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Die Bürotür öffnete sich.
»Hallo, Potter«, sagte Moody.»Na, dann komm mal rein.«
Harry trat ein. Schon einmal war er in Dumbledores Büro gewesen; es war ein schönes, kreisrundes Zimmer, ringsum behangen mit Bildern ehemaliger Schulleiter, Männer und Frauen, allesamt tief schlafend.
Cornelius Fudge stand neben Dumbledores Schreibtisch, er trug den üblichen Nadelstreifenumhang und hielt seinen limonengrünen Bowler in der Hand.
»Harry!«, sagte Fudge und trat mit einladender Geste auf ihn zu.»Wie geht es dir?«
»Gut«, log Harry.
»Wir sprachen eben über die Nacht, in der Mr Crouch auf dem Schloßgelände aufgetaucht ist«, sagte Fudge.»Du hast ihn doch entdeckt?«
»Ja«, sagte Harry. Dann beschloß er, es sei zwecklos so zu tun, als ob er ihr Gespräch nicht mitgehört hatte, und fügte hinzu:»Aber Madame Maxime habe ich nirgends gesehen, und für sie wäre es sicher nicht so einfach gewesen, sich zu verstecken?«
Hinter Fudges Rücken lächelte ihm Dumbledore mit funkelnden Augen zu.
»Nun, wie dem auch sei«, meinte Fudge mit verlegener Miene,»wir wollten eben aufbrechen und uns die Stelle mal ansehen… vielleicht gehst du einfach in den Unterricht zurück -«
»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Professor«, wandte sich Harry rasch zu Dumbledore, der ihm einen kurzen, forschenden Blick zuwarf.
»Warte hier auf mich, Harry«, sagte er.»Unsere kleine Expedition wird nicht lange dauern.«
Wortlos gingen sie an ihm vorbei aus dem Zimmer und schlössen die Tür. Nach gut einer Minute erstarb das Klopfen von Moodys Holzbein unten im Korridor. Harry sah sich um.
»Hallo, Fawkes«, sagte er.
Fawkes, Professor Dumbledores Phönix, hockte auf seiner goldenen Stange neben der Tür. Der Vogel von der Größe eines Schwans, mit herrlich scharlachrotem und goldenem Gefieder, raschelte mit seinem langen Schweif und blinzelte Harry freundlich an.
Harry setzte sich auf einen Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch. Einige Minuten lang hockte er da, sah den ehemaligen Schulleitern beim Schlummern zu, dachte über das eben Gehörte nach und betastete mit dem Finger seine Narbe. Sie schmerzte jetzt nicht mehr.
Hier in diesem Büro, mit der Aussicht, Dumbledore gleich von dem Traum erzählen zu können, fühlte Harry sich schon viel ruhiger. Er ließ den Blick über die Wand hinter dem Schreibtisch wandern. Der Sprechende Hut, zerschlissen und geflickt, lag auf einem Wandbord. Neben ihm stand eine Glasvitrine mit einem prachtvollen silbernen Schwert, in dessen Griff große Rubine eingelassen waren, und Harry erkannte, daß es das Schwert war, das er selbst im zweiten Jahr aus dem Sprechenden Hut gezogen hatte. Einst hatte es Godric Gryffindor gehört, dem Begründer des Hauses, zu dem Harry gehörte. Er ließ den Blick darauf ruhen und erinnerte sich gerade lebhaft, wie es ihm damals, als er schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, zu Hilfe gekommen war, da bemerkte er einen silbrig schimmernden Lichtfleck, der auf dem Glas der Vitrine tanzte. Er wandte den Kopf und sah, daß aus einem schwarzen Schrank, dessen Tür nicht ganz geschlossen war, ein schmaler Streifen Licht herausfiel. Harry zögerte, warf Fawkes einen Blick zu, stand auf, ging hinüber und zog die Schranktür auf.
Im Schrank stand eine flache steinerne Schale mit merkwürdigen Gravuren entlang des Rands; Runen und Symbole, die Harry nicht entziffern konnte. Das silbrige Licht kam aus dem Inneren der Schale und stammte von etwas, das Harry noch nie gesehen hatte. Er konnte nicht erkennen, ob die Substanz eine Flüssigkeit oder ein Gas war. Sie war hell, silbrig weiß, und bewegte sich unablässig; ihre Oberfläche kräuselte sich wie Wasser, über das ein Wind streicht, dann wiederum teilte sie sich auf in sanft wirbelnde Wolken. Es war wie flüssiges Licht oder wie Wind, der greifbare Gestalt angenommen hatte – Harry war ratlos.
Er wollte die Substanz berühren, herausfinden, wie sie sich anfühlte, doch nach fast vier Jahren Erfahrung mit der magischen Welt wußte er, daß es sehr dumm wäre, einfach die Hand in eine Schale mit einer unbekannten Substanz zu tauchen. Daher zog er den Zauberstab aus dem Umhang, ließ den Blick nervös durch das Büro huschen, wandte sich erneut der Schale zu und rührte ihren Inhalt ganz kurz mit der Spitze des Zauberstabs um. An der Oberfläche der silbrigen Substanz begann es sehr schnell zu wirbeln.
Harry beugte sich tiefer über die Schale und steckte mit dem Kopf bereits mitten im Schrank. Die silbrige Substanz war durchsichtig geworden; sie wirkte wie Glas. Er sah von oben in sie hinein und erwartete den steinernen Boden der Schale zu sehen – doch stattdessen erblickte er unter der Oberfläche der geheimnisvollen Substanz einen riesigen Raum, in den er wie durch ein rundes Fenster in der Decke hinuntersehen konnte.
Der Raum war schwach erleuchtet; vielleicht war er sogar unterirdisch, denn es gab keine Fenster, nur Fackeln an den Mauern, wie er sie schon von Hogwarts kannte. Er bückte sich noch tiefer, so daß seine Nase nur noch wenige Zentimeter von der glasigen Substanz entfernt war, und nun sah er, daß an den Wänden entlang Sitzbänke errichtet waren, die sich stufenweise nach oben zogen und bis auf den letzten Platz besetzt waren mit Hexen und Zauberern. Genau in der Mitte des Raumes stand ein leerer Stuhl. Etwas an diesem Stuhl erweckte eine dunkle Vorahnung in ihm. An den Armlehnen hingen Ketten, als ob man die dort Sitzenden an den Stuhl zu fesseln pflegte. Wo befand sich dieser Ort? Sicher nicht in Hogwarts; einen solchen Raum hatte er im Schloß noch nicht gesehen. Zudem gab es in diesem geheimnisvollen Saal nur Erwachsene, und Harry wußte, daß es nicht annähernd so viele Lehrer in Hogwarts gab. Sie scheinen auf etwas zu warten, überlegte er; zwar konnte er von oben nur auf ihre Spitzhüte sehen, doch sie alle blickten offenbar in eine Richtung und sprachen nicht miteinander.
Da die Schale rund war und der Raum, den Harry beobachtete, quadratisch, konnte er nicht erkennen, was in den Ecken passierte. Doch er wollte noch mehr sehen und neigte den Kopf noch tiefer…
Seine Nasenspitze berührte die seltsame Substanz, in die er geblickt hatte. Dumbledores Büro tat einen übermächtigen Ruck – Harry warf es nach vorn und er stürzte kopfüber in die Substanz der Schale -
Doch sein Kopf schlug nicht auf dem steinernen Boden auf. Er fiel durch etwas Eiskaltes und Schwarzes; es war, als würde er in einen dunklen Malstrom gesogen -
Und plötzlich saß er auf einer Bank an der Mauer des Raumes in der Schale, einer Bank hoch über den anderen. Er blickte zur steinernen Decke auf und erwartete, dort das runde Fenster zu sehen, durch das er eben gespäht hatte, doch da war nichts als dunkler, fester Stein.
Schwer und schnell atmend blickte sich Harry um. Keine einzige Hexe, kein Zauberer in diesem Raum achtete auf ihn (und es waren mindestens zweihundert von ihnen da). Niemand schien bemerkt zu haben, daß ein vierzehnjähriger Junge soeben von der Decke herunter in ihre Mitte gefallen war. Harry wandte sich dem Zauberer zu, der neben ihm auf der Bank saß, und stieß vor Überraschung einen lauten Schrei aus, der in dem stillen Raum widerhallte.
Ihm zur Seite saß Albus Dumbledore.
»Professor!«, sagte Harry mit einer Art ersticktem Flüstern.»Verzeihung – das war keine Absicht – ich wollte mir nur diese Schale in Ihrem Schrank ansehen – ich – wo sind wir?«
Doch Dumbledore rührte sich nicht und sagte kein Wort. Er achtete überhaupt nicht auf Harry. Wie alle anderen Zauberer auf den Bänken schaute er in die gegenüberliegende Ecke des Raumes, wo eine Tür war.
Harry starrte Dumbledore verdutzt an, ließ den Blick über die schweigend und gespannt wartende Menge schweifen und wandte sich erneut Dumbledore zu. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen…
Schon einmal hatte Harry sich an einem Ort befunden, an dem ihn niemand sehen oder hören konnte. Damals war er durch die Blätter eines verzauberten Taschenkalenders gefallen, mitten hinein in das Gedächtnis eines Anderen… und wenn er sich nicht sehr irrte, war etwas Ähnliches auch jetzt geschehen…
Harry hob die rechte Hand, zögerte kurz und wedelte dann energisch vor Dumbledores Gesicht hin und her.
Dumbledore rührte sich nicht, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Damit war für Harry die Sache klar. Er war im Innern eines Gedächtnisses, und dies war nicht der Dumbledore der Gegenwart. Doch allzu lange konnte es nicht her sein… der Dumbledore, der jetzt neben ihm saß, hatte silbernes Haar, genau wie der heutige Dumbledore. Doch was war dies für ein Ort? Worauf warteten all diese Zauberer?
Harry sah sich jetzt etwas aufmerksamer um. Es war, wie er von oben aus schon vermutet hatte, fast sicher ein unterirdischer Raum – eine Art Kerker, befand er. Der Ort hatte etwas Düsteres, ja Bedrohliches an sich; an den Wänden hingen keine Bilder, es gab überhaupt keinen Schmuck; nur diese dicht geschlossenen Bankreihen, die sich an den Wänden des Raums emporzogen, so daß alle Zuschauer ungehinderten Blick auf den Stuhl mit den Ketten an den Armlehnen hatten.
Harry überlegte noch, wozu dieser Raum dienen sollte, als er Schritte hörte. Die Tür in der Ecke des Kerkers öffnete sich und drei Gestalten traten ein – genau gesagt ein Mann, flankiert von zwei Dementoren.
Harrys Eingeweide gefroren. Die Dementoren, große Gestalten mit Kapuzen, die ihre Gesichter verhüllten, glitten langsam auf den Stuhl in der Mitte zu. Sie hatten mit ihren verwesenden und modrigen Händen die Arme des Mannes gepackt. Der Mann in ihrer Mitte machte den Eindruck, als würde er gleich ohnmächtig werden, und Harry konnte es durchaus nachfühlen… er wußte, daß ihm die Dementoren im Innern eines Gedächtnisses nichts anhaben konnten, doch er erinnerte sich nur zu gut an ihre Kräfte. Ein leises Schaudern lief durch die Zuschauerreihen, während die Dementoren den Mann zu dem Kettenstuhl führten und dann hinausglitten. Die Tür schwang hinter ihnen zu.
Harry sah hinunter auf den Mann, der jetzt auf dem Stuhl saß, und erkannte Karkaroff.
Im Gegensatz zu Dumbledore sah Karkaroff hier viel jünger aus; Haare und Ziegenbart waren schwarz. Er hatte keinen glattseidenen Pelz an, sondern einen dünnen und schäbigen Umhang. Er zitterte am ganzen Leib. Noch während ihn Harry beobachtete, erglühten die Ketten an den Armlehnen plötzlich golden, schlangen sich an seinen Armen hoch und zurrten sie fest.
»Igor Karkaroff«, sagte eine barsche Stimme links von Harry. Harry wandte sich um und sah, wie sich in der Mitte seiner Sitzbank Mr Crouch erhob. Crouchs Haar war dunkel, sein Gesicht hatte viel weniger Falten, er wirkte kräftig und wachsam.»Sie wurden aus Askaban hierher gebracht, um vor dem Zaubereiministerium auszusagen. Sie gaben uns zu verstehen, daß Sie wichtige Informationen für uns hätten.«
Karkaroff, fest an den Stuhl gebunden, richtete sich, so gut er konnte, auf.
»Das habe ich, Sir«, sagte er, und obwohl seine Stimme ängstlich klang, hörte Harry den vertrauten öligen Ton heraus.»Ich möchte dem Ministerium dienlich sein. Ich will helfen. Ich – ich weiß, daß das Ministerium versucht – auch noch die letzten Anhänger des dunklen Lords zu stellen. Ich werde alles tun, um dabei zu helfen…«
Von den Bänken kam Gemurmel. Einige der Zauberer und Hexen musterten Karkaroff gespannt, andere offen mißtrauisch. Dann hörte Harry von der anderen Seite Dumbledores her ganz deutlich eine vertraute knurrende Stimme:»Dreck.«
Harry beugte sich vor und wandte den Kopf. Dort, rechts neben Dumbledore, saß Mad-Eye Moody – mit einem gewaltigen Unterschied zu dem Moody, den er kannte. Dieser Moody hatte kein magisches Auge, sondern zwei normale. Beide sahen hinab auf Karkaroff, und beide waren, von glühendem Abscheu erfüllt, zu Schlitzen verengt.
»Crouch wird ihn laufen lassen«, flüsterte er Dumbledore zu.»Hat sich auf einen Tauschhandel mit ihm eingelassen. Sechs Monate hab ich gebraucht, bis ich ihn endlich in die Finger bekommen hab, und Crouch läßt ihn einfach laufen, wenn er genug neue Namen von ihm kriegt. Nehmen wir seine Informationen, würd ich sagen, und werfen ihn gleich wieder den Dementoren vor.«
Aus Dumbledores langer Adlernase kam ein leises, mißbilligendes Schnauben.
»Ach ja, hab ich ganz vergessen… du magst ja diese Dementoren nicht, Albus?«, sagte Moody mit maskenhaftem Lächeln.
»Nein«, sagte Dumbledore leise,»ich fürchte, nein. Ich war schon immer der Meinung, das Ministerium sollte mit diesen Kreaturen nicht gemeinsame Sache machen…«
»Aber bei Dreckskerlen wie diesem hier…«, sagte Moody leise.
»Sie sagen, Sie hätten Namen für uns, Karkaroff«, meldete sich jetzt wieder Mr Crouch.»Bitte, wir hören.«
»Sie müssen verstehen«, sagte Karkaroff hastig,»daß er, dessen Name nicht genannt werden darf, immer unter strengster Geheimhaltung gearbeitet hat… er zog es vor, daß wir – das heißt seine Anhänger – und ich bedaure heute zutiefst, daß ich mich je zu ihnen zählte -«
»Raus mit der Sprache«, höhnte Moody.
»- wir wußten nie die Namen all unserer Gefährten – nur er wußte genau, wer alles dazugehörte -«
»Ein durchaus kluger Schachzug, nicht wahr, Karkaroff, damit ein Kerl wie du sie nicht alle verpfeifen kann«, murmelte Moody.
»Und doch behaupten Sie, Sie hätten ein paar Namen für uns?«, sagte Mr Crouch.
»Ja – das habe ich«, erwiderte Karkaroff atemlos.»Und das waren, beachten Sie, wichtige Gefolgsleute. Leute, die ich mit eigenen Augen seinen Willen habe ausführen sehen. Ich gebe diese Namen preis zum Zeichen, daß ich ihm ganz und gar abschwöre und so tief bereue, daß ich kaum -«
»Diese Namen lauten?«, sagte Mr Crouch scharf.
Karkaroff holte tief Luft.
»Einer war Antonin Dolohow«, sagte er.»Ich – ich sah ihn unzählige Muggel foltern und – und Gegner des dunklen Lords.«
»Und hast ihm dabei geholfen«, brummte Moody.
»Wir haben Dolohow bereits gefaßt«, sagte Crouch.»Er wurde kurz nach Ihnen aufgegriffen.«
»Tatsächlich?«, sagte Karkaroff und seine Augen weiteten sich.»Es – es freut mich, dies zu hören.«
Doch er sah nicht danach aus. Harry spürte, daß diese Neuigkeit Karkaroff einen schweren Schlag versetzt hatte. Einer seiner Namen war wertlos geworden.
»Weitere Namen?«, fragte Crouch kalt.
»Natürlich, ja… da war Rosier«, sagte Karkaroff hastig.»Evan Rosier.«
»Rosier ist tot«, sagte Crouch.»Auch er wurde kurz nach Ihnen gefaßt. Er zog es vor zu kämpfen, statt ruhig mitzukommen, und wurde im Kampf getötet.«
»Hat dabei aber noch ein Stück von mir mitgenommen«, flüsterte Moody.
Harry wandte sich zu ihm um und sah, wie er Dumbledore das große Loch in seiner Nase zeigte.
»Das – das hat er auch verdient!«, sagte Karkaroff mit einem deutlichen Anflug von Panik in der Stimme. Harry sah, daß er sich allmählich Sorgen machte, ob überhaupt eine seiner Informationen dem Ministerium nützen würde. Karkaroffs Augen huschten zur Tür an der Ecke, hinter der zweifellos noch die Dementoren lauerten.
»Weitere Namen?«, sagte Crouch.
»Ja!«, stieß Karkaroff hervor.»Da war Travers – er half mit, die McKinnons zu ermorden! Mulciber – er war auf den Imperius-Fluch spezialisiert und hat zahllose Leute gezwungen, schreckliche Dinge zu tun! Rookwood, ein Spion, hat dem Unnennbaren nützliche Informationen aus dem inneren Kreis des Ministeriums geliefert!«
Harry spürte, daß Karkaroff diesmal auf eine Goldader gestoßen war. Die Zuschauer fingen an zu tuscheln.
»Rookwood?«, fragte Mr Crouch mit einem Kopfnicken zu einer vor ihm sitzenden Hexe, die auf ihr Pergamentblatt zu kritzeln begann.»Augustus Rookwood von der Mysteriumsabteilung?«
»Ja, genau der«, sagte Karkaroff beflissen.»Ich glaube, er nutzte ein Netz gut plazierter Zauberer innerhalb wie außerhalb des Ministeriums, um wichtige Informationen zu sammeln -«
»Aber Travers und Mulciber haben wir«, sagte Mr Crouch.»Nun gut, Karkaroff, wenn das alles ist, werden Sie nach Askaban zurückgebracht, während wir entscheiden -«
»Noch nicht!«, schrie Karkaroff in heller Verzweiflung.»Warten Sie, ich habe noch mehr!«
Harry sah ihn im Licht der Fackeln schwitzen, die weiße Haut scharf abgehoben gegen das Schwarz von Haar und Bart.
»Snape!«, rief er.»Severus Snape!«
»Snape wurde vor diesem Rat bereits entlastet«, sagte Crouch kühl.»Albus Dumbledore hat sich für ihn verbürgt.«
»Nein!«, rief Karkaroff und zerrte an den Ketten, die ihn an den Stuhl fesselten.»Ich versichere Ihnen, Severus Snape ist ein Todesser!«
Dumbledore hatte sich erhoben.»Ich habe in dieser Angelegenheit bereits ausgesagt«, erklärte er ruhig.»Severus Snape war in der Tat ein Todesser, doch er hat sich schon vor Lord Voldemorts Sturz wieder unseren Reihen angeschlossen und als Spion für uns gearbeitet, unter größter Gefahr für sein eigenes Leben. Er ist heute genauso wenig ein Todesser, wie ich es bin.«
Harry wandte den Kopf Mad-Eye Moody zu. Da saß er, hinter Dumbledores Rücken, und machte ein Gesicht, in dem tiefe Zweifel geschrieben standen.
»Nun gut, Karkaroff«, sagte Crouch kühl,»Sie waren hilfreich. Ich werde Ihren Fall noch einmal prüfen. In der Zwischenzeit werden Sie nach Askaban verbracht…«
Mr Crouchs Stimme erstarb. Harry sah sich um; der Kerker löste sich auf, als wäre er aus Rauch; alles verblaßte, er konnte nur noch seinen eigenen Körper sehen, alles andere waren wirbelnde Schatten…
Und dann kehrte der Kerker zurück. Harry saß auf einem anderen Platz; noch immer auf der höchsten Bank, doch jetzt links von Mr Crouch. Die Stimmung war ganz anders; entspannt, fast fröhlich. Die hier versammelten Hexen und Zauberer unterhielten sich miteinander, als wären sie bei einer Sportveranstaltung. Eine Hexe auf halber Höhe gegenüber fing Harrys Blick auf. Sie hatte kurzes blondes Haar, trug einen magentaroten Umhang und nuckelte an der Spitze eines giftgrünen Federkiels. Es war, unverkennbar, die jüngere Rita Kimmkorn. Harry sah sich um; wieder saß Dumbledore neben ihm, diesmal in einem anderen Umhang. Mr Crouch wirkte müder, auch irgendwie grimmiger und hagerer… Harry begriff. Es war eine andere Erinnerung, ein anderer Tag… ein anderer Prozeß.
Die Tür in der Ecke öffnete sich und Ludo Bagman schritt herein.
Dies war jedoch nicht der ein wenig aus dem Leim gegangene Ludo Bagman, sondern ein Bagman, der offensichtlich auf der Höhe seiner Kraft als Quidditch-Spieler war. Seine Nase war noch nicht gebrochen; er war groß, schlank und muskulös. Bagman wirkte nervös, als er sich auf den Kettenstuhl setzte, doch der Stuhl fesselte ihn nicht wie zuvor Karkaroff, und Bagman, dadurch vielleicht ermutigt, ließ den Blick über die Zuschauermenge schweifen, winkte einigen von ihnen und schaffte sogar den Anflug eines Lächelns.
»Ludo Bagman, Sie sind hier vor dem Rat für das Magische Gesetz, um sich zu Anschuldigungen im Zusammenhang mit den Umtrieben von Todessern zu äußern«, sagte Mr Crouch.»Wir haben gehört, was gegen Sie vorliegt, und kommen nun zum Urteil. Haben Sie Ihrer Aussage noch etwas hinzuzufügen, bevor wir das Urteil verkünden?«
Harry traute seinen Ohren nicht. Ludo Bagman, ein Todesser?
»Nur«, sagte Bagman verlegen lächelnd,»nur – daß mir klar ist, daß ich ein ziemlicher Dummkopf war -«
Einige Zauberer und Hexen auf den umliegenden Plätzen lächelten nachsichtig. Mr Crouch schien ihre Gefühle nicht zu teilen. Er starrte mit einem Ausdruck größter Abneigung und Strenge auf Ludo Bagman hinunter.
»Da sagst du mal ein wahres Wort, Bursche.«Jemand hinter Harry hatte das in trockenem Ton Dumbledore zugemurmelt. Harry drehte sich um, und wieder war es Moody, der da auf der Bank saß.»Wenn ich nicht gewußt hätte, daß er noch nie 'ne große Leuchte war, hätt ich gesagt, daß diese Klatscher sein Hirn dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen haben…«
»Ludo Bagman, Sie wurden dabei ertappt, wie Sie Informationen an die Gefolgsleute Lord Voldemorts weitergaben«, sagte Mr Crouch.»Dafür beantrage ich eine Haftstrafe in Askaban von nicht weniger als -«
Doch von den Bänken im Umkreis kam ein zorniger Aufschrei. Einige der Hexen und Zauberer, die an der Mauer saßen, standen auf, sahen Mr Crouch kopfschüttelnd an und drohten sogar mit Fäusten.
»Aber ich hab Ihnen doch schon gesagt, ich hatte keine Ahnung!«, rief Bagman mit ernster Miene über das Getuschel der Menge hinweg.»Überhaupt keine! Der alte Rookwood war ein Freund meines Dads… ich hätte mir nie träumen lassen, daß er mit Du-weißt-schon-wem unter einer Decke steckte! Ich dachte, er würde Informationen für unsere Seite sammeln. Und Rookwood hat ständig davon geredet, er wolle mir später eine Stelle im Ministerium besorgen… wenn meine Quidditch-Karriere beendet ist, wissen Sie… ich meine, ich kann mich doch nicht für den Rest meiner Tage von Klatschern beballern lassen, oder?«
Einige Zuschauer kicherten verhalten.
»Ich lasse darüber abstimmen«, sagte Mr Crouch kalt. Er wandte sich an eine Gruppe, die an der rechten Seite des Verlieses saß.»Ich bitte die Jury um Handzeichen… wer ist für eine Haftstrafe…?«
Harry wandte den Blick nach rechts. Keine einzige Hand hob sich. Viele Hexen und Zauberer ringsum begannen zu klatschen. Eine der Hexen aus der Jury erhob sich.
»Ja?«, bellte Crouch.
»Wir möchten die Gelegenheit nutzen und Mr Bagman zu seiner glänzenden Leistung für England im Quidditch-Spiel gegen die Türkei letzten Samstag gratulieren«, sagte die Hexe atemlos.
Mr Crouch schien wütend. Donnernder Beifall erschütterte den Kerker. Bagman stand auf und verbeugte sich mit strahlendem Lächeln.
»Ungeheuerlich«, fauchte Mr Crouch Dumbledore zu und setzte sich, während Bagman hinausging.»Rookwood wollte ihm tatsächlich eine Stelle bei uns besorgen… der Tag, an dem Ludo Bagman kommt, wird ein sehr trauriger Tag für das Ministerium sein…«
Und wieder löste sich der Kerker auf. Nach einer Weile festigte er sich, und Harry sah sich um. Er und Dumbledore saßen immer noch neben Mr Crouch, doch die Stimmung konnte nicht gegensätzlicher sein. Es herrschte vollkommene Stille, unterbrochen einzig vom trockenen Schluchzen einer verhärmten und abgemagerten Hexe, die neben Mr Crouch saß. Mit zitternden Händen preßte sie ein Taschentuch an die Lippen. Harry sah zu Mr Crouch auf, der noch hagerer und grauer als zuvor wirkte. Auf seiner Schläfe zuckte ein Nerv.
»Bringt sie rein«, sagte er, und seine Stimme hallte in dem stillen Kerker wider.
Die Tür in der Ecke öffnete sich. Diesmal kamen sechs Dementoren herein, die vier Menschen mit sich führten. Harry fiel auf, daß die Zuschauer sich umdrehten und Mr Crouch verstohlene Blicke zuwarfen. Einige flüsterten jetzt miteinander.
Die Dementoren führten die vier in die Mitte des Kerkers, wo für jeden ein Stuhl mit kettenbewehrten Armlehnen bereitstand. Einer der Gefangenen war ein untersetzter Mann, der mit leerem Blick zu Mr Crouch hochstarrte; ein anderer, schlanker und fahriger wirkend, ließ den Blick über die Menge huschen; eine Frau mit dichtem, glänzend schwarzem Haar und dunkel umschatteten Augen saß auf ihrem Kettenstuhl, als wäre er ein Thron; und schließlich war da ein Junge, noch keine zwanzig Jahre alt, dessen Miene buchstäblich versteinert war. Zitternd saß er da, Strähnen von strohblondem Haar im sommersprossigen, milchig weißen Gesicht. Die schmächtige kleine Hexe neben Crouch begann auf ihrem Platz vor- und zurückzuwippen und in ihr Taschentuch zu wimmern.
Crouch stand auf. Er sah auf die vier vor ihm hinunter und in seinem Gesicht stand der blanke Haß.
»Sie wurden hierher vor den Rat für das Magische Gesetz gebracht«, sagte er mit klarer Stimme,»damit wir Sie für ein Verbrechen verurteilen, so abscheulich…«
»Vater«, sagte der Junge mit dem strohblonden Haar.»Vater… bitte…«
»- so abscheulich, wie wir es in den Mauern dieses Gerichts selten zu Ohren bekommen…«, sagte Crouch mit erhobener Stimme, die die seines Sohnes erstickte.»Wir haben gehört, welche Beweise gegen Sie vorliegen. Sie sind angeklagt, einen Auroren – Frank Longbottom – überwältigt und ihn dem Cruciatus-Fluch unterworfen zu haben, weil Sie glaubten, er kenne den Aufenthaltsort Ihres geflohenen Herrn, dessen Name nicht genannt werden darf-«
»Vater, ich war es nicht!«, schrie der Junge in Ketten.»Ich war es nicht, ich schwöre es, Vater, schick mich nicht zu den Dementoren zurück -«
»Sie sind weiterhin angeklagt«, bellte Mr Crouch,»den Cruciatus-Fluch gegen Frank Longbottoms Frau gerichtet zu haben, weil er selbst nichts preisgegeben hatte. Sie hatten die Absicht, ihm, dessen Name nicht genannt werden darf, wieder an die Macht zu verhelfen und die Welt erneut mit Gewalt zu überziehen, wie Sie es vermutlich schon taten, als er noch stark war -«
»Mutter!«, schrie der Junge, und die verhärmte kleine Hexe neben Crouch begann zu schluchzen und heftig mit dem Oberkörper zu wippen.»Mutter, sag ihm, er soll aufhören, Mutter, ich hab es nicht getan, ich war es nicht!«
»Ich fordere nun die Mitglieder der Jury auf«, rief Mr Crouch,»die Hand zu heben, wenn sie mit mir der Meinung sind, daß für diese Verbrechen eine lebenslängliche Strafe in Askaban angemessen ist.«
Die Hexen und Zauberer an der rechten Seite des Kerkers hoben einstimmig die Hände. Die Zuschauer auf den Bänken begannen zu klatschen, wie sie es schon für Bagman getan hatten, doch diesmal waren ihre Gesichter erfüllt von zorniger Genugtuung. Wieder begann der Junge zu schreien.
»Nein! Mutter, nein! Ich hab es nicht getan, ich war nicht dabei, ich wußte es nicht! Schick mich nicht dorthin, laß es nicht zu!«
Die Dementoren glitten herein. Die drei Mitangeklagten des Jungen erhoben sich schweigend von ihren Stühlen; die Frau mit den schweren, dunklen Augenlidern sah zu Crouch auf und rief:»Der dunkle Lord wird wiederkommen, Crouch! Begrab uns ruhig in Askaban, wir werden warten! Er wird wieder aufsteigen und uns von dort erlösen, er wird uns fürstlicher belohnen als alle seine anderen Anhänger! Wir allein waren ihm treu! Wir allein haben versucht, ihn zu finden!«
Der Junge allerdings versuchte die Dementoren abzuwehren, doch Harry sah, wie ihre kalte, Leben aussaugende Kraft ihn allmählich erlahmen ließ. Die Menge jubelte, manche Zuschauer waren aufgesprungen, und während die Frau rasch aus dem Kerker gegangen war, wehrte sich der Junge immer noch verbissen.
»Ich bin dein Sohn!«, schrie er zu Crouch hoch.»Ich bin dein Sohn!«
»Du bist nicht mein Sohn!«, bellte Crouch, und seine Augen traten plötzlich hervor.»Ich habe keinen Sohn!«
Die verhärmte Hexe neben ihm schluchzte laut auf und brach auf ihrem Platz zusammen. Sie war ohnmächtig. Crouch schien es nicht bemerkt zu haben.
»Bringt sie fort!«, donnerte Crouch den Dementoren entgegen, und Speicheltropfen flogen ihm aus dem Mund.»Bringt sie fort und laßt sie dort verrotten!«
»Vater! Vater, ich war nicht dabei! Nein! Nein! Vater, bitte!«
»Ich denke, Harry, es ist Zeit, in mein Büro zurückzukehren«, sagte eine ruhige Stimme in Harrys Ohr.
Harry zuckte zusammen. Er wandte sich zur einen Seite um. Dann zur anderen Seite.
Zu seiner Rechten saß ein Albus Dumbledore, der beobachtete, wie die Dementoren Crouchs Sohn mit sich fortzerrten – und zu seiner Linken saß ein Albus Dumbledore, der ihm direkt in die Augen sah.
»Komm mit«, sagte dieser Dumbledore und schob die Hand unter Harrys Ellbogen. Harry hatte das Gefühl, in die Luft zu steigen; der Kerker um ihn her löste sich auf; einen Moment lang herrschte vollkommene Schwärze, dann kam es ihm vor, als hätte er einen Salto in Zeitlupe gemacht, und er landete plötzlich glatt auf den Füßen, mitten in Dumbledores Büro, im gleißenden Licht der Sonne, die durch die Fenster schien. Sein Blick fiel auf die steinerne Schale im Schrank und neben ihm stand Albus Dumbledore.
»Professor«, keuchte Harry,»ich weiß, ich hätte nicht – ich wollte eigentlich nicht – die Schranktür war sozusagen offen und -«
»Ich verstehe vollkommen«, sagte Dumbledore. Er hob die Schale hoch, trug sie zu seinem Schreibtisch, stellte sie auf die polierte Tischplatte und setzte sich auf seinen Stuhl. Mit einer Handbewegung forderte er Harry auf, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
Harry setzte sich, ohne die steinerne Schale aus den Augen zu lassen. Ihr Inhalt war jetzt wieder silbrig weiß und begann unter seinem Blick zu wirbeln und sich zu kräuseln.
»Was ist das?«, fragte Harry zitternd.
»Das? Man nennt es ein Denkarium«, sagte Dumbledore.»Mir kommt es manchmal so vor, und sicher kennst du das Gefühl, daß mein Kopf einfach mit zu vielen Gedanken und Erinnerungen voll gestopft ist.«
»Ähm«, sagte Harry, der nicht aufrichtig sagen konnte, daß er sich je so gefühlt hätte.
»Dann ist es an der Zeit für mich«, sagte Dumbledore und deutete auf die Steinschale,»das Denkarium zu benutzen. Man saugt einfach die überschüssigen Gedanken aus seinem Kopf, versenkt sie in der Schale und schaut sie sich je nach Laune wieder an. Es wird dann leichter, Muster und Verknüpfungen zu erkennen, wenn sie in dieser Gestalt aufbewahrt sind, verstehst du.«
»Sie meinen… dieses Zeug hier, das sind Ihre Gedanken?«, fragte Harry und starrte auf die wirbelnde weiße Substanz in der Schale.
»Natürlich«, sagte Dumbledore.»Ich zeig's dir.«
Er zog den Zauberstab aus dem Umhang und legte dessen Spitze an seinen silbernen Haarschopf nahe der Schläfe. Als er den Zauberstab wegzog, schienen seine Haare daran zu kleben – doch dann sah Harry, daß es in Wahrheit ein glitzernder Faden eben jener merkwürdigen, silbrig weißen Substanz im Denkarium war. Dumbledore fügte seinen frischen Gedanken der Schale hinzu, und Harry sah verblüfft sein eigenes Gesicht auf der Oberfläche der Substanz schwimmen.
Dumbledore legte seine schlanken Hände zu beiden Seiten auf die Schale und versetzte ihr einen kleinen Dreh, ein wenig wie ein Goldgräber, der in seiner Wasserschüssel nach Goldklümpchen sucht… und Harry sah, wie sein Gesicht ganz sanft in das von Snape überging, der den Mund öffnete und zur Decke sprach, mit leise widerhallender Stimme.»Es kommt zurück… das von Karkaroff auch… stärker und deutlicher denn je…«
»Ein Zusammenhang, auf den ich auch ohne Hilfe hätte kommen können«, seufzte Dumbledore,»aber sei's drum.«Er sah Harry über seine Halbmondgläser hinweg an, der wiederum mit offenem Mund Snapes Gesicht anstarrte, das immer noch in der Schale umherwirbelte.»Ich hatte das Denkarium gerade benutzt, als Mr Fudge zu unserer Besprechung eintraf, und es dann recht hastig weggestellt. Zweifellos habe ich die Schranktür nicht richtig zugemacht. Kein Wunder, daß es dann deine Aufmerksamkeit angezogen hat.«
»Tut mir Leid«, murmelte Harry.
Dumbledore schüttelte den Kopf.
»Neugier ist keine Sünde«, sagte er.»Aber wir sollten sie mit Umsicht walten lassen… ja, in der Tat…«
Die Stirn in sanfte Falten gelegt, rührte er mit der Spitze seines Zauberstabs die Gedanken in der Schale ein wenig durch. Nicht lange, und eine Gestalt erhob sich daraus, die eines plumpen, mißmutig blickenden Mädchens um die sechzehn. Die Füße noch in der Schale, begann sie sich langsam zu drehen. Von Harry oder Professor Dumbledore nahm sie keinerlei Notiz. Nun sprach sie, und ihre Stimme hallte wie die Snapes im Raum wider, als ob sie aus der Tiefe eines steinernen Beckens dringen würde.»Er hat mich verhext, Professor Dumbledore, und ich wollte ihn doch nur ein wenig ärgern, Sir, ich hab doch nur gesagt, ich hätte ihn letzten Donnerstag gesehen, wie er mit Florence hinter den Gewächshäusern geknutscht hat…«
»Aber warum, Bertha«, sagte Dumbledore traurig und sah zu dem sich still um sich selbst drehenden Mädchen hoch,»warum mußtest du ihm überhaupt nachschleichen?«
»Bertha?«, flüsterte Harry und sah zu ihr auf.»Ist das – war das Bertha Jorkins?«
»Ja«, sagte Dumbledore und rührte noch einmal durch die Gedanken in der Schale; Bertha versank in ihnen und sie wurden erneut silbern und undurchsichtig.»Das war die Bertha, wie sie mir als Schülerin in Erinnerung ist.«
Das Silberlicht aus dem Denkarium erhellte Dumbledores Gesicht, und plötzlich fiel Harry auf, wie alt er aussah. Er wußte natürlich, daß Dumbledore allmählich in die Jahre kam, doch irgendwie hatte er sich ihn nie als alten Mann vorgestellt.
»Nun, Harry«, sagte Dumbledore leise.»Bevor du dich in meinen Gedanken verloren hast, wolltest du mir etwas sagen.«
»Ja«, sagte Harry.»Professor – ich war vorhin in Wahrsagen und – ähm – bin da eingeschlafen.«
Er zögerte, unsicher, ob Dumbledore ihn tadeln würde, doch Dumbledore sagte nur:»Durchaus verständlich. Erzähl weiter.«
»Ich hatte einen Traum«, sagte Harry.»Einen Traum von Lord Voldemort. Er hat Wurmschwanz gefoltert… Sie kennen Wurmschwanz -«
»Ja, allerdings«, antwortete Dumbledore rasch.»Bitte fahr fort.«
»Eine Eule hatte Voldemort einen Brief überbracht. Er sagte etwas von wegen, Wurmschwanz' Fehler sei ausgemerzt. Jemand sei tot. Und er würde Wurmschwanz nicht der Schlange zum Fraß vorwerfen – da war eine Schlange neben seinem Stuhl. Er sagte – er sagte, er würde mich an seiner Stelle an die Schlange verfüttern. Dann hat er Wurmschwanz den Cruciatus-Fluch aufgehalst – und meine Narbe hat plötzlich geschmerzt. Das hat mich aufgeweckt, es tat so übel weh.«
Dumbledore sah ihn wortlos an.
»Hmmh – das ist alles«, sagte Harry.
»Verstehe«, sagte Dumbledore leise.»Verstehe. Nun, hat deine Narbe noch öfter wehgetan, außer jetzt und letztem Sommer?«
»Nein, ich – woher wissen Sie, daß sie mich letzten Sommer geweckt hat?«, fragte Harry verblüfft.
»Du bist nicht der Einzige, dem Sirius Briefe schreibt«, sagte Dumbledore.»Auch ich stehe mit ihm in Verbindung, seit er letztes Jahr Hogwarts verlassen hat. Ich war es, der die Berghöhle als sichersten Ort für ihn vorgeschlagen hat.«
Dumbledore stand auf und begann hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu gehen. Hin und wieder berührte er mit der Spitze des Zauberstabs seine Schläfe, zog einen silbrig leuchtenden Gedanken heraus und fügte ihn dem Denkarium hinzu. Die Gedanken in der Schale begannen so schnell zu wirbeln, daß Harry nichts klar erkennen konnte; es war nur noch ein Strudel verschwommener Farben.
»Professor?«, sagte er nach ein paar Minuten.
Dumbledore blieb stehen und sah Harry an.
»Entschuldige bitte«, murmelte er leise. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.
»Wissen – wissen Sie, warum meine Narbe schmerzt?«
Dumbledore sah Harry einen Moment durchdringend an, dann sagte er:»Ich habe eine Theorie, nicht mehr… Ich bin der Auffassung, deine Narbe schmerzt sowohl, wenn Lord Voldemort in deiner Nähe ist, als auch, wenn ihn eine besonders starke Woge des Hasses überkommt.«
»Aber… warum?«
»Weil du und er durch den Fluch, der gescheitert ist, miteinander verbunden seid«, sagte Dumbledore.»Das ist keine gewöhnliche Narbe.«
»Also glauben Sie… dieser Traum… ist es wirklich geschehen?«
»Durchaus möglich«, sagte Dumbledore.»Ich würde sagen – wahrscheinlich. Harry – hast du Voldemort gesehen?«
»Nein«, sagte Harry.»Nur die Stuhllehne. Aber – da wäre doch gar nichts zu sehen, oder? Ich meine, er hat doch keinen Körper? Aber… aber wie sonst hätte er dann den Zauberstab halten können?«, sagte Harry langsam.
»Ja, wie sonst?«, murmelte Dumbledore.»Wie sonst…«
Eine ganze Weile sagten weder Dumbledore noch Harry ein Wort. Dumbledore starrte auf die Wand gegenüber, legte hin und wieder seinen Zauberstab an die Schläfe und fügte dem Denkarium einen weiteren silbrig glänzenden Gedanken hinzu.
»Professor«, sagte Harry schließlich,»glauben Sie, daß er stärker wird?«
»Voldemort?«, fragte Dumbledore und sah Harry über das Denkarium hinweg an. Es war der typische, durchdringende Blick, mit dem ihn Dumbledore schon einige Male angesehen hatte, und bei dem Harry immer das Gefühl hatte, er würde ihn auf eine Weise durchschauen, wie es selbst Moodys magisches Auge nicht vermochte.»Noch einmal, Harry, ich kann dir nur sagen, was ich vermute.«
Dumbledore seufzte erneut und sah jetzt älter und müder aus denn je.
»Während der Jahre, in denen Voldemorts Macht immer größer wurde«, sagte er,»sind immer wieder Menschen verschwunden. Bertha Jorkins ist dort spurlos verschwunden, wo Voldemort mit Sicherheit zum letzten Mal war. Auch Mr Crouch ist verschwunden… und das auch noch auf unserem Gelände. Und jemand Drittes ist verschwunden, ein Fall, den das Ministerium, wie ich leider sagen muß, für unwichtig hält, denn es geht um einen Muggel. Sein Name war Frank Bryce, er lebte in dem Dorf, in dem Voldemorts Vater aufwuchs, und er wurde seit August letzten Jahres nicht mehr gesehen. Du siehst, ich lese die Muggelzeitungen, im Gegensatz zu den meisten unserer Freunde im Ministerium.«
Dumbledore sah Harry mit sehr ernster Miene an.»Diese Fälle von verschwundenen Personen scheinen miteinander in Verbindung zu stehen. Das Ministerium ist da anderer Meinung – wie du vielleicht gehört hast, als du draußen vor dem Büro gewartet hast.«
Harry nickte. Wieder verfielen beide in Schweigen und Dumbledore zog sich gelegentlich einen Gedanken aus dem Kopf. Harry hatte das Gefühl, es sei Zeit für ihn zu gehen, doch seine Neugier hielt ihn auf dem Stuhl.
»Professor?«, sagte er erneut.
»Ja, Harry?«, sagte Dumbledore.
»Ähm… könnte ich Sie etwas zu dieser… dieser Gerichtsverhandlung fragen, bei der ich war… im Denkarium?«
»Ja, du könntest«, erwiderte Dumbledore mit träger Stimme.»Ich war oft im Gericht, aber manche Prozesse sind mir viel deutlicher in Erinnerung als andere… besonders jetzt…«
»Sie wissen – Sie wissen, in welchem Prozeß Sie mich gefunden haben? Dem mit Crouchs Sohn? Da wurde über Nevilles Eltern gesprochen…«
Dumbledore versetzte Harry einen sehr scharfen Blick.
»Hat Neville dir nie gesagt, warum er bei seiner Großmutter aufgewachsen ist?«, sagte er.
Harry schüttelte den Kopf und fragte sich im gleichen Moment, warum er Neville in den ganzen vier Jahren, die er ihn nun kannte, nie gefragt hatte.
»Ja, es ging um Nevilles Eltern«, sagte Dumbledore.»Sein Vater, Frank Longbottom, war ein Auror wie Professor Moody. Er und seine Frau wurden gefoltert, wie du gehört hast, um ihnen abzupressen, wo sich Voldemort nach seinem Sturz aufhielt.«
»Also sind sie tot?«, sagte Harry leise.
»Nein«, erwiderte Dumbledore, und seine Stimme war erfüllt von einer Bitterkeit, wie sie Harry von ihm nicht kannte.»Sie sind geistig zerrüttet. Beide sind im St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen. Ich glaube, Neville besucht sie immer während der Ferien zusammen mit seiner Großmutter. Sie erkennen ihn nicht.«
Harry erstarrte vor Entsetzen. Er hatte keine Ahnung gehabt… in den ganzen vier Jahren hatte er Neville nicht einmal danach gefragt…
»Die Longbottoms waren sehr beliebt«, sagte Dumbledore.»Die Angriffe gegen sie kamen erst nach dem Sturz Voldemorts, als alle dachten, sie wären sicher. Diese Attacken haben eine Welle des Zorns ausgelöst, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Das Ministerium stand unter großem Druck, die Täter zu fassen. Leider waren die Aussagen der Longbottoms – angesichts ihres Zustands – nicht besonders zuverlässig.«
»Dann war Mr Crouchs Sohn vielleicht tatsächlich nicht dabei?«, fragte Harry langsam.
Dumbledore schüttelte den Kopf.»Was das betrifft, habe ich keine Ahnung.«
Harry verstummte und betrachtete eine Weile die wirbelnde Substanz im Denkarium. Da waren noch zwei Fragen, die ihm auf der Zunge brannten… doch sie drehten sich um die Schuld Lebender…
»Ähm«, sagte er,»Mr Bagman…«
»… wurde seither nie mehr irgendwelcher schwarzer Umtriebe beschuldigt«, antwortete Dumbledore leise.
»Gut«, sagte Harry eilig und starrte erneut auf den Wirbel im Denkarium, der sich jetzt verlangsamt hatte, da Dumbledore keine Gedanken mehr hinzufügte.»Und… ähm… und…«
Doch das Denkarium schien die Frage an seiner statt zu stellen. Snapes Gesicht schwamm erneut auf der Oberfläche. Dumbledore sah darauf hinab und dann hoch zu Harry.
»Und auch Professor Snape nicht«, sagte er.
Harry sah in Dumbledores hellblaue Augen, und das, was ihm wirklich auf der Zunge lag, sprudelte aus seinem Mund, bevor er wußte, was geschah.»Was, Professor, hat Sie davon überzeugt, daß er kein Anhänger Voldemorts mehr ist?«
Dumbledore hielt Harrys Blick für einige Sekunden, dann sagte er:»Das, Harry, ist eine Angelegenheit zwischen Professor Snape und mir.«
Harry wußte, daß das Gespräch zu Ende war; Dumbledore schien zwar nicht verärgert, doch es war etwas Abschließendes in seinem Tonfall, das Harry sagte, daß es Zeit war zu gehen. Er stand auf und auch Dumbledore erhob sich.
»Harry«, sagte er, als Harry die Tür erreicht hatte.»Bitte sprich mit niemand anderem über Nevilles Eltern. Er hat das Recht, es den Leuten selbst zu sagen, sobald er dazu bereit ist.«
»Ja, Professor«, sagte Harry und wandte sich zum Gehen.
»Und -«
Harry blickte zurück.
Dumbledore stand über das Denkarium gebeugt, und sein Gesicht, von unten durch die silbrigen Lichtstrahlen erhellt, wirkte nun noch älter. Er sah Harry einen Moment lang an, dann sagte er:»Viel Glück bei der dritten Aufgabe.«