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Der ganze Trubel nach der zweiten Runde, als alle unbedingt hören wollten, was denn genau auf dem Grund des Sees geschehen war, hatte vor allem ein Gutes: Ron stand wenigstens einmal gemeinsam mit Harry im Rampenlicht. Harry fiel auf, daß Ron seine Geschichte jedes Mal ein wenig anders erzählte. Die erste Darstellung schien durchaus noch der Wahrheit zu entsprechen; sie stimmte jedenfalls mit dem überein, was Hermine berichtete: Dumbledore hatte in Professor McGonagalls Büro die Geiseln in einen Zauberschlaf versetzt, nachdem er ihnen versichert hatte, ihnen würde nichts geschehen und sie würden erst wieder aufwachen, wenn sie an Land seien. Eine Woche später jedoch erzählte Ron die nervenzerfetzende Geschichte einer Entführung, bei der er allein gegen fünfzig schwer bewaffnete Wassermenschen gekämpft habe, die ihn erst hätten zusammenschlagen müssen, um ihn fesseln zu können.
»Aber ich hatte meinen Zauberstab im Ärmel versteckt«, beteuerte er Padma Patil, die nun, da Ron so viel Beachtung fand, offenbar viel schärfer auf ihn war und jedes Mal, wenn sie ihm im Korridor begegnete, unter großem Hallo unbedingt mit ihm sprechen wollte.»Diese Wasseridioten hätt ich jederzeit erledigen können.«
»Und wie bitte hättest du das angestellt, wolltest du sie vielleicht anschnarchen?«, giftete Hermine. Sie hatte sich viele Sticheleien anhören müssen, weil sie es war, die Viktor Krum am meisten vermißte, und war in ziemlich gereizter Stimmung.
Ron wurde rot um die Ohren und kehrte von Stund an zu der Geschichte mit dem Zauberschlaf zurück.
Anfang März wurde das Wetter trockener, aber wenn sie draußen auf dem Land waren, röteten ihnen furchtbare Winde die Hände und Gesichter. Ihre Briefe kamen verspätet an, denn die Stürme bliesen die Eulen aus ihren Flugbahnen. Der Waldkauz, den Harry Sirius mit dem Datum des Hogsmeade-Wochenendes geschickt hatte, tauchte eines Freitagmorgens beim Frühstück auf, und die Hälfte seiner Federn war in die falsche Richtung gebürstet; kaum hatte Harry Sirius' Antwort von seinem Bein gerissen, flatterte er wieder davon, offensichtlich aus Furcht, er würde gleich wieder in die Lüfte geschickt.
Sirius' Brief war fast so kurz wie sein voriger.
Komm Samstagnachmittag um zwei zu dem Gatter an der Straße, die aus Hogsmeade herausführt (an Derwisch und Banges vorbei). Bring so viel Eßbares mit, wie du tragen kannst.
»Er ist doch nicht etwa wieder in Hogsmeade?«, sagte Ron ungläubig.
»Sieht ganz danach aus«, meinte Hermine.
»Das kann er doch nicht machen«, sagte Harry mit angespannter Stimme.»Wenn sie ihn fassen…«
»Bis hierher ist er jedenfalls durchgekommen«, sagte Ron.»Und in diesem Kaff wird sich jetzt wohl kein Dementor mehr rumtreiben.«
Nachdenklich faltete Harry den Brief zusammen. Wenn er ehrlich zu sich war, wollte er Sirius wirklich gern wieder sehen. In die letzte Doppelstunde an diesem Nachmittag -Zaubertränke – ging er jedenfalls viel besser gelaunt als sonst, wenn er die Treppen zu den Kerkern hinunterstieg.
Malfoy, Crabbe und Goyle standen vor der Klassenzimmertür und hatten die Köpfe mit einigen Slytherin-Mädchen aus Pansy Parkinsons Bande zusammengesteckt. Sie kicherten ausgelassen über etwas, das Harry nicht sehen konnte. Als die drei näher kamen, lugte Pansys aufgeregtes Mopsgesicht hinter Goyles breitem Rücken hervor.
»Da sind sie ja, da sind sie!«, giggelte sie, und die Slytherin-Traube stob auseinander. Harry sah, daß Pansy eine Illustrierte in der Hand hielt – die Hexenwoche. Das bewegte Titelbild zeigte eine lockenhaarige Hexe, die zähneblitzend lächelte und mit dem Zauberstab auf einen großen Biskuit-kuchen deutete.
»Da steht was drin, das dich sicher interessieren wird, Granger!«, rief Pansy und warf die Illustrierte Hermine zu, die sie verdutzt auffing. In diesem Augenblick öffnete sich die Kerkertür und Snape winkte sie herein.
Harry, Ron und Hermine gingen wie immer schnurstracks auf einen Tisch ganz hinten zu. Sobald Snape ihnen den Rücken gekehrt hatte, um die Zutaten des heutigen Tranks an die Tafel zu schreiben, blätterte Hermine unter dem Tisch hastig das Heft durch. Im mittleren Teil fand sie schließlich, wonach sie suchten. Harry und Ron beugten sich tiefer über die Seiten. Ein Farbfoto von Harry prangte über einem kurzen Artikel mit der Überschrift
Harry Potters stummes Herzeleid
Ein Junge wie kein anderer, könnte man meinen – doch auch ein Junge, der die ganz gewöhnlichen Qualen des Heranwachsenden durchleidet. Seit dem tragischen Ableben seiner Eltern der Liebe beraubt, glaubte der vierzehnjährige Harry Potter, endlich Trost bei seiner festen Freundin in Hogwarts, Hermine Granger, gefunden zu haben. Doch er ahnte nicht, daß seine Seele in diesem ohnehin von persönlichen Verlusten geprägten Leben bald erneut einen schweren Schlag erleiden würde.
Miss Granger, ein äußerlich unscheinbares, aber ehrgeiziges Mädchen, hegt offenbar eine Vorliebe für berühmte Zauberer, die Harry allein nicht befriedigen kann. Seit Viktor Krum, der bulgarische Sucher und Held der letzten Quidditch-Weltmeisterschaft, in Hogwarts weilt, spielt Miss Granger mit den Gefühlen beider Jungen. Krum, der von der tückischen Miss Granger offensichtlich hingerissen ist, hat sie bereits eingeladen, ihn während der Sommerferien in Bulgarien zu besuchen, und versichert, er habe»solche Gefühle noch für kein anderes Mädchen empfunden«.
Allerdings sind es womöglich gar nicht die zweifelhaften natürlichen Reize Miss Grangers, denen diese beiden unglücklichen Jungen verfallen sind.
»Im Grunde ist sie häßlich«, meint Pansy Parkinson, eine hübsche und lebhafte Viertkläßlerin,»aber daß sie einen Liebestrank zusammenbraut, traue ich ihr durchaus zu, sie hat ja ziemlich viel Grips. Ich bin sicher, damit schafft sie es.«
Natürlich sind Liebestränke in Hogwarts verboten und zweifellos sollte Albus Dumbledore diesen Behauptungen nachgehen. In der Zwischenzeit können alle, die sich um das Wohl Harry Potters sorgen, nur hoffen, daß er sein Herz das nächste Mal einer würdigeren Kandidatin schenkt.
Rita Kimmkorn
»Ich hab's dir doch gesagt!«, zischelte Ron Hermine zu, die mit offenem Mund das Blatt anstarrte.»Ich hab dir doch gesagt, du sollst diese Rita Kimmkorn nicht ärgern! Jetzt hat sie dich auf dem Kieker und macht aus dir so eine – eine Lebedame!«
Hermines verblüffte Miene löste sich in schnaubendes Gelächter auf.»Lebedame?«, wiederholte sie, wandte sich Ron zu und zitterte verhalten kichernd.
»So nennt es jedenfalls meine Mum«, murmelte Ron und wieder lief er um die Ohren herum rot an.
»Wenn das alles ist, was Rita zustande bringt, dann wird sie allmählich langweilig«, sagte Hermine und warf die Hexenwoche immer noch kichernd auf den leeren Stuhl neben ihr.»Das ist doch nichts als ein Haufen Müll.«
Sie sah hinüber zu den Slytherins, die gespannt beobachteten, ob es ihnen gelungen war, sie und Harry mit dem Artikel zu ärgern. Hermine schenkte ihnen ein herablassendes Lächeln und einen lässigen Wink mit der Hand, dann packten die drei die Zutaten aus, die sie für ihren Gripsschär-fungs-Trank brauchten.
»Eins ist schon komisch daran«, sagte Hermine zehn Minuten später und hielt die Mörserkeule über eine Schale Skarabäuskäfer.»Wie hat Rita Kimmkorn das nur rausgefunden…?«
»Was rausgefunden?«, fragte Ron sofort.»Du hast doch nicht etwa Liebestränke gebraut?«
»Sei doch nicht albern«, zischte Hermine und begann ihre Käfer zu zerstampfen.»Nein, es ist nur… wie hat sie erfahren, daß Viktor mich eingeladen hat, ihn im Sommer zu besuchen?«Hermine lief bei diesen Worten scharlachrot an und vermied entschieden Rons Blick.
»Was?«Ron ließ seinen Stößel mit einem lauten Klonk fallen.
»Er hat mich gefragt, gleich nachdem er mich aus dem See gezogen hatte«, murmelte Hermine.»Nachdem er seinen Haikopf losgeworden ist. Madam Pomfrey hat uns Deckengegeben, dann hat er mich von den Richtern weggezogen, damit sie nichts mitbekamen, und gefragt, ob ich im Sommer schon was vorhätte und ob ich nicht Lust hätte -«
»Und was hast du geantwortet?«, warf Ron ein und hämmerte, die Augen unverwandt auf Hermine gerichtet, gut eine Armlänge von der Schale entfernt mit dem Stößel auf den Tisch.
»Und er hat wirklich gesagt, daß er noch nie solche Gefühle für jemanden empfunden hätte«, fuhr Hermine fort und wurde so rot, daß Harry die Hitze, die in ihr aufstieg, fast spüren konnte.»Aber wie könnte Rita Kimmkorn uns belauscht haben? Sie war nicht da… oder doch? Vielleicht hat sie einen Tarnumhang und hat sich aufs Gelände geschlichen, um sich die zweite Runde anzusehen…«
»Und was hast du geantwortet?«, wiederholte Ron und hieb mit dem Stößel so heftig auf den Tisch, daß eine Delle im Holz zurückblieb.
»Mich hat nur interessiert, ob es dir und Harry gut geht und -«
»So faszinierend Ihr gesellschaftliches Leben zweifellos ist, Miss Granger«, sagte eine eisige Stimme direkt hinter ihnen,»ich muß Sie doch ermahnen, es nicht im Unterricht zu erörtern. Zehn Punkte Abzug für Gryffindor.«
Snape war zu ihrem Tisch herübergeglitten, während sie gesprochen hatten. Die ganze Klasse drehte nun die Köpfe um; Malfoy nutzte die Gelegenheit und ließ POTTER STINKT durch den Kerker zu Harry hinüberblitzen.
»Ah… und man liest auch noch Heftchen unter dem Tisch?«, setzte Snape hinzu und schnappte sich die Hexenwoche.»Noch einmal zehn Punkte Abzug für Gryffindor… oh, verstehe…«Snapes schwarze Augen stürzten sich gierig auf Rita Kimmkorns Artikel.»Potter muß natürlich erfahren, was die Presse über ihn schreibt…«
Der Kerker erzitterte unter dem Gelächter der Slytherins und ein unangenehmes Lächeln kräuselte Snapes dünne Lippen. Harry trieb es die Zornesröte ins Gesicht, als Snape auch noch begann, den Artikel laut vorzulesen.
»Harry Potters stummes Herzeleid… meine Güte, Potter, was hast du nun wieder für ein Wehwehchen? Ein Junge wie kein anderer, könnte man meinen…«
Harrys Gesicht brannte. Snape legte am Ende jedes Satzes eine kleine Pause ein, um den Slytherins einen ausgiebigen Lacher zu gönnen. Von Snape vorgelesen, klang der Artikel noch zehnmal schlimmer.
»… können alle, die sich um das Wohl Harry Potters sorgen, nur hoffen, daß er sein Herz das nächste Mal einer würdigeren Kandidatin schenkt. Wie unglaublich rührend«, höhnte Snape und rollte das Heft unter dem anhaltenden Gelächter der Slytherins zusammen.»Es ist wohl am besten, wenn ich euch drei voneinander trenne, damit ihr euch Gedanken über Zaubertränke statt über euer Liebesleben macht. Weasley, du bleibst hier. Miss Granger, dort rüber, neben Miss Parkinson. Potter, an den Tisch vor meinem Pult. Beweg dich. Sofort.«
Harry warf die Zutaten und die Schultasche wütend in seinen Kessel und zog ihn nach vorn zu dem freien Tisch. Snape folgte ihm, setzte sich an das Pult und sah zu, wie Harry seine Sachen aus dem Kessel packte. Entschlossen, Snape keines Blickes zu würdigen, begann Harry erneut seine Skarabäuskäfer zu zerstampfen, und jeder einzelne davon, so schien es ihm, hatte Snapes Gesicht.
»Dieser ganze Presserummel scheint deinen ohnehin schon übergroßen Kopf noch mehr aufgeblasen zu haben, Potter«, sagte Snape leise, sobald der Rest der Klasse sich wieder beruhigt hatte.
Harry antwortete nicht. Er wußte, daß Snape ihn provozieren wollte; das kannte er bereits von ihm. Zweifellos war er darauf aus, einen Grund zu finden, um Gryffindor noch vor Ende der Stunde satte fünfzig Punkte abzuziehen.
»Du leidest vielleicht unter der Wahnvorstellung, daß die ganze Zaubererwelt von dir beeindruckt ist«, fuhr Snape so leise fort, daß ihn niemand sonst hören konnte (Harry hieb weiter auf seine Skarabäuskäfer ein, obwohl er sie bereits zu einem ganz feinen Pulver zerstampft hatte),»aber mir ist es völlig gleich, wie oft dein Bild in der Zeitung erscheint. Für mich, Potter, bist du nichts als ein ungezogener kleiner Bengel, der Vorschriften für unter seiner Würde hält.«
Harry schüttete die zerstäubten Käfer in seinen Kessel und begann seine Ingwerwurzeln klein zu schneiden. Ihm bebten die Hände vor Wut, aber er hielt den Blick gesenkt, als könne er nicht hören, was Snape sagte.
»Also laß dir das eine Warnung sein, Potter«, fuhr Snape noch leiser und bedrohlicher klingend fort,»winzige Berühmtheit oder nicht – wenn ich dich noch einmal dabei erwische, wie du in mein Büro einbrichst -«
»Ich war nicht mal in der Nähe Ihres Büros!«, entgegnete Harry zornig und vergaß dabei völlig seine vorgeschützte Taubheit.
»Lüg mich nicht an!«, zischte Snape, und seine unergründlichen schwarzen Augen bohrten sich in die Harrys.»Baumschlangenhaut. Dianthuskraut. Beide stammen aus meinen persönlichen Vorräten, und ich weiß, wer sie gestohlen hat.«
Harry hielt Snapes Blick stand, entschlossen, nicht zu blinzeln oder schuldbewußt auszusehen. In Wahrheit hatte er Snape weder das eine noch das andere gestohlen. Hermine hatte die Baumschlangenhaut in ihrem zweiten Schuljahr geklaut – die hatten sie für den Vielsaft-Trank gebraucht – und damals hatte Snape Harry zwar verdächtigt, doch er hatte es nie beweisen können. Und das Dianthuskraut hatte natürlich Dobby gestohlen.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, log Harry kühl.
»Du bist im Schloß umhergeschlichen in der Nacht, als bei mir eingebrochen wurde!«, zischte Snape.»Mach mir nichts vor, Potter! Schön, Mad-Eye hat sich vielleicht deinem Fanclub angeschlossen, ich aber werde diese Umtriebe nicht dulden! Wenn du dich noch einmal in mein Büro schleichst, Potter, dann bezahlst du dafür!«
»In Ordnung«, sagte Harry gelassen und wandte sich wieder seinen Ingwerwurzeln zu,»ich denk dran, wenn ich je den Drang verspüren sollte, da reinzugehen.«
Snapes Augen blitzten. Er steckte die Hand ins Innere seines schwarzen Umhangs. Einen verwirrten Moment lang dachte Harry, Snape würde seinen Zauberstab ziehen und ihm einen Fluch auf den Hals jagen – doch dann sah er, daß Snape eine kleine Kristallflasche mit einer vollkommen klaren Flüssigkeit herauszog. Harry starrte das Fläschchen an.
»Weißt du, was das ist, Potter?«, fragte Snape, und wieder glitzerten seine Augen gefährlich.
»Nein«, entgegnete Harry, diesmal völlig aufrichtig.
»Das ist ein Veritaserum – ein Wahrheitselixier, das so mächtig ist, daß drei Tropfen genügen, damit du vor der ganzen Klasse deine tiefsten Geheimnisse ausplauderst«, sagte Snape mit tückischer Miene.»Allerdings unterliegt der Gebrauch dieses Elixiers sehr strengen Richtlinien des Ministeriums. Doch wenn du dich nicht vorsiehst, könnte es passieren, daß meine Hand versehentlich -«er schüttelte lässig das Kristallfläschchen»- über deinem abendlichen Kürbissaft ausrutscht. Und dann, Potter… dann wird sich erweisen, ob du in meinem Büro warst oder nicht.«
Harry sagte kein Wort. Er nahm das Messer zur Hand, wandte sich wieder den Ingwerwurzeln zu und begann sie in Scheiben zu schneiden. Die Sache mit dem Wahrheitselixier hörte sich überhaupt nicht gut an, und er würde es Snape durchaus zutrauen, ihm ein paar Tropfen unterzujubeln. Er unterdrückte ein Schaudern bei dem Gedanken, was ihm dann aus dem Mund sprudeln würde… ganz abgesehen davon, daß dann auch einige andere Ärger bekommen würden – vor allem Hermine und Dobby – und dann waren da all die anderen Geschichten, die er geheim hielt… zum Beispiel, daß er Verbindung zu Sirius hatte… und -seine Eingeweide verknäulten sich – was er für Cho empfand… Er schüttete nun auch die Ingwerwurzeln in den Kessel und fragte sich, ob er sich an Moody ein Beispiel nehmen und nur noch aus seiner persönlichen Taschenflasche trinken sollte.
An der Kerkertür klopfte es.
»Herein«, sagte Snape mit seiner gewöhnlichen Stimme.
Die Tür ging auf und die Klasse wandte die Köpfe. Professor Karkaroff trat ein. Unter aller Augen ging er auf Snapes Tisch zu. Er wirkte aufgewühlt und wickelte schon wieder seinen Ziegenbart um den Finger.
»Ich muß Sie sprechen«, sagte Karkaroff unvermittelt, als er vor Snape stand. Er öffnete kaum den Mund, offenbar entschlossen, niemand außer Snape solle ihn hören, und wirkte dabei wie ein schlechter Bauchredner. Harry wandte die Augen nicht von den Ingwerwurzeln und spitzte die Ohren.
»Ich spreche nach dem Unterricht mit Ihnen, Karkaroff-«, murmelte Snape, doch Karkaroff unterbrach ihn.
»Ich will jetzt mit dir sprechen; von hier kannst du nicht einfach verschwinden, Severus. Du bist mir die letzte Zeit dauernd aus dem Weg gegangen.«
»Nach der Stunde«, zischte Snape.
Wie um zu prüfen, ob er genug Gürteltiergalle eingegossen hatte, hielt Harry einen Meßbecher in die Höhe und warf bei dieser Gelegenheit einen Seitenblick auf die beiden. Karkaroff schien äußerst beunruhigt, Snape dagegen wütend.
Karkaroff vertrat sich für den Rest der Doppelstunde die Beine hinter Snapes Rücken. Er schien ihn unbedingt daran hindern zu wollen, am Ende der Stunde einfach zu entwischen. Harry, ganz neugierig darauf, was Karkaroff sagen wollte, stieß zwei Minuten vor dem Läuten absichtlich seine Flasche Gürteltiergalle um, ein guter Grund, sie anschließend hinter seinen Kessel gebückt aufzuwischen, während der Rest der Klasse lärmend hinausging.
»Was ist denn so dringend?«, hörte er Snape zischen.
»Das hier«, sagte Karkaroff, und Harry sah, als er über den Rand seines Kessels lugte, wie Karkaroff den linken Ärmel seines Umhangs hochzog und Snape etwas auf der Innenseite seines Unterarms zeigte.
»Nun?«, sagte Karkaroff, immer noch bemüht, nicht die Lippen zu bewegen.»Siehst du? Es war noch nie so deutlich, noch nie seit -«
»Weg damit!«, raunzte Snape und ließ die schwarzen Augen durch das Klassenzimmer schweifen.
»Aber du mußt doch bemerkt haben -«, setzte Karkaroff mit erregter Stimme an.
»Wir können später darüber sprechen, Karkaroff!«, bellte Snape.»Potter! Was machst du hier?«
»Ich wische meine Gürteltiergalle auf, Professor«, sagte Harry mit argloser Stimme, richtete sich auf und zeigte Snape den nassen Lumpen in seiner Hand.
Karkaroff drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus, offenbar verschreckt und wütend zugleich. Mit dem maßlos aufgebrachten Snape wollte Harry auf keinen Fall allein bleiben; er stopfte seine Bücher und Zutaten in die Tasche und machte sich überstürzt davon, um Ron und Hermine zu erzählen, was er soeben gehört hatte.
Am nächsten Tag gingen sie um die Mittagszeit aus dem Schloß, hinaus in das noch schwache silberne Sonnenlicht. So mild war es in diesem Jahr noch nicht gewesen, und als sie in Hogsmeade angekommen waren, hatten sie längst ihre Umhänge ausgezogen und über die Schultern geworfen. Das Essen, das sie für Sirius mitbringen sollten, trug Harry in der Tasche mit sich; sie hatten ein Dutzend Hühnerbeine, einen Laib Brot und eine Flasche Kürbissaft vom Mittagstisch geklaut.
Sie gingen in den Besenknecht, um ein Geschenk für Dobby zu kaufen, und machten sich einen Spaß daraus, die gräßlichsten Socken auszusuchen, darunter auch welche, die mit blitzenden Gold- und Silbersternen geschmückt waren, und solche, die laut schrien, wenn sie zu stinkig wurden. Um halb zwei dann machten sie sich auf den Weg die Hauptstraße entlang, an Derwisch und Banges vorbei zum Dorf hinaus.
In diese Richtung war Harry noch nie gegangen. Die gewundene Straße führte sie hinaus in die wilde Landschaft um Hogsmeade. Hier gab es nur noch vereinzelte Landhäuser mit großen Gärten; die Straße führte zunächst auf den Berg zu, in dessen Schatten Hogsmeade lag. Dann machte sie eine Biegung und sie konnten am Ende der Straße ein Gatter sehen. Dort wartete, die Vorderpfoten auf der obersten Stange, ein sehr großer, zottiger schwarzer Hund, der einen Packen Zeitungen im Maul trug und ihnen sehr bekannt vorkam…
»Hallo, Sirius«, sagte Harry, als sie ihn erreicht hatten.
Der schwarze Hund schnüffelte begierig an Harrys Tasche, wedelte kurz mit dem Schwanz, drehte sich dann um und trottete über das struppige Grasland davon, das bis zum felsigen Fuß des Berges anstieg. Die drei kletterten über das Gatter und folgten ihm.
Sirius führte sie bis zum Fuß des Berges, wo der Boden mit Geröllblöcken und Steinen übersät war. Mit seinen vier Hundebeinen kam er leicht voran; bei Harry, Ron und Hermine dauerte es nicht lange, bis sie außer Puste waren. Doch sie folgten Sirius weiter; nun ging es steil den Berg hoch. Die Gurte von Harrys Tasche schnitten ihm in die Schultern, und alle drei gerieten unter der Sonne ins Schwitzen, während sie eine halbe Stunde lang Sirius' wedelndem Schwanz folgten und einen gewundenen und steinigen Pfad emporkletterten.
Dann war es so weit. Sirius verschwand plötzlich, und als sie die Stelle erreichten, wo sie ihn zuletzt gesehen hatten, standen sie vor einem schmalen Spalt im Fels. Sie drängten sich hindurch und standen in einer kühlen, schwach erleuchteten Höhle. Im hinteren Teil der Höhle, angeleint an einen großen Stein, stand Seidenschnabel, der Hippogreif, halb graues Pferd, halb Adler. Seine wilden Augen blitzten auf, als er sie erkannte. Alle drei verbeugten sich tief vor ihm, und nachdem er sie einen Moment lang gemustert hatte wie ein Gebieter, knickte er die schuppigen Vorderbeine ein und erlaubte es Hermine, rasch hinüberzugehen und seinen fedrigen Hals zu streicheln. Harry jedoch sah gebannt auf den schwarzen Hund, der sich gerade in seinen Paten verwandelte.
Sirius trug einen zerlumpten grauen Umhang; er hatte ihn schon getragen, als er aus Askaban geflohen war. Seit er mit Harry im Kamin gesprochen hatte, war sein schwarzes Haar länger geworden und nun wieder stumpf und zerzaust. Er sah abgemagert aus.
»Hühnchen!«, sagte er mit rauher Stimme, nachdem er die alten Tagespropheten aus dem Mund genommen und zu Boden geworfen hatte.
Harry öffnete seine Tasche und reichte Sirius das Bündel mit Hühnerbeinen und Brot.
»Danke«, sagte Sirius, wickelte es auf, packte einen Schlegel, setzte sich auf den Höhlenboden und riß mit den Zähnen ein großes Stück Fleisch ab.»Hab die letzte Zeit meist von Ratten gelebt. Darf in Hogsmeade nicht zu viel Essen stehlen; die würden sonst auf mich aufmerksam werden.«
Er grinste zu Harry hoch, doch Harry grinste nur widerwillig zurück.
»Was treibst du hier, Sirius?«, fragte er.
»Ich erfülle meine Pflicht als Pate«, antwortete Sirius und nagte hundemäßig an dem Hühnerknochen herum.»Mach dir keine Sorgen um mich, für die Leute bin ich nur ein süßer kleiner Streuner.«
Noch immer grinste er, doch als er Harrys besorgte Miene sah, sagte er mit ernster Stimme:»Ich will in der Nähe sein, für alle Fälle. Dein letzter Brief… sagen wir einfach, allmählich ist was faul. Immer wenn jemand die Zeitung wegwirft, schnappe ich sie mir, und wie es aussieht, bin ich mittlerweile nicht mehr der Einzige, der sich Sorgen macht.«
Er nickte zu den zwei vergilbenden Tagespropheten auf dem Höhlenboden hinüber. Ron bückte sich danach und schlug eine Zeitung auf.
Harry sah jedoch unverwandt Sirius an.»Was ist, wenn sie dich erkennen? Was ist, wenn sie dich fangen?«
»Ihr drei und Dumbledore seid die Einzigen hier in der Gegend, die wissen, daß ich ein Animagus bin«, sagte Sirius achselzuckend und wandte sich wieder mit mächtigem Appetit seinem Hühnerbein zu.
Ron stieß Harry in die Rippen und reichte ihm die Tagespropheten. Es waren zwei Ausgaben; die erste trug die Schlagzeile: Mysteriöse Erkrankung von Bartemius Crouch, die zweite: Ministeriumshexe noch immer vermißt – Zaubereiminister erklärt den Fall zur Chefsache.
Harry überflog den Artikel über Crouch. Auf einigen Sätzen blieb sein Blick hängen:
… ist seit November nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden… sein Haus scheint leer zu stehen… St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen lehnt jede Stellungnahme ab… das Ministerium will Gerüchte über eine schwere Erkrankung nicht bestätigen…
»Das klingt ja, als würde er im Sterben liegen«, sagte Harry langsam.»Aber so krank kann er nicht sein, wenn er es geschafft hat, hier hochzukommen…«
»Mein Bruder ist Crouchs persönlicher Assistent«, sagte Ron zu Sirius gewandt.»Er behauptet, Crouch sei einfach überarbeitet.«
»Er hat wirklich ziemlich krank ausgesehen, als ich ihn das letzte Mal aus der Nähe gesehen hab«, sagte Harry.»An dem Abend, als der Kelch meinen Namen ausgegeben hat…«
»Ist doch nur die wohlverdiente Strafe dafür, daß er Winky entlassen hat«, sagte Hermine kühl. Sie streichelte Seidenschnabel, während dieser knirschend einen Hühnerknochen zermalmte.»Ich wette, er bereut es inzwischen – und spürt mal am eigenen Leib, wie es ist, wenn sie nicht da ist und ihn betüttelt.«
»Hermine hat sich wegen dieser Hauselfen in irgendwas reingesteigert«, murmelte Ron Sirius zu, wobei er Hermine einen finsteren Blick zuwarf.
Sirius jedoch schien aufzumerken.»Crouch hat seine Hauselfe rausgeworfen?«
»Ja, bei der Quidditch-Weltmeisterschaft«, sagte Harry und erzählte hastig vom Erscheinen des Dunklen Mals, von Winky, die mit Harrys Zauberstab in der Hand aufgefunden wurde, und von Mr Crouchs großem Zorn deswegen.
Als Harry geendet hatte, war Sirius wieder auf den Beinen und schritt die Höhle auf und ab.»Wie war das noch mal?«, sagte er nach einer Weile und wedelte mit einem Hühnerbein.»Ihr habt die Elfe zunächst in der Ehrenloge gesehen. Sie hat für Mr Crouch einen Platz besetzt?«
»Richtig«, sagten Harry, Ron und Hermine wie aus einem Mund.
»Aber Mr Crouch ist zu dem Spiel gar nicht aufgetaucht?«»Nein«, sagte Harry.»Später meinte er, er sei zu beschäftigt gewesen.«
Ohne ein Wort zu sagen schritt Sirius an der Höhlenwand entlang. Dann wandte er sich Harry zu:»Hast du nachgesehen, ob dein Zauberstab noch in der Tasche war, als du die Ehrenloge verlassen hast?«
»Ähm…«Harry dachte angestrengt nach.»Nein«, sagte er schließlich.»Bis wir in den Wald kamen, hab ich ihn ja nicht gebraucht. Und als ich dann die Hand in die Tasche steckte, fand ich nur mein Omniglas.«Er sah Sirius mit großen Augen an.»Willst du etwa sagen, wer immer dieses Mal beschworen hat, der hat auch in der Ehrenloge meinen Zauberstab gestohlen?«
»Schon möglich«, erwiderte Sirius.
»Winky hat diesen Zauberstab nicht gestohlen!«, sagte Hermine schrill.
»Die Elfe war ja nicht alleine in der Ehrenloge«, sagte Sirius stirnrunzelnd und war schon wieder dabei, in der Höhle auf und ab zu schreiten.»Wer saß sonst noch hinter dir?«
»Eine Menge Leute«, sagte Harry.»Ein paar bulgarische Minister… Cornelius Fudge… die Malfoys…«
»Die Malfoys!«, rief Ron plötzlich so laut, daß seine Stimme an den Höhlenwänden widerhallte und Seidenschnabel nervös seinen Kopf zurückwarf.»Ich wette, es war Lucius Malfoy!«
»Sonst noch jemand?«, sagte Sirius.
»Nein, niemand«, sagte Harry.
»Doch, noch jemand, und zwar Ludo Bagman«, erinnerte ihn Hermine.
»Achja…«
»Ich weiß nichts über Bagman, außer daß er früher Treiber bei den Wimbourner Wespen war«, sagte Sirius und ging immer noch auf und ab.»Was ist er für ein Mann?«
»Er ist schon in Ordnung«, sagte Harry.»Er bietet mir andauernd seine Hilfe für das Trimagische Turnier an.«
»Ach, tut er das?«, sagte Sirius und legte die Stirn in noch tiefere Falten.»Ich frag mich, warum eigentlich?«
»Er meint, er könne mich ganz gut leiden«, sagte Harry.
»Hmmh«, brummte Sirius nachdenklich.
»Wir haben ihn im Wald gesehen, kurz bevor das Dunkle Mal erschienen ist«, sagte Hermine.»Wißt ihr noch?«, wandte sie sich fragend an Harry und Ron.
»Ja, aber er ist doch nicht im Wald geblieben«, sagte Ron.»Kaum hatten wir ihm von dem Aufruhr erzählt, ist er Richtung Zeltplatz verschwunden.«
»Woher willst du das wissen?«, warf Hermine ein.»Woher willst du wissen, wohin er disappariert ist?«
»Nun hör aber auf«, entgegnete Ron verwundert,»willst du etwa sagen, du hältst es für möglich, daß Ludo Bagman das Dunkle Mal heraufbeschworen hat?«
»Jedenfalls ist es ihm eher zuzutrauen als Winky«, sagte Hermine stur.
»Hab's dir ja gesagt«, wandte sich Ron mit viel sagendem Blick an Sirius,»sie hat sich da in was reingesteigert wegen dieser Haus-«
Doch Sirius hob die Hand, um Ron Schweigen zu gebieten.»Als das Dunkle Mal am Himmel war und die Elfe mit Harrys Zauberstab entdeckt wurde, was hat Crouch da getan?«
»Er ging ins Gebüsch, um noch einmal nachzusehen«, sagte Harry,»aber er hat niemanden gefunden.«
»Natürlich«, murmelte Sirius auf und ab gehend,»natürlich wollte er es unbedingt jemand anderem an den Hals hängen, wo doch seine Elfe beschuldigt wurde… und dann hat er sie rausgeworfen?«
»Ja«, regte sich Hermine auf.»Er hat sie rausgeworfen, nur weil sie nicht im Zelt geblieben ist und sich hat niedertrampeln lassen -«
»Hermine, nun hör doch mal auf mit dieser Elfe!«, sagte Ron.
Doch Sirius schüttelte den Kopf.»Sie hat Crouch besser durchschaut als du, Ron. Wenn du wissen willst, wie ein Mensch ist, dann sieh dir genau an, wie er seine Untergebenen behandelt, nicht die Gleichrangigen.«
Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Gesicht, offenbar angestrengt nachdenkend.»Dieser Barty Crouch läßt sich so selten blicken… da befiehlt er eigens seiner Hauselfe, ihm einen Platz bei der Quidditch-Weltmeisterschaft zu besetzen, und dann kommt er nicht mal, um sich das Spiel anzusehen. Er trägt mit viel Mühe dazu bei, daß das Trimagische Turnier wieder stattfinden kann, und dann erscheint er auch dazu nicht… das sieht Crouch gar nicht ähnlich. Wenn er vor dieser ganzen Geschichte auch nur einen Tag wegen Krankheit freigenommen hat, dann verspeise ich Seidenschnabel.«
»Du kennst Crouch also?«, fragte Harry.
Sirius' Miene verdüsterte sich. Plötzlich sah er so bedrohlich aus wie in der Nacht, als Harry ihn zum ersten Mal gesehen hatte, in jener Nacht, als er noch geglaubt hatte, Sirius wäre ein Mörder.
»Oh, natürlich kenne ich Crouch«, sagte er leise.»Er war es, der den Befehl gab, mich nach Askaban zu bringen – ohne Gerichtsverhandlung.«
»Was?«, sagten Ron und Hermine im selben Moment.
»Du machst Witze!«, sagte Harry.
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Sirius und biß ein großes Stück Hühnchen ab.»Crouch war früher Chef der Abteilung für Magische Strafverfolgung, habt ihr das nicht gewußt?«
Die drei schüttelten die Köpfe.
»Er war als nächster Zaubereiminister im Gespräch«, sagte Sirius.»Ein großartiger Zauberer, dieser Barty Crouch, mit starken magischen Kräften und machthungrig – übrigens nie ein Anhänger Voldemorts«, setzte er hinzu und beantwortete damit die Frage, die in Harrys Gesicht geschrieben stand.»Nein, Barty Crouch hat sich immer klar und deutlich gegen die dunkle Seite gewandt. Allerdings wurden mit der Zeit viele Leute, die gegen die dunkle Seite kämpften… nun, das würdet ihr nicht verstehen… ihr seid noch zu jung…«
»Das hat mein Dad bei der Weltmeisterschaft auch gesagt«, erwiderte Ron mit einer Spur Ärger in der Stimme.»Warum stellst du uns denn nicht mal auf die Probe?«
Ein Grinsen blitzte über Sirius' hageres Gesicht.»Gut, ich versuch's mal…«
Er schritt davon in den hinteren Teil der Höhle, kehrte wieder zurück und sagte:»Stellt euch vor, Voldemort ist gerade sehr mächtig. Ihr wißt nicht, wer seine Anhänger sind, ihr wißt nicht, wer für ihn arbeitet und wer nicht; ihr wißt, daß er sich Menschen Untertan machen kann, die dann schreckliche Dinge tun, ohne daß sie sich selbst Einhalt gebieten können. Ihr habt Angst um euer eigenes Leben, um eure Familie, eure Freunde. Jede Woche gibt es Meldungen von neuen Morden, von Verschwundenen, von Folter… im Zaubereiministerium herrscht völliges Durcheinander, sie wissen nicht, was sie tun sollen, sie versuchen, alles vor den Muggeln zu verbergen, doch unterdessen sterben auch Muggel. Allenthalben herrscht Schrecken… Angst… Chaos… so war es damals.
Solche Zeiten bringen bei manchen Menschen das Beste zum Vorschein, bei anderen das Schlimmste. Crouchs Grundsätze mögen zu Anfang gut gewesen sein – ich weiß es nicht. Er stieg im Ministerium rasch auf und begann harte Maßnahmen gegen Voldemorts Anhänger zu befehlen. Den Auroren erteilte er weitgehende Machtbefugnisse – zum Beispiel die Erlaubnis zu töten, statt Gefangene zu machen. Und ich war nicht der Einzige, den sie ohne Prozeß sofort den Dementoren ausgeliefert haben. Crouch hat Gewalt mit Gewalt bekämpft und den Einsatz der Unverzeihlichen Flüche gegen Verdächtige erlaubt. Ich würde sagen, er wurde so gefühllos und grausam wie viele von der dunklen Seite. Er hatte natürlich seine Anhänger – eine Menge Leute dachten, er würde die Probleme richtig anpacken, und viele Hexen und Zauberer waren von der Vorstellung ganz begeistert, er könnte Zaubereiminister werden. Als Voldemort verschwand, sah es so aus, als wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis Crouch den Ministerposten übernehmen würde. Doch dann geschah etwas Peinliches…«Sirius lächelte grimmig.»Crouchs eigener Sohn wurde zusammen mit einer Gruppe von Todessern gefaßt, die es dank ihrer Lügenmärchen geschafft hatten, daß man sie aus Askaban entlassen hatte. Offenbar versuchten sie damals, Voldemort zu finden und ihn an die Macht zurückzubringen.«
»Crouchs Sohn wurde gefaßt?«, keuchte Hermine.
»Ja«, sagte Sirius, warf Seidenschnabel einen Hühnerknochen zu, bückte sich, hob das am Boden liegende Brot auf und brach es in zwei Teile.»Häßlicher kleiner Schock für den guten Barty, könnte ich mir vorstellen. Hätte vielleicht hin und wieder früher aus dem Büro gehen und ein wenig mehr Zeit zu Hause bei seiner Familie verbringen sollen… dann hätte er seinen eigenen Sohn kennen gelernt.«
Er begann große Stücke Brot zu verschlingen.
»War sein Sohn tatsächlich ein Todesser?«, fragte Harry.
»Keine Ahnung«, sagte Sirius und stopfte sich weiter Brot in den Mund.»Ich selbst war bereits in Askaban, als sie ihn eingeliefert haben. Das meiste hab ich erst erfahren, seit ich raus bin. Der Junge wurde jedenfalls in Begleitung von Leuten geschnappt, die, da wette ich mein Leben drum, Todesser waren – aber er hätte natürlich auch zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort sein können, genau wie die Hauselfe.«
»Hat Crouch versucht, seinen Sohn da rauszuhauen?«, flüsterte Hermine.
Sirius ließ ein Lachen hören, das eher wie ein Bellen klang.»Crouch und seinen Sohn raushauen? Ich dachte, du hättest ihn durchschaut, Hermine? Alles, was seinen Ruf zu gefährden drohte, mußte beseitigt werden, er hatte sein ganzes Leben dem Ziel gewidmet, Zaubereiminister zu werden. Du hast doch gesehen, wie er eine treue Hauselfe rausgeworfen hat, weil sie mit dem Dunklen Mal in Verbindung gebracht wurde – das zeigt dir doch, wie er ist? Crouchs väterliche Zuneigung ging nur so weit, daß er dafür sorgte, daß seinem Sohn der Prozeß gemacht wurde, und nach allem, was man hört, war dieser Prozeß nicht viel mehr als eine gute Gelegenheit für Crouch, zu zeigen, wie sehr er seinen Sohn haßte… danach schickte er ihn direkt nach Askaban.«
»Er hat seinen eigenen Sohn den Dementoren ausgeliefert?«, fragte Harry leise.
»Ja, allerdings«, sagte Sirius und wirkte nun keineswegs mehr amüsiert.»Ich hab gesehen, wie ihn die Dementoren reinbrachten, ich hab sie durch die Gitter meiner Zellentür genau beobachtet. Er konnte nicht älter als neunzehn gewesen sein. Sie steckten ihn in eine Zelle in der Nähe von meiner. Als es Nacht wurde, schrie er nach seiner Mutter. Nach ein paar Tagen allerdings wurde er ruhiger… irgendwann sind sie alle verstummt… nur hin und wieder schrien sie im Schlaf…«
Für kurze Zeit war die Abgestumpftheit in Sirius' Blick deutlich wie nie zu sehen, so als hätten sich Stahltüren hinter seinen Augen geschlossen.
»Also ist er immer noch in Askaban?«, sagte Harry.»Nein«, sagte Sirius matt.»Nein, er ist nicht mehr dort. Er starb, ungefähr ein Jahr nachdem sie ihn eingeliefert hatten.«»Er ist gestorben?«
»Er war nicht der Einzige«, sagte Sirius bitter.»Die meisten dort drin werden wahnsinnig und viele hören schließlich einfach auf zu essen. Sie verlieren ihren Lebenswillen. Man wußte immer, wann einer sterben würde, denn die Dementoren spürten es und wurden erregt. Dieser Junge sah schon recht kränklich aus, als er eingeliefert wurde. Da Crouch ein wichtiger Mann im Ministerium war, durften er und seine Frau ihn am Totenbett besuchen. Das war das letzte Mal, daß ich Barty Crouch gesehen hab; er mußte seine Frau praktisch an meiner Zelle vorbeitragen. Offenbar ist sie dann auch gestorben, kurz danach. Verzweiflung. Sie ist dahingesiecht, genau wir ihr Junge. Crouch hat die Leiche seines Sohnes nicht einmal abgeholt. Die Dementoren haben ihn draußen vor der Festung begraben, ich hab sie dabei beobachtet.«
Sirius warf das Brotstück, das er gerade zum Mund gehoben hatte, beiseite, setzte die Flasche Kürbissaft an die Lippen und leerte sie in schnellen Zügen.
»Der alte Crouch hat also alles verloren, genau in dem Augenblick, da er glaubte, es endlich geschafft zu haben«,fuhr er fort und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.»Da ist er ein Held, drauf und dran, Zaubereiminister zu werden… kurz darauf stirbt sein Sohn, stirbt seine Frau, der gute Name gerät in Verruf, und wie ich seit meiner Flucht gehört habe, hat auch seine Beliebtheit rapide abgenommen. Als der Junge schließlich tot war, empfanden die Leute ein wenig mehr Mitgefühl für ihn und fingen an zu fragen, wie ein junger Bursche aus einer angesehenen Familie auf solche Abwege geraten konnte. So konnte Cornelius Fudge den Chefposten erobern und Crouch hat man in die Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit abgeschoben.«
Ein langes Schweigen trat ein. Harry rief sich in Erinnerung, wie Crouchs Augen hervorgequollen waren, als er auf seine ungehorsame Hauselfe hinabgesehen hatte. Das mußte der Grund sein, weshalb Crouch so überzogen streng reagiert hatte, nachdem sie Winky im Wald unter dem Dunklen Mal gefunden hatten. Der Vorfall hatte ihn an seinen Sohn erinnert, an den alten Skandal und seinen Gesichtsverlust im Ministerium.
»Moody behauptet, Crouch sei davon besessen, schwarze Magier zu fangen«, bemerkte Harry.
»Ja, wie ich höre, ist es bei ihm fast ein Wahn geworden«, sagte Sirius.»Wenn du mich fragst, glaubt er immer noch, er könnte seine frühere Beliebtheit bei den Leuten zurückgewinnen, wenn er nur wieder einen Todesser fängt.«
»Und er hat sich in Hogwarts eingeschlichen und Snapes Büro durchsucht!«, sagte Ron und versetzte Hermine einen triumphierenden Blick.
»Ja, und das ergibt überhaupt keinen Sinn«, entgegnete Sirius.
»Tut es sehr wohl!«, sagte Ron aufgeregt.
Doch Sirius schüttelte den Kopf.»Hör zu, wenn CrouchSnape nachspüren will, warum kommt er dann nicht als Richter zum Turnier? Das wäre doch die beste Begründung dafür, Hogwarts regelmäßige Besuche abzustatten und ihn im Auge zu behalten.«
»Dann glaubst du auch, daß Snape irgendwas ausheckt?«, fragte Harry, doch Hermine redete dazwischen.
»Hör mal, egal was du sagst, Dumbledore jedenfalls vertraut Snape -«
»Nun laß das doch, Hermine«, sagte Ron ungeduldig.»Natürlich weiß ich, daß Dumbledore ein brillanter Kopf ist und so weiter, aber das heißt nicht, daß ein wirklich gerissener schwarzer Magier ihn nicht täuschen könnte -«
»Und warum hat dann Snape Harry im ersten Schuljahr das Leben gerettet? Warum hat er ihn nicht einfach sterben lassen?«
»Keine Ahnung – vielleicht dachte er, Dumbledore würde ihn rauswerfen -«
»Was meinst du, Sirius?«, sagte Harry laut. Ron und Hermine hörten auf sich zu kabbeln und lauschten.
»Bei dem, was ihr beide sagt, ist wohl jeweils was Wahres dran«, sagte Sirius und sah Ron und Hermine nachdenklich an.»Seit ich rausgefunden habe, daß Snape hier unterrichtet, frage ich mich, warum Dumbledore ihn eingestellt hat. Die dunklen Künste haben Snape immer schon fasziniert, in der Schule wußte das jeder. Ein schleimiger, öliger, fetthaariger Bengel war er«, fügte Sirius hinzu, und Harry und Ron grinsten sich an.»Als Snape in die Schule kam, beherrschte er mehr Flüche als die Hälfte der Schüler im siebten Jahr, und er gehörte zu einer Bande von Slytherins, die sich später fast alle als Todesser erwiesen.«
Sirius hielt die Finger in die Höhe und begann Namen abzuzählen.»Rosier und Wilkes – beide wurden ein Jahr vor Voldemorts Sturz von Auroren getötet. Die Lestranges – ein Ehepaar – sitzen in Askaban. Avery – wie ich höre, hat er sich aus der Schlinge gezogen, indem er behauptete, er habe unter dem Einfluss des Imperius-Fluchs gehandelt – er ist noch auf freiem Fuß. Doch soweit ich weiß, wurde Snape nie beschuldigt, ein Todesser zu sein – aber das heißt natürlich nicht viel. Viele von ihnen wurden nie gefaßt. Und Snape ist sicher klug und gerissen genug, nicht in irgendwelche Schwierigkeiten hineinzutappen.«
»Snape kennt Karkaroff ziemlich gut, aber das will er unter der Decke halten«, sagte Ron.
»Jaah, du hättest Snapes Gesicht sehen sollen, als er gestern in Zaubertränke aufgetaucht ist!«, fügte Harry rasch hinzu.»Karkaroff wollte mit Snape reden, er behauptete, Snape sei ihm aus dem Weg gegangen. Er sah jedenfalls ziemlich panisch aus. Dann hat er Snape etwas auf seinem Arm gezeigt, aber ich konnte nicht sehen, was es war.«
»Er hat Snape etwas auf seinem Arm gezeigt?«, fragte Sirius offensichtlich verblüfft. Nachdenklich fuhr er sich mit den Fingern durch sein verschmutztes Haar, dann zuckte er die Achseln.»Ich hab keine Ahnung, was das bedeuten soll… aber wenn Karkaroff aufrichtig besorgt ist und er zu Snape geht, um sich Rat zu holen…«
Sirius starrte auf die Höhlenwand, dann zog er eine verdrießliche Grimasse.»Es bleibt dabei, Dumbledore vertraut Snape, und ich weiß, daß Dumbledore noch vertrauensselig ist, wo andere längst mißtrauisch sind, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß er Snape in Hogwarts unterrichten ließe, wenn Snape je für Voldemort gearbeitet hätte.«
»Warum sind Moody und Crouch dann so scharf darauf, Snapes Büro zu durchsuchen?«, bohrte Ron nach.
»Na ja«, sagte Sirius bedächtig,»ich würde es Mad-Eye durchaus zutrauen, daß er sämtliche Lehrerbüros durchsucht hat, als er nach Hogwarts kam. Er nimmt die Verteidigung gegen die dunklen Künste schon sehr ernst, der gute Moody. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt jemandem vertraut, und nach allem, was er erlebt hat, wundert mich das nicht. Eins halte ich Moody jedoch zugute, er hat nie getötet, wenn es sich vermeiden ließ. Hat die Leute immer lebend abgeliefert. Er war hart, aber er hat nie die Mittel der Todesser angewandt. Crouch jedoch… ist ein anderer Typ… ist er wirklich krank? Wenn das stimmt, warum hat er sich dann aufgerafft und sich in Snapes Büro geschleppt? Und wenn nicht… was hat er vor? Was war denn so wichtig, daß er bei der Weltmeisterschaft nicht in die Ehrenloge kommen konnte? Was hat er getrieben, während er als Richter beim Turnier gebraucht wurde?«
Sirius, den Blick immer noch starr auf die Höhlenwand gerichtet, verfiel in Schweigen. Seidenschnabel scharrte auf dem steinigen Boden nach Knochen, die er vielleicht übersehen hatte.
Schließlich blickte Sirius zu Ron auf.»Du sagst, dein Bruder ist Crouchs persönlicher Assistent? Vielleicht könntest du ihn fragen, ob er Crouch in letzter Zeit gesehen hat?«
»Ich kann's versuchen«, sagte Ron mit zweifelnder Miene.»Sollte aber möglichst nicht so klingen, als würde ich vermuten, Crouch würde irgendein faules Ei ausbrüten. Percy liegt Crouch zu Füßen.«
»Und wenn du schon dabei bist, könntest du versuchen herauszufinden, ob sie irgendeine Spur von Bertha Jorkins gefunden haben«, setzte Sirius hinzu und deutete auf die andere Ausgabe des Tagespropheten.
»Bagman hat mir gesagt, daß sie immer noch im Dunkeln tappen«, sagte Harry.
»Ja, er wird in diesem Artikel hier zitiert«, sagte Sirius mit einem Kopfnicken zur Zeitung hin.»Lästert über Berthas schlechtes Gedächtnis. Vielleicht hat sie sich seit damals verändert, aber die Bertha, die ich kannte, war überhaupt nicht vergeßlich – ganz im Gegenteil. Sie war kein großes Licht, aber sie hatte ein glänzendes Gedächtnis für Klatsch und Tratsch. Hat sich damals regelmäßig in große Schwierigkeiten gebracht, weil sie nie wußte, wann es besser war, den Mund zu halten. Ich könnte mir vorstellen, daß sie für das Zaubereiministerium eine ziemliche Belastung war… vielleicht hat sich Bagman deshalb so lange nicht darum geschert, sie suchen zu lassen…«
Sirius ließ einen mächtigen Seufzer hören und rieb sich die dunkel umringten Augen.»Wie spät ist es?«
Harry sah auf die Uhr, dann fiel ihm ein, daß sie nicht mehr ging, seit sie eine Stunde unter Wasser gewesen war.»Es ist halb vier«, sagte Hermine.
»Ihr geht jetzt am besten zurück in die Schule«, sagte Sirius und erhob sich.»Und hört mal…«, er sah Harry besonders eindringlich an -»ich will nicht, daß ihr euch allzu oft aus der Schule schleicht, um mich zu besuchen, verstanden? Schickt mir einfach Nachrichten hier hoch. Ich will weiterhin von allen merkwürdigen Vorfällen erfahren. Aber ihr solltet Hogwarts nicht ohne Erlaubnis verlassen, das wäre die beste Gelegenheit für jemanden, euch anzugreifen.«
»Bisher hat keiner versucht mich anzugreifen, außer einem Drachen und einer Hand voll Grindelohs«, sagte Harry.
Doch Sirius sah ihn stirnrunzelnd an.»Das hat nichts zu sagen… ich werd erst aufatmen können, wenn dieses Turnier vorbei ist, und das ist erst im Juni. Und übrigens, wenn ihr unter euch über mich redet, dann nennt mich Schnuffel, ja?«
Er reichte Harry das leere Serviettenbündel und die Flasche und ging nach hinten, um sich mit einem Tätscheln von Seidenschnabel zu verabschieden.»Ich lauf mit euch bis zum Dorfrand«, sagte Sirius,»mal sehen, ob ich noch 'ne Zeitung abstauben kann.«
Bevor sie die Höhle verließen, verwandelte er sich in den großen schwarzen Hund, und sie stiegen mit ihm zusammen den Berghang hinunter, durchquerten das geröllübersäte Grasland und erreichten schließlich das Gatter. Hier ließ er sich von jedem kurz den Kopf kraulen, dann rannte er, einen Bogen um die Ausläufer des Dorfes einschlagend, davon.
Harry, Ron und Hermine machten sich auf den Weg zurück nach Hogsmeade und hoch nach Hogwarts.
»Ich frag mich, ob Percy all diese Geschichten über Crouch kennt«, sagte Ron, während sie den Torweg zum Schloß entlanggingen.»Aber vielleicht ist es ihm völlig egal… er würde Crouch dann womöglich nur noch mehr bewundern. Ja, Percy ist vernarrt in Vorschriften. Er würde einfach sagen, Crouch habe sich geweigert, sie für seinen eigenen Sohn zu brechen.«
»Percy würde nie jemanden aus seiner eigenen Familie den Dementoren ausliefern«, sagte Hermine streng.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Ron.»Wenn er glaubte, wir würden seiner Karriere im Weg stehen… Percy ist richtig ehrgeizig, weißt du…«
Sie gingen die steinernen Stufen zur Eingangshalle hoch, wo ihnen schon die köstlichen Düfte aus der Großen Halle entgegenwehten.
»Armer alter Schnuffel«, sagte Ron genüßlich einatmend.»Er muß dich wirklich mögen, Harry… stell dir vor, du müßtest von Ratten leben.«