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8.
Allein der Geruch reichte aus, den Terraner zu zermürben; das faulig stinkende Wasser der Bilge, das ihm um die Füße schwappte, verursachte einen widerwärtigen Brechreiz, den Spooky nur mit größter Mühe unterdrücken konnte. In dem spärlichen Licht, das durch die hölzernen Luken in den Schiffsbauch hinabstrahlte, konnte er gelegentlich die halbverwesten Kadaver von Ratten entdecken. Noch lebende Tiere huschten quiekend durch den Kielraum.
Hinzu kam die buchstäblich atemberaubende Enge; Spooky schätzte, daß sein Körper nur noch eine einzige Fläche voll brauner und blauer Flecken sein konnte, so oft waren beim Schaukeln des Schiffes knochige Körper gegen ihn geprallt. In seinem Oberarm steckte ein zentimeterlanger Holzsplitter – beim Überholen des Schiffes war der Terraner gegen die Bordwand gefallen, wobei sich der Span unter die Haut gebohrt hatte.
»Verfluchte Seefahrt!« knurrte der Terraner.
Über seinem Kopf erklangen laute Kommandoworte; das Klirren von Waffen verstärkte sich, gleichzeitig erhöhte der Mann an der Pauke die Schlagzahl. Das Klatschen der Peitsche wurde häufiger. Obwohl das Handelsschiff den Kurs änderte und sein Heil in der Flucht suchte, verringerte sich der Abstand unaufhaltsam. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann die beiden Schiffe aufeinanderprallen mußten.
»Da sind sie!« stellte Sirghia erleichtert fest.
Die Sonde war zurückgerufen worden; dann war die PERONAIOS gestartet und hatte sich den Schiffen genähert. An Bord befanden sich außer Giri und Sirghia auch die beiden Androiden – außerdem hielt sich in den Gängen ein Dutzend Roboter auf.
Die Außenbordkameras hatten die beiden Galeeren erfaßt und warfen die Bilder auf den großen Frontschirm. Giri veränderte die Feineinstellung und suchte nach Spooky; als die Kamera langsam über alle Ruderbänke gestrichen hatte, wußte er, daß sein Freund einstweilen noch nicht zum Rudern eingeteilt worden war.
Über die Schulter hinweg erkundigte sich der Morcone: »Sind die Robots einsatzklar?«
»Klar!« gab Azla schnell zurück. »Die Waffen haben frische Magazine, und die Ortungsschutzgeräte arbeiten einwandfrei.«
»Fein«, murmelte Giri grinsend; seit dem Auftauchen der Androidenfrau hatte sich seine Stimmung schlagartig gebessert – immerhin hatten sich seine Handlungsmöglichkeiten wesentlich verbessert. Azla hatte die Aufgabe übernommen, das Bordradar zu überwachen.
»Der Verkehr ist völlig normal«, meldete sie. »Von den Makarern hat uns bis jetzt keiner bemerkt.«
Die beiden Galeeren hatten sich einander bis auf Pfeilschußweite angenähert. Enternetze wurden an den Bordwänden ausgebracht.
Mit kurzen Stößen aus den Korrekturtriebwerken der PERONAIOS drehte Giri das Schiff so, daß die große Ladeluke genau über den Köpfen der Galeerenbesatzung war. Im Laderaum selbst sammelten sich die Roboter. Der Morcone wartete, bis sich die beiden Galeeren auf Rufweite einander genähert hatten, dann gab er das verabredete Zeichen.
Die Ladeluke öffnete sich, und sechs Roboter ließen sich auf das Deck der Galeere fallen; dann bewegte Giri die PERONAIOS rasch dreißig Meter weit seitwärts, und Sekunden später landeten sechs weitere Robots auf dem Deck der anderen Galeere.
»Hoffentlich kommt keiner zu Schaden!« sagte Aphros leise. Gespannt starrten die vier auf die Bildschirme.
Auf den Galeeren entbrannte ein erbittertes Handgemenge. Gut zwanzig Soldaten hatten sich auf dem Deck aufgehalten, nach wenigen Sekunden lag die Hälfte von ihnen auf dem hölzernen Boden – mit gezielten Schockschüssen hatten die Robots sie außer Gefecht gesetzt. Der Rest aber kämpfte verbissen – ein präziser Schuß traf einen Robot an einer empfindlichen Stelle. Die Maschine feuerte plötzlich wild herum, torkelte und ging nach einem Fehltritt über Bord. Ein Soldat sprang auf, rannte im Zickzack über das Deck und schwang sein Schwert gegen den Schädel eines anderen Robots; klirrend zersprang das Eisen, und die Sekunde der Überraschung und des Schmerzes im Handgelenk reichte für einen weiteren Robot aus, den Angreifer zu betäuben.
Der ganze Kampf dauerte nur wenige Minuten – zwei Soldaten sprangen über Bord, um sich nicht ergeben zu müssen. Erst nachdem sie sich davon überzeugt hatten, daß unter ihren betäubten Kameraden kein Massaker veranstaltet wurde, griffen sie nach den Seilen, die an der Bordwand herabhingen, und enterten auf, um sich gefangennehmen zu lassen.
Auf der anderen Galeere dauerte der Kampf nur wenig länger, dann war auch dort jeglicher Widerstand gebrochen. Die Robots nahmen den Betäubten die Energiewaffen ab und warfen sie über Bord, und jeder einzelne Wurf wurde von den angeketteten Sträflingen mit lautem Jubel begrüßt.
»Schickt die anderen nach!« schrie eine haßerfüllte Stimme. »Sie haben es nicht besser verdient!«
Die Robots folgten diesem Vorschlag nicht – ihre Programmierung verbot ihnen, ohne unmittelbare Gefahr für einen anderen Menschen auf irgendeine Art ein intelligentes Wesen zu töten. In diesem Fall hätten große Raubfische, die sehr bald das umliegende Meer unsicher machten, die Arbeit des Henkers übernommen. Das Auftauchen der vielfach gezackten Flossen auf dem Wasserspiegel war auch das entscheidende Argument für die widerwillige Rückkehr der beiden Soldaten gewesen.
»Jetzt bin ich dran!« sagte Azla. Sie verließ die PERONAIOS und ließ sich auf eine Galeere niedersinken; unwillkürlich mußte Giri grinsen, als er das gellende Pfeifen hörte, mit dem das Auftauchen der Androidin von den Sträflingen begrüßt wurde.
Azla sprach eine halbe Stunde lang; sie setzte ihre mentalen Fähigkeiten rücksichtslos ein, versuchte alles, was in ihrer Kraft stand, um die Männer zu überzeugen. Nach ihren ersten Sätzen waren noch wütende Proteste zu hören gewesen, die sich nach und nach in beifälliges Murmeln verwandelten. Die Androidin gab den Robots ein Zeichen; sofort machten sich die Maschinenwesen daran, die Ketten der Rudersklaven zu lösen.
»Öffnet die Luken, Männer!« kommandierte Azla. »Auch die anderen sollen wieder frei sein!«
Bald waren auch die Eingesperrten an Deck. Als einer der letzten erschien Spooky, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Kleidung war zerfetzt, naß und strömte einen widerwärtigen Geruch aus; aus der noch immer offenen Wunde am Arm sickerte ein dünner Blutstreifen. Der Terraner blinzelte, als er nach Stunden in der Dunkelheit wieder im grellen Sonnenlicht stand.
Dann bemerkte er das Mädchen und sah auch die Robots; die an Deck herumliegenden Soldaten sagten ihm einiges. Unwillkürlich sah er nach oben, dann wieder zurück auf das Mädchen.
»Ich nehme an«, sagte er mit rauher Stimme, »daß die PERONAIOS über uns schwebt.«
Er hatte seine Heimatsprache benutzt; wenn das Mädchen mit dem Monument etwas zu tun hatte, dann mußte sie ihn verstehen.
»Richtig geraten, Freund!« meinte Azla. »Ich glaube, du brauchst jetzt als erstes einen Arzt.«
»Und eine Zigarette«, sagte Spooky schwach grinsend. »Was kommt nun?«
Azla erklärte es ihm.
Während Spooky von Sirghia versorgt wurde, rüsteten die Robots die Männer auf den Galeeren mit Schockwaffen aus. Gleichzeitig wurden dicke Trossen an den Bugspriets der Galeeren befestigt und zu dem Raumschiff hochgeworfen. Robots befestigten die Trossen im Laderaum; die Luke blieb offen, während die PERONAIOS sehr behutsam Fahrt aufnahm. Die Trossen strafften sich, dann setzten sich die Galeeren langsam in Fahrt.
Langsam begann das Mittel zu wirken, das Sirghia dem verletzten Terraner in die Umgebung der verletzten Stelle gespritzt hatte; die Frau von Morcos tastete vorsichtig die Verletzung ab, verstärkte den Druck, als sie sah, daß Spooky nicht schmerzerfüllt zusammenzuckte, und nickte dann zufrieden. Sie hatte sich bereits ein Skalpell aus der Bordapotheke bereitgelegt; interessiert sah der Terraner zu, als das Mädchen mit einem raschen Schnitt die Haut der Länge nach öffnete.
Rasch und sicher legte Sirghia den Holzsplitter frei, dann holte sie den faserigen Span heraus. Der Rest der Notoperation war einfach – das Mädchen sprühte eine Plasmamasse in die offene Wunde. Das Mittel wirkte schmerzlindernd und tötete Infektionskeime ab. Dann wurde die Wunde mit einigen Stichen vernäht – über die Naht sprühte Sirghia eine zweite Lage Plasma.
»Es wird eine schöne Narbe geben«, meinte Spooky. »Immerhin – ein unübersehbarer Beweis für meine Heldenhaftigkeit!«
»So leid es mir tut«, griff Sirghia ein, »aber du wirst damit nicht sehr renommieren können. Das einzige, was man in ein paar Tagen noch sieht, werden die Einstiche der Naht sein – mehr nicht.«
»Also nichts mit Schmucknarben und so?« fragte Spooky mit gespielter Niedergeschlagenheit. »So fortschrittlich hätte ich mir die Medizin nun doch wieder nicht gewünscht! Was machen die Galeeren? Folgen sie uns noch?«
»Brav wie Schoßhündchen«, bestätigte Giri. »Der Schlepp wird allerdings bald ein Ende haben – allmählich kommt das Leuchtfeuer der Hauptstadt in Sicht!«
In der hereinbrechenden Dämmerung war das offene Feuer auf dem großen Turm deutlich zu erkennen. Da die Galeeren selbstverständlich kein Feuer an Bord vertrugen und daher erst auf kürzere Entfernung auszumachen waren, konnte die PERONAIOS die beiden Schiffe noch eine kurze Strecke weit schleppen. Dann stiegen die Robots auf das Raumschiff um, nachdem sie zuvor die wieder erwachten Besatzungen der beiden Galeeren sicher in den üblen Kielräumen untergebracht hatten.
Azla und Aphros blieben an Bord der Galeeren, während die PERONAIOS wieder aufstieg und über die Hauptstadt flog. Spooky, dessen Arm langsam seine Beweglichkeit wiedererlangte, gab Giri die Richtung zur Residenz des Goldenen an. Über dem ausgedehnten Park der Palastanlage, der von einigen tausend Sklaven und Unfreien betreut wurde, verharrte das Schiff.
Sirghia erklärte sich bereit, an Bord zu bleiben, während Giri und Spooky zusammen mit dem Roboter-Dutzend das Schiff verließen und sich im Schutz der Deflektoren im Park versteckten.
Dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten.
Eine Stunde nach dem Lösen der Schlepptrossen liefen die beiden Galeeren in den Hafen der Hauptstadt ein. Einige Sträflinge hatten sich der Uniformen der Soldaten bemächtigt und kommandierten die Galeeren; ihre Mithäftlinge trugen wieder die gewohnten Ketten – diesmal allerdings offen; sie konnten sie jederzeit abstreifen. Unter den Ruderbänken waren die Schockwaffen verborgen. Der Mann an der Pauke war nicht ausgewechselt worden – er schlug weiter seinen Takt. Erheitert stellte Aphros fest, daß die Männer jetzt höhere Schlagzahlen zuwege brachten als unter den Peitschen der Soldaten. Auf der zweiten Galeere wehte die Flagge des Goldenen, darunter die frühere Fahne des Schiffes als Zeichen, daß die Galeere gekapert worden war.
Als Kommandanten der beiden Fahrzeuge hatte Aphros zwei Männer bestimmt, die früher einmal selbst Schiffe geführt hatten – unwichtige Kleinigkeiten hatten sie auf die Galeere gebracht. Auch hier war eine Veränderung festzustellen: Früher hatten die Kommandanten ihre Anweisungen gebrüllt, und nur murrend waren sie eher schlecht als recht befolgt worden. Jetzt klangen die Kommandos freundschaftlich, fast schon bittend, und sie wurden mit höchster Präzision befolgt.
Aphros musterte die Distanz zwischen Kaimauer und den Galeeren; es konnte nur noch wenige Minuten dauern, bis die beiden Schiffe vertäut waren.
»Bist du bereit?« fragte er Azla.
Die Androidin nickte kurz; sie wartete, bis die Bordwand der Galeere dumpf gegen die Fender an der Kaimauer prallte. Dann setzte sie sich mit dem Kommandohirn des Monuments in Verbindung und gab ihre Befehle. Der Rechner reagierte sofort.
Die Menschen, die sich auf dem großen Platz des Monuments aufhielten, schrien entsetzt auf. Schlagartig tauchte der rote Energievorhang auf – ohne daß sich irgend jemand dem bedrohlichen Bannkreis genähert hätte. Noch nie hatte sich derlei zugetragen. Die Gaukler und Schausteller unterbrachen ihre Kunststücke; die Geldwechsler ließen achtlos kleine Vermögen fallen.
Ebenso plötzlich wie er aufgetaucht war, verschwand der Vorhang wieder. Dann begann das Monument selbst zu leuchten; zunächst spürten nur die sehr nahe Stehenden die Veränderung und wichen vor der Hitze zurück. Dann machte der metallische Glanz der stählernen Säule einem dunklen Ton Platz, der sich allmählich in ein tiefes Rot wandelte und sehr rasch fortschritt, bis die gesamte Masse des Monuments fast weiß glühte. Aus der Spitze des Monuments schoß ein feuriger Strahl in die Höhe und entfaltete sich; nach wenigen Sekunden war der große Platz taghell vom grellen Schein des Strahlenkelches überschüttet. Der Schein reichte mehrere hundert Meter in die Höhe – in der ganzen Stadt mußte das Fanal zu sehen sein.
Plötzlich tauchten auch Soldaten des Goldenen auf; sie stürmten auf den Platz und versuchten, die Menge auseinanderzutreiben. Als die Massen nicht wichen, nahmen die Männer Aufstellung und entsicherten ihre Strahler.
»Geht nach Hause, Leute!« schrie ein Offizier. »Geht nach Hause! Wenn der Platz nicht in kürzester Frist geräumt ist, lasse ich schießen!«
Niemand dachte daran, seinen Worten zu folgen. Vielmehr rückte eine Wand aus menschlichen Leibern langsam, aber unaufhaltsam gegen die schwache Linie der Soldaten. Der Offizier verzog ärgerlich das Gesicht, dann preßte er die Kiefer zusammen und gab den Befehl zum Feuern.
Höhnisches Gelächter erklang. Kein Schuß löste sich. Fassungslos starrten die Soldaten auf die nutzlos gewordenen Strahlwaffen. Bevor sie sich von ihrer Überraschung erholt hatten, war eine Woge von Menschen über sie hereingebrochen. Es dauerte nur kurze Zeit, dann waren die Soldaten überwältigt und ihre Waffen verschwunden.
Aus der Menge kamen Rufe nach Rache und Vergeltung; Übereifrige suchten bereits nach Stricken und passenden Mauervorsprüngen. Bevor die Menschen aber an den wehrlosen Soldaten ihr Mütchen kühlen konnten, machte sich das Monument wieder bemerkbar.
Zahllose Menschen preßten die Hände in einer verzweifelten Geste an die Köpfe, andere taumelten. Das leise, nicht hörbare Wispern der hypnotischen Ausstrahlung des Monuments hörte schlagartig auf. Den meisten Makarern erging es wie Erstickenden, die plötzlich reinen Sauerstoff zu atmen bekommen – das plötzliche Nachlassen des mentalen Druckes betäubte die Menge.
Dieser Zustand dauerte nur kurze Zeit, dann begann das Monument zu sprechen.
Aus dem Wispern und Flüstern war eine laute, eindringliche und unüberhörbare Stimme geworden.
Jeder Makarer hat das Recht, zu tun und zu handeln, wie er will, sofern er damit nicht das genau gleiche Recht eines anderen Makarers schmälert! Wer von seinen Rechten nicht vollen Gebrauch macht, hilft anderen, Unrecht zu begehen!
Immer wieder wiederholte die Stimme die beiden Sätze; mit gnadenloser Wucht setzte das Kommandohirn die Hypnose-Maschinen ein. Mit der Gewalt einer Stahlpresse wurden die Grundsätze in die Gedanken jedes Menschen auf dem Platz geprägt; niemand konnte sich dem Zugriff entziehen.
Als der Feuerstrahl am Horizont aufstieg, gab Azla das vereinbarte Zeichen. Ein halbes Dutzend Männer sprang sofort an Land und setzte die Hafenbeamten matt. Binnen weniger Minuten war die Mole von den Sträflingen eingenommen. Dann gab Azla das Zeichen zum Sammeln; an der Spitze des Trupps marschierte sie los – dorthin, wo das Monument stand und mit seiner Botschaft den Glauben einer Welt erschütterte.
Während sie auf das Monument zumarschierten, schlossen sich ihnen Bewohner der Stadt an. Die meisten waren bewaffnet. Aphros erkannte Metzgerbeile und Dreschflegel, Küchenmesser und zweckentfremdete Tischbeine. Die auf dem Platz des Monuments zusammengedrängten Einwohner machten bereitwillig Platz, als die Kolonne sich näherte. Ohne ein Wort ging Azla weiter; schweigend schloß man sich ihr an – auf den Gesichtern der Menschen, die einen immer länger und dichter werdenden Zug formten, stand der Ausdruck einer wilden Entschlossenheit. Aphros schätzte die Zahl der Marschierer auf hunderttausend und war überzeugt, daß er noch zu tief lag. Er spürte, daß die Tage des Goldenen und seiner Gefolgsmänner gezählt waren – die Menschen, die schweigend auf den Palast des Tyrannen zumarschierten, würden sich niemals wieder einer anderen Regierung beugen als einer, die von ihnen frei und unabhängig gewählt und jederzeit kontrollierbar war. Fackeln tauchten in den Händen auf; sie verstärkten noch den Eindruck, den der gewaltige Aufmarsch für jeden Beobachter abgeben mußte.
»Wir müssen vorsichtig sein«, flüsterte Azla dem Androiden ins Ohr. »Der Goldene selbst und ein sehr großer Teil der Palastbewohner sind für die Einflüsse der Hypno-Maschinen unempfindlich.«
»Viel werden sie mit ihren funktionsuntüchtigen Strahlern nicht ausrichten können«, sagte Aphros.
»Auch Schwerter können tiefe Wunden schlagen!« mahnte Azla. »Wir sollten so vorgehen, daß das Risiko möglichst gering ist.«
Inzwischen hatte die Spitze des Zuges den Palast des Goldenen erreicht; Azla verharrte und sah sich um. Die Menge staute sich vor dem großen Flügeltor. Auf den Palastzinnen erschienen behelmte Köpfe. Aphros spähte nach oben und sah nicht eine einzige Energiewaffe – die Soldaten schienen die Wirkungslosigkeit der Strahler bereits erkannt und sich umgestellt zu haben.
»Wir müssen uns beeilen!« sagte der Androide. »Wenn wir hier zuviel Zeit verlieren, ist der Goldene unter Umständen schon ausgeflogen. Vermutlich hat er im Palast oder im Garten ein kleines raumtüchtiges Schiff versteckt.«
Azla lächelte geringschätzig. »Keine Sorge!« beruhigte sie den Androiden. »Auch daran habe ich gedacht – das Monument hält sämtliche Schiffe am Boden fest. Der Goldene wird uns nicht entwischen!«
Die Soldaten auf den Zinnen begannen unruhig zu werden; der Wald von Fackeln vor ihren Augen war unüberschaubar groß geworden. Außerdem machten sich auch bei ihnen die ersten Anzeichen einer hypnotischen Beeinflussung bemerkbar. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Widerstand erlosch.
»Es kann losgehen!« sagte Spooky halblaut.
Er hatte als erster den Schein gesehen, der von dem Monument ausging; auf sein Zeichen hin schalteten die Männer und die Robots ihre Deflektoren ab und entsicherten ihre Schockwaffen.
»Vorwärts!« befahl der Terraner.
Er hatte sich die Konstruktion des weitläufigen Palastes anhand exakter Pläne aus dem Archiv des Monuments gut eingeprägt. So wußte er genau, wohin er sich zu wenden hatte.
Die Männer und die Robots stürmten vorwärts; eine Zeitlang liefen sie geduckt, um die Dunkelheit und die Büsche und Sträucher im Park zur Deckung benutzen zu können. Als sie nur noch einen Steinwurf weit vom Seitentor des Palastes entfernt waren, flammte überall gleichzeitig die elektrische Beleuchtung auf. Sofort war der halbe Park in grelles Licht getaucht.
Die Angreifer legten einen Spurt ein, überquerten eine freie, kiesbedeckte Fläche und preßten sich an die Mauer. Das Geräusch ihrer Schritte war unüberhörbar gewesen; über ihnen wurden Befehle geschrien, und das Klirren von Waffen nahm an Lautstärke zu.
Verblüffend schnell hatten sich die Palastsoldaten umgestellt. Da ihre Energiewaffen nichts mehr taugten, verwendeten sie die schweren, massiven Strahler als Wurfgeschosse. Zwei Strahler waren unmittelbar vor Spooky auf den Kies geprallt; den stählernen Schädeln der Robots mochten die Geschosse nichts anhaben, aber die Hirnschale eines normalen Terraners oder Morconen wäre einem solchen Anprall sicherlich erlegen. So schnell es ging, schoben sich die beiden Männer vorwärts in Richtung auf das Tor. Es hatte keinen Überbau und bot zumindest für kurze Zeit Schutz vor Geschossen.
»Wie bekommen wir das Tor auf?« fragte Giri ratlos. »Das Holz sieht ziemlich dick aus!«
Spooky zeigte auf seinen Strahler. »Darauf hat das Monument keinen Einfluß! Gebt mir Feuerschutz!«
Ohne Unterlaß feuerten die Robots auf jeden Kopf, der sich auf der Mauer zeigte; währenddessen trat der Terraner einige Schritte zurück und richtete die Mündung seiner Waffe auf das Tor. Mühelos fraß sich der rötliche Strahl durch das trockene Holz; langsam zog Spooky die Linie zwischen den beiden Flügeln nach. Er hoffte, daß hinter dem Tor sich niemand aufhielt und verletzt wurde; die Tatsache, daß außer Wutgeschrei nichts zu hören war, beruhigte ihn halbwegs.
Die Reihen der Verteidiger lichteten sich zusehends; immer mehr Soldaten wurden von den Schockschüssen getroffen und fielen besinnungslos hintenüber. Als Spooky seinen Strahler gegen eine Schockwaffe auswechselte, stand kaum noch die Hälfte der Soldaten auf ihren Posten.
»Hinein!« schrie Spooky begeistert. Er gab ein Zeichen, dann warf er sich als erster gegen das Holz. Langsam drehten sich die Torflügel in den Angeln. In dem immer größer werdenden Spalt erschienen Männer, die sich den Eindringlingen entgegenstellten. Ein Speer kam angeflogen; Spooky duckte sich im letzten Augenblick, und das Geschoß prallte von einem Roboter ab. Spooky stürzte vorwärts und überließ es den Robots, das Tor vollständig aufzudrücken.
Zwei Männer drangen mit gezückten Schwertern auf den Terraner ein. Spooky schoß, und der erste fiel. Dann duckte er sich rasend schnell, ließ das Schwert eine Handbreit über seinem Kopf vorbeizischen; sein Schuß traf den Soldaten – im Bruchteil einer Sekunde betäubt, stürzte der Mann in der Bewegung zu Boden. Neben Spooky erschien plötzlich Giri bel Tarman. Jeder seiner raschen präzisen Schüsse setzte einen Soldaten außer Gefecht – der Rest wurde von den Robots abgefertigt.
»Weiter!« schrie der Morcone, nachdem der letzte Verteidiger besinnungslos am Boden lag. »Wir müssen uns beeilen, damit wir Danielle noch vor dem Goldenen erreichen!«
Aus dem Innern der Residenz wagte sich noch ein Dutzend Soldaten auf das freie Feld zwischen Mauer und Palast; nach wenigen Sekunden war auch dieser Widerstand gebrochen. Ohne richtig hinzusehen, gab Spooky einen letzten Schuß auf Eingangsposten ab und drang ins Innere des Gebäudes vor.
Lautes Kreischen verriet ihm, daß er den Harem des Goldenen aufgescheucht hatte. Giri kümmerte sich nicht um die Mädchen, die sich ängstlich in die Ecken der Zimmer verkrochen hatten; er betäubte einige Soldaten, die sich ihm in den Weg stellten, und rannte weiter. Endlich fand er Danielle.
Das Mädchen hatte ein Stuhlbein in der Hand und attackierte damit verbissen einen schwerbewaffneten Soldaten, der große Mühe hatte, sich des Mädchens zu erwehren. Zwei andere Soldaten lagen bereits mit verbeulten Köpfen am Boden.
»Ich hab’ sie!« schrie Giri über die Schulter hinweg.
»Bravo!« gab Spooky zurück. »Braucht ihr Hilfe?«
»Untersteht euch!« schrie Danielle. »Der hier gehört mir – ich wollte mich schon immer einmal mit Männern prügeln!«
Lauthals lachend sah Giri zu, wie das Mädchen den Soldaten bedrängte; der Mann wagte nicht, sich ernsthaft zu wehren – er wollte das Mädchen nicht verletzen, um nicht den Groll des Morconen zu erregen. Bevor das Holz aber auf seinen Schädel krachte, hatte Giri mit einem schnellen Schockschuß bereits dafür gesorgt, daß er den Schmerz nicht mehr spüren konnte.
»Männer!« sagte Danielle verächtlich, dann lächelte sie. »Nett, daß ihr vorbeigekommen seid – die Party fängt gerade an, Farbe zu bekommen!«
Ihre Stimmung änderte sich schlagartig, als sie den Goldenen erkannte. Unbemerkt hatte sich der Mann zusammen mit vier anderen Männern genähert, die einen sehr entschlossenen Eindruck machten. In den Händen hielten sie gespannte Armbrüste.
»An die Wand!« befahl der Goldene scharf. »Werft die Waffen weg!«
Die Bedrohten gehorchten sofort; gegen Armbrustbolzen waren sie wehrlos. Folgsam stellten sie sich mit dem Rücken an eine Wand, die Flächen der erhobenen Hände dem Goldenen zugewandt. Der Mann grinste niederträchtig.
»Das ändert die Lage, nicht wahr?« spottete er. »Wer geht als Geisel mit?«
»Nehmt das Mädchen mit, Herr!« schlug einer der Soldaten vor. »Wenn die Fremden ihretwegen den Palast stürmen, wird sie wohl besonders wertvoll sein!«
»Die Waffen weg!« wiederholte der Goldene scharf.
Der Ruf galt Aphros und Azla, die in freudiger Erwartung in den Raum gestürmt waren; sofort ließen die beiden Androiden ihre Waffen fallen und stellten sich zu den anderen an die Wand.
»Lassen Sie den Unfug, Mann!« sagte Azla scharf. »Sie kommen von dem Planeten nicht weg – falls Sie hier ein Raumschiff versteckt haben, wird es mit Sicherheit nicht starten!«
»Es wird«, gab der Goldene zurück. »Sie mögen die Triebwerke desaktiviert haben – aber diese Waffe hier funktioniert noch tadellos. Wenn das Schiff nicht starten kann, dann werden es unsere Bolzen tun können – fünf von Ihnen wären dann tot!«
»Quatsch!« sagte Danielle.
Bevor irgend jemand reagieren konnte, hatte sie den Arm des Goldenen gepackt und einen Wurf angesetzt; mit einem Schrei flog der Mann durch die Luft und krachte gegen eine Wand. Gleichzeitig warfen sich die anderen zu Boden – gerade noch rechtzeitig, um den Bolzen auszuweichen, die von den vier Männern sofort verschossen worden waren. Drei Geschosse zerprellten an der Wand, das vierte ritzte Aphros am Arm, bevor es an der Marmortäfelung des Zimmers zerbrach. Der Androide warf sich nach vorne; noch im Sprung faßte er den Griff eines Schockstrahlers, rollte über den Boden und schoß aus dieser Lage. Bevor die Soldaten Zeit fanden, zu ihren Schwertern zu greifen, lagen sie schon betäubt am Boden.
Der Kampf war endgültig zu Ende.
Danielle hatte Kaffee gekocht, stark, heiß und sehr süß; die Kekse waren von Spooky gebacken worden und schmeckten höchst eigentümlich.
»Die Hälfte unseres Auftrags hätten wir erledigt«, stellte Danielle zufrieden fest; sie nippte kurz an dem Kaffee, dann gab sie noch vier weitere Löffel Zucker in das Getränk. »Die Makarer üben sich in den Spielregeln der Demokratie, und das Monument sorgt dafür, daß in der nächsten Zeit gar nicht erst demokratiefeindliche Gedanken aufkommen! Die Tanaer haben in den Makarern neue Freunde entdeckt und werden ihnen helfen. Was will man mehr!«
»Ein gutes Ergebnis«, stimmte Spooky zu. »Aber das ist erst die halbe Aufgabe – wir müssen noch die Welt der Erbauer finden. Dort werden wir hoffentlich auch erfahren, was der Inhalt der Warnung war, die wir damals von den Schläfern enthalten haben.«
»Das wird nicht nötig sein«, warf Azla scheinbar gleichgültig ein.
»Wieso nicht nötig?« wollte Danielle wissen.
Giri erklärte die Zusammenhänge: »Die Welt der Erbauer existiert laut Azla seit langem nicht mehr; eine Supernova hat sie vernichtet. Zu diesem Zeitpunkt allerdings waren die Erbauer längst ausgestorben. Nur acht von ihnen haben sich auf die Welt der Schläfer retten können, nachdem sie das System entsprechend umgebaut hatten. Bevor sich die acht in den Tiefschlaf begaben, bauten sie noch die Anlage rund um das Monument. Soweit alles klar?«
Danielle holte aus, als wolle sie den Morconen ohrfeigen; dann nickte sie.
»Gut«, fuhr Giri fort. »Azla weiß nicht, was die Schläfer getötet hat, aber das wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen. Aber es bestand noch ein Funkkontakt zwischen der Station der Schläfer und dem Monument – als die Schläfer starben, wurden die Sperren im Rechengehirn des Monuments gelöscht. Azla hatte ab diesem Zeitpunkt Zugang zu allen Informationen – das gesamte, unschätzbare Wissen der Erbauer steht ihr und damit auch uns zur Verfügung.«
»Fein«, meinte Danielle. »Und was ist mit der Warnung des letzten Schläfers? Was wollte er uns mitteilen?«
»Nun«, sagte Giri gedehnt. »Der Mann wollte uns sagen – wir haben auch diese Information aus den Speichern –, daß es in der nächstgelegenen Galaxis eine Welt gebe, die zu nahe an ihre Sonne geraten sei. Wer immer die Nachricht empfangen würde, er sollte sich dorthin begeben und versuchen, den Bewohnern dieses Planeten zu helfen. Alle nötigen Informationen über das Wie würde er in den Speichern des Monuments finden.«
»Dann ist Morcos also gerettet?« fragte Danielle ungläubig.
»Genau«, bestätigte Spooky. »Das heißt, wir können zurückfliegen. Ich muß sagen, daß ich mich wahnsinnig auf die Erde freue. Ich kann ja auf vieles verzichten, aber auf eines nicht.«
»Und das wäre?« forschte Danielle.
»Überfluß!« sagte Spooky grinsend. »Überfluß!«
ENDE