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Die Slytherins brüllten vor Lachen. Nun drückten auch die anderen auf ihre Anstecker und schließlich leuchtete im ganzen Umkreis die Botschaft POTTER STINKT. Harry spürte, wie Hitze in ihm aufwallte und in Hals und Gesicht stieg.
»Unglaublich witzig«, sagte Hermine trocken zu Pansy Parkinson und ihrer Bande Slytherin-Mädchen, die sich besonders amüsierten,»wirklich sehr einfallsreich.«
Ron stand mit Dean und Seamus an der Wand. Er lachte nicht, doch er sprang Harry auch nicht bei.
»Willst du einen, Granger?«, sagte Malfoy und hielt ihr einen Anstecker hin.»Ich hab sie kistenweise. Aber berühr bloß nicht meine Hand. Ich hab sie gerade gewaschen und ich will nicht, daß eine Schlammblüterin sie einschleimt.«
Es war, als ob der Zorn, den Harry nun seit Tagen mit sich herumtrug, einen Damm in seiner Brust durchbrach. Er hatte seinen Zauberstab in der Hand, bevor er recht wußte, was er tat. Einige Umstehende stürzten sofort in den Kellergang davon.
»Harry!«, warnte ihn Hermine.
»Jetzt mach schon, Potter«, sagte Malfoy leise und zog ebenfalls seinen Zauberstab.»Moody ist nicht hier, um dich auf den Schoß zu nehmen – tu's doch, wenn du den Mumm dazu hast -«
Den Bruchteil einer Sekunde lang sahen sie sich in die Augen, und dann, in genau demselben Moment, griffen sie an.
»Furnunculus!«, rief Harry.
»Densaugeo!«, schrie Malfoy.
Lichtblitze schössen aus beiden Zauberstäben, trafen sich in der Luft und schleuderten sich aus der Bahn – Harrys Blitzstrahl traf Goyle im Gesicht, der Malfoys traf Hermine. Goyle jaulte auf und schlug die Hände auf seine Nase, wo große, häßliche Blasen aufquollen – Hermine, panisch wimmernd, preßte die Hände auf den Mund.
»Hermine!«Ron stürmte herbei, um zu sehen, was ihr passiert war.
Harry wandte sich um und sah, wie Ron Hermines Hände von ihrem Gesicht zog. Es war kein schöner Anblick. Hermines Vorderzähne – ohnehin schon überdurchschnittlich lang – wuchsen mit alarmierender Geschwindigkeit; mehr und mehr nahm sie das Aussehen eines Bibers an und ihre Zähne wuchsen weiter, über ihre Unterlippe hinaus, auf ihr Kinn zu – in ihrer Panik tastete sie danach und schrie von Grauen gepackt auf.
»Was soll dieser Krach hier?«, sagte eine leise, eiskalte Stimme. Snape war gekommen.
Die Slytherins redeten laut durcheinander, um ihre Sicht der Dinge loszuwerden. Snape deutete mit einem langen gelben Finger auf Malfoy und sagte:»Erkläre.«
»Potter hat mich angegriffen, Sir -«
»Wir haben uns gleichzeitig angegriffen!«, rief Harry.
»- und er hat Goyle getroffen – sehen Sie -«
Snape musterte Goyles Gesicht, das nun nach etwas aussah, das in ein Buch über Giftpilze gehörte.
»Krankenflügel, Goyle«, sagte Snape ruhig.
»Malfoy hat Hermine getroffen!«, sagte Ron.»Sehen Sie!«
Er zwang Hermine, Snape ihre Zähne zu zeigen – sie tat ihr Bestes, um sie mit den Händen zu verbergen, was jedoch schwierig war, denn jetzt waren sie schon an ihrem Kragen vorbeigewachsen. Pansy Parkinson und die anderen Slytherin-Mädchen waren hinter Snapes Rücken in die Hocke gegangen, kicherten verdruckst und deuteten mit den Fingern auf Hermine.
Snape sah Hermine kalt an, dann sagte er:»Ich sehe keinen Unterschied.«
Hermine ließ ein Wimmern hören; ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie drehte sich auf den Fersen um und rannte, rannte in den Kellergang hinein und verschwand.
Vielleicht war es ein Glück, daß Harry und Ron gleichzeitig begannen Snape anzuschreien; ein Glück, daß ihr Geschrei an den steinernen Kellerwänden widerhallte, denn aus dem lauten Stimmengewirr konnte Snape nicht genau heraushören, als was sie ihn alles beschimpften. Das Wesentliche allerdings bekam er mit.
»Schauen wir mal«, sagte er, ölig wie noch nie.»Fünfzig Punkte Abzug für Gryffindor und Nachsitzen für Potter und Weasley. Jetzt aber rein oder ihr bleibt eine Woche im Keller.«
In Harrys Ohren rauschte es. So ungerecht war das alles, daß er Snape am liebsten in tausend schleimige Stücke zerflucht hätte. Er ging an Snape vorbei und an Rons Seite in den hinteren Teil des Kerkers, wo er seine Tasche auf einen Tisch knallte. Auch Ron bebte vor Zorn – einen Moment lang hatte Harry das Gefühl, alles sei wieder wie früher, doch dann wandte sich Ron ab, ließ ihn allein am Tisch zurück und setzte sich zu Dean und Seamus. Vorn in der ersten Reihe drehte Malfoy Snape den Rücken zu, grinste und drückte auf seinen Anstecker. POTTER STINKT flammte durch den Kerker.
Harry saß da und starrte Snape an, der zu reden begonnen hatte, und er stellte sich vor, daß Snape schreckliche Dinge zustießen… wenn er nur wüßte, wie dieser Cruciatus-Fluch funktionierte… er würde Snape flach auf den Rücken legen wie diese Spinne und zucken und zappeln lassen…
»Gegengifte!«, sagte Snape und sah sie mit bedrohlich funkelnden kalten schwarzen Augen an.»Ihr solltet inzwischen eure Rezepte vorbereitet haben. Ihr werdet jetzt mit aller Sorgfalt eure Tinkturen zubereiten, und dann werden wir jemanden aussuchen, an dem wir eine davon ausprobieren…«
Snape suchte Harrys Blick, und Harry wußte genau, was ihm bevorstand. Snape würde ihn vergiften. Harry sah sich schon seinen Kessel packen, nach vorn spurten und ihn über Snapes fettigen Kopf stülpen -
Und dann riß ihn ein Klopfen an der Tür aus den Gedanken.
Es war Colin Creevey; er streckte den Kopf durch den Türspalt, strahlte in Harrys Richtung und ging nach vorn zu Snapes Tisch.
»Ja?«, sagte Snape schroff.
»Bitte, Sir, ich soll Harry Potter nach oben bringen.«
Snape sah an seiner Hakennase entlang hinunter auf Colin, dem das Lächeln auf dem begeisterten Gesicht sofort gefror.
»Potter hat hier noch eine Stunde Zaubertränke abzusitzen«, sagte Snape kalt.»Er wird nach oben kommen, wenn der Unterricht zu Ende ist.«
Colin lief rosa an.
»Sir – Sir, Mr Bagman will ihn sprechen«, sagte er aufgeregt.»Alle Champions müssen kommen, ich glaube, sie wollen Fotos von ihnen machen…«
Harry hätte alles gegeben, was er besaß, wenn Colin nur nicht die letzten Worte ausgesprochen hätte. Aus den Augenwinkeln sah er zu Ron hinüber, doch Ron starrte verbissen an die Decke.
»Von mir aus«, fauchte Snape.»Potter, laß deine Sachen hier, du kommst so schnell wie möglich zurück, ich will dein Gegengift testen.«
»Bitte, Sir, er muß seine Sachen mitnehmen«, piepste Colin.»Alle Champions -«
»Schon gut!«, blaffte Snape.»Potter, nimm deine Tasche und verschwinde hier!«
Harry warf sich die Tasche über die Schulter, stand auf und ging eilig auf die Tür zu. Als er zwischen den Tischen der Slytherins hindurchging, blinkte ihn von allen Seiten POTTER STINKT an.
»Ist das nicht toll, Harry?«, sagte Colin, kaum hatte Harry die Kerkertür hinter sich geschlossen.»Oder, Harry? Daß du Champion bist!«
»Ja, echt toll«, sagte Harry matt, während sie die Stufen zur Eingangshalle hochgingen.»Wozu brauchen sie Fotos, Colin?«
»Für den Tagespropheten, glaub ich!«
»Großartig«, sagte Harry lahm.»Genau das, was mir fehlt. Noch mehr Rummel.«
»Viel Glück!«, sagte Colin, als sie vor dem Raum standen. Harry klopfte und trat ein.
Es war ein recht kleines Klassenzimmer; die meisten Tische waren nach hinten an die Wand gerückt worden, um in der Mitte viel Platz zu schaffen; drei Tische jedoch waren längs der Tafel aufgestellt und mit einem langen samtenen Tuch bedeckt. Fünf Stühle standen hinter diesen Tischen und auf einem davon saß Ludo Bagman und unterhielt sich mit einer Hexe in magentarotem Umhang. Harry hatte sie noch nie gesehen. Viktor Krum stand wie immer mißgelaunt in einer Ecke und sprach mit niemandem. Cedric und Fleur unterhielten sich. Fleur sah um einiges glücklicher aus, als Harry sie bisher gesehen hatte; immer wieder, wenn sie den Kopf zurückwarf, leuchtete ihr langes Silberhaar im Licht auf. Ein dickbauchiger Mann mit einer großen schwarzen Kamera in der Hand, aus der es ein wenig rauchte, beobachtete Fleur aus den Augenwinkeln.
Bagman, der plötzlich bemerkt hatte, daß Harry eingetreten war, sprang auf und kam beschwingt auf ihn zu.»Aah, da ist er ja! Unser Champion Nummer vier! Komm herein, Harry, immer rein mit dir… keine Sorge, es geht nur um die Eichung der Zauberstäbe, die anderen Schiedsrichter werden gleich da sein -«
»Eichung der Zauberstäbe?«, fragte Harry nervös.
»Wir müssen prüfen, ob eure Zauberstäbe in Ordnung sind und keine Probleme machen, da sie doch die wichtigsten Werkzeuge für die kommenden Aufgaben sind«, sagte Bagman.»Der Fachmann ist gerade oben bei Dumbledore. Und dann gibt es noch einen kleinen Fototermin. Darf ich vorstellen, Rita Kimmkorn«, fügte er hinzu und wies auf die Hexe mit dem magentaroten Umhang,»sie schreibt für den Tagespropheten einen kleinen Artikel über das Turnier…«
»Vielleicht nicht ganz so klein, Ludo«, sagte Rita Kimmkorn, die Augen auf Harry gerichtet.
Sie hatte eine kunstvolle und auffällig steife Lockenfrisur, die überhaupt nicht zu ihrem schwerkiefrigen Gesicht passen wollte, und trug eine juwelenbesetzte Brille. Ihre dicken Finger, die den Griff einer Krokodillederhandtasche umklammerten, endeten in fünf Zentimeter langen, karmesinrot lackierten Fingernägeln.
»Wäre es vielleicht möglich, daß ich rasch ein Wort mit Harry wechsle, bevor wir anfangen?«, fragte sie Bagman, ohne den Blick von Harry abzuwenden.»Der jüngste Champion, Sie wissen schon… damit das Ganze ein wenig Pep kriegt?«
»Natürlich!«, rief Bagman.»Das heißt – wenn Harry keine Einwände hat?«
»Ähm -«, sagte Harry.
»Wunderbar«, sagte Rita Kimmkorn, und schon hatten ihre knallroten Krallenfinger Harry überraschend fest am Oberarm gepackt. Sie bugsierte ihn hinaus auf den Gang und öffnete eine Tür nebenan.
»Dort drin ist es doch viel zu laut für uns«, sagte sie.»Sehen wir mal… ah ja, hier ist es nett und gemütlich.«
Es war ein Besenschrank. Harry starrte sie an.
»Komm mit, mein Lieber – so ist es recht – wunderbar«, sagte Rita Kimmkorn, ließ sich vorsichtig auf einem umgekippten Eimer nieder, drückte Harry hinunter auf einen Pappkarton und schloß die Tür. Es war stockdunkel.»Wollen mal sehen…«
Sie ließ ihre Krokodillederhandtasche aufschnappen und zog eine Hand voll Kerzen heraus, die sie mit einem Schlenker ihres Zauberstabs entzündete und in der Luft schweben ließ, so daß sie sehen konnten, was sie taten.
»Du hast doch nichts dagegen, Harry, wenn ich eine Flotte-Schreibe-Feder benutze? Dann kann ich in aller Ruhe mit dir reden…«
»Eine was?«
Rita Kimmkorns Lächeln wurde immer breiter. Harry zählte drei Goldzähne. Sie steckte die Hand erneut in die Krokodilledertasche und zog eine lange giftgrüne Feder und eine Rolle Pergament hervor, die sie auf einer Lattenkiste mit Mrs Skowers Magischem Allzweckreiniger zwischen ihr und Harry ausrollte. Sie nahm die Spitze der grünen Feder in den Mund, saugte kurz mit offensichtlichem Genuß daran, dann stellte sie die Feder senkrecht auf das Pergament, wo sie zitternd auf der Spitze stehen blieb.
»Probe… mein Name ist Rita Kimmkorn, Reporterin des Tagespropheten.«
Harry sah rasch hinunter auf die Feder. Kaum hatte Rita Kimmkorn den Mund zugemacht, begann die grüne Feder schwungvoll über das Pergament zu fliegen:
Die attraktive Rita Kimmkorn (43), deren feurige Feder manch einen aufgeblähten Ruf durchlöchert hat -
»Wunderbar«, sagte Rita Kimmkorn erneut, riß das beschriebene Stück Pergament ab, zerknüllte es und steckte es in ihre Handtasche. Dann beugte sie sich zu Harry hinüber und sagte:»Nun, Harry… warum hast du dich entschlossen, am Trimagischen Turnier teilzunehmen?«
»Ähm -«, sagte Harry, doch die Feder lenkte ihn ab. Obwohl er gar nichts sagte, flitzte sie über das Pergament und hinterließ als Spur einen frischen Satz:
Eine häßliche Narbe, Erinnerung an seine tragische Vergangenheit, entstellt den ansonsten durchaus reizenden Harry Potter, dessen Augen -
»Achte nicht auf die Feder, Harry«, sagte Rita Kimmkorn gebieterisch. Zögernd sah Harry zu ihr auf.»Nun – warum hast du beschlossen, am Turnier teilzunehmen, Harry?«
»Das hab ich nicht«, sagte Harry.»Ich weiß nicht, wie mein Name in den Feuerkelch geraten ist. Ich hab ihn jedenfalls nicht eingeworfen.«
Rita Kimmkorn hob eine mit kräftigem Stift nachgezogene Augenbraue.»Komm schon, Harry, du brauchst keine Angst zu haben, daß du Schwierigkeiten bekommst. Wir wissen alle, daß du dich eigentlich gar nicht hättest bewerben dürfen. Aber mach dir darüber keine Gedanken. Unsere Leser stehen auf Rebellen.«
»Aber ich habe mich wirklich nicht beworben«, wiederholte Harry.»Ich weiß nicht, wer -«
»Welches Gefühl hast du, wenn du an die kommenden Aufgaben denkst?«, fragte Rita Kimmkorn.»Bist du aufgeregt? Nervös?«
»Im Grunde hab ich noch nicht darüber nachgedacht… Jaah, nervös vielleicht schon«, sagte Harry. Sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, während er sprach.
»Es sind schon Champions gestorben!«, sagte Rita Kimmkorn munter.»Hast du überhaupt schon daran gedacht?«
»Na ja… sie sagen, es sei dieses Jahr viel sicherer«, sagte Harry.
Die Feder sauste über das Pergament zwischen ihnen, vor und zurück, als würde sie Schlittschuh laufen.
»Natürlich hast du dem Tod schon einmal ins Angesicht geblickt, nicht?«, sagte Rita Kimmkorn und musterte ihn scharf.»Wie, würdest du sagen, hat dich das persönlich betroffen gemacht?«
»Ähm«, sagte Harry noch einmal.
»Glaubst du, daß dich das Trauma deiner Kindheit dazu führt, dich immer von neuem beweisen zu wollen? Deinem Namen alle Ehre zu machen? Bist du vielleicht der Versuchung erlegen, am Trimagischen Turnier teilzunehmen, weil -«
»Ich hab mich nicht beworben!«, sagte Harry und spürte, wie Zorn in ihm hochkochte.
»Kannst du dich überhaupt an deine Eltern erinnern?«, fragte Rita Kimmkorn, ohne auf ihn einzugehen.
»Nein«, sagte Harry.
»Wie, glaubst du, würden deine Eltern sich fühlen, wenn sie wüßten, daß du am Trimagischen Turnier teilnimmst? Stolz? Besorgt? Wütend?«
Jetzt ging sie Harry entschieden auf die Nerven. Woher um Himmels willen sollte er wissen, wie sich seine Eltern fühlen würden, wenn sie noch lebten? Er spürte, daß ihn Rita Kimmkorn scharf beobachtete. Er runzelte die Stirn, mied ihren Blick und sah hinunter auf das, was die Feder gerade geschrieben hatte:
Tränen erfüllen diese verblüffend grünen Augen, sobald unser Gespräch sich den Eltern zuwendet, an die er sich kaum noch erinnern kann.
»Ich habe KEINE Tränen in den Augen!«, sagte Harry laut.
Bevor Rita Kimmkorn ein Wort sagen konnte, ging die Tür des Besenschranks auf. Harry drehte sich um und blinzelte gegen das helle Licht. Draußen stand Albus Dumbledore und sah hinunter auf sie beide, wie sie da im Besenschrank eingepfercht saßen.
»Dumbledore!«, rief Rita Kimmkorn, allem Anschein nach höchst erfreut – doch Harry bemerkte, daß Feder und Pergament auf einmal von der Kiste mit dem Magischen Allzweckreiniger verschwunden waren und Ritas Klauenfinger den Verschluß ihrer Krokodilledertasche hastig zuklicken ließen.»Wie geht es Ihnen?«, sagte sie, stand auf und streckte Dumbledore eine ihrer großen, männlichen Hände entgegen.»Ich hoffe, Sie haben im Sommer meinen Artikel über die Konferenz der Internationalen Zauberervereinigung gelesen?«
»Bezaubernd gehässig«, sagte Dumbledore mit funkelnden Augen.»Besonders gefallen hat mir Ihre Beschreibung meiner Person als eines in die Jahre gekommenen, altmodischen Narren.«
Rita Kimmkorn schien es nicht im Entferntesten peinlich zu sein.»Ich wollte eigentlich nur sagen, daß manche Ihrer Vorstellungen ein wenig veraltet sind, Dumbledore, und daß viele Zauberer, die man so auf der Straße trifft -«
»Mit Vergnügen würde ich mir die Gründe für diese Gemeinheit anhören, Rita«, sagte Dumbledore lächelnd und verbeugte sich höflich,»aber ich fürchte, wir müssen diese Dinge auf später verschieben. Die Eichung beginnt gleich, und wir können nicht anfangen, solange einer der Champions in einem Besenschrank versteckt ist.«
Erleichtert, endlich von Rita Kimmkorn loszukommen, ging Harry eilig zurück in das Klassenzimmer. Die anderen Champions hatten inzwischen auf Stühlen in der Nähe der Tür Platz genommen und er setzte sich rasch neben Cedric. Drüben an den samtbedeckten Tischen saßen jetzt vier der fünf Richter – Professor Karkaroff, Madame Maxime, Mr Crouch und Ludo Bagman. Rita Kimmkorn ließ sich in einer Ecke nieder; Harry sah, wie sie das Pergament hastig wieder aus der Tasche holte, es auf ihren Knien ausbreitete, an der Spitze der Flotte-Schreibe-Feder nuckelte und sie dann auf das Pergament stellte.
»Darf ich Ihnen Mr Ollivander vorstellen?«, wandte sich Dumbledore an die Champions, als er seinen Platz am Schiedsrichtertisch einnahm.»Er wird Ihre Zauberstäbe prüfen, um sicherzustellen, daß sie vor dem Turnier in gutem Zustand sind.«
Harry wandte den Blick und zuckte überrascht zusammen, als er einen alten Zauberer mit großen, blassen Augen schweigend am Fenster stehen sah. Er hatte Mr Ollivander schon einmal getroffen – er war der Zauberstabmacher aus der Winkelgasse, bei dem Harry vor über drei Jahren seinen Zauberstab gekauft hatte.
»Mademoiselle Delacour, dürfen wir Sie als Erste nach vorn bitten?«, sagte Mr Ollivander und schritt auf den freien Platz in der Mitte des Zimmers zu.
Fleur Delacour schwebte hinüber zu Mr Ollivander und reichte ihm ihren Zauberstab.
»Hmmm…«, sagte er.
Er wirbelte den Zauberstab durch die Finger wie einen Taktstock und ein paar rosa und goldene Funken sprühten aus seiner Spitze hervor. Dann hob er ihn dicht an die Augen und untersuchte ihn sorgfältig.
»Ja«, sagte er leise,»neuneinhalb Zoll… unbiegsam… Rosenholz… und er enthält… meine Güte…«
»Ein 'aar vom Kopf einer Veela«, sagte Fleur.»Eine meiner Großmütter.«
Also war Fleur doch eine Art Veela, dachte Harry und nahm sich fest vor, es gleich nachher Ron zu erzählen… dann fiel ihm ein, daß Ron ja nicht mehr mit ihm sprach.
»Ja«, sagte Mr Ollivander,»ja, ich persönlich habe natürlich nie Veela-Haare verwendet. Ich finde, das ergibt doch recht eigenwillige Zauberstäbe… nun, für jeden gibt's den richtigen, und wenn er zu Ihnen paßt…«
Mr Ollivander fuhr mit dem Finger über den Zauberstab, offenbar auf der Suche nach Kratzern oder Höckern; dann murmelte er»Orchideus!«und ein Strauß Blumen brach aus der Stabspitze hervor.
»Sehr schön, sehr schön, zum Arbeiten völlig geeignet«, sagte Mr Ollivander, bündelte die Blumen zu einem Strauß und überreichte ihn Fleur zusammen mit ihrem Zauberstab.»Mr Diggory, Sie sind dran.«
Fleur schwebte zu ihrem Platz zurück, nicht ohne Cedric im Vorbeigehen ein Lächeln zu schenken.
»Ah, das ist einer von mir, nicht wahr?«, sagte Mr Ollivander mit deutlich größerer Begeisterung, als ihm Cedric den Zauberstab reichte.»Ja, ich erinnere mich noch gut daran. Er enthält ein einziges Schwanzhaar eines besonders gut gewachsenen Einhorns… muß an die siebzehn Handbreit lang gewesen sein; hat mich mit seinem Horn fast noch aufgespießt, nachdem ich an seinem Schwanz gezupft hatte. Zwölfeinviertel Zoll… Esche… federt ganz hübsch. Ist ja in bestem Zustand… du pflegst ihn regelmäßig?«
»Hab ihn gestern Abend noch poliert«, sagte Cedric grinsend.
Harry sah auf seinen eigenen Zauberstab hinab. Überall waren Fingerabdrücke zu sehen. Er hob den Saum seines Umhangs vom Knie, ballte ihn zusammen und versuchte den Zauberstab möglichst unauffällig zu putzen. Einige Goldfunken schössen aus seiner Spitze hervor. Fleur Delacour versetzte ihm einen recht mitleidigen Blick und daraufhin ließ er es bleiben.
Mr Ollivander ließ einen Strom silberner Rauchringe aus der Spitze von Cedrics Zauberstab durchs Zimmer schweben, erklärte sich zufrieden und sagte dann:»Mr Krum, wenn ich bitten darf.«
Viktor Krum stand auf und schlurfte plattfüßig und mit hängenden Schultern zu Mr Ollivander hinüber. Er riß seinen Zauberstab hervor, steckte die Hände in die Taschen und wartete mit finsterem Blick.
»Hmm«, sagte Mr Ollivander,»das ist doch einer von Gregorowitsch, wenn ich mich nicht irre? Ein guter Zauberstabmacher, auch wenn mir die Gestaltung nicht immer ganz… allerdings…«
Er hob den Zauberstab an die Augen und drehte ihn einige Male mit prüfendem Blick.
»Ja… Weißbuche und Drachenherzfaser?«, sagte er dann plötzlich, und Krum nickte.»Doch um einiges dicker, als man ihn sonst zu sehen bekommt… recht steif… zehnein-viertel Zoll… Avis!«
Der Weißbuchenstab knallte wie ein Gewehr, und ein paar kleine Vögel flogen zwitschernd aus seiner Spitze hervor und durch das offene Fenster hinauf in den wolkenverhangenen Himmel.
»Gut«, sagte Mr Ollivander und gab Krum den Zauberstab zurück.»Jetzt bleibt nur noch… Mr Potter.«
Harry stand auf und ging an Krum vorbei zu Mr Ollivander. Er reichte ihm seinen Zauberstab.
»Aaaah, ja«, sagte Mr Ollivander, und seine blassen Augen begannen plötzlich zu leuchten.»Ja, ja, ja. Wie gut ich mich noch erinnere.«
Auch Harry erinnerte sich noch. Er sah es vor sich, als wäre es gestern gewesen…
Vor vier Sommern, an seinem elften Geburtstag, war er zusammen mit Hagrid in Mr Ollivanders Laden gekommen, um einen Zauberstab zu kaufen. Mr Ollivander hatte seine Maße genommen und ihm dann einige Zauberstäbe zum Ausprobieren gegeben. Harry hatte, wie es ihm vorkam, jeden einzelnen Zauberstab im Laden geschwungen, bis er endlich den gefunden hatte, der zu ihm paßte – dieser hier, der aus dem Holz einer Stechpalme gefertigt war und eine einzige Feder vom Schwanz eines Phönix enthielt. Mr Ollivander war sehr überrascht gewesen, daß Harry so gut zu diesem Zauberstab paßte.»Sehr seltsam«, hatte er gesagt,»… seltsam«, und erst als Harry fragte, was denn so seltsam sei, hatte Mr Ollivander erklärt, daß die Phönixfeder vom selben Vogel stammte, von dem auch die Feder des Zauberstabs von Lord Voldemort kam.
Harry hatte dieses Wissen nie mit jemandem geteilt. Ihm gefiel sein Zauberstab sehr gut, und was ihn anging, war seine Beziehung zu Lord Voldemorts Zauberstab etwas, für das er nichts konnte – genauso, wie er nichts für seine Verwandtschaft mit Tante Petunia konnte. Allerdings hoffte er inständig, daß Mr Ollivander nicht gleich allen verkünden würde, was es mit dem Zauberstab auf sich hatte. Er hatte das komische Gefühl, Rita Kimmkorns Flotte-SchreibeFeder würde sich dann vor Begeisterung geradezu selbst zerfleddern.
Mr Ollivander wendete für Harrys Zauberstab viel mehr Zeit auf als für die anderen. Schließlich jedoch ließ er eine Weinfontäne daraus hervorsprudeln und gab ihn Harry mit der Bemerkung zurück, er sei immer noch in tadellosem Zustand.
»Ich danke allen«, sagte Dumbledore am Richtertisch und erhob sich.»Sie können jetzt wieder in den Unterricht zurück – oder vielleicht wäre es besser, wenn Sie gleich runter zum Essen gehen, da es ohnehin bald Zeit ist -«
Harry, der das Gefühl hatte, daß heute wenigstens einmal etwas gut gelaufen war, erhob sich und wollte gerade hinausgehen, als der Mann mit der schwarzen Kamera aufsprang und sich räusperte.
»Fotos, Dumbledore, Fotos!«, rief Bagman aufgeregt.»Alle Richter und Champions. Was halten Sie davon, Rita?«
»Ähm – ja, erst das Gruppenfoto«, sagte Rita Kimmkorn, den Blick erneut auf Harry gerichtet.»Und dann vielleicht ein paar Einzelaufnahmen.«
Die Aufnahmen kosteten viel Zeit. Madame Maxime, wo immer sie auch stand, stellte alle anderen in den Schatten, und der Fotograf bekam sie nicht ganz aufs Bild, weil er beim Zurückgehen hinten an die Wand stieß; schließlich mußte sie sich setzen, während sich die anderen um sie herum aufstellten; Karkaroff wickelte ständig seinen Spitzbart um die Finger, um ihm einen zusätzlichen Kringel zu verpassen; Krum, von dem Harry gedacht hatte, er müsse an solche Auftritte gewöhnt sein, drückte sich halb verdeckt im Hintergrund herum. Der Fotograf schien vor allem erpicht darauf, Fleur im Vordergrund zu haben, doch Rita Kimmkorn rannte ständig herbei und zerrte Harry nach vorn, damit er besser ins Bild kam. Dann bestand sie auf Einzelfotos aller Champions. Und endlich konnten sie gehen.
Harry ging hinunter zum Mittagessen. Hermine war nicht da – er nahm an, daß sie immer noch im Krankenflügel war und sich die Zähne wieder in Ordnung bringen ließ. Er aß für sich allein am Tischende, dann kehrte er zum Gryffindor-Turm zurück, in Gedanken bei all den zusätzlichen Arbeiten, die er für die Aufrufezauber erledigen mußte. Oben im Schlafsaal stieß er auf Ron.
»Du hast eine Eule«, sagte Ron brüsk, sobald Harry hereinkam. Er deutete auf Harrys Kissen. Dort wartete die Schleiereule der Schule auf ihn.
»Oh – gut«, sagte Harry.
»Und wir müssen morgen Abend nachsitzen, in Snapes Kerker«, sagte Ron.
Dann ging er hinaus, ohne Harry auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Einen Moment lang wollte Harry ihm nachlaufen – er war sich nicht sicher, ob er mit ihm reden oder ihm eine reinhauen sollte, beides schien seine Reize zuhaben -, doch der Drang, Sirius' Antwort zu lesen, war zu stark. Harry ging hinüber zu der Schleiereule, nahm ihr den Brief vom Bein und rollte ihn auf.
Harry,
ich kann in einem Brief nicht alles sagen, was ich möchte, es ist zu riskant, falls die Eule abgefangen wird – wir müssen unter vier Augen miteinander reden. Kannst du dafür sorgen, daß du am 22. November um ein Uhr morgens allein am Kamin im Gryffindor-Turm bist?
Ich weiß besser als alle anderen, daß du auf dich selbst aufpassen kannst, und solange Dumbledore und Moody in deiner Nähe sind, glaube ich nicht, daß dir einer was antun kann. Doch genau daraufscheint sich jemand mit allen Mitteln vorzubereiten. Dich ins Turnier zu schmuggeln, und dazu noch unter Dumbledores Nase, muß sehr gefährlich gewesen sein.
Sei auf der Hut, Harry. Ich möchte weiterhin über alles Ungewöhnliche unterrichtet werden. Laß mir wegen des 22. November so rasch wie möglich eine Nachricht zukommen.
Sirius