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Sie stiegen die letzte Stufe der steinernen Treppe empor und Professor McGonagall klopfte an die Tür. Geräuschlos öffnete sie sich und die beiden traten ein. Professor McGonagall gebot Harry zu warten und ließ ihn allein.
Harry sah sich um. Eins war gewiß: von allen Lehrerbüros, die Harry bisher gesehen hatte, war Dumbledores das bei weitem interessanteste. Wenn er vor Angst nicht fast vergangen wäre, man würde ihn von der Schule werfen, dann hätte er ganz gerne einmal hier herumgestöbert.
Es war ein großer und schöner runder Raum, erfüllt mit merkwürdigen leisen Geräuschen. Auf den storchbeinigen Tischen standen merkwürdige silberne Instrumente, die surrten und kleine Rauchwolken ausstießen. An den Wänden hingen Bilder ehemaliger Schulleiter und Schulleiterinnen, die alle friedlich in ihren Rahmen dösten. Es gab auch einen gewaltigen klauenfüßigen Schreibtisch, und auf einem Bord dahinter lag ein schäbiger und rissiger Zaubererhut – der Sprechende Hut.
Harry zögerte. Er warf einen wachsamen Blick auf die schlafenden Hexen und Zauberer an den Wänden. Gewiß konnte es nicht schaden, wenn er den Hut herunternahm und ihn noch mal anprobierte? Nur mal sehen… einfach um sicherzugehen, daß er ihn tatsächlich ins richtige Haus gesteckt hatte -
Leise ging er um den Schreibtisch herum, nahm den Hut vom Bord und ließ ihn langsam auf seinen Kopf sinken. Er war ihm viel zu groß und rutschte ihm über die Augen, genau wie das letzte Mal, als er ihn aufgesetzt hatte. Harry starrte ins Schwarze im Innern des Hutes und wartete. Schließlich wisperte ihm eine leise Stimme ins Ohr:
»Hast 'nen kleinen Fimmel, Harry Potter?«
»Ähm, ja«, murmelte Harry.»Ähm – tut mir Leid, daß ich dich störe – ich wollte nur fragen -«
»Du fragst dich, ob ich dich ins richtige Haus gesteckt habe«, sagte der Hut gewitzt. >ja… bei dir war es besonders schwierig. Aber ich bleibe bei dem, was ich schon gesagt habe«- Harrys Herz machte einen Hüpfer -»dir wäre es in Slytherin gut ergangen -«
Harrys Magen krampfte sich zusammen. Er packte den Hut an der Spitze und zog ihn vom Kopf. Lasch baumelte er in seiner Hand, schmutzig und verschlissen. Harry schob ihn zurück ins Regal. Ihm war übel.
»Das stimmt nicht«, sagte er laut zu dem reglosen und stummen Hut. Er bewegte sich nicht. Harry wich zurück, die Augen starr auf ihn gerichtet. Dann hörte er hinter sich ein merkwürdig würgendes Geräusch und wirbelte herum.
Er war doch nicht allein. Auf einer goldenen Stange hinter der Tür saß ein altersschwacher Vogel, der aussah wie ein halb gerupfter Truthahn. Harry starrte ihn an und der Vogel starrte boshaft zurück und ließ erneut sein würgendes Geräusch hören. Er sieht sehr krank aus, dachte Harry. Die Augen des Vogels waren trübe, und während Harry ihn ansah, fielen Federn aus dem Schwanz.
Hätte mir gerade noch gefehlt, wenn Dumbledores Vogel stirbt, während ich allein mit ihm bin, dachte Harry gerade – als der Vogel in Flammen aufging.
Vor Schreck schrie Harry auf, wich zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Schreibtisch; fieberhaft schaute er sich um, ob es nicht irgendwo ein Glas Wasser gäbe, aber er sah keines; der Vogel war mittlerweile ein Feuerball geworden; er gab einen lauten Schrei von sich und schon war nichts mehr von ihm übrig als ein schwelender Haufen Asche auf dem Boden.
Die Bürotür ging auf und Dumbledore kam mit ernstem Gesichtsausdruck herein.
»Professor«, keuchte Harry,»Ihr Vogel – ich konnte nichts machen – er hat einfach Feuer gefangen -«
Zu Harrys Verblüffung lächelte Dumbledore.
»Wurde auch Zeit«, sagte er.»Sah seit Tagen schon fürchterlich aus, ich hab ihm gesagt, er solle sich mal sputen.«
Er kicherte beim Anblick von Harrys verdutztem Gesicht.
»Fawkes ist ein Phönix, Harry. Phönixe gehen in Flammen auf, wenn es an der Zeit für sie ist zu sterben, und werden aus der Asche neu geboren. Sieh mal…«
Harry sah gerade noch rechtzeitig hin, um einen winzigen, verschrumpelten, neugeborenen Vogel den Kopf aus der Asche stecken zu sehen. Er war genauso häßlich wie der alte.
»Ein Jammer, daß du ihn an einem Brandtag sehen mußtest«, sagte Dumbledore und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.»Eigentlich ist er die meiste Zeit sehr hübsch, herrlich rot und gold gefiedert. Faszinierende Geschöpfe, diese Phönixe. Sie können unglaublich schwere Lasten tragen, ihre Tränen haben heilende Kraft und sie sind außerordentlich treue Haustiere.«
Vor Entsetzen über den in Flammen aufgehenden Fawkes hatte Harry ganz vergessen, weshalb er hier war, doch als Dumbledore sich auf dem hohen Stuhl hinter dem Schreibtisch niederließ und Harry mit seinen durchdringenden, hellblauen Augen festnagelte, erinnerte er sich jäh wieder.
Bevor Dumbledore allerdings noch ein Wort sagen konnte, flog laut krachend die Bürotür auf und Hagrid stürzte herein, mit der Kapuze auf den zottigen schwarzen Haaren und einem wilden Blick in den Augen. Noch immer baumelte der tote Hahn in seiner Pranke.
»Es war nicht Harry, Professor Dumbledore!«, sagte Hagrid eindringlich,»Sekunden bevor dieses Kind gefunden wurde, hab ich mit ihm geredet, er hätte nie die Zeit gehabt, Sir -«
Dumbledore versuchte etwas zu sagen, doch Hagrid drang weiter auf ihn ein, dabei wedelte er vor Aufregung mit dem Hahn, dessen Federn durch den ganzen Raum schwebten.
»- er kann's nicht gewesen sein, ich schwör's vor dem Ministerium für Zauberei, wenn nötig -«
»Hagrid, ich -«
»- Sie haben den falschen Jungen, Sir, ich weiß, daß Harry nie -«
»Hagrid!«, sagte Dumbledore laut.»Ich glaube nicht, daß Harry diese Leute angegriffen hat.«
»Oh«, sagte Hagrid, und der Hahn schwang leblos um sein Bein.»Gut. Dann warte ich draußen.«
Und verlegen stapfte er hinaus.
»Sie glauben nicht, daß ich es war?«, wiederholte Harry hoffnungsvoll, während Dumbledore die Hahnenfedern von seinem Schreibtisch blies.
»Nein, Harry, ich glaube es nicht«, sagte Dumbledore, wenn auch wieder mit ernstem Gesicht.»Aber ich will trotzdem mit dir reden.«
Dumbledore legte die Fingerspitzen zusammen und musterte ihn. Harry wartete nervös.
»Harry, ich muß dich fragen, ob es etwas gibt, was du mir erzählen möchtest«, sagte er sanft.»Was es auch immer sein mag.«
Harry wußte nicht, was er antworten sollte. Er dachte an Malfoy, der»Ihr seid die Nächsten, Schlammblüter!«gerufen hatte, und an den Vielsaft-Trank, der im Klo der Maulenden Myrte vor sich hin köchelte. Dann fiel ihm die körperlose Stimme ein, die er zweimal gehört hatte, und das, was Ron gesagt hatte:»Stimmen zu hören, die niemand sonst hören kann, ist kein gutes Zeichen, nicht einmal in der Zaubererwelt.«Auch dachte er daran, was alle über ihn sagten, und an seine wachsende Angst, daß ihn irgendetwas mit Salazar Slytherin verband…
»Nein«, sagte Harry,»es gibt nichts, Professor…«
Der Doppelangriff auf Justin und den Fast Kopflosen Nick verwandelte die angespannte Stimmung im Schloß in helle Panik. Eigenartigerweise war es das Schicksal des Fast Kopflosen Nick, das den Leuten offenbar die größte Sorge bereitete. Was für ein Wesen konnte einem Geist so etwas antun, fragten sich Lehrer und Schüler; was für eine schreckliche Macht konnte jemandem Schaden zufügen, der bereits tot war? Fast kam es zu einem Ansturm auf die Fahrkarten für den Hogwarts-Express, denn alle wollten über Weihnachten nach Hause.
»Wenn das so weitergeht, bleiben wir als Einzige hier«, sagte Ron zu Harry und Hermine.»Wir, Malfoy, Crabbe und Goyle. Das werden lustige Ferien.«
Crabbe und Goyle, die Malfoy alles nachmachten, hatten sich ebenfalls in die Liste derer eingetragen, die in den Ferien dableiben wollten. Doch Harry war froh, daß die meisten gingen. Er war es leid, daß die andern immer einen großen Bogen um ihn machten, wenn sie ihm begegneten, als ob er gleich Fangarme auswerfen oder Gift spucken würde; er war es leid, daß sie im Vorbeigehen murmelnd und zischelnd mit dem Finger auf ihn zeigten.
Fred und George allerdings fanden das alles sehr lustig. Sie ließen es sich nicht nehmen, als Harrys Vorhut durch die Gänge zu marschieren und zu rufen:»Macht Platz für den Erben von Slytherin, ein gaaanz böser Zauberer kommt hier durch…«
Percy mißbilligte dieses Verhalten zutiefst.
»Das ist nicht zum Lachen«, sagte er kühl.
»Ach, geh aus dem Weg, Percy«, sagte Fred.»Harry hat's eilig.«
»Ja, er macht schnell einen Abstecher in die Kammer des Schreckens auf eine Tasse Tee mit seinem reißzähnigen Knecht«, sagte George glucksend.
Auch Ginny fand das nicht lustig.
»Ach, hört auf«, flehte sie jedes Mal, wenn Fred Harry lauthals fragte, wen er denn als Nächsten anzugreifen gedenke, oder George so tat, als wehre er Harry mit einem Knoblauchzopf ab.
Harry war es gleich; er fühlte sich wohler bei dem Gedanken, daß wenigstens Fred und George die Vorstellung, er sei der Erbe Slytherins, für ausgesprochen lächerlich hielten. Doch ihr Gekasper schien Draco Malfoy in Rage zu bringen, der bei jedem ihrer Auftritte ein wenig saurer aussah.
»Eben weil es fast aus ihm herausplatzt, daß es in Wahrheit er ist«, sagte Ron ahnungsvoll.»Ihr wißt ja, wie er jeden haßt, der besser ist als er, und du, Harry, kriegst die ganze Anerkennung für seine schmutzige Arbeit.«
»Nicht mehr lange«, sagte Hermine zufrieden.»Der Vielsaft-Trank ist fast fertig. In den nächsten Tagen holen wir die Wahrheit aus ihm heraus.«
Endlich hatten die Weihnachtsferien begonnen und eine Stille, so tief wie der Schnee auf den Ländereien, senkte sich über das Schloss. Harry stimmte sie friedlich, nicht düster, und er freute sich, daß er, Hermine und die Weasleys den Gryffindor-Turm für sich allein hatten, was hieß, sie konnten lautstark»Snape explodiert«spielen, ohne jemanden zu stören, und in Ruhe Duellieren üben. Fred, George und Ginny waren lieber in der Schule geblieben als mit Mr und Mrs Weasley Bill in Ägypten zu besuchen. Percy, der ihr, wie er es nannte, kindisches Betragen verachtete, tauchte selten im Gemeinschaftsraum der Gryffindors auf Er hatte ihnen mit dem Brustton der Überzeugung erklärt, daß er nur deshalb über Weihnachten bleibe, weil es seine Pflicht als Vertrauensschüler sei, die Lehrer in diesen unruhigen Zeiten zu unterstützen.
Der Weihnachtsmorgen brach an, kalt und weiß. Harry und Ron, die Einzigen im Schlafsaal, wurden sehr früh von Hermine geweckt, die vollständig angezogen hereinplatzte und Geschenke für beide in den Armen trug.
»Aufwachen!«, rief sie laut und zog die Vorhänge zurück.
»Hermine, du darfst eigentlich nicht hier drin sein sagte Ron und hob die Hand gegen das Licht.
»Ebenfalls frohe Weihnachten«, sagte Hermine und warf ihm ein Geschenk zu.»Ich bin schon fast eine Stunde auf den Beinen und hab noch ein paar Florfliegen in den Zaubertrank gemischt. Er ist fertig.«
Harry, plötzlich hellwach, setzte sich auf.
»Bist du sicher?«
»Vollkommen«, sagte Hermine und schob Krätze, die Ratte, beiseite, so daß sie sich ans Ende seines Himmelbetts setzen konnte.»Wenn wir's versuchen, dann würd ich sagen, heute Abend.«
In diesem Augenblick schwebte Hedwig herein. Im Schnabel trug sie ein sehr kleines Päckchen.
»Hallo«, sagte Harry glücklich, als sie auf seinem Bett landete.»Sprichst du wieder mit mir?«
Zutraulich knabberte sie an seinem Ohr, was ein viel besseres Geschenk war als das, was sie ihm brachte. Denn wie sich herausstellte, kam es von den Dursleys. Sie hatten Harry einen Zahnstocher geschickt und einen Zettel, auf dem es hieß, er solle fragen, ob er auch während der Sommerferien in Hogwarts bleiben könne.
Die übrigen Weihnachtsgeschenke für Harry waren um einiges erfreulicher. Hagrid hatte ihm eine große Dose mit Sirupbonbons geschickt, die Harry am Feuer etwas weicher machen wollte, bevor er sie aß. Ron hatte ihm ein Buch geschenkt, Aufjagd mit den Cannons, voll interessanter Geschichten über seine Lieblings-Quidditch-Mannschaft. Von Hermine bekam er einen prächtigen Adlerfederkiel. Harry öffnete das letzte Päckchen und fand einen neuen, selbst gestrickten Pullover von Mrs Weasley und einen großen Pflaumenkuchen. Mit einem neuen Anflug von Schuldgefühlen las er ihre Karte. Er dachte an Mr Weasleys Wagen, der seit ihrer Bruchlandung verschollen war, und das ganze Bündel von Regelbrüchen, die er und Ron schon wieder ausheckten.
Keiner konnte umhin, das Weihnachtsessen in Hogwarts nicht zu genießen, nicht einmal einer, den es davor grauste, später den Vielsaft-Trank zu schlucken.
Die Große Halle war herrlich geschmückt. Da waren nicht nur das Dutzend- mit Eiskristallen gezuckerter Weihnachtsbäume und die dicht geflochtenen Bänder aus Stechpalmenzweigen und Misteln, die kreuz und quer unter die Decke gespannt waren; auch verzauberter Schnee rieselte herab, weich und trocken. Dumbledore stimmte mit ihnen ein paar seiner liebsten Weihnachtslieder an, wobei Hagrid mit jedem Becher Eierpunsch, den er schluckte, lauter dröhnte. Percy, der nicht bemerkt hatte, daß Fred sein Vertrauensschülerabzeichen verzaubert hatte, so daß nun»Eierkopf«darauf zu lesen war, fragte sie andauernd, worüber sie denn kicherten. Harry störte es nicht einmal, daß Draco Malfoy drüben am Tisch der Slytherins mit lauter Stimme abfällige Bemerkungen über seinen neuen Pullover machte. Mit ein wenig Glück würde er es Malfoy in ein paar Stunden heimzahlen.
Harry und Ron hatten kaum ihren dritten Nachschlag Weihnachtspudding aufgegessen, als Hermine sie aus der Halle winkte, um ein letztes Mal den Plan für diesen Abend durchzugehen.
»Wir brauchen immer noch Stückchen von den Leuten, in die ihr euch verwandeln wollt«, sagte Hermine ganz sachlich, als schickte sie die beiden in den Laden, um Waschpulver zu kaufen.»Und natürlich wäre es am besten, wenn ihr etwas von Crabbe und Goyle abkriegt, die sind Malfoys beste Freunde, denen wird er alles erzählen. Und wir müssen auch dafür sorgen, daß die echten Crabbe und Goyle nicht hereinplatzen, während wir ihn befragen.
Ich hab alles genau geplant«, fuhr sie gelassen fort und achtete nicht im Geringsten auf Harrys und Rons verdutzte Gesichter. Sie hielt zwei üppige Schokoladenkuchen hoch.»Die hab ich mit einem einfachen Schlafmittel gefüllt. Ihr müßt nur dafür sorgen, daß Crabbe und Goyle sie finden. Ihr wißt, wie gierig sie sind, die können gar nicht anders, als sie aufzufuttern. Sobald sie eingeschlafen sind, rupft ihr ihnen ein paar Haare aus und versteckt sie im Besenschrank.«
Harry und Ron sahen sich ungläubig an.
»Hermine, ich glaub nicht -«
»Das könnte übel ausgehen -«
Doch Hermine hatte einen Blick aus Stahl, nicht unähnlich dem, den Professor McGonagall manchmal zeigte. -
»Der Trank ist nutzlos ohne Crabbes und Goyles Haare«, sagte sie entschieden.»Ihr wollt doch Malfoy aushorchen, oder?«
»Ja, schon, klar«, sagte Harry»aber was ist mit dir? Wem rupfst du die Haare aus?«
»Ich hab meines schon!«, sagte Hermine strahlend und zog ein Fläschchen aus ihrer Tasche. Es enthielt ein einziges Haar.»Wißt ihr noch, wie Millicent Bulstrode sich in der Duellierstunde mit mir gekloppt hat? Das hat sie auf meinem Umhang hinterlassen, als sie versucht hat, mich zu erwürgen! Und über Weihnachten ist sie nach Hause gefahren – also muß ich den Slytherins nur sagen, daß ich beschlossen habe zurückzukommen.«
Hermine wirbelte davon, um noch einmal nach dem Vielsaft-Trank zu schauen. Ron und Harry sahen sich an, als ob ihre letzte Stunde geschlagen hätte.
»Hast du je von einem Plan gehört, bei dem so vieles schief gehen kann?«
Doch zu Harrys und Rons kompletter Verblüffung verlief Phase eins ihrer Operation genau so reibungslos, wie Hermine gesagt hatte. Nach dem Weihnachtstee schlichen sie in die verlassene Eingangshalle, um auf Crabbe und Goyle zu warten, die allein am Slytherin-Tisch zurückgeblieben waren, wo sie die vierte Portion Pudding vernichteten. Harry hatte die Schokokuchen auf das Ende des Treppengeländers gestellt. Als sie Crabbe und Goyle aus der Großen Halle kommen sahen, verschwanden Harry und Ron rasch hinter einer Rüstung neben der Eingangstür.
»Wie dick kann man eigentlich werden?«, flüsterte Ron begeistert, als Crabbe schadenfroh auf die Kuchen deutete und sie sich schnappte. Dumm grinsend stopften sie sich alles auf einmal in die großen Münder. Gierig und mit triumphierendem Blick kauten sie eine Weile. Dann, ohne auch nur die Miene zu verziehen, gingen beide in die Knie und sackten zu Boden.
Der bei weitem schwierigste Teil war nun, Crabbe und Goyle im Schrank auf der anderen Seite der Halle zu verstecken. Sobald sie sicher zwischen den Eimern und Wischern verstaut waren, riss Harry ein paar der Borsten aus, die auf Goyles Stirn wuchsen, und Ron nahm sich ein paar Haare von Crabbe. Außerdem stahlen sie ihre Schuhe, denn ihre eigenen waren einige Nummern zu klein für die Füße von Crabbe und Goyle. Dann, immer noch verblüfft über das, was ihnen gerade gelungen war, spurteten sie hoch ins Klo der Maulenden Myrte.
Dicker schwarzer Qualm drang aus der Kabine, in der Hermine den Kessel rührte. Sie konnten kaum etwas sehen. Sie zogen sich die Umhänge über die Gesichter und klopften sachte an die Tür.
»Hermine?«
Mit einem scharrenden Geräusch wurde der Riegel zurückgeschoben und Hermine tauchte vor ihnen auf. Ihr Gesicht glänzte und wirkte angespannt. Hinter ihr hörten sie das Blubb, Blubb des sirupdicken Zaubertranks. Drei Trinkgläser standen auf dem Toilettensitz bereit.
»Habt ihr sie?«, fragte Hermine außer Atem.
Harry zeigte ihr Goyles Haare.
»Gut. Und ich hab diese Umhänge aus der Wäsche stibitzt«, sagte Hermine und hielt einen kleinen Sack hoch.»Ihr braucht andere Größen, sobald ihr Crabbe und Goyle seid.«
Die drei starrten in den Kessel. Aus der Nähe sah der Zaubertrank wie dicker, dunkler, träge blubbernder Schlamm aus.
»Ich bin mir sicher, daß ich alles richtig gemacht habe«, sagte Hermine und las noch einmal nervös die bekleckerte Seite von Höchst potente Zaubertränke durch.»Sieht genauso aus, wie es das Buch vorschreibt… wenn wir ihn getrunken haben, bleibt uns exakt eine Stunde, bis wir uns wieder in uns selbst verwandeln.«
»Und was nun?«, flüsterte Ron.
»Wir teilen ihn auf drei Gläser auf und fügen die Haare hinzu.«
Hermine füllte große Schöpflöffel mit Zaubertrank in die Gläser. Dann schüttelte sie mit zitternder Hand Millicent Bulstrodes Haar aus dem Fläschchen in das erste Glas.
Der Trank zischte laut wie ein Wasserkessel und schäumte bedrohlich auf. Eine Sekunde später nahm er einen Übelkeit erregenden Gelbton an.
»Uääh – Essenz von Millicent Bulstrode«, sagte Ron mit ekelerfülltem Blick.»Wette, es schmeckt widerlich.«
»Tut jetzt eure rein«, sagte Hermine.
Harry warf Goyles Haare ins mittlere, Ron die Crabbes ins letzte Glas. Beide Gläser zischten und schäumten: Goyles Glas nahm den khakifarbenen Ton eines Nasenpopels an, Crabbes ein dunkles, trübes Braun.
»Wartet«, sagte Harry, als Ron und Hermine nach ihren Gläsern griffen.»Wir trinken sie besser nicht alle drei hier drin… Sobald wir uns in Crabbe und Goyle verwandeln, passen wir nicht mehr hier rein. Und Millicent Bulstrode ist auch nicht gerade eine Elfe.«
»Kluger Junge«, sagte Ron und schob den Riegel zurück.»jeder nimmt eine Kabine.«
Harry, sorgsam darauf achtend, keinen Tropfen seines Vielsaft-Tranks zu verschütten, glitt in die mittlere Kabine.
»Fertig?«, rief er.
»Fertig«, kam es von Ron und Hermine zurück.
»Eins – zwei – drei -«
Harry klemmte sich die Nase zu und trank das Gebräu in zwei großen Schlucken. Es schmeckte wie zerkochter Kohl.
Sogleich begannen seine Eingeweide sich zu winden, als ob er lebende Schlangen geschluckt hätte – zusammengekrümmt fragte er sich, ob er sich übergeben würde -, dann breitete sich ein Brennen von seinem Magen rasch bis in seine Fingerspitzen und Zehen aus – als Nächstes, er lag nun keuchend auf allen Vieren, kam ein fürchterliches Gefühl, als ob er schmelze, und die Haut an seinem Körper blähte sich wie heißes Wachs – vor seinen Augen begannen seine Hände zu wachsen, die Finger verdickten sich, die Nägel wurden breiter, die Knöchel traten hervor wie Bolzen -seine Schultern dehnten sich schmerzhaft und ein Prickeln auf seiner Stirn sagte ihm, daß sein Haar bis zu seinen Augenbrauen hinunterkroch – sein Umhang zerriss, als seine Brust sich ausdehnte wie ein Fass, das seine Reifen sprengte -seine Füße quälten sich in Schuhen, die vier Nummern zu klein waren -
So schnell es begonnen hatte, hörte es auch wieder auf. Harry lag mit dem Gesicht nach unten auf dem steinkalten Boden und hörte Myrte im hinteren Klo verdrießlich gurgeln. Mühsam zog er sich die Schuhe aus und stand auf So fühlte es sich also an, wenn man Goyle war. Mit seiner großen zitternden Hand warf er den Umhang ab, der einen halben Meter über seinen Knöcheln hing, zog den anderen an und schlüpfte in Goyles bootgroße Schuhe. Er hob die Hand, um sich das Haar vor den Augen wegzuwischen, traf aber nur den kurzen drahtigen Stoppelwuchs tief auf seiner Stirn. Dann erkannte er, daß seine Brille ihm den Blick vernebelte, weil Goyle sie offenbar nicht brauchte – er nahm sie ab und rief:
»Seid ihr okay?«Goyles leise Raspelstimme drang aus seinem Mund.
»ja«, hörte er Crabbes tiefes Grunzen zu seiner Rechten.
Harry öffnete seine Tür und trat vor den zerbrochenen Spiegel. Aus dumpfen, tief liegenden Augen starrte ihn Goyle an. Harry kratzte sich am Ohr. Goyle tat es ihm gleich.
Rons Tür ging auf Sie starrten sich an. Ron sah blaß und entsetzt aus, war aber sonst von Crabbe nicht zu unterscheiden, vom puddingförmigen Haarschnitt bis zu den langen Gorillaarmen.
»Das ist unglaublich«, sagte Ron. Er trat vor den Spiegel und tippte sich gegen Crabbes platte Nase.»Unglaublich.«
»Wir sollten uns beeilen«, sagte Harry und lockerte sein Uhrband, das tief in Goyles Handgelenk schnitt.»Wir müssen erst noch rauskriegen, wo der Gemeinschaftsraum der Slytherins ist. Hoffentlich finden wir jemanden, dem wir folgen können.«
Ron, der Harry sprachlos angestarrt hatte, sagte:»Du ahnst nicht, wie seltsam es aussieht, Goyle denken zu sehen.«Er klopfte gegen Hermines Tür.»Komm schon, wir müssen gehen -«
Eine schrille Stimme antwortete.
»Ich – ich glaube, ich geh doch nicht mit. Ihr könnt doch ohne mich gehen.«
»Hermine, wir wissen, daß Millicent Bulstrode häßlich ist, es weiß doch keiner, daß du es bist -«
»Nein – im Ernst – ich geh lieber nicht mit – beeilt euch, ihr beiden, ihr vertrödelt die Zeit -«
Harry sah Ron verwirrt an.
jetzt siehst du eher nach Goyle aus«, sagte Ron.»So guckt er immer, wenn ein Lehrer ihn was fragt.«
»Hermine, alles in Ordnung mit dir?«, rief Harry durch die Tür.
»Ja – mir geht's gut – los, geht schon -«
Harry sah auf die Uhr. Von ihren wertvollen sechzig Minuten waren fünf schon verstrichen.
»Wir treffen uns wieder hier, hörst du?«, sagte er.
Harry und Ron öffneten vorsichtig die Tür zum Gang, prüften, ob die Luft rein war, und machten sich auf den Weg.
»Schwing die Arme nicht so durch die Luft«, murmelte Harry Ron zu.
»Was?«
»Crabbe hält sie irgendwie steif…«
»So vielleicht?«
Ja, schon besser…«
Sie stiegen die Marmortreppe hinunter. Was sie jetzt unbedingt brauchten, war ein Slytherin, dem sie in seinen Gemeinschaftsraum folgen konnten. Doch keiner war unterwegs.
»Hast du eine Idee?«, murmelte Harry.
»Die Slytherins kommen zum Frühstück immer von dort«, sagte Ron und nickte zum Eingang der Kerker hinüber. Kaum hatte er den Mund zugemacht, kam auch schon ein Mädchen mit langem Lockenhaar aus der Tür.
Ron hastete auf sie zu.»Verzeihung«, sagte er,»wir haben vergessen, wie wir in unseren Gemeinschaftsraum kommen.«
»Wie bitte?«, sagte das Mädchen steif.»Unseren Gemeinschaftsraum? Ich bin eine Ravenclaw.«
Mißtrauisch blickte sie über die Schulter und ging davon.
Harry und Ron rannten die steinernen Stufen hinunter in die Dunkelheit, und ihre Tritte hallten besonders laut wider, denn es waren Crabbes und Goyles Füße, die auf die Steine krachten. Sie hatten das Gefühl, es würde doch nicht so einfach werden, wie sie gehofft hatten.
Die labyrinthischen Gänge waren menschenleer. Immer weiter drangen sie hinunter in die Tiefen unter der Schule, und mit raschen Blicken auf ihre Uhren prüften sie, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Eine Viertelstunde war vergangen und schon kroch die Verzweiflung in ihnen hoch, da hörten sie plötzlich, wie sich vor ihnen etwas bewegte.
»Ha!«, sagte Ron aufgeregt.»Da ist endlich einer von ihnen!«
Die Gestalt kam aus einem Nebenzimmer. Sie rannten auf sie zu, doch das Herz sank ihnen in die Hosentasche. Es war kein Slytherin, es war Percy.
»Was machst du denn hier?«, sagte Ron überrascht.
Percy sah beleidigt aus.
»Das«, sagte er steif,»geht dich nichts an. Du bist Crabbe, nicht wahr?«
»Wa… – o ja«, sagte Ron.
»Nun – schleicht euch in den Schlafsaal«, sagte Percy streng.»Zur Zeit ist es keine gute Idee, in dunklen Gängen herumzustreunen.«
»Das tust du gerade«, ermahnte ihn Ron.
»Ich«, sagte Percy und richtete sich auf,»ich bin Vertrauensschüler. Mich greift niemand an.«
Plötzlich ertönte eine Stimme hinter Harry und Ron. Draco Malfoy stolzierte auf sie zu, und zum ersten Mal in seinem Leben freute sich Harry, ihn zu sehen.
»Da seid ihr ja«, raunzte er und sah sie an.»Habt ihr beiden die ganze Zeit in der Großen Halle rumgefuttert? Ich hab euch gesucht, ich muß euch was zeigen, da lacht ihr euch tot.«
Malfoy warf Percy einen vernichtenden Blick zu.
»Und was machst du eigentlich hier unten, Weasley«, höhnte er.
Percy war außer sich.
»Etwas mehr Respekt vor einem Vertrauensschüler, bitte!«, sagte er.»Deine Haltung gefällt mir nicht!«
Malfoy grinste hämisch und wies Harry und Ron mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen. Harry hätte Percy beinahe ein entschuldigendes Wort zugerufen, fing sich jedoch gerade noch rechtzeitig. Er und Ron eilten Malfoy nach.
»Dieser Peter Weasley -«, sagte Malfoy, als sie in den nächsten Durchgang eingebogen waren.
»Percy«, korrigierte ihn Ron wie von selbst.
»Wie auch immer«, sagte Malfoy.»Ich seh ihn in letzter Zeit viel herumschleichen. Und ich wette, ich weiß, was er vorhat. Er glaubt, er könnte den Erben von Slytherin ganz alleine fassen.«
Er gab ein kurzes, abfälliges Lachen von sich. Harry und Ron tauschten aufgeregte Blicke.
Malfoy hielt vor einer nackten, feuchten Steinwand an.
»Wie war noch mal das neue Passwort?«, sagte er zu Harry.
»Ähm -«, sagte Harry.
»Ach ja – Reinblüter!«, sagte Malfoy achtlos, und eine in der Wand versteckte steinerne Tür glitt auf Malfoy schritt hindurch und Harry und Ron folgten ihm.
Der Gemeinschaftsraum der Slytherins war ein lang gezogenes unterirdisches Verlies mit rohen Steinwänden. Grünliche Kugellampen hingen an Ketten von der Decke. Ein Feuer prasselte unter einem kunstvoll gemeißelten Kaminsims vor ihnen, und im Umkreis des Feuers erkannten sie die Silhouetten mehrerer Slytherins, die in hohen Lehnstühlen saßen.
»Wartet hier«, sagte Malfoy zu Harry und Ron und deutete auf ein Paar freier Stühle, die etwas entfernt vom Kamin standen.»Ich geh und hol es – mein Vater hat es mir gerade geschickt -«
Neugierig, was Malfoy ihnen zeigen würde, setzten sich Harry und Ron auf die Stühle und taten ihr Bestes, um den Eindruck zu erwecken, sie fühlten sich wie zu Hause.
Eine Minute später kehrte Malfoy mit einem Zeitungsausschnitt in der Hand zurück. Er hielt ihn Ron unter die Nase.
»Ein Lacher für dich«, sagte er.
Harry sah, wie sich Rons Augen vor Schreck weiteten. Rasch las er den Zeitungsausschnitt durch, würgte ein sehr gezwungenes Lachen hervor und reichte ihn Harry.
Es war ein Ausschnitt aus dem Tagespropheten:
Untersuchung im Zaubereiministerium
Arthur Weasley, Chef des Amts für den Missbrauch von Muggelartefakten, wurde heute wegen der Verzauberung eines Muggelwagens zu einer Geldbuße von fünfzig Galleonen verurteilt.
Mr Lucius Malfoy, ein Beirat der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, wo der verzauberte Wagen vor einigen Monaten einen Unfall verursachte, forderte Mr Weasley zum Rücktritt auf.
»Weasley hat das Ministerium in Misskredit gebracht«, sagte Mr Malfoy einem unserer Reporter.»Er ist offensichtlich ungeeignet, für uns Gesetze zu entwickeln, und sein lächerliches Muggelschutzgesetz sollte sofort gestrichen werden.«
Mr Weasley war in dieser Sache nicht zu sprechen. Allerdings wies seine Frau die Reporter an zu verschwinden, oder sie würde den Familienghul auf sie hetzen.
»Nun?«, sagte Malfoy ungeduldig, als Harry ihm den Ausschnitt zurückgab.»Ist das nicht witzig?«
»Haha«, sagte Harry tonlos.
»Arthur Weasley hat ein so großes Herz für die Muggel, daß er seinen Zauberstab zerbrechen und zu ihnen gehen sollte«, sagte Malfoy verächtlich.»Man sollte nicht meinen, daß die Weasleys Reinblüter sind, so wie die sich aufführen.«
Rons – oder vielmehr Crabbes – Gesicht hatte sich vor Wut verzerrt.
»Was ist los mit dir, Crabbe?«, fuhr ihn Malfoy an.
»Magenschmerzen«, grunzte Ron.
»Na dann geh hoch in den Krankenflügel und gib all diesen Schlammblütern einen Tritt von mir«, sagte Malfoy kichernd.»Wisst ihr, es wundert mich, daß der Tagesprophet noch nichts über diese Angriffe gebracht hat«, fuhr er nachdenklich fort»Ich vermute, Dumbledore will alles vertuschen. Er wird entlassen, wenn der Spuk nicht bald aufhört. Vater hat schon immer gesagt, daß Dumbledore das Schlimmste ist, was dieser Schule passieren konnte. Er mag Muggelstämmige. Ein anständiger Schulleiter hätte nie solchen Schleim wie Creevey zugelassen.«
Malfoy begann mit einer eingebildeten Kamera Bilder zu knipsen und ahmte Colin auf grausame, aber treffende Art nach:»Potter, kann ich ein Bild von dir haben, Potter? Krieg ich ein Autogramm von dir? Kann ich dir die Schuhe lecken, bitte, Potter?«
Er ließ die Hände sinken und sah Harry und Ron an.
»Was ist eigentlich los mit euch beiden?«
Viel zu spät zwangen sich Harry und Ron zum Lachen, doch Malfoy schien zufrieden damit. Vielleicht waren Crabbe und Goyle immer etwas schwer von Begriff.
»Der heilige Potter, Freund der Schlammblüter«, sagte Malfoy langsam.»Noch so einer ohne das anständige Zaubererempfinden, oder er würde nicht mit dieser hochnäsigen Schlammblüterin Granger herumlaufen. Und die Leute halten ihn auch noch für den Erben Slytherins!«
Harry und Ron warteten mit angehaltenem Atem: Gewiß würde Malfoy ihnen in ein paar Sekunden sagen, er selbst sei es – doch dann -
»Wenn ich nur wüßte, wer es ist«, sagte Malfoy gereizt.»Ich könnte ihm helfen.«
Ron klappte der Unterkiefer herunter, so daß Crabbes Gesicht noch dümmlicher aussah als üblich. Glücklicherweise bemerkte Malfoy nichts, und Harry, der schnell überlegte, sagte:
»Du mußt doch irgendeine Vermutung haben, wer hinter alldem steckt…«
»Du weißt, ich hab keine Ahnung, Goyle, wie oft soll ich dir das noch sagen?«, fuhr ihn Malfoy an.»Und Vater will mir nichts über das letzte Mal erzählen, als die Kammer geöffnet wurde. Natürlich, das war vor fünfzig Jahren, also vor seiner Zeit, aber er weiß alles darüber, und er Sagt, es wurde alles unter der Decke gehalten, und wenn ich zu viel darüber wüßte, würde das nur Verdacht erregen. Aber eins weiß ich – das letzte Mal, als die Kammer des Schreckens geöffnet wurde, ist ein Schlammblüter gestorben. Also wette ich, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis einer von ihnen diesmal umgebracht wird… Ich hoffe, es ist die Granger«, sagte er genüßlich.
Ron ballte Crabbes gigantische Faust zusammen. Harry, der dachte, es wäre doch etwas verräterisch, wenn Ron Malfoy einen Faustschlag versetzen würde, warf ihm einen warnenden Blick zu und sagte:
»Weißt du, ob derjenige, der die Kammer das letzte Mal geöffnet hat, erwischt wurde?«
»Oja… wer immer es war, er wurde aus der Schule verbannt«, sagte Malfoy.»Sitzt wahrscheinlich immer noch in Askaban.«
»Askaban?«, sagte Harry verdutzt.
»Askaban. – das Zauberergefängnis, Goyle«, sagte Malfoy und sah ihn ungläubig an.»Ehrlich, wenn du noch langsamer wärst, würdest du rückwärts gehen.«
Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum und sagte:»Vater sagt, ich solle mich zurückhalten und den Erben von Slytherin machen lassen. Die Schule müsse von allen schmutzigen Schlammblütern gereinigt werden, doch ich soll mich nicht einmischen. Natürlich hat er im Augenblick viel am Hals. Wißt ihr, daß das Zaubereiministerium letzte Woche unseren Landsitz durchsucht hat?«
Harry versuchte Goyles dumpfes Gesicht zu einem besorgten Blick zu zwingen.
»Tja…«, sagte Malfoy,»glücklicherweise haben sie nicht viel gefunden. Vater hat ein paar sehr wertvolle Sachen für schwarze Magie. Aber zum Glück haben wir unsere eigene Geheimkammer unter dem Fußboden des Salons
»Ho!«, sagte Ron.
Malfoy sah ihn an. Und Harry ebenfalls. Ron wurde rot. Selbst sein Haar wurde rot. Auch seine Nase wurde fast unmerklich länger – ihre Zeit war um, Ron verwandelte sich wieder in sich selbst, und nach dem entsetzten Blick, den er Harry zuwarf, geschah dies auch mit ihm.
Beide sprangen auf,
»Arznei für meinen Magen«, stöhnte Ron, und ohne noch ein Wort zu sagen, rannten sie durch den Gemeinschaftsraum der Slytherins, stürzten sich auf die feuchte Wand und spurteten den Gang entlang, in der Hoffnung, Malfoy habe nichts bemerkt. Harrys Füße begannen in Goyles riesigen Schuhen zu rutschen und weil er schrumpfte, mußte er seinen Umhang hochraffen. Sie rasten die Treppe hoch in die dunkle Eingangshalle; nicht zu überhören war das dumpfe Pochen aus dem Schrank, in den sie Crabbe und Goyle eingeschlossen hatten. Sie ließen die Schuhe vor der Schranktür zurück und hasteten in Socken die marmorne Treppe zum Klo der Maulenden Myrte hoch.
»Na ja, es war nicht alles Zeitverschwendung«, keuchte Ron und schloß die Klotür hinter sich.»Ich weiß, wir haben immer noch nicht rausgefunden, wer für die Angriffe verantwortlich ist, aber morgen schreibe ich Dad, er soll unter Malfoys Salon nachschauen.«
Harry prüfte sein Gesicht in dem zerbrochenen Spiegel. Er war wieder er selbst. Er setzte seine Brille auf und Ron hämmerte gegen Hermines Kabine.
»Hermine, komm raus, wir haben dir 'ne Menge zu erzählen -«
»Haut ab!«, quiekte Hermine.
Harry und Ron sahen sich an.
»Was ist los mit dir?«, fragte Ron.»Du mußt doch inzwischen wieder du selbst sein, wie wir -«
Doch plötzlich glitt die Maulende Myrte durch die Kabinentür. Harry hatte sie nie so glücklich gesehen.
»Ooooooh, wartet, bis ihr sie seht«, sagte sie.»Es ist schrecklich -«
Sie hörten den Riegel zurückgleiten und heraus kam Hermine, den Umhang über den Kopf gezogen und schluchzend.
»Was ist los?«, fragte Ron wieder.»Hast immer noch Millicents Nase oder so was?«
Hermine ließ den Umhang fallen und Ron zuckte so schnell zurück, daß er gegen das Waschbecken stieß.
Ihr Gesicht war mit schwarzem Fell überzogen. Ihre Augen waren gelb, und lange spitze Ohren ragten aus ihrem Haar.
»Es war ein K-Katzenhaar!«, heulte sie.»M-Millicent Bulstrode muß eine Katze haben! Und der Trank darf nicht für Verwandlungen in Tiere gebraucht werden!«
»Uh – oh«, sagte Ron.
»Da werden sie dich ganz fürchterlich triezen«, sagte Myrte glücklich.
»Ist schon gut, Hermine«, sagte Harry rasch.»Wir bringen dich hoch in den Krankenflügel, Madam Pomfrey stellt nie zu viele Fragen…«
Es dauerte lange, bis sie Hermine dazu überredet hatten, hinauszugehen. Die Maulende Myrte machte ihnen mit schallendem Gelächter Beine.
»Wart nur, bis alle rausfinden, daß du einen Schwanz hast!«