere zu setzen.
Jeder Schritt bringt mich dem Ziel näher, dachte er. Jeder Schritt bringt mich näher — JEDER SCHRITT bringt mich NÄHER -, und jede betonte Silbe bedeutete einen weiteren Schritt auf das Ziel zu.
Schließlich ließ er sich auf einen kleinen Sandhügel am Straßenrand sinken, um sich auszuruhen. Sein Atem ging in kurzen Stößen. Das Herz hämmerte so hart, daß sein ganzer Körper bei jedem Schlag bebte. Dann dachte er an die spöttelnden Adaptierten, die irgendwo hinter ihm warteten — ihm vielleicht sogar in einigem Abstand folgten, um den Triumph zu genießen, ihn vor Erschöpfung zusammenbrechen zu sehen. An seinem Wanderstab richtete er sich auf und setzte den Marsch fort.
Was sind 1,8 g? fragte er sich. Zum Henker, in einem Raumschiff ertrage ich fünf bis sechs g.
Ja. Aber nur zehn Sekunden lang, gab er sich selbst die Antwort.
Er blickte auf seine Uhr, dann auf das Pedometer. Die Zahlen verschwammen vor seinen Augen. Dreieinhalb Stunden waren seit seinem Aufbruch vergangen, und er hatte etwas mehr als fünf Meilen zurückgelegt. Sein Zeitplan geriet immer mehr in Unordnung.
Er zog das linke Bein vor, setzte den Fuß auf, schwang das rechte Bein, dann wieder das linke, dann wieder das rechte…
Er verlor jedes Gefühl für Zeit und Entfernung. Immer wieder sah er auf die Uhr, fand aber keinen Sinn in den Zahlen und der Zeigerstellung. Von Zeit zu Zeit, wenn er daran dachte, nahm er eine der Tabletten, schluckte sie und konnte sich wieder eine kurze Strecke weiterschleppen.
Der Himmel verdunkelte sich, die Sonne verschwand, die Wärme des Tages wurde vom Raum aufgesogen. Foss marschierte weiter.
Nur zehn Meilen. Machen Sie sich auf die Beine…
Häuser kamen in Sicht. Straßen. Gestalten.
Adaptierte, kurz, gedrungen, grotesk anzuschauen. Foss blickte auf ein ledernes braunes Gesicht herab. Er stützte sich auf seinen Stock, versuchte zu Atem zu kommen.
»Ich bin Webb Foss«, sagte er. »Ich suche eine Frau von der Erde, Mrs. Carol Foss. Ist sie hier?«
Eine Sekunde fürchtete er, der Adaptierte werde boshaft lächeln und ihm erklären, daß er im Kreis gewandert sei, daß er die Siedlung, die er vor einer Ewigkeit verlassen hatte, wieder erreicht habe.
Der Adaptierte nickte ernst. »Die Frau von der Erde ist hier bei uns. Ich werde Sie zu ihr führen.«
»Sie machen keinen Scherz? Sie ist wirklich hier?«
»Natürlich«, sagte der Adaptierte ungeduldig. Foss bemerkte, daß der andere ihn seltsam musterte. »Wo ist Ihr Schiff?«
»Zehn Meilen in der Richtung, aus der ich komme. Ich habe den Weg zu Fuß zurückgelegt.«
»Zu Fuß?« Der Adaptierte verbarg sein Erstaunen nicht.
Foss nickte. »Bringen Sie mich zu meiner Frau, ja?« Die Müdigkeit schien von ihm abzufallen. Zum erstenmal seit Stunden vermochte er wieder aufrecht zu stehen.
Sie hatten Carol im dunklen Hinterraum eines Siedlungshauses untergebracht. Als Foss eintrat und seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er sie auf einem schäbigen Strohsack liegen. Der Raum hatte kein Fenster, die Luft war stickig und verbraucht. Drei leere Flaschen lagen am Fußende des Bettes; zwei hatten Gin enthalten, die dritte ein Gebräu, das in der Siedlung hergestellt wurde. Der Raum wirkte unordentlich, als hätte sich seit Tagen niemand um ihn gekümmert.
Foss trat an das Bett und betrachtete seine Frau.
Die Schwerkraft trieb ihr seltsames Spiel mit ihrem Gesicht; sie krampfte die Wangenmuskeln zusammen, ließ die Lippen schmal erscheinen, zerrte die Mundwinkel herab und ließ die Lider halb über die Augen hängen. Sie sah aus, als hätte sie zwanzig Pfund Gewicht verloren. Das Gesicht hatte scharfe Kanten, der Kopf wirkte wie ein Totenschädel.
»Mein Gott«, stieß Foss laut hervor. »Sieht so ein menschliches Wesen nach zwei Wochen in dieser Umgebung aus?«
Die Frau rührte sich. Foss wandte sich um und sah zwei Adaptierte, die sich neugierig hinter ihn geschoben hatten.
»Gehen Sie bitte hinaus«, sagte er. »Lassen Sie uns allein.«
»Webb«, murmelte die Frau. »Webb!«
Ihre Augen waren noch immer geschlossen.
Foss beugte sich über sie und berührte mit zitternder Hand ihre Wange. Die Haut war trocken und spröde. »Wach auf, Carol. Wach auf!«
Zögernd öffnete sie die Augen. Sie sah ihn, richtete sich auf und sank nach wenigen Sekunden wieder zurück. »Webb«, flüsterte sie.
»Ich bin heute morgen angekommen«, sagte er. »Der Kurier hat mir erzählt, wo er dich absetzte. Ich dachte, es wäre besser, dich zurückzuholen. Sandoval IX ist keine Welt, in der du dich auf die Dauer wohl fühlen würdest.«
Mit sichtbarer Anstrengung richtete sie sich wieder auf. »Es war die Hölle«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Sobald ich die Schwerkraft spürte, wußte ich, daß ich es hier nicht aushalten würde. Aber der Kurier war fort, ich hatte keine Möglichkeit, mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Und die Adaptierten waren alles andere als hilfsbereit.«
»Sie haben dir wenigstens ein Dach über dem Kopf gegeben. Das ist mehr, als sie mir boten.«
»Es war wie ein Alptraum — jede Bewegung gegen diese Schwerkraft war eine ungeheure Anstrengung.«Sie schauderte. »Ich konnte nicht mehr als zehn oder zwanzig Schritte machen, ohne zusammenzubrechen. Und die Adaptierten — sie standen um mich herum und lachten. Wenigstens in den ersten Stunden. Dann verlor ich das Bewußtsein und sie kümmerten sich endlich um mich. Ich hatte ein wenig Geld. Sie brachten mir Alkohol, und ich trank… es war die einzige Möglichkeit, um den Druck dieser Schwerkraft von mir zu nehmen.«
Foss hielt ihre Hand. Sie war fast kalt.
»Ich glaube, ich bin seit einer oder zwei Wochen hier«, fuhr sie fort. »Meistens schlafe ich. Ab und zu geben sie mir etwas zu essen. Sie behandeln mich wie ein krankes Tier. Webb…?«
»Ja?«
»Webb, können wir zurückgehen? Zusammen?«
»Darum bin ich gekommen, Carol.«