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Experiment mit dem Tod - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

»Na schön, Roberta. Ich werde niemandem etwas davon sagen.« »Ich danke Ihnen, Professor Brade, und ich möchte Ihnen sagen, dass es nicht schön von uns war, Ihnen gegenüber, entschuldigen Sie. Wenn wir erwischt worden wären, das wäre sehr - unangenehm gewesen. Auch für Sie.«

»Das wäre es für uns alle gewesen.«

»Es war nur so, dass wir tatsächlich heiraten wollten und nirgendwo anders wirklich allein sein konnten. Aber Sie wissen es jetzt, und wenn Sie es für besser halten, gebe ich das Studium hier auf. Es würde mir nicht viel ausmachen. Wirklich.«

»Nein«, sagte Brade mit Nachdruck, »Roberta, daran denke ich nicht. Was zwischen Ihnen und Ralph war, geht mich nichts an und ist erledigt. Ich habe nur gefragt, weil -«

Er hielt inne. Er konnte ihr nicht gut sagen, dass er sie sich einen Augenblick lang als die höchst unzeitgemäß in andere Umstände gebrachte Geliebte vorgestellt hatte, die auf eine Heirat drängt, schroff abgewiesen wird - ein so scharfzüngiger Mensch wie Ralph mochte ein Nein schon in recht sarkastische Worte gekleidet haben - und sich dadurch zu einem unversöhnlichen Hass angestachelt fühlt: zu einem tödlichen Hass.

Aber sie war nicht schwanger - oder behauptete es wenigstens. Restlos überzeugt war er noch nicht.

Recht unbeholfen fuhr er fort: »Schon gut. Nehmen Sie sich doch eine Woche frei. Im Laborkurs kommen wir eine Zeitlang auch ohne Sie aus. Ich finde schon jemanden, der Sie vertritt. Und wenn Sie dann das Schlimmste hinter sich haben -«

Sie schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, Professor Brade, aber ich möchte weiterarbeiten. Das ist nicht so schlimm, als wenn ich allein auf meiner Bude bin.«

Sie stand auf und klemmte sich die Tasche unter den Arm. Sie ging zur Tür und wollte sie gerade öffnen, als Brade ein neuer Gedanke kam.

»Einen Augenblick noch, Roberta.«

Sie blieb stehen, ohne sich zu ihm umzudrehen. Brade überlegte sich, wie er seine Frage formulieren sollte, ohne sich idiotisch vorkommen zu müssen.

»Ich hoffe, Sie haben nichts gegen eine sehr persönliche Frage.« »Ist sie noch persönlicher als die, die Sie mir schon gestellt haben, Professor Brade?«

Er räusperte sich. »Vielleicht, in gewisser Hinsicht. Ich habe aber meine Gründe für die Frage. Na ja - hatten Sie einmal Ärger mit Professor Foster?«

Jetzt wandte sie sich doch um. »Ärger, Professor Brade?« Ihre Augenbrauen gingen in die Höhe.

Er sagte: »Um es ganz unverblümt auszudrücken - hat Professor Foster zu Ihnen einmal anzügliche Bemerkungen gemacht?« »Das kann man kaum eine persönliche Frage nennen«, antwortete Roberta. »Professor Foster macht kein Geheimnis daraus. Ja, ich habe meinen Anteil an zweideutigen Bemerkungen über mich ergehen lassen. Wie alle andern Studentinnen. Nicht mehr, nicht weniger. Professor Foster ist sehr liebenswürdig und verteilt seinen Charme freizügig und gleichmäßig.« »Hat Ralph davon erfahren?«

Sie schien sich sofort wieder innerlich abzuschließen. »Warum fragen Sie das?«

»Weil ich glaube, dass Ralph davon wusste.« Das Mädchen schwieg. Brade fuhr fort: »Da Foster nicht gerade einen Hehl macht aus seinen Bemerkungen, dürfte Ralph davon erfahren haben, und er hat sich zweifellos darüber empört und sich mit Professor Foster angelegt.« »Niemand gibt etwas auf Professor Foster«, erwiderte Roberta zornig. »Er geht einem manchmal auf die Nerven, das macht weiter nichts. Wenn eine Studentin auch nur im geringsten auf seine Mätzchen einginge, würde er vor Angst zum Fenster hinausspringen.« »Ja, aber es geht hier doch darum, dass Ralph etwas darauf gegeben hat und Professor Foster klargemacht hat, wie er über ihn denkt.« »Ich gehe jetzt lieber, Professor. Ich - ich fühle mich nicht wohl.« Sie wandte sich wieder der Tür zu, drehte sich aber dann noch einmal um. »Ach - brauchen Sie Ralphs Notizbücher?« »Vorerst - ja. Aber später werde ich sie Ihnen sicher geben können.« Sie zögerte. Aber dann ging sie doch hinaus.

Fünf Minuten später sah Brade, der ans Fenster getreten war, wie sie zum Haupteingang herauskam und dann quer über den Campus ging. Sie war natürlich seinen letzten Fragen ausgewichen, aber das war auch eine Antwort. Natürlich! Ralph musste eifersüchtig geworden sein, musste befürchtet haben, einen Menschen zu verlieren, den er als seinen Besitz betrachtete. Er war genau der Typ, der sich durch Fosters Sticheleien aufgereizt fühlte.

Und er war der Typ, der voller Erregung von Foster verlangte, diese Späße zu unterlassen, der damit drohte, die Angelegenheit an höherer Stelle zur Sprache zu bringen. Und das war eine gefährliche Drohung.

Die Universität konnte Fosters Benehmen ignorieren, solange sich niemand beschwerte. Kam es aber zu einem Skandal, war das etwas ganz anderes. Etwas entscheidend anderes.

Ein Professor konnte sich sinnlos betrinken, mochte Vorlesungen halten, die niemand begriff, mochte sich nur einmal im Jahr waschen, unerträglich grob sein und allen auf die Nerven gehen. War er in fester, sozusagen beamteter Position, schadete das seiner Stellung nicht im geringsten.

Doch zwei Vergehen durfte er sich nicht zuschulden kommen lassen. Das eine hieß Untreue (ein relativ neues Vergehen), und das andere, sittliche Verfehlung, war so alt wie Abälard. Und in der Nähe dieses letzteren Vergehens bewegte sich Foster ständig. Wurde tatsächlich eine Klage vorgebracht, konnte ihn das seine Stellung kosten. War die Furcht vor einer Beschwerde ein Mordmotiv? War Mord ein Mittel, den möglichen Kläger aus der Welt zu schaffen? Oder erklärte sich dadurch nur die Note C?

Ja, Foster hätte ein Motiv gehabt; aber wie stand es mit der Möglichkeit zur Ausführung der Tat? Foster wusste nichts von der Art, in der Ralph seine Experimente durchführte. Wie konnte er geahnt haben, dass Erlenmeyerkolben mit Natriumacetat in Ralphs Labor auf ihn warteten? Brade zuckte die Achseln und wandte sich Ralphs Notizbüchern zu. Es waren fünf, und Ralph hatte sie gewissenhaft numeriert. Brade schlug eins auf.

Er hatte die Duplikate in seinem Arbeitszimmer, aber wenn Ralph sich nicht radikal von allen anderen Doktoranden unterschieden hatte, die Brade kannte, dann standen auf den Rückseiten der weißen Originalbogen noch zusätzliche Notizen und Kommentare. Er blätterte in dem Buch und konnte feststellen, dass Ralph der ideale Notizbuchführer gewesen war. Er drückte sich klar, knapp und fast pedantisch genau aus. Brade hatte die Notizbücher gesehen, in denen Cap Anson seinerzeit den Fortgang seiner Dissertationsexperimente vermerkt hatte, aber Ralph übertraf den alten Cap noch an Gründlichkeit.

Diesen Aufzeichnungen musste er, Brade, folgen können. Ralph erklärte seine Arbeit so genau, als setzte er bei dem, der sie lesen würde, nicht mehr als elementare Kenntnisse voraus.

Er griff zu dem Notizbuch Nummer eins. Die ersten Seiten bezogen sich auf die Zeit, als Ralph Neufeld bei Ranke gewesen war, und brachten eine Aufzählung der Werke, die er vor Beginn seiner Experimente gelesen hatte, eine Zusammenfassung ihres Inhalts sowie seine eigenen Kommentare und Theorien dazu. Das war alles sehr sauber und übersichtlich angelegt. Brade erinnerte sich, dass er diese Aufzeichnungen gesehen hatte-vor anderthalb Jahren, ehe er Ralph als Doktorand übernommen hatte.

Es überraschte Brade jetzt, dass sich hier Ralphs Labilität oder wie man es nennen wollte, überhaupt nicht zeigte. Hier war er ganz objektiv. Brade fand Bemerkungen wie: »Professor Ranke weist auf eine Unstimmigkeit im Konzept hin, die -«, oder: »Professor Ranke scheint nicht davon überzeugt zu sein, dass -« Die Kommentare hatten nie einen leidenschaftlichen Ton. Sie klangen kühl und sachlich. Sogar über das Ende der Zeit bei Ranke war lediglich zu lesen: »Heute war mein letzter Tag als Doktorand von Professor O. Ranke.« Nichts von Auseinandersetzungen mit anderen Studenten; kein Wort der Selbstrechtfertigung oder des Grolls. Auf der Seite stand nur dieser eine Satz.

Das nächste Datum lag einen Monat später, und die neue Seite begann mit der Feststellung: »Heute war mein erster Tag als Doktorand von Professor L. Brade.«

Die nun folgenden Seiten waren ihm vertraut. Anfangs hatte Ralph ihm die Duplikate wöchentlich übergeben und Seite für Seite erklärt. Später hatte er sie immer unregelmäßiger gebracht und immer flüchtiger und dann überhaupt nicht mehr erklärt. Hatte Ralph sich gesagt, dass er, Brade, ja doch nicht richtig mitkam? Hatte er deshalb Brade gehasst? (Aber Charlie Emmett glaubte, dass es Angst gewesen war, nicht Hass.) Brade biss sich auf die Unterlippe und fragte sich, ob er etwas zu Mittag essen sollte. Nein. Die Sandwich-Bude im Institut war sonntags geschlossen; er hatte sich auch nichts mitgebracht; das nächste Restaurant war zehn Minuten Fußmarsch entfernt. Er beschloss, auf das Mittagessen zu verzichten. Er wandte sich wieder den Notizbüchern zu.

Ralph war bei der Beschreibung seiner einzelnen Experimente besonders gründlich gewesen. Er hatte jedes Mal die Durchführung des Experiments begründet und dann seine Interpretation angefügt. Wo das Ergebnis von den Erwartungen abwich, hatte er seine Theorien und Spekulationen darüber angefügt, was danebengegangen war. Alle diese Angaben waren äußerst nützlich, und Brade begann Mut zu fassen. Die mathematischen Berechnungen waren zwar schwierig, aber wenigstens waren keine Zwischenstufen ausgelassen. Wenn Ralph als Chemiker einen Fehler hatte, so den, dass er seinen Theorien zu sehr verhaftet war. Ein Experiment, das seine Theorien zu stützen schien, wurde kritiklos registriert, wogegen Experimente, die ihnen zuwiderliefen, mehrfach nachgeprüft und bisweilen »forterklärt« wurden.

In den ersten beiden Notizbüchern waren recht viele Experimente vermerkt, die nicht mit seinen Theorien übereinstimmten, und in den Kommentaren machte sich eine gewisse Verdrossenheit bemerkbar. Da hieß es etwa: »Muss die Temperatur besser kontrollieren. Mit Brade sprechen wegen anständigem Thermostat, wenn Arbeit überhaupt zu etwas führen soll.«

Es war das Fehlen des sonst immer gebrauchten »Professor«, das am deutlichsten auf Ralphs Gereiztheit hinzuweisen schien.

Auch auf Hass? Aber er hatte sich doch unter viel ungünstigeren Bedingungen beherrscht, als er noch bei Ranke gewesen war. Oder hatte Ranke, auch wenn er nichts von Ralphs Theorien hielt, einen festen Halt dargestellt, eine Stütze, wogegen Brade - nichts war?

Etwa zu diesem Zeitpunkt hatte Ralph die Duplikate unregelmäßig und in größeren Stößen abgeliefert, so dass Brade sich nur noch verschwommen an die einzelnen Seiten erinnern konnte.

Mit dem dritten Notizbuch begann sich plötzlich eine positive Entwicklung abzuzeichnen. Zum einen war Ralph in eine Richtung vorgestoßen, die sich später als sehr interessant erwies, und zum andern...

Brade hielt den Atem an, als er eine Seite umblätterte. Ralph beschrieb hier seine Versuchsanordnung bis ins Detail und vergaß auch nicht zu erwähnen, dass er immer für einen Vorrat von zehn Kolben mit Natriumacetat sorgte. Brade empfand ein ganz merkwürdiges, fast unheimliches Gefühl bei dem Gedanken, dass jeder halbwegs erfahrene Chemiker, der zufällig diese Seite las, genau wusste, wie Ralph auf eben die Art vergiftet werden konnte, auf die er tatsächlich vergiftet worden war.

Aber er bot allen Spekulationen Einhalt. Zum Teufel mit Mord und Mördern. Im Augenblick musste er sich darüber klar werden, ob er in der Lage war, die angefangene Arbeit fortzuführen.

Die Experimente machten gute Fortschritte. Die Diagramme zeigten Punkte auf, die sich entlang einer geraden Linie bewegten. Brade war erleichtert. Dass er sich am Abend zuvor für Ralphs Arbeit stark gemacht hatte, war zum größten Teil Bluff gewesen, aber hier waren die Zeichnungen, die Gleichungen, alles von A bis Z. Jeder konnte sie nachprüfen und feststellen, dass Ralphs Arbeit gute Fortschritte gemacht hatte, dass seine Theorien stimmten. Sogar Ranke konnte das.

Brade nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich die zusätzlichen Notizen und Unrein-Berechnungen auf den Rückseiten anzusehen. Sie waren ausradiert worden.

Brade runzelte die Stirn. Theoretisch sollte in den Notizbüchern nichts radiert sein. Irrtümer, falsche Zahlen und dergleichen durften nur leicht durchgestrichen werden, so dass sie nicht zu irrigen Auslegungen führen konnten, aber noch lesbar waren. (Selbst Fehler erweisen sich manchmal als nützlich.)

Natürlich war das Radieren auf der Rückseite eines Blattes eine verzeihliche Sünde, da die Rückseiten ja nicht eigentlich Teil des Notizbuchs waren. Brade prüfte die Zahlen genau und legte seine Stirn noch mehr in Falten. Er dachte nach, blätterte ein paar Seiten weiter und stieß wieder auf radierte Stellen.

Dann saß er lange auf dem Stuhl, ohne die Bücher anzusehen, indes die Nachmittagsstunden dahinkrochen.

Es konnte nicht sein. Ihm war ein solcher Fall noch nie begegnet. Und doch - es schien keinen Zweifel zu geben.

Nein, es gab keinen Zweifel. Er hatte entdeckt, dass Charles Emmett sich nicht getäuscht hatte. Ralph musste ihn, Brade, gleichsam wie den Tod gefürchtet haben, und er wusste jetzt auch, warum. Und dieses Wissen drückte ihn nieder.

15

Es dauerte eine Weile, bis Brade seine Erkenntnis in allen ihren Konsequenzen durchdacht hatte. Jetzt konnte er Ralphs Arbeit nicht mehr fortführen. Es würde keine erstaunliche Entdeckung, keinen ungewöhnlichen wissenschaftlichen Beitrag geben; nichts, womit er das Institut und die Welt der Chemie insgesamt verblüffen konnte. Cap Anson hatte recht gehabt. Otto Ranke hatte recht gehabt. Er, Brade, hatte unrecht gehabt.

Er wusste nicht, wie oft es schon geklopft hatte. Als er schließlich ganz laut »Herein« rief, tat sich gar nichts. Nur die Klinke wurde mehrmals heruntergedrückt.

Brade stand auf, um die Tür aufzuschließen. Es war, als bewegten sich nicht seine Muskeln, sondern die eines andern. Sein Denken war so sehr mit andern Dingen angefüllt, dass er nicht dazu kam, sich zu fragen, wer wohl am Sonntag dort an der Tür sein mochte; ja, er besaß nicht einmal die Energie, Erstaunen zu zeigen, als der Kriminalbeamte, Jack Doheny, auf der Schwelle stand, in demselben dunkelblauen Anzug mit den feinen weißen Streifen, den er am Donnerstag abend getragen hatte, als sie sich vor Ralph Neufelds Leiche zum erstenmal begegnet waren.

Doheny blickte sich flüchtig um und sagte: »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, sich ein bisschen mit mir zu unterhalten, Professor.« »Wenn Sie wünschen«, erwiderte Brade ziemlich teilnahmslos aus seiner niedergeschlagenen Stimmung heraus.

»Ich war zuerst bei Ihnen zu Hause, aber Ihre Frau sagte, Sie seien hier.« Er blickte sich noch einmal um. »Darf ich rauchen?« Dohney zündete sich eine Zigarre an und nahm, von Brade mit einer Handbewegung aufgefordert, auf einem Stuhl Platz. Er zog einen Aschenbecher zu sich heran und sagte: »Sieht so aus, als seien wir beide unter die Sonntagsarbeiter gegangen.« »Wollen Sie etwas wegen Ralph Neufeld wissen, oder kann ich Ihnen in anderer Weise behilflich sein?«