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Zwar hatten die Viertkläßler eine Unmenge Hausaufgaben mit in die Ferien bekommen, doch während der ersten freien Tage hatte Harry einfach keine Lust zu arbeiten und ließ es sich in den Vorweihnachtstagen, wie alle anderen auch, möglichst gut gehen. Im Gryffindor-Turm sah man kaum weniger Schüler als während der Unterrichtszeit, und es schien sogar ein wenig enger geworden zu sein, denn die Dagebliebenen machten viel mehr Radau als sonst. Fred und George hatten mit ihren Kanarienkremschnitten einen großen Erfolg gelandet, und während der ersten Ferientage passierte es andauernd, daß einem der Schüler plötzlich ein Federkleid wuchs. Doch es dauerte nicht lange, bis die Gryffindors alles, was ihnen zu essen angeboten wurde, mit äußerster Vorsicht genossen, denn es konnte ja Kanarienkrem drin sein, und George teilte Harry ganz im Vertrauen mit, daß sie mit einer Neuentwicklung beschäftigt waren. Harry nahm sich fest vor, von Fred und George in Zukunft nicht einmal mehr einen Kartoffelchip anzunehmen. Dudley und sein Würgzungen-Toffee hatte er nämlich noch in guter Erinnerung.
Dichter Schnee fiel auf das Schloß und die Ländereien. Die blaßblaue Beauxbatons-Kutsche sah neben dem glasierten Lebkuchenhäuschen, in das sich Hagrids Hütte verwandelt hatte, wie ein großer, in Eiswasser getauchter Kürbis aus, und auch die Bullaugen des Durmstrang-Schiffes waren vereist, die Masten und Leinen kristallweiß gepudert. Die Hauselfen unten in der Küche übertrafen sich selbst mit einer Folge reichhaltiger, wärmender Eintöpfe und pikanter Nachspeisen, und nur Fleur Delacour schien immer etwas zu finden, über das sie sich beschweren konnte.
»Es ist zu schwer, dieses Essen in 'Ogwarts«, hörten sie Fleur eines Abends murren, als sie hinter ihr die Große Halle verließen. (Ron ging geduckt hinter Harry, damit sie ihn ja nicht sehen konnte.)»Isch werde nischt in mein Abendkleid passen!«
»Ooooh, was für eine Tragödie«, feixte Hermine, während Fleur nach draußen ging.»Ganz schön eingebildet, unsere Mademoiselle.«
»Hermine – mit wem gehst du zum Ball?«, fragte Ron.
Fortwährend plagte er sie mit dieser Frage, in der Hoffnung, sie einmal zu überrumpeln und eine Antwort aus ihr rauszuschütteln. Hermine hob jedoch nur die Brauen und meinte:»Ich sag es dir nicht, sonst machst du dich nur über mich lustig.«
»Machst du Witze, Weasley?«, tönte Malfoy hinter ihnen.»Du willst mir doch nicht erzählen, jemand habe das hier zum Ball eingeladen? Doch nicht das Schlammblut mit den langen Hauern?«
Harry und Ron wirbelten herum, doch Hermine blickte über Malfoys Schulter, winkte und rief:»Hallo, Professor Moody!«
Malfoy erbleichte, sprang erschrocken einen Schritt zurück und sah sich hektisch um, doch Moody saß immer noch am Lehrertisch und verspeiste den Rest seines Eintopfs.
»Was für ein verschrecktes kleines Frettchen du doch bist, Malfoy«, höhnte Hermine und schritt laut lachend mit Ron und Harry auf die Marmortreppe zu.
»Hermine«, sagte Ron und sah sie plötzlich stirnrunzelnd von der Seite her an,»deine Zähne…«
»Was ist damit?«, fragte sie.
»Na ja, sie sind anders… fällt mir gerade auf…«
»Natürlich – hast du geglaubt, ich behalte diese Beißer, die mir Malfoy verpaßt hat?«
»Nein, ich meine, sie sehen auch anders aus, als sie waren, bevor er dich mit diesem Fluch belegt hat… sie sind alle… regelmäßig und – nicht mehr zu groß.«
Hermine lächelte auf einmal hinterlistig, und auch Harry fiel es jetzt auf: Es war ein ganz anderes Lächeln, als er es von ihr kannte.
»Das war so… ich bin nach oben gegangen zu Madam Pomfrey, um die Zähne schrumpfen zu lassen, und sie hat mir einen Spiegel vors Gesicht gehalten und gemeint, ich solle Halt sagen, wenn sie wieder so sind wie früher. Und ich hab sie einfach… ein wenig weiterzaubern lassen.«Hermines Lächeln war noch eine Spur breiter geworden.»Mum und Dad wird das gar nicht gefallen. Ich hab ewig lang versucht sie zu überreden, daß ich sie schrumpfen lassen darf, aber sie wollten unbedingt, daß ich meine Klammer weiter trage. Du weißt doch, sie sind Zahnärzte, sie halten einfach nichts davon, wenn Zähne und Zauberei – ach, sieh mal! Pigwidgeon ist wieder da!«
Rons winziger Steinkauz saß mit einer Pergamentrolle am Bein auf dem eiszapfenschweren Treppengeländer und zwitscherte wie verrückt. Im Vorbeigehen deuteten ein paar Schüler auf ihn und lachten und eine Gruppe Drittkläßlerinnen blieb stehen.»Oh, schaut euch mal diese Winzeule an! Ist sie nicht niedlich?«
»Dummes kleines fedriges Biest!«, zischte Ron, nahm ein paar Stufen auf einmal nach oben, packte Pigwidgeon und schloß ihn in die Faust.»Das nächste Mal bringst du den Brief gleich zum Empfänger! Ohne zu trödeln und dich wichtig zu machen!«
Pigwidgeon quetschte den Kopf aus Rons Faust hervor und schuhuhte vergnügt. Die Drittkläßlerinnen machten erschrockene Mienen.
»Verschwindet!«, fauchte Ron sie an und fuchtelte mit der Faust, und Pigwidgeon schuhuhte noch ausgelassener, als er so rasch durch die Luft geschleudert wurde.»Hier – nimm du das, Harry«, fügte Ron gedämpft hinzu, und die Drittkläßlerinnen trotteten mit empörten Blicken davon. Ron zog Sirius' Antwortbrief vorsichtig von Pigwidgeons Bein, Harry steckte ihn in die Tasche, und sie hasteten nach oben in den Gryffindor-Turm, um den Brief zu lesen.
Im Gemeinschaftsraum waren alle immer noch so sehr damit beschäftigt, Feriendampf abzulassen, daß keiner groß darauf achtete, was um ihn her vor sich ging. Die drei setzten sich ein wenig abseits von den anderen an ein fast schon zugeschneites Fenster, und Harry las vor:
Lieber Harry,
meinen Glückwunsch, daß du an diesem Hornschwanz vorbeigekommen bist. Wer auch immer deinen Namen in den Kelch geworfen hat, wird jetzt nicht sonderlich glücklich sein! Ich wollte dir eigentlich einen Bindehautentzündungs-Fluch vorschlagen, da die Augen die schwächste Stelle eines Drachen sind -
»Genau das, was Krum gemacht hat!«, flüsterte Hermine.
– aber deine List war besser, Hut ab.
Jetzt ruh dich aber nicht auf deinen Lorbeeren aus, Harry. Du hast erst eine Aufgabe geschafft; wer immer dich ins Turnier gebracht hat, wird noch genug Gelegenheit haben, dir etwas anzutun. Halt die Augen offen – besonders wenn der, von dem wir gesprochen haben, in der Nähe ist – und achte vor allem darauf, dir keinen Ärger einzuhandeln.
Schreib mir wieder; ich möchte auch weiterhin von allen ungewöhnlichen Vorkommnissen erfahren.
Sirius
»Er hört sich genauso an wie Moody«, sagte Harry leise und steckte den Brief zurück in den Umhang.»›Immer wachsam!‹ Man könnte meinen, ich laufe blind in der Gegend herum und krache ständig gegen Wände…«
»Aber er hat Recht, Harry«, sagte Hermine,»du hast tatsächlich noch zwei Aufgaben vor dir. Du solltest dir dieses Ei wirklich mal genauer ansehen und allmählich herausfinden, was es zu bedeuten hat…«
»Ja, schon gut, schon gut«, brummte Harry. Dann sah er den Ausdruck auf Hermines Gesicht und sagte:»Und wie bitte soll ich mich konzentrieren bei diesem Lärm? Bei dem Radau, den die Meute hier macht, kann ich das Ei ja nicht mal hören.«
»Wenn du meinst«, seufzte sie, ließ sich in ihren Sessel zurücksinken und sah den beiden beim Schachspiel zu, das Ron mit einem tollen Schachmatt beendete, bei dem ein paar todesmutige Bauern und ein sehr brutaler Läufer die Hauptrollen spielten.
Am Weihnachtsmorgen erwachte Harry ganz plötzlich. Verwundert, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, öffnete er die Augen. Ein Wesen starrte ihn mit riesigen, grünen Telleraugen aus der Dunkelheit heraus an, und es war ihm so nahe, daß es fast seine Nasenspitze berührte.
»Dobby!«, rief Harry und krabbelte so hastig weg von dem Elfen, daß er fast aus dem Bett fiel.»Was soll denn das?«
»Dobby bittet um Verzeihung, Sir!«, quiekte Dobby verschüchtert, preßte die langen Finger auf den Mund und trampelte rückwärts über die Decke.»Dobby will Harry Potter nur frohe Weihnachten wünschen und ihm ein Geschenk bringen, Sir!«
»Ist schon gut«, sagte Harry, noch immer ein wenig kurzatmig, während sein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte.»Das nächste Mal – stups mich meinetwegen, aber beug dich bloß nicht so über mein Gesicht wie vorhin…«
Harry zog die Vorhänge des Himmelbetts zurück, nahm die Brille vom Nachttisch und setzte sie auf. Sein Schrei hatte Ron, Seamus, Dean und Neville geweckt. Alle blinzelten mit verquollenen Augen und zerzausten Haaren zwischen ihren Vorhängen hindurch.
»Hat dich jemand angegriffen, Harry?«, fragte Seamus schläfrig.
»Nein, es ist nur Dobby«, murmelte Harry.»Du kannst weiterschlafen.«
»Nöh… Geschenke!«, sagte Seamus, dem jetzt ein Berg von Päckchen am Fußende seines Bettes aufgefallen war. Auch Ron, Dean und Neville fanden, da sie nun schon einmal wach waren, könnten sie sich ja auch gleich ans Geschenkeauspacken machen. Harry wandte sich wieder Dobby zu, der jetzt hibbelig an Harrys Bett stand und immer noch schuldbewußt dreinsah, weil er ihn erschreckt hatte. An der Schlaufe seines Teewärmers baumelte eine Christbaumkugel.
»Darf Dobby Harry Potter sein Geschenk geben?«, quiekte er schüchtern.
»Natürlich«, sagte Harry.»Ähm… ich hab auch was für dich.«
Das war eine Lüge; er hatte überhaupt nichts für Dobby gekauft, dennoch öffnete er rasch seinen Koffer und zog ein besonders schlabberiges verknäultes Paar Socken heraus. Sie waren seine ältesten und widerlichsten, von senfgelber Farbe, und hatten einst Onkel Vernon gehört. Besonders schlabberig waren sie, weil Harry sie nun schon seit einem Jahr über sein Spickoskop zog. Er nahm das Spickoskop heraus, reichte Dobby die Socken und sagte:»Tut mir ja Leid, hab vergessen sie zu verpacken…«
Doch Dobby war maßlos entzückt.
»Socken sind Dobbys liebste, liebste Kleidungsstücke, Sir!«, sagte er, riß sich seine zwei verschiedenfarbigen von den Füßen und zog Onkel Vernons Socken an.
»Ich hab sieben jetzt, Sir… aber Sir…«, sagte er und seine Augen weiteten sich nun, da er die Socken, so weit es ging, hochgezogen hatte, und sie reichten bis zum Saum seiner Shorts,»im Laden haben sie einen Fehler gemacht und Harry Potter zwei gleiche Socken gegeben!«
»O nein, Harry, wie konnte dir das nur passieren!«, sagte Ron und grinste von seinem mit Packpapierknäueln übersäten Bett herüber.»Ich mach dir 'n Vorschlag, Dobby – bitte – nimm diese beiden, dann kannst du sie richtig mischen. Und hier ist dein Pulli.«
Er warf Dobby ein Paar frisch ausgepackte violette Socken zu sowie den selbst gestrickten Pulli, den ihm seine Mutter geschickt hatte.
Dobby war vor Freude vollkommen aus dem Häuschen.»Sir, das ist sehr lieb von Ihnen!«, quiekte er, und wieder standen Tränen in seinen Augen. Er machte eine tiefe Verbeugung vor Ron.»Dobby wußte schon, daß Sir ein großer Zauberer sein muß, denn er ist Harry Potters bester Freund, aber Dobby wußte nicht, daß er auch so großmütig, so edel, so selbstlos…«
»Es sind doch nur Socken«, sagte Ron, der um die Ohren herum leicht rosa angelaufen war, aber gleichwohl ziemlich geschmeichelt aussah.»Irre, Harry -«Er hatte soeben Harrys Geschenk ausgewickelt, einen Hut in den Farben der Chudley Cannons.»Cool!«Er stülpte ihn über den Kopf, wo er sich fürchterlich mit seinem roten Haar biß.
Dobby reichte Harry jetzt ein kleines Päckchen, und heraus kamen – Socken.
»Dobby hat sie selbst gestrickt, Sir!«, sagte der Elf glücklich.»Er hat die Wolle von seinem Lohn gekauft, Sir!«
Die linke Socke hatte ein Besenmuster auf Hellrot, die rechte Socke war grün und hatte kleine Knubbel.
»Die sind… wirklich… ja, vielen Dank, Dobby«, sagte Harry und zog sie an, was wiederum Glückstränen aus Dobbys Augen rollen ließ.
»Dobby muß jetzt gehen, Sir, in der Küche kochen wir schon das Weihnachtsessen!«, sagte Dobby, winkte Ron und den anderen zum Abschied zu und trippelte aus dem Schlafsaal.
Harrys andere Geschenke waren doch etwas brauchbarer als Dobbys ungleiches Sockenpaar – ausgenommen natürlich das der Dursleys, das aus einem einzigen Papiertaschentuch bestand, ein Rekord an Gemeinheit.
Harry vermutete, daß auch sie das Würgzungen-Toffee nicht vergessen hatten. Hermine hatte Harry ein Buch geschenkt, Quidditch-Mannschaften Großbritanniens und Irlands; von Ron bekam er eine prall gefüllte Tüte Stinkbomben, von Sirius ein praktisches Taschenmesser mit vielfältigem Zubehör, um jedes Schloß und jeden Knoten zu öffnen; und Hagrid schenkte ihm eine Riesenschachtel Süßigkeiten mit all seinen Lieblingsleckereien – Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung, Schokofrösche, Bubbels Bester Blaskaugummi und zischende Zauberdrops. Natürlich war wie immer Mrs Weasleys Päckchen mit dem neuesten Pulli angekommen (grün mit aufgesticktem Drachen – Harry vermutete, daß Charlie ihr alles über den Hornschwanz erzählt hatte) und einer Unmenge selbst gemachter Pasteten.
Harry und Ron trafen sich im Gemeinschaftsraum mit Hermine und gingen hinunter zum Frühstück. Danach verbrachten sie fast den ganzen Morgen im Gryffindor-Turm, wo sich alle mit ihren Geschenken amüsierten, dann kehrten sie zu einem herrlichen Mittagessen in die Große Halle zurück, bei dem es mindestens hundert Truthähne und Plumpuddings und bergeweise Kribbels Zauberkräcker gab.
Am Nachmittag gingen sie hinaus aufs Schloßgelände; der Schnee war noch unberührt, nur die Durmstrangs und Beauxbatons hatten auf ihren Wegen zum Schloß tiefe Gräben in der Schneedecke hinterlassen. Hermine schaute bei der Schneeballschlacht, die sich Ron und Harry gegen die beiden anderen Weasleys lieferten, lieber nur zu und verkündete dann gegen fünf, sie wolle jetzt nach oben gehen und sich auf den Ball vorbereiten.
»Wie bitte, du brauchst drei Stunden?«, fragte Ron und sah sie verdutzt an, was er prompt büßen mußte, denn ein großer Schneeball von George traf ihn hart am Ohr.»Mit wem gehst du eigentlich?«, rief er Hermine nach, doch sie winkte nur von der Steintreppe her und verschwand im Schloß.
Heute gab es keinen Weihnachtstee, da zum Ball ein Festmahl gehörte, und um sieben Uhr, als sie ohnehin kaum noch etwas sehen konnten, gaben sie ihre Schneeballschlacht auf und stapften zurück in den Gemeinschaftsraum.
Die fette Dame saß mit ihrer Freundin Violet aus dem Erdgeschoß beisammen, beide schon ziemlich beschwipst, was bei den leeren Schnapspralinen-Schachteln, die über den Boden verstreut lagen, nicht weiter verwunderlich war.
»Fichterleen, so isses!«, kiekste sie auf das Paßwort hin und schwang zur Seite, um sie einzulassen.
Harry, Ron, Seamus und Neville zogen oben im Schlafsaal ihre Festumhänge an und guckten dabei allesamt recht verlegen aus der Wäsche, doch keiner litt solche Qualen wie Ron, der sich im hohen Spiegel in der Ecke entsetzt anstarrte. Es ließ sich einfach nicht leugnen, daß sein Umhang peinliche Ähnlichkeit mit einem Kleid hatte. In einem verzweifelten Versuch, es mehr nach Männermode aussehen zu lassen, machte er sich mit einem Abtrennzauber über Rüschenkragen und Spitzensäume her. Es gelang ihm auch halbwegs, denn zumindest war der Umhang jetzt rüschenfrei, doch auf dem Weg nach unten war dann doch deutlich zu sehen, daß Kragen und Ärmelsäume fürchterlich ausgefranst waren.
»Ich begreif immer noch nicht, wie ihr zwei die beiden bestaussehenden Mädchen der ganzen Klassenstufe abkriegen konntet«, grummelte Dean.
»Tierischer Magnetismus«, sagte Ron mit düsterer Miene und zog wieder mal einen losen Faden aus dem Ärmelsaum.
Der Gemeinschaftsraum bot einen ganz ungewöhnlichen Anblick: es war heute nicht das übliche schwarze Gewusel, sondern er war voller Schüler, die in den verschiedensten Farben gekleidet waren. Parvati erwartete Harry am Fuß der Treppe. Mit ihrem knallroten Umhang, dem mit goldenen Strähnen durchflochtenen langen schwarzen Zopf und den goldenen Armspangen, die an ihren Handgelenken schimmerten, sah sie unbestreitbar hübsch aus. Harry stellte erleichtert fest, daß sie nicht giggelte.
»Du -, ähm – siehst nett aus«, sagte er verlegen.
»Danke«, erwiderte sie.»Padma erwartet dich in der Eingangshalle«, fügte sie zu Ron gewandt hinzu.
»Gut«, sagte Ron und sah sich um.»Wo steckt Hermine?«
Parvati zuckte die Achseln.»Wie steht's, Harry, wollen wir gehen?«
»Einverstanden«, sagte Harry und wäre doch am liebsten im Gemeinschaftsraum geblieben. Fred zwinkerte Harry auf dem Weg zum Porträtloch zu.
Auch in der Eingangshalle wimmelte es von Leuten, die sich gegenseitig auf die Füße traten und warteten, daß es endlich acht Uhr wurde und die Flügeltüren zur Großen Halle aufgingen. Wer mit einem Partner aus einem anderen Haus verabredet war, drängte sich mit verzweifelt suchendem Blick durch die Menge. Parvati fand ihre Schwester Padma und führte sie hinüber zu Harry und Ron.
»Hallo«, sagte Padma, die in ihrem helltürkisen Umhang nicht weniger hübsch aussah als Parvati. Allerdings schien sie nicht übermäßig begeistert, Ron als Partner zu haben. Als sie ihn von Kopf bis Fuß musterte, blieben ihre dunklen Augen an dem ausgefransten Kragen und den Ärmeln seines Festumhangs haften.
»Hallo«, sagte Ron, sah sie jedoch überhaupt nicht an, sondern ließ den Blick hastig durch die Menge schweifen.»O nein…«
Er ging in die Knie, um sich hinter Harrys Rücken zu verstecken, denn in diesem Augenblick schwebte Fleur Delacour vorbei, begleitet vom Quidditch-Kapitän der Ravenclaws, Roger Davies. In ihrem silbergrauen Satinumhang sah Fleur einfach umwerfend aus. Als sie verschwunden waren, richtete sich Ron wieder auf und lugte über die Köpfe der Menge hinweg.
»Wo steckt bloß Hermine?«, fragte er zum wiederholten Mal.
Eine Gruppe Slytherins kam die Treppe von ihrem Gemeinschaftsraum unten in den Kerkern herauf. Malfoy führte sie an; er trug einen Festumhang aus schwarzem Satin mit einem Stehkragen, und Harry fand, daß er aussah wie ein Priester. An Malfoys Arm klammerte sich Pansy Parkinson in einem stark berüschten blaßrosa Umhang. Crabbe und Goyle trugen beide Grün; sie ähnelten moosbewachsenen Geröllblöcken, und wie Harry befriedigt feststellte, war es keinem von beiden gelungen, eine Partnerin zu finden.
Das Eichenportal öffnete sich und alle wandten sich um. Die Schüler aus Durmstrang betraten die Halle, angeführt von Professor Karkaroff. Mit an der Spitze ging Krum, begleitet von einem hübschen Mädchen in blauem Umhang, das Harry nicht kannte. Er spähte über ihre Köpfe hinweg und sah, daß sie draußen direkt vor dem Schloß ein Stück Rasen in eine Art Grotte voller Lichterfeen verwandelt hatten – Hunderte von echten Feen saßen dort in Rosenbüschen oder flatterten über einem steinernen Weihnachtsmann mit Rentier.
Jetzt ertönte Professor McGonagalls kräftige Stimme:»Die Champions hierher, bitte!«
Parvati, die übers ganze Gesicht strahlte, rückte ihre Ketten und Spangen zurecht;»bis gleich«, sagten sie zu Ron und Padma. Die schwatzende Menge teilte sich vor ihnen und sie gingen nach vorn. Professor McGonagall, die einen Festumhang aus rotem Schottentuch trug und einen ziemlich häßlichen Distelkranz auf die Krempe ihres Huts gelegt hatte, wies sie an, rechts von der Tür zu warten, während die anderen schon hineingingen und sich auf ihre Plätze setzten; erst dann sollten sie in einem feierlichen Zug die Große Halle durchqueren. Fleur Delacour und Roger Davies stellten sich gleich neben der Tür auf; Davies schien von seinem Glück, Fleur als Partnerin abbekommen zu haben, so überwältigt, daß er kaum den Blick von ihr wenden konnte. Auch Cedric und Cho standen in Harrys Nähe; er sah anderswohin, damit er nicht mit ihnen sprechen mußte. So fiel sein Blick auf das Mädchen neben Krum. Und der Mund klappte ihm auf.
Es war Hermine.
Aber sie sah überhaupt nicht aus wie Hermine. Offenbar hatte sie etwas mit ihrem Haar angestellt; es war nicht mehr buschig, sondern geschmeidig und glänzend und verschlang sich in ihrem Nacken zu einem eleganten Knoten. Sie trug einen Umhang aus fließendem, immergrün-blauem Stoff, und sie bewegte sich auch irgendwie anders; doch vielleicht nur deshalb, weil die zwei Dutzend Bücher fehlten, die sie auf dem Rücken mit sich zu schleppen pflegte. Außerdem lächelte sie – ziemlich nervös, und nun fiel deutlich auf, daß ihre Vorderzähne geschrumpft waren. Harry begriff nicht, warum er es nicht schon längst bemerkt hatte.
»Hallo, Harry!«, sagte sie.»Hallo, Parvati!«
Parvati starrte Hermine mit unverhohlener Bestürzung an. Und sie war nicht die Einzige; als sich die Türen der Großen Halle öffneten, stakste Krums Fanclub aus der Bibliothek vorbei und warf Hermine Blicke voll abgrundtiefer Verachtung zu. Pansy Parkinson, an Malfoys Arm, lief mit offenem Mund an ihr vorbei, und selbst Malfoy schien um eine Beleidigung verlegen, die er ihr an den Kopf werfen konnte. Ron jedoch lief schnurstracks an Hermine vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Sobald drinnen alle ihre Plätze gefunden hatten, wies Professor McGonagall die Champions an, sich zu zweit mit Partner oder Partnerin zusammenzutun und ihr der Reihe nach zu folgen. Unter allgemeinem Beifall betraten sie die Große Halle und machten sich auf den Weg hinauf zu einem großen runden Tisch auf dem Podium, wo die Richter saßen.
Die Wände der Halle waren mit funkelnden Eiskristallen geschmückt und Hunderte von Girlanden aus Mistelzweigen und Efeu überwucherten die gestirnte schwarze Decke. Die Haustische waren verschwunden; an ihrer Stelle fanden sich gut hundert kleinere Tische mit Lampen, an denen jeweils ein Dutzend Schüler saßen.
Harry achtete vor allem darauf, nicht zu stolpern. Parvati schien sich blendend zu amüsieren; sie sah strahlend in die Menge und bugsierte Harry so energisch herum, daß er sich vorkam wie ein dressiertes Hündchen, das sie Kunststücke aufführen lassen wollte. Als er sich dem runden Tisch näherte, erhaschte er einen kurzen Blick auf Ron und Padma. Rons Augen verengten sich zu Schlitzen, als Hermine an ihm vorbeiging. Padma schien ein wenig zu schmollen.
Vom Podiumstisch aus lächelte Dumbledore den Champions glücklich entgegen. Karkaroffs Miene hingegen ähnelte der von Ron, als er Krum und Hermine näher kommen sah. Ludo Bagman, heute Abend in hellpurpurnem Umhang mit großen gelben Sternen, klatschte nicht weniger begeistert als die Schüler unten; auch Madame Maxime, die ihre übliche Uniform aus schwarzem Satin gegen ein fließendes Gewand aus lavendelfarbener Seide eingetauscht hatte, klatschte ihnen höflich zu. Harry fiel plötzlich auf, daß Mr Crouch nicht da war. Auf dem fünften Platz saß Percy Weasley.
Als die Champions und ihre Partner den Tisch erreichten, zog Percy den leeren Stuhl neben sich vor und sah Harry eindringlich an. Harry folgte dem Wink und setzte sich neben Percy, der einen brandneuen marineblauen Umhang trug und eine ungeheuer blasierte Miene aufgesetzt hatte.
»Ich bin befördert worden«, sagte Percy, bevor Harry überhaupt fragen konnte, und nach seinem Ton zu schließen, hätte er genauso gut zum Herrscher des Universums gewählt worden sein können.»Ich bin jetzt Mr Crouchs persönlicher Assistent und als sein Vertreter hier.«
»Warum kann er nicht selbst kommen?«, fragte Harry. Er freute sich nicht gerade darauf, während des ganzen Abendessens über Kesselböden belehrt zu werden.
»Ich muß leider sagen, daß Mr Crouch sich nicht wohl befindet, überhaupt nicht wohl. Seit der Weltmeisterschaft ist er etwas leidend. Das wundert einen natürlich nicht – Überarbeitung. Er ist nicht mehr der Jüngste – selbstverständlich immer noch brillant, immer noch ein großartiger Kopf. Doch die Weltmeisterschaft war ein Fiasko für das ganze Ministerium, und dann hat das Fehlverhalten seiner Hauselfe, Blinky oder wie sie hieß, Mr Crouch auch noch persönlich schwer getroffen. Natürlich hat er sie sofort danach verstoßen, aber – nun ja, wie gesagt, er kommt schon zurecht, braucht jedoch Hilfe im Haushalt, und ich fürchte, seit sie fort ist, hat er es zu Hause doch deutlich schwerer. Und dann mußten wir auch noch das Turnier organisieren und die Folgen der Weltmeisterschaft bewältigen – diese unverschämte Kimmkorn hat überall rumgeschnüffelt -, nein, der arme Mann hat nun seine wohlverdienten ruhigen Weihnachten. Jedenfalls weiß er, da ist jemand, auf den er sich verlassen kann und der ihn vertritt, und darüber bin ich einfach froh.«
Harry lag die Frage auf der Zunge, ob Mr Crouch schon aufgehört hatte, Percy»Weatherby«zu nennen, doch er widerstand der Versuchung.
Noch war auf den schimmernden Goldtellern kein Essen, doch alle hatten kleine Speisekarten vor sich liegen. Unsicher nahm Harry seine Karte in die Hand und sah sich um – Bedienungen waren nicht in Sicht. Dumbledore jedoch studierte aufmerksam seine Karte, dann sagte er klar und deutlich zu seinem Teller:»Schweinekoteletts!«
Und Schweinekoteletts erschienen. Die anderen am Tisch begriffen und bestellten ebenfalls bei ihren Tellern. Harry wandte den Kopf zu Hermine, um zu sehen, wie sie sich bei dieser neuen und komplizierten Weise, zu Abend zu essen, fühlen mochte – gewiß bedeutete dies viel zusätzliche Plackerei für die Hauselfen? -, doch endlich einmal schien Hermine nicht an B.ELFE.R zu denken. Sie war in ein Gespräch mit Viktor Krum vertieft und nahm offenbar kaum wahr, was sie überhaupt aß.
Mit einem Mal fiel Harry auf, daß er Krum bisher noch gar nicht wirklich hatte reden hören, doch jetzt sprach er ausgiebig, und dazu noch sehr begeistert.
»Wir habe auch eine Schloß, nicht so groß wie diese hier und auch nicht so bequem, möchte ich meine«, erklärte er Hermine.»Wir habe nur vier Stockwerke und die Feuer brenne nur für magische Zwecke. Aber wir habe viele größere Land als ihr, aber in Winter wir habe wenig Licht und wir habe nichts davon. Doch in Sommer fliege wir jede Tag, über die Seen und die Berge -«
»Nun aber, Viktor!«, sagte Karkaroff mit einem Lachen und einem kalten Blick.»Bloß nicht alles verraten, sonst wird unsere reizende Freundin gleich ganz genau wissen, wo wir zu finden sind!«
Dumbledore lächelte und seine Augen funkelten.»Igor, all die Geheimniskrämerei… man könnte fast meinen, Sie wollten gar keinen Besuch haben.«
»Wissen Sie, Dumbledore«, sagte Karkaroff und zeigte seine gelben Zähne in ihrer ganzen Pracht,»wir schützen doch alle unser eigenes Reich, nicht wahr? Bewachen wir nicht eifersüchtig die Tempel der Gelehrsamkeit, die uns anvertraut sind? Sind wir nicht zu Recht stolz darauf, daß nur wir alleine die Geheimnisse unserer Schulen kennen und sie auch schützen?«
»Oh, nie im Traum würde ich mir einbilden, alle Geheimnisse von Hogwarts zu kennen, Igor«, sagte Dumbledore freundlich.»Erst heute Morgen zum Beispiel habe ich auf dem Weg ins Bad die falsche Tür geöffnet und fand mich plötzlich in einem herrlich gestalteten Raum, den ich noch nie zuvor gesehen hatte und der eine ganz erstaunliche Sammlung von Nachttöpfen enthielt. Als ich dann später zurückkam, um mir die Sache näher anzusehen, war der Raum verschwunden. Aber ich muß die Augen nach ihm offen halten. Vielleicht ist er nur um halb sechs Uhr morgens zugänglich. Oder er erscheint nur bei Viertelmond – oder wenn der Suchende eine außergewöhnlich volle Blase hat.«
Harry prustete in seinen Gulaschteller. Percy runzelte die Stirn, doch Harry hätte schwören können, daß Dumbledore ihm ganz kurz zugezwinkert hatte.
Unterdessen äußerte sich Fleur Delacour gegenüber Roger Davies ausgesprochen abfällig über das weihnachtlich geschmückte Hogwarts.
»Das ist nischts«, sagte sie geringschätzig und ließ den Blick über die funkelnden Wände der Großen Halle schweifen.»Im Palast von Beauxbatons 'aben wir an Weihnachten Eisskulpturen überall im Speisesaal. Sie schmelsen natürlisch nischt… sie sind wie riesige Statuen aus Diamant und glitsern dursch den ganzen Saal. Und das Essen ist einfach süperb. Und wir 'aben Chöre aus Waldnymphen, die uns beim Essen mit ihren Gesängen begleiten. Wir 'aben keine solsche 'ässlischen Rüstungen in den 'allen, und wenn ein Poltergeist je in Beauxbatons eindringen würde, dann würden wir ihn – sakk – einfach rauswerfen.«Sie klatschte unwirsch mit der Hand auf den Tisch.
Roger Davies hing mit glasigem Blick an ihren Lippen und verfehlte mit der Gabel andauernd seinen Mund. Harry hatte den Eindruck, daß Davies zu sehr damit beschäftigt war, sie anzustarren, als daß er auch nur ein Wort von ihr verstanden hätte.
»Vollkommen richtig«, sagte er eilig und schlug nun selbst mit der Hand auf den Tisch.»Zack und weg. Genau.«
Harry ließ den Blick durch die Halle wandern. Hagrid saß an einem der anderen Lehrertische; er hatte wieder einmal seinen fürchterlichen Braunhaar-Anzug an und spähte hinauf zum Podiumstisch. Harry bemerkte, wie er jemandem kurz zuwinkte, folgte seinem Blick und sah Madame Maxime, deren Opale im Kerzenlicht glitzerten, zurückwinken.
Hermine war gerade dabei, Kram zu belehren, wie ihr Name richtig ausgesprochen wurde; andauernd nannte er sie»Erminne«.
»Her – mie – ne«, sagte sie langsam und deutlich.
»Her – minne.«
»Wird schon«, sagte sie, fing Harrys Blick auf und grinste.
Als sie aufgegessen hatten, erhob sich Dumbledore und bat die Schüler ebenfalls aufzustehen. Dann, mit einem Schlenker seines Zauberstabs, bewegten sich die Tische fort und reihten sich an den Wänden auf, so daß in der Mitte viel Platz war. Dann beschwor er an der rechten Wand eine Bühne herauf. Er stattete sie mit einem Schlagzeug, mehreren Gitarren, einer Laute, einem Cello und einigen Dudelsäcken aus.
Unter wild begeistertem Klatschen stürmten die Schwestern des Schicksals die Bühne; alle hatten sie besonders wilde Mähnen und waren in schwarze Umhänge gekleidet, die kunstvoll zerrissen und aufgeschlitzt waren. Sie nahmen ihre Instramente auf, und Harry, der sie so gespannt beobachtet hatte, daß er fast vergessen hatte, was auf ihn zukam, erkannte plötzlich, daß die Lampen auf den Tischen ringsum ausgegangen waren und sich die anderen Champions und ihre Partner erhoben.
»Komm mit!«, zischte Parvati.»Wir sollen doch tanzen!«
Harry verhedderte sich beim Aufstehen in seinem Festumhang. Die Schwestern des Schicksals stimmten eine langsame, traurige Melodie an; Harry, ganz darauf bedacht, ja niemanden anzusehen, schritt auf die hell erleuchtete Tanzfläche (aus den Augenwinkeln sah er, daß Seamus und Dean ihm zuwinkten und kicherten), und schon hatte Parvati ihn an den Händen gefaßt, legte eine um ihre Hüfte und hielt die andere fest in der eigenen.
Könnte schlimmer sein, dachte Harry und drehte sich langsam auf der Stelle (Parvati führte). Er sah stur über die Köpfe des Publikums hinweg, und schon bald waren viele Mitschüler auf die Tanzfläche gekommen, so daß die Champions nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. Neville und Ginny tanzten ganz in der Nähe -er konnte Ginny immer wieder das Gesicht verziehen sehen, wenn ihr Neville auf die Füße tappte -, während Dumbledore mit Madame Maxime einen Walzer hinlegte. Sie war so viel größer als er, daß die Spitze seines Hutes gerade mal ihr Kinn kitzelte; sie jedoch bewegte sich für eine so große Frau ausgesprochen graziös. Mad-Eye Moody tanzte einen äußerst unbeholfenen Twostep mit Professor Sinistra, die immer wieder nervös seinem Holzbein auswich.
»Hübsche Socken, Potter«, knurrte Moody im Vorbeitanzen und starrte mit dem magischen Auge durch Harrys Umhang hindurch.
»Oh – ja, Dobby, der Hauself, hat sie für mich gestrickt«, erwiderte Harry grinsend.
»Er ist ja so gruslig!«, flüsterte Parvati, als Moody davon-geklonkt war.»So ein Auge gehört verboten!«
Der Dudelsack gab einen letzten zittrigen Ton von sich und Harry hörte es mit Erleichterung. Die Schwestern des Schicksals beendeten ihr Stück, Beifall brauste auf und Harry ließ Parvati sofort los.»Wollen wir uns nicht setzen?«
»Och, aber – das hier ist wirklich gut!«, sagte Parvati, als die Schwestern mit dem nächsten, viel schnelleren Lied begannen.
»Nein, nicht mein Fall«, log Harry und führte sie von der Tanzfläche – vorbei an Fred und Angelina, die so ausgelassen tanzten, daß die Leute um sie her ängstlich zurückwichen, um sich nicht zu verletzen – und hinüber zum Tisch, wo Ron und Padma saßen.
»Wie läuft's?«, fragte Harry Ron, setzte sich und öffnete eine Flasche Butterbier.
Ron gab keine Antwort. Er starrte finster zu Hermine und Krum hinüber, die ganz in der Nähe tanzten. Padma hatte die Arme verschränkt und die Beine übereinander geschlagen und wippte mit dem Fuß im Takt der Musik. Hin und wieder versetzte sie Ron, der sie völlig ignorierte, einen beleidigten Blick.
Parvati setzte sich neben Harry, kreuzte ebenfalls Arme und Beine und wurde nach wenigen Minuten von einem Jungen aus Beauxbatons zum Tanz aufgefordert.
»Du erlaubst doch, Harry?«, sagte Parvati.
»Wie bitte?«, sagte Harry, der gedankenversunken Cho und Cedric beobachtete.
»Oh, schon gut«, fauchte Parvati und ging mit dem Jungen aus Beauxbatons davon. Am Ende des Stücks kehrte sie nicht zurück.
Dafür kam Hermine zum Tisch und setzte sich auf Parvatis leeren Stuhl. Das Tanzen hatte ihr einen Hauch Rosa ins Gesicht getrieben.
»Hallo«, sagte Harry.
Ron sagte kein Wort.
»Heiß hier drin, nicht wahr?«, sagte Hermine und fächelte sich mit der Hand Luft zu.»Viktor holt uns eben was zu trinken.«
Ron warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
»Viktor?«, sagte er.»Darfst du ihn noch nicht Vicky nennen?«
Hermine sah ihn verdutzt an.
»Was ist los mit dir?«, fragte sie.
»Wenn du das nicht weißt«, fauchte Ron,»dann sag ich's dir auch nicht.«
Hermine starrte erst ihn an, dann Harry, der die Achseln zuckte.»Ron, was -?«
»Er ist aus Durmstrang!«, zischte Ron.»Er kämpft gegen Harry! Gegen Hogwarts! Du – du -«Ron suchte offenbar nach Worten, die stark genug waren für Hermines Verbrechen,»du verbrüderst dich mit dem Feind, das ist es!«
Hermine klappte der Mund auf.
»Du hast sie doch nicht mehr alle!«, erwiderte sie nach kurzer Besinnung.»Mit dem Feind! Jetzt mach aber mal halblang – wer war denn so aufgeregt, als Krum hier ankam? Wer wollte unbedingt ein Autogramm von ihm? Wer hat ein Krum-Püppchen oben im Schlafsaal?«
Ron zog es vor, darauf nicht einzugehen.»Ich nehm an, er hat dich gefragt, ob du mit ihm zum Ball gehen willst, als ihr oben in der Bibliothek alleine wart?«
»Ja, allerdings«, sagte Hermine, und die rosa Flecken auf ihren Wangen glühten nun.»Na und?«
»Und wie ist es passiert – hast wohl versucht, ihn auf Belfer heiß zu machen?«
»Nein, hab ich nicht! Wenn du's wirklich wissen willst – er sagte, er wäre jeden Tag in die Bibliothek gekommen, um mal mit mir zu sprechen, und dann hätte er immer den Mut verloren!«
Hermine hatte sehr schnell gesprochen und wurde jetzt so knallrot wie Parvatis Umhang.
»Ja – schön, das hat er dir erzählt«, sagte Ron gehässig.
»Und was soll das wieder heißen?«
»Ist doch klar, oder? Er ist der Schüler von Karkaroff. Er weiß, mit wem du so oft zusammen bist… er versucht doch nur, näher an Harry heranzukommen – einiges über ihn zu erfahren – oder ihm so nahe zu kommen, daß er ihn verhexen kann -«
Hermine sah aus, als hätte Ron ihr eine Ohrfeige verpaßt. Sie antwortete mit zitternder Stimme.»Nur um das zu klären, er hat mir nicht eine einzige Frage zu Harry gestellt, nicht eine -«
Mit Lichtgeschwindigkeit wechselte Ron die Spur.»Dann hofft er, daß du ihm hilfst, sein Eierrätsel zu lösen! Sicher habt ihr bei diesen traulichen kleinen Bibliothekstreffen die Köpfe zusammengesteckt -«
»Ich würde ihm nie und nimmer helfen, das Eierrätsel zu lösen!«, sagte Hermine empört.»Niemals. Wie kannst du nur so etwas sagen – ich will, daß Harry das Turnier gewinnt. Das weißt du doch, Harry, oder?«
»Komische Art, das zu zeigen«, höhnte Ron.
»Der Sinn dieses ganzen Turniers soll es doch sein, Zauberer aus anderen Ländern kennen zu lernen und Freundschaften zu schließen!«, sagte Hermine schrill.
»Nein, Blödsinn!«, rief Ron.»Es geht allein ums Gewinnen!«
Einige Leute schauten nun zu ihnen rüber.
»Ron«, sagte Harry leise,»mir macht es nichts aus, daß Hermine mit Krum gekommen ist -«
Doch Ron ignorierte auch Harry.
»Warum läufst du Vicky nicht nach, er sucht dich sicher schon«, sagte er.
»Und nenn ihn nicht Vicky!«Hermine sprang auf, stürmte auf die Tanzfläche und verschwand in der Menge.
Ron sah ihr mit einer Mischung aus Zorn und Genugtuung nach.
»Bittest du mich heute Abend eigentlich mal zum Tanz?«, fragte ihn Padma.
»Nein«, sagte Ron und schaute weiter finster in die Menge.
»Schön«, zischte Padma, erhob sich und ging hinüber zu Parvati und dem Jungen aus Beauxbatons, der so schnell einen seiner Freunde auftrieb, daß Harry geschworen hätte, das sei nur mit einem Aufrufezauber möglich gewesen.
»Wo ist Hermine?«, sagte eine Stimme.
Krum war soeben mit zwei Butterbieren in den Händen an ihren Tisch getreten.
»Keine Ahnung«, sagte Ron mit steifer Miene und blickte zu ihm hoch.»Hast sie verloren, was?«
Krum sah schon wieder mürrisch drein.
»Gut, wenn ihr sie seht, sagt ihr, ich hab was zu trinke«, sagte er und schlurfte davon.
»Hast dich mit Viktor Krum angefreundet, Ron?«
Percy war herbeigewuselt, rieb sich die Hände und machte eine ungemein wichtige Miene.»Ganz exzellent! Genau darum geht es nämlich – internationale magische Zusammenarbeit!«
Zu Harrys Ärger nahm Percy prompt Padmas verlassenen Platz ein. Der Tisch auf dem Podium war jetzt leer; Professor Dumbledore tanzte mit Professor Sprout; Ludo Bagman mit Professor McGonagall; Madame Maxime und Hagrid walzten eine breite Schneise durch die Tanzenden, und Karkaroff war spurlos verschwunden. In der nächsten Musikpause gab es wieder allseits Beifall, und Harry sah, wie Ludo Bagman Professor McGonagall die Hand küßte und sich durch die Menge zu seinem Platz zurückschlängelte. In diesem Augenblick sprachen ihn Fred und George an.
»Was glauben die eigentlich, was sie da tun, belästigen auch noch hochrangige Ministeriumsvertreter!«, zischte Percy und beäugte Fred und George argwöhnisch,»so was von respektlos.«
Ludo Bagman wimmelte Fred und George jedoch ziemlich schnell ab, entdeckte Harry, winkte und kam zu ihrem Tisch herüber.
»Ich hoffe, meine Brüder haben Sie nicht belästigt, Mr Bagman?«, sagte Percy beflissen.
»Wie bitte? O nein, überhaupt nicht!«, sagte Bagman.»Nein, sie haben mir nur ein wenig mehr über ihre falschen Zauberstäbe erzählt. Ob ich nicht einen Rat wüßte, wie sie zu vermarkten wären. Ich hab versprochen, sie mit ein paar Geschäftsfreunden von mir in Zonkos Zauberscherzladen bekannt zu machen…«
. Percy schien keineswegs begeistert, und Harry hätte wetten können, daß er es Mrs Weasley verraten würde, sobald er heimkam. Offenbar hatten Fred und George in letzter Zeit recht ehrgeizige Pläne entwickelt, wenn sie jetzt schon vorhatten, ihre Zauberstäbe zu verkaufen.
Bagman öffnete den Mund, um Harry etwas zu fragen, doch Percy unterbrach ihn.»Wie, finden Sie, läuft das Turnier, Mr Bagman? Unsere Abteilung jedenfalls ist recht zufrieden – natürlich war diese kleine Panne mit dem Feuerkelch«- er warf Harry einen Blick zu -»ein wenig bedauerlich, doch bisher scheint doch alles glatt zu laufen, meinen Sie nicht auch?«
»O ja«, sagte Bagman vergnügt,»war alles ein Riesenspaß. Wie geht's dem guten Barty? Ein Jammer, daß er nicht kommen konnte.«
»Oh, ich bin sicher, Mr Crouch wird im Nu wieder auf den Beinen sein«, sagte Percy mit wichtiger Miene,»doch bis dahin bin ich natürlich gern bereit, für ihn einzuspringen. Selbstverständlich geht es nicht darum, sich auf Bällen rumzutreiben«- er lachte überheblich -»o nein, ganz im Gegenteil. Ich muß mich ja um alles kümmern, was während seiner Abwesenheit so anfällt – Sie haben doch gehört, daß man Ali Bashir festgesetzt hat, weil er eine Sendung fliegender Teppiche ins Land schmuggeln wollte? Und dann versuchen wir die Transsilvanier davon zu überzeugen, endlich das Internationale Duellverbotsabkommen zu unterzeichnen. Zu Jahresbeginn hab ich ein Treffen mit ihrem Abteilungsleiter für magische Zusammenarbeit -«
»Laß uns kurz mal frische Luft schnappen«, murmelte Ron Harry zu,»damit wir Percy loswerden…«
Unter dem Vorwand, Getränke holen zu gehen, standen sie auf und drängelten sich an der Tanzfläche entlang hinaus in die Eingangshalle. Das Portal stand offen, und die flatternden Lichterfeen im Rosengarten zwinkerten und funkelten, als sie die Vortreppe hinuntergingen. Unten ging es auf von Büschen eingefaßten Pfaden weiter, die sich in kunstvollen Windungen an großen steinernen Statuen entlang dahinschlängelten. Harry konnte Wasser plätschern hören und es klang wie ein Brunnen. Sie folgten einem der gewundenen, von Rosenbüschen bestandenen Wege, waren allerdings noch nicht weit gekommen, als sie eine unangenehm vertraute Stimme hörten.
»… verstehe nicht, was es da noch zu reden gibt, Igor.«
»Severus, du kannst nicht so tun, als würde das nicht passieren!«Karkaroffs Stimme klang besorgt und gedämpft, als wollte er auf keinen Fall belauscht werden.»Das wird doch schon seit Monaten immer deutlicher, ich mach mir allmählich ernsthaft Sorgen, das muß ich zugeben -«
»Dann flieh«, entgegnete Snape barsch.»Flieh, ich werde eine Ausrede für dich finden. Ich jedoch bleibe in Hogwarts.«
Snape und Karkaroff bogen um eine Hecke. Snape hatte seinen Zauberstab gezückt und zerfledderte mit äußerst miesepetriger Miene die Rosenbüsche am Wegrand in tausend Stücke. Aus den Büschen drangen Schreie und dunkle Schatten stürzten hervor.
»Zehn Punkte Abzug für Hufflepuff, Fawcett!«, raunzte Snape ein Mädchen an, das an ihm vorbeirannte.»Und auch zehn Punkte minus für Ravenclaw, Stebbins!«, als ein Junge ihr nachstürmte.»Und was tut ihr zwei hier?«, fügte er hinzu, als er Harry und Ron ein Stück vor sich auf dem Pfad erkannte.
Karkaroff, fiel Harry auf, schien bei ihrem Anblick beinahe die Fassung zu verlieren. Seine Hand fuhr nervös zum Spitzbart und er zwirbelte ihn um den Finger.
»Wir gehen spazieren«, antwortete Ron knapp.»Nicht verboten, oder?«
»Dann geht gefälligst schnell weiter!«, raunzte Snape und rauschte mit gebauschtem schwarzem Umhang an ihnen vorbei. Karkaroff folgte ihm hastig. Harry und Ron gingen weiter den Pfad entlang.
»Wovor fürchtet sich Karkaroff wohl?«, murmelte Ron.
»Und seit wann duzen sich er und Snape?«, sagte Harry langsam.
Sie waren jetzt bei einem großen steinernen Rentier angelangt, über dem sie die hohen Fontänen eines Springbrunnens funkeln sahen. Auf einer Steinbank waren die schattenhaften Umrisse zweier riesiger Menschen zu erkennen, und offenbar sahen sie im Mondlicht dem Tanz der Fontänen zu.
Dann hörte Harry Hagrid sprechen.
»Ich hab Sie nur einmal ansehn brauchen, da Wut ich's«, sagte er mit seltsam rauher Stimme.
Harry und Ron erstarrten. Das klang irgendwie nicht danach, als sollten sie dazwischenplatzen… Harry blickte sich um und sah Fleur Delacour und Roger Davies ganz in der Nähe, halb verdeckt in einem Rosenbusch. Er tippte Ron auf die Schulter und nickte zu den beiden hinüber, um ihm zu bedeuten, daß sie auf diesem Weg leicht unbemerkt entkommen konnten (denn Fleur und Davies kamen Harry sehr beschäftigt vor). Doch Rons Augen weiteten sich vor Schreck beim Anblick von Fleur, er schüttelte heftig den Kopf und zog Harry tief in die Schatten hinter dem Rentier.
»Was 'aben Sie gewußt, 'Agrid?«, sagte Madame Maxime mit einem deutlichen Schnurren in ihrer leisen Stimme.
Hier wollte Harry ganz bestimmt nicht zuhören; er wußte, Hagrid wäre es peinlich, in dieser Situation belauscht zu werden (ihm selbst würde es sicher so gehen) – und wenn es möglich gewesen wäre, hätte Harry sich Finger in die Ohren gesteckt und laut gesummt, doch das ging nun wirklich nicht. Stattdessen versuchte er sich für einen Käfer zu begeistern, der über den Rücken des steinernen Rentiers krabbelte, doch er war einfach nicht interessant genug, um Hagrids nächste Worte untergehen zu lassen.
»Ich wußt es gleich… Sie sind wie ich… war's die Mutter oder der Vater?«
»Isch – isch weiß nischt, was Sie meinen, 'Agrid…«
»Bei mir war's die Mutter«, sagte Hagrid leise.»Sie war eine der Letzten in Britannien. Natürlich kann ich mich nich mehr gut an sie erinnern… sie ist fortgegangen. Als ich ungefähr drei war. War nich so der mütterliche Typ. Tja… liegt eben nich in ihrer Natur, nich. Keine Ahnung, was aus ihr geworden ist… vielleicht ist sie gestorben…«
Madame Maxime sagte kein Wort. Harry konnte der Verlockung nicht widerstehen, wandte den Blick von dem Käfer ab und spähte mit gespitzten Ohren über das Geweih des Rentiers zu den beiden hinüber… noch nie hatte er Hagrid über seine Kindheit sprechen gehört.
»Daß sie fortging, hat meinem Dad das Herz gebrochen. Winziger kleiner Kerl, mein Dad. Als ich sechs war, konnte ich ihn hochheben und ihn auf den Küchenschrank setzen, wenn er mich geärgert hat. Dann hat er immer gelacht…«Hagrids tiefe Stimme brach ab. Madame Maxime lauschte ihm reglos, ihr Blick schien auf den silbrigen Fontänen zu ruhen.»Dad hat mich großgezogen… aber dann ist er natürlich gestorben, gerade als ich in die Schule gekommen bin. Danach mußte ich mich mehr schlecht als recht selbst durchschlagen. Dumbledore hat mir wirklich geholfen. War sehr freundlich zu mir, muß ich sagen…«
Hagrid zog ein großes, gepunktetes seidenes Taschentuch hervor und schneuzte sich markerschütternd.»Tja… wie auch immer… das war's von mir. Und wie steht's mit Ihnen? Von wem haben Sie's?«
Doch Madame Maxime war plötzlich aufgestanden.
»Mir ist kalt«, sagte sie. Doch so kalt es hier draußen auch immer war, es war nicht annähernd so eisig wie ihre Stimme.»Isch möschte wieder reinge'en.«
»Was?«, sagte Hagrid verdutzt.»Nein, gehen Sie nicht! Ich -ich hab noch nie eine andere getroffen!«
»Eine andere was denn, genau?«, fragte Madame Maxime kalt.
Harry hätte Hagrid am liebsten gesagt, er solle jetzt bloß den Mund halten. Da stand er im Schatten verborgen, biß die Zähne zusammen und hoffte auf das Unmögliche – doch es hatte keinen Zweck.
»Eine zweite Halbriesin, natürlich«, sagte Hagrid.
»Wie können Sie es wagen!«, kreischte Madame Maxime. Ihre Stimme gellte wie ein Nebelhorn durch die friedliche Nacht; Harry hörte, wie Fleur und Roger hinter ihm aus ihrem Rosenbusch stürzten.»Man 'at misch nie im Leben dermaßen beleidigt! 'albriese? Moi? Isch 'abe – isch 'abe große Knochen!«
Sie stürmte davon; große, vielfarbene Feenschwärme flatterten auf, als sie sich wütend durch die Büsche schlug. Hagrid saß immer noch auf der Bank und starrte ihr nach. Es war viel zu dunkel, um sein Gesicht sehen zu können. Dann, nach etwa einer Minute, stand er auf und schritt davon, nicht zurück zum Schloß, sondern hinaus auf das dunkle Land und hinüber zu seiner Hütte.
»Komm«, sagte Harry sehr leise zu Ron.»Gehen wir…«
Doch Ron rührte sich nicht.
»Was ist los?«, fragte Harry und sah ihn an.
Ron wandte sich mit todernster Miene Harry zu.
»Hast du das gewußt?«, wisperte er.»Daß Hagrid ein Halbriese ist?«
»Nein«, sagte Harry achselzuckend.»Na und?«
Ron sah ihn an und Harry wußte sofort, daß er wieder einmal seine Unwissenheit über die Zaubererwelt kundgetan hatte. Er war bei den Dursleys aufgewachsen, und daher war vieles, was die Zauberer für selbstverständlich hielten, überraschend neu für Harry. Im Laufe seiner Schulzeit hatte er immer weniger von diesen Schnitzern begangen, nun jedoch spürte er, daß die meisten Zauberer nicht»na und?«sagen würden, wenn sie herausfänden, daß einer ihrer Freunde ein Halbriese war.
»Ich erklär's dir drin«, sagte Ron leise.»Komm mit…«
Fleur und Roger Davies waren verschwunden, vermutlich weiter ins Buschwerk hinein, wo sie ungestört sein konnten. Harry und Ron kehrten in die Große Halle zurück. Parvati und Padma saßen nun an einem Tisch im Hintergrund, umgeben von einer ganzen Traube von Beauxbatons-Jungen, und Hermine tanzte schon wieder mit Krum. Harry und Ron setzten sich an einen Tisch in sicherer Entfernung von der Tanzfläche.
»Also?«, bohrte Harry nach.»Was soll denn schon sein mit den Riesen?«
»Also, sie sind… sie sind…«, Ron rang nach Worten,»nicht besonders nett«, endete er lahm.
»Wen stört das?«, sagte Harry.»Hagrid ist doch völlig in Ordnung!«
»Das weiß ich auch, aber… verdammt noch mal, kein Wunder, daß er den Mund hält«, sagte Ron kopfschüttelnd.»Ich dachte immer, er sei als Kind in einen vermasselten Verschlingungszauber reingestolpert oder etwas in der Art. Hatte keine Lust, darüber zu sprechen…«
»Aber was ist denn schon dabei, wenn seine Mutter eine Riesin ist?«, fragte Harry.
»Na ja… keiner, der ihn kennt, wird sich darum scheren, weil wir wissen, daß er nicht gefährlich ist«, sagte Ron langsam.»Aber… Harry, die Riesen sind nun einmal bösartig. Wie Hagrid selbst gesagt hat, es liegt in ihrer Natur, sie sind wie Trolle… sie mögen einfach töten, das weiß jeder. Aber in Großbritannien gibt es keine mehr.«»Was ist mit ihnen passiert?«
»Sie waren ohnehin am Aussterben und dann haben die Auroren viele von ihnen umgebracht. In anderen Ländern soll es aber noch Riesen geben… sie leben meist versteckt in den Bergen…«
»Ich weiß nicht, wen die Maxime eigentlich täuschen will«, sagte Harry und sah hinüber zu ihr, die allein und mit sehr betrübter Miene am Richtertisch saß.»Wenn Hagrid ein Halbriese ist, dann ist sie es eindeutig auch. Von wegen große Knochen… das Einzige, was größere Knochen hat als sie, ist ein Dinosaurier.«
Harry und Ron verbrachten den restlichen Ballabend damit, in einer Ecke zu sitzen und über Riesen zu fachsimpeln; keiner von beiden hatte Lust zu tanzen. Harry mied möglichst jeden Blick auf Cho und Cedric, und wenn er sie dann doch sah, hätte er am liebsten gegen das Tischbein getreten.
Als die Schwestern des Schicksals um Mitternacht zu spielen aufhörten, bekamen sie von allen noch eine letzte Runde Applaus, dann tröpfelten die Gäste allmählich hinaus in die Eingangshalle. Viele sagten, am liebsten hätten sie weitergefeiert, doch Harry war es nur recht, daß er endlich zu Bett gehen konnte; was ihn anging, war der Abend nicht besonders lustig gewesen.
Draußen in der Eingangshalle sahen Harry und Ron, wie Hermine Krum, der auf dem Weg zurück zum Durmstrang-Schiff war, gute Nacht wünschte. Sie versetzte Ron einen sehr kühlen Blick und rauschte ohne ein Wort an ihm vorbei und die Marmortreppe hoch. Harry und Ron folgten ihr, doch auf halber Treppe hörte Harry, wie ihn jemand rief.
»Hey – Harry!«
Es war Cedric Diggory. Harry sah, daß Cho unten in der Halle auf ihn wartete.
»Ja?«, sagte Harry kurz, und Cedric kam zu ihm hochgestürmt.
Er sah ganz so aus, als wollte er vor Ron lieber nicht den Mund aufmachen. Ron zuckte die Achseln, schaute genervt und ging weiter die Treppe hinauf.
»Hör mal…«, sagte Cedric mit gedämpfter Stimme, als Ron verschwunden war.»Ich schulde dir 'nen Gefallen für diese Drachengeschichte. Was ist mit deinem goldenen Ei? Jammert es auch, wenn du es aufmachst?«
»Ja«, sagte Harry.
»Nun… nimm ein Bad, verstanden?«
»Was?«
»Nimm ein Bad und – ähm – nimm das Ei mit und – hmh – denk im heißen Wasser einfach mal drüber nach. Das wird dir helfen… glaub mir.«
Harry starrte ihn an.
»Und noch was«, sagte Cedric.»Nimm das Badezimmer der Vertrauensschüler. Im fünften Stock, vierte Tür links von dieser Statue von Boris dem Bekloppten. Das Paßwort ist Pinienfrisch. Muß mich jetzt sputen – will ihr noch gute Nacht sagen -«
Er grinste Harry zu und stürzte hastig zum Fuß der Treppe hinunter, wo Cho auf ihn wartete.
Harry stieg allein hoch in den Gryffindor-Turm. Das war ein äußerst merkwürdiger Ratschlag. Warum sollte ihm ein Bad helfen, herauszufinden, was es mit diesem kreischenden Ei auf sich hatte? Wollte Cedric ihn verulken? Versuchte er, Harry wie einen Dummkopf dastehen zu lassen, um bei Cho noch besser abzuschneiden?
Die fette Dame und ihre Freundin Vi dösten in ihrem Bild über dem Porträtloch. Harry mußte»Lichterfeen!«schreien, damit sie endlich aufwachten, und dann waren sie auch noch höchst verärgert. Er kletterte in den Gemeinschaftsraum und geriet mitten in einen heißen Streit zwischen Ron und Hermine. Sie standen drei Meter voneinander entfernt und brüllten sich mit scharlachroten Gesichtern an.
»Na schön, wenn du es nicht leiden kannst, dann weißt du ja, was du zu tun hast, oder?«, schrie Hermine; ihr Haar löste sich allmählich aus dem eleganten Knoten und ihr Gesicht war wutverzerrt.
»Ach ja?«, schrie Ron zurück.»Was denn bitte?«»Wenn das nächste Mal ein Ball ist, dann frag mich doch gleich, und nicht als letzte Rettung!«
Ron mummelte stumme Worte wie ein Goldfisch und Hermine wandte sich auf dem Absatz um und stürmte die Treppe hoch in ihren Schlafsaal.
Ron schien wie vom Blitz getroffen.»Pff«, prustete er,»tss – das zeigt doch, daß sie überhaupt nicht begriffen hat, worum es ging -«
Harry sagte nichts dazu. Es gefiel ihm einfach zu gut, wieder mit Ron reden zu können, als daß er ihm seine Meinung hätte sagen können – doch er konnte den Gedanken nicht abschütteln, daß Hermine viel besser als Ron begriffen hatte, worum es ging.