123301.fb2 Harry Potter und die Kammer des Schreckens - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

Harry Potter und die Kammer des Schreckens - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

Der Duellierclub

Als Harry am Sonntagmorgen aufwachte, hatte die Wintersonne den Krankensaal in gleißendes Licht getaucht. Er spürte zwar neue Knochen im Arm, konnte ihn allerdings noch nicht bewegen. Rasch setzte er sich auf und sah hinüber zu Colins Bett, doch jetzt versperrte ihm der lange Vorhang die Sicht, hinter dem sich Harry tags zuvor umgezogen hatte. Madam Pomfrey bemerkte, daß er wach war, und kam mit einem Frühstückstablett zu ihm. Dann begann sie seinen Arm und seine Finger zu dehnen und zu strecken.

»Alles in Ordnung«, sagte sie, während er sich mit der linken Hand unbeholfen Haferbrei in den Mund löffelte.»Wenn du aufgegessen hast, darfst du gehen.«

Harry zog sich so schnell er konnte an und machte sich rasch auf den Weg zum Gryffindor-Turm, voller Ungeduld, Ron und Hermine von Colin und Dobby zu erzählen. Doch sie waren nicht da. Harry ging wieder hinaus, um nach ihnen zu suchen. Wo konnten sie abgeblieben sein? Ein wenig beleidigt war er schon, daß es sie nicht interessierte, ob er nun seine Knochen wiederhatte oder nicht.

Als er an der Bibliothek vorbeiging, kam Percy Weasley herausgeschlendert, diesmal offenbar viel besser gelaunt als bei ihrem letzten Zusammentreffen.

»Ach, hallo, Harry«, sagte er.»Glänzender Flug gestern, wirklich ausgezeichnet. Gryffindor hat gerade die Führung im Kampf um den Hauspokal übernommen; du hast fünfzig Punkte geholt!«

»Du hast nicht zufällig Ron oder Hermine gesehen?«, fragte Harry.

»Nein, hab ich nicht«, antwortete Percy und sein Lächeln verblaßte.»Ich hoffe, Ron treibt sich nicht schon wieder in einer Mädchentoilette rum…«

Harry lachte gekünstelt, wartete, bis Percy außer Sicht war, und machte sich dann schnurstracks auf den Weg zum Klo der Maulenden Myrte. Er konnte sich zwar nicht denken, warum Ron und Hermine schon wieder dort drin sein sollten, doch nachdem er sich vergewissert hatte, daß weder Filch noch irgendwelche Vertrauensschüler auf dem Gang waren, öffnete er die Tür. Aus einer verriegelten Kabine hörte er ihre Stimmen.

»Ich bin's«, sagte er und schloß die Tür hinter sich. Von drinnen hörte er ein metallisches Klirren, Wasser spritzen und einen spitzen Aufschrei, dann sah er Hermines Auge durch das Schlüsselloch spähen.»Harry!«, sagte sie.»Hast du uns erschreckt! Komm rein – wie geht's deinem Arm?«

»Gut«, sagte Harry und zwängte sich in die Kabine. Auf der Kloschüssel stand ein alter Kessel, und ein prasselndes Geräusch sagte Harry, daß sie darunter ein Feuer entfacht hatten. Tragbare, wasserdichte Feuer heraufzubeschwören, war eine Spezialität Hermines.

»Wir wären dich ja besuchen gekommen, aber dann haben wir beschlossen, mit dem Vielsaft-Zaubertrank anzufangen«, erklärte Ron, während Harry mühsam die Tür hinter sich verriegelte.»Wir haben uns überlegt, daß wir ihn am besten hier verstecken.«

Harry begann von Colin zu erzählen, doch Hermine unterbrach ihn:

»Das wissen wir schon, wir haben gehört, wie Professor McGonagall es heute Morgen Professor Flitwick gesagt hat. Darum haben wir beschlossen, gleich loszulegen -«

»Je schneller wir ein Geständnis aus Malfoy rausholen, desto besser«, knurrte Ron.»Wißt ihr, was ich glaube? Er war nach dem Quidditch-Match ganz miserabler Laune und hat sie an Colin ausgelassen.«

»Da ist noch etwas«, sagte Harry und beobachtete Hermine, wie sie büschelweise Knöterich zerrupfte und in das Gebräu warf,»Mitten in der Nacht hat Dobby mich besucht.«

Ron und Hermine hoben verblüfft die Köpfe. Harry zählte ihnen, was Dobby ihm gesagt – oder vielmehr nicht gesagt hatte. Ron und Hermine lauschten mit offenen Mündern.

»Die Kammer des Schreckens wurde schon einmal geöffnet?«, fragte Hermine.

»Damit ist die Sache klar«, sagte Ron triumphierend.»Lucius Malfoy muß die Kammer geöffnet haben, als er hier in der Schule war, und jetzt hat er dem lieben alten Draco verraten, wie es geht. Glasklar. Hätte dir Dobby doch bloß gesagt, was für ein Monster dadrin ist. Ich möchte wissen, wie es kommt, daß noch niemand gesehen hat, wie es in der Schule herumschleicht.«

»Vielleicht kann es sich unsichtbar machen«, sagte Hermine, die gerade Blutegel auf dem Kesselboden zerstampfte.»Oder vielleicht kann es sich verkleiden und so tun, als wäre es eine Rüstung oder so was: ich hab gelesen, daß es Chamäleon-Ghule gibt -«

»Du hast zu viel gelesen, Hermine«, sagte Ron und schüttete den Blutegeln tote Florfliegen hinterher. Er knüllte die leere Florfliegentüte zusammen und wandte sich zu Harry um.

»Also hat Dobby uns den Zug verpassen lassen und deinen Arm gebrochen…«Er schüttelte den Kopf,»Weißt du was, Harry? Wenn er nicht aufhört, dein Leben retten zu wollen, bringt er dich sicher noch um.«Die Nachricht, daß Colin Creevey angegriffen worden war und jetzt wie tot im Krankenflügel lag, hatte sich bis Montagmorgen in der ganzen Schule herumgesprochen. Plötzlich schwirrte die Luft von Gerüchten und Verdächtigungen. Die Erstklässler gingen jetzt nur noch in Grüppchen durch das Schloss, als ob sie Angst hätten, angegriffen zu werden, wenn sie sich allein auf den Weg machten.

Ginny Weasley, die in Zauberkunst neben Colin Creevey gesessen hatte, war ganz verstört, doch Harry hatte den Eindruck, daß Fred und George das falsche Rezept einsetzten, um sie aufzumuntern. Abwechselnd ließen sie sich Pelze oder Furunkel wachsen und lauerten ihr hinter Statuen auf, um ihr dann mitten in den Weg zu springen. Sie hörten erst damit auf, als Percy vor Wut platzte und ihnen drohte, er werde an Mrs Weasley schreiben und ihr sagen, daß Ginny Alpträume durchlitte.

Unterdessen kam es hinter dem Rücken der Lehrer zu einem blühenden Handel mit Talismanen, Amuletten und anderen schützenden Utensilien. Neville Longbottom kaufte eine große übel riechende grüne Zwiebel und den verwesenden Schwanz eines Wassermolchs, bevor die anderen Gryffindor-Jungen ihn darüber aufklärten, daß er nicht in Gefahr sei; er war ein Reinblüter und würde deshalb wohl nicht angegriffen werden.

»Sie haben sich Filch als Ersten vorgenommen«, sagte Neville, das runde Gesicht voller Angst,»und jeder weiß, daß ich beinahe ein Squib bin.«

In der zweiten Dezemberwoche kam wie üblich Professor McGonagall zu ihnen hoch und notierte sich die Namen der Schüler, die über Weihnachten in Hogwarts bleiben wollten. Harry, Ron und Hermine trugen sich in die Liste ein; sie hatten gehört, daß auch Malfoy dableiben würde, und das kam ihnen sehr verdächtig vor. Die Ferien würden die beste Zeit sein, um den Vielsaft-Trank einzusetzen und zu versuchen, ein Geständnis aus ihm herauszukitzeln.

Leider war das Gebräu erst halb fertig. Sie brauchten noch das Zweihorn-Horn und die Baumschlangenhaut, und die konnten sie sich nur aus Snapes privaten Vorräten beschaffen. Harry verschwieg den andern, daß er lieber dem sagenhaften Monster Slytherins die Stirn bieten würde als von Snape beim Klauen in seinem Büro erwischt zu werden.

»Was wir brauchen«, sagte Hermine entschieden, als die donnerstägliche Doppelstunde Zaubertränke näher rückte,»ist ein Ablenkungsmanöver. Dann kann einer von uns in Snapes Büro schleichen und dort holen, was wir brauchen.«

Harry und Ron sahen sie nervös an.

»Ich glaube, ich mach das besser selbst mit dem Klauen«, fuhr Hermine in sachlichem Ton fort.»Ihr beide werdet rausgeworfen, wenn ihr noch mal was anstellt, und ich habe noch keinen Eintrag. Also müßt ihr nur genug Durcheinander stiften, um Snape etwa fünf Minuten lang in Atem zu halten.«

Harry lächelte matt. Einen Aufruhr in Snapes Klasse zu veranstalten war etwa so ungefährlich wie einem schlafenden Drachen ins Auge zu stechen.

Der Zaubertrankunterricht fand in einem der großen Kerker statt. Am Donnerstagnachmittag ging es wie üblich zu. Zwanzig Kessel brodelten zwischen den Holztischen, auf denen Messingwaagen und Töpfe mit Zutaten standen. Snape durchstreifte die Dampfwolken und machte abfällige Bemerkungen über die Arbeit der Gryffindors, während die Slytherins genüßlich kicherten. Draco Malfoy, Snapes Lieblingsschüler, schnippte dauernd Pufferfischaugen gegen Ron und Harry, die wußten, wenn sie sich rächen würden, bekämen sie schneller Strafarbeiten aufgehalst, als sie»ungerecht«sagen konnten.

Harrys Schwell-Lösung war viel zu dünn, aber das beunruhigte ihn heute wenig. Er wartete auf Hermines Zeichen und hörte kaum zu, als Snape vor ihn trat und über seine wäßrige Suppe spottete. Als Snape weiterging, um Neville zu hänseln, sah Hermine zu Harry hinüber und nickte.

Harry duckte sich rasch hinter seinen Kessel, zog einen von Freds Filibuster-Feuerwerkskrachern aus der Tasche und tippte mit dem Zauberstab dagegen. Der Kracher fing an zu zischen und zu knattern. Harry, der wußte, daß er nur ein paar Sekunden Zeit hatte, zielte und warf ihn durch die Luft; er landete genau im Ziel, nämlich in Goyles Kessel.

Goyles Schwellgebräu explodierte und regnete über der ganzen Klasse herab. Schüler, die einen Tropfen abbekommen hatten, schrien laut auf, Malfoy hatte einen Spritzer mitten ins Gesicht bekommen und seine Nase begann sich zu blähen wie ein Luftballon. Goyle tapste umher, die Hände über den Augen, die zur Größe von Tellern aufgequollen waren. Snape mühte sich nach Kräften, Ruhe in die Klasse zu bringen und herauszufinden, was geschehen war. Im Durcheinander sah Harry, wie Hermine sich in Snapes Büro stahl.

»Ruhe! RUHE«, dröhnte Snape.»Alle, die einen Spritzer abbekommen haben, hier herüber zum Abschwelltrank – wenn ich rauskriege, wer das war -«

Harry versuchte sich das Lachen zu verkneifen, als er sah, wie Malfoy nach vorn rannte, den Kopf vom Gewicht einer melonengroßen Nase zu Boden gezogen. Die halbe Klasse schlurfte vor zu Snapes Tisch. Einige hatten Arme wie unförmige Holzprügel, andere brachten durch ihre gigantisch aufgequollenen Lippen kein Wort mehr heraus. Unterdessen sah Harry, wie Hermine mit aufgebauschtem Umhang wieder in den Kerker glitt.

Als alle einen Schluck des Gegenmittels genommen hatten und die verschiedenen Schwellungen abgeklungen waren, fegte Snape hinüber zu Goyles Kessel und schöpfte die verhedderten schwarzen Überreste des Feuerwerkskörpers heraus. Die Klasse verstummte.

»Wenn ich je rauskriege, wer das getan hat«, zischte Snape.»Dem garantiere ich, daß er rausfliegen wird.«

Harry bemühte sich, seinem Gesicht den Ausdruck von Verwirrung zu geben. Snapes Blick fiel auf ihn, und die Glocke, die zehn Minuten später läutete, war eine Erlösung.

»Er weiß, daß ich es war«, sagte Harry zu Ron und Hermine, nachdem sie wieder ins Klo der Maulenden Myrte gerannt waren.»Das hab ich deutlich gespürt.«

Hermine warf die neuen Zutaten in den Kessel und begann fieberhaft umzurühren.

»In zwei Wochen ist der Trank fertig«, sagte sie glücklich.

»Snape kann nicht beweisen, daß du es warst«, sagte Ron aufmunternd.»Was kann er denn machen?«

»Wie ich Snape kenne, etwas ganz Fieses«, sagte Harry unter dem Schäumen und Blubbern des Zaubertranks.

Als Harry, Ron und Hermine eine Woche später die Eingangshalle durchquerten, bemerkten sie einen kleinen Menschenauflauf um das schwarze Brett, wo soeben ein Pergament angepinnt worden war. Seamus Finnigan und Dean Thomas winkten sie ganz aufgeregt herüber.

»Sie gründen einen Duellierclub!«, sagte Seamus.»Heute Abend ist das erste Treffen! Ich hätte nichts gegen Duellunterricht, wer weiß, vielleicht brauche ich ihn eines Tages…«

»Wie – du denkst, Slytherins Monster wird sich duellieren?«, sagte Ron, doch auch er las den Aushang mit Interesse.

»Könnte nützlich sein«, sagte er auf dem Weg zum Mittagessen zu Harry und Hermine.»Sollen wir hingehen?«

Auch Harry und Hermine hatten Lust, und so eilten sie abends um acht zurück in die Große Halle. Die langen Speisetische waren verschwunden und an einer Wand war eine goldene Bühne aufgetaucht, erleuchtet von tausenden über ihr schwebenden Kerzen. Unter der wieder samtschwarzen Decke schien sich fast die ganze Schule versammelt zu haben, alle mit aufgeregter Miene und bewaffnet mit dem Zauberstab.

»Wer wohl den Unterricht gibt?«, fragte Hermine, als sie sich in die schnatternde Schar drängten.»Vielleicht Flitwick, ich hab gehört, er sei in jungen Jahren ein glänzender Duellkämpfer gewesen.«

»Solange er nicht -«, begann Harry, doch mit einem Stoßseufzer brach er ab: Gewandet in einen prachtvollen pflaumenblauen Umhang betrat Gilderoy Lockhart die Bühne, und ihm folgte, in seinem üblichen schwarzen Umhang, kein anderer als Snape.

Mit einer Armbewegung gebot Lockhart Ruhe.»Kommt näher, hier herüber! Können mich alle sehen? Könnt ihr mich alle hören? Sehr schön!

Nun, Professor Dumbledore hat mir die Erlaubnis erteilt, diesen kleinen Duellierclub zu gründen und euch auszubilden für den Fall, daß ihr euch verteidigen müßt, wie ich selbst es in zahllosen Fällen getan habe – die Einzelheiten lest ihr bitte in meinen Veröffentlichungen nach.

Ich möchte euch meinen Assistenten Professor Snape vorstellen«, sagte Lockhart und ließ ein breites Lächeln aufblitzen.»Er hat mir anvertraut, daß er selbst ein klein wenig vom Duell versteht und sich freundlicherweise bereit erklärt hat, mir anfangs bei einer kleinen Vorführung zu helfen. Nun, ihr jungen Leute braucht euch keine Sorgen zu machen, wenn ich mit ihm fertig bin, bekommt ihr euren Zaubertranklehrer unversehrt wieder, keine Angst!«

»Wär's nicht das Beste, wenn sie sich gegenseitig erledigten?«, murmelte Ron Harry ins Ohr.

Snapes Oberlippe kräuselte sich. Harry fragte sich, weshalb Lockhart eigentlich noch lächelte; wenn Snape ihn so angesehen hätte, hätte er schon längst das Weite gesucht.

Lockhart und Snape wandten sich einander zu und verbeugten sich; wenigstens tat. dies Lockhart mit viel Händegefuchtel, während Snape gereizt mit dem Kopf ruckte. Dann hoben sie ihre Zauberstäbe wie Schwerter in die Höhe.

»Wie ihr seht, halten wir unsere Zauberstäbe in der herkömmlichen Kampfstellung«, erklärte Lockhart der schweigenden Menge.»Ich zähle bis drei und dann sprechen wir unsere ersten Zauberflüche. Natürlich hat keiner von uns die Absicht zu töten.«

»Darauf würd ich nicht wetten«, murmelte Harry und sah Snape die Zähne blecken.

»Eins – zwei – drei -«

Beide schwangen ihre Zauberstäbe über die schultern; Snape rief.»Expelliarmus!«Ein blendend scharlachroter Blitz riß Lockhart von den Füßen: rücklings flog er über die Bühne, knallte gegen die Wand, rutschte an ihr herunter und blieb, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Boden liegen.

Malfoy und einige andere Slytherins johlten. Hermine hüpfte auf den Zehenspitzen herum.»Meint ihr, ihm ist was passiert?«, kreischte sie durch die Finger.

»Na wenn schon«, sagten Harry und Ron wie aus einem Munde.

Lockhart rappelte sich schwankend auf Er hatte den Hut verloren und sein Wellenhaar stand spitz in die Höhe.

»Nun, ihr habt's gesehen«, sagte er und tapste zurück auf die Bühne.»Das war ein Entwaffnungszauber – wie ihr seht, hab ich meinen Zauberstab verloren – ah, danke, Miss Brown – ja, treffliche Idee, ihnen das zu zeigen, Professor Snape, aber verzeihen Sie, wenn ich Ihnen dies sage, es war recht offensichtlich, was Sie vorhatten, und ich hätte es verhindert, wenn ich nur gewollt hätte – allerdings meinte ich, es sei lehrreich, wenn die Schüler es sehen würden…«

Snapes Gesicht hatte einen mörderischen Ausdruck angenommen. Vielleicht war das auch Lockhart aufgefallen, denn er sagte:»Genug der Vorführung! Ich komme jetzt runter und stelle euch alle zu Paaren zusammen – Professor Snape, wenn Sie mir helfen würden -«

Sie gingen durch die Menge und stellten die Schüler partnerweise zusammen. Lockhart stellte Neville neben Justin Finch-Fletchley. Snape erreichte Ron und Harry zuerst.

»Zeit, das Traumpaar zu trennen«, höhnte er.»Weasley, du gehst zu Finnigan. Potter -«

Harry bewegte sich ganz automatisch in Richtung Hermine.

»Das kommt nicht in Frage«, sagte Snape kalt lächelnd.»Mr Malfoy, kommen Sie hier herüber. Schauen wir mal, was Sie aus dem berühmten Potter machen. Und Sie, Miss Granger – Sie gehen mit Miss Bulstrode zusammen.«

Eitel grinsend schritt Malfoy herbei. Hinter ihm kam ein Mädchen aus Slytherin, das Harry an ein Bild erinnerte, das er in Ferien mit Vetteln gesehen hatte. Sie war groß und vierschrötig und ihr schwerer Kiefer mahlte angriffslustig. Hermine schenkte ihr ein mattes Lächeln, doch sie lächelte nicht zurück.

»Stellt euch zum Partner gewandt auf!«, rief Lockhart, inzwischen wieder auf der Bühne.»Und verbeugt euch!«

Harry und Malfoy neigten kaum merklich die Köpfe und ließen sich dabei nicht aus den Augen.

»Zauberstäbe bereit!«, rief Lockhart.»Ich zähle bis drei, dann sprecht ihr eure Zauberflüche und entwaffnet den Gegner – nur entwaffnen – wir wollen keine Unfälle – eins… zwei… drei -«

Harry schwang den Zauberstab über die Schulter, doch Malfoy hatte schon bei»zwei«angefangen: Sein Fluch traf Harry so hart, daß er das Gefühl hatte, ein Suppentopf sei ihm gegen den Kopf geflogen. Er stolperte, doch es schien noch alles an ihm heil zu sein, und ohne Zeit zu verschwenden richtete Harry seinen Zauberstab auf Malfoy:»Rictusempra!«

Ein silberner Lichtstrahl traf Malfoy in den Magen und er knickte keuchend ein.

»Ich sagte, nur entwaffnen!«, rief Lockhart aufgebracht über die Köpfe der kämpfenden Menge hinweg, als Malfoy in die Knie sank; Harry hatte ihn mit einem Kitzelfluch belegt und Malfoy konnte sich vor Lachen kaum bewegen. Harry hatte das Gefühl, es wäre unsportlich, Malfoy zu verhexen, während er auf dem Boden lag, und hielt sich zurück. Doch das war ein Fehler; nach Atem ringend richtete Malfoy seinen Zauberstab auf Harrys Knie, würgte»Tarantallegra!«heraus und im nächsten Augenblick begannen Harrys Beine wild umherzuschlenkern, als tanzte er einen schnellen Foxtrott.

»Aufhören! Aufhören!«, schrie Lockhart, doch Snape nahm die Sache in die Hand.

»Finite Incantatem!«, schrie er; Harrys Beine hörten auf zu tanzen und Malfoy hörte auf zu lachen und beide konnten sich wieder sammeln.

Grünlicher Rauch hing über dem Schlachtfeld. Neville und Justin lagen schwer atmend auf dem Boden; Ron half dem aschfahlen Seamus auf die Beine und entschuldigte sich für was immer auch sein lädierter Zauberstab angestellt haben mochte; doch Hermine und Millicent Bulstrode rauften noch miteinander; Millicent hatte Hermine, die vor Schmerz wimmerte, im Schwitzkasten: die Zauberstäbe der beiden lagen vergessen auf dem Boden. Harry sprang hinüber und riß Millicent weg. Das war nicht einfach, denn sie war viel größer als er.

»Du meine Güte«, sagte Lockhart. Er hüpfte durch die Menge und begutachtete das Trümmerfeld.»Aufstehen, Macmillan… vorsichtig da, Miss Fawcett… drück stark dagegen, Boot, es wird gleich aufhören zu bluten -

»Ich denke, ich zeige euch lieber, wie ihr feindseligen Zauber abblocken könnt«, sagte Lockhart, verwirrt inmitten der Halle stehend. Er sah zu Snape hinüber, dessen schwarze Augen funkelten, und sah rasch wieder weg.»Ich brauche zwei Freiwillige – Longbottom und Finch-Fletchley, wie wär's mit ihnen -«

»Eine schlechte Idee, Professor Lockhart«, sagte Snape und glitt herüber wie eine große Unheil bringende Fledermaus.»Longbottom richtet mit den einfachsten Zaubersprüchen Verheerungen an, da können wir das, was von Finch-Fletchley übrig bleibt, in einer Streichholzschachtel hoch ins Krankenquartier schicken.«Nevilles rundes rosa Gesicht färbte sich dunkelrosa.»Wie wär's mit Malfoy und Potter?«, sagte Snape mit einem schiefen Lächeln.

»Glänzende Idee!«, sagte Lockhart und gestikulierte Harry und Malfoy in die Mitte der Halle. Die Menge wich zurück, um ihnen Platz zu machen.

»Nun, Harry«, sagte Lockhart,»wenn Draco seinen Zauberstab auf Sie richtet, tun Sie dies.«

Er hob seinen eigenen Zauberstab, versuchte eine komplizierte Schlängelbewegung und ließ ihn fallen. Unter dem hämischen Grinsen Snapes hob Lockhart den Zauberstab auf.»Uuups – mein Zauberstab ist ein wenig überhitzt -«

Snape trat zu Malfoy, beugte sich hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. jetzt grinste auch Malfoy. Harry sah nervös zu Lockhart auf:

»Professor, könnten Sie mir diese Abwehrbewegung noch einmal zeigen?«

»Angst?«, murmelte Malfoy so leise, daß Lockhart es nicht hören konnte.

»Hättest du wohl gerne«, sagte Harry aus dem Mundwinkel.

Lockhart patschte Harry fröhlich auf die Schulter:»Machen Sie einfach meine Bewegung nach, Harry!«

»Wie, ich soll meinen Zauberstab fallen lassen?«

Doch Lockhart hörte ihm nicht zu.

»Drei – zwei – eins – los«, rief er.

Malfoy hob rasch seinen Zauberstab und bellte:»Serpensortia!«

Die Spitze des Zauberstabs explodierte. Harry sah mit aufgerissenen Augen, wie eine lange schwarze Schlange daraus hervorschoß, schwer auf den Boden zwischen ihnen klatschte und sich aufrichtete, bereit zum Biß. Schreiend wich die Menge zurück und bildete einen weiten Kreis um sie.

»Nicht bewegen, Potter«, sagte Snape gleichmütig. Er genoß offensichtlich den Anblick des erstarrten Harry, Auge in Auge mit der gereizten Schlange.»Ich schaff sie fort…«

»Erlauben Sie«, rief Lockhart. Drohend schwang er seinen Zauberstab gegen die Schlange und es gab einen lauten Knall; die Schlange, anstatt zu verschwinden, hob sich vier Meter in die Luft und fiel dann mit einem lauten Klatschen zurück auf den Boden. Rasend vor Wut und erregt zischend glitt sie direkt auf Justin Finch-Fletchley zu und richtete sich abermals mit gebleckten Giftzähnen auf,

Harry war sich nicht sicher, was ihn zu seinem Handeln trieb. Er hatte sich nicht einmal bewusst dazu entschieden. Alles, was er wusste, war, daß ihn seine Beine vorwärts trugen, als bewege er sich auf Rollen, und daß er die Schlange dusslig anschrie:»Weg von ihm!«Und wundersamerweise – unerklärlicherweise – sackte die Schlange zu Boden, friedlich wie ein dicker schwarzer Gartenschlauch, und richtete ihre Augen auf Harry. Harry spürte die Angst aus sich weichen. Er wusste, daß die Schlange jetzt niemanden mehr angreifen würde, aber warum er das wusste, hätte er nicht erklären können.

Er sah zu Justin auf und grinste ihn an. Justin hätte eigentlich erleichtert aussehen müssen oder verwirrt oder sogar dankbar – doch gewiß nicht wütend und verängstigt.

»Was treibst du da eigentlich für ein Spiel?«, schrie er, und bevor Harry etwas sagen konnte, hatte er sich umgewandt und war aus der Halle gestürmt.

Snape trat vor, wedelte mit seinem Zauberstab und die Schlange löste sich in ein Wölkchen aus schwarzem Staub auf Auch Snape musterte Harry mit einem Blick, den er nicht erwartet hätte: scharf und berechnend, und Harry mochte diesen Blick nicht. Und nun hob ein merkwürdiges Murmeln entlang der Wände an. jemand hinter ihm zerrte an seinem Umhang.

»Komm«, sagte Rons Stimme in sein Ohr,»beweg dich – komm schon -«

Ron und Hermine nahmen ihn in die Mitte und führten ihn aus der Halle. Als sie durch die Tür gingen, teilte sich die Schar der Schüler zu beiden Seiten, als hätten sie Angst. Harry hatte keine Ahnung, was eigentlich los war, und weder Ron noch Hermine sagten ein Wort, bis sie ihn nach oben in den Gemeinschaftsraum geführt hatten. Ron drückte Harry in einen Sessel und sagte:

»Du bist ein Parselmund. Warum hast du es uns nicht erzählt?«

»Ich bin ein was?«

»Ein Parselmund!«, sagte Ron.»Du kannst mit Schlangen sprechen!«

»Ich weiß«, sagte Harry.»Aber das ist erst das zweite Mal in meinem Leben. Einmal hab ich aus Versehen eine Boaconstrictor im Zoo auf meinen Vetter Dudley losgelassen – lange Geschichte -, aber sie sagte mir, sie sei noch nie in Brasilien gewesen und ich hab sie eigentlich unabsichtlich freigelassen – das war, bevor ich Wusste, daß ich ein Zauberer bin -«

»Eine Boa constrictor hat dir gesagt, sie sei noch nie in Brasilien gewesen?«, wiederholte Ron mit leiser Stimme.

»Na und?«, sagte Harry,»ich wette, eine Menge Leute hier können das.«

»O nein, können sie nicht«, sagte Ron.»Es ist keine sehr verbreitete Gabe. Harry, das ist schlecht.«

»Was ist schlecht?«, sagte Harry, der allmählich etwas ungeduldig wurde.»Was ist eigentlich los mit euch allen? Hör mal, wenn ich dieser Schlange nicht gesagt hätte, daß sie Justin nicht angreifen soll -«

»oh, das hast du ihr gesagt?«

»Was soll das heißen? Du warst dabei – du hast mich doch gehört -«

»Ich hab dich Parsel sprechen gehört«, sagte Ron.»Schlangensprache. Du hättest alles sagen können – kein Wunder, daß Justin panische Angst gekriegt hat, du hast geklungen, als ob du die Schlange anstacheln würdest – es war gruslig, weißt du -«

Harry starrte ihn mit offenem Mund an.

»Ich habe eine andere Sprache gesprochen? Aber – das habe ich nicht gemerkt – wie kann ich eine andere Sprache sprechen, ohne daß ich es weiß?«

Ron schüttelte den Kopf. Er und Hermine sahen aus, als wäre eben jemand gestorben. Harry begriff nicht, was denn so schrecklich sein sollte.

»Willst du mir sagen, was daran falsch ist, wenn ich eine dreckige alte Schlange daran hindere, Justin den Kopf abzubeißen?«, fragte er.»Ist doch egal, wie ich es angestellt habe, solange Justin nicht bei der Kopflosenjagd mitmachen muß«

»Es ist nicht egal«, meldete sich Hermine endlich mit gedämpfter Stimme.»Denn Salazar Slytherin war berühmt dafür, daß er mit Schlangen reden konnte. Deshalb ist das Symbol des Hauses Slytherin eine Schlange.«

Harry klappte der Mund auf.

»Genau«, sagte Ron.»Und jetzt denkt die ganze Schule, du bist sein Urururururgroßenkel oder so ähnlich -«

»Aber das bin ich nicht«, sagte Harry mit einem Anflug von Panik, den er sich selbst nicht recht erklären konnte.

»Das wirst du kaum beweisen können«, sagte Hermine.»Er lebte vor ungefähr einem Jahrtausend; nach allem, was wir wissen, könntest du es sein.«

Harry lag in dieser Nacht noch stundenlang wach. Durch eine Lücke im Vorhang um sein Bett sah er Schnee am Turmfenster vorbeitreiben. Er dachte nach…

Konnte er ein Nachfahre Salazar Slytherins sein? Er wußte schließlich nichts über die Familie seines Vaters. Die Dursleys hatten ihm Fragen über seine Zaubererverwandtschaft immer verboten.

Leise versuchte Harry etwas in der Schlangensprache zu sagen. Doch Worte wollten nicht kommen. Offenbar ging es nur, wenn er einer Schlange in die Augen blickte.

»Aber ich bin in Gryffindor«, dachte Harry.»Der Sprechende Hut hätte mich nicht hierher gesteckt, wenn ich Slytherin-Blut hätte…«

»Ach«, sagte eine boshafte leise Stimme in seinem Gehirn.»Aber der Sprechende Hut wollte dich doch nach Slytherin stecken, erinnerst du dich nicht?«

Harry drehte sich auf die Seite. Morgen würde er Justin in Kräuterkunde treffen und ihm erklären, daß er die Schlange von ihm abgehalten und sie nicht aufgestachelt hatte, was (wie er, wütend sein Kissen zusammenknüllend, dachte) doch jeder Dummkopf hätte erkennen müssen.

Am nächsten Morgen allerdings hatte sich das nächtliche Schneetreiben in einen so dichten Schneesturm verwandelt, daß Kräuterkunde ausfiel: Professor Sprout wollte den Alraunen Socken und Schals überziehen, und das war eine so vertrackte Angelegenheit, daß sie niemand anderen damit betrauen wollte – besonders jetzt, da die Alraunen rasch wachsen und Mrs Norris und Colin Creevey ins Leben zurückholen sollten.

Harry saß am Kaminfeuer im Gemeinschaftsraum und grübelte über den gestrigen Abend nach, während Ron und Hermine die freie Stunde nutzten, um Zaubererschach zu spielen.

»Um Himmels willen, Harry«, sagte Hermine entnervt, als einer von Rons Läufern ihren Springer vom Pferd zerrte und ihn vom Brett schleifte.»Dann geh doch und such Justin, wenn es dir so wichtig ist.«

Also stand Harry auf und stieg durch das Porträtloch. Wo konnte Justin wohl stecken?

Wegen des dichten Schneetreibens war es im Schloß dunkler als sonst tagsüber. Bibbernd vor Kälte ging Harry an den Klassenzimmern vorbei, in denen Unterricht stattfand, und erhaschte dabei augenblicksweise, was drinnen vorging. Professor McGonagall herrschte gerade einen Schüler an, der, nach ihren Worten zu schließen, seinen Freund in einen Dachs verwandelt hatte. Harry widerstand dem Drang, einen Blick hineinzuwerfen, und ging vorbei. Justin nutzte vielleicht seine freie Stunde, um ein wenig zu arbeiten, und Harry beschloß zuerst in der Bibliothek nachzuschauen.

Eine Gruppe von Hufflepuffs, die auch Kräuterkunde gehabt hätten, saßen tatsächlich hinten in der Bibliothek, aber sie schienen nicht zu arbeiten. Durch die langen Reihen hoher Bücherregale konnte Harry sehen, daß sie die Köpfe eng zusammengesteckt hatten und offenbar angespannt miteinander tuschelten. Er konnte nicht erkennen, ob Justin dabei war, und trat näher. Auf dem Weg erhaschte er einen Fetzen ihres Gesprächs, und in der Abteilung Unsichtbarkeit blieb er stehen und lauschte.

»Na, jedenfalls«, sagte ein stämmiger Junge,»hab ich Justin geraten, er solle sich in unserem Schlafsaal verstecken. Ich würde sagen, wenn Potter ihn als sein nächstes Opfer ausersehen hat, dann ist es besser, wenn er sich eine Weile bedeckt hält. Natürlich hat Justin auf so etwas gewartet, seit ihm gegenüber Potter herausgerutscht ist, daß er ein Muggelkind ist. Justin mußte ausgerechnet ihm sagen, daß er eigentlich nach Eton gehen sollte. So was plappert man nicht aus, wenn der Erbe Slytherins auf Jagd ist, oder?«

»Du bist also sicher, daß es Potter ist, Ernie?«, sagte ein Mädchen mit blonden Zöpfen ängstlich.

»Hannah«, erwiderte der stämmige Junge ernst.»Er ist ein Parselmund. Jeder weiß, das ist das Erkennungszeichen eines schwarzen Magiers. Hast du jemals von einem anständigen gehört, der zu Schlangen sprechen konnte? Slytherin selbst haben sie Schlangenzunge genannt.«

Diesen Worten folgte ein lautes Murmeln, und Ernie fuhr fort:

»Erinnert ihr euch, was an der Wand geschrieben stand: Feinde des Erben, nehmt euch in Acht. Potter muß sich mit Filch in die Wolle gekriegt haben. Und kurz danach wird Filchs Katze angegriffen. Dieser Erstkläßler Creevey hat Potter beim Quidditch-Spiel geärgert, weil er Bilder von ihm machte, als Potter im Schlamm lag. Und was passiert kurz danach? Creevey wird angegriffen.«

»Er kommt mir aber immer so nett vor«, sagte Hannah unsicher,»und außerdem, nun ja, er war es immerhin, der Du-weißt-schon-wen verjagt hat. Er kann nicht durch und durch böse sein, oder?«

Ernie senkte geheimnistuerisch die Stimme, die Hufflepuffs beugten sich noch weiter vor und Harry stahl sich näher heran, um Ernies Worte zu erhaschen.

»Keiner weiß, wie er diesen Angriff von Du-weißt-schon-wem überlebt hat. Überlegt doch mal, er war noch ein Baby, als es passierte. Normalerweise wäre er in Stücke gerissen worden. Nur ein wirklich mächtiger schwarzer Magier konnte einen solchen Fluch überleben.«Er senkte die Stimme zu einem eindringlichen Flüstern:»Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ihn Du-weißt-schon-wer überhaupt töten wollte. Wollte keinen anderen Schwarzen Lord haben, der mit ihm um die Macht streitet. ich frag mich, welche anderen Kräfte Potter noch verbirgt?«

Harry hielt es nicht länger aus. Er räusperte sich laut und trat hinter den Regalen hervor. Wenn er nicht so wütend gewesen wäre, hätte er das Schauspiel, das sich ihm bot, lustig gefunden: Die versammelten Hufflepuffs sahen aus, als wären sie von seinem bloßen Anblick versteinert, und aus Ernies Gesicht war jede Farbe gewichen.

»Hallo«, sagte Harry.»Ich bin auf der Suche nach Justin Finch-Fletchley.«

Offensichtlich hatten sich die schlimmsten Befürchtungen der Hufflepuffs bestätigt. Alle blickten angsterfüllt auf Ernie.

»Was willst du von ihm?«, sagte Ernie mit zittriger Stimme.

»Ich will ihm sagen, was im Duellierclub wirklich mit der Schlange passiert ist«, sagte Harry.

Ernie biß sich auf die weißen Lippen, holte tief Luft und sagte:

»Wir waren alle da. Wir haben gesehen, was passiert ist.«

»Dann hast du auch gesehen, daß die Schlange zurückgewichen ist, nachdem ich zu ihr gesprochen habe?«, sagte Harry.

»Alles, was ich gesehen habe, war, daß du Parsel gesprochen und die Schlange auf Justin gehetzt hast«, erwiderte Ernie starrköpfig.

»Ich hab sie nicht auf ihn gehetzt!«, sagte Harry mit vor Wut zitternder Stimme.»Sie hat ihn nicht einmal berührt!«

»Es war aber sehr knapp«, sagte Ernie.»Und falls du auf irgendwelche krummen Gedanken kommen solltest«, fügte er rasch hinzu,»sag ich dir lieber, daß du meine Familie bis auf neun Generationen von Hexen und Zauberern zurückverfolgen kannst und mein Blut so rein ist wie nur möglich, also -«

»Es ist mir egal, was für Blut du hast«, sagte Harry aufgebracht.»Warum sollte ich Muggelgeborene angreifen?«

»Ich hab gehört, daß du die Muggel haßt, bei denen du lebst«, sagte Ernie schlagfertig.

»Es ist unmöglich, bei den Dursleys zu leben und sie nicht zu hassen«, erwiderte Harry.»Da möchte ich dich mal sehen.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus der Bibliothek, wobei er sich einen tadelnden Blick von Madam Pince einhandelte, die den goldgeprägten Einband eines dicken Zauberspruchbandes polierte.

Harry rannte stolpernd durch die Gänge und bemerkte vor Wut kaum, wo er hinlief Der Erfolg war, daß er gegen etwas sehr Großes und Festes prallte, das ihn zu Boden schlug.

Harry blickte auf,»Oh, hallo, Hagrid.«

Hagrids Gesicht war unter einer schneebedeckten Wollkapuze verborgen, aber ein anderer konnte es unmöglich sein, da er mit seinem Maulwurfsmantel den Gang fast in ganzer Breite ausfüllte. Ein toter Hahn baumelte von einer seiner massigen behandschuhten Pranken herab.

»Alles in Ordnung, Harry?«, sagte er und zog zum Sprechen die Kapuze hoch.»Warum bist du nicht im Unterricht?«

»Fällt aus«, sagte Harry und richtete sich auf.»Was machst du eigentlich hier?«

Hagrid hob den leblosen Hahn hoch.

»Der zweite, der dieses Jahr getötet wurde«, erklärte er.»Entweder Füchse oder ein Blut saugendes Gespenst, und ich brauch die Erlaubnis des Schulleiters, einen Bannkreis um den Hühnerstall zu ziehen.«

Er lugte unter seinen dicken, schneeglitzernden Brauen hervor und musterte Harry.

»Wirklich alles in Ordnung mit dir? Bist ja ganz heiß im Gesicht und siehst so besorgt aus -«

Harry brachte es nicht über sich zu wiederholen, was Ernie und die anderen Hufflepuffs über ihn gesagt hatten.

»Es ist nichts«, sagte er.»Ich mach mich jetzt besser auf die Socken, Hagrid, wir haben jetzt Verwandlung und ich muß noch meine Bücher holen.«

Den Kopf immer noch voll mit Ernies Worten verließ er Hagrid.

»Justin hat auf so etwas gewartet, seit ihm Potter gegenüber herausgerutscht ist, daß er ein Muggelkind ist…«

Harry stapfte die Treppen hoch und bog in einen Korridor ein, der noch dunkler war als die anderen; ein scharfer, eisiger Luftzug pfiff durch ein in den Angeln schlagendes Fenster und hatte die Fackeln gelöscht. Auf halbem Wege durch den Gang stolperte er und stürzte zu Boden.

Er drehte sich um, um nachzusehen, worüber er gestolpert war – und hatte plötzlich das Gefühl, sein Magen würde sich auflösen.

Justin Finch-Fletchley lag auf dem Boden, steif und kalt und leblos an die Decke stierend, mit einem festgefrorenen Ausdruck des Entsetzens im Gesicht. Und das war nicht alles. Neben ihm war eine andere Gestalt und etwas Befremdlicheres hatte Harry noch nie gesehen.

Es war der Fast Kopflose Nick, nicht mehr perlweiß und durchsichtig, sondern mit schwarzem Rauch gefüllt. Reglos schwebte er eine Handbreit über dem Boden. Sein Kopf hing herunter und auf seinem Gesicht stand derselbe Ausdruck des Entsetzens wie auf dem Justins.

Harry rappelte sich auf, schnell und flach atmend, und sein Herz vollführte eine Art Trommelwirbel gegen seine Rippen. Mit fiebrigem Blick spähte er den verlassenen Korridor hinunter und sah, wie ein paar Spinnen so schnell sie konnten von den Körpern fortkrabbelten. Alles, was er hörte, waren die gedämpften Stimmen der Lehrer aus den Klassenzimmern zu beiden Seiten des Ganges.

Er hätte losrennen können, und keiner hätte je erfahren, daß er hier war. Aber er konnte sie nicht einfach hier liegen lassen… er mußte Hilfe holen… würde auch nur einer glauben, daß er damit nichts zu tun hatte?

Während er dastand und Panik in ihm hochstieg, schlug gleich neben ihm krachend eine Tür auf Peeves, der Poltergeist, kam herausgeschossen.

»Sieh an, es ist der putzige kleine Potter!«, gackerte Peeves und schlug Harry im Vorbeihüpfen die Brille von der Nase.»Was fährt Potter im Schilde? Warum lümmelt Potter hier -«

Mitten in einem Salto hielt Peeves inne. Kopfüber in der Luft hängend erkannte er Justin und den Fast Kopflosen Nick. Er vollendete seinen Purzelbaum und bevor Harry ihn aufhalten konnte, füllte er seine Lungen und brüllte:

»ANGRIFF! ANGRIFF! WIEDER EIN ANGRIFF! KEIN STERBLICHER ODER GEIST IST SICHER! RENNT UM EUER LEBEN! AAAANGRIFF!«

Knall – knall – knall – den Gang entlang flog eine Tür nach der anderen auf und eine Flut von Schülern quoll heraus. Mehrere lange Minuten herrschte solches Durcheinander, daß Justins Körper Gefahr lief, ziemlich Schaden zu nehmen, und manche mitten im Kopflosen Nick standen. Von den andern gegen die Wand gedrückt hörte Harry die Lehrer mit lauter Stimme Ruhe gebieten. Professor McGonagall kam herbeigeeilt, gefolgt von ihren Schülern, von denen einer immer noch schwarzweiß gestreiftes Haar hatte. Ein lauter Knall aus ihrem Zauberstab ließ Ruhe einkehren, und sie wies alle zurück in die Klassenzimmer. Kaum hatte sich der Korridor etwas geleert, kam auch schon Ernie von den Hufflepuffs keuchend angerannt.

»Auf frischer Tat ertappt!«, rief Ernie und deutete mit schneeweißem Gesicht und dramatischer Geste auf Harry.

»Laß gut sein, Macmillan!«, sagte Professor McGonagall scharf.

Über ihnen hüpfte Peeves auf und ab und wachte bösartig grinsend über das Schauspiel; wenn heilloses Durcheinander herrschte, war Peeves immer bester Laune. Während die Lehrer sich über Justin und den Fast Kopflosen Nick beugten, um sie zu untersuchen, schmetterte Peeves ein Liedchen:

»Ach, Potter, du Schwein, was hast du getan.

Du meuchelst die Schüler und freust dich daran -«

»Das reicht, Peeves!«, blaffte ihn Professor McGonagall an, und Peeves schwebte rücklings, nicht ohne Harry die Zunge rauszustrecken, davon.

Professor Flitwick und Professor Sinistra aus dem Fachbereich Astronomie trugen Justin in den Krankenflügel, doch niemand schien zu wissen, was man für den Fast Kopflosen Nick tun konnte. Professor McGonagall beschwor schließlich einen großen Föhn aus dem Nichts herauf und reichte ihn Ernie mit der Anweisung, den Fast Kopflosen Nick die Treppe hochzupusten. Und Ernie föhnte Nick vor sich her wie ein stummes schwarzes Hovercraft-Boot. Nun waren Harry und Professor McGonagall allein.

»Hier lang, Potter«, sagte sie.

»Professor«, sagte Harry sofort,»ich schwöre, ich habe es nicht -«

»Das liegt jetzt nicht mehr in meiner Hand, Potter«, sagte Professor McGonagall kurz angebunden.

Schweigend bogen sie um eine Ecke und sie hielt vor einem großen und äußerst häßlichen steinernen Wasserspeier an.

»Scherbert Zitrone!«, sagte sie. Das war offenbar ein Passwort, denn der Wasserspeier erwachte plötzlich zum Leben und hüpfte zur Seite. Die Wand hinter ihm teilte sich. Obwohl Harry Angst hatte vor dem, was ihn jetzt erwartete, mußte er einfach staunen. Hinter der Wand war eine Wendeltreppe, die sich langsam nach oben bewegte wie ein Aufzug. Er und Professor McGonagall betraten die Treppe und die Wand hinter ihnen schloß sich mit einem dumpfen Geräusch. Sich im Kreise drehend stiegen sie nach oben, höher und höher, bis Harry endlich, leicht schwindlig im Kopf, eine schimmernde Eichentür vor sich sehen konnte, mit einem bronzenen Türklopfer in Gestalt eines Geiers.

Er wußte, wo sie ihn hinführte. Das mußte der Ort sein, wo Dumbledore lebte.