123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 15

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Der Unbrechbare Schwur

Wieder wirbelte Schnee gegen die vereisten Fenster; es ging stark auf Weihnachten zu. Hagrid hatte die üblichen zwölf Weihnachtsbäume für die Große Halle bereits eigenhändig herbeigeschafft; Girlanden aus Stechpalmenzweigen und Lametta rankten sich um die Treppengeländer; immer währende Kerzen leuchteten aus den Helmen der Rüstungen und dicke Büschel Mistelzweige hingen in Abständen entlang der Korridore. Wenn Harry unterwegs war, versammelten sich unter den Mistelzweigen oft große Mädchengruppen und blockierten die Gänge. Doch zum Glück kannte sich Harry dank seiner häufigen nächtlichen Streifzüge ungewöhnlich gut in den Geheimgängen des Schlosses aus und konnte ohne größere Probleme mistelfrei von einem Klassenzimmer ins andere gelangen.

Ron, der früher vielleicht eher eifersüchtig als belustigt darüber gewesen wäre, dass solche Umwege nötig wurden, fand es jetzt nur zum Brüllen komisch. Harry mochte diesen neuen, lachenden, Witze reißenden Ron viel lieber als seine übellaunige, aggressive Ausgabe, die er in den vergangenen Wochen erduldet hatte, doch den besseren Ron gab es nur zu einem hohen Preis. Erstens musste Harry sich mit der häufigen Anwesenheit von Lavender Brown abfinden, für die offenbar jeder Moment, in dem sie Ron nicht küsste, ein verschwendeter Moment war; und zweitens merkte Harry wieder einmal, dass er der beste Freund von zwei Menschen war, die, wie es aussah, nie wieder miteinander sprechen würden.

Ron, der an den Händen und Unterarmen immer noch Kratzer und Schnittwunden von Hermines Vogelangriff hatte, nahm eine trotzige und gereizte Haltung ein.

»Sie kann sich nicht beschweren«, erklärte er Harry. »Sie hat mit Krum geknutscht. Und jetzt hat sie festgestellt, dass mit mir auch jemand knutschen will. Nun, wir leben in einem freien Land. Ich hab nichts Falsches gemacht.«

Harry antwortete nicht, sondern tat so, als wäre er völlig in das Buch vertieft, das sie vor Zauberkunst am nächsten Morgen gelesen haben sollten (Die Suche nach der Quintessenz). Da er entschlossen war, sowohl mit Ron als auch mit Hermine befreundet zu bleiben, verbrachte er viel Zeit mit fest verschlossenem Mund.

»Ich hab Hermine nie irgendwas versprochen«, murmelte Ron. »Das heißt, na schön, ich wollte mit ihr zu Slughorns Weihnachtsparty, aber sie hat nie gesagt … nur als Freunde … ich bin ein freier Mensch …«

Harry blätterte eine Seite von Quintessenz um und spürte, dass Ron ihn beobachtete. Rons Murmeln wurde immer leiser und war durch das laute Knistern des Feuers kaum noch zu hören, doch Harry meinte, noch einmal die Wörter »Krum« und »kann sich nicht beschweren« zu verstehen.

Hermines Stundenplan war so voll, dass Harry nur abends richtig mit ihr reden konnte, wenn Ron ohnehin so eng um Lavender geschlungen war, dass er nicht bemerkte, was Harry tat. Hermine weigerte sich, im Gemeinschaftsraum zu sitzen, solange Ron dort war, also traf Harry sie meistens in der Bibliothek, was bedeutete, dass sie sich flüsternd unterhalten mussten.

»Er kann küssen, wen immer er mag«, sagte Hermine, während Madam Pince, die Bibliothekarin, durch die Regalreihen hinter ihnen streifte. »Das ist mir wirklich vollkommen schnuppe.«

Sie hob ihre Feder und setzte so heftig ein Pünktchen auf ein »i«, dass sie ein Loch in ihr Pergament stach. Harry sagte nichts. Vielleicht würde ihm bald die Stimme absterben, so selten gebrauchte er sie. Er beugte sich ein wenig tiefer über Zaubertränke für Fortgeschrittene und machte sich weiter Notizen über Endlos-Elixiere, wobei er gelegentlich innehielt, um die nützlichen Ergänzungen des Prinzen zum Text von Libatius Borage zu entziffern.

»Und übrigens«, sagte Hermine nach einigen Augenblicken, »du musst vorsichtig sein.«

»Zum letzten Mal«, erwiderte Harry etwas heiser flüsternd, nachdem er eine Dreiviertelstunde geschwiegen hatte, »ich geb dieses Buch nicht zurück, ich hab mehr von dem Halbblutprinzen gelernt, als Snape oder Slughorn mir in – «

»Ich rede nicht von deinem blöden so genannten Prinzen«, sagte Hermine und versetzte seinem Buch einen bösen Blick, als sei es grob zu ihr gewesen, »ich rede von vorhin. Bevor ich hierher kam, war ich noch kurz auf dem Klo, und da waren etwa ein Dutzend Mädchen, darunter Romilda Vane, die sich alle den Kopf darüber zerbrochen haben, wie sie dir einen Liebestrank unterjubeln könnten. Die wollen dich alle dazu bringen, sie mit zu Slughorns Party zu nehmen, und offenbar haben sie diese Liebestränke bei Fred und George gekauft, die, ich muss es leider sagen, wahrscheinlich wirken – «

»Und warum hast du sie dann nicht beschlagnahmt?«, wollte Harry wissen. Es schien erstaunlich, dass Hermines Eifer, Vorschriften einzuhalten, sie zu diesem entscheidenden Zeitpunkt im Stich gelassen hatte.

»Die hatten die Tränke nicht mit im Klo«, sagte Hermine verächtlich. »Sie haben nur über ihre Vorgehensweise diskutiert. Da ich glaube, dass nicht einmal der Halbblutprinz« – sie versetzte dem Buch einen weiteren bösen Blick – »sich ein Gegenmittel für ein Dutzend verschiedene Liebestränke gleichzeitig ausdenken könnte, würde ich einfach jemanden einladen, mit dir zu kommen – dann hören all die anderen auf zu glauben, sie hätten immer noch eine Chance. Es ist morgen Abend, die drehen allmählich durch.«

»Ich hab niemanden, den ich einladen will«, murmelte Harry, der immer noch versuchte, möglichst nicht an Ginny zu denken, obwohl sie ständig in seinen Träumen auftauchte, und zwar so, dass Harry von Herzen dankbar war, dass Ron keine Legilimentik beherrschte.

»Also, sei einfach vorsichtig, was du trinkst, Romilda Vane sah nämlich aus, als ob sie Ernst machen würde«, sagte Hermine grimmig.

Sie zog die lange Pergamentrolle, auf die sie ihren Arithmantikaufsatz schrieb, ein Stück weiter hoch und kratzte mit ihrer Feder wieder drauflos. Harry sah ihr zu, mit den Gedanken in weiter Ferne.

»Wart mal kurz«, sagte er langsam. »Ich dachte, Filch hätte alles verboten, was in Weasleys Zauberhafte Zauberscherze gekauft wurde?«

»Und seit wann kümmert sich irgendjemand darum, was Filch verboten hat?«, fragte Hermine, immer noch mit ihrem Aufsatz beschäftigt.

»Aber ich dachte, alle Eulen würden durchsucht? Wieso können diese Mädchen dann Liebestränke in die Schule schaffen?«

»Fred und George schicken sie als Parfüme und Hustensäfte getarnt«, sagte Hermine. »Das ist in ihrem Eulen-Lieferservice mit drin.«

»Du kennst dich da ja ganz gut aus.«

Hermine versetzte ihm einen bösen Blick von der Sorte, mit der sie gerade sein Exemplar von Zaubertränke für Fortgeschrittene bedacht hatte.

»Das stand alles hinten auf den Flaschen, die sie Ginny und mir im Sommer gezeigt haben«, sagte sie kühl. »Ich lauf nicht rum und schütte irgendwelchen Leuten Zaubertränke in die Gläser … und ich tu auch nicht so, das ist nämlich genauso schlimm …«

»Na ja, vergiss das mal«, warf Harry rasch ein. »Der Punkt ist doch, dass Filch zum Narren gehalten wird, oder? Diese Mädchen kriegen Sachen in die Schule, die als etwas anderes getarnt sind! Also, weshalb hätte dann Malfoy das Halsband nicht in die Schule schaffen können –?«

»Oh, Harry … nicht schon wieder …«

»Komm schon, warum nicht?«, drängte Harry.

»Sieh mal«, Hermine seufzte, »Geheimnis-Detektoren spüren Verwünschungen, Flüche und Verbergungszauber auf, stimmt's? Sie werden eingesetzt, um schwarze Magie und schwarzmagische Objekte zu finden. Sie hätten einen mächtigen Fluch wie den auf diesem Halsband in Sekundenschnelle erfasst. Aber etwas, das nur in die falsche Flasche abgefüllt wurde, wird nicht erkannt – und Liebestränke sind sowieso nichts Schwarzmagisches oder Gefährliches …«

»Du hast gut reden«, murmelte Harry und dachte an Romilda Vane.

»… also müsste Filch selber erkennen, dass es kein Hustentrank ist, und der ist kein besonders guter Zauberer, ich bezweifle, dass er einen Trank von – «

Hermine verstummte schlagartig; auch Harry hatte es gehört.

Zwischen den dunklen Bücherregalen war jemand von hinten dicht an sie herangetreten. Sie warteten, und einen Moment später kam die geierartige Gestalt von Madam Pince um die Ecke, mit eingefallenen Wangen, Haut wie Pergament und einer langen Hakennase, die von der Lampe in ihrer Hand wenig schmeichelhaft beleuchtet wurde.

»Die Bibliothek ist jetzt geschlossen«, sagte sie. »Achten Sie darauf, dass Sie alles, was Sie ausgeliehen haben, in das richtige – was hast du mit diesem Buch gemacht, du niederträchtiger Bursche?«

»Das ist nicht aus der Bibliothek, das ist meins!«, erwiderte Harry rasch und schnappte sein Zaubertränke für Fortgeschrittene vom Tisch, als sie sich mit ihren Klauen daraufstürzte.

»Geplündert!«, zischte sie. »Geschändet! Besudelt!«

»Es ist nur ein Buch, in das reingeschrieben wurde!«, sagte Harry und riss es ihr aus der Hand.

Offenbar war sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch; Hermine, die hastig ihre Sachen zusammengepackt hatte, nahm Harry am Arm und schleppte ihn wie einen Verhafteten davon.

»Du kriegst Bibliotheksverbot von ihr, wenn du nicht aufpasst. Warum musstest du auch dieses blöde Buch mitbringen?«

»Es ist nicht meine Schuld, dass sie vollkommen ausgerastet ist, Hermine. Oder meinst du, sie hat mitgehört, wie du schlecht über Filch geredet hast? Ich hatte immer schon den Verdacht, dass zwischen den beiden irgendwas laufen könnte …«

»Oh, haha …«

Sie genossen es, wieder normal miteinander reden zu können, gingen durch die verlassenen, lampenbeschienenen Korridore in den Gemeinschaftsraum zurück und stritten darüber, ob Filch und Madam Pince wirklich heimlich verliebt waren.

»Flitterkram«, sagte Harry zu der fetten Dame, es war das neue Passwort zum Fest.

»Gleichfalls«, erwiderte die fette Dame mit einem schelmischen Grinsen und schwang vor, um sie einzulassen.

»Hi, Harry!«, sagte Romilda Vane, kaum dass er durch das Porträtloch geklettert war. »Lust auf ein Goldlackwasser?«

Hermine warf ihm einen »Was hab ich dir gesagt?«-Blick über die Schulter zu.

»Nein, danke«, erwiderte Harry rasch. »Ich mag das nicht besonders.«

»Na, dann nimm doch die hier«, sagte Romilda und drückte ihm eine Schachtel in die Hand. »Schokokessel, mit Feuerwhisky drin. Meine Omi hat sie mir geschickt, aber ich mag sie nicht.«

»Oh – klar – vielen Dank«, sagte Harry, dem nichts anderes einfiel. »Ähm – ich geh nur mal eben dort rüber mit …«

Er eilte Hermine hinterher und seine Stimme wurde immer schwächer.

»Hab ich's doch gesagt«, bemerkte Hermine lakonisch. »Je eher du jemanden fragst, desto eher lassen sie dich alle in Ruhe, und du kannst – «

Doch plötzlich wurde ihr Gesicht weiß; ihr Blick war eben auf Ron und Lavender gefallen, die eng umschlungen im selben Sessel saßen.

»Na dann, gute Nacht, Harry«, sagte sie, obwohl es erst sieben Uhr abends war, und ohne ein weiteres Wort zog sie in Richtung Mädchenschlafsaal davon.

Als Harry zu Bett ging, tröstete er sich mit dem Gedanken, dass er nur noch einen Unterrichtstag durchstehen musste, und Slughorns Party, dann würden er und Ron gemeinsam zum Fuchsbau abreisen. Inzwischen schien es unmöglich, dass Ron und Hermine sich noch vor Ferienbeginn wieder versöhnen würden, aber vielleicht würde die Pause ihnen irgendwie Zeit geben, sich zu beruhigen und es sich anders zu überlegen …

Große Hoffnungen hegte er jedoch nicht, und sie schwanden noch mehr, nachdem er am nächsten Tag den Verwandlungsunterricht mit den beiden hinter sich gebracht hatte. Sie hatten gerade das immens schwierige Thema menschlicher Verwandlung in Angriff genommen; sie arbeiteten vor Spiegeln und sollten die Farbe ihrer eigenen Augenbrauen verändern. Hermine lachte ungnädig über Rons katastrophalen ersten Versuch, bei dem er es irgendwie schaffte, sich einen sensationellen Schnauzbart zu verpassen; Ron rächte sich, indem er unbarmherzig, aber genau Hermine nachahmte, wie sie jedes Mal, wenn Professor McGonagall eine Frage stellte, auf ihrem Platz auf- und abhopste, was Lavender und Parvati äußerst amüsant fanden und Hermine wieder an den Rand der Tränen brachte. Mit dem Läuten raste sie aus dem Klassenzimmer und ließ die Hälfte ihrer Sachen zurück; Harry kam zu dem Schluss, dass ihre Not gerade größer war als die von Ron, sammelte ihre verbliebenen Habseligkeiten ein und folgte ihr.

Er spürte sie schließlich auf, als sie aus einem Mädchenklo ein Stockwerk tiefer kam. Sie wurde von Luna Lovegood begleitet, die ihr geistesabwesend auf die Schulter klopfte.

»Oh, hallo, Harry«, sagte Luna. »Weißt du, dass eine von deinen Augenbrauen hellgelb ist?«

»Hi, Luna. Hermine, du hast deine Sachen liegen lassen …«

Er hielt ihr die Bücher hin.

»Oh, ja«, sagte Hermine mit erstickter Stimme, nahm sie und wandte sich rasch ab, um zu verbergen, dass sie sich mit dem Federmäppchen die Tränen abwischte. »Danke, Harry. Also, ich muss jetzt los …«

Und sie eilte davon, ohne Harry Zeit für tröstende Worte zu lassen, die ihm zugegebenermaßen ohnehin nicht einfielen.

»Sie ist ein bisschen durcheinander«, sagte Luna. »Erst dachte ich, da drin wär die Maulende Myrte, aber dann war es Hermine. Sie hat von diesem Ron Weasley geredet..«

»Ja, die haben sich gestritten«, sagte Harry.

»Der sagt manchmal ziemlich komische Sachen, was?«, bemerkte Luna, als sie sich gemeinsam auf den Weg durch den Korridor machten. »Aber er kann auch ein wenig grob sein. Das ist mir letztes Jahr aufgefallen.«

»Ich denk schon«, sagte Harry. Luna bewies wieder einmal ihr echtes Talent, unangenehme Wahrheiten auszusprechen; er hatte noch nie jemanden wie sie kennen gelernt. »Und, wie war dein Schuljahr bis jetzt?«

»Oh, war schon in Ordnung«, sagte Luna. »Ein bisschen einsam ohne die DA. Ginny war aber nett. Letztens hat sie zwei Jungs in unserer Verwandlungsstunde davon abgebracht, mich ›Loony‹ zu nennen – «

»Hättest du Lust, heute Abend mit mir zu Slughorns Party zu kommen?«

Die Worte waren schon aus Harrys Mund, ehe er sie aufhalten konnte; er hörte, wie er sie sagte, als ob ein Fremder redete.

Luna richtete überrascht ihre Glubschaugen auf ihn.

»Slughorns Party? Mit dir?«

»Ja«, sagte Harry. »Wir sollen Gäste mitbringen, also dachte ich, du hättest vielleicht Lust … ich meine …« Ihm lag sehr viel daran, seine Absichten ganz deutlich zu machen. »Ich meine, nur wie Freunde, du weißt schon. Aber wenn du nicht willst …«

Er hoffte schon fast, dass sie nicht wollte.

»Oh, nein, ich fänd's toll, mit dir wie Freunde hinzugehen!«, sagte Luna und strahlte, wie er sie noch nie hatte strahlen sehen. »Mich hat noch nie jemand zu einer Party eingeladen, wie ein Freund! Hast du dir deshalb die Augenbraue gefärbt, wegen der Party? Soll ich das auch machen?«

»Nein«, sagte Harry entschieden, »das war ein Versehen, ich werd Hermine bitten, dass sie es für mich richtet. Also, wir treffen uns dann um acht in der Eingangshalle.«

»AHA!«, schrie eine Stimme über ihnen und beide zuckten zusammen; ohne dass sie es gemerkt hätten, waren sie gerade direkt unter Peeves durchgegangen, der kopfüber von einem Kronleuchter hing und sie hämisch angrinste.

»Potty hat Loony zur Party eingeladen! Potty lüübt Loony! Potty lüüüüübt Looooooony!«

Und er schoss davon, gackerte und kreischte: »Potty liebt Loony!«

»Immer nett, wenn solche Dinge privat bleiben«, sagte Harry. Und tatsächlich, im Nu schien die ganze Schule zu wissen, dass Harry Potter Luna Lovegood zu Slughorns Party mitnahm.

»Du hättest jede mitnehmen können!«, sagte Ron ungläubig beim Abendessen. »Jede! Und du hast dir Loony Lovegood ausgesucht?«

»Nenn sie nicht so, Ron«, fauchte Ginny, die auf dem Weg zu Freunden hinter Harry stehen geblieben war. »Ich bin echt froh, dass du sie mitnimmst, Harry, sie ist schon ganz aufgeregt.«

Dann ging sie weiter am Tisch entlang und setzte sich neben Dean. Harry versuchte sich darüber zu freuen, dass Ginny froh war, weil er Luna zur Party mitnahm, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Viel weiter unten am Tisch saß Hermine allein und stocherte in ihrem Eintopf. Harry bemerkte, dass Ron verstohlen zu ihr hinübersah.

»Du könntest sagen, dass es dir Leid tut«, schlug Harry freiheraus vor.

»Was, und dann wieder von einem Schwarm Kanarienvögel angegriffen werden?«, murrte Ron.

»Wozu musstest du sie auch nachäffen?«

»Sie hat über meinen Schnurrbart gelacht!«

»Ich auch, das war das Bescheuertste, was ich je gesehen hab.«

Aber Ron schien ihn nicht gehört zu haben; Lavender war gerade mit Parvati hereingekommen. Sie quetschte sich zwischen Harry und Ron und warf ihre Arme um Rons Hals.

»Hallo, Harry«, sagte Parvati, die das Verhalten ihrer beiden Freunde offenbar genau wie er etwas peinlich und langweilig fand.

»Hallo«, sagte Harry. »Wie geht's? Du bleibst also in Hogwarts? Ich hab gehört, deine Eltern wollten, dass du von der Schule gehst.«

»Das hab ich ihnen vorläufig ausreden können«, sagte Parvati. »Sie sind wegen dieser Sache mit Katie richtig ausgetickt, aber weil seither nichts mehr passiert ist … oh, hallo, Hermine!«

Parvati strahlte übers ganze Gesicht. Harry war sicher, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie Hermine in Verwandlung ausgelacht hatte. Er wandte sich um und sah, wie Hermine das Lächeln erwiderte, vielleicht sogar noch strahlender. Mädchen waren manchmal seltsam.

»Hi, Parvati!«, sagte Hermine, ohne auch nur im Geringsten auf Ron und Lavender zu achten. »Gehst du heute Abend zu Slughorns Party?«

»Keine Einladung«, sagte Parvati düster. »Ich hätt aber große Lust, das klingt, als würd es richtig gut werden … du gehst hin, oder?«

»Ja, ich treff mich um acht mit Cormac, und wir – «

Ein Geräusch war zu hören, als würde eine Saugglocke von einem verstopften Abfluss weggezogen, und Ron tauchte auf. Hermine tat, als hätte sie nichts gesehen und nichts gehört.

» wir gehen zusammen hoch zur Party.«

»Cormac?«, sagte Parvati. »Du meinst Cormac McLaggen?«

»Richtig«, sagte Hermine lieblich. »Der, der beinahe«, sie legte eine starke Betonung auf das Wort, »Gryffindor-Hüter geworden wäre.«

»Dann bist du also jetzt mit ihm zusammen?«, fragte Parvati mit aufgerissenen Augen.

»Oh – ja – hast du das nicht gewusst?«, sagte Hermine mit einem höchst unherminehaften Kichern.

»Nein!«, erwiderte Parvati, die dieses Stückchen Tratsch geradezu gierig aufnahm. »Wow, du stehst auf Quidditch-Spieler, stimmt's? Erst Krum, dann McLaggen …«

»Ich steh auf richtig gute Quidditch-Spieler«, korrigierte Hermine sie, unentwegt lächelnd. »Also, wir sehen uns dann … ich muss los und mich für die Party zurechtmachen …«

Sie verschwand. Augenblicklich steckten Lavender und Parvati die Köpfe zusammen, um diese neue Entwicklung zu erörtern, mitsamt allem, was sie je über McLaggen gehört, und allem, was sie sich je über Hermine zusammengereimt hatten. Ron sah merkwürdig leer aus und sagte nichts. Harry blieb es überlassen, im Stillen über die Abgründe nachzugrübeln, in die Mädchen sich begaben, nur um Rache zu üben.

Als er um acht an diesem Abend in die Eingangshalle kam, stieß er auf ungewöhnlich viele Mädchen, die dort lauerten und ihn alle böse anzustarren schienen, als er auf Luna zuging. Sie trug einen silbernen Paillettenumhang, der bei den Zuschauerinnen einiges Gekicher auslöste, doch ansonsten sah sie ganz hübsch aus. Jedenfalls war Harry froh, dass sie auf ihre Radieschen-Ohrringe, ihr Halsband aus Butterbierkorken und ihre Gespensterbrille verzichtet hatte.

»Hi«, sagte er. »Wollen wir dann mal los?«

»Oh, ja«, sagte sie glücklich. »Wo ist die Party?«

»In Slughorns Büro«, sagte Harry und führte sie die Marmortreppe hoch, weg von all dem Gegaffe und Getuschel. »Hast du gehört, angeblich soll ein Vampir kommen?«

»Rufus Scrimgeour?«, fragte Luna.

»Ich – was?«, sagte Harry verwirrt. »Du meinst den Zaubereiminister?«

»Ja, er ist ein Vampir«, sagte Luna nüchtern. »Vater hat darüber einen ganz langen Artikel geschrieben, als Scrimgeour Nachfolger von Cornelius Fudge wurde, aber jemand vom Ministerium hat ihn gezwungen, den nicht zu veröffentlichen. Die wollten offensichtlich verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt!«

Harry antwortete nicht; er hielt es für äußerst unwahrscheinlich, dass Rufus Scrimgeour ein Vampir war, doch er war es gewohnt, dass Luna die verqueren Ansichten ihres Vaters wiedergab, als wären es Tatsachen. Sie näherten sich bereits Slughorns Büro, und mit jedem ihrer Schritte schwoll der Lärm von Gelächter, Musik und lauten Stimmen stärker an.

Ob Slughorns Büro schon so gebaut worden war oder ob er es mit magischen Kniffen so geformt hatte, es war jedenfalls viel größer als das normale Arbeitszimmer eines Lehrers. Die Decke und die Wände waren mit smaragdgrünen, karmesinroten und goldenen Behängen drapiert, so dass es aussah, als befänden sich alle in einem riesigen Zelt. Der Raum war voller Leute und stickig und in das rote Licht einer reich verzierten goldenen Lampe getaucht, die von der Mitte der Decke herabhing und in der echte Feen flatterten, jede ein glitzernder Lichtfleck. Lauter Gesang drang aus einer entfernten Ecke, begleitet von etwas, das wie Mandolinen klang; ein Dunstschleier aus Pfeifenrauch hing über einigen älteren, ins Gespräch vertieften Zauberern, und etliche Hauselfen schlängelten sich quiekend durch den Wald von Knien, verborgen unter den schweren silbernen Servierplatten mit Speisen, die sie trugen und die dabei wie kleine wandernde Tische aussahen.

»Harry, mein Junge!«, dröhnte Slughorn, kaum dass Harry und Luna sich durch die Tür gezwängt hatten. »Kommen Sie, kommen Sie, so viele Leute, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte!«

Slughorn trug einen Samthut mit Troddeln, der zu seiner Smokingjacke passte. Er packte Harry so fest am Arm, als wäre er gerne mit ihm disappariert, und führte ihn entschlossen mitten in die Gästeschar; Harry nahm Luna bei der Hand und zog sie mit sich.

»Harry, darf ich Ihnen Eldred Worple vorstellen, einen ehemaligen Schüler von mir, den Autor von Blutsbrüder: Mein Leben unter Vampiren – und natürlich seinen Freund Sanguini.«

Worple, ein kleiner Mann mit Brille, ergriff Harrys Hand und schüttelte sie begeistert; der Vampir Sanguini, der groß und ausgemergelt war und dunkle Schatten unter den Augen hatte, nickte nur. Er wirkte recht gelangweilt. Eine neugierige und aufgeregt schnatternde Schar Mädchen stand in seiner Nähe.

»Harry Potter, ich bin einfach entzückt!«, sagte Worple und spähte kurzsichtig hoch in Harrys Gesicht. »Erst kürzlich habe ich zu Professor Slughorn gesagt: Wo bleibt die Biografie von Harry Potter, auf die wir alle warten?«

»Ähm«, sagte Harry, »tatsächlich?«

»Genauso bescheiden, wie Horace ihn beschrieben hat!«, sagte Worple. »Aber im Ernst«, sein Gebaren veränderte sich; es wurde plötzlich geschäftsmäßig, »ich würde sie mit Vergnügen selbst schreiben – die Leute wollen unbedingt mehr über Sie wissen, mein Junge, unbedingt! Wenn Sie bereit wären, mir ein paar Interviews zu geben, sagen wir in jeweils vier- bis fünfstündigen Sitzungen, nun, dann könnten wir das Buch in wenigen Monaten fertig haben. Und alles ohne größeren Aufwand Ihrerseits, das versichere ich Ihnen – fragen Sie Sanguini hier, ob es nicht völlig – Sanguini, bleiben Sie hier!«, fügte Worple plötzlich streng hinzu, denn der Vampir hatte sich mit einem ziemlich hungrigen Blick langsam zu der Mädchengruppe neben sich hingeschoben. »Hier, essen Sie eine Pastete«, sagte Worple, nahm eine von einem vorbeilaufenden Elfen und drückte sie Sanguini in die Hand, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Harry widmete.

»Mein lieber Junge, das Gold, das Sie verdienen könnten, Sie haben ja keine Ahnung – «

»Ich habe absolut kein Interesse«, sagte Harry entschieden, »und ich sehe gerade eine Freundin von mir, entschuldigen Sie.«

Er mischte sich mit Luna im Schlepptau unter die Menge; tatsächlich hatte er gerade eine lange braune Haarmähne zwischen Leuten verschwinden sehen, die wie zwei von den Schicksalsschwestern ausschauten.

»Hermine! Hermine!«

»Harry! Da bist du ja, gütiger Himmel! Hi, Luna!«

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Harry, denn Hermine wirkte ausgesprochen zerzaust, ganz als ob sie sich gerade aus einem Teufelsschlingengestrüpp herausgekämpft hätte.

»Oh, ich bin gerade entkommen – ich meine, ich hab eben Cormac stehen lassen«, sagte sie. »Unter der Mistel«, fügte sie erklärend hinzu, da Harry sie weiter fragend ansah.

»Geschieht dir recht, was musst du auch mit dem zusammen herkommen«, sagte er streng zu ihr.

»Ich dachte, der würde Ron am meisten ärgern«, erwiderte Hermine sachlich. »Eine Weile hatte ich an Zacharias Smith gedacht, aber alles in allem – «

»Du hast an Smith gedacht?«, sagte Harry empört.

»Ja, hab ich, und allmählich bereue ich es, dass ich ihn nicht genommen hab, im Vergleich zu McLaggen ist Grawp ein echter Gentleman. Lasst uns hier langgehen, dann sehen wir ihn, falls er kommt, er ist ja so groß …«

Die drei bahnten sich einen Weg hinüber auf die andere Seite des Zimmers, nahmen unterwegs Kelche mit Met von den Tabletts und bemerkten zu spät, dass Professor Trelawney allein dort stand.

»Hallo«, sagte Luna höflich zu Professor Trelawney.

»Guten Abend, meine Liebe«, erwiderte Professor Trelawney und versuchte unter einigen Schwierigkeiten, Luna ins Auge zu fassen. Harry konnte wieder einmal Kochsherry riechen. »Ich habe Sie in letzter Zeit nicht in meinem Unterricht gesehen …«

»Nein, ich hab dieses Jahr Firenze«, sagte Luna.

»Oh, natürlich«, sagte Professor Trelawney mit einem zornigen, betrunkenen Kichern. »Oder Dobbin, wie ich ihn insgeheim gerne nenne. Man hätte doch meinen können, dass Professor Dumbledore, jetzt, da ich wieder an der Schule unterrichten darf, dieses Pferd endlich losgeworden wäre, oder? Aber nein … wir teilen uns den Unterricht … das ist eine Beleidigung, offen gestanden, eine Beleidigung. Wissen Sie …«

Professor Trelawney war offenbar so beschwipst, dass sie Harry gar nicht erkannt hatte. Im Schutz ihrer wütenden Tiraden gegen Firenze trat Harry unbemerkt näher zu Hermine und sagte: »Lass uns mal Klartext reden. Hast du vor, Ron zu sagen, dass du bei der Hüter-Auswahl die Hand im Spiel hattest?«

Hermine zog die Augenbrauen hoch.

»Glaubst du wirklich, ich könnte so tief sinken?«

Harry sah sie scharf an.

»Hermine, wenn du es über dich bringst, McLaggen mitzunehmen – «

»Das ist was anderes«, sagte Hermine würdevoll. »Ich habe nicht vor, Ron irgendwas darüber zu erzählen, was beim Hüter-Auswahlspiel passiert sein könnte oder nicht.«

»Gut«, sagte Harry hitzig. »Denn sonst kriegt er wieder das große Flattern und wir verlieren das nächste Spiel – «

»Quidditch!«, sagte Hermine wütend. »Ist das alles, was Jungs interessiert? Cormac wollte nicht das Geringste über mich wissen, nein, ich bekam nur die ganze Zeit Einhundert Großartige Paraden von Cormac McLaggen nonstop serviert – o nein, da kommt er!«

Sie war so flink, dass es aussah, als ob sie disappariert wäre; gerade war sie noch da gewesen, im nächsten Moment hatte sie sich zwischen zwei schallend lachende Hexen gedrängt und war verschwunden.

»Hast du Hermine gesehen?«, fragte McLaggen, der sich eine Minute später durch die dichte Menge zwängte.

»Nein, tut mir Leid«, sagte Harry und wandte sich rasch ab, um sich an Lunas Unterhaltung zu beteiligen, allerdings hatte er für eine halbe Sekunde vergessen, mit wem sie sprach.

»Harry Potter!«, sagte Professor Trelawney, die ihn jetzt erst bemerkte, mit tiefer, vibrierender Stimme.

»Oh, hallo«, erwiderte Harry wenig begeistert.

»Mein lieber Junge!«, sagte sie leise, aber gut hörbar. »Die Gerüchte! Die Geschichten! Der Auserwählte! Natürlich weiß ich es schon seit langem … Die Omen waren nie gut, Harry … aber warum machen Sie nicht mit Wahrsagen weiter? Für Sie, gerade für Sie, ist das Fach von größter Wichtigkeit!«

»Ah, Sybill, jeder von uns hält sein Fach für das wichtigste!«, sagte eine laute Stimme, und Slughorn tauchte neben Professor Trelawney auf, mit hochrotem Gesicht und leicht schief sitzendem Samthut, ein Glas Met in der einen und eine riesige Weihnachtspastete in der anderen Hand. »Aber ich glaube nicht, dass ich jemals ein derartiges Naturtalent in Zaubertränke kennen gelernt habe!«, sagte Slughorn und bedachte Harry mit einem liebevollen Blick aus allerdings blutunterlaufenen Augen. »Instinkt, wissen Sie – wie seine Mutter! Ich hab in meinem ganzen Leben nur wenige mit einer vergleichbaren Begabung unterrichtet, das dürfen Sie mir glauben, Sybill – nun, selbst Severus – «

Und zu Harrys Entsetzen streckte Slughorn den Arm aus und zog wie aus heiterem Himmel Snape zu ihnen her.

»Hören Sie auf, hier herumzuschleichen, und kommen Sie zu uns, Severus!«, hickste Slughorn fröhlich. »Ich sprach gerade von Harrys außergewöhnlicher Begabung für Zaubertränke! Natürlich ist es auch ein wenig Ihr Verdienst, immerhin haben Sie ihn fünf Jahre lang unterrichtet!«

Mit Slughorns Arm auf seiner Schulter wie in einer Falle gefangen, blickte Snape über seine Hakennase auf Harry hinab und seine schwarzen Augen verengten sich.

»Merkwürdig, ich hatte nie den Eindruck, dass ich es geschafft hätte, Potter irgendetwas beizubringen.«

»Meine Rede, das ist ein Naturtalent!«, rief Slughorn. »Sie hätten sehen sollen, was er mir in der ersten Stunde abgeliefert hat, den Sud des lebenden Todes – hatte nie einen Schüler, dem er beim ersten Versuch besser gelungen ist, ich glaube, nicht mal Ihnen, Severus-«

»Tatsächlich?«, sagte Snape leise und sah Harry nach wie vor durchdringend an, der eine leise Unruhe spürte. Das Letzte, was er wollte, war, dass Snape anfing, nach dem Ursprung seiner neuen Meisterschaft in Zaubertränke zu forschen.

»Was waren noch mal die anderen Fächer, die Sie belegt haben, Harry?«

»Verteidigung gegen die dunklen Künste, Zauberkunst, Verwandlung, Kräuterkunde …«

»Kurz, all die Fächer, die bei einem Auroren vorausgesetzt werden«, sagte Snape mit einem Anflug von Hohn.

»Ja, das will ich auch werden«, sagte Harry trotzig.

»Und Sie werden zu den Großen gehören!«, dröhnte Slughorn.

»Ich glaube nicht, dass du ein Auror werden solltest, Harry«, warf Luna überraschend ein. Alle sahen sie an. »Die Auroren sind Teil der Rotfang-Verschwörung, ich dachte, das wüssten alle. Sie arbeiten im Zaubereiministerium, um es von innen heraus zu Fall zu bringen, und verwenden eine Kombination aus schwarzer Magie und Zahnfleischentzündung.«

Harry bekam die Hälfte seines Mets in die Nase, als er zu lachen anfing. Allein dafür hatte es sich wirklich gelohnt, Luna mitzubringen. Als er hustend, pitschnass, aber immer noch grinsend aus seinem Kelch auftauchte, sah er etwas, das seine Laune nur noch verbessern konnte: Draco Malfoy, der von Argus Filch an den Ohren zu ihnen hergeschleift wurde.

»Professor Slughorn«, schnaufte Filch mit zitternden Wangen, und in seinen Glubschaugen lag das fanatische Flackern von einem, der Störenfriede aufspürt, »ich habe diesen Jungen in einem Korridor oben herumlungern sehen. Er behauptet, zu Ihrer Party eingeladen worden zu sein, er sei aber aufgehalten worden und zu spät losgegangen. Haben Sie ihm eine Einladung ausgestellt?«

Malfoy riss sich mit wütender Miene von Filchs Griff los.

»Okay, ich war nicht eingeladen!«, sagte er aufgebracht. »Ich hab versucht, mich reinzuschmuggeln, zufrieden?«

»Nein, bin ich nicht!«, sagte Filch, eine Behauptung, die gar nicht zu der Schadenfreude auf seinem Gesicht passte. »Jetzt kriegst du Ärger, aber wie! Hat der Schulleiter nicht gesagt, dass es mit dem nächtlichen Herumschleichen vorbei ist, außer ihr habt die Erlaubnis, oder was?«

»Schon gut, Argus, schon gut«, sagte Slughorn mit einer lässigen Handbewegung. »Es ist Weihnachten, und es ist kein Verbrechen, auf eine Party gehen zu wollen. Für dieses Mal vergessen wir irgendwelche Strafen; Sie können bleiben, Draco.«

Dass Filch ein empörtes und enttäuschtes Gesicht machte, war vollkommen vorhersehbar gewesen; aber warum, fragte sich Harry mit Blick auf Malfoy, sah dieser fast genauso unglücklich aus? Und warum schaute Snape Malfoy an, als wäre er sowohl wütend als auch … war es möglich? … ein wenig beklommen?

Doch ehe Harry ganz begriffen hatte, was er eben gesehen hatte, hatte Filch sich umgedreht und war vor sich hin murrend davongeschlurft; Malfoy hatte ein Grinsen aufgesetzt und dankte Slughorn für seine Großzügigkeit, und Snapes Miene war wieder glatt und unergründlich.

»Keine Ursache, keine Ursache«, sagte Slughorn und tat Malfoys Dank mit einer Handbewegung ab. »Schließlich kannte ich Ihren Großvater …«

»Er hat immer in höchsten Tönen von Ihnen gesprochen, Sir«, sagte Malfoy rasch. »Sie seien der beste Zaubertrankmeister, den er je kennen gelernt habe …«

Harry starrte Malfoy an. Es war nicht das Geschleime, das ihn überraschte; er hatte lange genug mit angesehen, wie Malfoy sich bei Snape eingeschleimt hatte. Vielmehr wunderte ihn, dass Malfoy in der Tat ein wenig kränklich wirkte. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass er Malfoy aus der Nähe sah; jetzt fiel ihm auf, dass Malfoy dunkle Ringe unter den Augen hatte und seine Haut eindeutig einen gräulichen Ton aufwies.

»Ich würde gerne ein Wort mit Ihnen reden, Draco«, sagte Snape plötzlich.

»Oh, nun aber, Severus«, sagte Slughorn mit einem erneuten Hicksen, »es ist Weihnachten, seien Sie nicht so hart – «

»Ich bin sein Hauslehrer, und ich entscheide, wie hart oder sonst etwas ich bin«, sagte Snape barsch. »Folgen Sie mir, Draco.«

Sie gingen davon, Snape voraus, Malfoy mit ärgerlicher Miene hinterher. Harry stand einen Moment lang unschlüssig da, dann sagte er: »Ich bin gleich wieder zurück, Luna – ähm – ich muss mal kurz.«

»Alles klar«, sagte sie fröhlich, und während er durch die Menge davoneilte, meinte er zu hören, dass sie das Gespräch über die Rotfang-Verschwörung mit Professor Trelawney fortsetzte, die ehrlich interessiert schien.

Sobald er der Party den Rücken gekehrt hatte, war es einfach, den Tarnumhang aus der Tasche zu ziehen und sich überzuwerfen, denn der Korridor war vollkommen ausgestorben. Schwieriger war es, Snape und Malfoy zu finden. Harry rannte den Korridor entlang, der Lärm seiner Schritte wurde von der Musik und den lauten Stimmen übertönt, die immer noch aus Slughorns Büro hinter ihm drangen. Vielleicht hatte Snape Malfoy in sein Büro in den Kerkern mitgenommen … oder vielleicht begleitete er ihn zurück in den Gemeinschaftsraum der Slytherins … Aber während Harry den Korridor entlangeilte, drückte er sein Ohr an jede Tür, bis er vor Aufregung zusammenfuhr, als er sich vor das Schlüsselloch des letzten Klassenzimmers im Gang kauerte und Stimmen hörte.

»… kann mir keine Fehler leisten, Draco, denn wenn man Sie rauswirft – «

»Ich hatte nichts damit zu tun, klar?«

»Ich hoffe, Sie sagen die Wahrheit, weil es so ungeschickt wie töricht war. Sie werden bereits verdächtigt, die Hand im Spiel zu haben.«

»Wer verdächtigt mich?«, sagte Malfoy zornig. »Zum letzten Mal, ich habe es nicht getan, okay? Diese Bell muss einen Feind gehabt haben, von dem niemand weiß – schauen Sie mich nicht so an! Mir ist klar, was Sie tun, ich bin nicht dumm, aber es wird nicht funktionieren – ich kann Sie aufhalten!«

Eine Pause trat ein, dann sagte Snape leise: »Ah … Tante Bellatrix hat Ihnen Okklumentik beigebracht, ich verstehe. Welche Gedanken versuchen Sie vor Ihrem Meister zu verbergen, Draco?«

»Ich versuche nicht, irgendetwas vor ihm zu verbergen, ich will nur nicht, dass Sie sich einmischen!«

Harry drückte sein Ohr noch fester gegen das Schlüsselloch … was war geschehen, dass Malfoy so mit Snape sprach, mit Snape, dem er immer Respekt und sogar Zuneigung gezeigt hatte?

»Also deshalb sind Sie mir dieses Schuljahr aus dem Weg gegangen? Sie fürchten, dass ich mich einmische? Ihnen ist doch klar, dass, wenn ein anderer es sich erlaubt hätte, nicht in meinem Büro zu erscheinen, obwohl ich ihn wiederholt einbestellt habe, Draco – «

»Dann lassen Sie mich doch nachsitzen! Zeigen Sie mich bei Dumbledore an!«, höhnte Malfoy.

Wieder trat eine Pause ein. Dann sagte Snape: »Sie wissen ganz genau, dass ich weder das eine noch das andere tun möchte.«

»Dann bestellen Sie mich einfach nicht mehr in Ihr Büro!«

»Hören Sie zu«, sagte Snape, nun mit so leiser Stimme, dass Harry das Ohr ganz fest gegen das Schlüsselloch pressen musste, um sie zu hören. »Ich versuche Ihnen zu helfen. Ich habe Ihrer Mutter geschworen, ich würde Sie beschützen. Ich habe einen Unbrechbaren Schwur geleistet, Draco – «

»Dann sieht es ganz so aus, als müssten Sie ihn brechen, weil ich Ihren Schutz nicht brauche! Es ist mein Auftrag, er hat ihn mir erteilt, und ich führe ihn aus. Ich habe einen Plan und der wird funktionieren, es dauert nur ein bisschen länger, als ich dachte!«

»Worin besteht Ihr Plan?«

»Das geht Sie nichts an!«

»Wenn Sie mir sagen, was Sie tun wollen, kann ich Ihnen dabei helfen – «

»Ich habe jede Hilfe, die ich brauche, danke, ich bin nicht allein!«

»Heute Abend waren Sie zweifellos allein, was äußerst töricht war, Sie sind durch die Korridore gestreift, ohne Wachposten oder Absicherung. Das sind elementare Fehler – «

»Ich hätte Crabbe und Goyle bei mir gehabt, wenn Sie sie nicht hätten nachsitzen lassen!«

»Nicht so laut!«, zischte Snape, denn Malfoys Stimme war vor Aufregung lauter geworden. »Wenn Ihre Freunde Crabbe und Goyle die Absicht haben, diesmal ihre ZAGs in Verteidigung gegen die dunklen Künste zu bestehen, dann müssen sie ein wenig fleißiger arbeiten, als sie es gegenwär-«

»Was spielt das für eine Rolle?«, sagte Malfoy. »Verteidigung gegen die dunklen Künste – das ist doch alles nur ein Witz, oder, ein Theaterspiel? Als ob irgendeiner von uns vor den dunklen Künsten geschützt werden müsste – «

»Es ist ein Theaterspiel, das entscheidend ist für den Erfolg, Draco!«, sagte Snape. »Wo, glauben Sie, wäre ich all die Jahre geblieben, wenn ich nicht gewusst hätte, wie man Theater spielt? Nun hören Sie mir zu! Sie sind unvorsichtig, streifen des Nachts umher, lassen sich erwischen, und wenn Sie Ihr Vertrauen in Gehilfen wie Crabbe und Goyle setzen – «

»Die sind nicht die Einzigen, ich hab noch andere Leute auf meiner Seite, bessere!«

»Warum vertrauen Sie sich dann nicht mir an, ich kann – «

»Ich weiß, was Sie vorhaben! Sie wollen mir den Ruhm stehlen!«

Wieder trat eine Pause ein, dann sagte Snape kühl: »Sie reden wie ein Kind. Ich verstehe vollkommen, dass die Gefangennahme und Inhaftierung Ihres Vaters Sie aufgewühlt hat, aber – «

Harry war kaum eine Sekunde vorgewarnt; er hörte Malfoys Schritte auf der anderen Seite der Tür und hechtete aus dem Weg, gerade als sie aufsprang; Malfoy marschierte den Korridor entlang davon, an der offenen Tür zu Slughorns Büro vorbei, und verschwand weit hinten um die Ecke.

Harry wagte kaum zu atmen und blieb zusammengekauert, während Snape langsam aus dem Klassenzimmer kam. Mit unergründlicher Miene kehrte er zum Fest zurück. Harry blieb unter seinem Tarnumhang verborgen auf dem Boden sitzen und in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.