123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 14

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Felix Felicis

Am nächsten Morgen hatte Harry als Erstes Kräuterkunde. Er hatte Ron und Hermine beim Frühstück nichts von seiner Unterrichtsstunde bei Dumbledore erzählen können, aus Furcht, dass jemand anderes etwas mitbekam, doch auf dem Weg durch die Gemüsebeete hinüber zu den Gewächshäusern holte er es nach. Der scharfe Wind vom Wochenende hatte sich endlich gelegt; der eigenartige Nebel war zurückgekehrt und sie brauchten ein wenig länger als gewöhnlich, um das richtige Gewächshaus zu finden.

»Wow, ganz schön gruselig, sich Du-weißt-schon-wen als kleinen Jungen vorzustellen«, sagte Ron leise, als sie ihre Plätze rund um die knorrigen Snargaluff-Stümpfe einnahmen, die das Projekt dieses Trimesters waren, und sich ihre Schutzhandschuhe überzogen. »Aber ich versteh immer noch nicht, warum dir Dumbledore das alles zeigt. Ich meine, es ist wirklich interessant und alles, aber was soll das?«

»Keine Ahnung«, sagte Harry und setzte sich einen Mundschutz ein. »Aber er sagt, dass es äußerst wichtig ist und dass es mir helfen wird, zu überleben.«

»Ich finde es faszinierend«, bemerkte Hermine ernst. »Es ist absolut vernünftig, so viel wie möglich über Voldemort zu wissen. Wie sonst willst du seine Schwächen herausfinden?«

»Wie war übrigens Slughorns letzte Party?«, fragte Harry sie dumpf durch den Mundschutz.

»Oh, die war ziemlich lustig, echt«, sagte Hermine, die jetzt eine Schutzbrille aufsetzte. »Na ja, er langweilt uns zwar ein bisschen mit seinen dauernden Geschichten von berühmten Ehemaligen, und er schwänzelt total vor McLaggen rum, weil der so tolle Beziehungen hat, aber es gab was richtig Gutes zu essen bei ihm und er hat uns Gwenog Jones vorgestellt.«

»Gwenog Jones?«, sagte Ron und seine Augen weiteten sich unter seiner Schutzbrille. »Die Gwenog Jones? Kapitänin der Holyhead Harpies?«

»Genau«, sagte Hermine. »Mir persönlich kam sie ein bisschen eingebildet vor, aber – «

»Nun ist es aber genug mit dem Gequassel dort drüben!«, sagte Professor Sprout energisch und eilte mit strenger Miene herbei. »Sie sind die Letzten, alle anderen haben bereits angefangen und Neville hat schon seinen ersten Kokon!«

Sie blickten sich um; tatsächlich, da saß Neville mit einer blutigen Lippe und ein paar üblen Kratzern seitlich im Gesicht, aber er umklammerte ein unangenehm pulsierendes grünes Etwas, ungefähr so groß wie eine Pampelmuse.

»Okay, Professor, wir fangen jetzt an!«, sagte Ron, und als sie sich wieder umgedreht hatte, fügte er leise hinzu: »Hätten den Muffliato nehmen sollen, Harry.«

»Nein, hätten wir nicht!«, wandte Hermine sofort ein und setzte wie üblich beim Gedanken an den Halbblutprinzen und seine Zauber ein äußerst mürrisches Gesicht auf. »Also, nun macht schon … wird Zeit, dass wir endlich loslegen.«

Sie warf den beiden anderen einen bangen Blick zu; sie holten alle tief Luft und warfen sich auf den knorrigen Stumpf zwischen ihnen.

Augenblicklich kam Leben in ihn; lange, stachlige, brombeerartige Ranken wucherten oben aus ihm heraus und peitschten durch die Luft. Eine verhedderte sich in Hermines Haar und Ron schlug sie mit einer Gartenschere zurück; Harry gelang es, einige Ranken einzufangen und sie zusammenzuknoten; mitten in all den tentakelartigen Zweigen tat sich ein Loch auf; Hermine tauchte den Arm mutig in dieses Loch, das sich wie eine Falle um ihren Ellbogen schloss; Harry und Ron zogen und zerrten an den Ranken und bekamen das Loch mit Gewalt wieder auf, Hermine riss blitzschnell ihren Arm heraus und hielt einen Kokon in den Fingern, der genau wie der von Neville aussah. Sofort schossen die stachligen Ranken wieder nach innen, und der knorrige Stumpf lag da wie ein harmloses Stück totes Holz.

»Wisst ihr, ich glaub nicht, dass ich eins von diesen Dingern in meinem Garten haben werde, wenn ich mal mein eigenes Haus hab«, sagte Ron, schob sich die Schutzbrille auf die Stirn und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

»Reicht mir mal eine Schale«, sagte Hermine, die den pulsierenden Kokon mit ausgestrecktem Arm von sich weghielt. Harry gab ihr eine Schale und sie ließ den Kokon mit angewiderter Miene hineinfallen.

»Nur nicht zimperlich, drücken Sie ihn aus, frisch sind sie am besten!«, rief Professor Sprout.

»Wie auch immer«, sagte Hermine und setzte ihr unterbrochenes Gespräch fort, als wären sie nicht eben von einem Stück Holz angegriffen worden, »Slughorn gibt eine Weihnachtsparty, Harry, und vor der kannst du dich auf keinen Fall drücken, weil er mich tatsächlich gebeten hat, deine freien Abende auszukundschaften, damit er das Fest auch ja auf einen Termin legen kann, an dem du kommen kannst.«

Harry stöhnte. Ron versuchte unterdessen, den Kokon in der Schale zum Platzen zu bringen, indem er beide Hände darauflegte, aufstand und ihn so fest er konnte zusammenquetschte. »Und das ist auch so 'ne Party nur für Slughorns Lieblinge, oder?«, sagte er wütend.

»Nur für den Slug-Klub, ja«, sagte Hermine.

Der Kokon flutschte durch Rons Finger und flog gegen die Scheibe des Gewächshauses, prallte zurück an Professor Sprouts Hinterkopf und schlug ihren alten Flickenhut herunter. Harry ging den Kokon holen; als er zurückkam, sagte Hermine gerade: »Hör mal, ich hab mir den Namen ›Slug-Klub‹ nicht ausgedacht – «

»›Slug-Klub‹«, wiederholte Ron mit einem höhnischen Grinsen, das gut zu Malfoy gepasst hätte. »Das ist erbärmlich. Also, ich hoffe, du hast Spaß auf deiner Party. Warum versuchst du nicht, McLaggen anzubaggern, dann kann Slughorn euch zu König und Königin Schleim – «

»Wir dürfen Gäste mitbringen«, sagte Hermine, die aus irgendeinem Grund glühend scharlachrot angelaufen war, »und ich wollte eigentlich dich fragen, aber wenn du das alles so blöd findest, ist es mir auch egal!«

Harry wünschte plötzlich, der Kokon wäre ein wenig weiter weggeflogen, dann hätte er nicht mit den beiden dasitzen müssen. Ohne dass sie es bemerkten, nahm er die Schale mit dem Kokon und versuchte ihn mit den lautesten und aufwändigsten Methoden zu öffnen, die ihm einfielen; leider konnte er immer noch jedes Wort ihrer Unterhaltung hören.

»Du wolltest mich fragen?«, sagte Ron mit völlig veränderter Stimme.

»Ja«, sagte Hermine zornig. »Aber klar, wenn du es lieber hättest, dass ich McLaggen anbaggere …«

Eine Pause trat ein, in der Harry unentwegt mit einem Pflanzenheber auf den elastischen Kokon einschlug.

»Nein, hätt ich nicht«, sagte Ron ganz leise.

Harry verfehlte den Kokon, traf die Schale, und die zerbrach.

»Reparo«, sagte er hastig, tippte mit dem Zauberstab gegen die Scherben, und die Schale sprang wieder zusammen. Doch der Lärm hatte Ron und Hermine offenbar aufgerüttelt und sie an Harrys Anwesenheit erinnert. Hermine sah verwirrt aus und fing sofort an, nach ihrer Ausgabe von Fleisch fressende Bäume der Welt zu stöbern, um darin nachzuschlagen, wie man Snargaluff-Kokons korrekt entsaftet; Ron hingegen wirkte verlegen, aber auch recht zufrieden mit sich selbst.

»Gib das mir, Harry«, sagte Hermine eilig, »da steht, wir sollen mit einem spitzen Gegenstand ein Loch reinstechen …«

Harry reichte ihr die Schale mit dem Kokon, und er und Ron ließen sich die Schutzbrillen wieder über die Augen schnappen und warfen sich noch einmal auf den Stumpf.

Eigentlich war es keine Überraschung, dachte Harry, während er mit einer dornigen Ranke kämpfte, die ihn unbedingt erdrosseln wollte; er hatte es schon dunkel geahnt, dass dies früher oder später passieren würde. Aber er war nicht sicher, was er davon halten sollte … ihm und Cho war es inzwischen zu peinlich, sich anzuschauen oder gar miteinander zu sprechen; was wäre, wenn Ron und Hermine anfangen würden miteinander zu gehen und sich dann wieder trennten? Konnte ihre Freundschaft das überleben? Harry erinnerte sich an die wenigen Wochen im dritten Schuljahr, als die beiden nicht miteinander gesprochen hatten; seine Bemühungen, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, waren nicht gerade ein Vergnügen gewesen. Aber was wäre, wenn sie sich nicht trennten? Was, wenn sie eines Tages wie Bill und Fleur werden würden und es dann oberpeinlich wäre, mit ihnen zusammen zu sein, so dass er endgültig ausgeschlossen wäre?

»Hab ich dich!«, rief Ron und zog einen zweiten Kokon aus dem Stumpf, gerade als Hermine es geschafft hatte, den ersten aufzubrechen, weshalb die Schale nun voller Tubler war, die sich wie blassgrüne Würmer ringelten.

Die restliche Unterrichtszeit verging, ohne dass Slughorns Party weiter erwähnt wurde. Harry beobachtete seine beiden Freunde in den nächsten Tagen genauer, doch Ron und Hermine schienen sich wie immer zu verhalten, außer dass sie ein wenig höflicher zueinander waren als üblich. Harry nahm an, dass er einfach abwarten musste, was am Abend der Party in Slughorns spärlich beleuchtetem Zimmer unter dem Einfluss von Butterbier passieren würde. Bis dahin hatte er jedoch dringlichere Sorgen.

Katie Bell lag immer noch im St.-Mungo-Hospital und ihre Entlassung war nicht absehbar, und das bedeutete, dass der viel versprechenden Gryffindor-Mannschaft, die Harry seit September so umsichtig trainiert hatte, ein Jäger fehlte. Er schob es immer wieder hinaus, Katie zu ersetzen, in der Hoffnung, sie würde zurückkehren, doch ihr Eröffnungsspiel gegen Slytherin rückte bedrohlich näher, und schließlich musste er sich damit abfinden, dass sie nicht rechtzeitig zurück sein würde, um mitzuspielen.

Harry dachte, dass er ein weiteres Auswahlspiel mit vollen Rängen nicht ertragen konnte. Mit einem flauen Gefühl im Magen, das wenig mit Quidditch zu tun hatte, nahm er eines Tages nach Verwandlung Dean Thomas beiseite. Der größte Teil der Klasse war schon gegangen, nur ein paar gelbe Vögel, allesamt Hermines Schöpfung, flatterten immer noch zwitschernd im Raum umher; kein anderer hatte es geschafft, auch nur eine Feder aus dem Nichts heraufzubeschwören.

»Hast du noch Interesse, als Jäger zu spielen?«

»Waa-? Ja, natürlich!«, sagte Dean aufgeregt. Über Deans Schulter hinweg sah Harry, wie Seamus Finnigan seine Bücher mit säuerlicher Miene in seine Tasche pfefferte. Einer der Gründe, warum Harry Dean am liebsten gar nicht gefragt hätte, war, dass er wusste, Seamus würde es nicht gut aufnehmen. Andererseits musste er tun, was für das Team am besten war, und Dean war beim Auswahlspiel besser geflogen als Seamus.

»Also dann, du bist dabei«, sagte Harry. »Heute Abend ist Training, um sieben.«

»Alles klar«, sagte Dean. »Danke, Harry! Klasse, das muss ich gleich Ginny erzählen!«

Er stürmte hinaus und ließ Harry und Seamus allein zurück. Es war ein unbehaglicher Moment, der auch dadurch nicht besser wurde, dass einer von Hermines Kanarienvögeln über sie hinwegschwirrte und ein Kotkügelchen auf Seamus' Kopf landete.

Seamus war nicht der Einzige, der sich über die Wahl von Katies Ersatz ärgerte. Im Gemeinschaftsraum wurde viel darüber gemurrt, dass Harry jetzt zwei seiner Klassenkameraden in die Mannschaft aufgenommen hatte. Da Harry während seiner bisherigen Zeit an der Schule schon viel übleres Gemurre hatte ertragen müssen, störte es ihn nicht besonders, aber trotzdem stieg der Druck, dass beim kommenden Spiel gegen Slytherin ein Sieg hermusste. Wenn Gryffindor gewann, dann würde das ganze Haus vergessen, dass sie ihn kritisiert hatten, das wusste Harry, und sie würden schwören, sie hätten immer gesagt, dass es eine großartige Mannschaft sei. Wenn sie verloren … nun, dachte Harry bitter, er hatte ja schon übleres Gemurre ertragen müssen …

Als Harry an diesem Abend Dean fliegen sah, hatte er keinen Grund mehr, seine Wahl zu bedauern; Dean spielte gut mit Ginny und Demelza zusammen. Die Treiber, Peakes und Coote, wurden immer besser. Das einzige Problem war Ron.

Harry hatte die ganze Zeit gewusst, dass Ron ein unbeständiger Spieler war, der schlechte Nerven und kaum Selbstvertrauen hatte, und bedauerlicherweise schien die bedrohliche Aussicht auf das Eröffnungsspiel der Saison all seine Unsicherheiten wieder zum Vorschein gebracht zu haben. Nachdem er ein halbes Dutzend Tore kassiert hatte, die meisten von Ginny geschossen, wurde seine Technik immer wahnwitziger, bis er schließlich der entgegenkommenden Demelza Robins auf den Mund schlug.

»Das war ein Versehen, tut mir Leid, Demelza, tut mir echt Leid!«, rief Ron ihr nach, während sie im Zickzack zu Boden flog und überall Blut hintröpfelte. »Ich hab nur – «

»Panik gekriegt«, sagte Ginny wütend, landete neben Demelza und besah sich ihre dicke Lippe. »Ron, du Trottel, schau, wie sie zugerichtet ist!«

»Ich kann das in Ordnung bringen«, sagte Harry, landete neben den beiden Mädchen, deutete mit seinem Zauberstab auf Demelzas Mund und sagte: »Episkey. – Und, Ginny, nenn Ron nicht Trottel, du bist hier nicht die Kapitänin – «

»Tja, du warst offenbar zu beschäftigt, um ihn einen Trottel zu nennen, und ich dachte, irgendjemand sollte – «

Harry unterdrückte ein Lachen.

»Alle in die Luft, los geht's …«

Es war insgesamt eines der schlechtesten Trainings im ganzen bisherigen Schuljahr, doch Harry fand, dass es so kurz vor dem Spiel nicht die beste Strategie sei, die Wahrheit zu sagen.

»Gute Arbeit, jeder von euch. Ich schätz mal, wir machen Slytherin platt«, sagte er aufmunternd, und die Jäger und Treiber verließen den Umkleideraum und wirkten einigermaßen mit sich zufrieden.

»Ich hab gespielt wie ein Sack Drachenmist«, sagte Ron mit hohler Stimme, als die Tür hinter Ginny zugeschlagen war.

»Nein, hast du nicht«, erwiderte Harry bestimmt. »Du warst beim Auswahlspiel der beste Hüter, Ron. Dein einziges Problem sind die Nerven.«

Harry redete den ganzen Rückweg zum Schloss hinauf unablässig ermutigend auf Ron ein, und als sie im zweiten Stock ankamen, sah Ron eine Spur besser gelaunt aus. Harry schob den Wandteppich beiseite, denn sie wollten wie üblich ihre Abkürzung zum Gryffindor-Turm nehmen, doch da standen Dean und Ginny vor ihnen, fest ineinander verschlungen, und küssten sich so heftig, als würden sie zusammenkleben.

Es war, als ob etwas Großes und Schuppiges plötzlich in Harrys Magen zum Leben erwachte und die Klauen in seine Eingeweide krallte: Heißes Blut schien sein Gehirn zu überfluten, das alles Denken auslöschte, und stattdessen spürte er das ungestüme Verlangen, Dean in einen Wackelpudding zu verwandeln. Während Harry gegen diesen jähen Wahn ankämpfte, hörte er wie aus weiter Ferne Rons Stimme.

»He!«

Dean und Ginny sprengten auseinander und wandten sich um.

»Was ist los?«, sagte Ginny.

»Ich will nicht, dass meine eigene Schwester öffentlich rumknutscht!«

»Dieser Korridor war völlig ausgestorben, bis du hier reingeplatzt kamst!«, sagte Ginny.

Dean guckte verlegen drein. Er schaute mit einem durchtriebenen Grinsen zu Harry, das Harry nicht erwiderte, denn das gerade in ihm erwachte Monster verlangte brüllend, Dean müsse sofort aus der Mannschaft geworfen werden.

»Ähm … komm, Ginny«, sagte Dean, »wir gehen wieder in den Gemeinschaftsraum …«

»Geh du!«, erwiderte Ginny. »Ich will noch ein Wörtchen mit meinem lieben Bruder reden!«

Dean trollte sich und es sah nicht aus, als ob es ihm Leid täte, den Ort zu verlassen.

»Okay«, sagte Ginny, warf sich das lange rote Haar aus dem Gesicht und funkelte Ron wütend an, »lass uns das ein für alle Mal klarstellen. Es geht dich überhaupt nichts an, mit wem ich gehe oder was ich mit wem mache, Ron – «

»O doch!«, erwiderte Ron, genauso zornig. »Glaubst du vielleicht, ich will, dass die Leute sagen, meine Schwester ist eine – «

»Eine was?«, rief Ginny und zog ihren Zauberstab. »Eine was genau?«

»Er meint es nicht so, Ginny – «, sagte Harry unwillkürlich, obwohl das Monster tobte und Rons Worten Beifall zollte.

»O doch, das tut er!«, fuhr sie nun Harry an. »Nur weil er noch nie im Leben mit jemandem geknutscht hat, nur weil der beste Kuss, den er je gekriegt hat, von unserem Tantchen Muriel war – «

»Halt die Klappe!«, brüllte Ron, ließ Rot aus und wurde gleich kastanienfarben.

»Nein, das tu ich nicht!«, schrie Ginny außer sich. »Ich hab doch gesehen, was mit dir und Schleim ist. Jedes Mal, wenn du sie siehst, hoffst du, dass sie dich auf die Wange küsst, das ist erbärmlich! Wenn du dich verabreden und selber ein bisschen rumknutschen würdest, dann wär's dir ziemlich egal, dass alle andern das auch machen!«

Ron hatte seinen Zauberstab ebenfalls gezückt; Harry trat rasch zwischen sie.

»Du weißt nicht, wovon du redest!«, tobte Ron und versuchte, an Harry vorbei freie Bahn auf Ginny zu bekommen, denn der stand jetzt mit ausgestreckten Armen vor ihr. »Nur weil ich es nicht in der Öffentlichkeit mache – «

Ginny brach in schrilles Hohngelächter aus und versuchte Harry aus dem Weg zu schieben.

»Hast wohl Pigwidgeon geküsst, was? Oder ist ein Bild von Tantchen Muriel unter deinem Kopfkissen versteckt?«

»Du – «

Ein orangefarbener Lichtstrahl sauste unter Harrys linkem Arm hindurch und verfehlte Ginny um Zentimeter; Harry drängte Ron gegen die Wand.

»Hör auf mit dem Blödsinn – «

»Harry hat Cho Chang geknutscht!«, rief Ginny, und jetzt klang es, als sei sie den Tränen nahe. »Und Hermine hat Viktor Krum geknutscht, nur du tust so, als wär das was Ekliges, Ron, und zwar weil du gerade mal so viel Erfahrung hast wie ein Zwölfjähriger!«

Und damit stürmte sie davon. Harry ließ Ron schnell los; sein Gesichtsausdruck war mörderisch. Beide standen da und atmeten schwer, bis Mrs Norris, Filchs Katze, um die Ecke kam, was die Spannung löste.

»Komm schon«, sagte Harry, als das Geräusch von Filchs schlurfenden Schritten zu hören war.

Sie eilten die Treppen hoch und einen Korridor im siebten Stock entlang. »He, aus dem Weg!«, bellte Ron ein kleines Mädchen an, das erschrocken zusammenfuhr und eine Flasche Krötenlaich fallen ließ.

Harry nahm das Geräusch von splitterndem Glas kaum wahr; er fühlte sich wirr und schwindlig; so ungefähr musste es wohl sein, wenn man von einem Blitz getroffen wurde. Es ist nur, weil sie Rons Schwester ist, sagte er sich. Du hast nur nicht gern dabei zugesehen, wie sie Dean küsste, weil sie Rons Schwester ist …

Doch unaufgefordert tauchte in seiner Vorstellung ein Bild von genau demselben verlassenen Korridor auf, und diesmal war er selbst es, der Ginny küsste … das Monster in seiner Brust schnurrte behaglich … aber dann sah er, wie Ron den Wandteppich zur Seite riss, seinen Zauberstab gegen Harry zog und Dinge rief wie »Vertrauensbruch« … »dachte, du bist mein Freund« …

»Meinst du, Hermine hat wirklich mit Krum geknutscht?«, fragte Ron urplötzlich, als sie sich der fetten Dame näherten. Harry zuckte schuldbewusst zusammen und zerrte seine Phantasie weg von einem Korridor, wo kein Ron hereinkam, wo er und Ginny ganz allein waren.

»Was?«, sagte er verwirrt. »Oh … ähm …«

Die ehrliche Antwort war »ja«, aber er wollte sie nicht geben. Ron schien sich jedoch aus Harrys Gesichtsausdruck das Schlimmste zusammenzureimen.

»Krönungsmahl«, sagte er finster zu der fetten Dame, und sie kletterten durch das Porträtloch in den Gemeinschaftsraum.

Keiner von beiden erwähnte noch einmal Ginny oder Hermine; tatsächlich sprachen sie an diesem Abend kaum miteinander und gingen schweigend zu Bett, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.

Harry lag noch lange wach, sah hoch zum Baldachin seines Himmelbetts und versuchte sich einzureden, dass seine Gefühle für Ginny nur die eines älteren Bruders waren. Hatten sie nicht den gesamten Sommer über wie Bruder und Schwester zusammengelebt, Quidditch gespielt, Ron getriezt und sich über Bill und Schleim lustig gemacht? Er kannte Ginny jetzt schon seit Jahren … es war ganz normal, dass er eine Art Beschützerinstinkt entwickelt hatte … ganz normal, dass er auf sie aufpassen wollte … Dean sämtliche Gliedmaßen einzeln ausreißen wollte, weil er sie geküsst hatte … nein … er würde dieses eigentümliche brüderliche Gefühl beherrschen müssen …

Von Ron kam ein lautes, grunzendes Schnarchen.

Sie ist Rons Schwester, sagte sich Harry entschieden. Rons Schwester. Sie ist tabu. Er würde seine Freundschaft mit Ron für nichts in der Welt aufs Spiel setzen. Er klopfte sein Kissen bequemer zurecht und wartete auf den Schlaf, während er sich heftig bemühte, seine Gedanken nicht irgendwo in die Nähe von Ginny schweifen zu lassen.

Als Harry am nächsten Morgen erwachte, war er ein wenig benommen und durcheinander, denn er hatte einige Male geträumt, dass Ron ihn mit einem Treiberschlagholz gejagt hatte, aber spätestens um die Mittagszeit hätte er den echten Ron liebend gern gegen den Traum-Ron eingetauscht, denn der echte zeigte nicht nur Ginny und Dean die kalte Schulter, sondern behandelte auch die gekränkte und verwirrte Hermine mit eisiger, höhnischer Gleichgültigkeit. Und was noch übler war, Ron schien über Nacht genauso reizbar und angriffslustig geworden zu sein wie ein gewöhnlicher Knallrümpfiger Kröter. Harry mühte sich den ganzen Tag, den Frieden zwischen Ron und Hermine zu bewahren, aber ohne Erfolg: Am Ende ging Hermine ziemlich aufgebracht zu Bett und Ron stolzierte zum Jungenschlafsaal davon, nachdem er mehrere verängstigte Erstklässler zornig beschimpft hatte, nur weil sie ihn angesehen hatten.

Zu Harrys Entsetzen verflog Rons neue Angriffslust auch während der nächsten paar Tage nicht. Schlimmer noch, seine Fähigkeiten als Hüter erreichten gleichzeitig einen neuen Tiefpunkt, was ihn noch aggressiver machte, so dass er es beim letzten Quidditch-Training vor dem Samstagsspiel nicht schaffte, auch nur einen einzigen Schuss der Jäger auf seine Tore zu halten, aber dafür alle anderen so übel anschnauzte, dass Demelza Robins in Tränen ausbrach.

»Halt du doch die Klappe und lass sie in Ruhe!«, rief Peakes, der nur etwa zwei Drittel so groß war wie Ron, doch zugegebenermaßen einen schweren Schläger in der Hand hatte.

»DAS REICHT!«, brüllte Harry, der mitbekommen hatte, wie Ginny böse zu Ron sah, und da er wusste, dass sie den Flederwichtfluch angeblich perfekt beherrschte, sauste er hinüber, um einzugreifen, ehe die Dinge aus dem Ruder liefen. »Peakes, geh und pack die Klatscher ein. Demelza, reiß dich zusammen, du hast heute wirklich gut gespielt. Ron …« Er wartete, bis der Rest der Mannschaft außer Hörweite war, dann sagte er es: »Du bist mein bester Freund, aber wenn du die andern weiter so behandelst, dann schmeiß ich dich aus der Mannschaft.«

Einen Moment lang dachte er ernsthaft, Ron würde ihm eine verpassen, doch dann geschah etwas viel Schlimmeres: Ron schien auf seinem Besen zusammenzusacken; all seine Streitlust verpuffte, und er sagte: »Ich trete zurück. Ich bin miserabel.«

»Du bist nicht miserabel und du trittst nicht zurück!«, sagte Harry scharf und packte Ron vorne am Umhang. »Du hältst alles, wenn du in Form bist, das ist bei dir nur die Psyche!«

»Du nennst mich also einen Psycho?«

»Ja, vielleicht schon!«

Sie starrten sich einen Moment lang wütend an, dann schüttelte Ron müde den Kopf.

»Ich weiß, dass du keine Zeit hast, einen anderen Hüter zu finden, also spiel ich eben morgen, aber wenn wir verlieren, und das werden wir, dann tret ich aus der Mannschaft aus.«

Was Harry auch sagen mochte, es änderte nichts. Während des ganzen Abendessens versuchte er, Rons Selbstvertrauen aufzubauen, aber Ron war zu beschäftigt damit, griesgrämig und grob zu Hermine zu sein, um es zu bemerken. Harry redete auch noch später am Abend im Gemeinschaftsraum auf ihn ein, doch seine Behauptung, die ganze Mannschaft wäre am Boden zerstört, wenn Ron ginge, wurde ein wenig durch die Tatsache untergraben, dass die restliche Mannschaft in einer entfernten Ecke dicht gedrängt beieinander saß und unverhohlen über Ron murrte und ihm gehässige Blicke zuwarf. Am Ende versuchte Harry es noch einmal damit, wütend zu werden, in der Hoffnung, Ron zu einer trotzigen Haltung zu provozieren, mit der er vielleicht mehr Tore verhinderte, aber diese Strategie schien nicht besser zu wirken als gutes Zureden; Ron ging genauso deprimiert und hoffnungslos zu Bett wie zuvor.

Harry lag lange in der Dunkelheit wach. Er wollte das kommende Spiel nicht verlieren; es war nicht nur sein erstes als Kapitän, sondern er war auch entschlossen, Draco Malfoy im Quidditch zu schlagen, auch wenn er seinen Verdacht gegen ihn noch nicht beweisen konnte. Doch wenn Ron so spielte, wie er es in den letzten Trainingsstunden getan hatte, waren ihre Siegchancen sehr gering

Wenn er nur etwas unternehmen könnte, was Ron dazu brachte, sich zusammenzureißen … ihn in Topform spielen ließ … etwas, das dafür sorgte, dass Ron einen richtig guten Tag hatte …

Und die Antwort kam Harry mit einem einzigen, jähen, großartigen Gedankenblitz.

Beim Frühstück am nächsten Morgen herrschte die übliche Aufregung; die Slytherins zischten und buhten jedes Mal laut, wenn ein Mitglied der Gryffindor-Mannschaft die Große Halle betrat. Harry warf einen Blick zur Decke und sah einen klaren, zartblauen Himmel: ein gutes Omen.

Der Gryffindor-Tisch, ganz in Rot und Gold, jubelte, als Harry und Ron näher kamen. Harry grinste und winkte; Ron verzog matt das Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Nur Mut, Ron!«, rief Lavender. »Ich weiß, du wirst spitze sein!«

Ron ignorierte sie.

»Tee?«, fragte ihn Harry. »Kaffee? Kürbissaft?«

»Egal«, sagte Ron niedergeschlagen und biss trübsinnig in einen Toast.

Ein paar Minuten später kam Hermine den Tisch entlang, die Rons unangenehmes Verhalten in letzter Zeit so satt hatte, dass sie nicht mit ihnen zusammen zum Frühstück heruntergekommen war, und blieb bei ihnen stehen.

»Wie geht es euch beiden?«, fragte sie zögernd und schaute dabei auf Rons Hinterkopf.

»Gut«, sagte Harry, der ganz damit beschäftigt war, Ron ein Glas Kürbissaft zu reichen. »Hier, Ron. Trink aus.«

Ron hatte das Glas gerade an die Lippen gehoben, als Hermine in scharfem Ton eingriff.

»Trink das nicht, Ron!«

Harry und Ron blickten beide zu ihr auf.

»Warum nicht?«, sagte Ron.

Hermine starrte jetzt Harry an, als würde sie ihren Augen nicht trauen.

»Du hast eben etwas in dieses Getränk getan.«

»Wie bitte?«, sagte Harry.

»Du hast mich verstanden. Ich hab es gesehen. Du hast eben etwas in Rons Getränk gekippt. Du hast noch die Flasche in der Hand!«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Harry und stopfte das Fläschchen hastig in seine Tasche.

»Ron, ich warne dich, trink das nicht!«, wiederholte Hermine beunruhigt, aber Ron hob wieder das Glas, leerte es in einem Zug und sagte: »Hör auf, mich rumzukommandieren, Hermine.«

Sie schien äußerst empört. Sie beugte sich tief hinunter, so dass nur Harry sie hören konnte, und zischte: »Dafür sollten sie dich rauswerfen. Das hätte ich nie von dir gedacht, Harry!«

»Das musst ausgerechnet du sagen«, flüsterte er zurück. »Wieder jemandem einen Verwechslungszauber aufgehalst in letzter Zeit?«

Sie stürmte den Tisch entlang davon. Harry sah ihr ohne Bedauern nach. Hermine hatte nie wirklich begriffen, was für eine ernste Angelegenheit Quidditch war. Dann wandte er sich zu Ron um, der sich die Lippen leckte.

»Es wird Zeit«, sagte Harry vergnügt.

Auf dem Weg zum Stadion hinunter knirschte das reifbedeckte Gras unter ihren Füßen.

»Haben ziemliches Glück mit dem Wetter, was?«, sagte Harry zu Ron.

»Ja«, erwiderte Ron, der bleich und kränklich aussah.

Ginny und Demelza trugen bereits ihre Quidditch-Umhänge und warteten im Umkleideraum.

»Beste Bedingungen, wie's ausschaut«, bemerkte Ginny, ohne Ron zu beachten. »Und wisst ihr was? Dieser Slytherin-Jäger Vaisey – der hat gestern bei ihrem Training einen Klatscher an den Kopf gekriegt und sich so stark verletzt, dass er nicht spielen kann! Und was noch besser ist – Malfoy hat sich auch krankgemeldet!«

»Was?«, sagte Harry, wirbelte herum und starrte sie an. »Er ist krank? Was fehlt ihm?«

»Keine Ahnung, aber das ist toll für uns«, sagte Ginny strahlend. »Die spielen mit Harper als Ersatz; der ist in meinem Jahrgang und ein Idiot.«

Harry lächelte vage zurück, doch als er seinen scharlachroten Umhang anzog, war er in Gedanken weit entfernt von Quidditch. Malfoy hatte schon einmal behauptet, er könne wegen einer Verletzung nicht spielen, aber damals hatte er dafür gesorgt, dass das ganze Spiel auf einen Termin verlegt wurde, der den Slytherins besser gefiel. Warum ließ er nun ohne weiteres einen Ersatzmann spielen? War er wirklich krank oder tat er nur so?

»Verdächtig, was?«, sagte er mit gedämpfter Stimme zu Ron. »Malfoy spielt nicht.«

»Ich nenn das Glück«, erwiderte Ron, offenbar eine Spur munterer. »Und Vaisey fällt auch aus, der ist ihr bester Torschütze, ich hätt nicht gedacht – hey!«, sagte er plötzlich, erstarrte mitten im Anziehen seiner Hüterhandschuhe und glotzte Harry an.

»Was?«

»Ich … du …« Ron hatte die Stimme gesenkt; er wirkte beklommen und gleichzeitig aufgeregt. »Mein Getränk … mein Kürbissaft … du hast nicht etwa ..?«

Harry zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nur: »In zirka fünf Minuten geht's los, zieh endlich deine Stiefel an.«

Sie gingen, begleitet von heftigem Geschrei und Buhrufen, hinaus aufs Spielfeld. Die eine Seite des Stadions war einheitlich rot und golden; die andere ein Meer aus Grün und Silber. Auch viele Hufflepuffs und Ravenclaws hatten sich auf die verschiedenen Seiten geschlagen: Inmitten all des Rufens und Klatschens konnte Harry deutlich das Brüllen von Luna Lovegoods berühmtem Löwenhut hören.

Harry ging auf Madam Hooch zu, die Schiedsrichterin, die bereitstand, um die Bälle aus dem Korb freizulassen.

»Kapitäne, gebt euch die Hand«, sagte sie, und Harrys Hand wurde von dem neuen Slytherin-Kapitän Urquhart zerquetscht. »Auf die Besen. Beim Pfiff geht's los … drei … zwei … eins …«

Der Pfiff ertönte, Harry und die andern stießen sich kräftig vom gefrorenen Boden ab, und weg waren sie.

Harry schwebte am Spielfeldrand entlang, suchte nach dem Schnatz und behielt gleichzeitig Harper im Auge, der tief unter ihm im Zickzack flog. Dann setzte eine Stimme ein, misstönend und ganz anders als die des bisherigen Stadionsprechers.

»Nun, da fliegen sie, und ich denke, wir sind alle überrascht über die Mannschaft, die Potter dieses Jahr zusammengestellt hat. Viele dachten, dass Ronald Weasley in Anbetracht seiner durchwachsenen Leistung als Hüter im letzten Jahr nun nicht mehr dabei sein würde, aber eine enge persönliche Freundschaft mit dem Kapitän ist natürlich hilfreich …«

Diese Worte wurden mit Hohngelächter und Applaus von der Slytherin-Kurve aufgenommen. Harry reckte auf seinem Besen den Hals, um einen Blick auf das Podest des Stadionsprechers zu werfen. Ein großer, hagerer blonder Junge mit Stupsnase stand dort und sprach in das magische Megafon, das früher Lee Jordan benutzt hatte; Harry erkannte Zacharias Smith, einen Hufflepuff-Spieler, der ihm von Herzen zuwider war.

»Oh, und hier kommt der erste Angriff von Slytherin, Urquhart rast das Feld entlang und – «

Harry drehte sich der Magen um.

» Weasley rettet, nun ja, da hat er eben mal Glück gehabt, denk ich …«

»So kann man es sagen, Smith, das hat er«, murmelte Harry, grinste verstohlen, tauchte zwischen die Jäger und suchte mit den Augen rundum nach einer Spur des schwer fassbaren Schnatzes.

Nachdem eine halbe Stunde gespielt war, führte Gryffindor mit sechzig zu null Punkten, Ron hatte ein paarmal wirklich spektakulär gehalten, zum Teil gerade noch mit den Handschuhspitzen, und Ginny hatte vier von Gryffindors sechs Toren geschossen. Das brachte Zacharias endlich davon ab, sich laut Gedanken darüber zu machen, ob die beiden Weasleys nur deshalb in der Mannschaft waren, weil Harry mit ihnen befreundet war, und stattdessen nahm er nun Peakes und Coote ins Visier.

»Natürlich hat Coote nicht gerade die typische Statur eines Treibers«, sagte Zacharias hochnäsig, »normalerweise haben die ein bisschen mehr Muskeln – «

»Hau ihm einen Klatscher rein«, rief Harry Coote zu, als der gerade vorbeifegte, aber Coote grinste breit und zielte mit dem nächsten Klatscher lieber auf Harper, der in diesem Moment aus der Gegenrichtung an Harry vorbeigeflogen kam. Harry hörte zufrieden das dumpfe Plonk, der Klatscher hatte sein Ziel gefunden.

Es sah aus, als könnten die Gryffindors einfach nichts falsch machen. Immer wieder punkteten sie, und immer wieder verhinderte Ron auf der anderen Feldseite mit offensichtlicher Leichtigkeit Tore. Jetzt lächelte er auch noch, und als die Menge eine besonders gelungene Parade feierte und voller Begeisterung den alten Hit Weasley ist unser King schmetterte, spielte Ron von oben aus den Dirigenten.

»Hält sich heute wohl für was Besonderes, was?«, sagte eine höhnische Stimme, und Harry schlug es fast vom Besen, als Harper heftig und absichtlich mit ihm zusammenstieß. »Dein Blutsverräterfreund …«

Madam Hooch hatte ihnen gerade den Rücken zugekehrt, und obwohl einige Gryffindors unten vor Wut schrien, war Harper schon davongerast, als sie sich umwandte. Harry jagte ihm mit schmerzender Schulter hinterher, entschlossen, ihn auch zu rammen …

»Und ich glaube, Harper von Slytherin hat den Schnatz gesehen!«, rief Zacharias Smith durch sein Megafon. »Ja, er hat ganz sicher was gesehen, was Potter entgangen ist!«

Smith war wirklich ein Dummkopf, dachte Harry, hatte er nicht bemerkt, wie sie zusammengestoßen waren? Doch im nächsten Moment schien sein Magen in die Tiefe zu fallen – Smith lag richtig und Harry lag falsch: Harper war nicht zufällig nach oben geschossen; er hatte entdeckt, was Harry nicht gesehen hatte: Der Schnatz sauste hoch über ihnen dahin, hell glitzernd vor dem klaren blauen Himmel.

Harry flog schneller; der Wind pfiff ihm dermaßen in den Ohren, dass er Smiths Kommentar und den Lärm der Menge völlig übertönte, aber Harper war immer noch vor ihm, und Gryffindor hatte nur hundert Punkte Vorsprung; wenn Harper als Erster hinkam, hatte Gryffindor verloren … und jetzt war Harper ein, zwei Meter davon entfernt, hatte die Hand ausgestreckt …

»He, Harper!«, rief Harry in seiner Verzweiflung. »Wie viel hat dir Malfoy dafür bezahlt, dass du für ihn spielst?«

Er wusste nicht, warum er das gesagt hatte, doch Harper stutzte; er tastete fahrig nach dem Schnatz, ließ ihn durch die Finger rutschen und schoss einfach daran vorbei: Harry langte weit nach vorne und fing den winzigen, flatternden Ball ein.

»JA!«, schrie Harry. Er wirbelte herum und jagte zum Boden zurück, den Schnatz hoch in der ausgestreckten Hand. Als die Menge begriff, was geschehen war, brach ein großes Geschrei los, in dem der Abpfiff des Spiels fast unterging.

»Ginny, wo willst du hin?«, schrie Harry, der mitten in der Luft in eine Massenumarmung mit dem ganzen Team hineingeraten war, aber Ginny preschte einfach an ihnen vorbei und krachte schließlich mit einem gewaltigen Knall gegen das Podium des Stadionsprechers. Während die Menge kreischte und lachte, landete die Gryffindor-Mannschaft neben dem Trümmerhaufen aus Holz, unter dem Zacharias sich schwach regte; Harry hörte Ginny munter zu der erzürnten Professor McGonagall sagen: »Hab vergessen zu bremsen, Verzeihung, Professor.«

Lachend befreite sich Harry vom Rest der Mannschaft und umarmte Ginny, ließ sie aber sehr schnell wieder los. Er mied ihren Blick und klopfte stattdessen dem jubelnden Ron auf die Schulter, während die Gryffindors, nun, da alle Feindseligkeiten vergessen waren, Arm in Arm vom Feld gingen, die Fäuste in die Luft stießen und ihren Fans zuwinkten.

Im Umkleideraum herrschte Jubelstimmung.

»Wir machen Party oben im Gemeinschaftsraum, hat Seamus gesagt!«, schrie Dean ausgelassen. »Kommt schon, Ginny, Demelza!«

Ron und Harry waren die Letzten im Umkleideraum. Sie wollten gerade aufbrechen, als Hermine hereinkam. Sie drehte ihren Gryffindor-Schal in den Händen und wirkte aufgeregt, aber entschlossen.

»Ich will mit dir sprechen, Harry.« Sie holte tief Luft. »Das hättest du nicht tun dürfen. Du hast Slughorn gehört, es ist verboten.«

»Was willst du machen, uns anzeigen?«, wollte Ron wissen.

»Worüber redet ihr zwei eigentlich?«, fragte Harry, drehte sich um und hängte seinen Umhang auf, damit die beiden nicht sehen konnten, dass er grinste.

»Du weißt ganz genau, worüber wir reden!«, sagte Hermine scharf. »Du hast beim Frühstück einen Schuss Glückstrank in Rons Saft gegeben! Felix Felicis!«

»Nein, hab ich nicht«, sagte Harry und wandte sich den beiden wieder zu.

»Doch, das hast du, Harry, und deshalb ist auch alles gut gelaufen, Slytherin-Spieler sind ausgefallen und Ron hat alles gehalten!«

»Ich hab ihn nicht reingeschüttet!«, sagte Harry und grinste jetzt breit. Er steckte die Hand in seine Jackentasche und zog das Fläschchen hervor, das Hermine an diesem Morgen in seiner Hand gesehen hatte. Es war voll goldenem Zaubertrank und der Korken war immer noch fest mit Wachs versiegelt. »Ich wollte, dass Ron glaubt, ich hätte es getan, deshalb hab ich es vorgetäuscht, als ich wusste, dass du gerade herschaust.« Er sah Ron an. »Du hast alle Torschüsse gehalten, weil du dachtest, du hättest Glück. Du hast alles alleine geschafft.«

Er steckte den Trank wieder ein.

»Da war wirklich nichts in meinem Kürbissaft?«, sagte Ron verblüfft. »Aber das Wetter ist gut … und Vaisey konnte nicht spielen … ich hab ehrlich keinen Glückstrank bekommen?«

Harry schüttelte den Kopf. Ron sah ihn einen Moment lang mit offenem Mund an, dann fiel er über Hermine her und äffte ihre Stimme nach.

»Du hast heute Morgen Felix Felicis in Rons Saft getan, deshalb hat er alles gehalten! Siehst du! Ich schaff es ganz ohne Hilfe, meine Tore sauber zu halten, Hermine!«

»Ich hab nie gesagt, dass du es nicht schaffst – Ron, du hast auch geglaubt, dass du den Trank bekommen hast!«

Aber Ron war bereits mit geschultertem Besen an ihr vorbei zur Tür hinausmarschiert.

»Ähm«, sagte Harry in die plötzliche Stille hinein; er hatte nicht erwartet, dass sein Plan dermaßen nach hinten losgehen würde, »wollen … wollen wir dann auch hoch zur Party?«

»Geh du doch!«, sagte Hermine und blinzelte ihre Tränen weg. »Ron macht mich im Moment einfach krank, was hab ich ihm denn eigentlich getan … ?«

Und sie stürmte auch aus dem Umkleideraum.

Harry ging langsam über das Gelände hoch zum Schloss zurück, durch die Menge, aus der ihm viele ihre Glückwünsche zuriefen, doch er empfand ein großes Gefühl der Enttäuschung; er war sicher gewesen, wenn Ron das Spiel gewinnen würde, dann würden er und Hermine sich sofort wieder vertragen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie um alles in der Welt er Hermine erklären sollte, dass sie Ron gekränkt hatte, indem sie Viktor Krum geküsst hatte, wo dieses Vergehen doch so lange zurücklag.

Die Siegesfeier der Gryffindors war in vollem Gang, als Harry eintraf, doch er konnte Hermine nicht finden. Er wurde von neuem mit Jubelrufen und Schulterklopfen begrüßt, und bald war er von einer Schar Gratulanten umringt. Bei all den Versuchen, die Creevey-Brüder abzuschütteln, die jeden einzelnen Zug des Spiels analysiert haben wollten, und außerdem den vielen Mädchen zu entkommen, die ihn umringt hatten und die sogar über seine humorlosesten Kommentare lachten und mit den Wimpern klimperten, dauerte es eine Weile, bis er sich auf die Suche nach Ron machen konnte. Zuletzt kämpfte er sich von Romilda Vane los, die heftig mit dem Zaunpfahl winkte, dass sie gern mit ihm zu Slughorns Weihnachtsparty gehen würde. Als er sich in Richtung Getränketisch verdrückte, stieß er geradewegs mit Ginny zusammen, die Arnold den Minimuff auf der Schulter hatte und zu deren Füßen Krummbein hoffnungsvoll miaute.

»Suchst du nach Ron?«, fragte sie feixend. »Der ist da drüben, der elende Heuchler.«

Harry sah hinüber in die Ecke, auf die sie deutete. Dort, vor aller Augen, stand Ron so eng mit Lavender Brown verschlungen, dass schwer zu sagen war, welche Hände wem gehörten.

»Sieht aus, als würde er ihr Gesicht aufessen, was?«, sagte Ginny trocken. »Aber ich denke mal, seine Technik muss er noch irgendwie verfeinern. Gutes Spiel, Harry.«

Sie tätschelte ihm den Arm; Harry hatte ein Sturzfluggefühl im Magen, doch dann ging sie weg, um sich ein neues Butterbier zu holen. Krummbein trottete hinter ihr her, die gelben Augen starr auf Arnold gerichtet.

Harry wandte sich von Ron ab, der nicht den Eindruck machte, als würde er bald auftauchen, und sah gerade noch, wie das Porträtloch zuging. Mit einem schalen Gefühl dachte er, er hätte eine Mähne buschiges braunes Haar davonwehen sehen.

Er stürmte los, wich noch einmal Romilda Vane aus und stieß das Porträt der fetten Dame auf. Der Gang draußen schien verlassen.

»Hermine?«

Er fand sie im ersten unverschlossenen Klassenzimmer, das er ausprobierte. Sie saß auf dem Lehrerpult, ganz allein, bis auf ein paar zwitschernde gelbe Vögel, die in einem kleinen Kreis um ihren Kopf herumflatterten und die sie offensichtlich gerade aus dem Nichts heraufbeschworen hatte. Harry musste sie einfach für ihre magischen Künste bewundern, und dann noch zu einem Zeitpunkt wie diesem.

»Oh, hallo, Harry«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich bin nur am Üben.«

»Ja … die – äh – sind wirklich gut …«, sagte Harry.

Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Er fragte sich gerade, ob es irgendeine Chance gab, dass sie Ron nicht bemerkt hatte, dass sie den Raum einfach nur verlassen hatte, weil ihr die Party ein wenig zu lärmig war, da sagte sie mit unnatürlich hoher Stimme: »Ron scheint sich auf dem Fest ja bestens zu amüsieren.«

»Ähm … tatsächlich?«, sagte Harry.

»Tu nicht so, als hättest du ihn nicht gesehen«, erwiderte Hermine. »Er hat es ja nicht gerade verheimlicht, nicht wa-«

Die Tür hinter ihnen sprang auf. Zu Harrys Entsetzen kam Ron herein, er lachte und zog Lavender an der Hand mit sich.

»Oh«, sagte er und blieb schlagartig stehen, als er Harry und Hermine sah.

»Uups!«, machte Lavender, kicherte und ging rückwärts aus dem Raum. Die Tür schlug hinter ihr zu.

Eine schreckliche, anschwellende, sich aufblähende Stille trat ein. Hermine starrte Ron an, der absichtlich nicht zu ihr hinschaute und nur mit einer seltsamen Mischung aus gespielter Kühnheit und Verlegenheit sagte: »Hi, Harry! Hab mich schon gewundert, wo du steckst!«

Hermine rutschte vom Pult herunter. Der kleine Schwarm goldener Vögel zwitscherte weiter im Kreis um ihren Kopf herum, so dass sie aussah wie ein merkwürdiges gefiedertes Modell des Sonnensystems.

»Du solltest Lavender nicht draußen warten lassen«, sagte sie leise. »Sie wird sich fragen, wo du geblieben bist.«

Sie ging ganz langsam und aufrecht in Richtung Tür. Harry warf einen raschen Blick auf Ron, der erleichtert schien, dass nichts Schlimmeres passiert war.

»Oppugno!«, ertönte ein Schrei von der Tür her.

Harry wirbelte herum und sah Hermine mit zornentbranntem Gesicht ihren Zauberstab auf Ron richten: Der kleine Vogelschwarm raste wie ein Hagel von dicken goldenen Gewehrkugeln auf Ron zu, der aufjaulte und sein Gesicht mit den Händen bedeckte, doch die Vögel griffen an, pickten und krallten sich in jedes bisschen Fleisch, das sie erwischen konnten.

»Machdieweg!«, schrie er, doch mit einem letzten Blick voll rachsüchtiger Wut riss Hermine die Tür auf und verschwand. Harry glaubte ein Schluchzen zu hören, ehe die Tür zuschlug.