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»Ja, wissen Sie, ich verstehe nichts von Chemie. Überhaupt nichts. Und da bin ich mir hier zuerst ziemlich verloren vorgekommen. Aber ich bin nun schon so lange in meinem Beruf tätig, dass ich das Gefühl habe, hier stimmt etwas nicht, auch wenn ich mir immer wieder sage, Jack, mach langsam, davon hast du keine Ahnung.« »Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz.«
»Oh, das ist nicht schwer zu erklären. Nehmen wir mal Sie, Professor. Angenommen, Sie haben eine neue Chemikalie in einem Reagenzglas, und Sie fragen sich, was die wohl für Eigenschaften hat. Ich wette, Sie können sich eine ungefähre Vorstellung davon machen, noch ehe Sie sie testen. Sie sagen sich, das Zeug sieht so aus, als könnte es explodieren. Oder aufgepasst, das ist giftig; oder das wird schwarz, wenn ich dieses Zeug hier dazutue.«
»Wenn mir die chemische Formel des neuen Stoffes bekannt wäre«, erwiderte Brade, »könnte ich daraus gewisse Schlüsse auf seine Eigenschaften ziehen.«
»Und Sie würden sich kaum einmal irren, hm?« »Selten.«
»Eben. Das kommt mit der Erfahrung. Man kriegt so eine Art Fingerspitzengefühl, das man manchmal gar nicht erklären kann.« »Möglich, ja«, sagte Brade, nicht so recht überzeugt. »Schön, Professor. Nun nehmen Sie mal mich. Ich habe nun seit fünfundzwanzig Jahren mit Menschen zu tun, so wie Sie mit Chemikalien. Ich besitze eine Menschenkenntnis, wie man sie nicht auf der Schule lernt. Ich merke, wenn mit einem was nicht stimmt, so wie Sie bei so einem Pulver ein ungutes Gefühl bekommen. Manchmal täusche ich mich, so wie Sie sich im Umgang mit Chemikalien täuschen können, aber meistens habe ich recht - genau wie Sie auf Ihrem Gebiet.«
Brade spürte eine Unruhe in sich aufkommen, besaß aber genug Geistesgegenwart, um sich zu sagen, dass Doheny es vielleicht gerade darauf abgesehen hatte, ihn in Unruhe zu versetzen. »Worauf wollen Sie hinaus?« fragte er.
»Ich will Ihnen damit nur sagen, dass am Donnerstag mit Ihnen etwas nicht gestimmt hat, als ich mit Ihnen sprach.«
»Da haben Sie recht. Ich war erschüttert. Ich hatte noch nie einen Toten gesehen, und das war nun sogar einer meiner Doktoranden. Ich war nicht ganz bei mir.«
>ja? Ich kann mir das gut vorstellen. Wirklich. Aber sehen Sie mal« -Doheny zog ruhig und methodisch an seiner Zigarre, damit sie gleichmäßig brannte-, »in der Chemie geht's eigentlich wie in der Küche zu. Sie haben Ihre Zutaten. Sie mischen sie, erhitzen sie - oder was weiß ich. Die Chemie ist vielleicht komplizierter, aber wenn Sie sich eine Köchin in der Küche vorstellen - da besteht doch eine Verwandtschaft mit einem Chemiker in einem Labor.
Jetzt nehmen Sie mal an, die Köchin backt einen Kuchen. Sie braucht Mehl, Milch, Eier, Vanille, Backpulver und so weiter. Sie stellt die Sachen alle auf den Tisch und fängt dann an und vermischt sie miteinander. Aber dann lässt sie die Büchsen und Flaschen und was weiß ich noch auf dem Tisch stehen. Vielleicht stellt sie die Milch wieder in den Kühlschrank, aber wahrscheinlich lässt sie, sagen wir, das Mehl, den Vanillezucker liegen. Anders ausgedrückt: Sie geht sicher nicht zur Speisekammer, holt Mehl, schüttet etwas heraus und tut das Mehl gleich wieder in die Speisekammer. Sie holt nicht die Milch heraus, gießt ein wenig dazu und stellt sie gleich wieder weg. Und so weiter. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, durchaus, Mr. Doheny. Aber was hat das mit unserem Fall hier zu tun?«
»Ja, sehen Sie, Ihr Student war beim Teigmischen, gewissermaßen, und er wollte gerade hinzutun - Augenblick.« Doheny warf einen Blick auf ein Kärtchen, das er aus seiner Hemdtasche gezogen hatte. »Natriumacetat, aber er erwischte statt dessen Natriumzyanid. Wieso stand dann die Flasche mit dem Zyanid nicht mehr neben ihm auf der Arbeitsplatte? Warum stand sie auf dem Regal?« »Was ist da schon für ein Unterschied, wo sie stand?« Brade wusste, was da für ein Unterschied war, er fragte sich nur, an was für einen Unterschied dieser plötzlich so bedrohlich wirkende Mann mit dem rundlichen, eher harmlosen Gesicht dachte. »Vielleicht will es nichts heißen«, fuhr Doheny nachdenklich fort. »Vielleicht stand die Flasche neben ihm auf dem Tisch, und Sie haben sie automatisch weggestellt, als Sie den Toten fanden. Ohne darüber nachzudenken, wissen Sie. Haben Sie das getan?«
Brade war sich der Bedeutung dieser Frage bewusst. Er wagte es nicht, mit einer Lüge zu antworten. Er sagte: »Nein.«
»Oder der junge Mann neigte zu unberechenbaren Handlungen. Vielleicht hat er etwas von dem Pulver herausgeschüttet und ist mit der Flasche die fünf Meter bis zum Regal zurückgegangen, ehe er weitermachte. Nur fiel mir auf, dass er einen leeren kleinen Krug hinter all dem Glaskram stehen hatte, an dem er arbeitete, und in dem Krug oder Kolben oder wie das heißt war noch etwas Pulver drin, als gehörte er zu denen, die solche Sachen erst mal stehen lassen. Das kam mir damals komisch vor.«
Brade presste die schmalen Lippen aufeinander. Er schwieg. »Ja, wie gesagt, das kam mir komisch vor«, fuhr Doheny fort. »Ich habe deshalb die Flasche aus dem Regal genommen, habe sie dorthin gestellt, wo der junge Mann experimentiert hatte, habe so ein paar Handgriffe simuliert und Sie dann gefragt: >Sagen Sie, fällt Ihnen da etwas auf?< Ich dachte, ich gehe gleich sicher und frage Sie, ob Sie diesen merkwürdigen Umstand auch bemerkt haben. Ich dachte, Sie sagen ganz bestimmt: He, wie kommt das, dass die Flasche im Regal steht und nicht an seinem Arbeitsplatz? Aber das haben Sie nicht gesagt. Sie haben nur ein ausdrucksloses Gesicht gemacht. Und da habe ich mir gesagt: Jack, mit dem Professor stimmt etwas nicht. Der ist zu klug, als dass ihm das nicht hätte auffallen müssen! Verstehen Sie, was ich meine? Sie und Ihre Chemikalien - ich und die Menschen.«
»Herrgott, ich war durcheinander«, entgegnete Brade zornig. »Ich habe gar nicht klar denken können.«
»Das will ich Ihnen zugestehen. Die Sache war nur so komisch, dass ich dachte, ich frage noch ein bisschen herum, ehe ich gehe. Und was soll ich Ihnen sagen? Ein paar Leute haben mir erzählt, dieses Acetat fühlt sich ganz anders an als Zyanid, wenn man mit dem Löffel hineinsticht. Stimmt das, Professor?«
Wieder zögerte Brade, und wieder sagte er sich, dass eine Lüge zwecklos war. »Ja, in gewisser Hinsicht.«
»Und dann haben mir noch einige Leute gesagt, Ralph sei so gewissenhaft und vorsichtig gewesen, dass sie sich nicht erklären könnten, wie ihm dieser Irrtum unterlaufen sein sollte. Er hätte sozusagen alles immer doppelt nachgeprüft. Stimmt das, Professor?« »Ja, er war sehr gewissenhaft.«
>Ja, sehen Sie, Professor« - das freundliche Lächeln wich nicht von Dohenys rotbackigem Gesicht -, »Sie waren so durcheinander, dass Sie mir davon nichts gesagt haben. Sie haben nicht einmal gesagt, der junge Mann kann die Flasche aus diesem oder jenem Grund eigentlich gar nicht verwechselt haben. Und Sie hatten inzwischen zwei Tage Zeit, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen, aber trotzdem haben Sie mich nicht angerufen und mir gesagt: >Mir ist da etwas aufgefallen, das hatte ich vergessen, Ihnen zu sagen.( Also war an meinem ersten komischen Gefühl bei Ihnen vielleicht doch etwas dran.« »Nicht viel«, sagte Brade in plötzlich aufwallendem Zorn, »nur dass ich in diesen Dingen nicht beschlagen bin. Ich bin kein Kriminalbeamter.« Doheny nickte. >Ja, ja. Ich gebe zu, es ist nicht viel - für sich allein betrachtet. Aber überlegen Sie noch einmal. Vielleicht waren Sie wirklich völlig durcheinander und so, aber schließlich haben Sie doch auch daran gedacht, nach dem Schlüssel Ihres Studenten zu diesem Labor zu fragen. Erinnern Sie sich?« »Ja, natürlich.«
»Schön, warum haben Sie danach gefragt? Sie hätten doch auch am nächsten Tag anrufen oder ihn auf dem Revier abholen oder ihn bei uns lassen können, da Sie sicher Ihren eigenen Schlüssel hatten. Aber Sie haben danach gefragt. Warum eigentlich?« Brade war empört. »Es fiel mir gerade ein. Weiter hatte das nichts zu bedeuten. Es fiel mir gerade ein.«
Doheny hob beruhigend die Hand. »Schon gut, schon gut. Vielleicht erklärt das die Sache. Ich behaupte ja nicht das Gegenteil. Ich dachte nur: Wie steht es mit einer anderen Erklärung dafür? Das ist mein Beruf, sehen Sie, mir andere Erklärungen einfallen zu lassen. Vielleicht lag Ihnen daran, dass niemand das Labor betritt ohne Ihr Wissen. Vielleicht machte es Sie nervös, dass die Polizei einen Schlüssel hatte.« Er klopfte behutsam die zu lang gewordene Asche seiner Zigarre ab. »Ich habe eben so meine Vermutungen angestellt.« Brade merkte, dass es ein Fehler gewesen war, auf das Mittagessen zu verzichten. Das leere Gefühl im Magen und der Zigarrenrauch verursachten ihm eine leise Übelkeit, die sein Denkvermögen beeinträchtigte. »Ich versichere Ihnen, dass ich an so etwas dabei nicht dachte.«
»Ich wollte der Sache nachgehen, Professor. Sie haben immerhin merkwürdig reagiert, und da habe ich mich, nachdem ich hinausgegangen war, noch eine Zeitlang draußen herumgetrieben. Im Labor von Ralph Neufeld ging das Licht an und brannte eine ganze Weile. Sie sind erst eine gute Stunde nach mir gegangen. Da habe ich mir von meinen Leuten den Schlüssel des jungen Mannes bringen lassen und bin noch einmal ins Labor gegangen, und da hatten Sie inzwischen an etwas gearbeitet. Es standen einige Chemikalien herum, die vorher nicht dagewesen waren, und auch ein paar Gläser oder Röhrchen mit Pulver.«
Brade räusperte sich mit einiger Mühe.
»Ich habe einen unserer Chemiker kommen lassen - wir haben auch Chemiker bei der Polizei, wissen Sie, und der hat sich alles angesehen und dann gesagt, es wäre möglich, dass Sie einen Zyanidtest gemacht hätten, und er hat etwas von dem Zeug in den kleinen Gläsern mit ins Polizeilabor genommen und festgestellt, dass es Acetat war. Also was haben Sie im Labor gemacht, Professor?« Brad sah keinen Ausweg mehr. Mit leiser, gleichmäßiger Stimme erzählte er Doheny, was er am Donnerstag abend in Ralphs Labor gemacht hatte, erwähnte den einen Kolben mit Zyanid und die anderen mit Acetat, schilderte die Methode, nach der Ralph experimentiert hatte. »Und Sie haben uns nichts davon gesagt.« Doheny blickte ihn fragend an. »Hatten Sie Angst, in einen Mordfall verwickelt zu werden?« »Wenn Sie damit meinen, dass ich fürchtete, der Verdacht könnte auf mich fallen - ja.«
»Nun, das war die falsche Reaktion. Damit bringen Sie sich doch erst recht in Verdacht.«
»Wieso?« sagte Brade aufbrausend. »Wenn ich der Mörder wäre, brauchte ich doch diese Kolben nicht zu testen. Ich wüsste doch, was drin ist.«
»Wenn Sie nicht der Mörder waren, warum haben Sie dann geschwiegen? Das würden die Geschworenen fragen. Wenn Sie erst einmal mit der Geheimniskrämerei anfangen, fragen sich diese Leute nämlich, was Sie wirklich im Labor gemacht haben. Vielleicht sagen Sie mir jetzt nicht die Wahrheit.« »Ich schwöre Ihnen -«
»Mir brauchen Sie nichts zu schwören. Heben Sie sich das für den Gerichtssaal auf, falls es soweit kommt.« Er klopfte wieder die Asche seiner Zigarre ab und setzte hinzu: »Wichtig ist: Sie hielten es von Anfang an für Mord.« »Mord oder Selbstmord.« »Selbstmord?«
»Sie glaubten doch, es könnte Selbstmord gewesen sein. Zumindest hat man sich hier erzählt, Sie hätten sich bei verschiedenen Leuten nach Ralphs seelischer Verfassung vor seinem Tod erkundigt.« »Wer hat Ihnen denn das gesagt?« »Spielt das eine Rolle?« »Nein. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie es mir sagen würden. Ja, ich habe Fragen gestellt, die die Möglichkeit eines Selbstmords betrafen, aber ich habe nicht daran geglaubt. Selbstmörder hinterlassen gewöhnlich eine Mitteilung.«
»Es gibt aber kein Gesetz, das ihnen das vorschreibt.« »Natürlich nicht. Aber gewöhnlich tun sie das. Sehen Sie, ein Selbstmörder kommt sich im allgemeinen sehr bemitleidenswert vor. Er stellt sich vor, dass nach seinem Tod alle, die schlecht zu ihm waren, sehr bedrückt sind und sich vornehmen, nett zu ihm zu sein, wenn sie es noch einmal mit ihm zu tun hätten. Daran zu denken, hält ihn gewissermaßen bei Laune, während er seine Vorbereitungen trifft. Der Gedanke daran, was für schwere Vorwürfe sich diese andern machen werden, wissen Sie. Deshalb hinterlässt er im allgemeinen eine Nachricht für den, der sich besonders betroffen fühlen soll - seine Mutter etwa oder seine Frau. Wenn ein Selbstmörder keine Nachricht hinterlässt, heißt das, dass es ziemlich sicher ist, dass die richtigen Leute auch ohne sein Zutun leiden werden. Im allgemeinen sind sie sich aber nicht sicher, und mir persönlich ist noch kein Selbstmörder untergekommen, der keine Nachricht hinterlassen hätte. Im Falle unseres Studenten hier fand sich nicht nur keine Nachricht, sondern er muss sich, wenn es tatsächlich ein Selbstmord war, große Mühe gegeben habe, dass es wie ein Unglücksfall aussieht. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, Professor?« »Doch, das bin ich.«
»Selbstmörder tun das manchmal. Wenn's um eine Lebensversicherung geht, zum Beispiel, aber Neufeld war nicht versichert. Oder wenn die Familie sehr religiös eingestellt ist, aber Neufeld hatte nur noch seine Mutter, und die Religion scheint bei beiden keine große Rolle gespielt zu haben. Ich habe noch an andere Möglichkeiten gedacht, aber das hat zu nichts geführt. Es wäre hier einfach sinnlos gewesen, einen Selbstmord als einen Unglücksfall hinzustellen. Durchaus einen Sinn hat es dagegen, einen Mord als einen Unglücksfall erscheinen zu lassen. jemand hat also in den Kolben Zyanid getan.«
»Aber wer?« fragte Brade.
»Ich weiß es nicht«, sagte Doheny. »Vielleicht Sie.«
»Aber ich hatte doch keinen Grund dazu.« Brades Denken stand wie unter einer Art Betäubung, und er konnte über diese Dinge sprechen, ohne sich aufzuregen.
»Vielleicht doch. Ich habe mir bei meinem Herumfragen so einiges zusammengereimt. Zum Beispiel habe ich den Eindruck gewonnen, dass Ihre Stellung hier an der Universität etwas wackelig ist; dass es mit Ihnen abwärtsgeht. Ich sage nicht, dass es so ist, aber einige Leute haben Andeutungen in diesem Sinn gemacht. Und dieser Student, dieser Neufeld, kam nicht sehr gut mit Ihnen aus. Na ja, wenn Ihr eigener Doktorand beispielsweise herumgeht und sagt, Sie taugen nicht viel, so könnte das der Anstoß sein, der zu Ihrer Entlassung führt. Vielleicht wäre das für Sie Grund genug gewesen, ihm den Mund zu stopfen - für immer.«
Brade ging trotz seiner Empörung nicht darauf ein. Das war einfach zu lächerlich. »Mr. Doheny«, sagte er, »ich bin jetzt auf eine Sache gestoßen, die einen Selbstmord als logisch erscheinen lässt. Sie könnte auch eine Erklärung dafür liefern, dass Ralph versucht hat, einen Unglücksfall vorzutäuschen.«
»So? Dann schießen Sie mal los.« Das klang nicht sonderlich begeistert.
Brade starrte bekümmert auf die Notizbücher. Er hatte am Abend zuvor zu Ranke gesagt, er verstehe genug von physikalischer Chemie, um beurteilen zu können, dass Ralphs Arbeit gute Fortschritte gemacht hatte. Er hatte in der Hitze des Zorns gesprochen, aber er durfte sich trotzdem jetzt sagen, dass es keine Grosstuerei gewesen war. Zumindest konnte er die Resultate erfassen, die sich aus Ralphs Daten ableiteten. Er konnte beurteilen, wie sie sich zu seinen Theorien verhielten. Eines hatte er freilich dabei vorausgesetzt, weil man das einfach immer voraussetzte: die Aufrichtigkeit des Experimentierenden. »Ralph Neufeld hatte bestimmte Theorien aufgestellt«, begann er, »die er durch gewisse Experimente zu beweisen versuchte. Gelang ihm dieser Beweis, hätte er sich einen Namen gemacht und wahrscheinlich einen guten Posten angeboten bekommen. Gelang ihm der Beweis aber nicht, hätte er vielleicht sogar seine Promotion verpatzt. Verstehen Sie?«
»Natürlich.«
»Heute morgen habe ich nun seine Notizbücher durchgesehen und festgestellt, dass seine Arbeit zunächst nicht recht vorwärtsging. Er wurde immer nervöser und verzweifelter, bis er schließlich zu Maßnahmen griff, die garantierten, dass seine Theorien stimmten. Er begann falsche Beobachtungen einzutragen. Er fälschte seine Messdaten, um sie seinen Theorien anzupassen.« »So wie ein betrügerischer Bankangestellter die Bücher fälscht, um seine Veruntreuungen zu verdecken?« »Ja, genau.«
Doheny dachte über das Problem nach. Dann fragte er: »Würden Sie das vor Gericht auf Ihren Eid nehmen?«
Brade dachte an das, was er in den Notizbüchern gefunden hatte, an den plötzlichen Umschwung zu erfolgreichen Experimenten, die ausradierten Daten. Er dachte an Nebenumstände wie etwa das, was Simpson ihm von Ralphs Wut erzählt hatte, als er Ralph zu nahe gekommen war, während dieser Messdaten eintrug. Er sagte: »Ja, ich glaube schon. Aber Sie begreifen doch, ja? Bis zum Schluss hat er mit den Versuchen weitergemacht, als hätte er unter einem Zwang gestanden, den Schein des integren Wissenschaftlers zu wahren, obwohl er keiner mehr war. Was er tat, war etwas ganz Schreckliches, und schließlich wurde er nicht mehr damit fertig und nahm sich das Leben.«
»Aber warum hätte er einen Unfall vortäuschen sollen?« »Im Falle eines Selbstmordes würde man sich nach dem Grund fragen. Dabei mochte man seine Notizbücher durchlesen und sein schändliches Verhalten entdecken. Bei einem Unglücksfall würde niemand nach einem Motiv fragen. Sein Andenken würde ohne Makel bleiben.«
»Er hätte doch seine Notizbücher vernichten können.« »Ich habe Duplikate.«
»Musste er damit rechnen, dass Sie seine Arbeit fortführen und seinem Betrug sowieso auf die Spur kommen würden?« »Nicht unbedingt«, sagte Brade leise. »Er hat von meiner Fähigkeit, seiner Arbeit geistig folgen zu können, nicht viel gehalten. Vielleicht glaubte er, ich würde das Projekt einfach aufgeben, wenn er tot war. Sehen Sie jetzt, dass Selbstmord genau in diesen Vorgang hineinpasst, Mr. Doheny?« Doheny rieb sich mit der Hand kräftig das Kinn. »Etwas passt hinein, Professor«, sagte er. »Aber nicht Selbstmord. Was Sie mir gerade erzählt haben, könnte Ihr Todesurteil sein. Dass Sie ein so gutes Tatmotiv haben könnten, hätte ich gar nicht gedacht.«
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Brade starrte Doheny restlos entsetzt an. »Schalten Sie einen Selbstmord so ohne weiteres aus? Ich habe Ihnen doch geschildert, wie sich das Fehlen eines Abschiedsbriefs oder dergleichen erklären könnte. Oder begreifen Sie nicht, ein wie schwerwiegendes Vergehen das Fälschen von Messdaten für einen Wissenschaftler ist?« Doheny ließ sich durch Brades wilden Blick nicht beeindrucken. Er streckte die rechte Hand aus. »Kann ich mir mal eines von diesen Büchern ansehen?«
Brade reichte ihm eines. Doheny blätterte darin herum. Er schüttelte den Kopf. »Kommt mir spanisch vor. Aber Sie können feststellen, dass mit den Zahlen hier was nicht stimmt, ja?« »Natürlich kann ich das«, sagte Brade.