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Als hätte Harrys Kopf im Schlaf unermüdlich gearbeitet, erwachte er früh am nächsten Morgen mit einem glasklaren Plan im Sinn. Er stand auf, zog sich im blassen Dämmerlicht an und ging dann ohne Ron zu wecken hinunter in den verlassenen Gemeinschaftsraum. Er nahm ein Blatt Pergament vom Tisch, auf dem noch seine Hausaufgaben für Wahrsagen lagen, und schrieb den folgenden Brief:
Lieber Sirius,
ich glaube, ich habe mir nur eingebildet, daß meine Narbe wehtat, ich war noch ziemlich verpennt, als ich dir diesen Brief schrieb. Es hat keinen Zweck, daß du zurückkommst, hier ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen um mich, mein Kopf fühlt sich ganz normal an.
Harry
Dann kletterte er aus dem Porträtloch, stieg die Treppen des noch im Schlaf liegenden Schlosses hoch (nur ganz kurz von Peeves aufgehalten, der ihm in einem Korridor im vierten Stock eine große Vase über den Kopf stülpen wollte), bis er schließlich in die Eulerei in der Spitze des Westturms gelangte. Die Eulerei war ein kreisrunder Raum mit steinernen Wänden, und da die Fenster keine Scheiben hatten, war er recht kalt und zugig. Der strohbedeckte Boden war übersät mit Eulenmist und ausgewürgten Knochen von Mäusen und Maulwürfen. Hunderte von Eulen jeder erdenklichen Art hockten hier auf den Stangen, die sich bis hoch zum Turmgebälk zogen, und fast alle schliefen, auch wenn hie und da ein rundes Bernsteinauge Harry mit scharfem Blick folgte. Jetzt sah er auch Hedwig behaglich zwischen einer Schleiereule und einem Waldkauz schlafen, und er ging hastig zu ihr hinüber, wobei er fast auf dem mit Vogelkot übersäten Boden ausgerutscht wäre. Es dauerte eine Weile, bis er sie dazu bringen konnte, aufzuwachen und ihn überhaupt anzusehen, denn zunächst trippelte sie auf ihrer Stange umher und zeigte ihm nur den Schwanz. Offensichtlich war sie immer noch gekränkt wegen seiner undankbaren Art am Abend zuvor. Am Ende schaffte es Harry dann doch, sie zu überzeugen, indem er laut überlegte, daß sie wohl zu müde sei und er Ron bitten würde, ihm Pigwidgeon zu leihen; daraufhin streckte sie ein Bein aus und ließ ihn den Brief daran festbinden.
»Du findest ihn, nicht wahr?«, sagte Harry und streichelte ihr übers Gefieder, während er sie auf dem Arm zu einer der Mauerluken trug.»Bevor die Dementoren ihn finden.«
Sie kniff ihm in den Finger, vielleicht ein wenig kräftiger als sonst, schuhuhte jedoch leise, als wollte sie ihn trotz allem beruhigen. Dann breitete sie ihre Flügel aus und flatterte in den Sonnenaufgang hinein. Harry sah ihr mit dem schon vertrauten flauen Gefühl im Magen nach, bis sie verschwunden war. Er war sich so sicher gewesen, daß Sirius' Antwort seine Sorgen lindern und nicht noch steigern würde.
»Das war eine Lüge, Harry«, sagte Hermine in scharfem Ton beim Frühstück, als er ihr und Ron von seinem Brief erzählt hatte.»Du hast dir nicht bloß eingebildet, daß deine Narbe wehtat, das weißt du genau.«
»Na und?«, sagte Harry.»Meinetwegen soll er jedenfalls nicht wieder in Askaban landen.«
»Laß stecken«, fuhr Ron Hermine an, als sie den Mund öffnete, um noch ein wenig weiterzustreiten; und ausnahmsweise folgte ihm Hermine und verstummte.
Während der nächsten Wochen mühte sich Harry nach Kräften, sich keine Sorgen über Sirius zu machen. Gewiß, er konnte es einfach nicht lassen, mit bangem Gefühl aufzusehen, wenn am Morgen die Posteulen ankamen, noch konnte er verhindern, daß spät am Abend, bevor er einschlief, grauenhafte Bilder an seinem inneren Auge vorbeizogen, Bilder von Sirius, wie er in irgendeiner dunklen Londoner Straße von Dementoren in die Enge getrieben wurde. Doch ansonsten gab er sich Mühe, nicht an seinen Paten zu denken. Könnte er doch nur Quidditch spielen, um sich abzulenken; nichts hätte seinem aufgewühlten Gemüt so gut getan wie eine harte, fetzige Trainingsstunde. Andererseits war der Unterricht jetzt so anspruchsvoll und schwierig wie nie zuvor, besonders in Verteidigung gegen die dunklen Künste.
Zu ihrer Überraschung hatte Professor Moody angekündigt, daß er jeden Einzelnen von ihnen mit dem Imperius-Fluch belegen würde, um dessen Macht zu zeigen und zu prüfen, ob sie sich gegen seine Wirkungen zur Wehr setzen konnten.
»Aber, Sie sagten doch, er sei verboten, Professor«, sagte Hermine verunsichert, als Moody mit einem Schwung seines Zauberstabs die Tische fortrücken ließ und sich einen großen freien Platz in der Mitte des Raumes verschaffte.»Sie sagten – ihn gegen einen anderen Menschen einzusetzen, sei -«
»Dumbledore will, daß ich euch beibringe, wie es sich anfühlt«, sagte Moody, und sein magisches Auge schwamm zu Hermine hin und fixierte sie mit schaurigem Blick, ohne ein einziges Mal zu blinzeln.»Wenn du es lieber auf die harte Tour lernen willst – wenn dich jemand damit überrascht und dich vollkommen unterwirft – mir soll es recht sein. Du bist entschuldigt. Da geht's raus.«
Er wies mit seinem knochigen Finger zur Tür. Hermine lief rosa an und murmelte etwas von wegen, das hätte sie so nicht gemeint. Harry und Ron grinsten sich zu. Sie wußten, daß Hermine lieber Bubotubler-Eiter schlürfen würde als eine so wichtige Unterrichtsstunde zu verpassen.
Moody ließ sie der Reihe nach vortreten und belegte sie mit dem Imperius-Fluch. Harry beobachtete, wie seine Mitschüler unter Moodys Einfluss die erstaunlichsten Dinge vollführten. Dean Thomas hüpfte dreimal im Kreis durchs Zimmer und sang dabei die Nationalhymne. Lavender Brown ahmte ein Eichhörnchen nach. Neville zeigte eine Reihe ganz verblüffender Gymnastikübungen, bei denen er ansonsten sicher zusammengeklappt wäre. Nicht einer von ihnen schien fähig zu sein, den Fluch abzuwehren, und alle erholten sich erst, als Moody ihn wieder aufhob.
»Potter«, knurrte Moody,»du bist dran.«
Harry trat vor in die Mitte des Klassenzimmers, wo Moody Platz geschaffen hatte. Moody hob den Zauberstab, richtete ihn auf Harry und sagte:»Imperio.«Es war ein höchst wundersames Gefühl. Harry glaubte zu schweben, jeder Gedanke, alle Sorgen, die ihn Umtrieben, waren wie von sanfter Hand weggewischt, und zurück blieb nur ein vages, unergründliches Glücksgefühl. Da stand er, unendlich entspannt, nur leise ahnend, daß alle ihn ansahen. Und dann hörte er Mad-Eye Moodys Stimme in einer fernen Kammer seines leeren Kopfes widerhallen:»Spring auf den Tisch… spring auf den Tisch…«Harry ging folgsam in die Knie und setzte zum Sprung an.
»Spring auf den Tisch…«
Warum eigentlich?
Eine andere Stimme, weit hinten in seinem Kopf, war erwacht.»Wär doch ziemlich bescheuert, das zu tun«, sagte die Stimme.
»Spring auf den Tisch…«
»Nein, das werd ich lieber nicht tun, danke«, sagte die andere Stimme, ein wenig fester…»Nein, ich will nicht wirklich…«
»Spring! Sofort.«
Was Harry als Nächstes spürte, war ein heftiger Schmerz. Er war gesprungen und hatte zugleich versucht sich davon abzuhalten – woraufhin er mit dem Kopf auf den Tisch geschlagen war, ihn umgeworfen hatte und sich, nach dem Gefühl in seinen Beinen zu schließen, auch noch beide Kniescheiben zertrümmert hatte.
»Nun, das war doch schon mal was!«, hörte er Moodys knurrende Stimme, und plötzlich spürte Harry, wie das leere, hallende Gefühl in seinem Kopf verschwand. Er erinnerte sich genau daran, was passiert war, und der Schmerz in seinen Knien schien sich noch zu verdoppeln.
»Schaut euch das an, ihr Rasselbande… Potter hat gekämpft! Er hat gegen den Fluch angekämpft und ihn verdammt noch mal fast gebrochen! Wir versuchend noch mal, Potter, und die anderen passen gut auf – schaut ihm in die Augen, da seht ihr's – sehr gut, Potter, wirklich sehr gut! Die werden Schwierigkeiten haben, dich zu unterwerfen!«
»So, wie er redet«, murmelte Harry, als er eine Stunde später aus dem Klassenzimmer humpelte (Moody hatte darauf bestanden, Harry viermal in Folge an seine Grenzen gehen zu lassen, bis er schließlich den Fluch vollkommen abschütteln konnte),»so, wie er redet, sollte man meinen, wir könnten jeden Augenblick angegriffen werden.«
»Ja, ich weiß«, sagte Ron, der immer noch bei jedem zweiten Schritt hüpfte. Er hatte viel mehr Probleme mit dem Fluch gehabt als Harry, doch Moody versicherte ihm, die Wirkung würde bis zum Mittagessen abklingen.»Wenn wir schon beim Verfolgungswahn sind…«, Ron sah nervös über die Schulter, ob Moody auch ja außer Hörweite war, und fuhr fort:»Kein Wunder, daß sie im Ministerium froh waren, ihn loszuwerden. Hast du gehört, wie er Seamus erzählt hat, was er mit dieser Hexe angestellt hat, die am ersten April hinter seinem Rücken ›Buuh‹ gerufen hat? Und wann sollen wir denn alles über den Widerstand gegen den Imperius-Fluch nachlesen, wenn wir ohnehin so viel zu tun haben?«
Allen Viertkläßlern war aufgefallen, daß sie dieses Jahr eine ganze Menge mehr arbeiten mußten. Professor McGonagall erklärte ihnen auch, warum, als die Klasse in Verwandlung mit besonders lautem Stöhnen und Ächzen auf eine neue Ladung Hausaufgaben reagiert hatte.
»Für Sie beginnt jetzt eine besonders wichtige Zeit in Ihrer Ausbildung als Zauberer!«, verkündete sie und die Augen hinter ihren quadratischen Brillengläsern glitzerten gefährlich.»Ihre Prüfungen für die ZAGs stehen bevor -«
»Wir kriegen die ZAGs doch erst im fünften Jahr!«, sagte Dean Thomas entrüstet.
»Das mag sein, Thomas, aber glauben Sie mir, Sie brauchen alle Vorbereitung, die Sie bekommen können! Miss Granger ist bis heute die Einzige in der Klasse, die es schafft, einen Igel in ein gewöhnliches Nadelkissen zu verwandeln. Ich darf Sie daran erinnern, Thomas, daß Ihr Kissen immer noch vor Angst zusammenschrumpft, wenn sich jemand mit einer Nadel nähert!«
Hermine war wieder einmal rosa angelaufen und schien sich zu bemühen, nicht allzu geschmeichelt auszusehen.
Harry und Ron amüsierten sich köstlich, als Professor Trelawney in der nächsten Wahrsagestunde verkündete, sie hätten für ihre Vorhersagen Spitzennoten bekommen. Sielas ausgiebig aus ihren Arbeiten vor und lobte sie für ihren unerschrockenen Blick auf die Schrecken, die ihnen ins Haus standen – weniger erfreut waren sie jedoch, als Professor Trelawney ihnen aufgab, das Gleiche noch einmal für den übernächsten Monat zu machen; allmählich gingen den beiden die Ideen aus.
Unterdessen ließ sie Professor Binns, der Geist, der Geschichte der Zauberei lehrte, jede Woche einen Aufsatz über die Kobold-Aufstände im achtzehnten Jahrhundert schreiben. Professor Snape zwang sie, Gegengifte zu erforschen. Das nahmen sie sehr ernst, denn er deutete an, er könnte ja einen von ihnen noch vor Weihnachten vergiften, um festzustellen, ob das Gegengift wirke. Professor Flitwick verlangte von ihnen, zur Vorbereitung auf den Unterricht über Aufrufe- und Sammelzauber noch drei weitere Bücher nebenher zu lesen.
Selbst Hagrid bürdete ihnen zusätzliche Lasten auf. Die Knallrümpfigen Kröter wuchsen erstaunlich schnell, wenn man bedachte, daß noch keiner herausgefunden hatte, was sie fraßen. Hagrid war es eine Wonne und er schlug»im Rahmen ihres Projekts«vor, sie sollten doch jeden zweiten Abend zu seiner Hütte herunterkommen, um die Kröter zu beobachten und sich Notizen über ihr eigenartiges Verhalten zu machen.
»Ich jedenfalls nicht«, sagte Draco Malfoy lustlos, nachdem Hagrid ihnen diesen Vorschlag mit der Miene eines Weihnachtsmannes gemacht hatte, der ein besonders großes Päckchen aus dem Sack zieht.»Ich seh im Unterricht genug von diesen widerlichen Dingern, danke.«
Hagrids Lächeln erstarb.
»Du tust, was man dir sagt«, knurrte er,»oder ich red mal ein Wörtchen mit Professor Moody… hab gehört, du gibst 'n niedliches Frettchen ab, Malfoy.«
Die Gryffindors lachten schallend. Malfoy errötete vor Zorn, doch offenbar war die Erinnerung an die Bestrafung durch Moody immer noch schmerzhaft genug, um ihm den Mund zu versiegeln. Harry, Ron und Hermine kehrten nach dem Unterricht bestens gelaunt in das Schloß zurück; zu erleben, wie Hagrid Malfoy in die Schranken wies, war eine Genugtuung gewesen, vor allem, da Malfoy sich im letzten Jahr nach Kräften bemüht hatte, Hagrid aus der Schule werfen zu lassen.
In der Eingangshalle gerieten sie in ein dichtes Gewühle von Mitschülern, die sich alle um ein großes Schild drängelten, das am Fuß der Marmortreppe aufgestellt worden war. Ron, der Längste der drei, lugte auf Zehenspitzen stehend über die Köpfe hinweg und las den anderen beiden vor, was auf dem Schild stand.
Trimagisches Turnier
Die Abordnungen aus Beauxbatons und Durmstrang kommen am Freitag, den 30. Oktober, um sechs Uhr nachmittags an. Der Unterricht endet eine halbe Stunde früher.
»Toll!«, sagte Harry.»In der letzten Stunde am Freitag haben wir Zaubertränke! Dann hat Snape wenigstens keine Zeit mehr, uns alle zu vergiften!«
Die Schüler werden gebeten, Taschen und Bücher in die Schlafräume zu bringen und sich vor dem Schloß zu versammeln, um unsere Gäste vor dem Willkommensfest zu begrüßen.
»Nur noch eine Woche!«, sagte Ernie McMillan von den Hufflepuffs, der mit glänzenden Augen aus der Menge auftauchte.»Ob Cedric das schon weiß? Ich glaub, ich geh und sag's ihm…«
»Cedric?«, sagte Ron mit ahnungslosem Gesicht, als Ernie davonrannte.
»Diggory«, sagte Harry.»Er wird sicher am Turnier teilnehmen.«
»Dieser Idiot soll Hogwarts-Champion werden?«, sagte Ron, während sie sich durch die plappernde Menge zur Treppe schoben.
»Er ist kein Idiot, du kannst ihn nur nicht ausstehen, weil er Gryffindor im Quidditch geschlagen hat«, sagte Hermine.»Ich hab gehört, er sei richtig gut im Unterricht – und er ist Vertrauensschüler.«
Sie sprach, als ob die Angelegenheit damit erledigt wäre.
»Du magst ihn doch nur, weil er hübsch ist«, sagte Ron spöttisch.
»Entschuldige mal, ich mag niemanden, nur weil er hübsch ist!«, sagte Hermine entrüstet.
Ron ließ ein falsches Hüsteln hören, das merkwürdigerweise wie»Lockhart!«klang.
Das Schild in der Eingangshalle hatte erstaunliche Wirkung auf die Bewohner des Schlosses. In der folgenden Woche schien es, gleich, wo Harry hinkam, nur ein Thema zu geben: das Trimagische Turnier. Gerüchte flogen von Schüler zu Schüler wie ansteckende Bazillen: Wer würde für Hogwarts ins Rennen gehen, welche Turnieraufgaben warteten auf ihn oder sie, waren die Schüler von Beauxbatons und Durmstrang anders als die von Hogwarts? Harry bemerkte auch, daß im Schloß besonders gründlich geputzt wurde. Mehrere rußüberzogene Gemälde wurden geschrubbt, zum großen Mißvergnügen der Abgebildeten, die in ihren Rahmen kauerten und zusammenzuckten, wenn sie ihre frisch gewaschenen rosa Gesichter berührten. Die Rüstungen glänzten auf einmal und kreischten nicht bei jeder Bewegung, und Argus Filch, der Hausmeister, bekam jedes Mal, wenn jemand vergaß, sich die Schuhe abzuputzen, einen derartigen Wutanfall, daß zwei Mädchen aus der ersten Klasse vor Angst Schreikrämpfe bekamen. Auch die Mitglieder des Lehrkörpers schienen merkwürdig angespannt.
»Longbottom, seien Sie so nett und zeigen Sie den Leuten von Durmstrang ja nicht, daß Sie nicht einmal einen einfachen Verwandlungszauber beherrschen!«, blaffte Professor McGonagall Neville am Ende einer besonders schwierigen Stunde an, während deren er versehentlich seine eigenen Ohren auf einen Kaktus verpflanzt hatte.
Als sie am Morgen des dreißigsten Oktober zum Frühstück hinuntergingen, stellten sie fest, daß die Große Halle über Nacht geschmückt worden war. Riesige seidene Banner hingen an den Wänden, eines für jedes Hogwarts-Haus – ein goldener Löwe auf rotem Grund für Gryffindor, ein bronzener Adler auf Rot für Ravenclaw, ein schwarzer Dachs auf Gelb für Hufflepuff und eine silberne Schlange auf grünem Grund für Slytherin. Hinter dem Lehrertisch prangte auf dem größten Banner das Wappen von Hogwarts: Löwe, Adler, Dachs und Schlange um den großen Buchstaben»H«.
Harry, Ron und Hermine sahen schon vom Eingang aus Fred und George am Gryffindor-Tisch sitzen. Wieder einmal und ganz ungewohnt saßen sie abseits von den anderen und unterhielten sich flüsternd. Ron ging den anderen voraus auf sie zu.
»Es ist ein Reinfall, zugegeben«, sagte George mit trübseliger Miene zu Fred.»Aber wenn er nicht persönlich mit uns sprechen will, müssen wir ihm doch den Brief schicken. Oder wir drücken ihn ihm in die Hand, er kann uns ja nicht ewig aus dem Weg gehen.«
»Wer geht euch aus dem Weg?«, fragte Ron und setzte sich zu ihnen.
»Ich wünschte, du«, sagte Fred, verärgert über die Unterbrechung.
»Was ist ein Reinfall?«, fragte Ron George.
»'nen naseweisen Kerl wie dich als Bruder zu haben«, sagte George.
»Habt ihr beide schon irgendwelche Ideen, was ihr beim Trimagischen Turnier anfangen wollt?«, fragte Harry.»Habt ihr darüber nachgedacht, ob ihr doch noch teilnehmt?«
»Ich hab McGonagall gefragt, wie die Champions ausgewählt werden, aber sie hat nichts verraten«, sagte George erbittert.»Sie meinte nur, ich solle den Mund halten und endlich meinen Waschbären verwandeln.«
»Was das wohl für Aufgaben sein werden?«, sagte Ron nachdenklich.»Harry, ich wette, wir könnten es schaffen, mit gefährlichen Dingen kennen wir uns doch aus…«
»Wer sind die Schiedsrichter?«, fragte Harry.
»Jedenfalls sind die Leiter der teilnehmenden Schulen immer mit in der Jury«, sagte Hermine, und alle drehten sich erstaunt zu ihr um.»Das weiß ich, weil alle drei beim Turnier von 1792 verletzt wurden, als ein Basilisk, den die Champions eigentlich fangen sollten, auf Nahrungssuche ging.«
Es entging ihr nicht, daß alle sie ansahen, und da niemand außer ihr all die Bücher gelesen hatte, sagte sie wie üblich etwas hochnäsig:»Steht alles in der Geschichte von Hogwarts. Natürlich ist dieses Werk nicht ganz zuverlässig. Eine umgeschriebene Geschichte von Hogwarts wäre zutreffender. Oder Eine höchst einseitige und zensierte Geschichte von Hogwarts, welche die häßlicheren Seiten der Schule übertüncht.«
»Worauf willst du raus?«, sagte Ron, während Harry zu wissen glaubte, was jetzt kam.
»Hauselfen!«, sagte Hermine laut und bestätigte Harrys Ahnung.»Nicht ein einziges Mal auf über tausend Seiten erwähnt die Geschichte von Hogwarts, daß wir alle bei der Unterdrückung von hundert Sklaven mitwirken!«
Kopfschüttelnd machte sich Harry über sein Rührei her. Die mangelnde Begeisterung, die er und Ron zeigten, hatte Hermines Eifer, mit dem sie Gerechtigkeit für die Hauselfen erkämpfen wollte, nicht im Mindesten gedämpft. Gewiß, sie beide hatten zwei Sickel für den B.ELFE.R-Anstecker bezahlt, doch nur, um sie zu beschwichtigen. Ihr Geld hatte jedoch nichts genutzt, Hermine war eher noch eifriger geworden und hatte Harry und Ron seither ständig in den Ohren gelegen. Zunächst einmal sollten sie ihre Anstecker auch tragen, dann sollten sie auch andere dazu überreden, und zudem hatte Hermine es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Abend im Gemeinschaftsraum der Gryffindors umherzutingeln, ihre Mitschüler in die Enge zu treiben und mit der Sammelbüchse unter ihren Nasen zu klappern.
»Ihr wißt doch genau, daß eure Bettwäsche gewechselt, eure Feuer angezündet, eure Klassenzimmer geputzt und eure Mahlzeiten gekocht werden von einer Gruppe magischer Geschöpfe, die unbezahlt und versklavt sind?«, pflegte sie mit wütendem Blick zu sagen.
Manche, wie Neville, hatten bezahlt, nur damit Hermine sie nicht mehr finster ansah. Einige schienen oberflächlich interessiert an dem, was sie zu sagen hatte, zögerten jedoch, tatkräftiger für die Bewegung zu arbeiten. Viele hielten das Ganze für einen Scherz.
Ron ließ den Blick zur Decke schweifen, die sie alle in herbstliches Sonnenlicht tauchte, und Fred wandte sich mit enormem Interesse seinem Schinken zu (die Zwillinge hatten sich geweigert, einen B.ELFE.R-Anstecker zu kaufen). George jedoch beugte sich zu Hermine hinüber.
»Hör mal zu, Hermine, bist du jemals unten in den Küchen gewesen?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Hermine schroff,»ich glaube kaum, daß Schüler dort unten was -«
»Aber wir beide schon«, sagte George und deutete auf Fred,»und zwar öfters, um Essen zu klauen. Wir haben sie getroffen, und ich sag dir, sie sind glücklich. Sie glauben, sie haben die besten Jobs der Welt -«
»Weil sie ungebildet sind und eine Gehirnwäsche verpaßt bekamen!«, unterbrach ihn Hermine erhitzt, doch ihre nächsten Worte gingen in dem plötzlichen Rauschen über ihren Köpfen unter, das die Ankunft der Posteulen verkündete. Harry blickte sofort auf und sah Hedwig auf sich zuschweben. Hermine verstummte jäh; sie und Ron verfolgten mit bangem Blick, wie Hedwig sich auf Harrys Schulter niederließ, ihre Flügel einzog und ermattet das Bein ausstreckte.
Harry zog Sirius' Antwort von Hedwigs Bein und bot ihr die Speckschwarten seines Schinkens an, die sie dankbar auffraß. Dann, nachdem er sich mit einem Blick zu Fred und George vergewissert hatte, daß sie erneut im Gespräch über das Trimagische Turnier vertieft waren, las Harry Ron und Hermine im Flüsterton Sirius' Brief vor.
Netter Versuch, Harry,
ich bin wieder im Land und gut versteckt. Ich möchte, daß du mich über alles, was in Hogwarts vor sich geht, per Brief auf dem Laufenden hältst. Nimm nicht mehr Hedwig, wechsle ständig die Eulen und mach dir keine Sorgen um mich, paß nur auf dich selbst auf. Vergiß nicht, was ich über deine Narbe gesagt habe.
Sirius
»Warum sollst du ständig die Eulen wechseln?«, fragte Ron mit gedämpfter Stimme.
»Hedwig zieht zu viel Aufmerksamkeit auf sich«, erwiderte Hermine sofort.»Sie fällt auf. Eine Schnee-Eule, die ständig zu seinem Versteck fliegt… sie ist jedenfalls kein einheimischer Vogel, verstehst du?«
Harry rollte den Brief zusammen und steckte ihn in den Umhang. Ihm war nicht ganz klar, ob er sich jetzt mehr oder weniger Sorgen machen sollte. Daß Sirius es geschafft hatte, zurückzukommen ohne gefaßt zu werden, war immerhin etwas. Außerdem konnte er nicht leugnen, daß es ihn beruhigte, Sirius in seiner Nähe zu wissen; wenigstens würde er jetzt nicht mehr so lange auf eine Antwort warten müssen, wenn er ihm schrieb.
»Danke, Hedwig«, sagte er und streichelte sie. Sie schu-huhte schläfrig, tauchte den Schnabel kürz in seinen Becher mit Orangensaft und flatterte davon, offensichtlich mit dem dringenden Bedürfnis, sich in der Eulerei so richtig auszuschlafen.
An diesem Tag lag eine angenehm erwartungsvolle Stimmung in der Luft. Im Unterricht paßte niemand so recht auf, vielmehr waren alle gespannt auf die abendliche Ankunft der Delegationen aus Beauxbatons und Durmstrang; selbst Zaubertränke war erträglicher als sonst, denn der Unterricht war eine halbe Stunde kürzer. Als es dann früh läutete, rannten Harry, Ron und Hermine nach oben in den Gryffindor-Turm, legten ihre Taschen und Bücher ab, wie man sie geheißen hatte, zogen ihre warmen Umhänge an und eilten dann wieder hinunter in die Eingangshalle.
Die Hauslehrer wiesen ihre Schüler an, sich in Reihen aufzustellen.
»Weasley, richten Sie Ihren Hut gerade«, herrschte Professor McGonagall Ron an.»Miss Patil, nehmen Sie dieses lächerliche Ding da aus den Haaren.«
Parvati sah sie finster an und zog eine große Schmetterlingsspange von ihrer Zopfspitze.
»Folgen Sie mir, bitte«, sagte Professor McGonagall,»die Erstkläßler vorne an… und kein Gedrängel…«
Sie gingen im Gänsemarsch die Vortreppe hinunter und reihten sich vor dem Schloß auf. Es war ein kalter, klarer Abend; die Dämmerung brach an und der Mond, blaß und durchsichtig wirkend, war bereits über dem Verbotenen Wald aufgegangen. Harry, der zwischen Ron und Hermine in der vierten Reihe stand, sah, wie es Dennis Creevey vorn bei den Erstkläßlern vor gespannter Erwartung geradezu schüttelte.
»Fast sechs«, sagte Ron mit einem Blick auf seine Uhr und spähte dann ungeduldig die Auffahrt hinunter, die nach vorn zum Schloßtor führte.»Wie, glaubst du, werden sie kommen? Mit dem Zug?«
»Wohl kaum«, sagte Hermine.
»Wie dann? Auf Besen?«, überlegte Harry und blickte hoch zum sternbedeckten Himmel.
»Glaub ich auch nicht… wenn sie von so weit her kommen…«
»Mit einem Portschlüssel?«, rätselte Ron.»Oder sie könnten apparieren -«
»Du kannst nicht aufs Gelände von Hogwarts apparieren, wie oft soll ich dir das noch sagen?«, flüsterte Hermine unwirsch.
Aufgeregt suchten sie die Ländereien des Schlosses ab, über die jetzt die Nacht hereinbrach, doch nichts rührte sich; alles war friedlich, still und eigentlich wie immer. Harry wurde allmählich kalt. Wenn sie sich nur beeilen würden… vielleicht bereiteten die ausländischen Schüler einen dramatischen Auftritt vor… ihm fiel ein, was Mr Weasley im Zeltlager vor der Quidditch-Weltmeisterschaft gesagt hatte -»Immer dasselbe, wir können es einfach nicht lassen, ein wenig zu prahlen, wenn wir zusammenkommen…«
Und dann rief Dumbledore aus der hinteren Reihe, wo er mit den anderen Lehrern stand -»Aha! Wenn ich mich nicht sehr täusche, nähert sich die Delegation aus Beauxbatons!«
»Dort!«, schrie ein Sechstkläßler und deutete hinüber zum Wald.
Etwas Großes, viel größer als ein Besen – oder auch hundert Besen -, kam in sanften Wellen über den tiefblauen Himmel auf das Schloß zugeflogen.
»Ein Drache!«, kreischte eine Fünftkläßlerin und geriet völlig aus dem Häuschen.
»Blödsinn… es ist ein fliegendes Haus!«, sagte Dennis Creevey.
Dennis war mit seiner Vermutung schon näher dran… Als die gigantische schwarze Gestalt über die Baumspitzen des Verbotenen Waldes strich und ins Licht der Schloßfenster glitt, sahen sie, daß es eine riesige graublaue Kutsche war, groß wie ein stattliches Haus, die auf sie zurauschte, durch die Lüfte gezogen von einem Dutzend geflügelter Pferde, allesamt Palominos, jedoch so groß wie Elefanten.
Die ersten drei Schülerreihen wichen zurück, als die Kutsche sich neigte und mit ungeheurer Geschwindigkeit zum Landen ansetzte – dann, mit einem alles erschütternden Krachen, das Neville rückwärts auf den Fuß eines Slytherin-Fünftkläßlers springen ließ, schlugen die Pferdehufe auf festem Grund auf. Eine Sekunde später landete auch die Kutsche und federte auf ihren riesigen Rädern auf und ab, während die goldenen Pferde ihre riesigen Köpfe zurückwarfen und mit ihren großen feuerroten Augen rollten.
Harry konnte gerade noch erkennen, daß auf der Kutschentür ein Wappen prangte (zwei gekreuzte goldene Zauberstäbe, aus denen jeweils drei Funken stoben), als auch schon die Tür aufging.
Ein Junge in blaßblauem Umhang sprang aus der Kutsche, bückte sich, machte sich einen Moment lang auf dem Kutschboden zu schaffen, zog dann eine ausklappbare goldene Treppe heraus und sprang respektvoll einen Schritt zurück. Harry sah einen hochhackigen, schimmernd schwarzen Schuh aus der Kutsche auftauchen – ein Schuh von der Größe eines Kinderschlittens -, dem sogleich die größte Frau folgte, die er je gesehen hatte. Das erklärte natürlich die Größe der Kutsche und der Pferde. Einigen Umstehenden stockte der Atem.
Harry hatte bisher nur einen Menschen gesehen, der so groß war wie diese Frau, und das war Hagrid; er war sich nicht sicher, ob Hagrid auch nur um einen Zentimeter größer war. Doch irgendwie – vielleicht nur, weil er an Hagrid gewöhnt war – schien diese Frau (die sich jetzt am Fuß der Treppe zu der mit aufgerissenen Augen wartenden Menge umsah) von noch unnatürlicherer Größe zu sein. Als sie in das Licht trat, das aus der Eingangshalle flutete, zeigte sich, daß sie ein hübsches, olivfarbenes Gesicht hatte, große, schwarze, feucht schimmernde Augen und eine schnabelähnliche Nase. Ihr Haar war im Nacken zu einem glänzenden Knoten zusammengebunden. Sie war von Kopf bis Fuß in schwarzen Satin gekleidet und an Hals und Händen glitzerten viel prächtige Opale.
Dumbledore fing an zu klatschen; ihm folgend brachen auch die Schüler in Applaus aus, und viele stellten sich auf die Zehenspitzen, um diese Frau besser sehen zu können.
Die Anspannung in ihrem Gesicht wich einem dankbaren Lächeln und sie schritt auf Dumbledore zu und streckte ihm ihre funkelnde Hand entgegen. Dumbledore, der selbst nicht gerade klein war, mußte sich ein wenig recken, um sie zu küssen.
»Meine liebe Madame Maxime«, sagte er.»Willkommen in Hogwarts.«
»Dumblydorr«, sagte Madame Maxime mit tiefer Stimme.»Isch 'offe, Sie befinden sisch wohl?«
»In exzellenter Verfassung, danke, Madame«, sagte Dumbledore.
»Meine Schüler«, sagte Madame Maxime und wies mit ihrer riesigen Hand lässig nach hinten.
Harry, der wie gebannt auf Madame Maxime gestarrt hatte, sah jetzt, daß etwa ein Dutzend Jungen und Mädchen – offenbar alle ältere Teenager – aus der Kutsche geklettert waren und sich nun hinter Madame Maxime aufstellten. Sie bibberten, was angesichts ihrer feinseidenen Umhänge nicht überraschte. Einen Reiseumhang trug keiner von ihnen, ein paar jedoch hatten Tücher und Schals um die Köpfe geschlungen. Nach dem, was Harry von ihren Gesichtern erkennen konnte (sie standen im mächtigen Schatten Madame Maximes), sahen sie mit bangem Blick hinauf nach Hogwarts.
»Ist Karkaroff schon angekommen?«, fragte Madame Maxime.
»Er sollte jeden Moment eintreffen«, sagte Dumbledore.»Möchten Sie vielleicht hier warten und ihn begrüßen oder würden Sie lieber hineingehen und sich ein wenig aufwärmen?«
»Aufwärmen, würde isch sagen«, sagte Madame Maxime.»Aber die 'ferde -«
»Unser Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe wird sich mit Vergnügen um sie kümmern«, sagte Dumbledore,»sobald er sich von einem kleinen Notfall lösen kann, der sich bei einem seiner – ähm – anderen Schützlinge eingestellt hat.«
»Kröter«, murmelte Ron Harry ins Ohr und fing an zu grinsen.
»Meine Rosse verlangen – ahm – eine 'arte 'and«, sagte Madame Maxime mit einer Miene, als bezweifelte sie, daß der zuständige Lehrer in Hogwarts der richtige Mann dafür sei.»Sie sind serr stark…«
»Ich versichere Ihnen, daß Hagrid dieser Aufgabe vollkommen gewachsen ist«, sagte Dumbledore lächelnd.
»Serr gutt«, sagte Madame Maxime mit einer leichten Verbeugung,»würden Sie bitte diesem 'Agrid mitteilen, daß die 'ferde nur Single Malt Whisky saufen?«
»Dafür wird selbstverständlich gesorgt, Madame«, sagte Dumbledore ebenfalls mit einer Verbeugung.
»Kommt«, sagte Madame Maxime gebieterisch zu ihren Schülern, und das versammelte Hogwarts teilte sich, um ihr und ihrem Gefolge einen Weg die steinerne Treppe hinauf zu öffnen.
»Wie groß, glaubt ihr, werden die Pferde von Durmstrang sein?«, sagte Seamus Finnigan, der sich um Lavender und Parvati herumbeugte und Harry und Ron ansah.
»Tja, wenn sie noch größer sind als die hier, kann selbst Hagrid sie nicht mehr im Zaum halten«, sagte Harry.»Womöglich haben ihn die Kröter inzwischen schon verspeist. Was dahinten wohl los ist?«
»Vielleicht sind sie abgehauen«, sagte Ron hoffnungsvoll.
»Sag bloß nicht so was«, sagte Hermine schaudernd.»Stell dir vor, dieses Gekröse krabbelt auf den Ländereien rum…«
Sie standen jetzt bibbernd da und warteten auf die Ankunft der Schüler aus Durmstrang. Die meisten ließen die Blicke hoffnungsvoll über den Himmel schweifen. Ein paar Minuten lang wurde die Stille nur durch das Schnauben und Stampfen von Madame Maximes Pferden unterbrochen. Doch dann -»Kannst du was hören?«, sagte Ron plötzlich.
Harry lauschte; ein lautes, ganz und gar unvertrautes, schauriges Geräusch kam aus der Dunkelheit; ein gedämpftes Pochen und ein Saugen, als ob ein riesiger Staubsauger ein Flußbett entlangrauschte…
»Der See!«, rief Lee Jordan und deutete hinüber aufs Wasser.»Seht euch den See an!«
Dort, wo sie standen, oben auf der begrünten Anhöhe mit Blick über die Ländereien, konnten sie die glatte schwarze Wasseroberfläche gut sehen – nur daß diese Oberfläche plötzlich nicht mehr glatt war. Tief unten in der Mitte des Sees mußte sich etwas regen; große Blaseri drangen nach oben, Wellen spülten über die sumpfigen Uferbänke – und dann bildete sich mitten im See ein gewaltiger Strudel, als wäre soeben ein riesiger Stöpsel aus dem Seegrund gezogen worden…
Etwas wie ein langer schwarzer Pfahl begann nun langsam aus dem Herzen des Strudels emporzusteigen… und dann sah Harry die Takelage…
»Es ist ein Mast!«, sagte er zu Ron und Hermine.
Langsam und majestätisch erhob sich das Schiff aus dem Wasser und schimmerte im Mondlicht. Es hatte etwas merkwürdig Gerippehaftes an sich, als wäre es ein geborgenes Wrack, und die trüben, verschwommenen Lichter, die aus seinen Bullaugen schimmerten, sahen aus wie Geisteraugen.
Endlich, mit einem gewaltigen Schmatzen und Schwappen, tauchte das Schiff zur Gänze auf, tänzelte über das aufgewühlte Wasser und glitt auf das Ufer zu.
Nun gingen Leute von Bord; ihre Umrisse waren vor den Lichtern der Bullaugen zu sehen. Sie alle, fiel Harry auf, schienen ungefähr die Statur von Crabbe und Goyle zu haben… doch dann, als sie den Hang herauf näher kamen und das Licht der Eingangshalle auf sie fiel, sah er, daß ihre Gestalten deshalb so massig wirkten, weil sie Mäntel aus einer Art zottigem, verfilztem Pelz trugen. Doch der Mann, der sie hoch zum Schloß führte, trug einen ganz anderen Pelz: seidig und glänzend wie sein Haar.
»Dumbledore!«, rief er mit Inbrunst, als er die Anhöhe erreicht hatte,»wie geht's Ihnen, altes Haus, wie geht's?«
»Glänzend, danke, Professor Karkaroff«, erwiderte Dumbledore.
Karkaroff hatte eine sonore, ölige Stimme; als er in das Licht trat, das aus dem Schloßportal fiel, sahen sie, daß er groß und schlank war wie Dumbledore, doch sein weißes Haar war kurz und sein Spitzbart (der in einem kleinen Gekräusel endete) konnte sein fliehendes Kinn nicht ganz verbergen. Er ging auf Dumbledore zu und streckte ihm beide Hände entgegen.
»Das gute alte Hogwarts«, sagte er und sah lächelnd hoch zum Schloß; seine Zähne waren ziemlich gelb und Harry fiel auf, daß sein Lächeln sich nicht auf seine Augen erstreckte, deren Blick kalt und scharf blieb.»Wie schön, wieder hier zu sein, wie schön… Viktor, komm rein in die Wärme… Sie haben nichts dagegen, Dumbledore? Viktor hat einen leichten Schnupfen…«
Karkaroff winkte einem seiner Schüler. Als der Junge vorbeiging, erhaschte Harry einen Blick auf eine markante Adlernase und dichte schwarze Brauen. Er brauchte nicht erst Ron, der ihm einen Schlag auf den Arm versetzte, oder das Zischen in seinem Ohr, um dieses Profil zu erkennen.
»Harry – das ist Krum!«