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Notorischer Massenmörder oder unschuldige, singende Sensation?
Harry mußte den ersten Satz ein paar mal lesen, bevor er davon überzeugt wurde, das er ihn nicht mißverstanden hatte.
Seit wann war Sirius ein Gesangstalent?
Seit vierzehn Jahren glaubte man Sirius Black sei schuldig des Massenmordes an zwölf unschuldigen Müggeln und einem Zauberer. Black«s dreiste Flucht aus Askaben vor zwei jahren hat zur größten, jemals vom Zaubereiministerium geleiteten, Menschenjagd geführt. Niemand von uns hat jemals bezweifelt, daß er es verdienen würde, wieder eingefangen und den erneut den Dementoren übergeben zu werden.
Überraschende neue Beweise sind erst kürzlich aufgetaucht, die es unmöglich erscheinen lassen, das Sirius Black die Verbrechen verübt hat, für die er nach Askaban gesandt wurde. Tatsache ist, sagt Doris Purkiss, von Bärenklau Weg
18, Little Norton, Black sei nicht zugegen gewesen, während der Morde.
»Was die Leute nicht erkennen ist, das Sirius Black ein falscher name ist,«sagte Frau Purkiss.»Der Mann, von dem die Leute glauben, er sei Sirius Black, ist in Wahrheit Stubby Boardman, Leadsänger der populären Gesangsband The Hobgoblins, der sich aus der Öffentlichkeit zurückzogen hat, nachdem sich ein Schlag mit einer Rübe auf sein Ohr vor fünfzehn Jahren in der Kirche von Little Norton ereignete. Ich erinnerte mich seiner in dem Moment, als ich sein Bild.in der Zeitung sah. Nun, Stubby könnte möglicherweise die Verbrechen gar nicht verübt haben, da er am fraglichen Tag ein romantisches Abendessen im Schein der Kerzen mit mir zusammen verbrachte. Ich habe dem Zaubereiminister geschrieben und erwarte täglich, das er sich bei Stubby, alias Sirius, vollständig entschuldigt.«
Harry hatte zu Ende gelesen und starrte die Seite ungläubig an. Vielleicht war es ein Witz, dachte er, vielleicht druckte die Zeitschrift des öfteren ausgemachten Schwindel ab. Er blätterte ein paar Seiten zurück und fand das Stück mit Fudge.
Cornelius Fudge, der Zaubereiminister, leugnete, daß er irgendwelche Pläne hatte, die laufenden Geschäfte der Zaubererbank, Gringotts, zu übernehmen, als er vor fünf Jahren zum Zaubereiminister gewählt wurde. Fudge hat stets darauf bestanden, das er sich nichts mehr wünscht, als eine friedliche Zusammenarbeit mit den Wächtern unseres Goldes.
Dem Minister nahestehende Quellen haben kürzlich aufgedeckt, daß es Fudge«s größter Wunsch ist, die Kontrolle über die Koboldgoldversorgung zu übernehmen und das er nicht zögern wird, diesen Notfalls mit Gewalt zu erreichen.
»Es wäre auch nicht das erste Mal,«sagte ein Ministeriumsinsider.»Cornelius Kobolquetscher Fudge, so nennen ihn seine Freunde. Wenn sie ihn hören könnten, wenn er denkt niemand würde ihn hören, oh, redet er immerzu über die Kobolde, denen er etwas angetan hat; er hat sie ertränken lassen, er hat sie von Gebäuden fallen lassen, er hat sie vergiften lassen, er hat sie als Pasteten kochen lassen…«
Harry las nicht mehr weiter. Fudge mochte viele Fehler haben, aber Harry fand es sehr schwer sich vorzustellen, wie er es anordnete, Kobolde als Pasteten zubereiten zu lassen. Er überflog den Rest der Zeitschrift. Alle paar Seiten hielt er an und las: ein Vorwurf, daß die Tutshill-Tornados die Quidditsch-Liga mit einer Mischung aus Erpressung, illegaler Besenmanipulation und Folter gewannen; ein Interview mit einem Zauberer, der darauf bestand, auf einem Cleansweep Six zum Mond geflogen zu sein und eine Tasche von Mondfröschen mit zurückgebracht zu haben, um es zu beweisen; und ein Artikel über uralte Runen, der die Erklärung dafür war, warum Luna den Wortklauber umgekehrt gelesen hatte.
Entsprechend der Zeitschrift, enthüllten die Runen einen Zauberspruch, wenn man diese auf den Kopf stellte, die die Ohren deiner Feinde in Kumquats verwandelten. In der Tat, verglichen mit dem Rest der Artikel im Wortklauber, schien der Vorschlag, das Sirius der Leadsänger der The Hobgoblins sein könnte, wirklich vernünftig.
»Irgendwas gutes da drin?«fragte Ron als Harry die Zeitschrift zuklappte.
»Natürlich nicht,«sagte Hermine bissig, bevor Harry antworten konnte.»Der Wortklauber ist Mist, das weiß doch jeder.«
»Entschuldige,«sagte Luna; ihre Stimme hatte plötzlich jegliche traumhafte Qualität verloren.»Mein Vater ist der Herausgeber.«
»Ich – oh,«sagte Hermine, betreten aussehend.»Nun… er hat eine interessante… ich meine, er ist sehr…«
»Darf ich es zurückhaben, danke,«sagte Luna kalt, und vornüber gebeugt, riss sie es aus Harrys Händen. Sie blätterte vor bis Seite siebenundfünfzig, dann drehte sie ihn entschlossen um und verschwand wieder dahinter, gerade als sich die Abteiltüre zum dritten Mal öffnete.
Harry sah sich um; er hatte es erwartet, aber das machte den Anblick des ihn angrinsenden Draco Malfoy, der zwischen seinen beiden Kumpanen, Crabbe und Goyle, stand, nicht angenehmer.
»Was?«sagte er aggressiv, bevor Malfoy den Mund aufmachen konnte.
»Sachte, Potter, oder ich werde dich Nachsitzen lassen,«sprach Malfoy gedehnt, dessen glattes, blondes Haar und spitzes Kinn, wie das seines Vaters war.»Du siehst, ich, im Gegensatz zu dir, wurde zum Vertrauensschüler gemacht, das bedeutet, daß ich, im Gegensatz zu dir, die Macht habe, Strafen auszuteilen.«
»Jo,«sagte Harry, aber du, im Gegensatz zu mir, bist ein Witz, also geh raus und laß uns alleine.«
Ron, Hermine, Ginny und Neville lachten. Malfoy schürzte die Lippen.
»Sag mir, wie es sich anfühlt, wenn man der Zweitbeste nach Weasley ist, Potter?«fragte er.
»Halt den Mund, Malfoy,«sagte Hermine scharf.
»Ich scheinen einen Nerv getroffen zu haben,«sagte Malfoy grinsend.»Nun, paß auf dich auf, Potter, denn ich werde jedem deiner Schritte wie ein Bluthund folgen, für den Fall das du aus der Reihe tanzt.«
»Raus mit dir!«sagte Hermine im aufstehen.
Kichernd warf Malfoy Harry einen letzten böswilligen Blick zu und verschwand, Crabbe und Goyle trampelten weiter in seinem Kielwasser. Hermine schlug die Abteiltür hinter ihnen zu und drehte sich um, um Harry anzuschauen, der.sofort wußte, daß sie, wie er, sofort registriert hatte, was Malfoy gesagt hatte und davon genauso entmutigt gewesen war.
»Wirf uns einen weiteren Frosch rüber«sagte Ron, der augenscheinlich nichts bemerkt hatte.
Harry konnte nicht frei in Gegenwart von Neville und Luna sprechen. Er tauschte nervöse Blicke mit Hermine aus, dann starrte er zum Fenster heraus.
Er hatte geglaubt, daß Sirius, der ihn zum Bahnhof begleitet hatte, ihn ein wenig zum Lachen brachte, aber plötzlich schien es bedeutungslos geworden zu sein, wenn nicht sogar hundertprozentig gefährlich… Hermine hatte recht…
Sirius hätte nicht mitkommen sollen. Was, wenn Mr. Malfoy den schwarzen Hund bemerkt und es Draco erzählt hatte?
Was, wenn er daraus gefolgert hätte, das die Weasleys, Lupin, Tonks und Moody wußten, wo sich Sirius versteckte?
Oder hatte Malfoys Verwendung des Wortes Bluthund ein reiner Zufall?
Das Wetter blieb unbeständig, als sie weiter und weiter nach Norden reisten. Regen bespritzte die Fenster auf halbem Wege, dann trat die Sonne als matte Erscheinung hervor, und einmal mehr wurde sie von den vorbeiziehenden Wolken verdeckt. Als die Dunkelheit einbrach und die Lampen innerhalb der Abteile entflammten, rollte Luna den Wortklauber zusammen, steckte ihn sorgfältig in ihre Tasche zurück und begann stattdessen alle im Abteil anzustarren.
Harry saß, die Stirn gegen das Zugfenster gepresst, im Versuch einen ersten entfernten Blick auf Hogwarts zu erhaschen, aber es war eine mondlose Nacht und die Regenstreifen verschmutzten das Fenster.
»Wir sollten uns besser umziehen«sagte Hermine endlich, und alle öffneten ihre Truhen unter Schwierigkeiten und zogen ihre Schulroben an. Sie und Ron hefteten ihre Vertrauensschülerabzeichen vorsichtig auf ihren Brustkörben fest.
Harry sah, wie Ron sein Spiegelbild im schwarzen Fenster überprüfte.
Der Regen begann schließlich, sich abzuschwächen und sie hörten den gewöhnlichen Lärm, als jeder sich bemühte, zu seinem Gepäck und seinem Tier zu gelangen, bereit, den Zug zu verlassen. Da Ron und Hermine dies alles zu beaufsichtigen hatten, verschwanden sie wieder aus dem Wagen, wobei sie Harry und die anderen zurückließen, um nach Krumbein und Pigwidgeon zu schauen.
»Ich trage die Eule, wenn du möchtest,«sagte Luna zu Harry. Sie streckte ihre Hand nach Pigwidgeon aus, als Neville Trevor vorsichtig in einer Innentasche verstaute.
»Oh – äh – danke,«sagte Harry, als er ihr den Käfig gab und Hedwig weiter hoch in seine Arme hob.
Sie schlürften aus dem Abteil. Sie fühlten das erste Stechen der Nachtluft in ihren Gesichtern, als sie sich der Menge auf einem Gang anschlossen. Sie bewegten sich langsam auf die Tür zu. Harry roch Kiefern, die entland dem Pfad, der zum See hinunterführte, standen. Er betrat den Bahnsteig und schaute sich um, wobei er auf den bekannten Ruf
»Erstklässler, hier her… Erstklässer…«hörte.
Aber er kam nicht. Stattdessen rief eine andere Stimme, eine muntere weibliche,»Erstklässler, hier aufreihen, bitte!
Alle Erstklässler zu mir!«
Eine Laterne kam schwingend auf Harry zu, in ihrem Licht sah Harry das hervorstehende Kinn und den strengen Haarschnitt von Professor Rauhe-Pritsche, die Hexe, die den Unterricht für die Pflege magischer Geschöpfe im vorherigen Jahr für eine Weile übernommen hatte.
»Wo ist Hagrid,«rief er.
»Ich weiß es nicht,«sagte Ginny.»Aber wir sollten lieber aus dem Weg gehen, wir blockieren die Tür.«
»Oh, ja…«
Harry und Ginny wurden getrennt, als sie weiter liefen, am Bahnsteig entlang und hinaus über den Bahnhof. Während er von der Menge angerempelt wurde, schielte Harry durch die Dunkelheit, um Hagrid zu erspähen. Er mußte hier sein,
Harry hatte sich darauf verlassen – Hagrid wieder zu sehen, war eines der Dinge, auf die Harry sich am meisten gefreut hatte. Aber es gab kein Zeichen von ihm.
Er kann nicht gegangen sein, sagte sich Harry, als er langsam mit dem Rest der Menge durch einen schmalen Durchgang, auf die Straße hinaus, schlurfte. Er hat nur eine Erkältung oder so was …
Er sah sich nach Ron oder Hermine um, da er wissen wollte, was sie von Professor Rauhe-Pritsches Wiedererscheinen hielten. Aber keiner von beiden war bei ihm, weshalb er sich vorwärts auf die regennasse Straße außerhalb des Hogsmeade-Bahnhofs schieben ließ.
Hier standen die etwa hundert pferdelosen Postkutschen, die immer die Schüler oberhalb der ersten Klasse hoch zum Schloss brachten. Harry warf ihnen einen flüchtigen Blick zu, drehte sich weg, um Ausschau nach Ron oder Hermine zu halten und schaute verblüfft zurück zu den Kutschen…Die Kutschen waren nicht länger pferdelos. Dort standen Kreaturen zwischen den Schäften der Kutschen. Wenn er ihnen hätte Namen geben sollen, so glaubte er, hätte er sie Pferde genannt, obwohl sie auch etwas von einem Reptil hatten. Sie waren komplett fleischlos, ihre schwarze Haut lag auf ihrem Skelett, von dem jeder Knochen sichtbar war.
Ihre Köpfe sahen wie die von Drachen aus und ihre Augen waren weiß, ohne Pupille und starrten. Flügel waren an jeder Seite – riesige schwarze Flügel, die aussahen, als ob sie zu riesigen Fledermäusen gehören sollten. Die Kreaturen, die immer noch in der Dunkelheit standen, sahen schaurig und unheimlich aus. Harry konnte nicht verstehen, warum die Kutschen von solch schrecklichen Pferden gezogen wurden, wenn sie doch fähig waren, sich alleine fortzubewegen.
»Wo ist Pig?,«sagte Rons Stimme gleich hinter Harry.
»Diese Luna hat ihn getragen,«sagte Harry. Er drehte sich schnell zu Ron, um ihn wegen Hagrid zu fragen.»Wo, glaubst du -«
»- ist Hagrid? Keine Ahnung,«sagte Ron, wobei er besorgt klang.»Er sollte besser in Ordnung sein…«
In einer kurzen Entfernung war Draco Malfoy, gefolgt von seine Kumpanen, darunter Crabbe, Goyle und Pansy Parkinson, gerade dabei, einige ängstlich aussehende Zweitklässler aus dem Weg zu räumen, so daß er und seine Freunde eine Kutsche für sich haben konnten. Sekunden später erschien Hermine hechelnd aus der Menge.
»Malfoy hat sich dort hinten einem Erstklässler gegenüber absolut gemein benommen. Ich schwöre, daß ich über ihn Bericht erstatten werde. Er hat sein Abzeichen gerade erst drei Minuten und benutzt es, um die Leute schlimmer als jemals zuvor zu ärgern… Wo ist Krumbein?«
»Ginny hat ihn,«sagte Harry.»Da ist sie…«
Ginny war gerade aus der Menge aufgetaucht, einen sich windenden Krumbein umklammernd.
»Danke,«sagte Hermine, Ginny die Katze abnehmend.»Los kommt, nehmen wir uns eine Kutsche, bevor sie alle voll sind…«
»Ich habe Pig bis jetzt noch nicht bekommen!«sagte Ron, aber Hermine schritt bereits auf die nächste leer stehende Kutsche zu. sagte, aber Hermine schnitt schon gegen den nächsten leeren Trainer ab. Harry blieb mit Ron zurück.
»Was sind das für Dinger, schätzt du?«fragte er Ron, nickend zu den schrecklichen Pferden, während die anderen Schüler an ihnen vorbei wogten.
»Welche Dinger?«
»Diese Pferde -«
Luna erschien, den Käfig von Pigwidgeon in ihren Armen halten; die kleine Eule zwitscherte, wie gewöhnlich, aufgeregt.
»Da seid ihr,«sagte sie.»Er ist eine süße kleine Eule, nicht wahr?«
»Ähm… jau… er ist in Ordnung,«sagte Ron barsch.»Nun, dann komm, laß uns reingehen… was sagst du Harry?«
»Ich sagte, was sind diese Pferdedinger?«sagte Harry, als er, Ron und Luna sich gerade auf die Kutsche zubewegten, in der Hermine und Ginny bereits saßen.
»Welche Pferdedinger?«
Die Pferdedinger, die die Kutschen ziehen!«sagte Harry ungeduldig. Sie waren etwa einen Meter vom nächsten entfernt; es sah sie mit leeren weißen Augen an. Ron allerdings sah Harry verwirrt an.
»Wovon redest du?«
»Ich spreche über – seht!«
Harry ergriff Ron«s Arm und drehte ihn soweit, das er Auge in Auge vor dem geflügelten Pferd stand. Ron starrte für eine Sekunde geradeaus, dann blickte er zurück zu Harry.
»Was soll ich mir ansehen?«
»An der – dort, zwischen den Deichseln! Angeschirrt vor der Kutsche! Es ist direkt davor -«
Aber, da Ron fortfuhr, verwirrt auszusehen, kam ein seltsamer Gedanke in Harry auf.
»Könnt ihr… könnt ihr es nicht sehen?
»Was sehen?«
»Könnt ihr nicht sehen, was die Wagen zieht?«
Ron sah jetzt ernsthaft beunruhigt aus…»Fühlst du dich wohl, Harry?«
»J… jau…«
Harry fühlte sich völlig verwirrt. Das Pferd war direkt vor ihm, fest in dem Dämmerlicht glänzend, das von den Bahnhofsfenstern hinter ihnen kam, Dampf entstieg seinen Nüstern in der kühlen, nächtlichen Luft. Dennoch, auch wenn Ron es vortäuschte – und es war ein sehr schwacher Scherz, wenn es einer war – Ron konnte es überhaupt nicht sehen.
»Sollen wir dann einsteigen?«sagte Ron unsicher, Harry anschauend, obgleich er sich Sorgen über ihn machte.
»Jau,«sagte Harry.»Jau, los weiter…«
»Es ist in Ordnung,«sagte eine verträumte Stimme neben Harry, da Ron in das dunkle Innere der Kutsche verschwand.
»Du bist nicht verrückt oder sowas. Ich kann sie auch sehen.«
»Kannst du?«sagte Harry verzweifelt, sich zu Luna drehend. Er könnte die mit Fledermausflügeln versehenen Pferde sich in ihren silbernen Augen spiegeln sehen.
»Oh ja,«sagte Lune,»Ich konnte sie schon immer sehen, seit meinem ersten Tag hier. Sie haben schon immer die Kutschen gezogen. Seid unbesorgt. Sie sind genauso geistig gesund, wie ich es bin.«
Mit einem leichten Lächeln, stieg sie hinter Ron in das muffige Innere der Kutsche. Ganz und gar nicht beruhigt, folgte Harry ihr…