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Harry, Ron und Hermine stiegen nach dem Frühstück am Sonntagmorgen hoch in die Eulerei. Wie von Sirius vorgeschlagen, hatten sie einen Brief an Percy dabei, in dem sie ihn fragten, ob er in letzter Zeit Mr Crouch gesehen habe. Weil Hedwig schon lange keinen Auftrag mehr bekommen hatte, gaben sie ihr den Brief mit. Vom Eulereifenster aus beobachteten sie, wie Hedwig davonflog, dann gingen sie hinunter in die Küche, um Dobby die neuen Socken zu schenken.
Die Hauselfen begrüßten sie mit freudigem Hallo, sie verbeugten sich, machten Knickse und wuselten dann gleich wieder davon, um Tee zu kochen. Dobby war hin und weg von seinem Geschenk.
»Harry Potter ist viel zu gut zu Dobby!«, quiekte er und wischte sich große Tränen aus seinen gewaltigen Augen.
»Du hast mir mit diesem Dianthuskraut das Leben gerettet, Dobby, und das meine ich ernst«, sagte Harry.
»Habt ihr vielleicht noch ein Eclair übrig?«, sagte Ron zu den strahlenden und sich verbeugenden Hauselfen.
»Du hast doch eben erst gefrühstückt!«, entrüstete sich Hermine, doch schon schwebte, getragen von vier Elfen, eine große silberne Platte mit Eclairs auf sie zu.
»Wir brauchen auch noch was zu futtern für Schnuffel«, murmelte Harry.
»Gute Idee«, sagte Ron.»Dann hat Pig wenigstens was zu tun. Habt ihr vielleicht noch was zum Mitnehmen für uns?«,sagte er zu den umstehenden Hauselfen, und wieder verneigten sie sich belustigt und eilten davon.
»Dobby, wo steckt Winky?«, sagte Hermine und sah sich in der Küche um.
»Winky ist dort drüben beim Herd, Miss«, sagte Dobby leise und ließ ein wenig die Ohren hängen.
»Meine Güte«, sagte Hermine, als sie Winky erkannte.
Auch Harry sah hinüber zum Herd. Winky saß auf demselben Stuhl wie letztes Mal, doch sie war so heruntergekommen und schmutzig, daß sie vor den rauchgeschwärzten Ziegelsteinen nicht auf den ersten Blick zu erkennen war. Ihre Kleider waren zerlumpt und voll gekleckert. Sie umklammerte eine Flasche Butterbier und stierte, ein wenig auf ihrem Stuhl schwankend, unverwandt ins Feuer. Und in diesem Moment packte sie ein offenbar heftiger Schluckauf.
»Winky ist inzwischen bei sechs Flaschen am Tag«, wisperte Dobby Harry zu.
»Na ja, das Zeug ist nicht besonders stark«, sagte Harry.
Aber Dobby schüttelte den Kopf.»Für einen Hauselfen ist es stark, Sir.«
Winky hickste erneut. Die Elfen, die die Eclairs gebracht hatten und jetzt wieder an die Arbeit zurückkehrten, versetzten ihr mißbilligende Blicke.
»Winky hat Sehnsucht, Harry Potter«, flüsterte Dobby traurig.»Winky will nach Hause. Winky glaubt immer noch, daß Mr Crouch ihr Meister ist, Sir, und Dobby kann sagen, was er will, sie wird nie Professor Dumbledore als ihren neuen Meister annehmen.«
»Hey, Winky«, sagte Harry, dem plötzlich eine Idee gekommen war. Er ging hinüber und beugte sich zu ihr hinunter.»Du weißt nicht zufällig, wie es Mr Crouch geht? Er läßt sich nämlich als Richter beim Trimagischen Turnier nicht blicken.«
Winkys Augen flackerten. Ihre riesigen Pupillen stellten sich auf Harry scharf. Sie schwankte noch ein wenig, dann lallte sie:»M-meister kommt – hicks – nicht mehr?«
»Nein«, sagte Harry,»wir haben ihn seit der ersten Runde nicht mehr gesehen. Der Tagesprophet schreibt, er sei krank.«
Winky schwankte ein wenig heftiger und sah Harry mit trüben Augen an.»Meister – hicks – krank?«
Ihre Unterlippe begann zu zittern.
»Aber wir sind nicht sicher, ob das stimmt«, sagte Hermine rasch.
»Meister braucht seine – hicks – Winky!«, wimmerte die Elfe.»Meister kann nicht – hicks – alles – hicks – allein schaffen…«
»Andere Leute schaffen es sehr wohl, ihre Hausarbeit selbst zu erledigen, Winky«, belehrte sie Hermine.
»Winky – hicks – ist nicht die Einzige – hicks – die im Haus von Mr Crouch arbeitet!«, piepste Winky entrüstet, begann nun gefährlich zu schwanken und verschüttete Butterbier über ihre ohnehin schon sehr fleckige Bluse.»Meister – hicks – vertraut Winky – hicks – das Wichtigste – hicks – das Geheimste an -«
»Was denn?«, sagte Harry.
Doch Winky schüttelte ganz energisch den Kopf und bespritzte sich erneut mit Butterbier.
»Winky bewahrt – hicks – die Geheimnisse ihres Meisters«, sagte sie trotzig und sah jetzt unter halsbrecherischem Schwanken und mit finster gekreuztem Blick zu Harry hoch.»Du – hicks – du willst spionieren, du.«
»So darf Winky nicht zu Harry Potter sprechen!«, sagte Dobby erzürnt.»Harry Potter ist edel und tapfer und Harry Potter spioniert nicht!«
»Er will – hicks – das ganz geheime Geheimnis – hicks -meines Meisters – hicks – ausspionieren – hicks – Winky ist eine gute Hauselfe – hicks – Winky ist stumm wie ein Fisch -hicks – wenn jemand kommt und – hicks – stöbert und schnüffelt – hicks -«Winkys Augenlider klappten plötzlich zu, sie glitt von ihrem Stuhl herunter, blieb vor dem Herd liegen und begann laut zu schnarchen. Die leere Flasche Butterbier rollte über den steingefliesten Boden davon.
Ein halbes Dutzend Hauselfen kam mit angewiderten Blicken herbeigeeilt. Einer hob die Flasche auf, die anderen deckten Winky mit einem großen karierten Tischtuch zu und stopften es fest unter ihren Körper, so daß sie nicht mehr zu sehen war.
»Verzeihung bitte, daß Sie so etwas mit ansehen mußten, Sirs und Miss!«, quiekte einer der Elfen und schüttelte mit tief beschämter Miene den Kopf.»Wir hoffen, daß Sie uns nicht nach Winky beurteilen, Sirs und Miss!«
»Sie ist unglücklich!«, sagte Hermine aufgebracht.»Warum deckt ihr sie einfach zu und versucht nicht mal, sie aufzumuntern?«
»Ich bitte um Verzeihung, Miss«, piepste der Hauself mit einer tiefen Verbeugung,»aber Hauselfen haben kein Recht, unglücklich zu sein, wenn Arbeit zu tun ist und ihre Meister bedient werden müssen.«
»Oh, um Himmels willen!«, sagte Hermine wütend.»Hört mir mal gut zu, ihr alle! Ihr habt genauso gut das Recht wie Zauberer, unglücklich zu sein! Ihr habt ein Recht auf Bezahlung und Urlaub und richtige Kleidung, ihr müßt nicht alles tun, was man euch sagt – schaut euch Dobby an!«
»Miss, bitte halten Sie Dobby da raus«, murmelte Dobby mit ängstlicher Miene. Das fröhliche Lächeln war von den Gesichtern der Hauselfen ringsum verschwunden. Plötzlich sahen sie Hermine an, als wäre sie verrückt und gefährlich.
»Hier ist noch viel mehr zu essen!«, quiekte eine Elfe an Harrys Ellbogen und stemmte ihm ein Dutzend Kuchenstücke, ein paar Äpfel und Birnen und; einen großen Schinken in die Arme.»Auf Wiedersehen!«
Die Hauselfen scharten sich jetzt dicht um Harry, Ron und Hermine, drückten ihnen viele kleine Hände ins Kreuz und begannen sie aus der Küche zu schubsen.
»Danke für die Socken, Harry Potter!«, rief Dobby niedergeschlagen vom Herd herüber, wo er neben der in das zerschlissene Tischtuch gewickelten Winky stand.
»Hättest du nicht wenigstens einmal den Mund halten können, Hermine?«, sagte Ron zornig, als die Küchentür hinter ihnen zugeschlagen war.»Die wollen uns sicher nie wieder hier unten sehen! Wir hätten vielleicht noch mehr über Crouch aus Winky rauskitzeln können!«
»Oh, als ob dich das kümmern würde!«, feixte Hermine.»Du kommst doch nur wegen des Essens hier runter!«
Den Rest des Tages herrschte eine! eigentümlich gereizte Stimmung. Harry war es so leid, daß sich Ron und Hermine bei den Hausaufgaben im Gemeinschaftsraum ständig angifteten, daß er an diesem Abend allein mit Sirius' Eßpaket in die Eulerei hochstieg.
Pigwidgeon war viel zu klein, um einen ganzen Schinken allein den Berg hochfliegen zu können, deshalb verpflichtete Harry zusätzlich noch zwei Häbichtskäuze der Schule. Als das sehr merkwürdige Trio mit dem großen Paket unter sich in die Dämmerung hineingeflogen war, lehnte sich Harry aus dem Fenster und ließ den Blick über das Land schweifen, über die dunklen, rauschenden Baumspitzen des Verbotenen Waldes und die sich im Wind kräuselnden Segel des Schiffs von Durmstrang. Ein Uhu flog durch den Rauchfaden, der sich aus Hagrids Kamin emporkringelte; er segelte auf das Schloß zu, um die Eulerei herum und verschwand. Harry schaute hinunter und sah Hagrid vor seiner Hütte mit kräftigen Schlägen der Hacke ein Stück Erde umgraben; offenbar wollte er ein neues Gemüsebeet anlegen. Jetzt konnte er beobachten, wie Madame Maxime aus ihrer Kutsche stieg und zu Hagrid hinüberging. Es sah so aus, als wollte sie ihn in ein Gespräch verwickeln. Hagrid stützte sich auf seine Hacke, schien jedoch nicht erpicht, sich länger mit ihr zu unterhalten, denn Madame Maxime kehrte nach kurzer Zeit zu ihrer Kutsche zurück.
Harry hatte keine Lust, in den Gryffindor-Turm zu gehen und zu hören, wie sich Ron und Hermine gegenseitig anfauchten, und so sah er Hagrid eine Weile beim Umgraben zu, bis ihn die Dunkelheit verschluckte und die Eulen ringsum allmählich erwachten und an Harry vorbei in die Nacht flatterten.
Beim Frühstück am nächsten Tag war die schlechte Laune von Ron und Hermine endgültig verflogen, und Rons düstere Prophezeiung, die Hauselfen würden jetzt nur noch miserables Essen an den Gryffindor-Tisch schicken, weil Hermine sie gekränkt hatte, erwies sich als falsch; Schinken, Eier und Lachs waren genauso gut wie immer.
Als die Eulen kamen, sah Hermine auf, offenbar erwartete sie Post.
»Percy wird noch keine Zeit gehabt haben zu antworten«, sagte Ron.»Wir haben Hedwig doch erst gestern losgeschickt.«
»Nein, das ist es nicht«, sagte Hermine.»Ich hab den Tagespropheten abonniert, weil es mir langsam stinkt, daß wir alles von den Slytherins erfahren müssen.«
»Gute Idee!«, sagte Harry und sah nun ebenfalls hoch zu den Eulen.»Hey, Hermine, ich glaub, du hast Glück -«
Ein Steinkauz segelte auf Hermine zu.
»Der hat aber keine Zeitung«, sagte sie mit enttäuschter Miene.»Er -«
Doch zu ihrer Verblüffung landete der Steinkauz vor ihrem Teller, dicht gefolgt von vier Schleiereulen, einer Sumpfohreule und einem Waldkauz.
»Wie viele Abos hast du eigentlich bestellt?«, fragte Harry und griff nach Hermines Becher, bevor er von der flügelschlagenden Eulenschar umgeworfen wurde, die alle auf Hermine zudrängelten, weil jede ihren Brief als Erste abliefern wollte.
»Was um Himmels willen -?«, sagte Hermine, nahm dem Steinkauz den Brief ab, öffnete ihn und begann zu lesen.»Was soll das denn!«, stieß sie hervor und lief rot an.
»Was ist?«, fragte Ron.
»Das ist – nein, wie lächerlich -«, sie klatschte Harry den Brief in die Hand, der nun sah, daß er nicht handgeschrieben, sondern mit ausgeschnittenen Buchstaben, offenbar aus dem Tagespropheten, zusammengeklebt war.
Du bist ein BösEs MädchEN, HaRRy PottEr verDienT eineBesserE.
VerSchwinde daHin wo du herKommst mUggel.
»Die sind alle so!«, sagte Hermine verzweifelt und öffnete einen Brief nach dem anderen.»›Du hast Harry Potter nicht verdient… ‹ – ›Dich sollte man in Froschlaich kochen… ‹ Autsch!«
Sie hatte den letzten Brief geöffnet und gelblich grüne Flüssigkeit, die stark nach Benzin roch, spritzte ihr über die Hände, auf denen sofort große gelbe Blasen aufquollen.
»Unverdünnter Bubotubler-Eiter!«, sagte Ron, hob mit spitzen Fingern den Umschlag auf und roch daran.
»Au!«, wimmerte Hermine, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie versuchte, den Eiter mit einer Serviette von ihren Händen zu wischen, doch ihre Finger waren nun so dicht mit schmerzhaften Geschwülsten bedeckt, daß es aussah, als trage sie ein Paar dicke, ausgebeulte Handschuhe.
»Du gehst am besten in den Krankenflügel«, sagte Harry, während die Eulen um Hermine eine nach der anderen davonflogen,»wir sagen dann Professor Sprout, wo du abgeblieben bist…«
»Ich hab sie gewarnt!«, sagte Ron, als Hermine, die Hände schützend unter dem Umhang versteckt, aus der Großen Halle eilte.»Ich hab ihr gesagt, sie soll Rita Kimmkorn nicht ärgern! Sieh dir den hier an…«Er nahm einen der Briefe, die Hermine zurückgelassen hatte, und las ihn vor:»›In der Hexenwoche hab ich gelesen, was für ein falsches Spiel du mit Harry Potter treibst, und dieser Junge hat es doch schwer genug gehabt, und ich werde dir mit der nächsten Post einen Fluch schicken, sobald ich einen Umschlag finde, der groß genug ist.‹ Zum Teufel, sie sollte gut auf sich aufpassen.«
Hermine erschien nicht zu Kräuterkunde. Als Harry und Ron das Gewächshaus verließen und sich auf den Weg zu Pflege magischer Geschöpfe machten, sahen sie Malfoy, Crabbe und Goyle die Steintreppe vor dem Schloß herunterkommen. Hinter ihnen wisperte und giggelte Pansy Parkinson mit ihrer Bande Slytherin-Mädchen. Als Pansy Harry erkannte, rief sie:»Potter, hast du dich von deiner Liebsten getrennt? Warum war sie denn beim Frühstück so durch den Wind?«
Harry würdigte sie keines Blickes; er wollte ihr nicht auch noch die Genugtuung gönnen zu erfahren, wie viel Ärger der Artikel in der Hexenwoche verursacht hatte.
Hagrid, der ihnen in der letzten Stunde verkündet hatte, daß sie mit den Einhörnern fertig seien, erwartete sie vor der Hütte mit einer neuen Sammlung offener Kisten zu seinen Füßen. Harrys Laune verschlechterte sich beim Anblick der Kisten noch mehr – das war doch nicht etwa eine frische Kröterbrut? Doch als er nahe genug war, konnte er in den Kisten flaumige schwarze Geschöpfe mit langen Schnauzen erkennen. Ihre Vorderpfoten waren eigentümlich flach, wie Spaten, und als sie zu der Schülerschar hochblinzelten, wirkten sie ob all dieser Aufmerksamkeit milde verdutzt.
»Das sind Niffler«, verkündete Hagrid, als sich die Klasse im Kreis aufgestellt hatte.»Man findet sie meist unten in Bergwerksstollen. Sie stehn auf Glitzerzeug… da seht ihr's. schon.«
Ein Niffler war plötzlich hochgeschnellt, umklammerte Pansy Parkinsons Arm und versuchte ihr die Uhr vom Handgelenk zu beißen. Kreischend stolperte sie ein paar Schritte zurück.
»Nützliche kleine Schatzsucher«, sagte Hagrid glücklich.»Dachte, wir machen uns heut 'nen lustigen Vormittag mit denen. Seht ihr das dort drüben?«Er deutete auf das große Stück frisch umgegrabener Erde, auf dem ihn Harry vom Eulereifenster aus hatte arbeiten sehen.»Ich hab dort 'n paar Goldmünzen vergraben. Wessen Niffler nachher die meisten Goldmünzen ausgräbt, kriegt von mir 'nen Preis. Ihr müßt nur eure Wertsachen ablegen, dann sucht ihr euch 'nen Niffler aus und macht euch bereit, sie loszulassen.«
Harry nahm seine Uhr ab, die er nur noch aus Gewohnheit trug, und steckte sie in die Tasche. Dann hob er einen Niffler aus der Kiste. Der Niffler steckte seine lange Schnauze in Harrys Ohr und schnüffelte begeistert. Ein wirklich kuscheliges Geschöpf.
»Wartet mal«, sagte Hagrid und sah hinunter in die Kiste,»da ist noch 'n Niffler übrig… wer fehlt hier? Wo ist Hermine?«
»Sie muß sich verarzten lassen«, sagte Ron.»Erklären wir dir später«, murmelte Harry; Pansy Parkinson hatte die Ohren gespitzt.
So viel Spaß hatten sie in Pflege magischer Geschöpfe mit Abstand noch nicht gehabt. Die Niffler tauchten in das Stück Erde ein und wieder daraus auf, als ob es ein Teich wäre, dann trippelte jeder zu dem Schüler zurück, der ihn losgelassen hatte, und spuckte ihm Gold in die Hände. Rons Niffler war besonders tüchtig; bald hatte er seinen ganzen Schoß mit Goldmünzen gefüllt.
»Kann man die auch als Haustiere kaufen, Hagrid?«, meinte er begeistert, während der Niffler sich schon wieder in die Erde stürzte und Rons Umhang mit Dreck bespritzte.»Da wär deine Mum aber nich so glücklich, Ron«, grinste Hagrid,»die bringen ganze Häuser zum Einsturz, diese Niffler. Ich schätze, sie haben jetzt fast alle«, fügte er hinzu und ging um das Stück Erde herum, während die Niffler eifrig weitertauchten.»Ich hab doch nur hundert Münzen vergraben. Oh, da bist du ja, Hermine!«
Hermine kam über den Rasen auf sie zu. Ihre Hände waren rundum bandagiert und sie sah elend aus. Pansy Parkinson beobachtete sie mit glänzenden Knopfaugen.
»Gut, schauen wir mal, wie ihr abgeschnitten habt!«, sagte Hagrid.»Zählt eure Münzen! Und es hat keinen Zweck zu stehlen, Goyle«, fügte er hinzu, die käferschwarzen Augen zu Schlitzen verengt.»Das ist Leprechan-Gold. Löst sich nach 'n paar Stunden auf.«
Mit mürrisch verzogenem Mund leerte Goyle seine Taschen. Wie sich herausstellte, war Rons Niffler der Tüchtigste gewesen, und Hagrid überreichte ihm als Preis einen Riesenriegel Schokolade aus dem Honigtopf. Glockengeläut wehte über das Land und rief sie zum Mittagessen; Harry, Ron und Hermine blieben noch kurz da, um Hagrid zu helfen, die Niffler in die Kisten zu stecken, während der Rest der Klasse zum Schloß ging. Harry fiel auf, daß Madame Maxime sie von ihrem Kutschenfenster aus beobachtete.
»Was hast du mit deinen Händen gemacht, Hermine?«, fragte Hagrid besorgt.
Hermine erzählte ihm von der Haßpost, die sie am Morgen bekommen hatte, und von dem Umschlag voller Bubotubler-Eiter.
»Aaach, mach dir keine Sorgen«, sagte Hagrid und sah sie freundlich lächelnd an.»Nach dem, was diese Rita Kimm-korn über meine Mutter geschrieben hat, hab ich auch 'n paar von diesen Briefen gekriegt. ›Du bist ein Monster und man sollte dich erlegen.‹ – ›Deine Mutter hat unschuldige Menschen getötet, und wenn du nur einen Funken Anstand hättest, würdest du in den See springen.‹«
»Nein!«, rief Hermine entsetzt.
»Ja«, bestätigte Hagrid und trug die Niffler-Kisten hinüber zur Hüttenwand.»Sind doch nur Spinner, Hermine. Wenn du noch mehr von diesen Briefen kriegst, mach sie bloß nicht auf. Wirf sie einfach ins Feuer.«
»Da hast du mal eine wirklich gute Unterrichtsstunde verpaßt«, meinte Harry auf dem Rückweg zu Hermine gewandt.»Sind doch toll, diese Niffler, oder, Ron?«
Ron jedoch stierte mit finsterem Blick auf die Schokolade, die Hagrid ihm geschenkt hatte. Aus irgendeinem Grund schien er schwer sauer zu sein.
»Was ist los?«, sagte Harry.»Stimmt was nicht mit der Schokolade?«
»Nein«, sagte Ron brüsk.»Warum hast du mir nichts von
dem Gold erzählt?«
»Welchem Gold?«, fragte Harry.
»Von dem Gold, das ich dir bei der Quidditch-Weltmeis-terschaft gegeben hab«, sagte Ron.»Dem Leprechan-Goldfür mein Omniglas. In der Ehrenloge. Warum hast du mir nicht gesagt, daß es sich aufgelöst hat?«
Harry mußte einen Augenblick nachdenken, bis er begriff, wovon Ron eigentlich redete.
»Oh…«, sagte er, als er sich endlich erinnerte.»Keine Ahnung… hab gar nicht bemerkt, daß es verschwunden ist. Ich hab mir eher Sorgen um meinen Zauberstab gemacht, verstehst du?«
Sie stiegen die Treppe zum Schloß hoch und gingen in die Große Halle zum Mittagessen.
»Muß schön sein«, sagte Ron unvermittelt, als sie sich gesetzt hatten und ihre Teller mit Roastbeef und Yorkshire-Pudding beluden.»So viel Geld zu haben, daß du nicht einmal merkst, wenn eine Tasche voll Galleonen einfach verschwindet.«
»Hör zu, ich hatte in dieser Nacht andere Dinge im Kopf!«, sagte Harry ungeduldig.»Wir alle, weißt du noch?«
»Ich wußte nicht, daß sich Leprechan-Gold auflöst«, murmelte Ron.»Ich dachte, ich hätte bezahlt, was ich dir geschuldet hab. Du hättest mir diesen Chudley-Cannons-Hut nicht zu Weihnachten schenken sollen.«
»Vergiß es, ja?«, sagte Harry.
Ron spießte mit der Gabel eine Bratkartoffel auf und starrte sie mißmutig an. Dann sagte er:»Ich hasse es, arm zu sein.«
Harry und Hermine sahen sich an. Sie wußten beide nicht recht, was sie darauf sagen sollten.
»Alles Unsinn«, sagte Ron und starrte immer noch seine Kartoffel an.»Ich mach Fred und George jedenfalls keinen Vorwurf, weil sie versuchen, nebenher ein wenig Geld zu verdienen. Wenn ich's nur selbst könnte. Wenn ich nur einen Niffler hätte.«
»Schön, dann wissen wir ja, was wir dir das nächste Mal zu Weihnachten schenken«, sagte Hermine mit einem breiten Lächeln. Doch als Ron weiterhin eine triste Miene machte, fügte sie hinzu:»Komm schon, Ron, dir geht's nicht schlecht. Wenigstens sind deine Finger nicht voller Eiter.«Hermine hatte einige Schwierigkeiten, mit Messer und Gabel zu hantieren, da ihre Finger stocksteif und geschwollen waren.»Ich hasse diese Kimmkorn-Tante!«, brach es zornig aus ihr hervor.»Das zahl ich ihr heim, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«
Auch in der Woche darauf bekam Hermine immer wieder Haßpost. Zwar befolgte sie Hagrids Ratschlag und öffnete sie nicht mehr, doch einige der Hermine-Hasser schickten ihr Heuler, die am Gryffindor-Tisch explodierten und sie, für alle hörbar, mit schrillen Beschimpfungen überhäuften. Selbst wer nicht die Hexenwoche las, erfuhr jetzt alles über die angebliche Dreiecksgeschichte Harry-Krum-Hermine. Harry war schon völlig entnervt, weil er den Leuten ständig erklären mußte, daß er mit Hermine nur befreundet war und nichts weiter.
»Glaub mir, das wird sich legen«, versicherte er Hermine,»wenn wir einfach drüber hinweggehen… was sie das letzte Mal über mich geschrieben hat, fanden die Leute mit der Zeit auch langweilig -«
»Ich will aber wissen, wie sie vertrauliche Gespräche belauschen kann, wo sie doch angeblich Hausverbot hat!«, fauchte Hermine zornig.
Nach der nächsten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste blieb sie noch kurz im Klassenzimmer zurück, um Professor Moody etwas zu fragen. Die anderen machten, daß sie wegkamen; Moody hatte sie in Zauberabwehr so scharf geprüft, daß viele von ihnen an kleinen Rissen und Stichen auf ihren Armen nuckelten. Harry litt unter einem so schweren Fall von Ohrenzucken, daß er die Hände gegen die Ohren pressen mußte, als er nach draußen ging.
»Also, Rita benutzt jedenfalls keinen Tarnumhang!«, keuchte Hermine fünf Minuten später, als sie Harry und Ron am Fuß der Marmortreppe eingeholt und Harrys Hand von einem zuckenden Ohr weggezogen hatte.»Moody sagt, er habe sie bei der zweiten Runde nirgendwo in der Nähe des Richtertischs gesehen und auch nirgendwo am See!«
»Hermine, hat es noch irgendeinen Sinn, dir zu sagen, daß du die Sache endlich aufgeben sollst?«, sagte Ron.
»Nein!«, sagte Hermine stur.»Ich will wissen, wie sie mich und Viktor belauscht hat! Und wie sie von Hagrids Mutter erfahren hat!«
»Vielleicht hat sie dich verwanzt«, sagte Harry.»Verwanzt?«, sagte Ron verdutzt.»Wie meinst du… Flöhe auf sie angesetzt oder so was?«
Harry begann ihm etwas von versteckten Mikrofonen und Tonbändern zu erzählen.
Ron fand es ungeheuer spannend, doch Hermine unterbrach sie.»Wollt ihr beide denn nie Eine Geschichte von Hogwarts lesen?«
»Wozu denn?«, erwiderte Ron.»Du kennst das Buch doch auswendig, wir müssen dich nur fragen.«
»All die Sachen, die die Muggel als Ersatz für Zauberei benutzen – Elektrizität und Computer und Radar und so weiter -, die spielen in der Nähe von Hogwarts alle verrückt, es liegt einfach zu viel Magie in der Luft. Nein, Rita gebraucht einen Zauber, um uns abzuhören, sie muß… wenn ich nur rausfinden könnte, was es ist… und wehe, es ist gesetzwidrig, dann werd ich sie…«
»Haben wir denn sonst keine Sorgen?«, fragte Ron.»Müssen wir auch noch einen Rachefeldzug gegen Rita Kimmkorn starten?«
»Dich hab ich doch gar nicht um Hilfe gebeten!«, fauchte Hermine.»Ich mach es allein!«
Ohne einen Blick zurück stolzierte sie die Marmortreppe hoch. Harry war sich ziemlich sicher, daß sie in die Bibliothek ging.
»Wetten, sie kommt mit einer Schachtel ›Ich hasse Rita Kimmkorn‹-Anstecker wieder?«, sagte Ron.
Hermine bat Harry und Ron tatsächlich nicht um Hilfe für ihren Rachefeldzug gegen Rita Kimmkorn, wofür sie beide dankbar waren, denn in den Wochen vor den Osterferien stöhnten sie immer lauter unter einem wachsenden Berg von Arbeit. Harry bewunderte unverhohlen, wie Hermine sich über magische Abhörverfahren kundig machen konnte und dann auch noch alles andere nebenher erledigte. Er hatte allein mit den Hausaufgaben mehr als genug zu tun, auch wenn er nie vergaß, regelmäßig Eßpakete hoch zu Sirius in die Berghöhle zu schicken; seit dem letzten Sommer hatte er nicht vergessen, wie es war, ständig hungrig zu sein. Er steckte Zettel für Sirius dazu, auf denen er schrieb, daß nichts Ungewöhnliches passiert sei und daß sie immer noch auf Antwort von Percy warteten.
Hedwig kam erst am Ende der Osterferien zurück. Percys Brief lag in einem Päckchen mit Ostereiern, die Mrs Weasley geschickt hatte. Die für Harry und Ron waren groß wie Dracheneier und gefüllt mit hausgemachter Karamellkrem. Hermines Ei hingegen war nicht größer als das eines Hühnchens. Ihre Züge erschlafften, als sie es sah.
»Deine Mum liest nicht zufällig die Hexenwoche, Ron?«, fragte sie leise.
»Doch«, sagte Ron mit dem Mund voll Karamellkrem.»Aber nur wegen der Rezepte.«
Hermine betrachtete traurig ihr kleines Ei.
»Willst du nicht wissen, was Percy geschrieben hat?«,fragte Harry eilig. Percys Brief war knapp und in gereiztem Ton gehalten.
Wie ich dem Tagespropheten andauernd mitteile, gönnt sich Mr Crouch eine wohlverdiente Ruhepause. Er schickt mir regelmäßig Eulen mit seinen Anweisungen. Nein, ich habe ihn tatsächlich nicht gesehen, aber ich denke, man wird mir zutrauen, daß ich die Handschrift meines eigenen Vorgesetzten kenne. Im Moment habe ich zu viel zu tun, um auch noch diese lächerlichen Gerüchte aus der Welt schaffen zu können. Bitte belästigt mich nicht mehr, außer wenn etwas Wichtiges anliegt. Frohe Ostern.
Wenn es nach Ostern auf den Sommer zuging, begann Harry normalerweise hart für das letzte Quidditch-Spiel der Saison zu trainieren. Dieses Jahr jedoch mußte er sich auf die dritte und letzte Aufgabe des Trimagischen Turniers vorbereiten, doch er wußte immer noch nicht, was da auf ihn zukam. Endlich, in der letzten Maiwoche, nahm ihn Professor McGonagall nach Verwandlung kurz beiseite.
»Sie gehen heute Abend um neun hinunter zum Quidditch-Feld, Potter«, verkündete sie ihm.»Dort wird Mr Bagman allen Champions die dritte Aufgabe erläutern.«
Und so ließ Harry um halb neun Ron und Hermine im Gryffindor-Turm zurück und ging nach unten. Er durchquerte gerade die Eingangshalle, als Cedric vom Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs hochkam.
»Was, schätzt du, kommt diesmal dran?«, fragte er Harry, während sie zusammen die Steintreppe hinunter und in die bewölkte Nacht hinausgingen.»Fleur quasselt ständig von unterirdischen Gängen und glaubt, wir müßten einen Schatz finden.«
»Das wär ja gar nicht so übel«, sagte Harry, denn dann könnte er einfach Hagrid um einen Niffler bitten, der die Arbeit für ihn erledigen würde.
Sie liefen den Rasenabhang zum Quidditch-Stadion hinunter und nahmen einen schmalen Durchgang zwischen den Tribünen hinaus aufs Feld.
»Was haben sie damit angestellt?«, sagte Cedric entrüstet und blieb wie angewurzelt stehen.
Das Quidditch-Feld war keine ebene Rasenfläche mehr. Es sah aus, als hätte jemand lange, niedrige Mauern darüber gezogen, die sich kreuz und quer und in engen Windungen über das ganze Feld erstreckten.
»Das sind Hecken!«, sagte Harry und beugte sich vor, um eine der Pflanzen unter die Lupe zu nehmen.
»Hallo, ihr da!«, rief eine fröhliche Stimme.
Ludo Bagman stand mit Krum und Fleur in der Mitte des Feldes. Harry und Cedric kletterten über die Hecken zu ihnen hinüber. Fleur strahlte Harry entgegen. Seit er ihre Schwester aus dem See gezogen hatte, war sie ihm gegenüber völlig verändert.
»Nun, was haltet ihr davon?«, sagte Bagman launig, als Harry und Cedric über die letzte Hecke gestiegen und bei den dreien angelangt waren.»Die wachsen doch ganz hübsch? Noch einen Monat und Hagrid hat sie sieben Meter hochgezogen. Und macht euch keine Sorgen«, fügte er grinsend hinzu, als er die nicht allzu glücklichen Mienen Harrys und Cedrics sah,»ihr bekommt euer Quidditch-Feld genauso wieder, wie es war, wenn die letzte Runde vorbei ist! Nun, ihr könnt sicher erraten, was wir hier wachsen lassen?«
Einen Moment lang schwiegen alle. Dann -
»Irrgarten«, knurrte Krum.
»Richtig!«, sagte Bagman.»Einen Irrgarten. Die dritte Aufgabe ist wirklich einfach. Der Trimagische Pokal wird in der Mitte des Labyrinths aufgestellt. Der erste Champion, der ihn berührt, erhält die volle Punktzahl.«
»Wir müssen nur dursch den Irrgarten kommen?«, fragte Fleur.
»Für Hindernisse garantieren wir«, sagte Bagman ausgelassen und wiegte sich auf den Fußballen.»Hagrid wird uns eine Reihe von Kreaturen zur Verfügung stellen… dann gibt es Zauber, die gebrochen werden müssen… alles, was wir so haben, ihr wißt ja. Die Champions, die nach Punkten führen, werden als Erste in den Irrgarten starten können.«Bagman grinste Harry und Cedric an.»Dann kommt Mr Krum… und nach ihm Fleur Delacour. Aber ihr alle habt 'ne faire Chance, ihr müßt euch nur wacker an den Hindernissen vorbeikämpfen. Wird doch Spaß machen, meint ihr nicht?«
Harry, der nur zu gut wußte, was für Kreaturen Hagrid für ein solches Ereignis wohl herbeischaffen würde, war sich überhaupt nicht sicher, wo hier der Spaß stecken sollte. Doch wie die anderen Champions nickte er höflich.
»Sehr schön… wenn ihr jetzt keine Fragen mehr habt, gehen wir nach oben ins Schloß, es ist doch ein wenig frisch hier…«
Sie schlängelten sich aus dem noch wachsenden Irrgarten, und Bagman schloß mit raschen Schritten zu Harry auf. Harry ahnte schon, daß Bagman ihm gleich wieder seine Hilfe anbieten würde, doch in diesem Moment tippte ihm Krum auf die Schulter.
»Könnt ich eine Wort mit dir sprechen?«
»Ja, natürlich«, sagte Harry ziemlich überrascht.
»Gehen wir zusammen ein wenig?«
»Klar«, sagte Harry neugierig.
Bagman schien leicht irritiert.»Ich warte auf dich, Harry, oder nicht?«
»Nein, ist schon gut, Mr Bagman«, sagte Harry und unterdrückte ein Lächeln,»ich denke, ich finde das Schloß schon allein, danke.«
Harry und Krum verließen zusammen das Stadion, aber Krum wandte seine Schritte nicht hinüber zum Durmstrang-Schiff. Vielmehr ging er auf den Wald zu.
»Warum gehen wir hier lang?«, fragte Harry, als sie an Hagrids Hütte und der erleuchteten Beauxbatons-Kutsche vorbeikamen.
»Will nicht, daß uns jemand hört«, sagte Krum knapp.
Als sie endlich, nicht weit von der Koppel der Beauxbatons-Pferde, ein abgeschiedenes Fleckchen Land erreicht hatten, blieb Krum im Schatten der Bäume stehen und sah Harry ins Gesicht.
»Ich will wissen«, sagte er mit finsterem Blick,»was zwischen dir und Herminne ist.«
Harry, der wegen Krums Geheimnistuerei schon etwas Ernsteres erwartet hatte, starrte verblüfft zu ihm hoch.
»Nichts«, sagte er. Doch Krum sah ihn weiter böse an, und Harry, dem noch einmal schlagartig bewußt wurde, wie groß Krum war, ließ sich zu ein paar mehr Worten herbei.»Wir sind befreundet. Wir gehen nicht zusammen, wie du meinst. Diese Kimmkorn hat das alles nur erfunden.«
»Herminne sprickt sehr oft von dir«, sagte Krum und sah Harry mißtrauisch an.
»Ja, selbstverständlich«, sagte Harry,»immerhin sind wir Freunde.«
Er konnte es nicht fassen, dieses Gespräch mit Viktor Krum, dem berühmten internationalen Quidditch-Spieler. Es war, als ob der achtzehnjährige Krum glaubte, er, Harry, sei ihm ebenbürtig – sei ein echter Rivale -
»Ihr habt nie… ihr seid nie…«
»Nein«, sagte Harry sehr bestimmt.
Krum sah ein wenig zufriedener aus. Er blickte Harry ein paar Sekunden lang unverwandt an, dann sagte er:»Du fliegst serr gutt. Ich hab dich gesehn bei erste Aufgabe.«
»Danke«, sagte Harry mit einem breiten Lächeln und fühlte sich mit einem Mal viel größer.»Ich hab dich bei der Quidditch-Weltmeisterschaft gesehen. Dein Wronski-Bluff, ich muß schon sagen -«
Doch hinter Krum, zwischen den Bäumen, bewegte sich etwas, und Harry, der am eigenen Leib erfahren hatte, was in diesem Wald alles auf einen lauern konnte, packte Krum instinktiv am Arm und zog ihn beiseite.
»Was ist los?«
Harry schüttelte den Kopf und spähte durch die Bäume hinüber zu der Stelle, wo er etwas gesehen hatte. Er schob die Hand in den Umhang und griff nach seinem Zauberstab.
In diesem Augenblick stolperte ein Mann hinter einer hohen Eiche hervor. Einen Moment lang kam er Harry fremd vor… dann erkannte er Mr Crouch. Er sah aus, als wäre er seit Tagen unterwegs. An den Knien war sein Umhang zerrissen und blutig; sein Gesicht war zerkratzt; er war unrasiert und aschgrau vor Erschöpfung. Sein sonst immer geschniegeltes Haar und sein Schnurrbart hatten Wasser und Schere dringend nötig. Mr Crouchs merkwürdige äußere Erscheinung war jedoch nichts im Vergleich zu seinem Gebaren. Murmelnd und gestikulierend schien er mit jemandem zu sprechen, den nur er allein sehen konnte. Er erinnerte Harry lebhaft an einen alten Landstreicher, den er einmal gesehen hatte, als er mit den Dursleys einkaufen gegangen war. Auch dieser Mann hatte sich wild fuchtelnd mit einem Luftgespinst unterhalten; Tante Petunia hatte Dudley an der Hand genommen und ihn über die Straße gezogen, um nicht an ihm vorbeigehen zu müssen; danach hatte Onkel Vernon der Familie einen langen Sermon darüber gehalten, was er am liebsten mit Bettlern und Vagabunden anstellen würde.
»War er nicht ein Richter?«, sagte Krum und starrte Mr Crouch mit großen Augen an.»Ist er nicht aus eure Ministerium?«
Harry nickte, zögerte einen Moment lang, dann trat er langsam auf Mr Crouch zu, der ihn nicht ansah, sondern weiter mit einem Baum in der Nähe sprach:
»… und wenn Sie das erledigt haben, Weatherby, schicken Sie eine Eule zu Dumbledore und bestätigen Sie ihm die Zahl der Durmstrang-Schüler, die am Turnier teilnehmen, Karkaroff hat soeben mitgeteilt, daß es zwölf sein werden…«
»Mr Crouch?«, sagte Harry behutsam.
»… und schicken Sie eine weitere Eule an Madame Maxime, denn vielleicht möchte sie die Zahl der Schüler, die sie mitbringt, aufstocken, da jetzt Karkaroff ein rundes Dutzend veranschlagt… tun Sie das, Weatherby, hören Sie? Hören Sie? Hören…«Mr Crouchs Augen quollen hervor. Da stand er, den Blick auf den Baum gerichtet, und murmelte stumm zu ihm hin. Dann stolperte er seitlich weg und fiel auf die Knie.
»Mr Crouch?«, sagte Harry laut.»Was ist mit Ihnen?«
Crouchs Augen rollten in ihren Höhlen. Harry sah sich nach Krum um, der ihm zwischen die Bäume gefolgt war und mit alarmiertem Blick auf Mr Crouch hinuntersah.
»Was fehlt ihm denn?«
»Keine Ahnung«, murmelte Harry.»Hör zu, du gehst am besten jemanden holen -«
»Dumbledore!«, keuchte Mr Crouch. Er streckte die Hand aus, packte Harrys Umhang und zog ihn zu sich her, aber seine Augen stierten immer noch über Harrys Kopf hinweg.»Ich muß… Dumbledore… sprechen…«
»Gut«, sagte Harry,»wenn Sie aufstehen würden, Mr Crouch, dann können wir hoch zum -«
»Ich hab… Dummheit… gemacht«, hauchte Mr Crouch. Er machte den Eindruck eines vollkommen Wahnsinnigen. Seine Augen rollten und traten hervor und ein Rinnsal aus Speichel lief ihm über das Kinn.»Muß es… Dumbledore… sagen.«
»Stehen Sie auf, Mr Crouch«, sagte Harry laut und deutlich.»Stehen Sie auf, ich bringe Sie zu Dumbledore!«
Mr Crouchs Blick kippte in Harrys Richtung.
»Wer… du?«, wisperte er.
»Ich bin ein Schüler aus dem Schloß«, sagte Harry und sah sich Hilfe suchend nach Krum um, doch Krum, offenbar höchst nervös, hielt sich im Schatten.
»Du bist nicht… seiner?«, flüsterte Crouch, und der Unterkiefer fiel ihm herab.
»Nein«, sagte Harry ohne die geringste Ahnung, wovon Crouch überhaupt redete.
»Dumbledores?«
»Ja, stimmt«, sagte Harry.
Crouch zog ihn näher an sein Gesicht; Harry versuchte Crouchs Klammergriff an seinem Umhang zu lockern, doch er war zu kräftig.
»Warne… Dumbledore…«
»Ich hole Dumbledore, wenn Sie mich loslassen«, sagte Harry.»Lassen Sie mich einfach los, Mr Crouch, und ich hole ihn…«
»Danke, Weatherby, und wenn Sie das erledigt haben, hätte ich gerne eine Tasse Tee. Meine Frau und mein Sohn werden in Kürze eintreffen und heute Abend gehen wir mit Mr und Mrs Fudge ins Konzert.«Crouch sprach nun wieder eifrig mit einem Baum und schien Harrys Anwesenheit völlig vergessen zu haben, was Harry so bestürzte, daß er gar nicht merkte, daß Crouch ihn losgelassen hatte.»Ja, mein Sohn hat jüngst zwölf ZAGs erworben, äußerst zufrieden stellend, ja, danke Ihnen, ja, wirklich sehr stolz. Nun, wenn Sie mir bitte das Schreiben des andorranischen Zaubereiministers bringen würden, ich denke, ich habe noch Zeit, eine Antwort aufzusetzen…«
»Du bleibst hier bei ihm!«, sagte Harry zu Krum gewandt.»Ich hole Dumbledore, das geht schneller, weil ich weiß, wo sein Büro ist -«
»Er ist wahnsinnig«, sagte Krum mit zweifelnder Stimme und starrte hinunter auf Crouch, der immer noch den Baum anplapperte, offenbar überzeugt, er sei Percy.
»Paß kurz auf ihn auf«, sagte Harry und hatte sich schon halb erhoben, doch das schien einen erneuten plötzlichen Wandel in Mr Crouchs Gedanken auszulösen; er schlang den Arm fest um Harrys Knie und zog ihn wieder zu Boden.
»Laß… mich… nicht allein!«, flüsterte er, und wieder traten ihm die Augen aus den Höhlen.»Ich… bin entkommen… muß es Dumbledore… sagen… warnen… meine Schuld… alles meine Schuld… Bertha… tot… alles meine Schuld… mein Sohn… meine Schuld… sag Dumbledore… Harry Potter… der dunkle Lord… stärker… Harry Potter…«
»Ich hol Dumbledore, wenn Sie mich loslassen, Mr Crouch!«Er sah sich wütend nach Krum um.»Hilf mir doch endlich!«
Krum trat mit äußerst widerwilliger Miene näher und hockte sich neben Mr Crouch auf die Erde.
»Paß einfach auf, daß er hier liegen bleibt«, sagte Harry und befreite sich aus Mr Crouchs Umklammerung.»Ich komm gleich mit Dumbledore zurück.«
»Beeil dich, ja!?«, rief Krum ihm vom Waldrand aus nach, als Harry losspurtete und über das dunkle Schloßgelände davonjagte. Kein Mensch war zu sehen; Bagman, Cedric und Fleur waren verschwunden. Harry rannte die Steintreppe hoch, durch das eichene Portal und über die Marmortreppe nach oben in den zweiten Stock.
Fünf Minuten später stürzte er auf einen steinernen Wasserspeier in der Mitte eines verlassenen Korridors zu.
»Scherbert Zitrone!«, japste er ihm entgegen.
Dies war das Paßwort für die verborgene Treppe zu Dumbledores Büro – zumindest hatte es vor zwei Jahren noch so gelautet. Doch offenbar war das Paßwort geändert worden, denn der steinerne Wasserspeier erwachte nicht zum Leben und sprang auch nicht zur Seite, sondern stand nur steinern da und sah Harry feindselig an.
»Beweg dich!«, schrie ihn Harry an.»Mach schon!«
Doch in Hogwarts hatte sich noch nie etwas bewegt, nur weil er es angeschrien hatte; er wußte, daß es nichts nützte. Er spähte nach links und rechts den dunklen Korridor entlang. Vielleicht war Dumbledore im Lehrerzimmer? Er begann, so schnell er konnte, auf die Treppe zuzurennen -