122730.fb2 F?hrte nach Andromeda - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

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9.

»Ich halte dieses verdammte Warten nicht mehr aus«, schrie Hayden Bellows unbeherrscht. »Wenn das so weitergeht, werde ich noch wahnsinnig.«

»Da hast du nicht viel zu tun«, bemerkte Viveca spitz.

Selbst die seit nunmehr drei Wochen andauernde, zermürbende Anspannung der Nerven hatte die Ruhe und Kaltblütigkeit der Biologin nicht durchbrechen können. Für Hayden war der Spott zuviel; mit einem Schrei stürzte er sich auf sie.

»Nicht doch!« murmelte sie. »Was sollen denn die anderen von dir denken?«

Eine geschickte Körperdrehung hatte genügt, um Hayden ins Leere rennen zu lassen; er war gestürzt und starrte die Frau an. Marsh konnte sich nicht erinnern, jemals ein derart wutverzerrtes Gesicht gesehen zu haben.

»Ein Raumfahrer, der mir zu Füßen liegt!« schwärmte Viveca laut.

Die Antwort des Mannes bestand in einem unverständlichen Gurgeln; mit hochrotem Kopf warf er sich vorwärts. Viveca machte einen raschen Schritt zur Seite, und Hayden prallte mit voller Wucht gegen die Pyramidenwand.

»Tu dem armen Ding nicht weh!« höhnte die Kosmobiologin.

Dann verschlug es ihr die Sprache; mit offenem Mund starrte sie Hayden an, der sich an dem harten Stein eine Stirnverletzung zugezogen hatte und sich benommen aufrichtete. Er war von dem Anprall noch halb betäubt und stützte sich schwer gegen die Wand. Sie änderte ihre Haltung auch nicht, als Hayden mit schleppenden Schritten auf sie zuging, die Hände um ihren Hals legte und sie zu würgen begann.

Dafür reagierte Marsh. Er sprang zu den beiden hinüber und riß Hayden zu Boden. »Du Narr!« schrie er glücklich. »Weißt du überhaupt, wo du dich verletzt hast?«

»An der verdammten Pyramide!« knurrte der Raumfahrer und strengte sich an, aus Marshs Hebelgriff zu kommen. Dann begriff auch er. »Das Kraftfeld ist weg!« keuchte er.

»Genau!« sagte Viveca mit einem leisen Seufzer. Sie schenkte Hayden ein zaghaftes Lächeln.

»Ich hoffe, du vergibst mir die Gemeinheiten der letzten Minuten«, bat sie leise.

Hayden machte eine abwehrende Handbewegung. »Vergessen«, sagte er großzügig.

Mit einem schrillen Pfiff hatte Marsh inzwischen die anderen Terraner zusammengebracht; als er berichtete, daß das Kraftfeld verschwunden sei und dies auch allen sichtbar bewies, brachen die fünfzig Menschen in ein ohrenbetäubendes Freudengebrüll aus. Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hatte, meldete sich Arvid zu Wort.

»Das Kraftfeld ist also verschwunden«, stellte er fest. »Aber wie kommen wir jetzt in diesen Steinklotz hinein?«

Marsh wollte mit den Schultern zucken, unterließ aber die Bewegung. Als wären Arvids Worte verstanden worden, schob sich mit einem leisen Knirschen ein vier Meter hoher und ebenso breiter Steinklotz in die Wand der Pyramide. Der Block schwenkte langsam zur Seite und legte eine schwach erleuchtete Öffnung frei.

»Arvid, Viveca, Margalo!« rief Marsh laut. »Wir vier werden als erste in die Pyramide eindringen. Wir nehmen Funkgeräte mit – vielleicht könnt ihr uns trotz der Steinwände hören.«

»Geht in Ordnung«, bestätigte Hayden, der sich wieder gefaßt hatte. Ein großes Pflaster zierte seine Stirn. »Aber wartet noch ein paar Minuten.«

Marsh lächelte anerkennend, als der Mann wenig später mit einem großen Metallstück zurückkehrte, mit dem die Ketten der Rover geflickt werden konnten. Ächzend schleppte Hayden das Glied bis an den Eingang und legte es dort so ab, daß der Türblock nicht mehr in seine alte Position zurückkehren konnte.

»Nehmen wir Waffen mit?« wollte Viveca wissen.

»Nein!« entschied Marsh schnell. Er hängte sich den Tragriemen eines Funksprechgerätes um, während Arvid sich mit einem Handscheinwerfer bewaffnete. Langsam gingen die vier Menschen auf die Öffnung zu.

Vorsichtig schritten die Menschen über den steinernen Boden des Ganges; als sie annähernd zwanzig Meter tief in das Bauwerk eingedrungen waren, hörten sie hinter sich ein unheilverkündendes Knirschen.

»Die Tür!« rief Margalo erschreckt und fuhr herum.

Im Licht des Scheinwerfers war deutlich zu erkennen, wie sich der gewaltige Steinblock an seinen Platz zurückbewegte; selbst das stählerne Kettenglied konnte die Kraft der Bewegung nicht bremsen.

»Wir sind eingeschlossen«, stellte Viveca gleichmütig fest; es hörte sich an, als habe sie auf dieses Ereignis gewartet.

»Vielleicht sind die Fremden Menschenfresser«, flüsterte Margalo ängstlich. Ihre Stimme versagte.

»Wir sollten weitergehen«, bestimmte Marsh und ging den anderen voran.

Sorgfältig zählte er die Schritte; als sie sich nach seinen Berechnungen dem Mittelpunkt der Pyramide näherten, bemerkte er, daß ihnen ein zweiter Steinblock den Weg versperrte. Bevor Marsh zu irgendeiner Überlegung kam, erklang ein scharfes Knacken. Sekunden später versank der hinderliche Klotz im Boden. Ein zehn mal zehn Meter messender quadratischer Raum wurde sichtbar. Wie der Gang würde auch er von sanftem indirektem Licht erhellt.

»Hm«, machte Arvid, nachdem sie den Raum betreten hatten. »Fällt euch nichts auf?«

»Doch«, erklärte Margalo. »Es ist hier ziemlich schummrig.«

»Das meinte ich«, bestätigte der Navigator. »Aber als Liebeslaube ist dieser Raum sicherlich nicht gedacht.«

»Was uns hier als Dämmerlicht erscheint«, sagte Marsh nachdenklich, »ist für irdische Verhältnisse eine völlig normale Beleuchtung. Uns erscheint es so düster, weil wir uns inzwischen an die mörderische Helligkeit draußen gewöhnt haben.«

»Und da jedes intelligente Lebewesen darauf achtet, daß Tages- und Kunstlicht annähernd gleich sind«, fuhr Arvid fort, »folgere ich, daß die Bewohner der Pyramide nicht hier geboren wurden.«

»Keine Spekulationen!« wehrte Viveca ab. »Sagt mir lieber, was es mit diesem Loch auf sich hat.«

Jetzt erst bemerkten sie die zwei Meter durchmessende Öffnung in der Mitte des Raumes.

»Vielleicht sollten wir mit einem Stein oder etwas anderem feststellen, wie tief das Loch ist«, meinte Margalo.

»Wer hat etwas Derartiges bei sich?« fragte Marsh, während er seine Taschen durchwühlte.

Auf diesen Zwischenfall war keiner vorbereitet; was sie bei sich trugen, wurde noch gebraucht.

»Machen wir es anders!« sagte Marsh. Er legte sich flach auf den Boden und robbte langsam an den Rand der Öffnung; Arvid verstand sehr schnell, was Marsh wollte, und hielt die Füße des Skippers fest. Vorsichtig schob Marsh sich weiter; sein Kopf ragte jetzt über die Öffnung.

»Ziemlich finster hier«, brummte er. »Viveca, gib mir bitte den Scheinwerfer. Aber schalte ihn vorher ein.«

»Wird gemacht.«

Wenige Sekunden später lag die Frau einen halben Meter hinter ihm und schob die Lampe vorwärts. »Nimm«, forderte sie Marsh auf.

Der Skipper streckte den Arm aus und tastete nach der Lampe. Nachdem er sie gefunden hatte, schob er sie langsam an seinem Körper entlang in Kopfhöhe.

Arvid, der einen einsamen Kampf mit einem immer stärker werdenden Niesreiz ausfocht, ließ für wenige Sekunden Marshs Füße los, um sich an der Nase zu reiben. Marsh spürte die Bewegung und fuhr zusammen; er klammerte beide Hände um den Rand der Öffnung und stieß dabei mit dem Ellbogen gegen die Lampe. Das Gerät rutschte mit erschreckender Langsamkeit auf den Rand zu, kippte und fiel.

»Verdammt«, rief Marsh, doch dann stieß er einen begeisterten Pfiff aus.

»Was gibt es?« fragte Arvid schuldbewußt; wieder hielt er Marshs Füße umklammert. Der Skipper drehte sich um und setzte sich auf.

»Die Lampe fällt«, verkündete er.

»Das ist keineswegs neu«, brummte Arvid.

»Aber sie fällt konstant mit einer Geschwindigkeit von etwa einem halben Meter pro Sekunde!«

»Schwerkraftaufhebung!« staunte Viveca.

»Es sieht so aus«, meinte Marsh heiter. »Ich werde es ausprobieren.«

»Und wenn du abstürzen solltest?« fragte Margalo scheu.

»Werde ich jedenfalls angenehme Begleitung haben«, sagte Marsh schnell. Er griff nach ihrer Hand, und bevor Margalo protestieren konnte, waren die beiden in der Öffnung verschwunden.

»He, ihr beiden!« scholl es Sekunden später, nachdem Margalos Entsetzensschrei verklungen war, aus dem Loch. »Kommt nach.«

Wenig später schwebten auch Viveca und Arvid sanft in die Tiefe.

»Nun?« erkundigte sich Marsh freundlich. »Ist es so schlimm?«

Margalo schüttelte den Kopf; sogar ein zaghaftes Lächeln brachte sie zustande. Die unter ihnen schwebende Lampe zeigte, daß das Ende des Schachtes noch lange nicht erreicht war. Marsh nutzte die Zeit, um sich Margalo einmal etwas näher anzusehen. Was er sah, war nicht allzu entsetzlich. Margalo war mittelgroß, und ihre Figur bot keinen Anlaß zu Begeisterungsausbrüchen – allerdings auch nicht zum Gegenteil. Auffallend war nur das Gesicht. Marsh hatte schon früher festgestellt, daß sie kaum merklich schielte – jetzt, in dem Dämmerlicht des Schachtes, wirkten die grünlichen Augen faszinierend. Wie eine Katze, dachte Marsh, die vor dem Essen noch ein bißchen gestreichelt werden will.

»He!« klang es von oben. »Ihr seid so still.«

Arvids Stimme riß Marsh aus seinen Gedanken; in der gleichen Lautstärke gab er zurück: »Ihr seid auch nicht wesentlich lauter.«

»Das hat seine Gründe«, erklärte Viveca fröhlich. »Er hat mir gerade einen Heiratsantrag gemacht.«

»Verräter«, knurrte Marsh amüsiert, dann rief er nach oben: »Merkwürdig. Wir haben von diesem Wahnsinn erzeugenden Feld nichts gespürt.«

»Abwarten«, erklang es neben ihm mit einem leisen Fauchen.

»Langsam bekomme ich Klaustrophobie«, erklärte Marsh grimmig.

Seit fast einer Stunde bewegten sich die vier Menschen abwärts; der Schacht schien kein Ende zu nehmen. Nach seiner Rechnung mußten sie inzwischen eine Strecke von fast zwei Kilometern zurückgelegt haben.

»Wie sieht es aus?« fragte Arvid von oben.

Marsh hatte diese Frage schon hundertmal mit der gleichen Auskunft beantwortet; auch diesmal warf er nur einen kurzen Blick nach unten.

»Freut euch!« gab er nach oben durch. »Das Ende des Schachtes ist in Sicht.«

Mit einem halblauten Poltern schlug die Lampe auf dem Metallboden des Schachtes auf. Minuten später standen auch die vier Menschen auf dem Ende der Röhre. Sie mußten nur kurz warten, bis sich ein drei Meter hohes Teilstück der Röhre verschob und ein erleuchtetes Viereck in der Wand öffnete.

»Herrrreinspaziert«, sagte Curry und strahlte die vier an. Er schien bester Laune zu sein. Hinter ihm saß Elissa in einem bequemen Sessel und winkte vergnügt.

»Wie seid ihr hierhergekommen?« fragte Marsh sofort. Curry grinste diabolisch.

»Auf dem gleichen Wege wie ihr«, sagte er knapp. »Nur nicht ganz so freiwillig.«

»Wenn ich Ihnen erklären dürfte …«, sagte eine unglaublich tiefe Baßstimme im Hintergrund. Der Mann sah den Bildern des Pyramidenreliefs erstaunlich ähnlich; überschlank, sehr groß und mit zwei Daumen an jeder Hand.

»Nehmen Sie doch bitte Platz!« bat der Fremde höflich und deutete auf die Sessel, die innerhalb von Sekunden aus dem Boden zu wachsen schienen. Ein Schnippen mit dem Finger genügte, um einen flachen Tisch mit einer gläsernen Platte hervorzuzaubern, auf dem eine Anzahl von gefüllten Gläsern stand.

»Der Reihe nach: Die Sonne dieses Systems heißt – aus unserer Schrift in Ihr Lautbild übertragen – Morcoy, diese Welt Morcos und seine Bewohner demnach Morconen. Ich selbst werde Moltion Gambral genannt.« Er lächelte den Erdmenschen zu. »Aber setzen Sie sich doch, Kapitän Garfield.«

»Sie kennen unsere Namen?« fragte Marsh verblüfft, nachdem er Platz genommen hatte.

»Nicht nur das«, sagte Gambral. »Das vierte Glas von links ist für Sie bestimmt – Ihre Lieblingsmarke.«

Marsh fand die Angabe bestätigt.

»Wir sahen Ihr Schiff landen und verfolgten Ihre Bewegungen auf unserem Planeten. Als dann Ihre Freunde genau vor unserem Portal standen, erlaubten wir uns, sie mit Hilfe eines schwachen Hypnosefeldes einzuladen. Alle weiteren Ereignisse ergaben sich aus dieser Aktion.«

Mit eisiger Kälte fragte Marsh: »Warum haben Sie unser Schiff abgeschossen?«

Die Terraner sahen ihren Kommandanten überrascht an, und Moltion Gambral zog die Brauen hoch. »Ihr Schiff abgeschossen? Von uns?«

»Falls sich sonst niemand in diesem System befindet, werden es wohl Ihre Leute gewesen sein müssen.«

Marsh sah das Erstaunen seiner Freunde und erklärte: »Ich habe mir damals die Reste unseres Antriebs sehr genau angesehen. Die Zerstörungen wurden nicht durch eine Explosion im Innern des Schiffes ausgelöst – die Zerstörung kam von außen, wahrscheinlich in Gestalt eines Torpedos oder einer ähnlichen Waffe.«

»Sie sehen mich verblüfft«, sagte der Morcone ratlos. »Wenn Ihre Angaben stimmen – woran ich nicht zweifle –, so ist diese Zerstörung mit Sicherheit nicht von uns ausgelöst worden.« Sein Lächeln wurde bitter. »Seit mehr als zweitausend Jahren ist von Morcos kein Schiff mehr gestartet.«

Wie hervorgezaubert ragte aus dem Seitenteil seines Sessels plötzlich ein Mikrophon, in das der Morcone ein paar Sätze sagte; dann verschwand das Gerät ebenso schnell wieder.

»Gut«, fuhr er dann fort. »Nehmen wir also an, wir hätten das Schiff zerstört. Sind Sie bereit, unsere Entschuldigung zu akzeptieren?«

Marsh machte ein finsteres Gesicht. Der Morcone hatte ihn meisterlich in die Defensive gedrängt: Obwohl Marsh von der Ehrlichkeit seiner Aussage überzeugt war, hatte sich der Fremde für etwas entschuldigt, an dem er völlig unschuldig war.

»Vergessen wir die Angelegenheit«, schlug er vor. »Woher können Sie unsere Sprache derart gut?«

»Es gibt da ein einfaches Verfahren«, erklärte der Fremde. »Sehen Sie sich ein einsprachiges Wörterbuch an. Jeder Begriff wird durch andere, wesentlich einfachere Begriffe erklärt. Wir brauchten also nur ein Wörterbuch, ein paar Dutzend einfachere Begriffe und deren sprachliches Äquivalent – Dinge wie Essen, Trinken, Schlafen, Gefühlsäußerungen und dergleichen mehr –, und schon konnten unsere Computer Ihre gesamte Sprache binnen einiger Minuten aufschlüsseln. Ihr Freund Curry hatte ein Wörterbuch der amerikanischen Sprache bei sich, und sein Wortschatz und der seiner Begleiterin ergaben Vergleichswerte. Alles ganz elementar, mein lieber Watson!«

Sogar diese Redefloskel des legendären Sherlock Holmes kannte er. Marsh nickte bewundernd. »Dann kennen Sie vermutlich auch unsere Geschichte?«

Gambral nickte und erwiderte: »Ziemlich genau. Bevor Sie fragen – die Tatsache, daß dieser Lernprozeß so schnell verlief, verdanken wir hypnotischen Lehrmethoden!«

»Das kennen Sie also auch«, stellte Marsh beeindruckt fest. »Nur Raumfahrer haben Sie nach eigenem Geständnis keine. Warum?«

Gambral lächelte schmerzlich. »Die Erklärung dafür ist ziemlich kompliziert. Wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen einen kleinen Vortrag darüber halten.«

Die Gemeinsamkeiten in der irdischen Entwicklungsgeschichte und der Phylogenese der Morconen waren verblüffend. Auf dem Umweg über Algen, Fische, Amphibien, Reptilien und niedere Säuger hatte sich ein Volk aufrecht gehender Säuger entwickelt, dessen Kultur sich zu immer neuen Höhen entwickelte.

Einen Vorteil hatten die Morconen – als das Volk von Morcos allmählich zu staatlichen Formen des Zusammenlebens überging, waren die einzelnen Kontinente so weit von einander getrennt, daß erst Jahrhunderte nach der Gründung des ersten morconischen Großreiches der erste Versuch unternommen werden konnte, die anderen Kontinente zu besiedeln. Und zu diesem Zeitpunkt war das Volk von Morcos zivilisatorisch bereits so weit gereift, daß es niemals zu Zwistigkeiten zwischen den Bewohnern der einzelnen Kontinente kam.

Mit dem Maße, in dem der technische Fortschritt die Entfernungen verkürzte, wuchs der planetenumfassende morconische Einheitsstaat auf der Grundlage des allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlrechts. Die Morconen ließen sich Zeit. Es gab keine private Industrie, die völlig überflüssige Bedürfnisse mit Milliardenbeträgen für Werbung künstlich hervorrief und dann mit ähnlichen Kosten diese Bedürfnisse befriedigte, wodurch die Wissenschaft auf den absurdesten Zweiggebieten in astronomische Höhen getrieben wurde. Die Morconen betrieben statt dessen eine umfassende Grundlagenforschung.

Mit legaler Rücksichtslosigkeit hatte die morconische Regierung die aufkeimende soziale Ungleichheit im Ansatz erstickt. Man hatte sehr schnell erkannt, daß es völliger Wahnwitz war, einem Multimilliardär alles wegzunehmen – schließlich hatte ein solcher Mann die Milliarden nicht unter dem Kopfkissen gestapelt. Was solche Morconen mächtig – und damit gefährlich – machte, war die mit dem Geld verbundene Macht, die von keiner Instanz wirklich voll kontrolliert werden konnte, wie es in einer wirklichen Demokratie unerläßlich war. Von einer bestimmten Grenze an wurden Unternehmergewinne zu einhundert Prozent versteuert; zum Ausgleich erhielt der Betreffende einen uneingeschränkten Einkaufsfreigutschein. Da der Staat die eingenommenen Steuern vorzugsweise dazu verwendete, das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung zu heben, wuchs die Zahl der Gutscheininhaber unaufhaltsam an.

Bis …

»Dann kam das Jahr der Katastrophen«, berichtete Moltion Gambral. »In einem der zahlreichen wissenschaftlichen Institute des Planeten nahm ein Team die Arbeit mit Gravitationsexperimenten auf. Leider waren diese Versuche erfolgreich.«

»Leider?« fragte Marsh verblüfft.

Gambral nickte. »Sie wissen vielleicht, daß die Gravitation eine unglaublich geringe Größe hat. Unsere Forscher nun wollten zunächst einmal feststellen, was Schwerkraft überhaupt ist, und zu diesem Zweck bauten sie zunächst einmal eine Maschine, die Schwerkraft erzeugte. Dann kam die Nacht der Verhängnisse.

Ein Atomreaktor drehte durch und produzierte immer mehr Energie. Man konnte die Anlage nicht abschalten, da sie sonst explodiert wäre; ebensowenig konnte man die gesamte Energie einfach auf das Leitungsnetz loslassen – es wäre zerstört worden. Also schickte man die überschüssige Energie auf den Gravitationsgenerator, der eine fast unbegrenzte Aufnahmefähigkeit besaß. Zu unserem Unglück funktionierte das Ding einwandfrei. Eine ganze Nacht lang ließ der Generator die Schwerkraft des Planeten auf das Sechsfache anwachsen; ganz Morcos wurde davon erfaßt und war für Stunden besinnungslos. Im Morgengrauen erst beruhigte sich der Reaktor und stoppte die Energiezufuhr zum Generator. Morcos atmete auf.«

»Ich glaube, ich begreife«, sagte Marsh ruhig. »In jener Nacht war selbstverständlich auch das astronomische Gleichgewicht des Systems gestört. Der Planet zog sich förmlich an sein Zentralgestirn heran – mit der sechsfachen Kraft. Aber nur ein Sechstel dieser Kraft wurde von der Fliehkraft des Planetenumlaufs aufgehoben – folglich schraubte sich Morcos immer näher an die Sonne heran!«

»Genau!« bestätigte der Morcone mit einem anerkennenden Lächeln. »Es dauerte Wochen, bis sich die Bahn des Planeten wieder stabilisiert hatte – was in dieser Zeit auf Morcos geschah, werden Sie sich vielleicht vorstellen können. Eine Katastrophe jagte die nächste. Es wurde unerträglich heiß. Das Wasser verdunstete und entwich in immer größeren Mengen in den Weltraum; die Ernten verdorrten; Landstriche wurden zu Wüsten; die Ozeane trockneten aus. Wir hatten zwei Möglichkeiten. Einmal konnten wir versuchen, den Unglücksfall mit umgekehrten Vorzeichen zu rekonstruieren. Ging dies nicht, mußten wir uns so schnell wie möglich eingraben und unter der Oberfläche des Planeten einen neuen Lebensraum für unser Volk finden.«

»Und wofür haben Sie sich entschieden?« fragte Viveca neugierig.

»Sehen Sie sich um!« antwortete Gambral hart. »Die Erbauer des Generators hatten nicht die leiseste Ahnung, wie das Ding wirklich funktionierte. An eine Umkehr des Versuchs war nicht zu denken. Das geschah vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren.«

»Zeit genug«, bemerkte Marsh leichthin, »um das wissenschaftliche Problem der Schwerkraft zu lösen.«

»Sie würden nie aufgeben, unter keinen Umständen?« fragte Gambral lächelnd. »Nun, wir waren ähnlich wagemutig und entschlossen. Und wir lösten das Problem Schwerkraft innerhalb von fünfzig Jahren. Das Problem war die Umkehrung der Schwerkraft. Es entsprach der Aufgabe, eine Lampe zu konstruieren, die Dunkelheit ausstrahlt. Es ist uns nach und nach gelungen, aber – um bei dem Vergleich zu bleiben – über kleine Taschenlampen sind wir nie hinausgekommen.«

Für Marsh war dies unbegreiflich. »Wenn Sie das Prinzip der Anti-Schwerkraft kennen und entsprechende Apparaturen bauen können, dann muß es doch möglich sein, die Leistung solcher Aggregate zu steigern.«

»Ganz so einfach ist das nicht«, antwortete der Morcone ruhig. »Versuchen Sie einmal, ganze Industriekomplexe unterirdisch mit beschränkten Hilfsmitteln anzulegen. Wir waren fast tausend Jahre lang vordringlich damit beschäftigt, unser Volk vor dem Aussterben zu bewahren. Und danach befanden wir uns in der beneidenswerten Lage eines Mannes, der in einer Zelle sitzt und sich die Feile zum Ausbruch selber schmieden muß – ohne Hilfsmittel wohlgemerkt.«

»Und wie ist die Lage jetzt?« wollte Elissa wissen.

»Verzweifelt!« erwiderte Moltion Gambral. »Wir müssen nahezu neunundneunzig Prozent unserer Fähigkeiten darauf verwenden, das Lebenssystem in den submorconischen Anlagen aufrechtzuerhalten. Und der Prozentsatz freier Kräfte sinkt von Generation zu Generation. Es sieht düster aus.«

»Mit anderen Worten«, stellte Marsh fest, »Ihr Volk steht vor dem Aussterben.«

»Die nächste Generation wird wahrscheinlich die letzte sein«, bestätigte Moltion Gambral. »Und jeder der Bewohner weiß es – die Welt Morcos ist so etwas wie eine Todeszelle in Planetengröße.«

»Reizend«, sagte Marsh. »Und wir hatten gehofft, hier Hilfe zu finden. Trösten Sie sich, wir werden mit Ihnen sterben.«

Die Gesichter der übrigen Terraner wurden langsam bleich; Gambral sah dies und machte eine abwehrende Handbewegung.

»Noch ist nichts endgültig verloren«, sagte er beruhigend. »Zunächst einmal werden wir versuchen, die Schäden an Ihrem Schiff zu reparieren. Und wenn Sie in Ihr System zurückkehren, können Sie vielleicht eine Botschaft überbringen. Ihr Volk hat noch freie Reserven – Sie können uns vielleicht noch retten.«

»Ihr Optimismus in allen Ehren«, brummte Marsh. »Aber Sie verkennen unsere Möglichkeiten. Selbst wenn es Ihnen gelingt, unser Schiff wieder flugtauglich zu machen – wir werden Ihnen nicht helfen können. Bis das erste Schiff nach unserem Abflug von hier von der Erde aus hierhergelangt, sind zwanzig Jahre vergangen. Und ein einzelnes Schiff wird Ihnen schwerlich etwas nützen.«

»Sie irren sich!« sagte der Morcone sanft.

»Das würde mich freuen«, gab Marsh zurück; neugierig sah er den fast kahlen Morconen an. Längst hatte sich der Eindruck verflüchtigt, es mit einem Fremden zu tun zu haben; nach den bereits geführten Gesprächen erschien der Morcone den Terranern als guter alter Freund, der sich im Laufe langer Jahre stark verändert hat.

»Ich weiß sehr genau, auf welcher Basis Ihre Triebwerke arbeiten«, erklärte Gambral. »Und mir ist auch klar, daß auf dieser Basis für uns keine Möglichkeit besteht. Aber ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag – benutzen Sie eines unserer Schiffe!«

»Sind die schneller?« fragte Arvid.

»Mit unseren Antriebssystemen werden Sie innerhalb eines Tages Ihre Heimatsonne wiedersehen.«

»Das glaube ich nicht!« sagte Marsh impulsiv und richtete sich auf. »Mit überlichtschnellen Raumschiffen kann sich Ihr Volk mühelos selbst helfen.«

»Und wie?« fragte der Morcone unbeeindruckt zurück.

»Sie wandern aus!« erklärte Marsh ungeduldig. »Sie besiedeln ganz einfach ein anderes Sonnensystem.«

»Ganz einfach«, wiederholte der Extraterrestrier. »Mit vier Schiffen wollen Sie ein ganzes Volk umsiedeln?«

»Dann bauen Sie eben …«

Marsh unterbrach sich. Es war ihm eingefallen, daß die Morconen, besaßen sie die Möglichkeit zum Bau einer gewaltigen Evakuierungsflotte, selbstverständlich auch einen neuen Antigravgenerator hätten bauen können.

Dem Morconen waren Marshs Überlegungen nicht verborgen geblieben. »Nehmen Sie unser Angebot an?« fragte er leise. »Wir schenken Ihnen das Geheimnis des Interstellarfluges – und Ihr Volk baut für uns den großen Generator, den wir zur Bahnkorrektur des Planeten benötigen. Einverstanden?«

Vor Marsh Augen begann es zu flimmern. Er sah im Geiste schon gigantische Raumschiffe in die Tiefen des Alls vorstoßen. Wortlos schüttelte er dem Fremden die Hand.

»Ich glaube«, meinte Gambral, »wir sollten Ihre anderen Freunde nicht länger warten lassen.« Er ging auf eine Wand des Raumes zu und strich über eine kleine Kontaktplatte; geräuschlos öffnete sich ein Fach, in dem Marsh mehrere Skalen und mehr als ein Dutzend verschiedener Schalter erkennen konnte.

»Sie können jetzt Ihre Funkgeräte wieder benutzen«, erklärte Gambral freundlich, nachdem er vier Schalter bewegt hatte. »Das Radioabsorptionsfeld ist abgebaut.«

Marsh griff nach dem Mikrophon; schon beim ersten Anruf meldete sich Hayden Bellows.

»Wo, zum Teufel, habt ihr gesteckt?« fragte er erregt. »Gerade ist der Stein wieder aufgegangen. Sollen wir euch Hilfe schicken? Und wo sind Curry und Elissa?«

»Gemach!« versuchte Marsh den Redefluß zu stoppen. »Packt ein paar Kleider zusammen – bringt auch für uns etwas mit – und geht alle in den Gang. Ich wiederhole: alle. Vergeßt aber nicht, die Fahrzeuge zu sichern. Wenn ihr ein großes Loch seht, dann springt hinein – es ist ungefährlich! Wir warten auf euch.«

»Einfach so in ein Loch springen, ja? Ist bei euch alles in Ordnung?« wollte Hayden wissen.

Ruhig gab Marsh Auskunft. »Wir fühlen uns bestens, und Curry und Elissa sind ebenfalls bei uns. Und außerdem wissen wir auch schon, wie wir zur Erde zurückkehren können – in ein paar Tagen nur.«