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»Du hast doch gesagt, du hättest das Eierrätsel schon gelöst!«, entrüstete sich Hermine.
»Sprich doch leiser!«, erwiderte Harry ärgerlich.»Ich muß es nur noch ein wenig – ausfeilen, verstehst du?«
Sie hatten sich im Zauberkunstunterricht zu dritt an einen Tisch in der hinteren Reihe gesetzt. Heute war das Gegenteil des Aufrufezaubers dran – der Verscheuchezauber. Professor Flitwick, wohl wissend, was für häßliche Unfälle passieren konnten, wenn ständig irgendwelche Gegenstände durch das Zimmer flogen, hatte jedem Schüler einen Stapel Kissen zum Üben gegeben. Der Gedanke dahinter war, daß niemand verletzt würde, wenn die Kissen ihr Ziel verfehlten. Als Idee sehr gut, taugte er in der Praxis nicht allzu viel. Neville peilte so schlecht, daß nicht nur die leichten Kissen durchs Zimmer flogen, sondern zum Beispiel auch Professor Flitwick.
»Vergiß doch einfach mal für 'ne Weile dieses Ei!«, zischte Harry, während Professor Flitwick mit einem Ausdruck stummen Leidens auf dem Gesicht an ihnen vorbeischwebte und auf einem großen Schrank landete.»Ich will dir doch nur diese Geschichte von Snape und Moody erzählen…«
Dieser Unterricht bot die beste Deckung für ein vertrauliches Gespräch, da all ihre Mitschüler viel zu viel Spaß hatten, um groß auf die drei zu achten. Harry erzählte nun schon seit einer halben Stunde in geflüsterten Fortsetzungen von seinen Abenteuern in der vorigen Nacht.
»Snape sagte, auch Moody hätte sein Büro durchsucht?«, wisperte Ron, die Augen vor Neugier flackernd, während er gleichzeitig mit einem Schwung des Zauberstabs ein Kissen fortjagte (es sauste durch die Luft und schlug Parvati den Hut vom Kopf).»Was glaubst du… ist Moody hier in der Schule, um nicht nur Karkaroff, sondern auch Snape im Auge zu behalten?«
»Keine Ahnung, ob Dumbledore ihn darum gebeten hat, auf jeden Fall tut er genau das«, sagte Harry und wedelte achtlos mit dem Zauberstab, woraufhin sein Kissen eine verkorkste Bauchlandung auf dem Boden hinlegte.»Moody meinte, Dumbledore behalte Snape nur hier, weil er ihm eine zweite Chance oder so was geben will…«
»Was?«, sagte Ron und riß die Augen auf. Sein nächstes Kissen trudelte hoch in die Luft, prallte gegen den Kronleuchter und schlug klatschend auf Professor Flitwicks Tisch auf.»Harry… vielleicht glaubt Moody, Snape habe deinen Namen in den Feuerkelch geworfen!«
»Ach, Ron«, sagte Hermine und schüttelte ungläubig den Kopf.»Wir haben schon einmal gedacht, Snape wolle Harry umbringen, und dann stellte sich raus, daß er ihm das Leben gerettet hat, weißt du noch?«
Sie verscheuchte ein Kissen, es flog quer durchs Zimmer und landete in der Kiste, genau da, wo es sollte. Harry sah Hermine nachdenklich an… es stimmte, Snape hatte ihm einmal das Leben gerettet, doch das Merkwürdige war, daß Snape ihn entschieden haßte, genauso, wie er Harrys Vater gehaßt hatte, als sie zusammen auf der Schule waren. Snape bereitete es Genuß, Harry Punkte abzuziehen, und er ließ gewiß nie eine Gelegenheit aus, ihm Strafen zu verpassen oder sogar vorzuschlagen, er solle von der Schule verwiesen werden.
»Mir ist egal, was Moody sagt«, fuhr Hermine fort,»Dumbledore ist nicht dumm. Er hatte Recht, Hagrid und Professor Lupin zu vertrauen, auch wenn eine Menge Leute ihnen keine Arbeit gegeben hätten. Warum sollte er sich dann in Snape täuschen, selbst wenn Snape ein wenig -«
»- bösartig ist«, ergänzte Ron schlagartig.»Nun hör mal, Hermine, warum sollte dann ein Schwarzmagierfänger sein Büro durchsuchen?«
»Warum hat Mr Crouch so getan, als sei er krank?«, fragte Hermine, ohne auf Ron einzugehen.»Schon ein wenig komisch, oder, daß er es nicht schafft, zum Weihnachtsball zu kommen, aber mitten in der Nacht hier rumschleichen kann, wie es ihm paßt?«
»Du kannst Crouch einfach nicht leiden, und zwar wegen dieser Winky, seiner Elfe«, sagte Ron und ließ ein Kissen gegen das Fenster klatschen.
»Und du hast dir in den Kopf gesetzt, daß Snape irgendwas ausheckt«, sagte Hermine und ließ ihr Kissen tadellos in die Kiste fliegen.
»Ich will nur wissen, was Snape mit seiner ersten Chance angefangen hat, wenn das jetzt seine zweite ist«, sagte Harry grimmig, und zu seiner größten Überraschung flog sein Kissen schnurgerade durchs Zimmer und landete auf dem Hermines.
Harry folgte dem Wunsch von Sirius, über alle merkwürdigen Geschehnisse in Hogwarts unterrichtet zu werden, und schickte ihm noch in dieser Nach einen Brief per Waldkauz, in dem er ihm alles über Mr Crouchs Einbruch in Snapes Büro und Moodys und Snapes Zusammenstoß berichtete. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit ernsthaft dem dringendsten Problem zu, vor dem er stand. Wie sollte er am vierundzwanzigsten Februar eine Stunde lang unter Wasser bleiben?
Ron gefiel die Idee ganz gut, noch einmal den Aufrufezauber zu benutzen – Harry hatte ihm erklärt, daß es in der Muggelwelt Atmungsgeräte gab, und Ron wollte partout nicht einsehen, warum Harry nicht ein solches Gerät aus der nächsten Muggelstadt zu sich rufen sollte. Hermine machte diesen Plan zunichte, indem sie verkündete, daß Harry wohl kaum innerhalb der gesetzten Zeit von einer Stunde lernen würde, mit einer Taucherlunge umzugehen, und selbst dann würde er sofort disqualifiziert, weil er den Internationalen Kodex zur Geheimhaltung der Magie gebrochen hätte. Es war einfach unsinnig zu hoffen, daß kein Muggel eine Taucherlunge bemerken würde, die über das Land auf Hogwarts zuflog.
»Die beste Lösung wäre natürlich, wenn du dich in ein U-Boot oder so was verwandeln könntest«, sagte sie.»Wenn wir nur schon Verwandlung für Menschen gehabt hätten! Aber ich glaub nicht, daß wir vor der sechsten Klasse damit anfangen, und es kann ganz übel ausgehen, wenn du nicht genau weißt, was du tust…«
»Allerdings, ich hab keine Lust, mit einem Sehrohr im Kopf durch die Gegend zu laufen«, sagte Harry.»Vielleicht sollte ich einfach jemanden direkt vor Moodys Augen angreifen, dann erledigt er es sicher für mich…«
»Er läßt dich nicht selbst wählen, in was er dich verwandelt«, entgegnete Hermine nüchtern.»Nein, ich denke, die beste Möglichkeit wäre irgendein Zauber.«
Und so vergrub Harry sich abermals in der Bibliothek, auf der Suche nach einem Zauber, der ihm helfen würde, ohne Sauerstoff zu überleben, auch wenn er allmählich das Gefühl hatte, für den Rest seines Lebens von den staubigen Bänden genug zu haben. Doch obwohl die drei ihre Mittagspausen, die Abende und die Wochenenden mit der Suche verbrachten – und obwohl Harry Professor McGonagall um eine Bescheinigung bat, damit er auch die Verbotene Abteilung benutzen durfte, und sogar die reizbare, geierartige Bibliothekarin Madam Pince um Hilfe fragte -, sie fanden trotz allem nichts, was es Harry ermöglicht hätte, eine Stunde unter Wasser zu verbringen und danach seine Geschichte auch noch erzählen zu können.
Anflüge von Panik, wie Harry sie schon kannte, begannen ihn nun wieder zu quälen, und wieder einmal fiel es ihm schwer, im Unterricht seine Gedanken beisammenzuhalten. Der See, der für Harry immer wie selbstverständlich zum Schloßgelände gehört hatte, zog fortwährend seinen Blick an, wenn er in der Nähe eines Klassenzimmerfensters saß, diese große, eisen graue Masse kalten Wassers, dessen dunkle und eisige Tiefen ihm allmählich so fern schienen wie der Mond.
Genau wie damals, bevor er es mit dem Hornschwanz aufnehmen mußte, glitt die Zeit davon, als ob jemand die Uhren verhext hätte und sie jetzt besonders schnell liefen. Noch eine Woche war es bis zum vierundzwanzigsten Februar (also immer noch Zeit)… dann waren es fünf Tage (wurde nun allmählich Zeit, daß er etwas fand)… noch drei Tage (bitte laß mich was finden… bitte).
Noch zwei Tage, und Harry verlor wieder einmal den Appetit. Das einzig Gute beim Frühstück am Montag war die Rückkehr des Waldkauzes, den er Sirius geschickt hatte. Er nahm ihm das Pergament vom Bein, glättete es und hatte den kürzesten Brief vor Augen, den Sirius ihm je geschrieben hatte.
Schick mir das Datum des nächsten Hogsmeade-Wochenendes eulenwendend zurück.
Harry drehte das Pergament um, denn vielleicht stand ja etwas auf der Rückseite, doch sie war leer.
»Übernächstes Wochenende«, flüsterte Hermine, die über Harrys Schulter mitgelesen hatte.»Hier, nimm meine Feder und schick die Eule sofort zurück.«
Harry kritzelte das Datum auf die Rückseite von Sirius' Brief, band ihn wieder an das Bein des Waldkauzes und sah zu, wie der Vogel zum Rückflug ansetzte. Was hatte er erwartet? Einen Ratschlag, wie er unter Wasser überleben konnte? Er war so erpicht darauf gewesen, Sirius alles über Snape und Moody zu erzählen, daß er völlig vergessen hatte, das Eierrätsel zu erwähnen.
»Weshalb will er denn wissen, wann wir das nächste Mal in Hogsmeade sind?«, fragte Ron.
»Keine Ahnung«, sagte Harry dumpf. Das kurze Glücksgefühl angesichts des Waldkauzes war schon wieder verflogen.»Beeil dich… wir haben Pflege magischer Geschöpfe.«
Ob Hagrid sie nun für die Knallrümpfigen Kröter entschädigen wollte, oder weil nur noch zwei davon übrig waren, oder weil er beweisen wollte, daß er alles konnte, was Professor Raue-Pritsche konnte – Harry wußte es nicht, doch seit Hagrid wieder arbeitete, hatte er den Unterricht über Einhörner fortgesetzt. Es stellte sich heraus, daß Hagrid genausoviel über Einhörner wußte wie über Monster, aber es war klar, daß ihn die Einhörner ein wenig enttäuschten, da sie ja keine Giftzähne hatten.
Er hatte es geschafft, zwei Einhorn-Fohlen zu fangen. Im Gegensatz zu ausgewachsenen Einhörnern waren sie von Kopf bis Schwanz von reiner goldener Farbe. Parvati und Lavender waren ganz hingerissen von diesem Anblick, und selbst Pansy Parkinson hatte Mühe zu verbergen, wie sehr sie die Tiere mochte.
»Leichter zu erkennen als die Alten«, erklärte Hagrid der Klasse.»Sie wer'n silbern, wenn sie etwa zwei Jahre alt sind, und mit vier Jahren wächst ihnen das Horn. Erst wenn sie ausgewachsen sind, mit etwa sieben, wer'n sie ganz weiß. Als Babys sind sie 'n wenig zutraulicher… haben nicht so viel gegen Jungs… nur zu, ein wenig näher ran, ihr könnt sie streicheln, wenn ihr wollt… gebt ihnen 'n paar von diesen Zuckerstückchen… Alles in Ordnung mit dir?«, murmelte Hagrid und zog Harry ein wenig beiseite, während die meisten anderen um die Baby-Einhörner herumschwärmten.
»Jaah«, sagte Harry.
»Bloß 'n bißchen nervös, nich?«, sagte Hagrid.»Bißchen«, murmelte Harry.
»Harry«, sagte Hagrid und gab ihm mit seiner massigen Hand einen solchen Klaps auf die Schulter, daß Harrys Knie unter der Wucht einknickten,»ich hab mir ja Sorgen gemacht, bevor ich gesehn hab, wie du's mit diesem Hornschwanz aufgenommen hast, aber jetzt weiß ich, du schaffst alles, was du dir in Kopf setzt. Ich mach mir jedenfalls keine Gedanken mehr drüber. Du kriegst das schon hin. Dein Rätsel hast du doch schon gelöst, nich?«
Harry nickte, doch noch während er dies tat, überkam ihn ein verrückter Drang zu gestehen, daß er keine Ahnung hatte, wie er eine Stunde lang am Grund des Sees überleben sollte. Er sah zu Hagrid auf – vielleicht hatte er schon ein paar Mal in den See steigen müssen, weil er sich um dessen Geschöpfe kümmern mußte? Schließlich pflegte er auch alle anderen Wesen der Ländereien -
»Du gewinnst«, knurrte Hagrid und klatschte erneut mit solcher Wucht auf Harrys Schulter, daß er buchstäblich ein paar Zentimeter in den sumpfigen Boden sank.»Das weiß ich. Hab ich im Gespür. Du gewinnst, Harry.«
Harry brachte es einfach nicht über sich, das glückliche, zuversichtliche Lächeln auf Hagrids Gesicht zu Eis gefrieren zu lassen. Er zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, trat scheinbar ganz interessiert zu den jungen Einhörnern und begann, seinen Mitschülern gleich, sie zu streicheln.
Am Abend vor der zweiten Aufgabe fühlte sich Harry in einem Alptraum gefangen. Selbst wenn er wie durch ein Wunder einen brauchbaren Zauber fand, so war ihm doch vollkommen klar, daß es ungeheuer schwer sein würde, ihn über Nacht noch zu erlernen. Wie hatte er es so weit kommen lassen können? Warum hatte er sich nicht früher an das Eierrätsel gesetzt? Wieso war er im Unterricht so oft mit den Gedanken woanders gewesen – was, wenn ein Lehrer einmal zufällig erwähnt hätte, wie man unter Wasser atmen konnte?
Während draußen die Sonne unterging, saßen Harry, Ron und Hermine in der Bibliothek, voreinander durch mächtige Stapel Zauberbücher verborgen, und blätterten fieberhaft Seite um Seite um. Harry zuckte jedes Mal heftig zusammen, wenn er das Wort»Wasser«auf einer Buchseite sah, doch meist hieß es da nur:»Man nehme einen Liter Wasser, ein halbes Pfund geschnittene Alraunenblätter und einen Molch…«
»Ich glaub, es geht einfach nicht«, hörte er Rons matte Stimme von der anderen Seite des Tisches her.»Nichts zu finden. Nichts. Was am ehesten noch ginge, wäre dieser Dreh, um Pfützen und Tümpel auszutrocknen, dieser Dürrezauber, aber der ist nie und nimmer mächtig genug, um diesen See trocken zu legen.«
»Es muß doch etwas geben«, murmelte Hermine und zog eine Kerze näher zu sich heran. Das Brüten über Alte und vergessene Hexereien und Zaubereien in dieser winzigen Schrift hatte ihre Augen so ermüdet, daß sie mit der Nasenspitze fast die Seiten berührte.»Sie würden doch nie eine Aufgabe stellen, die nicht zu lösen ist.«
»Haben sie aber«, sagte Ron.»Harry, du gehst morgen einfach runter zum See, steckst deinen Kopf ins Wasser und rufst nach den Wassermenschen, sie sollen dir bitteschön das zurückgeben, was sie dir gestohlen haben, und einfach rauswerfen. Mehr kannst du schlicht nicht machen, Alter.«
»Es gibt eine Möglichkeit!«, sagte Hermine.»Es muß doch eine geben!«Daß sich in der Bibliothek nichts Brauchbares finden ließ, schien sie als persönliche Beleidigung aufzufassen; nie zuvor hatten sie die Bücher im Stich gelassen.
»Ich weiß, was ich hätte tun sollen«, sagte Harry, der die Wange auf Scharfe Tricks für scharfe Typen gelegt hatte.»Ich hätte mich zum Animagus ausbilden lassen sollen, so wie Sirius.«
»Genau, dann hättest du dich jederzeit in einen Goldfisch verwandeln können!«, sagte Ron.
»Oder einen Frosch«, gähnte Harry. Er war erschöpft.
»Es dauert Jahre, bis man ein Animagus wird, und dann mußt du dich auch noch anmelden und so weiter«, sagte Hermine unwirsch. Sie hatte in/wischen das Stichwortverzeichnis von Tausend knifflige Zauberrätsel überflogen.»Wißt ihr das nicht mehr, Professor McGonagall hat es uns doch gesagt… du mußt dich dann beim Amt gegen den Mißbrauch der Magie eintragen lassen… welches Tier du werden willst, und deine besonderen Kennzeichen, damit du keinen Unsinn anstellst…«
»War doch nur 'n Witz, Hermine«, sagte Harry müde.»Ich weiß, ich habe keine Chance, mich bis morgen Abend in einen Frosch zu verwandeln…«
»Ach, das bringt doch überhaupt nichts«, sagte Hermine und klappte Tausend knifflige Zauberrätsel zu.»Wer um Himmels willen möchte schon, daß seine Nasenhaare als Ringellöckchen wachsen?«
»Fand ich nicht schlecht«, ertönte Fred Weasleys Stimme.»Könnte man mal drüber reden, oder?«
Harry, Ron und Hermine sahen auf. Fred und George waren gerade hinter einem Bücherregal hervorgetreten.
»Was treibt ihr zwei denn hier?«, fragte Ron.
»Wir suchen euch«, sagte George.»McGonagall will dich sprechen, Ron. Und dich auch, Hermine.«
»Warum?«, fragte Hermine verdutzt.
»Keine Ahnung… jedenfalls sah sie ziemlich angespannt aus«, sagte Fred.
»Wir sollen euch zu ihr ins Büro runterbringen«, sagte George.
Ron und Hermine starrten Harry an, dem sich der Magen zusammenzog. Wollte Professor McGonagall den beiden eine Strafpredigt halten? Vielleicht war ihr aufgefallen, wie viel sie ihm halfen, wo er doch allein herausfinden sollte, wie die Aufgabe zu lösen war?
»Wir treffen uns dann im Gemeinschaftsraum«, sagte Hermine und erhob sich zusammen mit Ron – beide schienen ziemlich beunruhigt.»Und bring möglichst viele von diesen Büchern mit, ja?«
»Gut«, sagte Harry bedrückt.
Um Punkt acht löschte Madam Pince alle Lampen und scheuchte Harry aus der Bibliothek. Er nahm so viele Bücher mit, wie er tragen konnte, und schwankte mit seiner Last zurück in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo er sich einen Tisch beiseite zog und seine Suche fortsetzte. In Magische Mätzchen für tumbe Zauberer war nichts… und auch nicht im Führer durch die mittelalterliche Hexenkunst… nicht ein Wort über Unterwasserausflüge in Eine Anthologie der Zauberei des achtzehnten Jahrhunderts oder in Grausige Wesen der Tiefe und auch nicht in Kräfte Ihres Innern, von denen Sie nie wußten, und was Sie jetzt damit anfangen.
Krummbein krabbelte auf Harrys Schoß und kuschelte sich sonor schnurrend darin ein. Allmählich wurde es um Harry herum leer. Manche wünschten ihm viel Glück für den nächsten Morgen und klangen dabei so fröhlich und zuversichtlich wie Hagrid. Offenbar waren sie alle überzeugt, er würde, wie schon bei der ersten Aufgabe, erneut einen verblüffenden Auftritt hinlegen. Harry konnte ihnen nicht antworten, er hatte das Gefühl, ein Golfball stecke ihm in der Kehle, und so nickte er nur. Er hatte alle mitgebrachten Bücher durchstöbert und Ron und Hermine waren noch immer nicht zurück. Es ist aus, sagte er sich. Du schaffst es nicht. Du mußt eben morgen früh runter zum See und es den Richtern ganz klar sagen…
Er sah sich schon gestehen, daß er die Aufgabe nicht lösen konnte. Er stellte sich Bagmans rundäugige Überraschung vor, Karkaroffs zufriedenes, gelbzähniges Lächeln. Er hörte beinahe schon, wie Fleur Delacour sagte:»Isch 'ab es gewußt, er ist doch nur ein kleiner Junge.«Er sah Malfoy mit seinem POTTER STINKT-Anstecker vor dem Publikum herumtänzeln, sah Hagrids enttäuschtes, ungläubiges Gesicht…
Harry stand urplötzlich auf, und da er ganz vergessen hatte, daß Krummbein auf seinem Schoß lag, landete der Kater auf dem Boden. Er fauchte zornig, versetzte Harry einen angewiderten Blick und stolzierte mit hoch aufgerichtetem Flaschenbürstenschwanz davon. Doch Harry stürmte bereits die Wendeltreppe zum Schlafsaal hoch… er wollte sich den Tarnurnhang schnappen und in die Bibliothek zurückkehren, und dort würde er die ganze Nacht bleiben, wenn es sein mußte…
»Lumos«, flüsterte Harry fünfzehn Minuten später, als er die Tür zur Bibliothek öffnete.
Mit leuchtender Zauberstabspitze schlich er an den Regalen entlang und zog Bücher heraus – noch mehr Bücher über Hexerei und Zauberei, Bücher über Wassermenschen und Wassermonster, Bücher über berühmte Hexen und Zauberer, über magische Erfindungen, Bücher über einfach alles, in denen vielleicht auch nur beiläufig erwähnt war, wie man unter Wasser überleben konnte. Er trug den Stapel hinüber zu einem Tisch und machte sich an die Arbeit. Im schmalen Lichtstrahl seines Zauberstabs blätterte er Seite um Seite um, hin und wieder sah er auf die Uhr…
Ein Uhr… zwei Uhr… um sich anzuspornen, blieb ihm nur, sich selbst einzureden: Im nächsten Buch… im nächsten… im nächsten…
Die Nixe auf dem Gemälde im Badezimmer der Vertrauensschüler lachte und lachte. Harry trieb wie ein Korken auf dem schaumigen Wasser um ihren Fels, während sie den Feuerblitz über seinem Kopf ausgestreckt hielt.
»Komm und hol ihn dir!«, giggelte sie hämisch.»Los, spring schon!«
»Ich kann nicht«, keuchte Harry, schnappte nach dem Feuerblitz und strampelte verzweifelt, um nicht unterzugehen.»Gib ihn her!«
Doch sie stieß ihm nur die Besenspitze schmerzhaft in die Seite und lachte ihn aus.
»Das tut weh – laß das sein – autsch -«
»Harry Potter muß aufwachen, Sir!«
»Hör auf mich zu stupsen -«
»Dobby muß Harry Potter stupsen, Sir, er muß aufwachen!«
Harry öffnete die Augen. Er war immer noch in der Bibliothek; der Tarnurnhang war ihm im Schlaf vom Kopf gerutscht und er lag mit der Wange auf dem Großen Selbsthilfebuch für Zauberer. Er setzte sich auf, rückte seine Brille zurecht und blinzelte ins helle Tageslicht.
»Harry Potter muß sich beeilen!«, quiekte Dobby.»Die zweite Runde beginnt in zehn Minuten, und Harry Potter -«»Zehn Minuten?«, krächzte Harry.»Zehn – zehn Minuten?«
Er blickte auf seine Uhr. Dobby hatte Recht. Es war zwanzig nach neun. Ein großes schweres Gewicht schien ihm durch die Brust in den Magen zu fallen.
»Beeilung, Harry Potter!«, quiekte Dobby und zupfte ihn am Ärmel.»Sie sollten längst unten am See bei den anderen Champions sein, Sir!«
»Es ist zu spät, Dobby«, sagte Harry mit hoffnungsloser Stimme.»Ich werde nicht antreten, ich weiß nicht, wie -«
»Harry Potter wird diese Aufgabe lösen!«, quiekte der Elf.»Dobby wußte, daß Harry nicht das richtige Buch gefunden hat, also hat Dobby es für ihn getan!«
»Was?«, sagte Harry.»Aber du weißt doch gar nicht, was in der zweiten Aufgabe drankommt -«
»Dobby weiß es sehr wohl, Sir! Harry Potter muß in den See hinein und seinen Wheezy finden -«»Meinen was finden?«
»- und seinen Wheezy von den Wassermenschen zurückholen!«
»Was ist ein Wheezy?«
»Ihren Wheezy, Sir, Ihren Wheezy – Wheezy, der Dobby seinen Pulli geschenkt hat!«
Dobby zupfte an dem geschrumpften kastanienbraunen Pulli, den er jetzt über seinen Shorts trug.
»Was?«, keuchte Harry.»Sie haben… sie haben Ron?«
»Das, was Harry Potter am meisten vermissen wird, Sir!«, quiekte Dobby.»Und nach einer Stunde -«
»›- fehlt dir das Glück‹«, zitierte Harry und sah den Elfen an,»›zu spät, 's ist fort und kommt nicht zurück.‹ Dobby – was muß ich tun?«
»Sie müssen essen, Sir!«, quiekte der Elf, steckte die Hand in die Tasche seiner Shorts und zog etwas heraus, das aussah wie eine Kugel aus schmierigen, graugrünen Rattenschwänzen.»Kurz bevor Sie in den See gehen, Sir – Dianthuskraut!«
»Was bewirkt das?«, fragte Harry und starrte die Krautkugel an.
»Es macht, daß Harry Potter unter Wasser atmen kann, Sir!«
»Dobby«, sagte Harry aufgebracht,»hör zu – bist du dir sicher?«
Er konnte nicht ganz vergessen, daß er das letzte Mal, als Dobby versucht hatte, ihm zu»helfen«, am Ende ohne Knochen in seinem rechten Arm im Krankenflügel gelandet war.
»Dobby ist sich ganz, ganz sicher, Sir!«, sagte der Elf mit ernster Miene.»Dobby hört dies und das, Sir, er ist ein Hauself, er geht im ganzen Schloß herum und macht Feuer und wischt die Böden, Dobby hat Professor McGonagall und Professor Moody im Lehrerzimmer gehört, wie sie über die nächste Aufgabe gesprochen haben… Dobby kann nicht zulassen, daß Harry Potter seinen Wheezy verliert!«
Harrys Zweifel schwanden. Er sprang auf und riß sich den Tarnurnhang herunter, stopfte ihn in seine Schultasche, packte die Dianthuskraut-Kugel und steckte sie in seinen Umhang, dann hetzte er mit Dobby auf den Fersen aus der Bibliothek.
»Dobby muß zurück in die Küche, Sir!«, quiekte Dobby, als sie in den Korridor stürzten.»Man wird Dobby vermissen – viel Glück, Harry Potter, Sir, viel Glück!«
»Bis später dann, Dobby!«, rief Harry, sprintete den Korridor entlang und nahm drei Stufen auf einmal die Treppen hinunter.
In der Eingangshalle traf er auf ein paar Nachzügler aus der Großen Halle, die durch das Eichenportal hinausgingen, um sich die zweite Runde anzusehen. Mit aufgerissenen Augen sahen sie Harry vorbeiflitzen, die steinerne Treppe hinunterrasen und, beinahe Colin und Dennis Creevey umrempelnd, hinaus aufs Gelände und in den sonnigen, kalten Tag spurten. Während er den grasbewachsenen Abhang hinunterjagte, sah er, daß die Tribünen, die im November das Drachengehege umgeben hatten, am anderen Ufer aufgebaut waren und sich im See darunter spiegelten; eine Sitzreihe über der anderen war bis auf den letzten Platz besetzt. Das aufgeregte Geschnatter und Getuschel der Menge hallte als merkwürdiges Summen über das Wasser, während Harry, inzwischen völlig außer Atem, am Ufer entlang auf die Richter zurannte, die wieder an einem golddrapierten Tisch direkt am Wasser saßen. Cedric, Fleur und Krum standen neben dem Richtertisch und sahen ihm entgegen.
»Ich… ich bin… da…«, keuchte Harry, bremste schlitternd ab und bespritzte Fleur versehentlich mit Uferschlamm.
»Wo hast du gesteckt?«, sagte eine herrische, mißbilligende Stimme.»Wir haben schon gewartet!«
Harry wandte sich um. Percy Weasley saß am Richtertisch – Mr Crouch war wieder einmal nicht erschienen.
»Schon gut, Percy!«, sagte Ludo Bagman, der ungeheuer erleichtert schien, Harry zu sehen.»Lassen Sie ihn doch erst mal Luft holen!«
Dumbledore lächelte Harry zu, doch Karkaroff und Madame Maxime schienen keineswegs erfreut, ihn zu sehen – nach ihren Mienen zu schließen hatten sie offenbar geglaubt, er würde nicht mehr auftauchen.
Harry stützte die Hände auf die Knie und rang nach Luft; er hatte solches Seitenstechen, daß es ihm vorkam, als hätte er ein Messer zwischen den Rippen. Aber er hatte nicht die Zeit, es ausklingen zu lassen; Ludo Bagman trat nun zwischen die Champions und stellte sie in drei Meter Abstand am Ufer entlang auf. Harry stand ganz am Ende der Reihe, neben Krum, der eine Badehose trug und seinen Zauberstab bereithielt.
»Alles klar, Harry?«, wisperte Bagman und zog Harry ein paar Schritte weiter von Krum fort.»Du weißt, wie du es anstellst?«
»Ja«, keuchte Harry und massierte sich die Rippen.
Bagman kniff ihm kurz in die Schulter und kehrte zum Richtertisch zurück; er richtete den Zauberstab, wie schon bei der Weltmeisterschaft, auf seine Kehle, sagte»Sonorus!«und ließ seine Stimme über das Wasser hinüber zu den Tribünen dröhnen.
»Es ist so weit, unsere Champions sind bereit für die nächste Aufgabe, die auf meinen Pfiff hin beginnt. Sie haben genau eine Stunde, um das zurückzuholen, was ihnen genommen wurde. Ich zähle also bis drei. Eins… zwei… drei!«
Der Pfiff hallte in der kalten, windstillen Luft schrill wider; auf den Tribünen brach Jubel und Beifall los; ohne sich darum zu kümmern, was die anderen Champions taten, zog Harry Schuhe und Socken aus, zog die Hand voll Dianthuskraut aus der Tasche, stopfte sich die Kugel in den Mund und watete hinaus in den See.
Das Wasser war so kalt, daß die Haut auf seinen Beinen brannte, als würde er durch ein Feuer und nicht durch eisiges Wasser gehen. Sein durchweichter Umhang hing ihm immer schwerer von den Schultern, während er tiefer hineinwatete. Das Wasser stand ihm über den Knien und seine rasch ertaubenden Füße rutschten über Schlick und flache, glitschige Steine. Er kaute das Dianthuskraut, so kraftvoll und schnell er konnte; es fühlte sich unangenehm schleimig und gummiartig an wie die Greifarme eines Tintenfischs. Hüfthoch im eisigen Wasser hielt er inne, schluckte und wartete darauf, daß etwas passierte.
Er konnte Gelächter aus dem Publikum hören und wußte, daß er bescheuert aussehen mußte, wie er da im See herumtapste ohne auch nur ein Anzeichen für magische Kräfte. Was noch trocken an ihm war, war Gänsehaut, und bis zur Brust im kalten Wasser stehend blies nun auch noch eine grausame Brise durch sein Haar, und es begann ihn vor Kälte heftig zu schütteln. Er mied den Blick hinüber zu den Tribünen; das Gelächter wurde lauter und die Slytherins begannen zu buhen und zu höhnen…
Dann, ganz plötzlich, fühlte sich Harry, als würde ihm ein unsichtbares Kissen auf Mund und Nase gedrückt. Er versuchte Luft zu holen, doch es drehte sich alles in seinem Kopf; seine Lungen waren leer und er spürte plötzlich einen stechenden Schmerz zu beiden Seiten seines Halses -
Harry klammerte die Hände um den Hals und spürte zwei große, gelippte Schlitze gleich unter den Ohren, die in der kalten Luft flatterten… er hatte Kiemen. Ohne weiter nachzudenken, tat er das Einzige, was Sinn hatte – er warf sich bäuchlings ins Wasser.
Der erste Zug eisigen Wassers kam ihm vor wie das lebensrettende Atemholen. Der Wirbel in seinem Kopf legte sich; er nahm einen weiteren kräftigen Zug Wasser und spürte, wie es sanft durch seine Kiemen floß und Sauerstoff in sein Gehirn schickte. Er streckte die Hände vor sich aus und betrachtete sie. Unter Wasser wirkten sie gespenstisch grün und zwischen den Fingern hatten sich Schwimmhäutchen gebildet. Er neigte den Kopf nach unten und musterte seine nackten Füße – sie waren länger geworden, und auch zwischen seinen Zehen waren nun Schwimmhäutchen; es sah aus, als wären ihm Flossen gewachsen.
Das Wasser schien ihm nun auch nicht mehr eisig… im Gegenteil, er fühlte sich angenehm, kühl und sehr leicht. Harry machte noch einen Schwimmzug und freute sich, wie schnell und weit seine Flossenfüße ihn durchs Wasser trieben, freute sich, wie klar er jetzt sehen konnte und daß er nicht mehr zu blinzeln brauchte. Bald war er so weit in den See hineingeschwommen, daß er den Grund nicht mehr sehen konnte. Er senkte den Kopf und stieß sich hinunter in die Tiefen.
Stille drückte auf seine Ohren, während er über eine fremde, dunkle, neblige Landschaft schwebte. Er hatte nur drei Meter Sicht, und während er rasch durchs Wasser glitt, tauchten plötzlich immer neue Landschaften aus der Dunkelheit auf: Wälder aus wimmelndem schwarzem Tang, weite, mit matt schimmernden Steinen übersäte Schlickebenen. Tiefer hinunter schwamm er, und weit hinaus in die Mitte des Sees, mit aufgerissenen Augen durch das schauerlich graue Licht starrend, auf die Schatten um ihn her, die er nicht durchdringen konnte.
Kleine Fische flitzten an ihm vorbei wie Silberpfeile. Das eine oder andere Mal glaubte er etwas Großes vor sich zu erkennen, doch wenn er näher kam, entdeckte er, daß es nur ein dicker, geschwärzter Baumstamm war oder ein dichtes Tanggeflecht. Von den anderen Champions, von Wassermenschen, von Ron war keine Spur zu entdecken – und glücklicherweise auch nicht von dem Riesenkraken.
Hellgrüner Tang erstreckte sich vor ihm, so weit sein Blick reichte, meterhoch, wie eine wild verwucherte Wiese. Harry spähte ohne zu blinzeln in die Tiefen und versuchte in dem düsteren Licht Gestalten zu erkennen… und dann, ohne Vorwarnung, packte ihn etwas am Knöchel.
Harry wirbelte herum und sah einen Grindeloh, einen kleinen, gehörnten Wasserdämon, den Kopf aus dem Tang strecken, die langen Finger fest um Harrys Bein geklammert und die spitzen Vorderzähne gebleckt – rasch steckte Harry seine mit Schwimmhäutchen bewachsene Hand in die Tasche und tastete nach seinem Zauberstab – aber bis er ihn in den Fingern hatte, waren zwei weitere Grindelohs aus dem Tang aufgetaucht, hatten sich an seinem Umhang festgeklammert und versuchten ihn in die Tiefe zu ziehen.
»Relaschio!«, rief Harry, doch kein Laut kam aus seinem Mund… nur eine große Blase, und sein Zauberstab schoß auch keinen Funkenstrom gegen die Grindelohs, sondern einen Strahl offenbar kochend heißen Wassers, denn da, wo er sie traf, flammten rote Flecken auf ihrer grünen Haut auf. Harry entwand sein Bein dem Griff der Grindelohs und schwamm, so schnell er konnte, davon; hin und wieder jagte er einen weiteren heißen Wasserstrahl blindlings über die Schultern, denn ihm war, als ob ein Grindeloh noch immer nach seinem Fuß schnappte. Dann stieß er heftig nach hinten aus, und endlich spürte er, wie sein Fuß einen gehörnten Schädel traf, und als er einen Blick zurückwarf, sah er den benommenen Grindeloh mit schielendem Blick davontreiben, während seine Mitdämonen wütend die Faust gegen ihn reckten und sich in ihren Tang zurücksinken ließen.
Harry ging es nun ein wenig langsamer an, steckte den Zauberstab in den Umhang und blickte lauschend umher, während er einen großen Kreis im Wasser schwamm. Die Stille lastete nun noch schwerer auf seinen Trommelfellen. Er wußte, daß er tief unten im See sein mußte, doch nichts außer dem wimmelnden Tang bewegte sich.»Wie kommst du so voran?«
Harry war einem Herzanfall nahe. Er wirbelte herum und sah die Maulende Myrte im nebligen Licht vor sich schwimmen und ihn durch ihre dicke Perlmuttbrille anstarren.
»Myrte!«, versuchte Harry zu rufen, doch wiederum kam nichts als eine große Blase aus seinem Mund. Doch der Maulenden Myrte gelang es zu kichern.
»Vielleicht probierst du es mal dort drüben!«, sagte sie und deutete ins Trübe.»Ich komm nicht mit… ich mag sie nicht besonders, sie jagen mich immer, wenn ich ihnen zu nahe komme…«
Harry bedankte sich mit nach oben gerecktem Daumen und schwamm erneut los, darauf bedacht, etwas höher über dem Tang zu bleiben, um den Grindelohs, die vielleicht noch auf ihn lauerten, zu entgehen.
Er schwamm, wie es ihm vorkam, mindestens zwanzig Minuten lang. Weite Ebenen schwarzen Schlamms, von seinen Flossen trüb aufgewirbelt, zogen unter ihm hinweg. Dann endlich hörte er einen Fetzen jenes Wassermenschenliedes, das er nicht mehr vergessen würde:
»In einer Stunde mußt du es finden
und es uns dann auch wieder entwinden…«
Nach ein paar raschen Zügen sah Harry vor sich einen großen Fels aus dem trüben Wasser auftauchen. Auf den Stein waren Wassermenschen gemalt; sie trugen Speere und waren offenbar auf der Jagd nach Riesenkraken. Harry schwamm weiter, am Fels vorbei, und folgte dem Wassermenschenlied.
»… die Zeit ist halb um, so zaudre nicht,
sonst sieht, was du suchst, nie mehr das Licht.«
Aus der Dunkelheit ragten plötzlich einige primitive und mit Algen bewachsene steinerne Behausungen ins trübe Licht. Durch die dunklen Fenster sah Harry hie und da ein paar Gesichter… Gesichter, die nicht entfernt der Nixe auf jenem Badezimmergemälde ähnelten…
Die Wassermenschen hatten gräuliche Haut und langes, wildes, dunkelgrünes Haar. Ihre Augen waren gelb, wie ihre splittrigen Zähne, und sie trugen dicke Perlenschnüre um den Hals. Mit scheelen Blicken verfolgten sie grinsend, wie Harry vorbeischwamm; einige wenige kamen aus ihren Höhlen, um ihn besser betrachten zu können; sie trugen Speere in den Händen und durchpeitschten das Wasser mit ihren kräftigen silbernen Schwanzflossen.
Harry schwamm rasch weiter, spähte umher und sah bald noch weitere Behausungen auftauchen; um. manche davon waren Tanggärten angelegt, und vor einer Tür, an einem Pfahl angeleint, sah er sogar einen Hausgrindeloh. Von allen Seiten erschienen jetzt Wassermenschen und betrachteten ihn neugierig, deuteten auf seine Flossenhände und Kiemen und tuschelten hinter vorgehaltenen Händen miteinander. Schnell bog Harry um einen Felsen, doch dahinter tat sich ein sonderbares Schauspiel vor ihm auf. Eine ganze Schar Wassermenschen schwebte vor einer Häuserreihe, die eine Art Dorfplatz bildete, nur daß dieser Platz unter Wasser errichtet war. Ein Wassermenschenchor in der Mitte des Platzes sang jenes Lied, das die Champions anlocken sollte, und hinter dem Chor ragte eine Statue auf: ein gigantischer Wassermensch, mit groben Schlägen aus einem mächtigen Geröllblock gehauen. An die Schwanzflosse des steinernen Wassermenschen waren vier Menschen gefesselt.
Ron hatten sie zwischen Hermine und Cho Chang angebunden. Mit dabei war auch ein Mädchen, das nicht älter als acht schien. Die silbrige Haarwolke, die um es her im Wasser schwebte, ließ Harry sicher sein, daß es Fleur Delacours Schwester war. Alle vier schienen in einen sehr tiefen Schlaf versunken. Die Köpfe hingen schlaff herunter und Ströme feiner Blasen quollen aus ihren Mündern.
Harry schwamm mit raschen Zügen auf die Geiseln zu, in der Furcht, daß die Wassermenschen ihre Speere senken und gegen ihn schleudern würden, doch nichts geschah. Die Gefangenen waren mit dicken, glibberigen und sehr zähen Tangschlingen an die Statue gefesselt. Einen kurzen Augenblick lang dachte er an das Messer, das ihm Sirius zu Weihnachten geschenkt hatte – aber es lag sicher verwahrt und völlig nutzlos in seinem Koffer im Schloß.
Er sah sich um. Viele der Wassermenschen, die ihn und die vier Geiseln umkreisten, trugen Speere. Er schwamm auf einen über zwei Meter großen Wassermann mit langem grauem Bart und einer Halskette aus Haifischzähnen zu und versuchte ihm grimassierend und fuchtelnd verständlich zu machen, daß er sich seinen Speer ausleihen wolle. Der Wassermann lachte und schüttelte den Kopf.»Wir helfen nicht«, sagte er mit knirschender und krächzender Stimme.
»Nun mach schon!«, sagte Harry wütend (doch nur Blasen kamen aus seinem Mund) und versuchte dem Wassermann den Speer zu entwinden, doch er riß ihn an sich, schüttelte wieder den Kopf und lachte.
Harry wirbelte herum und blickte umher. Etwas Scharfes… irgend etwas… Auf dem Boden des Sees lagen Steine verstreut. Er schwamm hinab, holte sich einen besonders scharf gezackten Stein und kehrte zu der Statue zurück. Dann begann er auf die Taue einzuhacken, mit denen Ron gefesselt war, und nach einigen Minuten harter Arbeit rissen sie. Ron blieb bewußtlos ein paar Zentimeter über dem Seegrund schweben und dümpelte langsam dahin.
Harry sah sich um. Von den anderen Champions war keine Spur zu sehen. Worauf warteten sie? Warum beeilten sie sich nicht? Er wandte sich nun Hermine zu, hob den gezackten Stein und begann auch auf ihre Fesseln einzuhacken -
Doch schon packten ihn mehrere Paar starker grauer Hände. Ein halbes Dutzend Wassermänner schüttelten die grünhaarigen Köpfe und zogen ihn lachend von Hermine fort.
»Du nimmst deine eigene Geisel«, sagte einer der Wassermänner.»Laß die anderen hier…«
»Unmöglich!«, wollte Harry aufgebracht schreien – doch seinem Mund entwichen nur zwei große Blasen.
»Deine Aufgabe ist es, deinen Freund zurückzuholen… laß die anderen hier…«
»Mit ihr bin ich auch befreundet!«, rief Harry und gestikulierte zu Hermine hinüber, wobei ihm eine riesige silberne Blase geräuschlos aus dem Mund trat.»Und die anderen sollen auch nicht sterben!«
Chos Kopf lag auf Hermines Schulter; das kleine silberhaarige Mädchen war gespenstisch grün und fahl. Harry mühte sich verzweifelt, die Wassermänner abzuschütteln, doch sie lachten nur noch lauter und hielten ihn fest. Harry blickte hektisch um sich. Wo blieben die anderen Champions? Hatte er noch Zeit, Ron nach oben zu bringen und dann zurückzukommen, um Hermine und die anderen zu holen? Würde er sie dann wieder finden? Er sah auf die Uhr, um zu prüfen, wie viel Zeit ihm noch blieb – aber sie war stehen geblieben. Nun jedoch deuteten die Wassermänner um ihn her auf etwas über seinem Kopf. Harry blickte auf und sah Cedric auf sich zuschwimmen. Sein Kopf steckte in einer mächtigen Blase, die seine Züge merkwürdig weitete und spannte.
»Hab mich verirrt!«, formte er mit den Lippen, die Augen voller Panik.»Fleur und Krum kommen gleich!«
Harry fiel ein Stein vom Herzen, und er beobachtete, wie Cedric ein Messer aus der Tasche zog und Chos Fesseln durchschnitt. Er zog sie in die Höhe und verschwand mit ihr.
Harry sah sich angespannt um. Wo blieben Fleur und Krum? Die Zeit wurde allmählich knapp, und dem Lied zufolge waren die Geiseln nach einer Stunde verloren…
Die Wassermenschen kreischten erregt. Jene, die Harry festhielten, lockerten ihren Griff und schauten über die Schultern. Auch Harry wandte sich um und sah etwas Monströses durch das Wasser furchen: ein menschlicher Körper in Badehosen mit dem Kopf eines Hais… es war Krum. Erschien sich selbst verwandelt zu haben – allerdings nicht besonders gut.
Der Hai-Mann schwamm geradewegs auf Hermine zu und begann an ihren Fesseln zu reißen und zu beißen: Das Problem war nur, daß Krums neue Zähne wenig dazu geeignet waren, etwas Kleineres als einen Delphin zu zerbeißen, und Harry sah es schon kommen, daß Krum, wenn er nicht vorsichtig war, Hermine in zwei Teile reißen würde. Er schoß auf ihn zu, schlug ihm hart auf die Schulter und hielt den gezackten Stein in die Höhe. Krum packte den Stein und begann Hermine freizuhacken. Nach Sekunden schon war es ihm gelungen; er schlang den Arm um Hermines Taille und schwamm ohne einen Blick zurück davon.
Was jetzt?, dachte Harry verzweifelt. Wenn er nur sicher wüßte, daß Fleur auf dem Weg war… noch war nichts von ihr zu sehen. Es blieb ihm nichts anderes übrig…
Er holte den Stein vom Grund, den Krum hatte fallen lassen, doch die Wassermänner kamen näher, bildeten nun einen Kreis um Ron und das kleine Mädchen und schüttelten die Köpfe.
Harry zog seinen Zauberstab.»Aus dem Weg!«
Nur Blasen sprudelten ihm aus dem Mund, aber er war sich sicher, daß die Wassermänner ihn verstanden hatten, denn plötzlich hörten sie auf zu lachen. Mit ihren gelblichen Augen blickten sie gebannt und verängstigt auf Harrys Zauberstab. Harry war allein und sie waren viele, doch nach ihren Mienen zu schließen konnten sie genauso wenig zaubern wie der Riesenkrake.
»Ich zähle bis drei!«, rief Harry; ein langer Strom aus Blasen quoll aus seinem Mund, doch er hielt drei Finger in die Höhe, damit sie die Botschaft auch sicher verstanden.»Eins…«(er zog einen Finger ein) -»zwei…«(er zog den zweiten Finger ein) -
Sie wichen zurück. Harry schoß auf das kleine Mädchen zu und hieb mit dem Stein auf das Tau ein, mit dem es an die Statue gefesselt war; und endlich war auch sie befreit. Er schlang den Arm um die Taille des Mädchens, packte Ron hinten am Umhang und stieß mit seinen Beinen durchs Wasser.
Er kam nur langsam und mühsam voran. Seine Schwimmhände konnte er nicht mehr benutzen, um sich anzutreiben; er ruderte verzweifelt mit seinen Beinen, doch Ron und Fleurs Schwester waren wie Säcke voll Kartoffeln, die ihn hinabzogen… er wandte das Gesicht nach oben, obwohl das Wasser über ihm noch dunkel war und er wußte, daß er noch tief unten sein mußte…
Auch Wassermenschen stiegen mit ihm hoch. Sie schlängelten völlig mühelos um ihn herum und beobachteten, wie er sich durch das Wasser kämpfte… würden sie ihn zurück in die Tiefe ziehen, wenn die Zeit um war? Fraßen sie vielleicht sogar Menschen? Harrys Beine verkrampften sich vor Anstrengung; seine Schultern schmerzten furchtbar unter der Last Rons und des Mädchens, die sie nach oben ziehen mußten…
Das Luftholen war nun unerträglich schwer geworden. Wieder spürte er Schmerzen an beiden Seiten seines Halses… jetzt wurde ihm auch bewußt, daß sein Mund voll Wasser war… aber die Dunkelheit war jetzt nicht mehr so undurchdringlich… über sich konnte er das Tageslicht sehen…
Er stieß mit den Beinen kräftig nach unten und entdeckte, daß er wieder ganz normale Füße hatte… Wasser drang ihm durch den Mund in die Lungen… er fühlte sich schwindlig und benommen, doch er wußte, daß nur drei Meter über ihm Licht und Luft waren… er mußte es bis oben schaffen… er mußte einfach…
Harry ruderte so verzweifelt mit seinen Beinen, daß es sich anfühlte, als würden seine Muskeln vor Empörungschreien; sogar sein Kopf schien voll Wasser, er konnte nicht atmen, er brauchte Sauerstoff, er mußte weitermachen, er durfte nicht aufhören -
Und dann spürte er, wie sein Kopf durch die Wasseroberfläche stieß; wunderbare, kalte, klare Luft stach ihm ins nasse Gesicht; er sog sie in mächtigen Zügen ein, und es schien ihm, als hätte er in seinem Leben noch nie richtig geatmet. Keuchend zog er Ron und das kleine Mädchen hoch an die Luft. Überall um ihn her tauchten wilde, grünbehaarte Köpfe aus dem Wasser und lächelten ihm zu.
Die Menge auf der Tribüne machte einigen Lärm; alle waren aufgesprungen und riefen und schrien; Harry hatte den Eindruck, daß sie Ron und das Mädchen für tot hielten, doch sie irrten sich… beide hatten die Augen geöffnet; das Mädchen sah ängstlich und verwirrt aus und Ron spuckte nur einen großen Wasserstrahl aus, blinzelte im hellen Licht, wandte sich Harry zu und sagte:»Naß, oder?«Dann erkannte er Fleurs Schwester.»Warum hast du die mitgebracht?«
»Fleur ist nicht gekommen. Ich konnte sie nicht da unten lassen«, keuchte Harry.
»Harry, du Trottel!«, sagte Ron,»du hast dieses Lied doch nicht etwa ernst genommen? Dumbledore hätte doch keinen von uns im Stich gelassen!«
»Aber in dem Lied heißt es -«
»Nur damit ihr auch ja innerhalb der Zeit wieder zurückkommt!«, sagte Ron.»Ich hoffe, du hast da unten nicht deine Zeit verplempert und den Helden gespielt!«
Harry kam sich dumm vor und war zugleich verärgert. Ron hatte gut reden; er hatte ja geschlafen, er hatte nicht erlebt, wie schaurig es dort unten im See gewesen war, umkreist von speertragenden Wassermännern, die durchaus zum Töten bereit schienen.
»Komm her«, sagte er schroff,»hilf mir mit dem Mädchen, ich glaub nicht, daß sie allzu gut schwimmen kann.«
Sie zogen Fleurs Schwester durch das Wasser, hinüber zum Ufer, wo die Richter standen und sie beobachteten. Begleitet wurden sie von einer Art Ehrengarde aus zwanzig Wassermenschen, die ihre fürchterlich kreischigen Lieder sangen.
Harry sah, wie Madam Pomfrey um Hermine, Krum, Cedric und Cho herumwirbelte, die allesamt in dicke Decken eingewickelt waren. Dumbledore und Ludo Bagman standen da und strahlten Harry und Ron entgegen, die jetzt auf das Ufer zuschwammen, doch Percy, der sehr blaß und merkwürdig jünger aussah als sonst, kam ins Wasser gepatscht, um sie zu begrüßen.
Unterdessen versuchte Madame Maxime Fleur zu bändigen, die vollkommen aufgelöst schien und sich mit Zähnen und Klauen kämpfend zurück ins Wasser stürzen wollte.
»Gabrielle! Gabrielle! Lebt sie noch! Ist sie verletzt?«
»Ihr geht's gut!«, wollte Harry ihr zurufen, doch er war so erschöpft, daß er kaum sprechen und schon gar nicht laut rufen konnte.
Percy schnappte sich Ron und zerrte ihn ans Ufer (»Hau ab, Percy, mir geht's gut!«); Dumbledore und Bagman zogen Harry auf die Beine; Fleur hatte sich Madame Maximes Griff entwunden und umarmte ihre Schwester.
»Es waren die Grindelohs… sie 'aben misch angegriffen… oh, Gabrielle, isch dachte schon… isch dachte…«
»Komm hierher zu mir, Junge«, sagte Madam Pomfrey; sie packte Harry am Arm, zog ihn hinüber zu Hermine und den anderen, wickelte ihn so fest in eine Decke, daß er sich vorkam wie in einer Zwangsjacke, und flößte ihm resolut einen Löffel sehr heißen Zaubertranks ein. Dampf stob ihm aus den Ohren.
»Gut gemacht, Harry!«, rief Hermine.»Du hast es geschafft, du hast es ganz allein rausgefunden!«
»Na ja -«, sagte Harry. Er hätte ihr gerne von Dobby erzählt, doch soeben war ihm aufgefallen, daß Karkaroff ihn beobachtete. Er war der einzige Richter, der den Tisch nicht verlassen hatte; der einzige Richter, der nicht erfreut und erleichtert schien, daß Harry, Ron und Fleurs Schwester wohlbehalten zurück waren.»Ja, stimmt schon«, sagte Harry und hob ein wenig die Stimme, damit Karkaroff ihn hören konnte.
»Du hast eine Wasserkäfer in deine Haar, Erminne«, sagte Krum.
Harry hatte den Eindruck, daß Krum versuchte, ihre Aufmerksamkeit wiederzugewinnen, vielleicht um sie daran zu erinnern, daß er sie gerade aus dem See gerettet hatte, doch Hermine wischte den Wasserkäfer unwirsch weg und sagte:»Aber du hast die Zeit weit überschritten, Harry… hast du so lange gebraucht, um uns zu finden?«
»Nein… gefunden hatte ich euch schon lange…«
Harry kam sich allmählich ziemlich belämmert vor. Nun, wieder auf dem Trockenen, war er sich sicher, daß Dumbledore keine Geisel hätte sterben lassen, nur weil ihr Champion nicht zu ihr durchkam. Warum hatte er sich nicht einfach Ron geschnappt und war verschwunden? Er wäre der Erste gewesen… Cedric und Krum hatten keine Zeit damit verschwendet, sich um irgendjemanden zu kümmern; sie hatten das Wasserlied nicht ernst genommen…
Dumbledore kauerte am Ufer, vertieft in ein Gespräch mit einem Wassermenschen, offenbar der Anführerin, einer besonders wild und grimmig aussehenden Nixe. Dumbledore machte genau jene Geräusche, die die Wassermenschen von sich gaben, wenn sie an der Oberfläche waren; offensichtlich konnte er Meerisch sprechen. Schließlichrichtete er sich auf, wandte sich seinen Richterkollegen zu und sagte:»Ich denke, wir sollten uns beraten, bevor wir die Noten vergeben.«
Die Richter scharten sich eng zusammen. Madam Pomfrey ging hinüber, um Ron aus Percys Klammergriff zu lösen; sie führte ihn zu Harry und den anderen, gab ihm eine Decke und ein wenig Aufpäppel-Trank, dann ging sie Fleur und ihre Schwester holen. Fleur hatte viele Schnittwunden auf Gesicht und Armen und ihr Umhang war zerfetzt, doch es schien sie nicht zu kümmern, und sie gestattete Madam Pomfrey nicht einmal, die Wunden zu reinigen.
»Kümmern Sie sisch um Gabrielle«, sagte sie und wandte sich Harry zu.»Du 'ast sie gerettet«, keuchte sie.»Obwohl sie nischt deine Geisel war.«
»Ja-ah«, sagte Harry, der inzwischen zutiefst bereute, nicht alle drei Mädchen in Fesseln an der Statue gelassen zu haben.
Fleur stürzte sich nun auch auf ihn und gab ihm einen Kuß. Hermine machte ein zorniges Gesicht, doch in diesem Augenblick dröhnte Ludo Bagmans magisch verstärkte Stimme neben ihnen hinaus auf den See, sie zuckten zusammen und die Menge auf der Tribüne wurde ganz still.
»Meine Damen und Herren, wir haben unsere Entscheidung getroffen. Seehäuptling in Murcus hat uns genau geschildert, was auf dem Grund des Sees geschehen ist, und wir haben daher beschlossen, die Champions bei fünfzig möglichen Punkten wie folgt zu benoten…
Miss Fleur Delacour hat zwar gezeigt, daß sie hervorragend mit dem Kopfblasenzauber umgehen kann, doch sie wurde von Grindelohs angegriffen, als sie sich ihrem Ziel näherte, und hat es nicht geschafft, ihre Geisel zu befreien. Wir erteilen ihr fünfundzwanzig Punkte.«
Applaus von der Tribüne.
»Isch 'ab eigentlisch keinen verdient«, krächzte Fleur und schüttelte ihren herrlichen Kopf.
»Mr Cedric Diggory, der ebenfalls den Kopfblasenzauber verwendet hat, kam als Erster mit seiner Geisel zurück, allerdings nach der gesetzten Zeit von einer Stunde.«Gewaltiger Jubel von den Hufflepuffs im Publikum; Harry sah, wie Cho Cedric einen glühenden Blick schenkte.»Deshalb geben wir ihm siebenundvierzig Punkte.«
Harry wurde schwer ums Herz. Wenn Cedric die Zeit überschritten hatte, was war dann erst mit ihm?
»Mr Viktor Krum hat eine unvollständige Verwandlung benutzt, die dennoch sehr wirksam war, und ist als Zweiter mit seiner Geisel zurückgekehrt. Wir geben ihm vierzig Punkte.«
Karkaroff klatschte besonders laut und mit überlegenem Mienenspiel.
»Mr Harry Potter hat mit bester Wirkung Dianthuskraut genommen«, fuhr Bagman fort.»Er kehrte als Letzter zurück und weit über dem Zeitlimit von einer Stunde. Wie uns die Seehäuptlingin allerdings mitteilt, hat Mr Potter die Geiseln als Erster erreicht, und die Verspätung bei seiner Rückkehr war seiner Entschlossenheit geschuldet, alle Geiseln, nicht nur die seine, in Sicherheit zu bringen.«
Ron und Hermine warfen Harry halb aufgebrachte, halb mitleidige Blicke zu.
»Die Mehrzahl der Richter«- und an dieser Stelle versetzte Bagman Karkaroff einen sehr bissigen Blick -»sind der Überzeugung, daß dies moralisches Rückgrat beweist und mit der vollen Punktzahl belohnt werden sollte. Dennoch… Mr Potters Ergebnis lautet fünfundvierzig Punkte.«
Harrys Magen sprang ihm in die Kehle – jetzt war er mit Cedric zusammen auf dem ersten Platz. Ron und Hermine, auf dem falschen Fuß erwischt, sahen Harry mit großen Augen an und begannen dann wie die anderen wild zu klatschen.
»Da hast du es, Harry!«, rief Ron durch den Trubel.»Du warst überhaupt nicht blöde – du hast moralisches Rückgrat bewiesen!«
Auch Fleur klatschte begeistert, während Krum überhaupt nicht glücklich schien. Wieder versuchte er, Hermine in ein Gespräch zu verwickeln, doch sie war zu sehr damit beschäftigt, Harry zu bejubeln, um hinzuhören.
»Die dritte und letzte Runde des Turniers findet am vier-undzwanzigsten Juni bei Einbruch der Dunkelheit statt«, fuhr Bagman fort.»Wir werden den Champions genau einen Monat vorher mitteilen, was auf sie zukommt. Dank an alle für die Unterstützung ihrer Champions.«
Es ist vorbei, dachte Harry benommen, und schon bugsierte Madam Pomfrey die Champions und ihre Geiseln zurück ins Schloß, wo sie trockene Kleider anziehen sollten Es war vorbei, er war durchgekommen… er mußte sich jetzt bis zum vierundzwanzigsten Juni um gar nichts mehr sorgen…
Das nächste Mal, wenn ich nach Hogsmeade komme, so beschloß er, als er die Steinstufen zum Schloß hochging, das nächste Mal kaufe ich Dobby für jeden Tag des Jahres ein Paar Socken.