122730.fb2 F?hrte nach Andromeda - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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1.

Marsh Garfield langweilte sich.

Für ihn war dieses Gefühl nicht sonderlich neu; es war die unerbittliche Konsequenz der Tatsache, daß er sich selbst zu genau kannte. Er wußte, wo seine Fähigkeiten ihre Grenze hatten. Es gab für ihn nichts Neues, nichts Aufregendes mehr: Zehn lange Jahre als Raumpilot hatten ihn gelehrt, selbst Ungewöhnlichem und Gefahren mit einer gewissen Routine zu begegnen.

Mit einem leisen Knistern schmolz das Eis in dem dünnwandigen Glas, das er in seiner rechten Hand hielt; zwischen den Fingern der Linken steckte eine Zigarette, von der bläuliche Rauchfäden in die Höhe stiegen.

Marsh Garfield war seit einigen Monaten fünfunddreißig Jahre alt; sein Aussehen war nicht gerade typisch für die Menschheit des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts, zeigte aber, was möglich war, sobald die Rassenvorurteile überwunden worden waren. Seine Ahnen stammten aus nahezu jedem Winkel der Erde. Er war fast zwei Meter groß. Seine Haut besaß den satten Bronzeton, der hauptsächlich in Indochina anzutreffen war. Einen auffälligen Kontrast bildeten die fast schwarzen, schulterlangen Haare und die hellblauen Augen unter den dicken Brauen.

Marsh, dessen Urlaub sich dem Ende zuneigte, sah flüchtig auf seine Uhr. Neben einem Quarzchronometer enthielt das Gehäuse noch einen Strahlungsmesser und einen leistungsfähigen Kleinsender.

»23. Juli des Jahres 2170, 16.47 Uhr«, sagte er halblaut. »In vierzehn Tagen beginnt der Alltag wieder.«

Sein Alltag bestand darin, Menschen und Material kreuz und quer durch das Sonnensystem zu transportieren. In Fachkreisen galt Marsh Garfield als einer der besten Skipper Terras. Bisher hatte er erst einmal eine Ladung verloren – einhundert Tonnen Filme meist unterhaltender Art. Jetzt trieb die Ladung jenseits der Plutobahn und mochte in einigen Millionen Jahren die Bewohner irgendeines fernen Systems verblüffen oder entsetzen.

Ein sanfter Glockenton durchdrang die Stille und riß Marsh aus seinen Gedanken.

»Besuch«, sinnierte er, während er sich langsam aus dem dunkelbraunen Ledersessel erhob. »Wer mag das sein?«

Als Marsh die Tür öffnete, hob er überrascht die Brauen. Vor ihm standen zwei hochgewachsene Männer mit einem verdächtig militärisch wirkenden kurzen Haarschnitt.

»Sie sind Marsh Garfield?« sagte einer der beiden Männer; es klang mehr wie eine Feststellung.

»Richtig«, bestätigte Marsh gelassen. »Was kann ich für Sie tun?«

»Würden Sie bitte mit uns kommen?«

Marsh schüttelte den Kopf und meinte: »Nicht, wenn Sie mir nicht einen Grund dafür nennen.«

Am Straßenrand erkannte er einen schweren Luftkissengleiter; auf den Seitenflächen glänzte das Abzeichen der Polizeikräfte des World Space Center.

»Haben Sie einen Haftbefehl?« fragte Marsh ungeduldig.

»Nein«, gestand der andere Polizist. »Wir möchten Sie nur höflich bitten, uns auf einer kleinen Fahrt zu begleiten.«

»Wenn es denn sein muß«, meinte Marsh, den die Neugierde reizte.

Er angelte seine Jacke von einem Haken, folgte den Männern zum Gleiter und setzte sich auf den Beifahrersitz. Der Fahrer ließ die Maschinen anlaufen, wartete, bis das Luftpolster unter der Bodenplatte aufgebaut war, und schob den Beschleunigungshebel nach vorne. Während der gesamten Fahrt, die etwa eine Stunde in Anspruch nahm, fiel kein Wort.

Interessiert betrachtete Marsh die Landschaft, an der das Fahrzeug vorbeifegte. Palmerstone war eine Zweigstadt der Oligopolis von Cape Canaveral. Bunte Plastik- und Schaumstoffgebäude mit teilweise abenteuerlichen Grundrissen und Konstruktionen kennzeichneten den Ort; was irgendwie bemalbar war, leuchtete in allen Farben des Spektrums. Zu Marshs Verwunderung fuhr der Gleiter nicht zum Raumhafenkontrollturm, sondern benutzte eine weitere Abzweigung, deren Einfahrt von bewaffneten Polizisten gesichert wurde. Marsh lehnte sich in seinem Sitz zurück und beschloß, vorerst nichts zu unternehmen.

»Ans Leben wird es einstweilen wohl nicht gehen«, murmelte er so leise, daß seine Begleiter ihn nicht hören konnten.

Die Straße senkte sich und mündete in eine unterirdische Röhre, an deren Öffnung wieder Bewaffnete jeden Ankömmling scharf kontrollierten. Die Röhre mündete in einen unterirdischen Verteilerkreis, von dem aus zahlreiche weitere Straßen abzweigten und ein gewaltiges Labyrinth vermuten ließen.

Beiläufig fragte Marsh seinen Nebenmann: »Wie groß ist diese Anlage hier?«

Der Fahrer zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung«, gab er zu. »Ich weiß nur, daß hier unten ungefähr achtzigtausend Menschen leben und arbeiten.«

Marsh pfiff leise durch die Zähne.

Er fragte sich, was diese Kleinstadt unter der Erde zu bedeuten hatte. Welcher Arbeit gingen die Menschen hier unter der Erdoberfläche nach? Und wichtiger noch: Was wollte man von ihm?

Was hier bearbeitet wurde, schien von enormer Wichtigkeit zu sein; nahezu jede zehnte Person, die Marsh entdeckte, war bewaffnet und trug das Polizei-Abzeichen. Vor einer Toreinfahrt stoppte der Fahrer den Gleiter ab. »Gehen Sie bitte diesen Gang entlang«, bat der Fahrer und deutete auf die Öffnung. »Vor der Tür mit der großen römischen Eins halten Sie bitte an und klopfen.«

»Wenn es Ihnen Freude macht!« antwortete Marsh leicht ungehalten. Folgsam pilgerte er den Korridor entlang, der von indirektem Licht nur schwach erhellt wurde.

»Herein«, sagte eine tiefe Männerstimme nach Marshs Klopfen. Er trat ein.

»Nehmen Sie bitte Platz, Mister Garfield«, bat der Mann hinter dem Schreibtisch und deutete auf einen bequemen Sessel vor dem schweren Tisch.

Während Marsh sich setzte, überlegte er fieberhaft, wo er das faltige Gesicht seines Gegenübers schon einmal gesehen hatte. Diese kleine, zarte Gestalt war unverkennbar. Dann fiel es ihm ein. »Sie sind General Richard Avidan«, behauptete er siegessicher.

Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte anerkennend; aus einem Seitenfach des Möbels holte er eine gefüllte Flasche und zwei Gläser hervor. Er füllte die Gefäße fingerbreit mit einem stark riechenden Alkohol und gab eines weiter an Marsh.

»Ich nehme an«, sagte Marsh sarkastisch, nachdem er einen Schluck des ausgezeichneten Whiskys getrunken hatte, »daß ich nicht zum gemeinschaftlichen Zechen hier bin.«

»Diesen Schluß zu ziehen, bedarf es keiner großen Intelligenz«, meinte Avidan freundlich. »Sie sind Raumfahrer, nicht wahr?«

»Das wissen Sie doch längst«, gab Marsh zurück und zeigte auf den gelben Schnellhefter; obwohl die Buchstaben auf dem Kopf standen, hatte er seinen Namen ohne Mühe lesen können.

»Was hält Sie auf der Erde fest?« fragte der General leise.

»Hauptsächlich die Schwerkraft«, erwiderte Marsh trocken. Der Offizier schien die bissige Antwort nicht gehört zu haben; geduldig wartete er, bis Garfield sich zu einer präziseren Stellungnahme entschlossen hatte.

»Falls Sie persönliche Bindungen meinen«, sagte Marsh nach kurzem Nachdenken. »Eigentlich nichts.«

»Das freut uns!« kommentierte der General. »Wären Sie bereit, einen besonders pikanten Job zu übernehmen?«

»Das hängt davon ab, wie dieser Job aussieht«, antwortete Marsh ruhig. »Und natürlich auch von der Bezahlung.«

»Ich werde Sie enttäuschen müssen«, erklärte der weißhaarige General. »Sie erhalten nur das normale Gehalt eines Raumkapitäns erster Klasse – das müßte eigentlich genügen.«

»Für ein paar Butterbrote mag es reichen«, gestand Marsh zu. »Wieviel Zeit wird diese Aufgabe in Anspruch nehmen?«

»Zwanzig Jahre!« sagte der General hart und schnell.

Marsh zog einmal mehr die Brauen in die Höhe und starrte sein Gegenüber verblüfft an. »Sagten Sie Jahre?« fragte er ungläubig, schüttelte dabei den Kopf.

»Sie haben mich völlig richtig verstanden, Skipper«, erklärte Avidan gelassen. »Ich sagte zwanzig Jahre – und ich meinte es auch so.« Er sah Marshs Verblüffung und lächelte verständnisvoll. »Sie sollen die Führung des Projekts NEW FRONTIER übernehmen.«

»Neue Grenze«, übersetzte Marsh halblaut. »Ich habe eine tiefverwurzelte Abneigung gegen jegliche Art von Grenze oder Einschränkung.«

»Sie interpretieren den Namen falsch«, klärte ihn der General auf. »Im Sprachgebrauch der Nordamerikaner hat das Wort frontier eine ganz besondere Bedeutung. Es bezeichnet weniger eine starre Linie, die man nicht überschreiten darf – gemeint ist vielmehr die Scheidelinie zwischen Vertrautem und einem unbekannten, lockenden Gebiet, das es zu erobern gilt.«

»Der Ausdruck kommt mir bekannt vor«, murmelte Marsh nachdenklich.

»Unter dieser Losung führte der fünfunddreißigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika seinen Wahlkampf«, berichtete Avidan. »John Fitzgerald Kennedy – er wollte dem amerikanischen Volk eine ›neue Grenze eröffnen‹.«

»Sehr schön«, wehrte Garfield ab. »Worum handelt es sich beim Projekt NEW FRONTIER?«

»Um den ersten bemannten Flug zu einem anderen Sonnensystem«, eröffnete ihm der General.

Wieder war Marsh überrascht, dann aber kamen ihm Bedenken. »Erstens«, fragte er mißtrauisch. »Wieso ausgerechnet ich? Und zweitens: Was geschieht, wenn ich mich weigere?«

»Beantworten wir Ihre Fragen der Reihe nach«, sagte Avidan. »Der ursprünglich vorgesehene Kandidat fiel vor vierzehn Tagen aus – er lernte eine junge Dame kennen, verliebte und verehelichte sich innerhalb einer Woche und war nicht mehr zu bewegen, seine Frau im Stich zu lassen.«

»Verständlich«, sagte Marsh leise.

»Sie waren der beste Mann, den wir finden konnten«, fuhr Avidan fort. »Was Ihre zweite Frage betrifft: Wenn Sie den Auftrag nicht übernehmen, werden wir Sie für einige Zeit hier festsetzen müssen – so lange jedenfalls, bis das Schiff gestartet ist und das Sonnensystem verlassen hat.«

»Entzückend!« sagte Marsh sarkastisch. »Haben Sie noch weitere Scherze dieser Art vorrätig?«

Der General schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er entschlossen; er beugte sich leicht über die Platte des Schreibtisches und sah Marsh aufmerksam an. »Machen Sie mit?«

Marsh zögerte. Zwanzig Jahre – in kosmischen Dimensionen betrachtet ein Nichts; für einen Menschen ein Drittel seines bewußten Lebens. Zahllose Dinge fielen Marsh ein, Nebensächlichkeiten, die unter diesem speziellen Blickwinkel ungeheuer an Bedeutung gewannen. Er stoppte schließlich den wirren Tanz seiner Gedanken; durchkalkulierbar waren alle Aspekte dieses Unternehmens nur von einem Computer. Er selbst mußte rein gefühlsmäßig entscheiden. Marsh holte tief Luft. Langsam und mit großem Ernst sagte er leise: »Ich bin dabei.«