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Wurmschwanz kam auf Harry zu, der sich hastig mühte, auf die Beine zu kommen, bevor die Fesseln fielen. Wurmschwanz hob seine neue silberne Hand, zog den Knebel aus Harrys Mund und schnitt dann mit einem Hieb des Zauberstabs die Seile entzwei, die Harry an den Grabstein fesselten.
Den Bruchteil einer Sekunde lang mochte Harry überlegt haben, ob er nicht einfach losrennen sollte, doch nun, da er wieder auf dem überwucherten Grab stand, zitterte sein verletztes Bein unter der Last seines Körpers, und die Todesser rückten zusammen und zogen ihren Kreis um ihn und Voldemort enger, sie schlössen auch die Lücken, die sie vorhin noch offen gelassen hatten. Wurmschwanz verließ den Kreis und ging hinüber zu der Stelle, wo der tote Cedric lag; er kehrte mit Harrys Zauberstab zurück und drückte ihn Harry ohne aufzublicken in die Hand. Dann nahm er seinen Platz im Kreis der lauernden Todesser ein.
»Man hat dir das Duellieren beigebracht, Harry Potter?«, sagte Voldemort leise, und seine Augen schimmerten rot in der Dunkelheit.
Bei diesen Worten erinnerte sich Harry, als wäre es in einem früheren Leben gewesen, an den Duellierklub in Hogwarts, den er vor zwei Jahren für kurze Zeit besucht hatte… alles, was er dort gelernt hatte, war der Entwaffnungszauber, Expelliarmus… und selbst wenn es ihm gelingen sollte, Voldemort den Zauberstab zu entreißen, was würde es ihm nützen, wo er doch von Todessern umringt und dreißigfach unterlegen war? Nie hatte er etwas gelernt, das ihm in einer solchen Lage helfen konnte. Er wußte, daß ihm genau das bevorstand, wovor ihn Moody immer gewarnt hatte… der unabwehrbare Fluch Avada Kedavra – und Voldemort hatte Recht – diesmal war seine Mutter nicht da, um für ihn sterben zu können… er war völlig schutzlos…
»Wir verneigen uns voreinander, Harry«, sagte Voldemort und neigte sich leicht vor, das Schlangengesicht jedoch aufgerichtet und Harry zugewandt.»Komm, die Gepflogenheiten müssen beachtet werden… Dumbledore würde sicher wollen, daß du Manieren zeigst… verneige dich vor dem Tod, Harry…«
Die Todesser lachten. Voldemorts lippenloser Mund lächelte. Harry verneigte sich nicht. Er würde nicht zum Spielball Voldemorts werden, bevor Voldemort ihn tötete… diese Genugtuung wollte er ihm nicht verschaffen…
»Ich sagte, verneige dich«, sagte Voldemort und hob den Zauberstab – und Harry spürte, wie sich sein Rückgrat krümmte, als ob eine riesige unsichtbare Hand ihn gnadenlos zur Erde drückte, und jetzt lachten die Todesser noch lauter.
»Sehr gut«, flüsterte Voldemort und senkte den Zauberstab; der Druck auf Harrys Rücken ließ nach.»Jetzt tritt mir entgegen wie ein Mann… aufrecht und stolz, so wie dein Vater starb…
Und nun – duellieren wir uns.«
Voldemort hob den Zauberstab, und bevor Harry etwas tun konnte, um sich zu verteidigen, bevor er sich auch nur rühren konnte, hatte ihn der Cruciatus-Fluch erneut niedergeworfen. Der Schmerz war so stark, so allumfassend, daß er vergaß, wo er war… weiß glühende Messer durchbohrten jeden Zentimeter seiner Haut, sein Kopf würde vor Schmerz gleich platzen; er schrie lauter, als er je im Leben geschrien hatte -
Und dann hörte es auf. Harry drehte sich zur Seite und rappelte sich auf; es schüttelte ihn so heftig wie Wurmschwanz, als er sich die Hand abgeschnitten hatte; er stolperte zur Seite, hinein in die Mauer der lauernden Todesser, und sie stießen ihn weg, zurück zu Voldemort.
»Eine kleine Pause«, sagte Voldemort, und seine schlitzartigen Nüstern weiteten sich vor Erregung,»eine kleine Pause… das tat weh, nicht, Harry? Du willst nicht, daß ich das noch mal tue, oder?«
Harry antwortete nicht. Er würde sterben wie Cedric, diese erbarmungslosen roten Augen sagten es ihm… er würde sterben, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte… doch er würde nicht mitspielen. Er würde Voldemort nicht gehorchen… er würde nicht um sein Leben betteln…
»Ich hab dich gefragt, ob ich das noch einmal tun soll«, sagte Voldemort leise.»Antworte mir! Imperio!«
Und Harry hatte zum dritten Mal in seinem Leben das Gefühl, alle Gedanken würden aus seinem Kopf gefegt… ah, es war eine Wonne, nicht mehr denken zu müssen, es war, als ob er schwebte, träumte…»antworte einfach ›nein ‹… sag doch ›nein ‹, sag einfach ›nein ‹…«
»Ich will nicht«, sagte eine stärkere Stimme in seinem Hinterkopf,»ich werde nicht antworten…«
»Sag einfach ›nein ‹…«
»Ich will es nicht, ich will es nicht sagen…«
»Sag einfach ›nein ‹,…«