123298.fb2 Harry Potter und der Feuerkelch - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 36

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Die dritte Aufgabe

»Sogar Dumbledore glaubt, daß Du-weißt-schon-wer stärker wird?«, flüsterte Ron.

Alles, was Harry im Denkarium gesehen, beinahe alles, was ihm Dumbledore gesagt und schließlich gezeigt hatte, hatte er inzwischen Ron und Hermine erzählt – und kaum war er aus Dumbledores Büro gekommen, hatte er auch Sirius eine Eule geschickt. Die drei saßen an diesem Abend wieder einmal bis tief in die Nacht im Gemeinschaftsraum und gingen alles noch einmal durch, bis Harry der Kopf zu schwirren begann und er verstand, was Dumbledore gemeint hatte, als er sagte, ein Kopf könne so überfüllt sein, daß es eine Erleichterung wäre, die Gedanken einfach abzusaugen.

Ron starrte ins Kaminfeuer. Harry glaubte ihn leicht zittern zu sehen, obwohl es ein warmer Abend war.

»Und er vertraut Snape?«, fragte Ron.»Er vertraut Snape tatsächlich, obwohl er weiß, daß er ein Todesser war?«

»Ja«, erwiderte Harry.

Hermine hatte seit zehn Minuten kein Wort mehr gesagt. Sie saß da, die Hände an die Stirn gepreßt, und starrte auf ihre Knie. Auch sie sieht aus, als könnte sie ein Denkarium ganz gut gebrauchen, dachte Harry.

»Rita Kimmkorn«, murmelte sie schließlich vor sich hin.

»Wie kannst du dich ausgerechnet jetzt über die aufregen?«, sagte Ron verdutzt.

»Ich reg mich nicht über sie auf«, sagte Hermine zu ihren Knien.»Ich überleg nur… wißt ihr noch, was sie mir in den Drei Besen gesagt hat? ›Ich weiß Dinge über Ludo Bagman, da würden dir die Haare zu Berge stehen.‹ Jetzt wissen wir, was sie gemeint hat, oder? Sie hat damals über seinen Prozeß berichtet, sie weiß, daß er Informationen an die Todesser weitergegeben hat. Und Winky auch… erinnert euch… ›Mr Bagman ist ein böser Zauberer.‹ Mr Crouch hat es sicher rasend gemacht, daß Bagman davonkam, und hat dann zu Hause von ihm gesprochen.«

»Stimmt schon, aber Bagman hat die Informationen doch nicht absichtlich weitergegeben?«

Hermine zuckte die Achseln.

»Und Fudge vermutet, Madame Maxime hätte Crouch angegriffen?«, sagte Ron und wandte sich erneut Harry zu.

»Ja«, entgegnete Harry,»aber das sagt er nur, weil Crouch in der Nähe der Beauxbatons-Kutsche verschwunden ist.«

»An sie haben wir noch gar nicht gedacht«, sagte Ron langsam.»Überlegt mal, sie hat eindeutig Riesen-Blut und will es nicht zugeben -«

»Natürlich nicht«, erwiderte Hermine scharf und hob den Kopf.»Sieh dir doch an, was Hagrid passiert ist, als Rita rausfand, wer seine Mutter ist. Und überleg mal, wie schnell Fudge Madame Maxime verdächtigt, nur weil sie etwas von einer Riesin hat. Wer braucht diese Vorurteile? Wahrscheinlich würd ich selbst behaupten, ich hätte große Knochen, wenn ich wüßte, was ich mir einhandle, wenn ich die Wahrheit sage.«

Hermine sah auf die Uhr.

»Wir haben noch nicht trainiert!«, setzte sie erschrocken hinzu.»Wir wollten doch den Lähmzauber üben! Morgen müssen wir aber wirklich ran! Ins Bett, Harry, du brauchst deinen Schlaf.«

Harry und Ron gingen langsam nach oben in den Schlafsaal. Während Harry seinen Pyjama anzog, warf er einen Blick hinüber zu Nevilles Bett. Wie Dumbledore versprochen, hatte er Ron und Hermine nichts von Nevilles Eltern erzählt. Er nahm die Brille ab und stieg ins Bett. Während er dalag, fragt er sich, wie er sich fühlen würde, wenn seine Eltern noch leben würden, ihn jedoch nicht erkennen könnten. Er erntete häufig Mitgefühl von Fremden, weil er eine Waise war, doch während er Nevilles Schnarchen lauschte, überlegte er, daß Neville dieses Mitgefühl eher verdient hätte als er. Wie er so dalag in der Dunkelheit, spürte er plötzlich Zorn und Haß in sich aufsteigen gegen jene, die Mr und Mrs Longbottom gefoltert hatten… er erinnerte sich, wie die Menge gejubelt hatte, als Crouchs Sohn und seine Gefährten von den Dementoren aus dem Gericht gezerrt wurden… er konnte es ihnen nachfühlen… und dann erinnerte er sich an das milchig weiße Gesicht des schreienden Jungen und mit jähem Schreck fiel ihm ein, daß dieser Junge ein Jahr später gestorben war…

Es war Voldemort, dachte Harry und starrte durch die Dunkelheit auf den Baldachin seines Bettes; hinter all dem steckte Voldemort… er war es, der diese Familien auseinander gerissen hatte, er war es, der all diese Leben zerstört hatte…

* * *

Ron und Hermine hätten eigentlich für ihre Prüfungen lernen sollen – die letzten standen am Tag der dritten Runde an -, doch den größten Teil ihrer Kräfte verwandten sie darauf, Harry bei der Vorbereitung für die letzte Aufgabe zu helfen.

»Mach dir deswegen keine Gedanken«, sagte Hermine brüsk, als Harry sie darauf ansprach und meinte, er könne durchaus mal eine Weile für sich allein üben.»Wenigstens kriegen wir dann Spitzennoten in Verteidigung gegen die dunklen Künste, im Unterricht hätten wir nie so viel über diese Hexereien rausgefunden.«

»Gutes Training für später, wenn wir mal alle Auroren sind«, sagte Ron begeistert und erprobte den Lähmzauber an einer Wespe, die ins Zimmer gesummt war und nun mitten in der Luft erstarrte.

In den ersten Junitagen breitete sich erneut eine gespannte und erregte Stimmung im Schloß aus. Alle freuten sich auf die dritte Runde, die eine Woche vor Ende des Schuljahrs stattfinden würde. Harry übte in jedem freien Augenblick magische Verwünschungen. Vor dieser dritten Runde fühlte er sich zuversichtlicher als vor den ersten beiden Aufgaben. Zwar würde sie mit Sicherheit gefährlich und schwierig sein, doch Moody hatte Recht: Harry hatte es schon einige Male zuvor mit monströsen Geschöpfen und verzauberten Hindernissen aufgenommen, und diesmal war er zumindest vorgewarnt und hatte eine Chance, sich für das Kommende zu wappnen.

Professor McGonagall war es leid, die drei andauernd in den Fluren üben zu sehen, und erlaubte es Harry, über die Mittagszeit das leere Verwandlungs-Klassenzimmer zu benutzen. Harry hatte den Lähmzauber bald im Griff, ein Fluch, der Angreifer behinderte und erlahmen ließ, außerdem den Reduktor-Fluch, mit dem er feste Gegenstände aus dem Weg schießen konnte, und schließlich, eine nützliche Entdeckung Hermines, den Vier-Punkte-Zauber, der seinen Zauberstab nach Norden ausrichtete und es ihm ermöglichen würde zu prüfen, ob er im Irrgarten in die richtige Richtung ging. Einige Schwierigkeiten hatte er jedoch immer noch mit dem Schild-Zauber. Er sollte vorübergehend eine unsichtbare Mauer um ihn hochziehen, die schwächere Flüche abprallen ließ; Hermine schaffte es, die Mauer mit einem gut gezielten Wabbelbein-Fluch bersten zu lassen. Zehn Minuten lang eierte Harry durchs Zimmer, bis sie endlich einen Gegenfluch nachgeschlagen hatte.

»Läuft trotzdem ganz gut bei dir«, ermutigte ihn Hermine, blickte auf ihre Liste und strich die Zauber durch, die sie schon gelernt hatten.»Ein paar von denen sind sicher ganz nützlich.«

»Kommt und seht euch das an«, sagte Ron vom Fenster her. Er schaute hinunter aufs Gelände.»Was treibt Malfoy denn da?«

Harry und Hermine traten zu Ron und sahen hinunter. Malfoy, Crabbe und Goyle standen unten im Schatten eines Baumes. Crabbe und Goyle schienen nach etwas Ausschau zu halten; beide feixten. Malfoy redete hinter vorgehaltener Hand mit ihnen.

»Sieht aus, als würde er ein Handy benutzen«, sagte Harry neugierig.

»Unmöglich«, entgegnete Hermine,»ich hab dir doch gesagt, diese Dinger funktionieren in und um Hogwarts nicht. Nun komm schon, Harry«, fügte sie ungeduldig hinzu, wandte sich vom Fenster ab und ging zurück in die Mitte des Zimmers,»probieren wir mal diesen Schild-Zauber.«

* * *

Sirius schickte inzwischen täglich eine Eule. Wie Hermine schien er seine Kräfte ganz darauf verwenden zu wollen, Harry heil durch die letzte Runde zu bringen, alles andere konnte warten. In jedem Brief ermahnte er Harry, alles, was außerhalb der Mauern von Hogwarts vor sich gehe, brauche ihn nicht zu beschäftigen, und schon gar nicht liege es in seiner Macht, diese Dinge zu beeinflussen. Er schrieb Harry:

Wenn Voldemort wirklich wieder stärker wird, dann ist es mir am wichtigsten, für deine Sicherheit zu sorgen. Er kann nicht hoffen, dich in die Hände zu kriegen, während du unter Dumbledores Schutz stehst, und dennoch, riskiere nichts: Konzentriere dich darauf, sicher durch dieses Labyrinth zu kommen, dann erst können wir unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden.

Der vierundzwanzigste Juni rückte immer näher, und Harrys Nerven spannten sich allmählich, doch sie flatterten nicht so schlimm wie vor der ersten und zweiten Aufgabe. Zum einen hatte er das gute Gefühl, diesmal wirklich alles in seinen Kräften Stehende getan zu haben, um sich auf die Aufgabe vorzubereiten. Zum anderen war dies die letzte Hürde, und wie gut oder schlecht er auch immer abschneiden mochte, das Turnier würde endlich vorbei sein, und das allein schon war eine gewaltige Erleichterung.

* * *

Am Morgen der dritten Runde war das Frühstück am Gryffindor-Tisch eine recht lärmige Angelegenheit. Die Posteulen erschienen und brachten Harry eine Karte mit den besten Wünschen von Sirius. Es war nur ein Stück Pergament, zusammengefaltet und mit einer schlammigen Hundepfote gestempelt, doch Harry freute sich gleichwohl darüber. Eine Schleiereule ließ sich vor Hermine nieder, wie üblich mit der morgendlichen Ausgabe des Tagespropheten. Hermine entrollte die Zeitung, warf einen Blick auf die Titelseite und spritzte einen Mund voll Kürbissaft darüber.

»Was ist los?«, fragten Harry und Ron gleichzeitig und starrten sie an.

»Nichts«, sagte Hermine rasch und versuchte das Blatt unter ihren Umhang zu stecken, doch Ron schnappte es ihr aus den Fingern.

Er starrte auf die Schlagzeile und sagte:»Nicht zu fassen. Ausgerechnet heute. Diese blöde Kuh.«

»Wie?«, sagte Harry.»Schon wieder Rita Kimmkorn?«

»Nein«, entgegnete Ron, und genau wie Hermine wollte er die Zeitung verschwinden lassen.

»Es geht um mich, ja?«, sagte Harry.

»Nein«, sagte Ron in keineswegs überzeugendem Ton.

Doch bevor Harry energisch verlangen konnte, das Blatt zu sehen, rief Draco Malfoy vom Slytherin-Tisch her durch die Große Halle:

»Hey, Potter! Potter! Wie geht's deinem Kopf? Noch alle Tassen im Schrank? Oder gehst du gleich auf uns los wie ein Berserker?«

Malfoy hielt den Tagespropheten hoch. Die Slytherins am ganzen Tisch begannen zu kichern und wandten die Köpfe, um zu sehen, wie Harry reagieren würde.

»Laß mich sehen«, sagte Harry zu Ron.»Gib her.«

Höchst widerwillig reichte ihm Ron die Zeitung. Harry drehte sie um und sah in sein eigenes Gesicht, und darüber las er die Schlagzeile:

Harry Potter»gestört und gefährlich«

Der Junge, der den Unnennbaren besiegte, ist labil und möglicherweise gefährlich. Beunruhigende Tatsachen über Harry Potters seltsames Verhalten sind jetzt ans Licht gekommen, und sie wecken Zweifel, ob er geeignet ist, an einem kräftezehrenden Wettkampf wie dem Trimagischen Turnier teilzunehmen oder auch nur die Hogwarts-Schule zu besuchen. Wie der Tagesprophet heute exklusiv enthüllen kann, bricht Potter in der Schule des Öfteren zusammen und klagt häufig über Schmerzen, die ihm seine Stirnnarbe bereitet (Überbleibsel des Fluches, mit dem Du-weißt-schon-wer versuchte ihn zu töten). Letzten Montag, mitten im Wahrsageunterricht, wurde Ihr Tagesprophet-Reporter Zeuge, wie Potter aus dem Klassenzimmer stürzte und behauptete, er habe so heftige Narbenschmerzen, daß er nicht weiter am Unterricht teilnehmen könne.

Topspezialisten am St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen halten es für durchaus möglich, daß Potters Gehirn durch den Angriff des Unnennbaren nachhaltig geschädigt wurde und daß seine Behauptung, die Narbe schmerze noch immer, Ausdruck einer tief sitzenden Störung ist.

»Gut möglich, daß er alles vortäuscht«, meint ein Spezialist,»es könnte ein Schrei nach Zuwendung sein.«

Der Tagesprophet hat jedoch alarmierende Fakten über Harry Potter ans Licht gebracht, die Albus Dumbledore, Schulleiter von Hogwarts, vor der Zaubereröffentlichkeit sorgfältig verborgen hat.

»Potter beherrscht Parsel«, enthüllt Draco Malfoy, ein Viertkläßler in Hogwarts.»Vor ein paar Jahren gab es viele Angriffe auf Schüler, und die meisten vermuteten Potter dahinter, nachdem sie gesehen hatten, wie er in einem Duellierklub die Nerven verlor und eine Schlange auf einen anderen Jungen hetzte. Aber es wurde alles vertuscht. Außerdem hat er sich auch noch mit Werwölfen und Riesen angefreundet. Wir glauben, daß er für ein bißchen Macht alles tun würde.«

Parsel, die Fähigkeit mit Schlangen zu sprechen, wurde lange als eine dunkle Kunst betrachtet. Tatsächlich ist der berühmteste Parselmund unserer Zeit kein anderer als Du-weißt-schon-wer persönlich. Ein Mitglied der Liga zur Verteidigung gegen die dunkle Kraft, das ungenannt bleiben will, stellte fest, jeder Zauberer, der Parsel spreche, solle seiner Meinung nach»einmal gründlich durchleuchtet werden. Ich persönlich würde jedem mit größtem Mißtrauen begegnen, der mit Schlangen sprechen kann, denn diese Tiere werden oft bei den schlimmsten schwarzmagischen Praktiken eingesetzt und wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mit Schurken in Verbindung gebracht.«Desgleichen gelte für alle,»welche die Nähe solch heimtückischer Kreaturen wie Werwölfe und Riesen suchten, daß sie sich offensichtlich an der Gewalt ergötzen«.

Albus Dumbledore sollte unbedingt darüber nachdenken, ob ein solcher Junge am Trimagischen Turnier teilnehmen darf. Manche befürchten, Potter könnte sein Heil in den dunklen Künsten suchen, um das Turnier zu gewinnen, dessen dritte Runde heute Abend stattfindet.

Von unserer Sonderkorrespondentin Rita Kimmkorn

»Sieht aus, als hätt ich's mir mit ihr verscherzt«, sagte Harry gelassen und faltete die Zeitung zusammen.

Malfoy, Crabbe und Goyle saßen lachend drüben am Slytherin-Tisch, zeigten ihm den Vogel, zogen abstruse Fratzen und ließen ihre Zungen flattern wie Schlangen.

»Woher wußte sie, daß deine Narbe in Wahrsagen wehtat?«, fragte Ron.»Sie konnte unmöglich dabei gewesen sein, sie kann es unmöglich selbst gehört haben -«

»Das Fenster war offen«, sagte Harry.»Ich hab's aufgemacht, um frische Luft zu kriegen.«

»Du warst hoch oben im Nordturm!«, meinte Hermine.»Deine Stimme hätte nie bis ganz nach unten wehen können!«

»Na, du bist doch diejenige, die magische Methoden der Verwanzung erforscht!«, sagte Harry.»Sag mir doch, wie sie es geschafft hat!«

»Ich hab's ja versucht!«, sagte Hermine.»Aber ich… aber…«

Ein seltsam träumerischer Ausdruck trat plötzlich auf Hermines Gesicht. Sie hob langsam die Hand und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

»Alles in Ordnung mit dir?«, sagte Ron und sah sie stirnrunzelnd an.

»Ja«, hauchte Hermine. Wieder strich sie sich mit den Fingern durchs Haar, dann hielt sie die Hand an die Wange, als würde sie in ein unsichtbares Handy sprechen. Harry und Ron sahen sich mit großen Augen an.

»Ich hab 'ne Idee«, sagte Hermine ins Leere starrend.»Ich glaub, ich weiß es… denn dann hätte es keiner gesehen… nicht mal Moody… und sie hätte auf den Fenstersims kommen können… aber das darf sie nicht… das ist eindeutig verboten… ich glaub, wir haben sie! Gebt mir 'ne Sekunde in der Bibliothek – nur um sicherzugehen!«

Und schon packte Hermine ihre Schultasche und stürzte aus der Großen Halle.

»Hey!«, rief ihr Ron nach.»In zehn Minuten haben wir Geschichtsprüfung! Unglaublich«, sagte er dann zu Harry gewandt,»sie muß diese Kimmkorn wirklich hassen, wenn sie's riskiert, den Anfang einer Prüfung zu verpassen. Was machst du eigentlich gleich bei Binns – wieder mal die ganze Zeit lesen?«

Harry, der von den Prüfungen entbunden war, hatte bisher Stunde um Stunde in der hinteren Reihe gesessen und nach neuen Hexereien für die dritte Aufgabe gesucht.

»Denk schon«, sagte Harry; doch in diesem Augenblick kam Professor McGonagall am Gryffindor-Tisch entlang auf ihn zugeschritten.

»Potter, die Champions finden sich nach dem Frühstück im Raum hinter der Halle ein«, sagte sie.

»Aber das Turnier ist doch erst heute Abend!«, sagte Harry, und vor Schreck, er hätte sich in der Zeit geirrt, bekleckerte er sich mit Rührei.

»Das weiß ich wohl, Potter«, sagte sie.»Die Familien der Champions sind eingeladen, bei der dritten Runde zuzuschauen. Eine sehr gute Gelegenheit für Sie, sie zu begrüßen.«

Sie entfernte sich. Harry sah ihr mit offenem Mund nach.

»Sie glaubt doch nicht etwa, daß die Dursleys hier auftauchen?«, fragte er Ron verdutzt.

»Keine Ahnung«, sagte Ron.»Harry, ich muß mich beeilen, sonst komm ich zu spät zu Binns. Bis dann.«

Harry aß sein Frühstück auf, während sich die Große Halle allmählich leerte. Er sah, wie Fleur Delacour am Ravenclaw-Tisch aufstand und sich Cedric anschloß, der auf die Tür zum Nebenraum zuging und eintrat. Auch Krum schlurfte kurze Zeit später dort hinein. Harry blieb, wo er war. Er hatte überhaupt keine Lust, in die Kammer zu gehen. Er hatte keine Eltern – jedenfalls keine Familie, die hier aufkreuzen und zusehen würde, wie er sein Leben riskierte. Doch gerade als er aufstehen wollte und überlegte, in die Bibliothek zu gehen und auf die Schnelle noch ein paar Hexereien zu büffeln, öffnete sich die Tür des Nebenraums und Cedric streckte den Kopf heraus.

»Harry, komm schon, sie warten auf dich!«

Vollkommen perplex stand Harry auf. Die Dursleys konnten doch nicht etwa da sein? Er durchquerte die Halle und öffnete die Tür zur Kammer.

Cedric und seine Eltern standen gleich bei der Tür. Viktor Krum stand drüben in einer Ecke und unterhielt sich in schnellem Bulgarisch mit seinen Eltern. Er hatte die Hakennase seines Vaters geerbt. Auf der anderen Seite parlierte Fleur mit ihrer Mutter. Fleurs kleine Schwester Gabrielle hielt sich an der Hand der Mutter fest. Sie winkte Harry und er winkte zurück. Dann fiel sein Blick auf Mrs Weasley und Bill, die vor dem Kamin standen und ihn anstrahlten.

»Überraschung!«, trällerte Mrs Weasley aufgeregt, als Harry breit lächelnd zu ihnen trat.»Dachten, wir könnten kommen und dir zusehen, Harry!«Sie beugte sich zu ihm hinunter und küßte ihn auf die Wange.

»Alles okay mit dir?«, fragte Bill und schüttelte Harry grinsend die Hand.

»Charlie wollte auch kommen, aber er hat nicht freigekriegt. Er meinte, du hättest gegen diesen Hornschwanz einen unglaublichen Kampf hingelegt.«

Fleur Delacour, fiel Harry auf, musterte Bill über die Schulter ihrer Mutter mit unverhohlenem Interesse. Harry war sofort klar, daß sie überhaupt nichts gegen lange Haare oder Ohrringe mit Giftzähnen einzuwenden hatte.

»Das ist wirklich nett von euch«, murmelte Harry Mrs Weasley zu.»Ich dachte schon – die Dursleys -«

»Hmm«, sagte Mrs Weasley und spitzte die Lippen. Sie hatte sich vor Harry mit Kritik an den Dursleys immer zurückgehalten, doch ihre Augen blitzten jedes Mal auf, wenn er sie erwähnte.

»Toll, wieder mal hier zu sein«, sagte Bill und sah sich in der Kammer um. (Violet, die Freundin der fetten Dame, zwinkerte ihm aus ihrem Rahmen heraus zu.)»Hab Hogwarts seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Gibt es eigentlich noch dieses Gemälde von dem verrückten Ritter, Sir Cadogan?«

»Aber klar«, sagte Harry, der im letzten Jahr Bekanntschaft mit Sir Cadogan gemacht hatte.

»Und die fette Dame?«, fragte Bill.

»Die war schon zu meiner Zeit hier«, sagte Mrs Weasley.»Eines Nachts, ich bin um vier Uhr heimgekommen, hat sie mir eine solche Gardinenpredigt gehalten -«

»Was hattest du um vier Uhr morgens draußen zu suchen?«Bill schaute seine Mutter erstaunt an.

Mrs Weasley lächelte und ihre Augen funkelten.

»Dein Vater und ich hatten einen kleinen Nachtspaziergang unternommen«, sagte sie.»Ihn hat dann Apollyon Pringle erwischt – damals der Hausmeister – und die blauen Flecke hat dein Vater praktisch immer noch.«

»Hättest du Lust, uns ein wenig durchs Schloß zu führen, Harry?«, sagte Bill.

»Ja, gern«, erwiderte Harry, und sie wandten sich zum Gehen.

Amos Diggory blickte auf, als sie an ihm vorbeikamen.»Na, da bist du ja«, sagte er und sah Harry abschätzig an.»Wette, du fühlst dich nicht mehr ganz so wie 'n toller Hecht, jetzt, wo Cedric dich eingeholt hat?«

»Was?«, fragte Harry.

»Hör nicht auf ihn«, sagte Cedric mit leiser Stimme zu Harry und sah seinen Vater stirnrunzelnd an.»Er ist sauer, seit er diesen Kimmkorn-Artikel übers Turnier gelesen hat – du weißt doch, wo sie so tat, als wärst du der einzige Hogwarts- Champion.«

»Hat sich aber nicht die Mühe gemacht, ihr mal die Meinung zu sagen, oder?«, sagte Amos Diggory so laut, daß Harry, der mit Mrs Weasley und Bill zur Tür hinausging, es nicht überhören konnte.»Was soll's… du wirst es ihm zeigen, Ced. Hast ihn doch schon mal geschlagen!«

»Rita Kimmkorn tut alles, was sie kann, um Ärger zu provozieren, Amos!«, sagte Mrs Weasley aufgebracht.»Das müßtest du eigentlich wissen, wo du doch im Ministerium arbeitest!«

Mr Diggory öffnete entrüstet den Mund, doch seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm und er zuckte nur die Schultern und wandte sich ab.

Harry genoß es an diesem Morgen, mit Bill und Mrs Weasley über das Schloßgelände zu flanieren und ihnen die Beauxbatons-Kutsche und das Durmstrang-Schiff zu zeigen. Mrs Weasley war ganz begeistert von der Peitschenden Weide, die erst nach ihrer Schulzeit gepflanzt worden war, und schwelgte in Erinnerungen an Hagrids Vorgänger als Wildhüter, einen Mann namens Ogg.

»Wie geht's Percy?«, fragte Harry beim Gang durch die Gewächshäuser.

»Nicht gut«, sagte Bill.

»Er regt sich furchtbar auf«, sagte Mrs Weasley mit gedämpfter Stimme und sah sich argwöhnisch um.»Das Ministerium will Mr Crouchs Verschwinden vertraulich behandeln, aber Percy haben sie wegen der Anweisungen, die Mr Crouch geschickt hat, hart ins Gebet genommen. Sieht so aus, als hielten sie es für möglich, daß jemand seine Handschrift gefälscht hat. Percy steht ziemlich unter Druck. Heute Abend darf er nicht für Mr Crouch als fünfter Richter einspringen. Cornelius Fudge wird dabei sein.«

Sie kehrten zum Mittagessen ins Schloß zurück.

»Mum – Bill!«, sagte Ron vollkommen verdutzt, als er zum Gryffindor-Tisch kam.»Was macht ihr denn hier?«

»Wir schauen Harry bei der letzten Aufgabe zu!«, strahlte Mrs Weasley.»Und ich muß sagen, es ist zur Abwechslung mal ganz schön, nicht selbst kochen zu müssen. Wie war deine Prüfung?«

»Oh… es ging«, sagte Ron.»Mir sind nicht alle Namen von diesen Koboldrebellen eingefallen, also hab ich ein paar erfunden. Wird schon werden.«Mrs Weasley sah ihn spitz an, doch er tat sich eine Blätterteigpastete auf und fuhr fort:»Die heißen doch alle Bodrod der Bärtige oder Urg der Unsaubere oder so, war jedenfalls nicht schwierig.«

Auch Fred, George und Ginny kamen und setzten sich dazu, und Harry machte die Unterhaltung so viel Spaß, daß er sich beinahe fühlte, als wäre er wieder im Fuchsbau; er vergaß völlig, sich über die abendliche Aufgabe Sorgen zu machen, und erst als Hermine auftauchte, nachdem die anderen schon halb aufgegessen hatten, fiel ihm wieder ein, daß sie ja einen Geistesblitz gehabt hatte, mit dem sie das Rätsel um Rita Kimmkorn lösen wollte.

»Erzählst du uns jetzt -?«

Hermine warf Mrs Weasley einen Blick zu und schüttelte warnend den Kopf.

»Hallo, Hermine«, sagte Mrs Weasley, viel steifer, als es sonst ihre Art war.

»Hallo«, sagte Hermine und ihr Lächeln erstarb angesichts des kühlen Ausdrucks auf Mrs Weasleys Gesicht.

Harry sah die beiden abwechselnd an, dann sagte er:»Mrs Weasley, Sie glauben doch nicht etwa diesen Mist, den Rita Kimmkorn in der Hexenwoche geschrieben hat? Hermine und ich haben nämlich nichts miteinander.«

»Oh!«, sagte Mrs Weasley.»Nein – natürlich nicht!«

Und danach verhielt sie sich Hermine gegenüber um einiges herzlicher.

Harry, Bill und Mrs Weasley vertrieben sich den Nachmittag mit einem langen Spaziergang ums Schloß und kehrten erst zum abendlichen Festessen in die Große Halle zurück. Auch Ludo Bagman und Cornelius Fudge waren inzwischen eingetroffen und saßen am Lehrertisch. Bagman war offenbar in aufgeräumter Stimmung, doch Cornelius Fudge, der neben Madame Maxime saß, machte eine ernste Miene und sprach kein Wort. Madame Maxime, deren Augen Harry gerötet vorkamen, konzentrierte sich auf ihren Teller. Von der anderen Seite des Tisches warf Hagrid ihr immer wieder einen Blick zu. Es gab mehr Gänge als sonst, doch Harry, der sich allmählich wieder ausgesprochen nervös fühlte, aß nur wenig. Als das Blau der verzauberten Hallendecke einem dunklen Purpur wich, erhob sich Dumbledore, und Stille senkte sich über die Halle.

»Meine Damen und Herren, noch fünf Minuten, und ich werde Sie bitten, sich auf den Weg zum Quidditch-Feld zu begeben, zur dritten und letzten Aufgabe des Trimagischen Turniers. Die Champions folgen bitte jetzt schon Mr Bagman hinunter zum Stadion.«

Harry stand auf. Die Gryffindors tischauf, tischab klatschten ihm Beifall; die Weasleys und Hermine wünschten ihm viel Glück, und gemeinsam mit Cedric, Fleur und Krum verließ er die Große Halle.

»Wie steht's mit dir, Harry?«, fragte Bagman, während sie draußen die Steintreppe hinunterstiegen.»Traust du es dir zu?«

»Ich fühl mich ganz okay«, sagte Harry. Das stimmte auch halbwegs; er war nervös, doch er ging im Kopf noch einmal alle Hexereien und Zauberflüche durch, die er geübt hatte, und da er feststellte, daß er nichts vergessen hatte, war er recht zuversichtlich gestimmt.

Sie betraten das Quidditch-Feld, das inzwischen nicht mehr wiederzuerkennen war. Eine sieben Meter hohe Hecke war um das ganze Spielfeld herum gewachsen. Direkt vor ihnen lag eine Öffnung; der Eingang zu dem weitläufigen Irrgarten. Der Weg hinein verlor sich in beklemmender Dunkelheit.

Fünf Minuten später füllten sich die Ränge; die Luft war erfüllt vom aufgeregten Stimmengewirr ihrer Mitschüler und von dem Getrappel Hunderter von Füßen. Der Himmel hatte ein tiefes, klares Blau angenommen und jetzt erschienen auch die ersten Sterne. Hagrid, Professor Moody, Professor McGonagall und Professor Flitwick kamen ins Stadion und gingen auf Bagman und die Champions zu. Sie trugen große, leuchtend rote Sterne an den Hüten, nur Hagrids Stern prangte auf dem Rücken seiner Maulwurffell Weste.

»Wir werden um den Irrgarten herum Wache gehen«, sagte Professor McGonagall zu den Champions.»Wenn Sie in Schwierigkeiten stecken und gerettet werden wollen, sprühen Sie rote Funken in die Luft, und einer von uns wird Sie da rausholen, haben Sie verstanden?«

Die Champions nickten.

»Na dann mal los!«, sagte Bagman und strahlte die Labyrinthpatrouille an.

»Viel Glück, Harry«, flüsterte Hagrid, und die vier Lehrer trennten sich und gingen davon, um ihre Posten im Umkreis des Irrgartens einzunehmen.

Bagman richtete den Zauberstab auf seine Kehle, murmelte»Sonorus«, und seine magisch verstärkte Stimme hallte auf den Tribünen wider.

»Meine Damen und Herren, gleich beginnt die dritte und letzte Runde des Trimagischen Turniers! Zu Ihrer Erinnerung noch einmal der gegenwärtige Punktestand! Mit jeweils fünfundachtzig Punkten zusammen auf dem ersten Platz – Mr Cedric Diggory und Mr Harry Potter, beide von der Hogwarts-Schule!«Jubelschreie und Applaus ließen einige Vögel aus dem Verbotenen Wald in den abendlichen Himmel flattern.»Auf dem zweiten Platz, mit achtzig Punkten – Mr Viktor Krum vom Durmstrang-Institut!«Ebenfalls Applaus.»Und auf dem dritten Platz – Miss Fleur Delacour von der Beauxbatons-Akademie!«

Harry konnte gerade noch erkennen, wie Mrs Weasley, Bill, Ron und Hermine auf halber Höhe der Tribüne Fleur höflich Beifall spendeten. Er winkte zu ihnen hoch und sie winkten mit strahlenden Gesichtern zurück.

»Nun… auf meinen Pfiff, Harry und Cedric!«, sagte Bag-man.»Drei – zwei – eins -«

Er blies kurz und kräftig in seine Trillerpfeife und Harry und Cedric liefen in den Irrgarten hinein.

Die hoch aufragenden Hecken warfen schwarze Schatten über den Weg, und war es nun, weil sie so hoch und dicht gewachsen oder weil sie verzaubert waren, jedenfalls erstarb der Lärm der Menge, kaum hatten sie den Irrgarten betreten. Harry kam es fast so vor, als wäre er wieder unter Wasser. Er zog seinen Zauberstab, murmelte»Lumos«und hörte, wie Cedric dicht hinter ihm das Gleiche tat.

Nach gut vierzig Metern gelangten sie zu einer Gabelung. Sie sahen sich an.»Bis später«, sagte Harry und wandte sich nach links, während Cedric den rechten Weg nahm.

Harry hörte Bagman zum zweiten Mal pfeifen. Nun hatte Krum den Irrgarten betreten. Harry beschleunigte seine Schritte. Der Weg, den er gewählt hatte, schien völlig ausgestorben. Er wandte sich nach rechts, hastete weiter und hielt den Zauberstab hoch über seinem Kopf, um so weit wie möglich sehen zu können. Noch immer war nichts Bedrohliches zu entdecken.

In der Ferne gellte zum dritten Mal Bagmans Pfeife. Jetzt waren alle Champions im Irrgarten.

Harry warf immer wieder einen Blick zurück. Das altbekannte Gefühl, beobachtet zu werden, hatte erneut von ihm Besitz ergriffen. Der Himmel hoch oben färbte sich allmählich königsblau und mit jeder Minute wurde es dunkler im Irrgarten. Er stieß auf eine zweite Gabelung.

»Weise mir die Richtung«, flüsterte er seinem Zauberstab zu und legte ihn auf seine flache Hand.

Der Zauberstab drehte sich einmal im Kreis und wies dann mit der Spitze nach rechts in die undurchdringliche Hecke. Da war also Norden, und Harry wußte, daß er nach Nordwesten gehen mußte, um die Mitte des Irrgartens zu erreichen. Das Beste war, den linken Abzweig zu nehmen und so bald wie möglich wieder nach rechts zu gehen.

Auch dieser Weg lag wie ausgestorben da, und als Harry einer Biegung nach rechts gefolgt war, fand er den Weg wiederum frei. Er wußte nicht, warum, aber das Fehlen von Hindernissen ließ seine Nerven flattern. Er hätte inzwischen doch sicher auf irgend etwas stoßen müssen? Es war, als ob der Irrgarten ihn verführen wollte, sich in einem falschen Gefühl der Sicherheit zu wiegen. Dann hörte er, wie sich direkt hinter ihm etwas bewegte. Er streckte den Zauberstab aus, doch es war Cedric, der gerade von rechts her aus einem Pfad gestürzt kam. Er sah schwer mitgenommen aus. Ein Ärmel seines Umhangs rauchte.

»Hagrids Knallrümpfige Kröter!«, fauchte er.»Die sind riesig geworden – hätten mich fast umgebracht!«

Kopfschüttelnd tauchte er in die Dunkelheit eines anderen Pfades ein. Auch Harry war an einer Begegnung mit den Krötern überhaupt nicht interessiert und er hastete davon. Dann, nach einer Biegung -

Ein Dementor glitt auf ihn zu. Vier Meter groß, das Gesicht von der Kapuze verborgen, die verwesenden, schorfigen Hände ausgestreckt, drang er vor, blindlings den Weg zu Harry erspürend. Harry konnte seinen rasselnden Atem hören; klamme Kälte kroch ihm über die Haut, doch er wußte, was er zu tun hatte…

Er stellte sich das glücklichste Ereignis vor, das ihm einfiel, und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Vorstellung, aus dem Irrgarten zu kommen und mit Ron und Hermine zu feiern. Zugleich hob er den Zauberstab und schrie:»Expecto patronum!«

Ein silberner Hirsch brach aus der Spitze seines Zauberstabs hervor und galoppierte auf den Dementor zu, der überstürzt zurückwich und über den Saum seines Umhangs stolperte… Harry hatte einen Dementor noch nie stolpern sehen.

»Wart mal!«, rief er und drang im Schutz seines silbrigen Patronus vor,»du bist ein Irrwicht! Riddikulus!«

Es gab einen lauten Knall und der Gestaltwechsler verpuffte zu einem Rauchwölkchen. Der silbrige Hirsch verschwamm und löste sich auf. Harry wünschte, er wäre geblieben, einen Gefährten hätte er gut gebrauchen können… doch er ging, so schnell und leise er konnte, weiter, lauschte angestrengt und hielt den Zauberstab hoch über sich.

Links… rechts… wieder links… zweimal stand er vor der Heckenwand einer Sackgasse. Wieder holte er sich Rat beim Vier-Punkte-Zauber und stellte fest, daß er zu weit nach Osten gegangen war. Er drehte um, nahm eine Biegung nach rechts und sah einen merkwürdigen goldenen Nebelschleier vor sich schweben.

Harry näherte sich vorsichtig, die Spitze des Zauberstabs auf den Nebel gerichtet. Mit Sicherheit war er verwunschen. Vielleicht konnte er ihn ja aus dem Weg blasen.

»Reductio!«, sagte er.

Der Fluch schoß geradewegs durch den Nebel, ohne den kleinsten Wirbel zu hinterlassen. Das hätte er eigentlich wissen müssen, überlegte er; der Reduktor-Fluch wirkte nur bei festen Gegenständen. Was würde geschehen, wenn er durch den Nebel liefe? Sollte er es darauf ankommen lassen oder lieber kehrtmachen?

Er zögerte noch, als ein Schrei die Stille durchbrach.

»Fleur?«, rief Harry.

Wieder Stille. Er spähte umher. Was war ihr zugestoßen? Ihr Schrei schien von vorn gekommen zu sein. Er holte tief Luft und stürzte sich in den verwunschenen Nebel.

Die Welt kippte auf den Kopf. Harry hing vom Erdboden herab, mit gesträubten Haaren, die Brille am Ohr baumelnd, drauf und dran, in die unendliche Tiefe des Himmels zu stürzen. Er drückte sich die Brille auf die Nase. Starr vor Schreck hing er da, und es fühlte sich ganz so an, als wären seine Schuhsohlen an das Gras geklebt, das nun zur irdenen Decke geworden war. Unter ihm erstreckte sich die endlose Weite des dunklen, sternfunkelnden Himmels. Er fürchtete, wenn er auch nur einen Fuß bewegte, würde er für immer von der Erde fallen.

Denk nach, sagte er sich, und alles Blut rauschte ihm in den Kopf, denk… Doch keiner der Zauber, die er geübt hatte, taugte dazu, eine solche Verkehrung von Himmel und Erde zu bekämpfen. Sollte er es wagen, einen Fuß zu bewegen? Das Blut pochte ihm in den Ohren. Er hatte nur zwei Möglichkeiten – es doch versuchen und sich bewegen oder rote Funken sprühen; die Lehrer würden ihn retten und dann war das Turnier für ihn gelaufen.

Er schloß die Augen, weil er den endlosen Raum unter sich nicht sehen wollte, und zog seinen rechten Fuß mit aller Kraft vom Gras weg.

Sofort kippte die Welt wieder ins Lot. Harry fiel mit den Knien auf den wunderbar festen Boden. Einige Augenblicke war er gelähmt vor Schreck. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, dann stand er auf und rannte weiter, hinaus aus dem goldenen Nebel, der ihn, als er einen Blick über die Schulter warf, im Mondlicht unschuldig anglitzerte.

An einer Wegkreuzung blieb er stehen und sah sich nach einem Zeichen von Fleur um. Er war sich sicher, daß sie es gewesen war, die geschrien hatte. Was war ihr begegnet? War sie verletzt? Rote Funken waren nirgends zu sehen – hatte sie sich nun aus der Gefahr befreit oder saß sie in der Falle und konnte ihren Zauberstab nicht erreichen? Mit einem Gefühl wachsenden Unbehagens nahm Harry den rechten Abzweig… doch zugleich wurde er den Gedanken nicht los, daß ein Champion raus war…

Der Pokal mußte jetzt irgendwo in der Nähe sein und offenbar war Fleur nicht mehr im Rennen. War er nicht doch ziemlich weit gekommen? Was, wenn er es tatsächlich schaffte zu gewinnen? Zum ersten Mal, seit er überraschend Champion geworden war, sah er sich selbst, ganz flüchtig, wie er vor der ganzen Schule den Trimagischen Pokal in die Höhe hielt.

Die nächsten zehn Minuten traf er auf nichts, außer auf die Heckenmauern von Sackgassen. Zweimal nahm er dieselbe falsche Abzweigung. Schließlich fand er eine neue Strecke, auf der er entlangtrabte, wobei der zittrige Lichtstrahl aus dem Zauberstab seinen Schatten in grotesken Gestalten über die Heckenwände huschen ließ. Wieder bog er um eine Ecke – und stand vor einem Knallrümpfigen Kröter.

Cedric hatte Recht – er war tatsächlich gigantisch. Über drei Meter lang, sah er am ehesten aus wie ein Riesenskorpion. Der lange Stachel war drohend über den Rücken gebogen. Der dicke Panzer schimmerte im Licht des Zauberstabs, den Harry auf ihn gerichtet hatte.

»Stupor!«

Der Fluch schlug gegen den Panzer des Kröters und prallte zurück; Harry duckte sich gerade noch rechtzeitig, doch schon roch es nach verbranntem Haar; der Fluch hatte ihm den Schöpf versengt. Der Kröter ließ einen Feuerstoß aus seinem Rumpf knallen und schleuderte auf Harry zu.

»Impedimenta!«, rief Harry. Wieder traf der Fluch den Panzer des Kröters und prallte schräg weg; Harry stolperte ein paar Schritte rückwärts und fiel rücklings zu Boden.»IMPEDIMENTA!«

Nur noch Zentimeter von Harry entfernt erstarrte der Kröter – Harry hatte es geschafft, ihn in den panzerlosen, fleischigen Bauch zu treffen. Keuchend stemmte er sich von dem Vieh weg und rannte, so schnell er konnte, in die andere Richtung – der Lähmzauber hielt nicht lange vor, der Kröter würde jeden Augenblick seine Beine wieder benutzen können.

Er nahm einen Weg nach links und stieß auf eine Heckenmauer, nach rechts, und wieder war es eine Sackgasse; mit hämmerndem Herzen zwang er sich stehen zu bleiben, ließ erneut den Vier-Punkte-Zauber sprechen, machte kehrt und wählte einen Pfad in nordwestliche Richtung.

Auf diesem neuen Weg war er ein paar Minuten lang gegangen, als er etwas auf dem parallel verlaufenden Pfad hörte, das ihn erstarren ließ.

»Was tust du da?«, hörte er Cedric schreien.»Was zum Teufel machst du da?«

Und dann hörte er Krums Stimme.

»Crucio!«

Die Luft war erfüllt von Cedrics Schreien. Entsetzt rannte Harry los, auf der Suche nach einer Lücke hinüber zu Cedric. Da er keine fand, versuchte er es noch einmal mit dem Reduktor-Fluch. Er war nicht sonderlich wirksam, doch er brannte ein kleines Loch in die Hecke; Harry steckte seinen Fuß hinein und stieß gegen das dichte Gestrüpp aus Zweigen und Dornen, bis er endlich zur anderen Seite durchgebrochen war; er zwängte sich durch das Loch, wobei ihm die Dornen den Umhang zerrissen. Nach rechts blickend sah er Cedric zuckend und zappelnd auf dem Boden liegen. Über ihm stand Krum.

Harry rappelte sich hoch und richtete seinen Zauberstab auf Krum, genau in dem Moment, da dieser aufblickte. Krum wirbelte herum und rannte davon.

»Stupor!«, rief Harry.

Der Fluch traf Krum in den Rücken; er erstarrte mitten im Lauf, fiel mit dem Gesicht ins Gras und blieb reglos liegen. Harry stürzte auf Cedric zu. Er zuckte nicht mehr und lag nur noch keuchend, mit den Händen auf dem Gesicht da.

»Bist du verletzt?«, fragte Harry hastig und packte Cedric am Arm.

»Nein«, keuchte Cedric.»Nein… ich glaub's einfach nicht… er hat sich hinter meinem Rücken angeschlichen… ich hab ihn gehört, hab mich umgedreht, und da hatte er schon den Zauberstab auf mich gerichtet…«

Cedric stand auf. Er zitterte immer noch. Die beiden sahen hinunter auf Krum.

»Ich kann's einfach nicht fassen… ich dachte, er wäre in Ordnung«, sagte Harry mit starrem Blick auf Krum.

»Ich auch«, sagte Cedric.

»Hast du vorhin Fleur schreien gehört?«, fragte Harry.

»Ja«, sagte Cedric.»Glaubst du, Krum hat auch sie überfallen?«

»Ich weiß nicht.«

»Sollen wir ihn hier lassen?«, murmelte Cedric.

»Nein«, sagte Harry.»Ich schätze, wir sollten rote Funken versprühen. Dann kommt jemand und holt ihn… andernfalls frißt ihn wahrscheinlich ein Kröter.«

»Verdient hätt er's ja«, murmelte Cedric, dennoch hob er den Zauberstab und ließ einen Schauer roter Funken in die Luft sprühen, die hoch über Krum schweben blieben und die Stelle markierten, wo er lag.

Harry und Cedric standen einen Moment lang in der Dunkelheit und sahen sich um. Dann sagte Cedric:»Tja… ich glaub, wir sollten besser weitergehen…«

»Wie?«, sagte Harry.»Ach… ja… stimmt…«

Es war ein merkwürdiger Moment. Er und Cedric waren gegen Krum für kurze Zeit verbündet gewesen – und nun fiel ihnen beiden wieder ein, daß sie eigentlich Gegner waren. Schweigend gingen sie den dunklen Pfad entlang, dann wandte sich Harry nach links und Cedric nach rechts. Seine Schritte erstarben bald in der Ferne.

Harry ging weiter und vergewisserte sich gelegentlich mit dem Vier-Punkte-Zauber, daß er die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Nun würde der Kampf zwischen ihm und Cedric entschieden. Der Wunsch, den Pokal als Erster zu erreichen, brannte nun stärker denn je in ihm, doch noch immer konnte er nicht fassen, was er Krum soeben hatte tun sehen. Einen Unverzeihlichen Fluch gegen einen Mitmenschen zu richten, hieß, sich eine lebenslange Strafe in Askaban einzuhandeln, das hatte Moody ihnen erklärt. Das konnte Krum der Trimagische Pokal doch wohl nicht wert sein… Harry beschleunigte seine Schritte.

Immer wieder geriet er in Sackgassen, doch weil es um ihn zunehmend dunkel wurde, war er sich sicher, dem Herzen des Irrgartens ganz nahe zu sein. Dann, einen geraden Weg entlanggehend, sah er erneut, wie sich etwas bewegte, und der Strahl seines Zauberstabs traf ein erstaunliches Geschöpf, wie er es nur von einem Bild im Monsterbuch der Monster kannte. Es war eine Sphinx. Sie hatte den Körper eines übergroßen Löwen, mächtige, klauenbewehrte Tatzen und einen langen, gelblichen Schwanz, der in einem braunen Haarbüschel endete. Der Kopf jedoch war der einer Frau. Harry trat näher, und sie wandte den Kopf und ließ ihre langen Mandelaugen auf ihm ruhen. Er hob seinen Zauberstab, zögerte jedoch. Sie duckte sich nicht, als wolle sie zum Sprung ansetzen, sondern trottete quer über den Pfad und versperrte ihm so den Weg.

Dann sprach sie mit tiefer, heiserer Stimme:»Du bist deinem Ziel sehr nahe. Der schnellste Weg führt an mir vorbei.«

»Also… würdest du mich bitte vorbeilassen?«, sagte Harry und wußte doch schon die Antwort darauf.

»Nein«, sagte sie und trottete weiter hin und her.»Erst wenn du mein Rätsel gelöst hast. Antworte richtig beim ersten Versuch – und ich laß dich vorbei. Antworte falsch – und ich werde angreifen. Schweig – und ich werde dich unversehrt zurückweichen lassen.«

Harrys Magen versuchte es mit einem Salto. Das war eigentlich etwas für Hermine, nicht für ihn. Er wog seine Chancen ab. Wenn das Rätsel zu schwer war, konnte er immer noch schweigen, sich unverletzt zurückziehen und einen anderen Weg in die Mitte des Irrgartens suchen.

»Gut«, sagte er.»Kann ich das Rätsel hören?«

Die Sphinx ließ sich mitten auf dem Weg auf die Hinterbeine nieder und sprach:

»Erst denk an den Menschen, der immer lügt,

der Geheimnisse sucht und damit betrügt.

Doch um das Ganze nicht zu verwässern,

nimm von dem Wort nur die ersten drei Lettern.

Nun denk an das Doppelte des Gewinns,

den Anfang von nichts und die Mitte des Sinns.

Und schließlich ein Laut, ein Wörtchen nicht ganz,

das du auch jetzt von dir selbst hören kannst.

Nun füg sie zusammen, denn dann wirst du wissen,

welches Geschöpf du niemals willst küssen.«

Harry starrte sie mit offenem Mund an.

»Könnte ich es noch mal hören… ein wenig langsamer?«, fragte er zaghaft.

Sie blinzelte ihn an, lächelte und wiederholte das Gedicht.

»Wenn ich alles löse, bekomm ich am Schluß den Namen eines Geschöpfs, das ich niemals küssen will?«

Sie lächelte nur ihr geheimnisvolles Lächeln. Harry deutete es als»Ja«. Er überlegte hin und her. Es gab eine Menge Tiere, die er nicht küssen wollte; als Erstes fiel ihm ein Knallrümpfiger Kröter ein, aber irgend etwas ließ ihn ahnen, daß dies nicht die Lösung war. Er mußte es versuchen und die einzelnen Teile des Rätsels lösen…

»Ein Mensch, der immer lügt«, murmelte Harry und starrte die Sphinx an,»der Geheimnisse sucht… ähm… vielleicht ein Agent. Ne, wart mal! Ein Spion? Und nur die ersten drei Buchstaben? Ich komm darauf zurück… könntest du mir bitte noch einmal das nächste Rätsel aufsagen?«

Sie wiederholte den zweiten Teil des Gedichts.

»Das Doppelte des Gewinns«, murmelte Harry.»Hmh… keine Ahnung… der Anfang von nichts… ne… könnt ich den letzten Teil noch mal hören?«

Sie sagte ihm die letzten vier Verse auf.

»Ein Laut, ein Wörtchen nicht ganz, das du auch jetzt von dir selbst hören kannst«, sagte Harry.»Hmm… ne, das müßte… ne… wart mal – ›ne‹! ›Ne‹ ist ein Laut!«

Die Sphinx lächelte ihn an.

»Spi… ähm… ne«, sagte Harry, den Weg auf und ab schreitend.»Ein Geschöpf, das ich nicht küssen möchte… eine Spinne!«

Die Sphinx schenkte ihm ein breites Lächeln. Sie erhob sich, streckte die Vorderbeine aus und wich dann zur Seite, um ihn vorbeizulassen.

»Danke!«, sagte Harry und hastete weiter, noch immer verblüfft von seiner Glanzleistung.

Er mußte jetzt ganz nah dran sein, das war sicher… sein Zauberstab sagte ihm, daß er genau auf Kurs war; wenn er jetzt nicht auf irgend etwas allzu Schreckliches stieß, dann hatte er durchaus eine Chance…

Vor ihm gabelte sich der Weg erneut.»Weise mir die Richtung!«, flüsterte er seinem Zauberstab zu, und der Stab wirbelte herum und deutete mit der Spitze auf den rechten Abzweig. Er stürzte sich hinein und jetzt sah er vor sich ein Licht.

Keine hundert Meter entfernt, auf einer Säule, schimmerte ihm der Trimagische Pokal entgegen. Harry hatte gerade zum Spurt angesetzt, als eine dunkle Gestalt vor ihm auf den Weg sprang.

Cedric würde als Erster da sein. Cedric rannte, so schnell er konnte, auf den Pokal zu, und Harry wußte, er würde ihn nicht mehr einholen können, Cedric war viel größer als er und hatte längere Beine -

Dann sah er, über einer Hecke links von ihm, etwas ungeheuer Großes, das sich rasch auf einem Pfad bewegte, der den ihrigen kreuzte, und Cedric, der nur noch den Pokal im Auge hatte, würde blindlings in dieses Ungeheuer hineinlaufen -

.»Cedric!«, brüllte Harry.»Paß auf – da links!«

Cedric wandte gerade noch rechtzeitig den Kopf. Er hechtete an dem Wesen vorbei und konnte einen Zusammenprall vermeiden, doch in seiner Hast stolperte er. Harry sah, wie ihm der Zauberstab wegflog und er stürzte, und nun erschien eine gigantische Spinne auf dem Weg und richtete sich drohend über Cedric auf.

»Stupor!«, schrie Harry; der Fluch traf den riesigen, haarigen Körper der Spinne, doch er hätte sie genauso gut mit einem Stein bewerfen können, so wenig richtete er aus; die Spinne zuckte, drehte sich blitzschnell um und ging nun auf Harry los.

»Stupor! Impedimental! Stupor!«

Doch es nützte alles nichts – die Spinne war entweder zu groß oder so magisch, daß Flüche sie nur noch rasender machten – einen schrecklichen Augenblick lang sah Harry acht glimmende schwarze Augen und rasiermesserscharfe Greifscheren, dann war sie über ihm.

Sie zwängte ihn zwischen ihre Vorderbeine und hob ihn hoch; in verzweifelter Anstrengung schlug er mit den Füßen um sich; doch er stieß mit dem Bein gegen eine Greifschere, und ein unerträglicher, schneidender Schmerz durchdrang ihn – er hörte noch, wie auch Cedric»Stupor!«rief, doch sein Fluch richtete nicht mehr aus als der Harrys – die Spinne öffnete erneut ihre Greifzangen; Harry hob den Zauberstab und rief:»Expelliarmus!«

Der Entwaffnungszauber wirkte – die Spinne ließ ihn los, doch das hieß, daß er vier Meter tief auf sein schon verletztes Bein fiel und es unter sich begrub. Ohne weiter zu überlegen zielte er nach oben auf den Bauch der Spinne, wie schon bei dem Kröter, und rief»Stupor!«- im selben Augenblick wie Cedric.

Die beiden Flüche bewirkten zusammen, was mit einem allein nicht zu schaffen war – die Spinne knickte seitlich ein und rollte auf den Rücken, walzte dabei eine Hecke nieder und versperrte den Weg mit einem Gewirr haariger Beine.

»Harry!«, hörte er Cedric rufen.»Bist du verletzt? Ist das Vieh auf dich gefallen?«

»Nein«, japste Harry. Er besah sich sein Bein. Es blutete heftig. Sein zerfetzter Umhang war mit einem zähen, klebrigen Sekret verschmiert. Er versuchte aufzustehen, doch sein Bein zitterte fürchterlich und wollte seine Last nicht tragen. Nach Luft schnappend lehnte er sich gegen die Hecke und sah sich um.

Cedric stand keine paar Meter vom Trimagischen Pokal entfernt, der hinter ihm schimmerte.

»Nun nimm ihn schon«, keuchte Harry.»Los, beeil dich, nimm ihn. Du stehst doch davor.«

Doch Cedric rührte sich nicht. Er stand nur da und musterte Harry. Dann drehte er sich um und sah den Pokal an. Im goldenen Licht der Trophäe konnte Harry den sehnsüchtigen Ausdruck in Cedrics Gesicht erkennen. Er drehte sich wieder zu Harry um, der sich inzwischen an die Hecke klammerte, um nicht einzuknicken.

Cedric holte tief Luft.»Nimm du ihn. Du solltest gewinnen. Du hast mir hier drin zweimal den Hals gerettet.«

»Darum geht es hier aber nicht«, sagte Harry. Er spürte Zorn in sich hochkochen; die Wunde an seinem Bein schmerzte, und alle Knochen im Leib taten ihm weh von dem Versuch, sich der Spinne zu entwinden. Und nach all dieser Mühsal war ihm Cedric auch noch zuvorgekommen, wie schon bei Cho, die er als Erster zum Ball gebeten hatte.»Wer den Pokal zuerst erreicht, kriegt die Punkte. Und das bist du. Ich kann nur sagen, daß ich mit meinem Bein jedenfalls kein Wettrennen gewinnen kann.«

Cedric ging ein paar Schritte weg vom Pokal auf die gelähmte Spinne zu und schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er.

»Hör auf, so verdammt edelmütig zu sein«, sagte Harry gereizt.»Nimm ihn einfach, dann kommen wir endlich hier raus.«

Cedric sah stumm zu, wie Harry sich verzweifelt an der Hecke festklammerte, um nicht hinzufallen.

»Du hast mir von den Drachen erzählt«, sagte Cedric.»Ich wär schon in der ersten Runde untergegangen, wenn du mir nicht gesagt hättest, was drankommt.«

»Da hat mir auch jemand geholfen«, fauchte Harry und mühte sich, sein blutüberströmtes Bein mit dem Umhang abzuwischen.»Du hast mir bei diesem Ei geholfen – wir sind quitt.«

»Bei diesem Ei hat mir zuallererst jemand geholfen«, sagte Cedric.

»Trotzdem sind wir quitt«, sagte Harry und versuchte behutsam sein Bein zu belasten; es zitterte heftig, als er damit auftrat; beim Sturz von der Spinne hatte er sich den Knöchel verstaucht.

»Du hättest für die zweite Aufgabe mehr Punkte bekommen sollen«, sagte Cedric störrisch.»Du bist da unten geblieben und wolltest alle Geiseln mitnehmen. Das hätte ich auch tun sollen.«

»Ich war der Einzige, der so blöd war, dieses Lied ernst zu nehmen!«, sagte Harry erbittert.»Jetzt nimm schon diesen Pokal!«

»Nein«, sagte Cedric.

Er stieg über das Gewirr der Spinnenbeine herüber zu Harry, der ihn sprachlos anstarrte. Cedric meinte es ernst. Er verzichtete auf eine Ruhmestat, wie sie seit Jahrhunderten keinem aus dem Haus Hufflepuff mehr gelungen war.

»Geh schon«, sagte Cedric. Er sah aus, als würde ihn dies alle Entschlußkraft kosten, die er aufbringen konnte, doch mit seiner festen Miene und den verschränkten Armen wirkte er unerschütterlich.

Harry ließ den Blick von Cedric zum Pokal wandern. Einen schimmernden Moment lang sah er sich, den Pokal in Händen, aus dem Irrgarten auftauchen. Er sah sich den Trimagischen Pokal in die Höhe halten, hörte das Toben der Menge, sah Chos leuchtendes Gesicht, voll Bewunderung ihm zugewandt, sah es deutlicher als je zuvor… und dann verblaßte das Bild und er starrte nur noch in Cedrics abgeschattetes, stures Gesicht.

»Wir beide?«, fragte Harry.

»Was?«

»Wir nehmen ihn gleichzeitig. Dann ist es auch ein Sieg für Hogwarts. Wir teilen ihn uns.«

Cedric starrte Harry an. Seine Arme lösten sich aus der Verschränkung.»Das – das meinst du ernst?«

»Ja«, sagte Harry.»Ja… wir haben uns gegenseitig geholfen, oder nicht? Wir sind beide so weit gekommen. Dann nehmen wir ihn eben gemeinsam.«

Einen Moment lang sah Cedric aus, als wolle er seinen Ohren nicht trauen; doch dann trat ein breites Lächeln auf sein Gesicht.

»Einverstanden«, sagte er.»Komm mit.«

Er packte Harry unter der Achsel und half ihm, auf die Säule mit dem Pokal zuzuhumpeln. Als sie davor standen, hielt jeder die Hand über einen der schimmernden Henkel des Pokals.

»Bei drei, ja?«, sagte Harry.»Eins – zwei – drei -«

Beide packten zu.

Im selben Moment spürte Harry irgendwo hinter seinem Nabel ein Reißen. Er verlor den Boden unter den Füßen. Er konnte seinen Griff um den Trimagischen Pokal nicht lockern, der ihn mit sich riß und Cedric an seiner Seite, hinein in einen zornig wirbelnden Sturm aus Farben.