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Dumbledore hatte Harry davon überzeugt, besser nicht mehr nach dem Spiegel Nerhegeb zu suchen, und die restlichen Tage der Weihnachtsferien blieb der Tarnumhang zusammengefaltet auf dem Boden seines großen Koffers. Harry wünschte sich, er könnte genauso leicht das, was er im Spiegel gesehen hatte, aus seinem Innern räumen, doch das gelang ihm nicht. Allmählich bekam er Alpträume. Immer und immer wieder träumte er davon, wie seine Eltern in einem Blitz grünen Lichts verschwanden, während eine hohe Stimme gackernd lachte.
»Siehst du, Dumbledore hatte Recht, dieser Spiegel könnte dich in den Wahnsinn treiben«, sagte Ron, als Harry ihm von diesen Träumen erzählte.
Hermine, die am letzten Ferientag zurückkam, sah die 1)Inge ganz anders. Sie schwankte zwischen Entsetzen und Enttäuschung. Entsetzen bei dem Gedanken, daß Harry Drei Nächte nacheinander aus dem Bett geschlüpft war und das Schloß durchstreift hatte (»Wenn Filch dich erwischt hätte«), und Enttäuschung darüber, daß er nicht wenigstens herausgefunden hatte, wer Nicolas Flamel war.
Sie hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, Flamel jemals in einem Bibliotheksband zu finden, auch wenn Harry sich immer noch sicher war, daß er den Namen irgendwo gelesen hatte. Nach dem Ende der Ferien fingen sie wieder an zu suchen und in den Zehn-Minuten-Pausen die Bücher durchzublättern. Harry hatte sogar noch weniger Zeit als die andern, denn auch das Quidditch-Training hatte wieder begonnen.
Wood forderte die Mannschaft härter denn je. Selbst der Dauerregen, der nach dem Schnee eingesetzt hatte, konnte seine Begeisterung nicht dämpfen. Die Weasleys beschwerten sich, Wood sei vom Quidditch geradezu besessen, doch Harry war auf Woods Seite. Sollten sie ihr nächstes Spiel gegen Hufflepuff gewinnen, würden sie zum ersten Mal in sieben Jahren Slytherin in der Hausmeisterschaft überholen. Abgesehen davon, daß er gewinnen wollte, stellte Harry fest, daß er weniger Alpträume hatte, wenn er nach dem Training erschöpft war.
Eines Tages, während einer besonders nassen und schlammigen Trainingsstunde, hatte Wood der Mannschaft eine schlechte Nachricht mitzuteilen. Gerade war er sehr zornig geworden wegen der Weasleys, die immerzu im Sturzflug aufeinander zurasten und so taten, als stürzten sie von ihren Besen.
»Hört jetzt endlich auf mit dem Unfug!«, rief er.»Genau wegen so was verlieren wir noch das Spiel! Diesmal macht Snape den Schiedsrichter, und dem wird jede Ausrede recht sein, um Gryffindor Punkte abzuziehen.«
George Weasley fiel bei diesen Worten wirklich vom Besen.
»Snape ist Schiedsrichter?«, prustete er durch einen Mund voll Schlamm.»Wann hat der denn jemals ein Quidditch-Spiel gepfiffen? Er wird nicht mehr fair sein, falls wir die Slytherins überholen können.«
Die anderen Spieler landeten neben George und beschwerten sich ebenfalls.
»Ich kann doch nichts dafür«, sagte Wood.»Wir müssen einfach aufpassen, daß wir ein sauberes Spiel machen und Snape keinen Grund liefern, uns eins auszuwischen.«
Schön und gut, dachte Harry, doch er hatte noch einen Grund, warum er Snape beim Quidditch lieber nicht in seiner Nähe haben wollte…
Wie immer nach dem Training blieben die anderen Spieler noch eine Weile beisammen und unterhielten sich, doch Harry machte sich gleich wieder auf den Weg in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo er Ron und Hermine beim Schachspiel fand. Schach war das Einzige, bei dem Hermine immer verlor, und Harry und Ron waren der Meinung, das könne ihr nur gut tun.
»Sei mal einen Augenblick ruhig«, sagte Ron, als Harry sich neben ihn setzte.»Ich muß mich konzen -«Dann sah er Harrys Gesicht.»Was ist denn mit dir los? Du siehst ja furchtbar aus.«
Mit leiser Stimme, damit ihn niemand im Umkreis hören konnte, berichtete Harry den beiden von Snapes plötzlichem und finsterem Wunsch, ein Quidditch-Schiedsrichter zu sein.
»Spiel nicht mit«, sagte Hermine sofort.
»Sag, daß du krank bist«, meinte Ron.
»Tu so, als ob du dir das Bein gebrochen hättest«, schlug
Hermine vor.
»Brich dir das Bein wirklich«, sagte Ron.
»Das geht nicht«, sagte Harry.»Wir haben keinen Reserve-Sucher. Wenn ich passe, kann Gryffindor überhaupt nicht spielen.«
In diesem Moment stürzte Neville kopfüber in den Gemeinschaftsraum. Wie er es geschafft hatte, durch das Porträtloch zu klettern, war ihnen schleierhaft, denn seine Beine waren zusammengeklemmt, und sie erkannten sofort, daß es der Beinklammer-Fluch sein mußte. Offenbar war er den ganzen Weg hoch in den Gryffindor-Turm gehoppelt wie ein Hase.
Allen war nach Lachen zumute, außer Hermine, die aufsprang und den Gegenfluch sprach. Nevilles Beine sprangen auseinander und zitternd rappelte er sich hoch.
»Was ist passiert?«, fragte ihn Hermine und schleppte ihn hinüber zu Harry und Ron, wo er sich setzte.
»Malfoy«, sagte Neville mit zitternder Stimme.»Ich hab ihn vor der Bibliothek getroffen. Er sagte, er würde nach jemandem suchen, bei dem er diesen Fluch üben könnte.«
»Geh zu Professor McGonagall!«, drängte ihn Hermine.»Sag es ihr!«
Neville schüttelte den Kopf.
»Ich will nicht noch mehr Schwierigkeiten«, murmelte er.
»Du mußt dich gegen ihn wehren, Neville!«, sagte Ron.»Er ist daran gewöhnt, auf den Leuten herumzutrampeln, aber das ist noch kein Grund, sich vor ihn hinzulegen und es ihm noch leichter zu machen.«
»Du brauchst mir nicht zu sagen, daß ich nicht mutig genug bin für Gryffindor, das hat Malfoy schon getan«, schluchzte er.
Harry durchwühlte die Taschen seines Umhangs und zog einen Schokofrosch hervor, den allerletzten aus der Schachtel, die Hermine ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Er gab ihn Neville, der kurz davor schien, in Tränen auszubrechen.
»Du bist ein Dutzend Malfoys wert«, sagte Harry.»Der Sprechende Hut hat dich für Gryffindor ausgewählt, oder? Und wo ist Malfoy? Im stinkigen Slytherin.«
Nevilles Lippen zuckten für ein schwaches Lächeln, als er den Frosch auspackte.
»Danke, Harry… Ich glaub, ich geh ins Bett… Willst du die Karte? Du sammelst die doch, oder?«
Neville ging hinaus und Harry sah sich die Sammelkarte der berühmten Zauberer an.
»Schon wieder Dumbledore«, sagte er.»Er war der Erste, den ich -«
Ihm stockte der Atem. Er starrte auf die Rückseite der Karte. Dann sah er Ron und Hermine an.
"Ich hab ihn gefunden!«, flüsterte er.»Ich hab Flamel gefunden! Hab euch doch gesagt, daß ich den Namen schon mal irgendwo gelesen hab. Es war im Zug hierher. Hört mal: ›Professor Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der Entdeckung der sechs Anwendungen für Drachenmilch und auf seinem Werk über Alchemie, verfaßt zusammen mit seinem Partner Nicolas Flamel.‹!«
Hermine sprang auf. Seit sie die Noten für die ersten Hausaufgaben bekommen hatte, war sie nicht mehr so begeistert gewesen.
»Wartet hier!«, sagte sie und rannte die Stufen zu den Mädchenschlafsälen hoch. Harry und Ron hatten kaum Zeit, sich ratlose Blicke zuzuwerfen, als sie schon wieder die Treppe heruntergeflogen kam, ein riesiges altes Buch in den Armen.
»Ich hab einfach nicht daran gedacht, hier drin nachzuschauen«, flüsterte sie erregt.»Das hab ich schon vor Wochen aus der Bibliothek ausgeliehen, leichte Lektüre.«
»Leicht?«, sagte Ron, doch Hermine hieß ihn, still zu sein, bis sie etwas nachgeschaut hatte, und begann, vor sich hin murmelnd, hastig die Seiten durchzublättern.
Endlich fand sie, was sie gesucht hatte.
»Ich hab's gewußt! Ich hab's gewusst!«
»Ist es uns jetzt erlaubt zu sprechen?«, sagte Ron brummig. Hermine überhörte ihn.
»Nicolas Flamel«, flüsterte sie aufgeregt,»ist der einzige bekannte Hersteller des Steins der Weisen!«
Das hatte nicht ganz die von ihr erwartete Wirkung.
»Des was?«, fragten Harry und Ron.
»Ach, nun hört mal, lest ihr beiden eigentlich nie? Seht her, lest das hier.«
Sie schob ihnen das Buch zu und Harry und Ron lasen:
Die alte Wissenschaft der Alchemie befaßt sich mit der Herstellung des Steins der Weisen, eines sagenhaften Stoffes mit erstaunlichen Kräften. Er verwandelt jedes Metall in reines Gold. Auch zeugt er das Elixier des Lebens, welches den, der es trinkt, unsterblich macht.
Im Laufe der Jahrhunderte gab es viele Berichte über den Stein der Weisen, doch der einzige Stein, der heute existiert, gehört Mr. Nicolas Flamel, dem angesehenen Alchemisten und Opernliebhaber. Mr. Flamel, der im letzten Jahr seinen sechshundertundfünfundsechzigsten Geburtstag feierte, erfreut sich eines ruhigen Lebens in Devon, zusammen mit seiner Frau Perenelle (sechshundertundachtundfünzig).
»Seht ihr?«, sagte Hermine, als Harry und Ron zu Ende gelesen hatten.»Der Hund muß Flamels Stein der Weisen bewachen! Ich wette, Flamel hat Dumbledore gebeten, ihn sicher aufzubewahren, denn sie sind Freunde und er wußte, daß jemand hinter dem Stein her ist. Deshalb wollte er ihn aus Gringotts herausschaffen!«
»Ein Stein, der Gold erzeugt und dich nie sterben läßt«, sagte Harry.»Kein Wunder, daß Snape hinter ihm her ist! jeder würde ihn haben wollen.«
»Und kein Wunder, daß wir Flamel nicht in den jüngeren Entwicklungen in der Zauberei gefunden haben«, sagte Ron.»Er ist nicht gerade der jüngste, wenn er sechshundertfünfundsechzig ist, oder?«
Am nächsten Morgen, während sie in Verteidigung gegen die dunklen Künste die verschiedenen Möglichkeiten, Werwolfbisse zu behandeln, von der Tafel abschrieben, sprachen Harry und Ron immer noch darüber, was sie mit einem der Weisen anfangen würden, wenn sie einen hätten.
Erst als Ron sagte, er würde sich seine eigene Quidditchmannschaft kaufen, fiel Harry die Sache mit Snape und dem kommenden Spiel wieder ein.
»Ich werde spielen«, sagte er Ron und Hermine.»Wenn nicht, denken alle Slytherins, ich hätte Angst, es mit Snape aufzunehmen. Ich werd's ihnen zeigen… das wird ihnen das Grinsen vom Gesicht wischen, wenn wir gewinnen.«
»Solange wir dich nicht vom Spielfeld wischen müssen«, sagte Hermine.
Je näher jedoch das Spiel rückte, desto nervöser wurde Harry, und mochte er noch so aufschneiderisch vor Ron und Hermine getan haben. Die anderen Spieler waren auch nicht gerade gelassen. Die Vorstellung, sie könnten Slytherin in der Hausmeisterschaft überholen, war traumhaft, denn seit fast sieben Jahren hatte das keine Mannschaft mehr geschafft, doch würde ein so parteiischer Schiedsrichter das zulassen?
Harry wußte nicht, ob er es sich nur einbildete, doch ständig und überall lief er Snape über den Weg. Manchmal fragte er sich sogar, ob Snape ihm vielleicht folgte und versuchte, ihn irgendwo allein zu erwischen. Die Zaubertrankstunden wurden allmählich zu einer Art wöchentlicher Folter, so gemein war Snape zu Harry. Konnte Snape denn eigentlich wissen, daß sie die Geschichte mit dem Stein der Weisen herausgefunden hatten? Harry konnte sich das nicht vorstellen – doch manchmal hatte er das fürchterliche Gefühl, Snape könne Gedanken lesen.
Am folgenden Nachmittag wünschten ihm Ron und Hermine viel Glück für das Spiel und Harry wußte, daß sie sich fragten, ob sie ihn jemals lebend wieder sehen würden. Das war nicht gerade tröstlich. Während Harry seinen Quidditch-Umhang anzog und seinen Nimbus Zweitausend aufnahm, hörte er kaum etwas von den ermutigenden Worten Woods.
Ron und Hermine hatten inzwischen einen Platz auf den Rängen gefunden, neben Neville, der nicht verstand, warum sie so grimmig und besorgt aussahen und warum sie ihre Zauberstäbe zum Spiel mitgebracht hatten. Harry hatte keine Ahnung, daß Ron und Hermine insgeheim den Beinklammer-Fluch geübt hatten. Auf die Idee gebracht hatte sie Malfoy, der ihn an Neville ausprobiert hatte, und nun waren sie bereit, ihn Snape auf den Hals zu jagen, wenn er auch nur die geringsten Anstalten machte, Harry zu schaden.
»Also, nicht vergessen, es heißt Locomotor Mortis«, murmelte Hermine, während Ron seinen Zauberstab den Ärmel hochschob.
»Ich weiß«, fauchte Ron.»Nerv mich nicht.«
Unten in der Umkleidekabine hatte Wood Harry zur Seite genommen.
»Ich will dich j«a nicht unter Druck setzen, Potter, aber wenn wir je einen schnellen Schnatz-Fang gebraucht haben, dann jetzt. Bring das Spiel unter Dach und Fach, bevor Snape anfangen kann, die Hufflepuffs zu übervorteilen.«
»Dort draußen ist die ganze Schule!«, sagte Fred Weasley, der durch die Tür hinausspähte.»Sogar – mein Gott – Dumbledore ist gekommen!«
Harrys Herz überschlug sich.
»Dumbledore?«, sagte er und stürzte zur Tür, um ihn mit eigenen Augen zu sehen. Fred hatte Recht. Dieser silberne Bart konnte nur Dumbledore gehören.
Harry hätte vor Erleichterung laut auflachen können.
Nun war er sicher. Snape würde jetzt, da Dumbledore zusah, nicht einmal den Versuch wagen, ihm etwas anzutun.
Vielleicht sah Snape deshalb so wütend aus, als die Mannschaften auf das Spielfeld liefen. Auch Ron hatte das bemerkt.
»Ich hab Snape noch nie so böse gucken sehen«, erklärte er Hermine.»Schau – weg sind sie. Autsch!«
Jemand hatte Ron gegen den Hinterkopf gestoßen. Es war Malfoy.
»Oh, tut mir Leid, Weasley, hab dich gar nicht gesehen.«
Mit breitem Grinsen sah Malfoy Crabbe und Goyle an.
»Frag mich, wie lange Potter sich diesmal auf seinem hält? Will jemand wetten? Wie wär's mit dir, Weasley?«
Ron antwortete nicht; Snape hatte Hufflepuff gerade einen Strafwurf zugesprochen, weil George Weasley einen von ihnen mit einem Klatscher getroffen hatte. Hermine, die alle Finger im Schoß gekreuzt hatte, schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen unablässig Harry nach, der wie ein Falke über dem Spiel kreiste und Ausschau nach dem Schnatz hielt.
»Weißt du eigentlich, wie sie die Leute für die Gryffindor Mannschaft aussuchen?«, sagte Malfoy ein paar Minuten später mit lauter Stimme, als Snape den Hufflepuffs schon wieder einen Strafwurf zusprach, diesmal ganz ohne Grund.»Sie nehmen Leute, die ihnen Leid tun. Seht mal, da ist Potter, der keine Eltern hat, dann die Weasleys, die kein Geld haben – du solltest auch in der Mannschaft sein, Longbottom, du hast kein Hirn.«
Neville wurde hellrot, drehte sich jedoch auf seinem Platz herum und sah Malfoy ins Gesicht.
»Ich bin ein Dutzend von deinesgleichen wert, Malfoy«, stammelte er.
Malfoy, Crabbe und Goyle heulten laut auf vor Lachen, doch Ron, der immer noch nicht die Augen vom Spiel abzuwenden wagte, sagte:»Gib's ihm, Neville.«
»Longbottom, wenn Hirn Gold wäre, dann wärst du ärmer als Weasley, und das will was heißen.«
Rons Nerven waren wegen der Angst um Harry ohnehin schon zum Zerreißen gespannt.
»Ich warne dich, Malfoy, noch ein Wort -«
»Ron!«, sagte Hermine plötzlich,»Harry -!«
»Was? wo?«
Harry war überraschend in einen atemberaubenden Sturzflug gegangen, und ein Stöhnen und jubeln drang aus der Menge. Hermine stand auf, die gekreuzten Finger im Mund, und Harry schoß wie eine Kugel in Richtung Boden.
»Du hast Glück, Weasley, Potter hat offenbar Geld auf dem Boden herumliegen sehen!«, sagte Malfoy.
Das war zu viel für Ron. Bevor Malfoy wußte, wie ihm geschah, war Ron schon auf ihm und drückte ihn zu Boden. Neville zögerte erst, dann kletterte er über seine Sitzlehne, um Ron zu helfen.
»Los, Harry!‹x, schrie Hermine und sprang auf ihren Sitz, um zu sehen, wie Harry direkt auf Snape zuraste – sie bemerkte nicht einmal, daß Malfoy und Ron sich unter ihrem Sitz wälzten, und auch nicht das Stöhnen und Schreien, das aus dem Knäuel drang, das aus Neville, Crabbe und Goyle bestand.
Oben in der Luft riß Snape seinen Besen gerade rechtzeitig herum, um etwas Scharlachrotes an ihm vorbeischießen zu sehen, das ihn um Zentimeter verfehlte – im nächsten Moment hatte Harry seinen Besen wieder in die Waagrechte gebracht; den Arm triumphierend in die Höhe gestreckt, hielt er den Schnatz fest in der Hand.
Die Zuschauer tobten; das mußte ein Rekord sein, niemand konnte sich erinnern, daß der Schnatz jemals so schnell gefangen worden war.
»Ron! Ron! Wo bist du? Das Spiel ist aus! Harry hat gewonnen! Wir haben gewonnen! Gryffindor liegt in Führung!«, schrie Hermine, tanzte auf ihrem Sitz herum und umarmte Parvati Patil in der Reihe vor ihr.
Harry sprang einen Meter über dem Boden von seinem Er konnte es nicht glauben. Er hatte es geschafft – das Spiel war zu Ende; es hatte kaum fünf Minuten gedauert. Gryffindors kamen aufs Spielfeld gerannt, und ganz in der Nähe sah er Snape landen, mit weißem Gesicht und zusammengekniffenen Lippen – dann spürte Harry eine Hand auf der Schulter und er sah hoch in das lächelnde Gesicht von Dumbledore.
»Gut gemacht«, sagte Dumbledore leise, so daß nur Harry es hören konnte.»Schön, daß du nicht diesem Spiegel nachhängst… hattest was Besseres zu tun… vortrefflich… «
Snape spuckte mit verbittertem Gesicht auf den Boden.
Einige Zeit später verließ Harry allein den Umkleideraum, um seinen Nimbus Zweitausend zurück in die Besenkammer zu stellen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein. Nun hatte er wirklich etwas getan, auf das er stolz sein durfte – keiner konnte jetzt mehr sagen, er hätte nur einen berühmten Namen. Die Abendluft hatte noch nie so süß gerochen. Er ging über das feuchte Gras und sah noch einmal, wie durch einen Schleier von Glück, die letzte Stunde: die Gryffindors, die herbeigerannt kamen, um ihn auf die Schultern zu nehmen; in der Ferne Hermine, die in die Luft sprang, und Ron, der ihm mit blutverschmierter Nase zujubelte.
Harry hatte den Schuppen erreicht. Er lehnte sich gegen die Holztür und sah hoch zum Schloß, dessen Fenster in der untergehenden Sonne rot aufleuchteten. Gryffindor in Führung. Er hatte es geschafft, er hatte es Snape gezeigt…
Wo er gerade an Snape dachte…
Eine vermummte Gestalt eilte die Schloßtreppen herunter. Offenbar wollte sie nicht gesehen werden, denn raschen Schrittes ging sie in Richtung des verbotenen Waldes. Harry sah ihr nach, und sein eben errungener Sieg schwand ihm aus dem Kopf Er erkannte den raubtierhaften Gang dieser Gestalt: Snape, der sich in den verbotenen Wald stahl, während die andern beim Abendessen waren – was ging da vor?
Harry sprang auf seinen Nimbus Zweitausend und stieg empor. Still glitt er über das Schloß hinweg und sah Snape rennend im Wald verschwinden. Er folgte ihm.
Die Bäume standen so dicht, daß er nicht sehen konnte, wohin Snape gegangen war. Schleifen drehend ließ er sich weiter sinken. Erst als er die Baumwipfel berührte, hörte er Stimmen. Er schwebte in die Richtung, aus der sie kamen, und landete geräuschlos auf einer turmhohen Buche.
Vorsichtig kletterte er an einem ihrer Äste entlang, den Besen fest umklammernd, und versuchte durch die Blätter hindurch etwas zu erkennen.
Unten, auf einer schattendunklen Lichtung, stand Snape. Doch er war nicht allein. Neben ihm stand Quirrell. Harry konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, doch er stotterte schlimmer denn je. Harry spitzte die Ohren, um etwas von dem zu erhaschen, was sie sagten.
»… w-weiß nicht, warum Sie mich a-a-ausgerechnet hier treffen wollen, Severus… «
»Oh, ich dachte, das bleibt unter uns«, sagte Snape mit eisiger Stimme.»Die Schüler sollen schließlich nichts vom Stein der Weisen erfahren.«
Harry lehnte sich weiter vor. Quirrell murmelte etwas. Snape unterbrach ihn.
»Haben Sie schon herausgefunden, wie Sie an diesem Untier von Hagrid vorbeikommen?«
»A-a-ber, Severus, ich -«
»Sie wollen mich doch nicht zum Feind haben, Quirrell«, sagte Snape und trat einen Schritt auf ihn zu.
»I-ich weiß nicht, w-was Sie -«
»Sie wissen genau, was ich meine.«
Beim lauten Schrei einer Eule fiel Harry fast aus dem Baum. Er brachte sich noch rechtzeitig ins Gleichgewicht, um zu hören, wie Snape sagte:»… Ihr kleines bißchen Hokuspokus. Ich warte.«
»A-aber i-ich -«
»Sehr schön«, unterbrach ihn Snape.»Wir sprechen uns bald wieder, wenn Sie Zeit hatten, sich die Dinge zu überlegen, und sich im Klaren sind, wem Sie verpflichtet sind.«
Er warf sich die Kapuze über den Kopf und entfernte sich von der Lichtung. Es war jetzt fast dunkel, doch Harry konnte Quirrell sehen, der so unbeweglich dastand, als sei er versteinert.
»Harry, wo hast du gesteckt?«, keifte Hermine.
»Wir haben gewonnen! Du hast gewonnen! Wir haben gewonnen!«, rief Ron und klatschte Harry auf den Rücken.»Und ich hab Malfoy ein blaues Auge verpaßt und Neville hat versucht, es allein mit Crabbe und Goyle aufzunehmen. Er ist immer noch bewußtlos, aber Madam Pomfrey sagt, es wird schon wieder – redet die ganze Zeit davon, es Slytherin zu zeigen! Im Gemeinschaftsraum warten alle auf dich – wir machen ein Fest, Fred und George haben ein bißchen Kuchen und was zu trinken aus der Küche organisiert.«
»Das ist jetzt nicht so wichtig«, sagte Harry außer Atem.»Suchen wir uns erst mal ein Zimmer, wo wir allein sind, und dann wartet ab, was ich euch erzähle… «
Er sah erst nach, ob Peeves drin war, bevor er die Tür hinter ihnen schloß, und dann erzählte er ihnen, was er gesehen und gehört hatte.
»Also hatten wir Recht, es ist der Stein der Weisen, und Snape versucht Quirrell zu zwingen, ihm zu helfen. Er hat ihn gefragt, ob er wüßte, wie er an Fluffy vorbeikommen kann – und er hat etwas über Quirrells ›Hokuspokus‹ gesagt – ich wette, es gibt noch mehr außer Fluffy, was den Stein bewacht, eine Menge Zaubersprüche wahrscheinlich, und Quirrell wird einige Gegenflüche zum Schutz gegen die schwarze Magie ausgesprochen haben, die Snape durchbrechen muß.«
»Du meinst also, der Stein ist nur sicher, solange Snape Quirrell nicht das Rückgrat bricht?«, fragte Hermine bestürzt.
»Nächsten Dienstag ist er weg«, meinte Ron.