123301.fb2 Harry Potter und die Kammer des Schreckens - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

Harry Potter und die Kammer des Schreckens - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

Aragog

Langsam zog der Sommer über die Ländereien des Schlosses. Himmel und See färbten sich grünblau und in den Gewächshäusern trieben Blumen kohlkopfgroße Blüten aus. Doch ohne Hagrid, den Harry oft vom Fenster aus beobachtet hatte, wie er mit Fang auf den Fersen umherschlenderte, kam es ihm vor, als stimmte an diesem Bild etwas nicht. Und nicht besser war es drinnen im Schloss, wo die Dinge so fürchterlich falsch liefen.

Harry und Ron hatten versucht Hermine zu besuchen, doch Besuche im Krankenflügel waren jetzt verboten.

»Wir gehen kein Risiko mehr ein«, erklärte ihnen Madam Pomfrey mit strenger Miene durch einen Spalt in der Hospitaltür.»Nein, tut mir Leid, es könnte durchaus sein, daß der Angreifer zurückkommt, um seine Opfer endgültig zu erledigen…«

Seit Dumbledore fort war, hatte sich eine nie gekannte Furcht im Schloß breit gemacht, und die Sonne, die die Schloßmauern draußen erwärmte, schien an den Doppelfenstern Halt zu machen. In der Schule sah man kaum ein Gesicht, das nicht besorgt und angespannt wirkte, und alles Lachen, das durch die Gänge hallte, klang schrill und unnatürlich und erstarb rasch.

Harry rief sich immer wieder die letzten Worte Dumbledores in Erinnerung:»Ich werde die Schule erst dann endgültig verlassen, wenn mir hier keiner mehr die Treue hält… Wer immer in Hogwarts um Hilfe bittet, wird sie auch bekommen.«Doch was nützten diese Worte? Wen sollten sie denn um Hilfe rufen, wenn alle andern genauso ratlos und verängstigt waren?

Hagrids Fingerzeig auf die Spinnen war viel leichter zu verstehen – das Problem war nur, daß im Schloß offenbar keine einzige Spinne mehr übrig geblieben war, der sie hätten folgen können. Wo immer Harry auch hinging, hielt er Ausschau nach einer Spinne, und Ron half ihm dabei (wenn auch eher widerstrebend). Natürlich störte sie das Verbot, allein umherzuwandern, und die anderen Gryffindors waren immer dabei. Wie eine Schafherde wurden sie von den Lehrern von Klassenzimmer zu Klassenzimmer geführt, und die meisten schienen froh darüber zu sein, doch Harry fand es sehr lästig.

Einer jedoch schien die Stimmung aus Angst und Mißtrauen von ganzem Herzen zu genießen. Draco Malfoy stolzierte in der Schule herum, als ob er gerade zum Schulsprecher ernannt worden wäre. Worüber Draco sich so freute, wurde Harry erst gut zwei Wochen nach Dumbledores und Hagrids Fortgang klar. im Zaubertrankunterricht, wo er eine Reihe hinter Malfoy saß, hörte er ihn vor Crabbe und Goyle prahlen.

»Ich hab immer gewußt, daß Vater es schaffen wird, Dumbledore aus dem Weg zu räumen«, sagte er, ohne sich groß anzustrengen, leise zu sprechen.»Hab euch ja gesagt, seiner Meinung nach ist Dumbledore der schlechteste Schulleiter, den die Schule je gehabt hat. Vielleicht kriegen wir jetzt einen anständigen Rektor. jemand, der gar nicht will, daß die Kammer des Schreckens geschlossen wird. McGonagall wird nicht lange bleiben, sie ist nur eingesprungen…«

Snape rauschte an Harry vorbei, ohne ein Wort über Hermines leeren Platz und Kessel zu verlieren.

»Sir«, sagte Malfoy laut,»Sir, warum bewerben Sie sich nicht um das Amt des Schulleiters?«

»Schon gut, Malfoy«, sagte Snape, auch wenn er ein dünnlippiges Lächeln nicht unterdrücken konnte.»Professor Dumbledore ist von den Schulräten nur beurlaubt worden, ich würde sagen, er wird schon bald wieder bei uns sein.«

Ja, schon«, sagte Malfoy hämisch grinsend.»Ich bin mir aber sicher, mein Vater würde für Sie stimmen, Sir, wenn Sie sich um die Stelle bewerben – ich jedenfalls werde Vater sagen, daß Sie der beste Lehrer an der Schule sind, Sir -«

Mit einem gekünstelten Lächeln rauschte Snape davon. Glücklicherweise bemerkte er Seamus Finnigan nicht, der so tat, als erbreche er sich in seinen Kessel.

»Es überrascht mich doch, daß die Schlammblüter inzwischen nicht alle die Koffer gepackt haben«, fuhr Malfoy fort.»Wette fünf Galleonen, daß der nächste stirbt. Schade, daß es nicht die Granger war -«

In diesem Moment läutete die Glocke, und das war ein Glück. Denn bei Malfoys letzten Worten war Ron aufgesprungen, und weil jetzt alle hastig ihre Taschen und Bücher zusammenkramten, fiel nicht weiter auf, daß er sich auf Malfoy stürzen wollte.

»Laßt mich zu dem Kerl«, knurrte Ron; Harry und Dean hielten ihn an den Armen fest.»Ist mir egal, ich brauch meinen Zauberstab nicht, ich bring ihn mit meinen bloßen Händen um -«

»Beeilung, ich muß euch zu Kräuterkunde bringen«, bellte Snape über die Köpfe der Schüler hinweg, und sie marschierten in Zweierreihen los. Harry und Dean bildeten die Nachhut und schleppten Ron, der sich immer noch losreißen wollte, hinter sich her. Erst als Snape am Schloßportal zurückgeblieben war und sie durch das Gemüsefeld hinüber zu den Gewächshäusern gingen, konnten sie ihn loslassen.

In Kräuterkunde herrschte gedrückte Stimmung; jetzt fehlten schon zwei von ihnen, Justin und Hermine.

Professor Sprout gab ihnen die Aufgabe, die abessinischen Schrumpelfeigenbäume zu beschneiden. Harry ging mit einem Arm voll verdorrter Stiele hinüber zum Komposthaufen. Dort stand Ernie Macmillan und suchte seinen Blick. Ernie holte tief Luft und sagte sehr förmlich:

»Ich wollte dir nur sagen, Harry, daß es mir Leid tut, daß ich dich verdächtigt habe. Ich weiß, du würdest niemals Hermine Granger angreifen, und ich entschuldige mich für all das Zeug, das ich gesagt habe. Wir sitzen jetzt alle im selben Boot, und, naja -«

Er streckte seine plumpe Hand aus und Harry schüttelte sie.

Ernie und seine Freundin Hannah arbeiteten am selben Schrumpelfeigenbaum und kamen zu Harry und Ron herüber.

»Dieser Typ, Draco Malfoy«, sagte Ernie, während er vertrocknete Stiele abknickte,»der scheint sich über die ganze Geschichte riesig zu freuen. Wißt ihr, ich glaube, er könnte der Erbe Slytherins sein.«

»Das ist schlau von dir«, sagte Ron, der Ernie nicht so bereitwillig verziehen hatte wie Harry.

»Glaubst du, es ist Malfoy, Harry?«, fragte Ernie.

»Nein«, sagte Harry so bestimmt, daß Ernie und Hannah ihn verdutzt anstarrten.

Eine Sekunde später bemerkte Harry etwas, das ihn zwang, Ron mit seiner Gartenschere eins über die Hände zu geben.

»Au! Was soll -«

Harry deutete auf den Boden ein paar Meter vor ihnen. Mehrere große Spinnen krabbelten über die Erde.

»0 ja«, sagte Ron und versuchte – vergeblich – eine erfreute Miene aufzusetzen.»Aber wir können ihnen jetzt nicht folgen -«

Ernie und Hannah hörten ihnen neugierig zu.

Harry sah den flüchtenden Spinnen nach.

»Sieht aus, als seien sie auf dem Weg in den Verbotenen Wald…«

Daraufhin sah Ron nicht glücklicher aus.

Nach Ende der Stunde führte sie Professor Snape hinüber in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Harry und Ron ließen sich ein wenig zurückfallen, um ungestört reden zu können.

»Wir brauchen noch einmal den Tarnumhang«, sagte Harry.»Wir können Fang mitnehmen. Er geht mit Hagrid öfter in den Wald und könnte uns vielleicht nützen.«

»Stimmt«, sagte Ron, der seinen Zauberstab nervös in den Fingern drehte.»Ähm – soll es nicht – soll es nicht Werwölfe im Wald geben?«, fügte er hinzu, als sie ihre Stammplätze ganz hinten in Lockharts Klassenzimmer eingenommen hatten.

Harry wollte auf diese Frage lieber nicht antworten und sagte:

»Es gibt dort auch Gutes. Die Zentauren sind in Ordnung, und die Einhörner…«

Ron war nie im Verbotenen Wald gewesen. Harry hatte ihn nur einmal betreten und seither gehofft, es nie wieder tun zu müssen.

Lockhart kam hereingestürmt und die Klasse starrte ihn an. Alle anderen Lehrer der Schule wirkten bedrückter als sonst, doch Lockhart kam ihnen geradezu ausgelassen vor.

»Na, was denn?«, rief er umherstrahlend.»Warum all die langen Gesichter?«

Sie tauschten ärgerliche Blicke, doch keiner antwortete.

»Ist euch eigentlich nicht klar«, sagte Lockhart langsam, als wären sie alle ein bißchen einfältig,»daß die Gefahr vorüber ist! Der Schurke wurde abgeführt -«

»Sagt wer?«, rief Dean Thomas.

»Mein lieber junger Mann, der Zaubereiminister hätte Hagrid nicht festgenommen, wenn er sich nicht hundertprozentig sicher wäre, daß er der Schuldige ist«, sagte Lockhart im Ton eines Lehrers, der erklären muß, daß eins und eins zwei ergibt.

»0 doch, das würde er«, sagte Ron noch lauter als Dean.

»Ich schmeichle mir, ein klein wenig mehr über Hagrids Festnahme zu wissen als Sie, Mr Weasley«, sagte Lockhart selbstzufrieden.

Ron wollte schon sagen, da sei er anderer Meinung, brach jedoch mitten im Satz ab, als ihm Harry gegen das Schienbein trat.

»Wir waren nicht dabei, klar?«, zischelte Harry.

Doch Lockharts abstoßende Fröhlichkeit, seine Andeutungen, er habe ohnehin nie Gutes von Hagrid gehalten, seine Zuversicht, daß die ganze Angelegenheit nun abgeschlossen sei – das alles ärgerte Harry dermaßen, daß er große Lust hatte, Gammeln mit Ghulen in Lockharts dummes Gesicht zu schmeißen. Statt dessen gab er sich damit zufrieden, eine Notiz für Ron zu kritzeln.

»Tun wir's heute Nacht.«

Ron las den Zettel, schluckte krampfhaft und sah hinüber zu dem leeren Platz, auf dem sonst Hermine saß. Der Anblick bestärkte ihn offenbar in seinem Entschluß und er nickte.

Im Gemeinschaftsraum der Gryffindors war jetzt immer viel los, denn ab sechs Uhr durften sie nirgendwo anders hingehen. Außerdem hatten sie viel zu besprechen, und die Folge war, daß sich der Gemeinschaftsraum oft erst nach Mitternacht leerte.

Harry ging nach dem Abendessen hoch, um den Tarnumhang zu holen. Den ganzen Abend hockte er darauf und wartete, daß die andern endlich zu Bett gehen würden. Fred und George forderten Harry und Ron zu ein paar Spielen»Snape explodiert«heraus und Ginny saß ganz niedergeschlagen auf Hermines Stammplatz und sah ihnen zu. Harry und Ron versuchten die Spiele rasch zu beenden und verloren dauernd mit Absicht, dennoch war es schon weit nach Mitternacht, als Fred, George und Ginny endlich zu Bett gingen.

Harry und Ron warteten, bis sie weiter oben im Turm zwei Schlafsaaltüren zugehen hörten, dann warfen sie sich den Tarnumhang über und kletterten durch das Porträtloch.

Wieder war es eine schwierige Wanderung durch das Schloß, bei der sie vielen Lehrern ausweichen mußten, bis sie endlich die Eingangshalle erreichten. Sie entriegelten das eichene Tor und schoben es auf. wobei sie Acht gaben, daß es nicht knarrte. Dann traten sie hinaus auf das mondbeschienene Schloßgelände.

»Kann natürlich sein«, sagte Ron urplötzlich, während sie über das schwarze Gras marschierten,»daß wir zum Wald kommen und dann nicht wissen, wie weiter. Die Spinnen sind vielleicht gar nicht dorthin gekrabbelt. Ich weiß, es sah so aus, als ob sie grob in die Richtung gegangen seien, aber…«

Hoffnungsvoll verlor sich seine Stimme in der Dunkelheit.

Sie erreichten Hagrids Hütte, die mit ihren leeren Fenstern traurig und wehmütig aussah. Harry stieß die Tür auf und als Fang sie erkannte, spielte er verrückt vor Freude. Aus Sorge, er könne mit seinem tiefen, donnernden Bellen das ganze Schloß aufwecken, gaben sie ihm hastig Sirupbonbons aus einer Dose auf dem Kaminsims zu fressen, die seine Zähne zusammenklebten.

Harry ließ den Tarnumhang auf Hagrids Tisch zurück. Im stockdunklen Wald würden sie ihn nicht brauchen.

»Komm mit, Fang, wir gehen spazieren«, sagte Harry und tätschelte Fang. Glücklich tollte Fang hinter ihnen her und jagte hinüber zum Waldrand, wo er an einer hohen Platane das Bein hob. Harry zückte seinen Zauberstab und murmelte»Lumos!«. An der Spitze erschien ein kleines Licht, gerade hell genug, um den Weg nach Spinnen abzusuchen.

»Klug von dir«, sagte Ron.»Ich würde meinen ja auch anzünden, aber du weißt ja – er würde wahrscheinlich explodieren oder so etwas…«

Harry tippte Ron auf die Schulter und deutete ins Gras. Zwei einzelne Spinnen entflohen dem Licht des Zauberstabs in den Schatten der Bäume.

»Na schön«, seufzte Ron, als ob er sich mit dem Schlimmsten abgefunden hätte.»Ich bin bereit. Gehen wir.«

Mit dem wild herumtollenden und Baumwurzeln und Blätter beschnüffelnden Fang betraten sie den Wald. Im Schein von Harrys Zauberstab gingen sie den Spinnen nach, die immer wieder am Pfad entlang auftauchten. Gut eine Viertelstunde lang folgten sie ihnen schweigend, wobei sie angespannt auf andere Geräusche als das Knacken von Zweigen und das Rascheln von Blättern lauschten. Dann jedoch – der Wald war so dicht geworden, daß sie die Sterne am Himmel nicht mehr sehen konnten und nur noch Harrys Zauberstab in das Meer der Dunkelheit strahlte – sahen sie, daß die Spinnen, die sie geführt hatten, den Pfad verließen.

Harry hielt an und versuchte zu erspähen, wo die Spinnen hinliefen, doch alles außerhalb des kleinen Lichtkegels war rabenschwarz. So tief war er noch nie in den Wald vorgedrungen. Lebhaft erinnerte er sich noch an Hagrids Mahnung beim letzten Mal, nie den Pfad zu verlassen. Doch Hagrid war jetzt meilenweit entfernt, vermutlich saß er in einer Zelle in Askaban, und immerhin hatte er selbst gesagt, sie sollten den Spinnen folgen.

Etwas Nasses berührte Harrys Hand, er zuckte zurück und trat auf Rons Fuß. Doch es war nur Fangs Nase.

»Was überlegst du?«, fragte Harry Ron, dessen Augen er gerade noch im Licht des Zauberstabes erkennen konnte.

»Wenn wir schon so weit gekommen sind…«, sagte Ron.

Und so folgten sie den huschenden Schatten der Spinnen in das Dickicht der Bäume. Sie kamen jetzt nur noch langsam voran; Wurzeln und Baumstümpfe waren ihnen im Weg, den sie in der fast völligen Dunkelheit kaum sehen konnten. Harry konnte Fangs heißen Atem auf seiner Hand spüren. Mehr als einmal mußten sie anhalten, und Harry kniete sich hin, um die Spinnen im Zauberstablicht auf dem Waldboden zu suchen.

Mindestens eine halbe Stunde lang, so kam es ihnen vor, streiften sie quer durch den Wald, wobei sich ihre Umhänge immer wieder an niedrigen Zweigen und Dornensträuchern verhedderten. Nach einer Welle schien es sanft bergab zu gehen, auch wenn die Bäume so dicht standen wie zuvor. Dann ließ Fang plötzlich ein mächtiges, widerhallendes Bellen ertönen, das Harry und Ron fast aus der Haut springen ließ.

»Was ist?«, sagte Ron laut, starrte in der Dunkelheit umher und umklammerte fest Harrys Arm.

»Da drüben bewegt sich was«, flüsterte Harry,»hör mal… klingt wie etwas Großes.«

Sie lauschten. In einiger Entfernung rechts von ihnen bahnte sich das große Etwas ästebrechend eine Schneise durch die Bäume.

»0 nein«, sagte Ron.»0 nein, o nein, o -«

»Sei still«, zischte Harry,»es hört dich sonst noch.«

»Mich hören?«, sagte Ron mit unnatürlich hoher Stimme.»Es hat schon längst Fang gehört!«

Starr vor Schreck standen sie da und warteten. Die Dunkelheit schien auf ihre Augäpfel zu drücken. Es gab ein merkwürdiges Rumpeln und dann herrschte Stille.

»Was glaubst du, tut es gerade?«, fragte Harry.

»Macht sich wohl zum Sprung bereit«, antwortete Ron.

Sie warteten, am ganzen Leib zitternd, und wagten nicht, sich zu bewegen.

»Glaubst du, es ist fort?«, flüsterte Ron.

»Weiß nicht -«

jäh und grell strömte Licht von rechts her und sie mußten die Hände schützend vor die Augen halten. Fang jaulte auf und wollte wegrennen, verhedderte sich jedoch in einem Dorngestrüpp und jaulte noch lauter.

»Harry!«, rief Ron, und die Stimme versagte ihm vor Erleichterung.»Harry, es ist unser Wagen!«

»Was?«

»Komm mit«

Stolpernd folgte er Ron. Nach kurzer Zeit betraten sie eine Lichtung.

Inmitten eines dichten Baumkreises und unter einem festen Dach aus Zweigen stand Mr Weasleys Wagen, seine Scheinwerfer strahlten in die Nacht. niemand saß darin. Als Ron mit offenem Mund auf den Wagen zuging, kam er ihm langsam entgegen, wie ein großer, türkisgrüner Hund, der sein Herrchen begrüßt.

»Er war die ganze Zeit hier«, sagte Ron erleichtert und ging um das Auto herum.»Schau ihn dir an. Der Wald hat ihn wild gemacht…«

Die Flügel des Wagens waren zerkratzt und schlammbeschmiert. Offenbar hatte er Gefallen daran gefunden, auf eigene Faust im Wald umherzuhoppeln. Fang schien überhaupt nicht scharf auf ihn zu sein. Zitternd drängte er sich an Harrys Beine, während Harry allmählich wieder ruhig zu atmen begann und den Zauberstab wieder in den Umhang steckte.

»Und wir dachten, er würde uns angreifen!«, sagte Ron. Er lehnte sich an den Wagen und tätschelte ihn.»Hab mich oft gefragt, wo er hin ist!«

Harry suchte im Licht der Scheinwerfer nach Spinnen auf dem Boden, doch alle waren vor dem gleißenden Licht geflohen.

»Wir haben ihre Spur verloren«, sagte er.»Komm, gehen wir sie suchen.«

Ron schwieg. Er bewegte sich nicht. Seine Augen waren auf einen Punkt etwa drei Meter über dem Waldboden gerichtet, direkt hinter Harry. In seinem Gesicht stand das helle Entsetzen.

Harry hatte nicht einmal die Zeit, sich umzudrehen. Er hörte ein lautes Klicken und plötzlich spürte er, wie etwas Langes und Haariges sich um seine Hüfte schlang und ihn von den Füßen riß, so daß er mit dem Gesicht nach unten baumelte. Zu Tode erschrocken schlug er um sich, dann hörte er ein neuerliches Klicken und Sah, wie sich auch Rons Beine vom Boden hoben. Fang wimmerte und heulte – und im nächsten Moment wurde auch er vom Boden gerissen und verschwand zwischen den dunklen Bäumen. Kopfüber hängend erkannte Harry, was ihn gepackt hatte. Es hatte sechs ungeheuer lange, haarige Beine, und die vorderen zwei hielten ihn fest umschlungen, dicht unterhalb eines Paars schimmernd schwarzer Greifzangen. Hinter sich konnte er noch eine dieser Kreaturen hören, die zweifellos Ron fortschleppten. Sie krabbelten geradewegs ins Herz des Waldes. Harry konnte Fang hören, wie er laut wimmernd versuchte, sich von einem dritten Monster loszukämpfen, doch er selbst hätte nicht schreien können, selbst wenn er gewollt hätte; seine Stimme schien beim Wagen auf der Lichtung zurückgeblieben zu sein.

Er konnte nicht sagen, wie lange er in den Krallen des Wesens gewesen war; er wußte nur, daß die Dunkelheit plötzlich so viel von ihrer Schwärze verlor, daß er etwas erkennen konnte – auf dem blätterbedeckten Boden wimmelte es jetzt von Spinnen. Er reckte den Kopf zur Seite und sah, daß sie den Rand einer gewaltigen Senke erreicht hatten, in der keine Bäume standen, so daß die Sterne ihr Licht auf das schlimmste Schauspiel warfen, das er je gesehen hatte.

Spinnen. Nicht kleine Spinnen wie jene, die über die Blätter auf dem Boden huschten. Spinnen, so groß wie Kutschpferde, achtäugig, achtbeinig, schwarz, haarig, gigantisch. Das massige Exemplar, das Harry trug, machte sich auf den Weg den steilen Abhang hinunter, hinüber zu einem Netz, das wie eine Kuppel aus Nebelschleiern in der Mitte der Senke hing. Seine Artgenossen schlossen einen engen Kreis um sie und angesichts seiner Beute klickten sie aufgeregt mit ihren Greifern.

Die Spinne ließ ihn los und Harry landete mit allen Vieren auf dem Boden. Ron und Fang schlugen neben ihm auf, Fang heulte nicht mehr, sondern kauerte sich still zusammen. Ron sah genauso aus, wie Harry sich fühlte. Sein Mund war weit aufgerissen zu einem stummen Schrei und seine Augen hüpften.

Plötzlich hörte Harry, daß die Spinne, die ihn hatte fallen lassen, etwas sagte. Es war schwer zu verstehen, denn sie klickte bei jedem Wort mit ihren Greifzangen.

»Aragog!«, rief sie,»Aragog!«

Und aus der Mitte der schleierartigen Netzkuppel tauchte ganz langsam eine Spinne von der Größe eines kleinen Elefanten auf Ins Schwarz ihres Körpers und ihrer Beine war Grau gemischt und jedes Auge auf ihrem häßlichen, greiferbestückten Kopf war milchig weiß. Sie war blind.

»Was ist?«, sagte sie und klickte schnell mit ihren Greifern.

»Menschen«, klickte die Spinne, die Harry gefangen hatte.

»Ist es Hagrid?«, sagte Aragog und kam näher, seine acht milchigen Augen schwammen ziellos umher.

»Fremde«, klickte die Spinne, die Ron gebracht hatte.

»Tötet sie«, klickte Aragog gereizt.»Ich habe geschlafen…«

»Wir sind Freunde von Hagrid«, rief Harry. Sein Herz schien die Brust verlassen zu haben und in der Kehle zu pochen.

Klick, klick, klick, machten die Spinnenzangen im Umkreis der Senke. Aragog hielt kurz inne.

»Hagrid hat nie zuvor Menschen in unsere Senke geschickt«, sagte er träge.

»Hagrid steckt in Schwierigkeiten«, sagte Harry, und sein Atem rasselte.»Deshalb sind wir gekommen.«

»In Schwierigkeiten?«, sagte die alte Spinne und Harry meinte ein wenig Besorgnis aus dem Klicken herauszuhören.»Aber warum hat er euch geschickt?«

Harry überlegte, ob er aufstehen sollte, ließ es jedoch sein; er glaubte nicht, daß ihn seine Beine tragen würden. Und so sprach er vom Boden aus, so ruhig er konnte.

»Oben in der Schule glauben sie, Hagrid hätte ein – ein -etwas auf die Schüler losgelassen. Sie haben ihn nach Askaban gebracht.«

Aragog klickte wütend mit den Greifzangen und in der ganzen Senke tat es ihm die Schar der Spinnen gleich; es klang wie Beifall, nur daß Harry davon normalerweise nicht übel vor Angst wurde.

»Aber das war vor vielen Jahren«, sagte Aragog ungehalten.»Vor vielen, vielen Jahren. Ich erinnere mich gut daran. Deshalb haben sie ihn gezwungen, die Schule zu verlassen. Sie glaubten, ich sei das Monster, das, wie sie sagen, in der Kammer des Schreckens haust. Sie glaubten, Hagrid habe die Kammer geöffnet und mich freigelassen.«

»Und du… du kamst nicht aus der Kammer des Schreckens?«, sagte Harry, dem jetzt der kalte Schweiß auf der Stirn ausbrach.

»Ich!«, sagte Aragog und klapperte zornig.»Ich wurde nicht im Schloß geboren. Ich komme aus einem fernen Land. Ein Reisender schenkte mich Hagrid, als ich noch ein Ei war. Hagrid war damals noch ein Junge, doch er sorgte für mich und versteckte mich in einem Schrank im Schloß und fütterte mich mit Essensresten vom Tisch. Hagrid ist mein Freund und ein guter Mann. Als man mich entdeckte und mir die Schuld für den Tod des Mädchens gab, da beschützte er mich. Seither lebe ich hier im Wald, wo Hagrid mich immer noch besucht. Er hat sogar eine Frau für mich gefunden, Mosag, und du siehst, wie unsere Familie gewachsen ist; alles dank Hagrids Güte…«

Harry raffte den letzten Rest Mut zusammen.

»Also hast du nie – nie jemanden angegriffen?«

»Niemals«, krächzte die alte Spinne.»Es wäre nur natürlich für mich gewesen, aber aus Achtung für Hagrid habe ich nie einem Menschen Leid angetan. Die Leiche des Mädchens, das getötet wurde, hat man in einer Toilette gefunden. Ich habe nie einen anderen Teil des Schlosses gesehen als den Schrank, in dem ich aufwuchs. Unsereins mag das Dunkle und die Stille…«

»Aber dann… weißt du, was wirklich das Mädchen getötet hat?«, sagte Harry.»Denn was immer es ist, es ist zurück und greift wieder Menschen an -«

Seine Worte ertranken in lautem Zangenklicken und im Rascheln vieler langer Beine, die wütend über den Boden scharrten; um ihn her huschten große schwarze Schatten.

»Das Wesen, das im Schloß lebt«, sagte Aragog,»ist eine uralte Kreatur, die wir Spinnen mehr als alles andere fürchten. Ich erinnere mich noch gut, wie ich Hagrid angefleht habe, mich gehen zu lassen, als ich spürte, daß das Biest in der Schule umherstreifte.«

»Was ist es?«, fragte Harry eindringlich.

Abermals lautes Klicken und Rascheln; die Spinnen schienen den Kreis enger zu ziehen.

»Wir sprechen nicht davon!«, sagte Aragog zornig.»Wir nennen es nicht beim Namen! Nicht einmal Hagrid habe ich je den Namen dieser fürchterlichen Kreatur genannt, obwohl er mich viele Male gefragt hat.«

Harry wollte nicht weiter auf ihn einreden, nicht angesichts all dieser Spinnen, die von allen Seiten her auf ihn zudrängten. Aragog schien des Redens müde zu sein. Langsam wich er in sein Kuppelnetz zurück, doch seine Artgenossen drangen ganz allmählich weiter auf Harry und Ron vor.

»Dann gehen wir jetzt einfach«, rief Harry verzweifelt Aragog zu, und schon raschelten die Blätter hinter ihm.

»Gehen?«, sagte Aragog langsam.»Ich glaube nicht…«

»Aber… aber…«

»Meine Söhne und Töchter rühren Hagrid nicht an, auf meinen Befehl hin. Doch ich kann ihnen frisches Fleisch nicht verwehren, wenn es so bereitwillig in unsere Mitte kommt. Adieu, Freund von Hagrid.«

Harry wirbelte herum. Wenige Meter von ihm entfernt ragte eine feste Wand aus Spinnen empor, die mit ihren Greifern klickten. Ihre Augen schimmerten wie häßliche schwarze Knöpfe. Schon als er nach seinem Zauberstab griff, wußte Harry, daß es nichts nützen würde, es waren zu viele. Doch als er aufzustehen versuchte, bereit, kämpfend zu sterben, hörte er einen lauten, lang gezogenen Ton, und ein Lichtblitz flammte durch die Senke.

Mr Weasleys Wagen donnerte den Abhang herunter, mit gleißenden Scheinwerfern und schrill hupend, und er rempelte dabei rechts und links Spinnen um; mehrere von ihnen landeten auf dem Rücken, und ihre endlos langen Beine ruderten durch die Luft. Kreischend hielt der Wagen vor Harry und Ron und die Türen flogen auf,

»Hol Fang!«, schrie Harry und hechtete auf den Beifahrersitz; Ron packte den Saurüden um den Bauch und sie landeten japsend auf dem Rücksitz – die Türen schlugen zu – Ron saß absolut reglos da, doch der Wagen brauchte ihn nicht; mit dröhnendem Motor fuhren sie davon und warfen unterwegs noch mehr Spinnen auf den Rücken; sie rasten den Abhang hoch und aus der Senke heraus. Bald jagten sie krachend durch den Wald, Äste peitschten gegen den Wagen, während er sich pfiffig seinen Weg durch die breitesten Baumlücken bahnte. Offenbar wußte er, wo es langging.

Harry drehte sich zu Ron um. Sein Mund war immer noch zu einem stummen Schrei geöffnet, doch seine Augen hüpften nicht mehr.

»Bist du in Ordnung?«

Ron starrte geradeaus und brachte kein Wort heraus.

Der Wagen krachte durch das Unterholz. Fang heulte laut auf, und als sie knapp an einer großen Eiche vorbeizischten, brach ein Seitenspiegel ab. Nach zehn lärmerfüllten, holprigen Minuten lichteten sich die Bäume, und Harry konnte hier und da einen Fleck Himmel erkennen.

Der Wagen stoppte so j«äh, daß sie fast durch die Windschutzscheibe flogen. Sie hatten den Waldrand erreicht. Fang warf sich gegen das Fenster, so ungestüm drängte er nach draußen, und als Harry die Tür öffnete, peste er mit eingezogenem Schwanz los durch die Bäume hindurch auf Hagrids Hütte zu. Auch Harry stieg aus und nach einer Weile schien auch Ron seine Glieder wieder zu spüren und folgte ihm mit steifen Bewegungen und starrem Blick. Harry gab dem Wagen einen dankbaren Klaps und der fuhr zurück in den Wald und verschwand.

Harry ging noch einmal in Hagrids Hütte, um den Tarnumhang zu holen. Fang lag zitternd unter einer Decke in seinem Korb. Als Harry wieder nach draußen kam, sah er Ron im Kürbisbeet stehen und sich herzhaft übergeben.

»Folgt den Spinnen«, sagte Ron matt und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab.»Das werd ich Hagrid nie verzeihen. Wir können von Glück reden, daß wir am Leben sind.«

»Ich wette, er glaubte, Aragog würde seinen Freunden nichts tun«, sagte Harry.

»Das ist ja gerade Hagrids Problem!«, sagte Ron und hämmerte mit der Faust gegen die Hüttenwand.»Er glaubt ständig, Monster seien nicht so schlimm wie ihr Ruf, und du siehst ja, wohin ihn das gebracht hat! In eine Zelle in Askaban!«Er zitterte jetzt hilflos am ganzen Körper.»Was hat es gebracht, uns da reinzuschicken? Was haben wir herausgefunden, möchte ich gern wissen?«

»Daß Hagrid die Kammer des Schreckens nicht geöffnet hat«, sagte Harry, warf Ron den Umhang über und zog ihn am Arm, um ihn zum Gehen zu bewegen.»Er war unschuldig.«

Von Ron kam ein lautes Schnauben. Offenbar stellte er sich etwas anderes unter Unschuld vor, als Aragog in einem Schrank zu päppeln.

Das Schloß ragte nun über ihnen auf und Harry zog am Tarnurnhang, damit ihre Füße bedeckt waren. Sie schoben vorsichtig das knarrende Tor auf, durchquerten die Eingangshalle, stiegen die Marmortreppe empor und huschten mit angehaltenem Atem durch die Gänge, in denen aufmerksame Wächter umherliefen. Endlich erreichten sie den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo vom Feuer nur noch glühende Asche übrig geblieben war. Hier waren sie in Sicherheit. Sie nahmen den Tarnumhang ab und kletterten die Wendeltreppe zum Schlafsaal hoch.

Ron sank ins Bett, ohne sich die Mühe zu machen, die Kleider auszuziehen. Harry jedoch fühlte sich nicht besonders müde. Er saß auf dem Bettrand und dachte angestrengt über alles nach, was Aragog gesagt hatte.

Die Kreatur, die irgendwo im Schloß lauerte, hörte sich nach einer Art monsterhaftem Voldemort an – selbst andere Ungetüme wollten es nicht beim Namen nennen. Doch er und Ron waren keinen Schritt weitergekommen bei ihrem Versuch, herauszufinden, was es war oder wie es seine Opfer versteinerte. Selbst Hagrid hatte nie gewußt, was in der Kammer des Schreckens steckte.

Harry schwang die Beine aufs Bett und lehnte sich gegen die Kissen. Durch das Turmfenster funkelte der Mond.

Er wußte nicht, was sie noch tun konnten. Überall waren sie auf lose Enden gestoßen. Riddle hatte den Falschen erwischt, der Erbe Slytherins war davongekommen, und keiner konnte sagen, ob es dieselbe Person war oder eine andere, die diesmal die Kammer geöffnet hatte. Es blieb niemand übrig, den sie fragen konnten. Harry legte sich hin und dachte über die Worte Aragogs nach.

Er war schon halb eingeschlafen, als ihm etwas einfiel, was ihm wie ihre letzte Hoffnung vorkam, und plötzlich saß er wieder kerzengerade auf dem Bett.

»Ron«, zischte er durch die Dunkelheit,»Ron -«

Ron wachte mit einem jaulen auf, das an Fang erinnerte, blickte wild umher und erkannte dann Harry.

»Ron – dieses Mädchen, das gestorben ist. Aragog sagte, sie sei in einer Toilette gefunden worden«, sagte Harry und achtete nicht auf Nevilles schnaubendes Schnarchen in der Ecke.»Was, wenn sie dieses Klo nie verlassen hat? Was, wenn sie immer noch da ist?«

Ron rieb sich die Augen und blinzelte stirnrunzelnd durch das Mondlicht. Und dann begriff auch er.

»Du glaubst doch nicht etwa – nicht die Maulende Myrte?«