122716.fb2 Experiment mit dem Tod - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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»Und das stimmt mit der Situation überein, wie Sie sie beim Betreten des Labors angetroffen haben. Sie haben nichts entdeckt, was Ihnen merkwürdig vorkam, nein?«

Brade hatte den Eindruck, dass die Augen des Kriminalbeamten gespannt aufleuchteten, aber er schüttelte den Kopf und sagte: »Nein -Sie?«

Doheny zuckte die Achseln. Er kratzte sich das schon schütter gewordene Haar mit dem Zeigefinger und sagte: »Unfälle gibt's ja überall, und besonders an einem Ort wie diesem hier, wo man sie direkt herausfordert.« Er klappte das kleine Notizbuch zu und steckte es in seine innere Rocktasche.

Er sagte: »Sie sind doch immer hier erreichbar, falls noch die eine oder andere Frage geklärt werden muss?« »Ja, natürlich.«

»Na schön. Und wenn ich Ihnen als Außenstehender einen Rat geben darf - als Laie -, dann halten Sie das Zyanid unter Verschluss.« »Ich werde es mir überlegen«, erwiderte Brade diplomatisch. »Ach, noch etwas, Ralph hatte einen Schlüssel für dieses Labor. Könnten Sie mir den schenken, wenn Sie keine Verwendung dafür haben?« »Natürlich. Also passen Sie gut auf sich auf, Professor. Lesen Sie die Etiketten auf diesen Flaschen da genau. Verwechseln Sie sie nicht!« »Ich will's versuchen«, sagte Brade.

Und nun stand Brade wieder allein im Labor. Er dachte an seine Frau. Doris würde sich zweifellos Sorgen machen. Er hatte früh nach Hause kommen wollen, da er um fünf Uhr schon Cap Anson zu Besuch erwartete. (Du liebe Güte, der pünktliche Cap wird beleidigt sein, dachte Brade. Er wird das als persönlichen Affront betrachten, wo es ihm doch um sein Buchmanuskript geht. Aber was hätte ich tun sollen?) Brade sah auf seine Uhr. Fast sieben, und er konnte noch nicht weg. Er musste noch etwas erledigen.

Er schloss die schmutzigen Jalousien und knipste zu der Lampe am Arbeitstisch noch das Neon-Deckenlicht an. Die Kurse der Abendhochschule hatten noch nicht begonnen, und das Gebäude war praktisch leer. Die Gruppen von Studenten und anderen Personen, die sich beim Eintreffen der Polizei versammelt hatten, hatten sich aufgelöst, als die Beamten gegangen waren. Er war dankbar für die Ruhe.

Er musste rasch etwas erledigen; und dabei konnte er niemanden gebrauchen.

2

Es wurde ein langer Heimweg; die ungewohnte Dunkelheit ließ die Umgebung fremd und kalt erscheinen. Der Verkehr floss anders als sonst, und die vielfarbigen Lichtreflexe auf dem Fluss, die die Leuchtreklamen der Stadt in das Wasser warfen, ließen alles seltsam unwirklich erscheinen.

Unwirklich wie sein ganzes Leben, dachte Brade. Sein Leben, das nicht viel mehr war als eine einzige lange Flucht. Vier Jahre College mit staatlicher Unterstützung während der langsam abklingenden Depression.

Als die vier Jahre dann vorbei waren, hatte er trotz der schönen und bewegenden Abschiedsrede und der salbungsvollen Segenswünsche des Präsidenten den heiligen Hallen nicht den Rücken gekehrt, sondern lediglich den Platz gewechselt; er hatte das Versteck gewechselt. Schritt für Schritt ging es weiter: zuerst Master's Degree, dann Habilitation bei Cap Anson, daraufhin Anstellung an der Universität als wissenschaftlicher Assistent - und später dann als assistierender Professor.

Aber all das war nicht »das Leben«. (Er kurvte durch einen Verkehrskreisel mit der gedankenlosen Selbstverständlichkeit dessen, der schon so lange Auto fährt, dass sein Wagen den Weg nach Hause allein findet und schneller rollt, wenn er schon von weitem die Garage wittert.)

Eine Universität war etwa ebenso Teil des Lebens, wie ein Strudel Teil des Stroms war. Die Studenten bewegten sich im großen Strom; sie kamen von den entfernten Bächen und Flüsschen der Kindheit herangeschwommen, trieben vorbei und folgten der Strömung in ein Land, das Brade nie erforscht hatte. Er selbst aber blieb zurück im ewig gleichen Strudel.

Und unterdessen wurden die Studenten immer jünger. In den ersten Jahren seiner Assistentenzeit waren sie fast gleichaltrig gewesen, und er hatte die Würde seiner Position mit einem gewissen Unbehagen empfunden. Jetzt, nach siebzehn Jahren, brauchte er sich nicht mehr um Würde zu bemühen- sie war mit Falten in sein Gesicht geschrieben, mit Adern auf seine Handrücken. Die Studenten sprachen in respektvollem Ton mit ihm, und er war für sie nur der Professor. Das stand ihm, der langsam älter wurde, in der Welt fortwährender Jugend eben zu. Dennoch gab es auch in diesem Strudel des Universitätslebens wieder Dinge, denen bei all ihrem künstlichen und nach innen gekehrten Rang mehr oder weniger Bedeutung zugemessen war.

So gab es zum Beispiel eine magische Trennungslinie zwischen dem Rang des assistierenden Professors, den Brade seit elf Jahren einnahm, und dem des außerordentlichen Professors, den man ihm jetzt schon mindestens drei Jahre lang vorenthielt.

Sein Fuß drückte automatisch auf das Gaspedal, als die Ampel wieder grün wurde.

Ein »assistierender Professor« konnte jederzeit mit oder ohne Grund entlassen werden. Sein Vertrag brauchte nur nicht mehr erneuert zu werden. So einfach war das. Einem »außerordentlichen Professor« konnte nur aus ganz bestimmten Gründen gekündigt werden; solche Gründe gab es nicht viele. Er konnte sich für den Rest seines Lebens finanziell sicher fühlen. Jetzt aber, nachdem einem seiner Studenten das zugestoßen war, würde die Trennungslinie zurückweichen; von »Sicherheit« konnte schon gar keine Rede sein bei ihm. Er presste die Lippen zusammen und bog in seine Straße ein. Er konnte schon von weitem durch die Zweige der Platane im Vorgarten das Licht in seinem Haus erkennen.

Doris' Sorge würde natürlich nur seiner Beförderung gelten. Er stellte sich schon vor, wie er ihr versicherte, dass man ihn für das Geschehene nicht verantwortlich machen könnte. Wenn es doch nur wahr wäre, dachte er.

Doris kam ihm schon an der Tür entgegen. Sie hatte auf ihn gewartet. Ich hätte sie anrufen sollen, dachte er etwas schuldbewusst. Er kam zwar oft später, aber trotzdem...

Tatsache war, dass er versuchte (und zwar ganz bewusst), einer Aussprache mit ihr aus dem Weg zu gehen. Was sollte er nur jetzt sagen, verdammt noch mal?

Sich entschuldigen, dass er nicht angerufen hatte? Hektisch über unverfängliche Dinge reden? Nach Anson fragen? Es war wie damals, als sie in frostiger Stimmung von einem Institutsfest nach Hause gefahren waren, weil er etwas zu aufmerksam zu der Frau eines der Studenten gewesen war, die sich offenbar vorgenommen hatte, mit Grübchen und tiefem Ausschnitt die Chancen ihres Mannes zu verbessern. Damals hatte er, als sie das Haus betraten, in heller Verzweiflung ausgerufen: »Oh, verdammt, jetzt wollen wir erst mal einen Schluck trinken!«

Es hatte geklappt. Sie hatte kein Wort mehr darüber verloren. Weder an diesem Abend-noch am andern Morgen oder später. Ob er das auch jetzt wieder versuchen sollte?

Doch jede weitere Überlegung erübrigte sich, denn Doris trat zur Seite, um ihn hereinzulassen. Sie sagte: »Ich habe schon davon gehört. Wie entsetzlich!«

Sie war fast so groß wie er. Ihr Gesicht, das etwas dunkler getönt war als seins, zeigte jedoch noch nicht die feinen Falten um Augen und Mundwinkel, die bei ihm die mittleren Jahre ankündigten; ihre Haut war so glatt wie damals, als sie sich auf dem College kennengelernt hatten. Die Konturen waren nur ein wenig schärfer geworden; härter, straffer. Brade sah sie an. »Du hast davon gehört? Wieso? Sag bloß nicht, es wäre im Fernsehen gewesen.« Er kam sich idiotisch vor, noch während er das fragte.

Sie schloss die Tür und sagte: »Die Sekretärin hat angerufen.« »Jean Makris?«

»Ja. Sie hat mir gesagt, was passiert ist. Dass Ralph tot ist. Sie sagte, du würdest wahrscheinlich später kommen und wolltest sicher nichts essen. Sie schien sehr darum besorgt zu sein, dass du auch gut und verständnisvoll behandelt wirst. Hat ihr vielleicht jemand gesagt, dass das bei mir manchmal zu wünschen übrig lässt?« Brade überhörte ihre Ironie. »Lass gut sein, Doris. Sie ist nun mal so.« Er ließ sich im Wohnzimmer in einen Sessel fallen und warf den Mantel über die Armlehne, so dass ein Ärmel am Boden schleifte. Normalerweise war er fast übertrieben ordentlich (eine Angewohnheit, die er als notwendiges Übel bei der chemischen Forschungsarbeit ansah, die Doris aber seiner herrschsüchtigen Mutter zuschrieb). Er sagte: »Ist Ginny schon im Bett?« »Aber ja.« »Sie weiß es doch wohl noch nicht, oder?«

»Nein, noch nicht.« Sie nahm seinen Mantel und ging damit hinaus in den Flur, um ihn in den Schrank zu hängen. Ihre Stimme klang etwas dumpf, als sie rief: »Willst du denn?« »Will ich was?« »Etwas essen.«

»Nein. Ich darf gar nicht daran denken. Vorerst nicht, jedenfalls.« »Aber du trinkst doch sicher etwas.« Das sollte keine Frage sein. Und ausnahmsweise nahm Brade, der kein großer Trinker war, den Vorschlag dankbar an. (Plötzlich wünschte er, Ginny wäre nicht so ungewöhnlich früh zu Bett geschickt worden. Sie wenigstens hätte ihm die Illusion geben können, dass alles so war wie sonst.) Doris war zu dem eingebauten Wandschrank in der Essecke gegangen, wo sie ihren bescheidenen Getränkevorrat aufbewahrten. Brade beobachtete sie; er fragte sich, warum wohl so vieles im Leben verkehrt lief. Seit sie geheiratet hatten, wurde die Welt von der Atombombe bedroht. Während seiner Kindheit hatte ihn und seine Eltern die Depression bedroht. Hatte er sein ganzes Leben in einer Welt auf Abbruch zugebracht, ohne es zu merken, weil er gar nichts anderes kannte?

Doris verschwand in der Küche, um Eis und Soda zu holen; sie kam gleich darauf mit einem Drink in jeder Hand zurück. Sie setzte sich auf ein Sitzkissen dicht neben seinem Sessel und sah ihn mit ihren weit auseinanderstehenden braunen Augen an.

»Wie ist es denn eigentlich passiert?« fragte sie. »Ich weiß bis jetzt nur, dass es ein Unfall war.« Brade trank mit einem Zug das halbe Glas aus. Er musste husten, fühlte sich aber schon bedeutend wohler. »Offenbar hat er Natriumzyanid mit Natriumacetat verwechselt.« Er machte sich nicht die Mühe, es ihr näher zu erklären. Sie hatte schließlich lange genug mit ihm zusammengelebt, um einige chemische Fachausdrucke zu kennen.

»Oh!« sagte sie. Dann fuhr sie fort, und ihr Kinn hob sich dabei deutlich und scharf im Lampenlicht ab: »Das ist natürlich sehr traurig, Lou, aber dich trifft doch wohl nicht die geringste Schuld, oder?« Brade starrte in sein Glas. »Nein, natürlich nicht.« Dann fragte er: »Was hat denn Cap Anson gesagt? Ich nehme an, er war ärgerlich.« Doris machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe ihn überhaupt nicht gesehen. Er hat draußen mit Ginny gesprochen.« »Zu wütend, um hereinzukommen. Hm.«

Doris sagte: »Jetzt lass mal Cap aus dem Spiel. Was hat Professor Littleby dazu gesagt?«

»Gar nichts, Schatz. Er war nicht da.«

»Na ja, das wird nicht so bleiben. Wir sehen ihn spätestens Samstag abend.«

Brade legte seine Stirn in Falten und sah an ihr vorbei. »Du meinst also, wir sollten hingehen?«

»Natürlich gehen wir hin. So wie jedes Jahr. Mein Gott, Lou, das ist zwar eine sehr traurige Sache, aber wir können doch deshalb keine Trauer tragen, oder?« Sie gab einen ärgerlichen Laut von sich. »Dieser Junge hat doch allen nur Ungelegenheiten gebracht.« »Aber, Doris -«

»Das hat dir Otto Ranke ja gleich gesagt, als du Ralph angenommen hast.«

»Ich glaube nicht, dass Ranke so etwas vorausgesehen hat«, sagte Brade ruhig.

Ranke war derjenige gewesen, den sich Ralph Neufeld zuerst als Doktorvater ausgesucht hatte. Die Studenten wählten sich gewöhnlich unter den verschiedenen Mitgliedern der Fakultät den Professor, dessen Forschungsgebiet ihnen am interessantesten erschien. Oder der die meisten Stipendien zu vergeben hatte. Und Neufeld hatte Ranke gewählt.

Ranke aber war eine etwas unglückliche Wahl gewesen. Normalerweise hielt ein Professor zu seinem Studenten, wenn er ihn einmal angenommen hatte, selbst wenn er es hinterher bereute, sah er es doch als seine Pflicht an, ihn bis zur Promotion zu bringen, es sei denn, er versagte völlig.

Professor Otto Ranke fühlte sich an diese ungeschriebene Regel nicht gebunden. Wenn er einen Studenten nicht leiden konnte, jagte er ihn einfach davon.

Er war der Professor für physikalische Chemie; ein untersetzter, dicklicher Mann mit weißen Haarbüscheln um die Ohren herum und einer rosa Einöde dazwischen; er war reich an Ehren und Auszeichnungen. Außerdem war er aussichtsreicher Kandidat für einen späteren Nobelpreis.

Seine kurz angebundene und bissige Art, seine Schroffheit waren sprichwörtlich, aber Brade kam es oft so vor, als läge hinter seinem Hohn und seinen Wutanfällen immer eine gewisse Absicht. Es war natürlich einfach, das temperamentvolle Genie zu spielen, und diese Maske mochte sich besonders für diejenigen empfehlen, die insgeheim gewisse Zweifel an der eigenen Genialität hegten.

Jedenfalls hatte sich Neufeld, dessen mürrisches Wesen jedem ein

Ärgernis war, bereits nach einem Monat mit seinem mindestens ebenso schwierigen Professor entzweit. Sofort wandte er sich an Brade und sagte ihm, dass er zu ihm überwechseln wollte. Daraufhin hatte Brade bei Gelegenheit Ranke wegen des jungen Mannes angesprochen.

Ranke hatte ärgerlich geknurrt: »Dieser Junge ist einfach unmöglich. Es ist nicht mit ihm zu arbeiten. Überall gibt es Ärger mit ihm.«

Brade lächelte. »Mit Ihnen ist auch nicht gerade leicht arbeiten, Otto.«

»Das hat gar nichts mit mir zu tun«, sagte Ranke heftig. »Er hat sich sogar mit August Winfield geprügelt, richtig mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen.«

»Weshalb denn?«