122730.fb2 F?hrte nach Andromeda - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

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4.

Spooky drehte sich im Bett herum und schlang die Arme um das Kopfkissen, als ihm schlagartig bewußt wurde, was er tat. Ruckartig richtete sich der Terraner auf. Er schluckte heftig und murmelte schwach: »Verdammt, wie komme ich in meine Wohnung?«

Daß es sich um sein Appartement auf Sansibar handelte, war offensichtlich. Das Bett, die Poster an der Wand – all das kam ihm völlig bekannt vor. Er stellte fest, daß er seinen Schlafanzug trug, der eigentlich auf Sansibar in der Kiste mit der ungewaschenen Kleidung hätte liegen müssen.

»Gut, gut«, murmelte der Terraner. »Für einen Alptraum ist dies jedenfalls erträglich.«

Er stand auf und grinste schwach; wenn er sich wirklich in seiner Wohnung befand – wie auch immer er dorthin gekommen sein mochte –, mußte hinter der vollständigen Shakespeare-Werksausgabe noch eine Flasche Whisky stehen.

»King Lear«, murmelte Spooky, dann zog er das Buch aus dem Regal. Sein Gesicht verfärbte sich leicht, als er hinter dem Band tatsächlich eine gefüllte Flasche entdeckte. Er nahm einen Schluck, und der Whisky erwies sich als echt. Versehentlich ließ der Terraner das Buch in seiner Hand fallen. Der Band krachte auf den Teppichboden und öffnete sich. Spooky kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und sah noch einmal auf den Boden; die Blätter waren vollständig weiß. Als Spooky blätterte, wuchs sein Erstaunen – lediglich auf der ersten Seite fanden sich einige Shakespeare-Zitate, die zudem meist gar nicht aus King Lear stammten.

Langsam begann der Mann zu ahnen, wo er sich befand; nachdem er sich erneut an der Flasche gütlich getan hatte, zog er sich rasch an und drückte die Klinke an der Tür nieder.

»Aha«, murmelte DeLacy, als er auf den Gang trat, dann aber wurde sein Gesicht wieder nachdenklich. »Bin ich, wie angenommen, noch immer auf Mainares, kann ich weitergehen; sollte ich indes auf Sansibar sein, müßte ich eigentlich auf meinem Balkon stehen.«

Er überlegte krampfhaft, ob er den nächsten Schritt tun sollte; daß er sich in einem Zwischenstadium zwischen Bewußtsein und Trance befand, hielt er für sicher – fraglich war nur, welcher Teil des ihn umgebenden Bildes der Realität entsprach. Mit sehr gemischten Gefühlen dachte Spooky daran, daß er auf der Erde im 58. Stock eines Hochhauses wohnte.

Mehr und mehr begann er sich zu fürchten. Selbstverständlich hatte sein Balkon ein festes Geländer, aber er war sehr sicher, daß der Unbekannte, der ihm eine optische Täuschung vorspielen konnte, auch seine anderen Sinne würde manipulieren können. Spooky überlegte fieberhaft; seinen Unmut über die vertrackte Situation machte er mit halblauten Flüchen Luft. Sein Zorn legte sich erst, als er Danielle erkannte, die aus einer anderen Tür trat und ihn verwundert musterte.

»Was machen wir nun?« fragte sie, nachdem Spooky sein befremdendes Betragen erklärt hatte.

»Suchen«, schlug DeLacy vor. »Hier gibt es sicher einen Aufenthaltsraum – und wahrscheinlich werden wir dort auch Giri und Sirghia finden.«

Nacheinander nahmen sie sich die Türen vor; erst beim achten Versuch ließ sich eine der Klinken niederdrücken.

»Endlich!« seufzte Sirghia, die in einem hochlehnigen Sessel Platz genommen hatte. »Wir wunderten uns schon.«

»Ich hatte einige Orientierungsschwierigkeiten«, murmelte Spooky.

Wenig später erschienen auch Giri und Cerlo; eine kurze Diskussion ergab, daß alle Beteiligten in Räumen aufgewacht waren, die ihren Privatwohnungen stark glichen. Woher allerdings die beträchtlichen Fehler stammten, konnte nicht geklärt werden.

Ein Kratzen an der Tür unterbrach die Unterhaltung. Spooky öffnete sehr vorsichtig und landete unter Soleils Ansturm eine halbe Sekunde später in einer Ecke des Raumes.

»Das nennt man Treue!« bemerkte Danielle und streichelte das Tier.

»Ich wüßte nur zu gern«, überlegte Spooky heiter, »wie Soleils Nachtquartier ausgesehen hat.«

»Wie eine Bärenhöhle, selbstverständlich«, sagte eine fremde Männerstimme. »Seien Sie mir willkommen!«

Die Menschen fuhren herum und sahen einen Mann in einem bisher nicht erkennbaren Türrahmen stehen, der die Gruppe mit einem freundlichen Lächeln begrüßte. Interessiert musterte Spooky den Fremden; irgendwie sah der Mann merkwürdig aus, obwohl er auf den ersten Blick wie ein gutgewachsener Terraner wirkte.

»Ich will Sie nicht beleidigen«, sagte der Terraner vorsichtig. »Aber ich bin sehr sicher, daß Sie keine Eltern haben.«

»Meinen Glückwunsch zu Ihrer guten Beobachtungsgabe«, sagte der Mann liebenswürdig; er sprach in jenem Misch-Englisch, mit dem DeLacy aufgewachsen war. Verwunderlich war, daß auch Giri den Mann verstehen konnte.

»Sie haben mit Ihrer Vermutung durchaus recht«, gestand der Unbekannte. »Ich bin ein Kunstprodukt – Sie würden wahrscheinlich Androide sagen. Und bevor Sie sich wundern, warum ich anscheinend für jeden seine Heimatsprache verwende – die Kommunikation zwischen Ihnen und mir erfolgt auf geistiger Ebene. Damit meine ich, daß Sie meine Stimme quasi in Ihrem Kopf hören, und zwar in der Sprache, die Ihnen die vertrauteste ist. Sie selbst können jede beliebige Sprache wählen – ich würde allerdings empfehlen, Morcash zu verwenden, damit Sie sich auch untereinander verstehen.«

Mit einer Handbewegung forderte er die Menschen auf, sich in die großen, schweren Sessel zu setzen. Sobald alle fünf Platz genommen hatten, sprach der Fremde weiter: »Sie werden wahrscheinlich sehr neugierig sein. Welchen Themenkomplex wollen wir zunächst angreifen – meine Person, die Ereignisse der letzten Tage und Stunden oder die Geschichte dieses Systems?«

»Fangen wir mit Ihnen an«, schlug Giri höflich vor; der Androide nickte lächelnd.

»Einen Namen habe ich leider nicht«, sagte er. »Ich bestehe zum größten Teil aus Zellgewebe, das dem Ihren sehr ähnlich ist – genetisch bedingte Schwächen Ihrer Zellen wurden jedoch bei meiner Konstruktion vermieden. Ich bin also lediglich ein wenig stärker, intelligenter und reaktionsschneller als Sie. Ich bin sterblich wie Sie, altere aber nicht – zum Ausgleich sind Ihre Herstellungskosten wahrscheinlich um ein Vielfaches niedriger.«

»Wie steht es mit den Grundgesetzen der Robotik?« erkundigte sich Spooky mißtrauisch.

»Kenne ich nicht«, erklärte der Namenlose. »Ich handle prinzipiell logisch – nur wenn kein Schaden für mich oder meine Umwelt zu befürchten ist, kann ich auf Gefühlserlebnisse umschalten. Meine Erbauer legten Wert darauf, daß kein Unbefugter diese Anlagen betritt. Um unerwünschte Besucher abzuhalten, wurden verschiedene Sperren eingerichtet. Soleil beispielsweise wäre bereits an der ersten Felswand gescheitert. Daß sich die Pforte kurz nach seinem Brüllen öffnete, war reiner Zufall. Mit Hilfe der sehr bösartigen Tiere sollte Ihre Aggressivität erprobt werden – hätten Sie sofort geschossen, hätte ich Sie über verschiedene Wege wieder zur Außenwelt zurückgeführt.«

»Wie steht es mit Gerbault und seinen Gefährten?« erkundigte sich Spooky. Der Androide lachte unterdrückt.

»In seinem Fall ist uns ein schwerwiegender Fehler unterlaufen«, sagte er heiter. »Aufgrund seiner Abmessungen und seines Haarwuchses hat ihn der Pförtnerautomat als einen Artgenossen von Soleil eingestuft. Was sich anschließend ereignete, wissen Sie bereits. Die Automaten werden ihn und seine Männer noch ein paar Stunden in Atem halten. Wenn er genügend verängstigt ist, werden wir ihn abziehen lassen.«

»Sie sagen wir«, erinnerte ihn Danielle. »Wer außer Ihnen lebt noch in den Höhlen?«

»Danke«, sagte der Androide mit einer leichten Verbeugung. »Für den Ausdruck ›leben‹. Außer mir gibt es noch einige Dutzend Rechengehirne in dieser Anlage – da wir ständig miteinander kommunizieren, haben wir uns angewöhnt – nun, von ›wir‹ zu reden. Unsere Robothirne sind so weit entwickelt, daß sie fast eine Art Individualität entwickelt haben. Zum Testprogramm gehörte übrigens auch die kleine Rennfahrt – sie sollte Ihr Reaktionsvermögen ermitteln und außerdem zeigen, wie gut Sie sich beherrschen können.«

»Und die Zimmer?« bohrte Spooky. »Der verstümmelte Shakespeare?«

»Wir haben die Räumlichkeiten nach den Daten angefertigt, die wir in Ihren Hirnen vorfanden«, berichtete der Androide. »Da in Ihrem Gedächtnis, Mister DeLacy, King Lear nur bruchstückhaft vorhanden war, konnten wir nur diese Teile reproduzieren.« Der Androide lächelte Danielle an. »Die Ausgabe im Zimmer von Mademoiselle Velleur ist allerdings vollständig.«

Spooky schluckte diese Bemerkung; langsam begann sich eine logische Kette in den Ereignissen der letzten Tage zu formen.

»Wie alt ist diese Anlage?« fragte Giri.

»Achttausend Jahre«, sagte der Androide kurz.

»Bitte, berichten Sie!« bat Danielle. »Das Höhlensystem wurde von einem Volk angelegt, das vor einigen tausend Jahren dieses System anflog«, erläuterte der Androide. »Dieses Volk – meine Herren und Erbauer – wollte aus Mainares ein Ferienparadies machen. Demzufolge wurde die Natur des Planeten umgeformt – Raubtiere beispielsweise werden Sie nur noch als Fossilien finden können. Leider mußten die Herren feststellen, daß dieser Planet aus immer noch ungeklärter Ursache zu häufigen und starken Mutationen führte. Neben einigen wenigen tödlichen Abwandlungen bildeten sich zwei völlig verschiedene Völker. Eines davon zeichnete sich durch besonders großen Körperwuchs und auffällige Hagerkeit aus.«

»Die Morconen!« rief Danielle. Der Androide bestätigte durch ein Nicken.

»Weniger normal waren andere Mutationen«, fuhr der Namenlose fort. »Sie haben diese genetischen Neuschöpfungen bereits gesehen.«

»Die Tierköpfigen!« murmelte Giri.

»Richtig«, bestätigte der Androide. »Als sich zeigte, daß gegen die Mutationen nicht anzukommen war, entschloß man sich zur Radikallösung. Die Hageren wurden auf den Nachbarplaneten verbannt, der bisher noch kein intelligentes Leben entwickelt hatte. Wir stellten diesem Volk einige Dutzend Raumschiffe zur Verfügung, mit denen es aber, wie sich zeigte, nicht sehr viel anfangen konnte, da die Durchschnittsintelligenz weit unter dem Standard meiner Herren lag.«

»Und was wurde aus den Tierköpfigen?« wollte Danielle wissen.

»In relativer Nähe von Morcos wurde ein bewohnbares Sonnensystem entdeckt«, berichtete der Kunstmensch weiter. »Auf dem dritten Planeten dieses Systems hatte sich bereits ein Volk entwickelt, das dem meiner Herren sehr ähnlich war, wenn auch unendlich primitiver. Auf diese Welt wurden die Tierköpfigen, die meist auch noch über parapsychische Fähigkeiten verfügten, deportiert – übrigens mit ihrem Einverständnis. Mit ihnen wurden einige hundert Pfleger ausgesiedelt, dazu kamen Wächter.«

»Wächter?« wiederholte Spooky, den eine böse Ahnung überfiel. »Wächter für wen?«

Der Androide bat mit einem Lächeln um Verzeihung, bevor er sagte: »Es gab leider auch im Volk meiner Herren einzelne Wesen, deren Intelligenz sehr weit unter dem Durchschnitt lag. Diese Individuen waren völlig unfähig, sich in das hochtechnisierte Gesellschaftsleben ihres Volkes einzufügen. Meine Herren hielten es für unlogisch, diese Individuen pausenlos zu überwachen, was sie ihrer Würde beraubte – statt dessen schlug man vor, sie auf eine Welt zu bringen, deren Ansprüchen sie gewachsen waren.«

»Das darf nicht wahr sein!« wimmerte Spooky. »Die Erde als galaktisches Irrenhaus, als Asyl für die Schwachsinnigen einer Milchstraße.«

»Sie machen mehrere Fehler«, äußerte der Androide kalt. »Zunächst einmal ist nicht jeder, der weniger befähigt ist als Sie, deshalb ein Schwachsinniger. Und überlegen Sie einmal – wie fühlt sich ein Durstiger, der überall Menschen trinken sieht, selbst aber dazu nicht fähig ist? Ist es nicht besser, diese Menschen in eine Gesellschaft zu bringen, in der sie sich selbst als vollwertige Mitglieder fühlen?«

Der Kunstmensch verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln. »Was Sie nicht wissen können – die eigentlich Kranken waren nicht die Deportierten, sondern die Zurückgebliebenen, weil sie trotz aller Intelligenz unfähig waren, die anderen als vollwertig anzusehen. Krank wird der Gehandikapte erst, wenn man ihn seine Hilfsbedürftigkeit fühlen läßt – wozu ein Intelligenzwesen eigentlich unfähig sein sollte. Es ist beschämend, wenn man nur auf Kosten anderer ein Selbstwertgefühl gewinnen kann.«

Spooky nickte betroffen und wechselte das Thema. »Und welchen Sinn hat diese Anlage hier im Berg?«

»Sie soll den Deportierten die Möglichkeit geben, ihr Volk wiederzufinden«, erläuterte der Androide. »Vor allem den Morconen, da dieses Volk meinen Herren geistig noch am nächsten stand. Allerdings konnten sie die Schwerkraftkatastrophe nicht vorhersehen – als ich die Nachricht darüber weiterleitete, wurde mir befohlen, einen großen Projektor zu bauen und zu warten. Sobald sich das geringste Anzeichen dafür zeigte, daß die Morconen Versuche mit der Schwerkraft unternahmen, sollte ich mit dem Generator ein unübersehbares Zeichen geben. Und das ist mir wohl gelungen«, stellte er fest. »Sonst wären Sie schwerlich hier.«

»Besteht diese Nachrichtenverbindung noch immer?«

Der Androide schüttelte bedauernd den Kopf. »Die ausgewanderten Morconen, die kurzfristig Mainares bewohnten, haben sie versehentlich zerstört. Damals bestand die Verbindung noch – die Mainares-Bewohner wurden über sie aufgefordert, zum Ursprungsplaneten ihres Stammvolkes zurückzukehren.«

»Aha!« machte Spooky spöttisch. »In dem Hypnofilm sagte der Alte aber, daß die ausgewanderten Morconen überhaupt keine Schiffe besessen hätten. Wie sind sie dann ausgewandert?«

»Mit unseren Schiffen«, sagte der Androide. »Vier davon stehen noch in den Hangars.«

Die Menschen brauchten einige Zeit, bis sie diese Information verarbeitet hatten; die Möglichkeiten waren geradezu überwältigend. Mit Hilfe der Schiffe mußte es möglich sein, Kontakt zu den Stammeltern der Morconen zu bekommen, deren Zivilisation nach eigener Aussage hochtechnisiert war – und folglich auch befähigt, dem Dilemma der Morconen zu Leibe zu rücken.

»Können wir die Schiffe sehen?« erkundigte sich Sirghia. Der Androide nickte und stand auf.

»Folgen Sie mir!« bat er höflich.

Auf dem Gang wartete eine weitere Überraschung auf die Menschen; leicht erschreckt stellten sie fest, daß sich der Boden unter ihnen bewegte.

»Eine einfache Angelegenheit«, erklärte der Androide. »Der Boden besteht aus einer Substanz, die sich zu horizontalem Druck wie ein harter Körper verhält, in der Vertikalen hingegen mehr einer Flüssigkeit ähnelt. Der Stoff wird abgesaugt und kann so Menschen und Material transportieren.«

Giri fragte sich im stillen, wie dieser Mechanismus gesteuert wurde.

»Durch gedankliche Befehle«, antwortete der Androide; wahrscheinlich hatte er Giris Überlegungen auf telepathischem Weg verfolgt. »Ein Leitsystem koordiniert die Wünsche der einzelnen Benutzer.«

Er hatte den Satz kaum beendet, als das Transportband zu verzögern begann und kurz darauf zum Stillstand kam. Außer glatten Felswänden war nichts zu erkennen. Der Androide ließ eine Pforte aufschwingen.

Als der Kunstmensch den Boden des Hangars berührte, flammte die Beleuchtung auf. Im Licht der zahlreichen Lampen waren die Schiffe genau zu erkennen – drei recht schlanke Zylinder, die zusammengekoppelt waren. Auf der Spitze der Konstruktion war eine Kugel zu erkennen, in der sich wahrscheinlich die Flugbesatzung aufhielt.

»Beachtlich!« sagte Giri beeindruckt. »Sind die Schiffe flugklar?«

»Selbstverständlich«, meinte der Androide. »Sie können jederzeit damit starten – die Bedienungsanleitung unterscheidet sich nur geringfügig von denen der Schiffe, die Sie bereits kennen. Die Fahrzeuge der Herren sind lediglich etwas kleiner, besser und schneller.«

»Was haltet ihr davon«, wollte Giri wissen, »wenn wir mit einem dieser Schiffe nach Morcos zurückkehren? Für drei bis vier Tage werden wir uns wohl eines ausleihen dürfen.«

»Tage werden wir nicht brauchen«, meinte der Androide. »Die Antriebsaggregate der Erbauer eignen sich auch für überlichtschnelle Kurzflüge.«

»Noch besser!« sagte Giri. »Brauchen wir noch irgend etwas, oder können wir sofort starten?«

Einem sofortigen Start stand nichts im Weg; lediglich der Androide nahm sich eine halbe Minute Zeit, um dem zentralen Rechenhirn noch einige Befehle zu geben. Als er die Augen wieder öffnete, lächelte er zufrieden.

»Gerbault und seine Freunde sind in Panik geflüchtet«, verkündete er. »Sie werden uns nicht mehr belästigen.«

Spookys Annahme erwies sich als falsch; nicht nur die Kugel an der Spitze diente als Raum für Besatzung und Passagiere – auch die obere Hälfte des Zylinderbündels enthielt Schlaf- und Wohnräume, Hygienezellen und sogar eine umfangreiche Bücherei.

»Sollen wir dem Kasten einen Namen geben?« fragte der Terraner. »Ich wäre für VANITY FAIR – Jahrmarkt der Eitelkeit.« Der Vorschlag wurde angenommen.

»Der Antrieb ist entschieden zu kompliziert, um ihn jetzt zu erklären«, meinte der Androide. »Aber die Steuerung ist um so einfacher. Dies hier ist der Beschleunigungshebel. Je weiter man ihn nach vorn drückt, desto größer wird die Beschleunigung – und umgekehrt. Und das hier ist das Zielgerät. Der Vorgang ist einfach: Man richtet den Sucher auf das gewünschte Ziel, wartet, bis die Geschwindigkeitsanzeige einen bestimmten Wert überschritten hat – und betätigt den Überlichtantrieb. Ein Automat sorgt dafür, daß das Schiff in ungefährlichem Abstand vom Zielplaneten wieder in den Normalraum eintritt.«

Spooky nahm im Sessel des Kopiloten Platz. Auf einem kleinen Bildschirm konnte er erkennen, wie sich im Dach des Hangars eine Öffnung bildete.

»Also dann«, brummte der Terraner und schob den Beschleunigungshebel langsam nach vorn; dennoch fegte das Schiff mit atemberaubender Geschwindigkeit senkrecht in die Höhe. Der Terraner sah auf die Anzeigen. Die feine Nadel machte einen weiteren Sprung und war damit in eine rot gefärbte Zone geraten.

»Ich vermute, wir könnten jetzt das Überlichttriebwerk einschalten?« fragte Spooky. Der Androide nickte kurz und sah zu, wie der Terraner das Zielgerät exakt auf Morcos ausrichtete.

»Fertig?« fragte Spooky mit einem raschen Blick in die Runde. »Dann los.«

»Halt!« schrie Danielle, deren Blick zufällig auf einen Bildschirm gefallen war.

Der Terraner reagierte um den Bruchteil einer Sekunde zu spät; seine Hand riß den ebenfalls rot lackierten Hebel nach unten. Ein gewaltiger Stoß fuhr durch das Schiff, wirbelte es um seine Achsen und ließ die Menschen wie Gummipuppen durch den Raum fliegen. Im Chaos aus splitterndem Glas, schreienden Menschen und kreischendem Metall verlor Spooky das Bewußtsein.

Gerbault und seine Männer waren mit ihrer Selbstbeherrschung endgültig am Ende; seit mehr als vierzig Stunden irrten sie auf der Suche nach einem Ausgang durch das Höhlenlabyrinth.

Immer neue Fallen und Überfälle zerrten zudem an den Nerven der Männer: Klappen öffneten sich, aus der Decke brachen tonnenschwere Felsbrocken, die Lufttemperatur schwankte innerhalb einer Stunde zwischen Eiseskälte und einer nahezu unerträglichen Hitze, Ungeheuer tauchten in unregelmäßigen Abständen auf und stürzten sich auf die Männer. Hunger hatte sie geschwächt, und als ein Mann versehentlich die letzte Wasserflasche in einen Felsspalt rollen ließ, wäre er fast erschlagen worden. Schlaf wurde zum Tagtraum, denn für die Männer gab es keine ruhige Minute – ständig mußten sie mit weiteren Angriffen rechnen.

Gerbault, der einzige, der noch halbwegs bei Kräften war, trieb die Männer vorwärts; er dachte nicht daran, aufzugeben. In seinem Magen wühlte ein schneidender Hunger, und seine Zunge fühlte sich an wie ein Stück Sandpapier, aber er wußte, daß er um jeden Preis den Ausgang aus dem Höhlensystem finden mußte, wollte er nicht hier sterben. Doch auch er war fast am Ende.

Ein Mann brach lautlos zusammen. Auch die anderen machten nicht den Eindruck, als könnten sie noch große Belastungen ertragen; ihr Atem ging rasselnd, und ihre Schritte waren langsam und schleppend geworden.

Die Rothaarige spielte schweratmend mit seinem Laser herum und murmelte: »Wir sollten aufgeben, Chef. Noch haben wir die Möglichkeit, allem ein rasches Ende zu machen.«

»Unfug!« knurrte Gerbault. »Wenn ihr aufgeben wollt – meinethalben. Ich gehe weiter.« Trotz der Schmerzen, die jede Bewegung der überanstrengten Muskeln mit sich brachte, stapfte er Schritt um Schritt vorwärts und stützte sich dabei auf den langläufigen Laser.

Hundert Meter weiter brach er zusammen; vor seinen Augen tanzten Feuer aus kaltem, grellem Licht. Wie scharfe Messer bohrte sich die heiße Luft bei jedem Atemzug in seine Lungen. Er sammelte alle Kräfte und richtete sich mühselig wieder auf, dann ging er weiter – wie eine Aufziehpuppe. Der nächste Zusammenbruch würde der letzte sein.

»Haha!« lachte der Gangster auf; es klang schmerzerfüllt, aber echt. »Kommt, Leute! Ich habe den Ausgang gefunden!«

Der Übergang von glattem, fast geschliffen aussehendem Fels zu rauhem Naturgestein bewies ihm, daß er den künstlich angelegten Teil der Höhlen verlassen hatte. Mit raschen Schritten legte er das letzte Wegstück zurück, bis er draußen im Freien stand und den Gleiter entdeckte, der schwarz und ausgebrannt vor dem Höhleneingang stand. Etwas weiter schimmerte der Lack des zweiten Fahrzeugs, mit dem er hergekommen war, durch das Blattwerk.

Jeder Schritt zu dem Fahrzeug hin fiel dem Mann leichter. Als habe es nie ein Höhlensystem mit seinen Strapazen gegeben, schwang er sich in den Gleiter und fiel über die Wasservorräte her. Er trank mit langen, hastigen Zügen, und er konnte förmlich spüren, wie sich seine Körperzellen vollsogen. Ein Schritt nach rechts, ein wuchtiger Tritt, und die Kühlschranktür flog krachend auf; der Mann machte sich nicht die Mühe, lange zu wählen. Ohne genau hinzusehen, ergriff er das erstbeste genießbare Stück und biß gierig hinein.

Als er endlich das gröbste Hungergefühl unterdrückt und gestillt hatte, begann er über die nächsten Schritte nachzudenken. Er warf einen Blick auf seine vier Männer, die systematisch den Kühlschrank leerten, und sah ein, daß er mit diesem Team nicht noch einen Vorstoß in die Höhlen unternehmen konnte.

»Was haben Sie jetzt vor, Chef?« fragte einer mit vollem Mund. »Sie wollen doch nicht etwa …?« Der Mann ließ den Satz unvollendet, aber Gerbault spürte genau, was der Mann sagen wollte. Er winkte ab.

»Eßt in Ruhe!« sagte er resignierend. »Anschließend werden wir von hier verschwinden.«

Das erleichterte Seufzen bewies Eugene Gerbault, daß im Augenblick mit diesen Männern nicht mehr zu rechnen war. Vielleicht konnte man sie später wieder im Auftrag der Distributionisten verwenden.

Die Gangster hatten ihre improvisierte Mahlzeit beendet; zwar ähnelte der Boden des Expeditionsgleiters nunmehr einem Schlachtfeld, doch die Männer störten sich nicht daran. Ihre Gedanken kreisten hauptsächlich um das Schiff, das in der Nähe der Station auf sie wartete.

Gerbault wußte, was seine Männer dachten; mit höchster Geschwindigkeit fegte der Gleiter auf der alten Spur zurück. Sie war nur schwer zu erkennen, da der vor Stunden schon niedergegangene Regen den Gräsern geholfen hatte, sich wieder aufzurichten. Die geknickten Jungbäume allerdings boten einen guten Anhaltspunkt für die Kursbestimmung.

Während er den Gleiter auf Kurs hielt, fragte Gerbault über die Schulter hinweg: »Was habt ihr vor?«

»Zur Erde«, sagten die beiden Terraner; die Morconen dachten an ihren Heimatplaneten.

Gerbault schüttelte resignierend den Kopf; in ihrer Angst dachten die Männer offensichtlich nicht daran, daß sie auf den genannten Planeten wahrscheinlich von der Polizei in Empfang genommen werden würden. Es war nicht anzunehmen, daß sich niemand über den Ausfall der Mainares-Station wundern würde – und bei den Nachforschungen würden mit Sicherheit auch die Namen Gerbaults und seiner Begleiter fallen.

Als der Gleiter die Station erreichte, erkannte der Gangster, daß Nachforschungen überflüssig sein würden – neben der Kuppel stand nur noch ein Raumschiff. Offenbar war es dem gefesselten und geknebelten Morconen gelungen, sich zu befreien, und er war mit dem Raumschiff dieses Giri bel Tarman geflohen. Gerbault überschlug kurz die Zeit – noch blieben ihm einige Tage Vorsprung, bis ein morconisches Polizeikommando auf Mainares eintreffen konnte.

»Verdammt!« fauchte einer der Männer.

»Macht nichts«, beruhigte ihn Gerbault. »Unser Schiff steht noch, und das Sicherheitsschloß hat der Bursche bestimmt nicht öffnen können. Wir werden keine Zeit verlieren und sofort starten.«

Seine Vermutung erwies sich als zutreffend; zwar gab es rund um das Schloß eine große Zahl von Kratzspuren, aber das Schloß selbst war noch unversehrt. Gerbault stieg als erster in das Schiff. Der letzte Mann verschloß die Luke und beeilte sich, ins Cockpit zu kommen.

»Wir haben es geschafft!« knurrte Gerbault zufrieden, als sich das Schiff relativ gemächlich vom Boden des Planeten Mainares erhob und in die Stratosphäre vorstieß. »Wir haben es endgültig …«

»Chef!«

Gerbault fuhr herum und erstarrte. Mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit raste ein unbekanntes Schiff auf sie zu. Gerbault versuchte noch eine Kursänderung, aber der Fremde war entschieden zu schnell. Das letzte, was der Verbrecher bewußt wahrnahm, war ein bläuliches Flimmern, das sich Sekundenbruchteile vor dem Zusammenprall über die Schirme breitete.

Der Mann glaubte zu fühlen, wie sein Körper auseinandergerissen wurde, dann schwand auch dieser Eindruck. Um Gerbault herum trieben in einer hellblauen zähen Flüssigkeit große, bunte Blasen mit schillernden Oberflächen. Mit zeitlupenhaften Bewegungen versuchte Gerbault lachend, eine Blase zu fangen, in deren Inneren es unaufhörlich zuckte und blitzte, doch seine Hand glitt durch die Gebilde hindurch, als bestünden sie überhaupt nicht.

Eugene Gerbault war mitsamt seinem Schiff Bestandteil einer Dimension geworden, die sich dem Zugriff menschlicher Vernunft entzog.