123301.fb2
In den nächsten Tagen war Harry hauptsächlich damit beschäftigt, rasch abzutauchen, wenn er Gilderoy Lockhart herumstolzieren sah. Schwieriger war es allerdings, Colin Creevey aus dem Weg zu gehen. Colin hatte Harrys Stundenplan offenbar auswendig gelernt. Nichts schien ihm mehr Spaß zu machen, als sechs oder sieben Mal täglich»Alles klar, Harry?«zu rufen und darauf»Hallo, Colin«zu hören, und mochte Harry dabei noch so entnervt klingen.
Hedwig war wegen der fürchterlichen Reise immer noch sauer auf Harry, und Rons Zauberstab spielte immer noch verrückt. Am Freitagmorgen übertraf er sich selbst: Pfeilschnell schoß er aus Rons Hand, flog genau zwischen die Augen des kleinen alten Professor Flitwick und hinterließ dort eine große, pulsierende grüne Beule. So kam das eine zum andern, und Harry war ganz froh, daß endlich Wochenende war. Mit Ron und Hermine wollte er am Samstagvormittag Hagrid besuchen. Frühmorgens jedoch, nach Harrys Geschmack ein paar Stunden zu früh, rüttelte ihn Oliver Wood, der Kapitän der Quidditch-Mannschaft von Gryffindor, aus dem Schlaf,
»Wasn los?«, sagte Harry noch ganz benommen.
»Quidditch-Training«, sagte Wood.»Mach schon«
Harry blinzelte aus dem Fenster. Ein leichter Nebelschleier hing am gold und rosa gefärbten Himmel. jetzt, wo er wach war, begriff er nicht, wie er bei dem Höllenspektakel der Vögel hatte schlafen können.
»Oliver«, krächzte Harry,»in dieser Herrgottsfrühe.«
»Selbstverständlich«, sagte Wood. Er war ein großer und stämmiger Sechstkläßler, und seine Augen waren voll glühender Begeisterung.»Unser neues Trainingsprogramm. Los jetzt, nimm deinen Besen und laß uns endlich gehen«, sagte Wood energisch.»Von den andern Mannschaften hat noch keine mit dem Training angefangen, dieses Jahr sind wir die Ersten in den Startlöchern -«
Gähnend und ein wenig fröstelnd stieg Harry aus dem Bett und machte sich auf die Suche nach seinem Quidditch-Umhang.
»Bist ein guter Mann«, sagte Wood.»Wir sehen uns in einer Viertelstunde auf dem Feld.«
Harry suchte den scharlachroten Mannschaftsumhang heraus und zog, weil ihm kalt war, seinen Mantel drüber. Dann schrieb er einen Zettel für Ron und stieg mit geschultertem Nimbus Zweitausend die Wendeltreppe hinunter in den Gemeinschaftsraum. Kurz vor dem Porträtloch hörte er hinter sich Getrappel. Colin Creevey raste mit wild umherpendelnder Kamera die Wendeltreppe herunter. In der Hand hielt er etwas umklammert.
»Hab gehört, wie jemand auf der Treppe deinen Namen genannt hat, Harry! Schau mal, was ich hier hab! Ich hab's entwickeln lassen und wollte es dir zeigen -«
Gedankenverloren sah Harry auf das Foto, das ihm Colin unter die Nase hielt.
Ein schwarzweißer Lockhart bewegte sich darauf und zerrte mit Leibeskräften an einem Arm, den Harry als seinen eigenen erkannte. Mit Genugtuung stellte er fest, daß sein Foto-Ich es Lockhart mehr als schwer machte und sich partout nicht ins Blickfeld zerren ließ. Schließlich gab Lockhart auf und sank nach Luft ringend am weißen Bildrand nieder.
»Schreibst du deinen Namen drauf?«, fragte Colin schmeichelnd.
»Nein«, erwiderte Harry schlicht und blickte sich um, ob wirklich niemand im Raum war.»Tut mir Leid, Colin, ich hab's eilig – Quidditch-Training -«
Er kletterte durch das Porträtloch.
»Au klasse! Wart auf mich! Ich hab noch nie ein Quidditch-Spiel gesehen!«
Und Colin kraxelte hinter ihm her.
»Das ist sicher ganz langweilig für dich«, sagte Harry rasch, doch Colin, das Gesicht leuchtend vor Begeisterung, hörte nicht auf ihn.
»Du bist der jüngste Hausspieler seit hundert Jahren, stimmt doch, Harry?«, sagte Colin, neben ihm hertrottend.»Du mußt ein toller Spieler sein. Ich bin noch nie geflogen. Ist es leicht? Ist das dein Besen? Ist das der beste, den es gibt?«
Harry wußte nicht, wie er ihn loswerden konnte. Es war, als hätte er einen äußerst redseligen Schatten.
»Ich versteh eigentlich nichts von Quidditch«, sagte Colin außer Atem.»Stimmt es, daß es vier Bälle gibt? Und zwei davon fliegen herum und wollen die Spieler von den Besen hauen?«
»ja«, sagte Harry mit schwerer Stimme. Wohl oder übel mußte er die schwierigen Quidditch-Regeln erklären.»Sie heißen Klatscher. Es gibt in jeder Mannschaft auch zwei Treiber mit Schlägern, die die Klatscher von den eigenen Leuten wegzujagen versuchen. Fred und George Weasley sind die Treiber für Gryffindor.«
»Und wozu sind die anderen Bälle?«, fragte Colin und stolperte über ein paar Stufen, weil er mit offenem Munde unverwandt Harry anstarrte.
»Nun, der Quaffel – der große rote Ball -, mit dem schießen wir Tore. Die drei Jäger in jeder Mannschaft werfen sich den Quaffel zu und versuchen ihn durch die Tore am Ende des Spielfelds zu kriegen – das sind drei lange Stangen mit Ringen an der Spitze.«
»Und der vierte Ball -«
»- ist der Goldene Schnatz«, sagte Harry,»und der ist sehr klein, sehr schnell und schwer zu fangen. Das ist die Aufgabe des Suchers, denn ein Quidditch-Spiel endet nicht, bevor der Schnatz gefangen ist. Und die Mannschaft, deren Sucher den Schnatz kriegt, bekommt hundertfünfzig Punkte extra.«
»Und du bist der Sucher von Gryffindor, nicht?«, sagte Colin ehrfurchtsvoll.
»ja«, sagte Harry, als sie aus dem Schloßtor gingen und sich auf den Weg über den taugetränkten Rasen machten.»Und dann gibt es noch den Hüter. Er bewacht die Tore. Das war's jetzt aber.«
Doch Colin hörte nicht auf, Harry den ganzen Weg über den Rasen hinunter zum Quidditch-Feld mit Fragen zu löchern, und Harry konnte ihn erst abschütteln, als sie die Umkleidekabinen erreicht hatten.»Ich geh und besorg mir einen guten Platz, Harry!«, rief Colin ihm noch piepsend hinterher, dann rannte er zu den Tribünen.
Die andern aus der Mannschaft von Gryffindor waren schon anwesend, falls man das so nennen konnte. Wood war der Einzige, der wirklich wach aussah. Fred und George Weasley saßen mit geschwollenen Augen und zerzausten Haaren neben der Viertkläßlerin Alicia Spinnet, die schlaftrunken immer wieder einnickte und dabei mit dem Kopf gegen die Wand schlug. Gegenüber saßen Seite an Seite ihre Mitjägerinnen Katie Bell und Angelina Johnson und gähnten.
»Da bist du ja, Harry, wo warst du denn so lange?«, sagte Wood munter.»Nun denn, ich wollte noch kurz mit euch reden, bevor wir rausgehen aufs Feld. Den Sommer über habe ich nämlich ein ganz neues Trainingsprogramm entwickelt, und ich bin überzeugt, daß es uns den entscheidenden Schritt nach vorn bringt…«
Wood hielt eine große Tafel mit dem Plan des Quidditch-Feldes in die Höhe. Mit Tinten in verschiedenen Farben waren Linien, Pfeile und Kreuze darauf eingezeichnet. Wood zückte seinen Zauberstab, tippte auf die Tafel, und die Pfeile begannen über den Plan zu krabbeln wie Raupen. Während er seinen Vortrag über die neue Spieltaktik hielt, sank Fred Weasleys Kopf auf Alicia Spinnets Schulter und er begann zu schnarchen.
Wood brauchte zwanzig Minuten, um die Tafel zu erläutern, doch unter der war noch eine zweite, und darunter noch eine dritte. Harry döste ein, während Wood unablässig weiterplapperte.
»So«, sagte Wood endlich und riß Harry aus einem wohligen Dämmerschlaf, in dem er sich vorstellte, was er in diesem Augenblick oben im Schloß zum Frühstück verspeisen könnte.»Ist alles klar? Noch Fragen?«
»Ich hab eine Frage, Oliver«, sagte der aus dem Schlaf hochgeschreckte George.»Warum hast du uns das nicht gestern erzählt, als wir wach waren«
Wood war nicht entzückt.
»Nun hört mal zu, ihr Schlafmützen«, sagte er und sah sie alle finster an.»Wir hätten letztes Jahr den Quidditch-Pokal gewinnen müssen. Wir sind bei weitem das beste Team. Doch unglücklicherweise – aufgrund von Ereignissen, die wir nicht vorhersehen konnten -«
Harry rutschte unruhig auf seinem Platz umher. Beim Endspiel letztes Jahr hatte er bewußtlos im Krankenflügel gelegen, Gryffindor hatte einen Spieler weniger gehabt und die schlimmste Niederlage seit dreihundert Jahren einstecken müssen.
Wood brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen. Die letzte Niederlage quälte ihn offenbar immer noch.
»Deshalb strengen wir uns dieses Jahr noch mehr an als sonst… Also los, gehen wir und setzen unsere neuen Theorien in die Praxis um!«, rief Wood, packte seinen Besen und marschierte hinaus. Steifbeinig und immer noch gähnend folgte ihm seine Mannschaft.
Sie waren so lange in der Kabine gewesen, daß die Sonne inzwischen ganz aufgegangen war, wenn auch noch Reste des Morgennebels über dem Stadionrasen hingen. Als Harry das Feld betrat, sah er Ron und Hermine auf der Tribüne sitzen.
»Seid ihr noch nicht fertig?«, rief Ron ungläubig.
»Haben noch nicht mal angefangen«, entgegnete Harry und schielte neidisch auf die Toasts mit Marmelade, die Ron und Hermine aus der Großen Halle mitgebracht hatten.»Wood hat uns neue Spielzüge erläutert.«
Er bestieg seinen Besen, stieß sich vom Boden ab und sauste hoch in die Lüfte. Die kühle Morgenluft peitschte ihm ins Gesicht und weckte seine Lebensgeister gründlicher als Woods langatmiger Vortrag. Ein wunderbares Gefühl, wieder auf dem Quidditch-Feld zu sein. Mit vollem Karacho sauste er um das Stadion und jagte Fred und George hinterher.
»Was ist das für ein komisches Klicken?«, rief Fred, als sie sich in eine Kurve legten.
Harry blickte hinunter auf die Ränge. Colin saß auf einem der höchsten Plätze, hielt die Kamera vor die Augen und schoß ein Foto nach dem andern. In dem fast menschenleeren Stadion klang das Klicken merkwürdig laut.
»Schau hierher, Harry, hierher!«, rief er schrill.
»Wer ist denn das?«, sagte Fred.
»Keine Ahnung«, log Harry und legte einen Spurt ein, um möglichst weit von Colin wegzukommen.
»Was geht da vor?«, sagte Wood stirnrunzelnd und kam zu ihnen herübergeglitten.»Warum macht dieser Erstklässler Fotos? Ich mag das nicht. Womöglich ist er ein Spion der Slytherins, der unser neues Trainingsprogramm auskundschaften will.«
»Er ist ein Gryffindor«, sagte Harry rasch.
»Und die Slytherins brauchen keinen Spion, Oliver«, sagte George.
»Wieso«, fragte Wood gereizt.
»Weil sie selbst hier sind«, sagte George und deutete auf die Erde.
Mehrere Gestalten in grünen Umhängen und mit Besen in den Händen schritten auf das Feld zu.
»Ist doch nicht zu fassen!«, zischte Wood empört.»Ich hab das Feld für heute gebucht! Das werden wir ja sehen«
Wood schoß zur Erde und schlug in seinem Zorn doch etwas härter auf als beabsichtigt. Mit zitternden Knien stieg er vom Besen. Harry, Fred und George folgten ihm.
»Flint!«, bellte Wood den Kapitän der Slytherins an,»das ist unsere Trainingszeit! Wir sind extra früh aufgestanden! Ihr könnt gleich wieder Leine ziehen!«
Marcus Flint war sogar noch größer als Wood. Mit trollhaft durchtriebener Miene antwortete er:»Ist doch Platz genug für uns alle da, Wood.«
Auch Angelina, Alicia und Katie kamen herüber. Mädchen gab es keine im Team der Slytherins; allesamt grinsend standen sie jetzt Schulter an Schulter vor den Gryffindors.
»Aber ich hab das Feld gebucht«, sagte Wood, jetzt buchstäblich spuckend vor Wut.»Ich hab's gebucht!«
»Aah«, sagte Flint.»Ich habe hier allerdings eine von Professor Snape persönlich unterzeichnete Erklärung: >Ich, Professor S. Snape, erteile dem Slytherin-Team die Erlaubnis, am heutigen Tage auf dem Quidditch-Feld zu trainieren aufgrund der Notwendigkeit, ihren neuen Sucher auszubilden.<«
»Ihr habt einen neuen Sucher?«, sagte Wood verwirrt.»Wen?«
Und hinter den sechs stämmigen Gestalten vor ihnen kam ein siebter, kleinerer Junge zum Vorschein, über das ganze bleiche, spitze Gesicht feixend. Es war Draco Malfoy.
»Bist du nicht der Sohn von Lucius Malfoy?«, fragte Fred und musterte Malfoy geringschätzig.
»Komisch, daß du Dracos Vater erwähnst«, sagte Flint, und die Slytherin-Mannschaft setzte ein noch breiteres Grinsen auf.»Seht mal her, was für ein großzügiges Geschenk er dem Slytherin-Team gemacht hat.«
Alle sieben hielten ihre Besen in die Höhe. Sieben auf Hochglanz polierte, brandneue Besenstiele und siebenmal die Aufschrift in gediegenen Goldlettern, die unter den Nasen der Gryffindors in der frühen Morgensonne schimmerten:»Nimbus Zweitausendeins«.
»Das allerneueste Modell. Kam erst letzten Monat raus«, sagte Flint lässig und blies ein Staubkorn von der Spitze seines Besenstiels.»Ich glaube, er schlägt den alten Zweitausender um Längen. Und was die alten Sauberwischs angeht«- gehässig lächelte er Fred und George an, die ihre Sauberwischs Fünf in Händen hielten -»damit könnt ihr die Tafel wischen.«
Die Gryffindors waren für den Moment vollkommen sprachlos. Malfoy feixte so breit, daß seine Augen sich zu Schlitzen verengten.
»Oh, sieh mal«, sagte Flint,»was für ein Ansturm.«
Ron und Hermine kamen über den Rasen, um nachzusehen, was da passierte.
»Was ist los?«, fragte Ron Harry,»warum spielt ihr nicht? Und was macht eigentlich der hier?«
Das galt Malfoy, der sich gerade den Quidditch-Umhang der Slytherins überwarf.
»Ich bin der neue Sucher der Slytherins, Weasley«, sagte Malfoy mit blasierter Miene.»Wir sind gerade dabei, die Besen zu bewundern, die mein Vater unserer Mannschaft geschenkt hat.«
Ron starrte mit offenem Mund auf die sieben Superbesen vor ihm.
»Gut, nicht wahr?«, sagte Malfoy mit gleichmütiger Stimme.»Aber vielleicht schaffen es die Gryffindors ja, ein wenig Gold aufzutreiben und sich ebenfalls neue Besen zuzulegen. Ihr könntet eure Sauberwischs Fünf verscheuern, vielleicht hat ein Museum Interesse dran.«
Die Slytherins brachen in johlendes Gelächter aus.
»Zumindest mußte sich keiner von den Gryffindors in das Team einkaufen«, sagte Hermine mit schneidender Stimme.»Die sind nämlich nur wegen ihres Könnens reingekommen.«
Malfoys blasiertes Gesicht begann zu flackern.
»Keiner hat dich nach deiner Meinung gefragt, du dreckiges kleines Schlammblut«, blaffte er sie an.
Harry spürte Sofort, daß Malfoy etwas ganz Schlimmes gesagt haben mußte, denn er hatte den Mund noch nicht zugemacht, als auch schon ein Aufschrei zu hören war. Mit einem Hechtsprung stellte sich Flint vor Malfoy, damit Fred und George sich nicht auf ihn werfen konnten, und Alicia kreischte»Wie kannst du es wagen!«. Ron zog seinen Zauberstab aus dem Umhang und schrie:»Dafür wirst du bezahlen, Malfoy!«Wutentbrannt richtete er den Zauberstab auf Malfoys Gesicht, das unter Flints Armen hervorlugte.
Ein lauter Knall hallte im Stadion wider, ein grüner Lichtstrahl schoß aus dem falschen Ende von Rons Zauberstab heraus, traf ihn in den Magen und schleuderte ihn in hohem Bogen rücklings ins Gras.
»Ron, Ron! Alles in Ordnung mit dir?«, kreischte Hermine.
Ron öffnete den Mund, um zu sprechen, doch er brachte kein Wort heraus. Stattdessen gab er einen dröhnenden Rülpser von sich, und ein Dutzend Schnecken kullerten ihm aus dem Mund in den Schoß.
Die Slytherins krümmten sich vor Lachen. Flint mußte sich auf seinen neuen Besen stützen, um nicht umzufallen. Malfoy lag auf allen Vieren und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden. Die Gryffindors schlossen einen Kreis um Ron, der ständig große, glänzende Schnecken hervorwürgte. Keiner schien ihn berühren zu wollen.
»Wir schaffen ihn am besten zu Hagrid, das ist am nächsten«, sagte Harry zu Hermine. Die nickte mutig und die beiden zogen Ron an den Armen in die Höhe.
»Was ist passiert, Harry? Was ist passiert? Ist er krank? Aber du kannst ihn doch gesund machen, oder?«Colin war von seinem Platz auf der Tribüne heruntergerannt und tänzelte neben ihnen her, während sie das Feld verließen. Ein heftiges Würgen, und noch mehr Schnecken kullerten Ron den Bauch hinunter.
»Oooh«, sagte Colin fasziniert und hob die Kamera.»Kannst du ihn still halten, Harry?«
»Aus dem Weg jetzt, Colin«, sagte Harry unwirsch. Er und Hermine stützten Ron auf dem Weg hinaus aus dem Stadion und über die Felder zum Waldrand.
»Wir sind fast da, Ron«, sagte Hermine, als die Hütte des Wildhüters in Sicht kam.»Gleich geht's dir besser – ein paar Schritte noch -«
Sie waren sieben Meter vor Hagrids Hütte, als die Tür aufflog. Doch es war nicht Hagrid, der herauskam. Gilderoy Lockhart kam herausgeschritten, heute in einem hauchzart malvenfarben getönten Umhang.
»Schnell, da rüber«, zischte Harry und zerrte Ron hinter ein nahes Gebüsch. Hermine folgte etwas widerstrebend.
»Es ist ganz einfach, wenn Sie wissen, was Sie zu tun haben«, sagte Lockhart mit lauter Stimme zu Hagrid,»Sie wissen, wo Sie mich finden, falls Sie Hilfe brauchen. Ich lass Ihnen mein Buch zukommen, es wundert mich, daß Sie es noch nicht haben. Ich signiere heute Abend eines und schick es rüber. Nun denn, auf Wiedersehen!«Und er marschierte in Richtung Schloss davon.
Harry wartete, bis Lockhart außer Sicht war, dann zog er Ron hinter dem Busch hervor und half ihm weiter zu Hagrids Tür, wo sie laut anklopften.
Hagrid öffnete auf der Stelle, allerdings recht mißmutig dreinblickend. Doch seine Miene hellte sich auf, als er sah, wen er vor sich hatte.
»Hab mich schon gefragt, wann ihr endlich kommt – rein mit euch – dachte, es wäre vielleicht schon wieder Professor Lockhart -«
Harry und Hermine halfen Ron über die Schwelle in die Hütte mit nur einem Raum, in dem in einer Ecke ein riesiges Bett stand und in der anderen ein munteres Feuer prasselte. Sie ließen Ron in einen Sessel sinken und Harry erklärte rasch, was vorgefallen war. Hagrid schien sich nicht sonderlich an Rons Schneckenproblem zu stören.
»Besser raus als rein«, sagte er gut gelaunt und stellte eine großen Kupferwanne vor Ron auf #Nur immer raus damit, Ron.«
»Ich glaube, wir können nichts tun außer abwarten, bis es aufhört«, sagte Hermine bedrückt, während sich Ron über die Wanne beugte.»Schon wenn man in Form ist, ist das ein schwieriger Fluch, aber mit einem zerbrochenen Zauberstab -«
Hagrid war emsig damit beschäftigt, ihnen Tee zu kochen. Fang, sein Saurüde, sabberte über Harrys Umhang.
»Was wollte Lockhart eigentlich bei dir, Hagrid?«, fragte Harry und kratzte Fang an den Ohren.
»Hat mich beraten, wie man Wassergeister aus einer Quelle rauskriegt«, brummte Hagrid, dabei räumte er einen halb gerupften Hahn vom geschrubbten Tisch und setzte den Teekessel auf.»Als ob ich das nicht selbst wüßte. Und hat groß angegeben mit einer Todesfee, die er gebannt hat. Wenn davon auch nur ein Wort wahr ist, futtere ich meinen Kessel auf.«
Es sah Hagrid gar nicht ähnlich, einen Lehrer von Hogwarts zu kritisieren, und Harry blickte ihn überrascht an. Hermine jedoch sagte mit einer etwas höheren Stimme als sonst:»Ich glaub, du bist ein bißchen unfair. Professor Dumbledore war ja offensichtlich der Meinung, er sei der beste Mann für diese Aufgabe.«
»Er war der einzige Mann für diese Aufgabe«, sagte Hagrid und bot ihnen einen Teller mit Sirupbonbons an, während Ron keuchend in seine Wanne würgte.»Und das meine ich wörtlich. Wird langsam ziemlich schwierig, jemanden für diese Arbeit zu finden. Die Leute sind nicht besonders scharf drauf sich mit den dunklen Künsten rumzuschlagen. Allmählich glauben sie, es bringt Unglück. Seit einiger Zeit hält keiner mehr besonders lange durch. Aber erklärt mal«, sagte Hagrid und nickte mit dem Kopf zu Ron hinüber,»wen wollte er eigentlich mit dem Fluch belegen?«
»Malfoy hat Hermine beschimpft – muß wirklich schlimm gewesen sein, denn alle sind ausgerastet -«
»Es war schlimm«, sagte Ron heiser und tauchte bleich und schwitzend über der Tischplatte auf,»Malfoy hat sie >Schlammblut(genannt, Hagrid.«
Er würgte eine neue Welle von Schnecken herauf und tauchte wieder ab. Hagrid war blanker Zorn ins Gesicht gestiegen.
»Das hat er nicht«, knurrte er Hermine an.
»Hat er doch«, sagte sie,»aber ich weiß nicht, was es bedeutet. Natürlich hab ich mitgekriegt, daß es wirklich übel war -«
»Das ist so ziemlich das Gemeinste, was ihm einfallen konnte«, keuchte Ron und tauchte wieder auf.»Schlammblut ist ein wirklich schlimmes Schimpfwort für jemanden, der aus einer Muggelfamilie stammt – du weißt ja, mit Eltern, die keine Zauberer sind. Es gibt ein paar Zauberer, wie Malfoys Familie, die glauben, sie wären besser als alle andern, weil sie das sind, was die Leute reinblütig nennen.«Er rülpste leise und eine einsame Schnecke flog ihm in die ausgestreckte Hand. Er warf sie in die Wanne und fuhr fort:»Wir andern wissen ja, daß es überhaupt keinen Unterschied macht. Seht euch Neville Longbottom an – er ist reinblütig und kann kaum einen Kessel richtig herum aufstellen.«
»Und einen Zauber, den unsere Hermine nicht schafft, müssen sie erst noch erfinden«, sagte Hagrid stolz, und Hermines Gesicht lief leuchtend magentarot an.
»Abscheulich, jemanden so zu nennen«, sagte Ron und wischte sich mit zitternder Hand die schweißnasse Stirn,»schmutziges Blut, gewöhnliches Blut. Verrückt. Heute haben die meisten Zauberer ohnehin gemischtes Blut. Wenn wir keine Muggel geheiratet hätten, wären wir ausgestorben.«
Wieder begann er zu würgen und tauchte ab.
»Tja, ich mach dir keinen Vorwurf, weil du ihm einen Fluch auf den Hals jagen wolltest«, sagte Hagrid laut, da noch mehr Schnecken geräuschvoll in die Wanne klatschten.»Aber vielleicht ist es ganz gut, daß dein Zauberstab nach hinten losgegangen ist. Ich vermute mal, daß Lucius Malfoy schnurstracks zur Schule marschiert wäre, wenn du seinen Sohn mit einem Fluch belegt hättest. Wenigstens bist du jetzt nicht in Schwierigkeiten.«
Harry wollte ihn gerade darauf hinweisen, daß man durchaus in Schwierigkeiten war, wenn einem Schnecken aus dem Mund kullerten, doch er konnte nicht. Hagrids Sirupbonbon hatte ihm die Zähne verklebt.
»Harry«, sagte Hagrid, als ob ihm plötzlich etwas eingefallen wäre,»mit dir muß ich noch ein Hühnchen rupfen. Wie ich höre, verteilst du Autogrammkarten. Wie kommt es, daß ich noch keine hab?«
Wütend riß Harry die verklebten Zähne auseinander.
»Ich vergebe keine Autogrammkarten«, sagte er aufgebracht.»Wenn Lockhart das immer noch behauptet -«
Doch dann sah er Hagrid lächeln.
»War nur 'n Witz«, sagte er, klopfte Harry freundschaftlich auf den Rücken, so daß er mit dem Kinn auf den Tisch knallte.»Ich wußte schon, daß es nicht stimmt. Hab Lockhart gesagt, daß du es nicht nötig hättest. Du bist ohnehin berühmter als er, auch wenn du keinen Finger rührst.«
»Wette, das hat er gar nicht gern gehört«, sagte Harry, der sich wieder aufgesetzt hatte und sich das schmerzende Kinn rieb.
»Das kannst du wohl glauben«, sagte Hagrid augenzwinkernd.»Und als ich ihm dann noch gesagt hab, daß ich kein Buch von ihm gelesen hätte, wollte er gehen. Sirupbonbon, Ron?«, fügte er hinzu, als Ron wieder auftauchte.
»Nein danke«, sagte Ron matt,»das riskier ich besser nicht.«
»Kommt mal mit und seht euch an, was ich angepflanzt hab«, sagte Hagrid, als Harry und Hermine ihren letzten Schluck Tee getrunken hatten.
Auf dem kleinen Gemüsebeet hinter Hagrids Haus wuchsen ein Dutzend der größten Kürbisse, die Harry je gesehen hatte. jeder war so groß wie ein mächtiger Findling.
»Wachsen gut, oder?«, sagte Hagrid glücklich.»Für das Halloween-Fest… bis dahin sollten sie groß genug sein.«
»Womit hast du sie denn gedüngt?«, fragte Harry.
Hagrid sah sich um, ob sie allein waren.
»Nun, ich hab ihnen – weißt du – ein wenig geholfen -«
Harry sah Hagrids geblümten rosa Schirm an der Rückwand der Hütte lehnen. Schon früher hatte Harry den Verdacht gehabt, daß dieser Schirm nicht so harmlos war, wie er aussah. Tatsächlich war er sich fast sicher, daß Hagrids alter Schulzauberstab darin versteckt war. Hagrid durfte eigentlich nicht zaubern. Er war im dritten Schuljahr aus Hogwarts verstoßen worden, doch hatte Harry nie herausgefunden, warum… fiel auch nur ein Wort darüber; dann räusperte sich Hagrid laut und wurde auf mysteriöse Weise taub, bis man das Thema wechselte.
»Ein Schwellzauber, nehme ich an?«, sagte Hermine, hin- und hergerissen zwischen Mißbilligung und Vergnügen.»Nun, da hast du wirklich ganze Arbeit geleistet.«
»Das hat deine kleine Schwester auch gesagt«, meinte Hagrid zu Ron hinübernickend.»Hab sie erst gestern getroffen.«Mit zuckendem Bart sah er aus den Augenwinkeln Harry an.»Sagte, sie wolle sich nur mal die Ländereien anschauen, aber ich wette, sie hat gehofft, bei mir zufällig noch jemand anderen zu treffen.«Er zwinkerte Harry zu.»Wenn du mich fragst, sie würde nicht nein sagen zu einem Autogramm -«
»Ach, hör doch auf damit«, sagte Harry. Ron brach in röhrendes Gelächter aus und besprenkelte den Erdboden mit Schnecken.
»Paß auf!«, dröhnte Hagrid und zog Ron von seinen wertvollen Kürbissen weg.
Es war jetzt bald Zeit zum Mittagessen und da Harry seit dem Aufstehen nur ein Sirupbonbon verspeist hatte, zog es ihn in die Schule. Sie verabschiedeten sich von Hagrid und gingen hoch zum Schloss. Ron gluckste zwar noch ein paarmal, doch es kamen nur noch zwei winzige Schnecken zum Vorschein.
Kaum hatten sie die Eingangshalle betreten, als auch schon eine laute Stimme ertönte.»Da sind Sie ja, Potter – Weasley.«
Professor McGonagall schritt mit ernster Miene auf sie zu.»Sie beide werden heute Abend ihre Strafarbeiten erledigen.«
»Was müssen wir tun, Professor?«, fragte Ron und versuchte hektisch einen Rülpser zu unterdrücken.
»Sie polieren das Silber im Pokalzimmer zusammen mit Mr Filch«, sagte Professor McGonagall.»Und keine Zauberei, Weasley – Armschmalz.«
Ron schluckte. Alle Schüler des Schlosses haßten Argus Filch, den Hausmeister.
»Und Sie, Potter, helfen Professor Lockhart dabei, seine Fanpost zu beantworten«, sagte Professor McGonagall.
»O n-, Professor, kann ich nicht auch ins Pokalzimmer?«, sagte Harry verzweifelt.
»Auf keinen Fall«, sagte Professor McGonagall und zog die Augenbrauen hoch.»Professor Lockhart hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt. Pünktlich um acht, Sie beide.«
Vollkommen niedergeschlagen schlurften Harry und Ron in die Große Halle. Hermine hinter ihnen hatte ihre Schließlich habt ihr die Schulregeln gebrochen-Miene aufgesetzt. Harry schmeckte sein Auflauf mit Hackfleisch und Kartoffeln nicht so gut, wie er erwartet hatte. Beide waren fest davon überzeugt, das schlechtere Los gezogen zu haben.
»Filch wird mich die ganze Nacht dabehalten«, sagte Ron trübselig.»Keine Zauberei! In dem Zimmer müssen doch über hundert Pokale stehen. Im Putzen nach Muggelart bin ich gar nicht gut.«
»Ich würd ja jederzeit tauschen«, sagte Harry mit hohler Stimme.»Bei den Dursleys hab ich 'ne Menge Übung bekommen. Aber Lockharts Fanpost beantworten… der wird ein Alptraum sein…«
Der Samstagnachmittag schien rasch dahinzuschmelzen, und kaum hatten sie sich versehen, war es auch schon fünf vor acht. Harry schleppte sich den Gang im zweiten Stock entlang zu Lockharts Büro. Er biß die Zähne zusammen und klopfte.
Prompt flog die Tür auf Lockhart strahlte auf ihn herab.
»Ah, da ist ja der kleine Taugenichts!«, sagte er.»Kommen Sie rein, Harry, nur herein mit Ihnen -«
Entlang der Wände spiegelten zahllose gerahmte Fotos von Lockhart das Licht der vielen Kerzen wider. Ein paar der Bilder hatte er sogar mit seinem Namenszug versehen. Und auf dem Schreibtisch stapelten sich noch mehr Fotos.
»Sie können die Umschläge adressieren!«, wies Lockhart Harry an, als ob dies eine besondere Gunst wäre.»Dieser erste geht an die gute Gladys Gudgeon – großer Fan von mir -«
Die Minuten schlichen dahin. Harry ließ Lockharts Worte an sich abtröpfeln und sagte gelegentlich»Mmm«und»Stimmt«und»Ja«. Hin und wieder fing er einen Satz auf wie:»Ruhm ist ein tückischer Begleiter, Harry«, oder:»Berühmt sein heißt, ruhmreich zu handeln, merken Sie sich das.«
Die Kerzen brannten zur Neige und warfen ihr flackerndes Licht über die vielen Gesichter Lockharts, die Harry ansahen. Mit schmerzender Hand schrieb Harry auf den wohl tausendsten Umschlag die Adresse einer Veronica Smethley. Muß bald Zeit sein zu gehen, dachte Harry betrübt, bitte laß es bald Zeit sein
Und dann hörte er etwas – etwas ganz anderes als das Zischen der ausgehenden Kerzen und Lockharts Gebrabbel über seine Fans.
Es war eine Stimme, eine Stimme, die ihm das Knochenmark gefrieren ließ, eine Stimme, erfüllt von eiskaltem Haß.
»Komm… komm zu mir… laß mich dich zerreißen… laß mich dich zerfetzen… laß mich dich töten…«
Harry fiel fast vom Stuhl und ein großer lila Fleck breitete sich auf Veronica Smethleys Straße aus.
»Was?«, sagte er laut.
»Ich weiß«, sagte Lockhart,»sechs Monate an der Spitze der Bestsellerliste! Hab alle Rekorde gebrochen!«
»Nein«, sagte Harry fiebrig,»diese Stimme!«
»Wie bitte?«, sagte Lockhart verdutzt,»welche Stimme?«
»Diese – diese Stimme, die gesagt hat – haben Sie es nicht gehört?«
Lockhart sah Harry höchst erstaunt an.
»Wovon reden Sie eigentlich, Harry? Vielleicht sind Sie allmählich ein wenig dösig? Großer Scott – was sagt denn die Uhr! jetzt sind wir schon fast vier Stunden hier! Ist doch nicht zu fassen – wie die Zeit verflogen ist«
Harry sagte nichts. Er lauschte angestrengt, um die Stimme noch einmal zu hören, doch niemand sprach, außer Lockhart, der ihm erklärte, er dürfe nicht erwarten, bei jeder Strafarbeit so gut wegzukommen wie diesmal. Wie betäubt ging Harry zur Tür hinaus.
Es war so spät, daß der Gemeinschaftsraum der Gryffindors schon fast leer war. Harry ging gleich weiter in den Schlafsaal. Ron war noch nicht zurück. Harry zog seinen Schlafanzug an, stieg ins Bett und wartete. Eine halbe Stunde später kam Ron herein. Er brachte einen durchdringenden Politurgeruch in den dunklen Saal und massierte sich den rechten Arm.
»Meine Muskeln sind alle ganz verspannt«, stöhnte er und ließ sich aufs Bett fallen.»Vierzehnmal hat er mich diesen Quidditch-Pokal auf Hochglanz bringen lassen, bis er zufrieden war. Und dann hatte ich noch einen Schneckenausbruch über einem Pokal für Besondere Verdienste um die Schule. Hat ewig gedauert, bis der Schleim runter war… wie war's mit Lockhart?«
Mit leiser Stimme, um Neville, Dean und Seamus nicht aufzuwecken, wiederholte Harry jedes Wort, das er gehört hatte.
»Und Lockhart meinte, er hätte es nicht gehört?«, fragte Ron. Im Mondlicht sah ihn Harry die Stirn runzeln.»Glaubst du, er hat gelogen? Aber ich versteh's nicht – selbst ein Unsichtbarer hätte ja die Tür öffnen müssen.«
»Ich weiß«, sagte Harry. Er lehnte sich in seinem Himmelbett zurück und starrte auf den Baldachin über ihm.»Ich versteh's auch nicht.«