123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

Eine getrübte Erinnerung

An einem späten Nachmittag einige Tage nach Neujahr stellten sich Harry, Ron und Ginny in einer Reihe vor dem Küchenfeuer auf, um nach Hogwarts zurückzukehren. Das Ministerium hatte diese einmalige Verbindung zum Flohnetzwerk eingerichtet, um Schüler schnell und sicher in die Schule zurückzubefördern. Nur Mrs Weasley war da, um auf Wiedersehen zu sagen, da Mr Weasley, Fred, George, Bill und Fleur allesamt arbeiten waren. Als der Moment des Abschieds dann kam, brach Mrs Weasley in Tränen aus. Zugegebenermaßen hatte sie in letzter Zeit recht nahe am Wasser gebaut; seit Percy am Weihnachtstag aus dem Haus gestürmt war, die Brille mit Pastinakenpüree voll gespritzt (wofür Fred, George und Ginny gleichzeitig das Verdienst in Anspruch nehmen wollten), hatte sie praktisch ständig geweint.

»Nicht weinen, Mum«, sagte Ginny und tätschelte ihr den Rücken, während Mrs Weasley an ihrer Schulter schluchzte. »Ist ja schon gut …«

»Ja, mach dir keine Sorgen um uns«, sagte Ron und ließ es zu, dass seine Mutter ihm einen sehr feuchten Kuss auf die Wange drückte, »oder um Percy. Der ist so was von einem Trottel, ist eigentlich kein großer Verlust, stimmt's?«

Mrs Weasley schluchzte heftiger denn je, als sie Harry in die Arme schloss.

»Versprich mir, dass du auf dich aufpasst … bleib auf der sicheren Seite …«

»Das tu ich immer, Mrs Weasley«, sagte Harry. »Ich mag ein ruhiges Leben, Sie kennen mich doch.«

Sie ließ ein ersticktes Glucksen hören und wich zurück.

»Also, seid brav, ihr alle …«

Harry trat in das smaragdgrüne Feuer und rief: »Hogwarts!« Er sah noch einmal flüchtig die Küche der Weasleys und Mrs Weasleys verweintes Gesicht, dann umschlossen ihn die Flammen; während er sehr schnell herumwirbelte, erhaschte er verschwommene Bilder von anderen Zaubererzimmern, die sofort wieder verschwunden waren, ehe er sie richtig sehen konnte; dann drehte er sich langsamer und kam schließlich mitten im Kamin von Professor McGonagalls Büro zum Stillstand. Sie blickte kaum von ihrer Arbeit auf, als er über den Rost hinausstieg.

»'n Abend, Potter. Hinterlassen Sie möglichst nicht so viel Asche auf dem Teppich.«

»Ja, Professor.«

Harry rückte seine Brille gerade und strich sich die Haare glatt, da kam der wirbelnde Ron in Sicht. Als Ginny angekommen war, marschierten die drei gemeinsam aus McGonagalls Büro und zogen weiter zum Gryffindor-Turm. Harry spähte im Vorbeigehen aus den Korridorfenstern; die Sonne sank bereits über dem Gelände, das von einem tieferen Schneeteppich bedeckt war als der Garten des Fuchsbaus. In der Ferne konnte er Hagrid sehen, der vor seiner Hütte Seidenschnabel fütterte.

»Flitterkram«, sagte Ron zuversichtlich, als sie die fette Dame erreicht hatten, die eher bleicher als sonst aussah und bei seiner lauten Stimme zusammenzuckte.

»Nein«, sagte sie.

»Was soll das heißen, ›nein‹?«

»Es gibt ein neues Passwort«, sagte sie. »Und bitte schrei nicht so.«

»Aber wir waren nicht da, wie sollen wir denn –?«

»Harry! Ginny!«

Hermine eilte ihnen entgegen, mit Winterumhang, Hut und Handschuhen und ganz rosa im Gesicht.

»Ich bin vor ein paar Stunden zurückgekommen, ich war eben unten zu Besuch bei Hagrid und Seiden- ich meine, Federflügel«, sagte sie atemlos. »Hattet ihr schöne Weihnachten?«

»Ja«, sagte Ron sofort, »war ziemlich viel los, Rufus Scrim-«

»Ich hab was für dich, Harry«, sagte Hermine, die Ron weder ansah noch irgendwie zeigte, dass sie ihn gehört hatte. »Oh, Moment mal – Passwort. Abstinenz.«

»Genau«, sagte die fette Dame mit schwacher Stimme, schwang nach vorne und gab das Porträtloch frei.

»Was ist los mit ihr?«, fragte Harry.

»Hat es an Weihnachten etwas übertrieben, wie's aussieht«, sagte Hermine, rollte mit den Augen und ging voran in den überfüllten Gemeinschaftsraum. »Sie und ihre Freundin Violet haben den ganzen Wein leer getrunken, aus diesem Bild von den betrunkenen Mönchen unten im Zauberkunstkorridor. Was soll's …«

Sie kramte kurz in ihrer Tasche, dann zog sie eine Pergamentrolle hervor, die Dumbledores Schrift trug.

»Klasse«, sagte Harry, zog sie sofort auseinander und stellte fest, dass seine nächste Stunde bei Dumbledore für den folgenden Abend anberaumt war. »Ich hab ihm eine Menge zu erzählen – und dir auch. Komm, wir setzen uns – «

Doch in diesem Moment kreischte es laut »Won-Won!«, und Lavender Brown kam aus heiterem Himmel herbeigestürzt und warf sich in Rons Arme. Einige Zuschauer kicherten; Hermine lachte schrill und sagte: »Dort drüben ist ein Tisch … kommst du mit, Ginny?«

»Nein, danke, ich hab Dean versprochen, dass wir uns treffen«, sagte Ginny, doch Harry hatte irgendwie den Eindruck, dass sie nicht gerade begeistert klang. Sie ließen Ron und Lavender ineinander verhakt wie zwei stehende Ringer zurück, und Harry ging vor Hermine her zu dem freien Tisch.

»Und, wie waren deine Weihnachten?«

»Oh, schön«, sagte sie schulterzuckend. »Nichts Besonderes. Wie war's bei Won-Won zu Hause?«

»Das sage ich dir gleich«, erwiderte Harry. »Hör mal, Hermine, kannst du nicht –?«

»Nein, kann ich nicht«, sagte sie klipp und klar. »Also spar dir die Frage.«

»Ich dachte, vielleicht, na ja, über Weihnachten …«

»Es war die fette Dame, die ein Riesenfass fünfhundert Jahre alten Wein getrunken hat, nicht ich, Harry. Also, was gab es so Wichtiges, das du mir erzählen wolltest?«

Sie sah zu grimmig aus, als dass man im Augenblick mit ihr hätte streiten wollen, daher ließ Harry das Thema Ron fallen und berichtete ihr alles, was er bei dem Gespräch zwischen Malfoy und Snape mitbekommen hatte.

Als er fertig war, saß Hermine einen Moment nachdenklich da, dann sagte sie: »Glaubst du nicht –?«

» dass er nur so getan hat, als würde er Hilfe anbieten, damit Malfoy darauf reinfällt und ihm verrät, was er vorhat?«

»Nun ja, genau«, sagte Hermine.

»Rons Dad und Lupin glauben das«, sagte Harry widerwillig. »Aber es beweist eindeutig, dass Malfoy irgendetwas plant, das kannst du nicht bestreiten.«

»Nein, kann ich nicht«, antwortete sie langsam.

»Und er handelt auf Voldemorts Befehl hin, genau wie ich gesagt habe!«

»Hmm … hat einer der beiden tatsächlich Voldemorts Namen erwähnt?«

Harry runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern.

»Ich bin nicht sicher … Snape hat eindeutig ›dein Meister‹ gesagt, und wer sollte das sonst sein?«

»Ich weiß nicht«, sagte Hermine und biss sich auf die Lippe. »Vielleicht sein Vater?«

Sie starrte quer durch den Raum, offenbar tief in Gedanken versunken, und bemerkte nicht einmal, dass Lavender Ron kitzelte. »Wie geht es Lupin?«

»Nicht besonders«, sagte Harry, und er erzählte ihr alles über Lupins Mission bei den Werwölfen und die Schwierigkeiten, vor denen er stand. »Hast du je von diesem Fenrir Greyback gehört?«

»Ja, hab ich!«, sagte Hermine und klang erschrocken. »Und du auch, Harry!«

»Wann, in Zaubereigeschichte? Du weißt ganz genau, dass ich nie zugehört hab …«

»Nein, nein, nicht in Zaubereigeschichte – Malfoy hat Borgin mit ihm gedroht!«, sagte Hermine. »Damals in der Nokturngasse, weißt du nicht mehr? Er meinte zu Borgin, dass Greyback ein alter Freund der Familie sei und dass er kontrollieren würde, wie Borgin vorankommt!«

Harry starrte sie mit offenem Mund an. »Das hab ich ganz vergessen! Aber das beweist, dass Malfoy ein Todesser ist, wie könnte er sonst Verbindung zu Greyback haben und ihm sagen, was er tun soll?«

»Es ist ziemlich verdächtig«, hauchte Hermine. »Außer …«

»Ach, nun hör schon auf«, sagte Harry wütend, »das kannst du jetzt nicht auch wieder hindrehen!«

»Also … es ist jedenfalls möglich, dass es eine leere Drohung war.«

»Du bist wirklich unglaublich«, sagte Harry kopfschüttelnd. »Wir werden sehen, wer Recht hat … du wirst deine Worte noch bereuen, Hermine, genau wie das Ministerium. Ach ja, und einen Streit mit Rufus Scrimgeour hatte ich auch noch …«

Den restlichen Abend verbrachten sie in aller Freundschaft und zogen über den Zaubereiminister her, denn Hermine dachte genau wie Ron, dass es eine gewaltige Frechheit des Ministeriums war, nach allem, was man Harry im Jahr zuvor angetan hatte, jetzt Hilfe von ihm zu verlangen.

Der Unterricht begann am nächsten Morgen mit einer angenehmen Überraschung für die Sechstklässler: Ein großes Schild war über Nacht an die schwarzen Bretter der Gemeinschaftsräume geheftet worden.

APPARIERKURS

Wenn Sie siebzehn Jahre alt sind oder bis einschließlich 31. August siebzehn werden, können Sie sich für einen zwölfwöchigen Kurs im Apparieren anmelden, der von einem Apparierlehrer des Zaubereiministeriums angeboten wird.

Bitte tragen Sie unten Ihren Namen ein, wenn Sie teilnehmen möchten. Kursgebühr: 12 Galleonen

Harry und Ron stellten sich zu der Schar von Leuten, die sich um den Aushang drängelten und der Reihe nach ihre Namen eintrugen. Ron holte gerade seine Feder heraus, um nach Hermine zu unterschreiben, als Lavender sich hinter ihm heranschlich, ihm die Hände über die Augen legte und trillerte: »Wer bin ich, Won-Won?« Harry drehte sich um und sah Hermine davonstolzieren; er rannte ihr nach, da er keine Lust hatte, bei Ron und Lavender zu bleiben, aber zu seiner Überraschung holte Ron sie nur kurz hinter dem Porträtloch ein, mit glühend roten Ohren und verärgerter Miene. Ohne ein Wort zu sagen, beschleunigte Hermine ihre Schritte und ging neben Neville weiter.

»Also – Apparieren«, sagte Ron, und sein Ton ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass Harry nicht erwähnen sollte, was gerade passiert war. »Wird sicher witzig, was?«

»Keine Ahnung«, sagte Harry. »Vielleicht ist es besser, wenn man es allein macht, mir hat's nicht gefallen, als mich Dumbledore mit auf die Reise nahm.«

»Ich hab ganz vergessen, dass du es ja schon gemacht hast … Wär gut, wenn ich die Prüfung gleich beim ersten Mal bestehe«, sagte Ron mit besorgter Miene. »Wie Fred und George.«

»Aber Charlie ist durchgefallen, nicht wahr?«

»Ja, aber Charlie ist größer als ich.« Ron streckte die Arme aus, als ob er ein Gorilla wäre. »Deshalb haben Fred und George sich auch nicht ständig darüber ausgelassen … jedenfalls nicht, wenn er dabei war …«

»Und wann können wir die richtige Prüfung ablegen?«

»Sobald wir siebzehn sind. Das werd ich ja schon im März!«

»Ja, aber hier darfst du dann nicht apparieren, nicht im Schloss …«

»Darum geht's doch nicht, oder? Jeder weiß dann, dass ich apparieren könnte, wenn ich wollte.«

Ron war nicht der Einzige, der bei der Aussicht aufs Apparieren ins Schwärmen geriet. Den ganzen Tag lang wurde viel über den bevorstehenden Kurs gesprochen; dass man willentlich verschwinden und wieder auftauchen konnte, galt als ganz große Sache.

»Wie cool das sein wird, wenn wir einfach…«, Seamus schnippte mit den Fingern, was Verschwinden bedeuten sollte. »Mein Cousin Fergus macht es bloß, um mich zu ärgern, wartet nur ab, bis ich's ihm heimzahlen kann … der wird keine ruhige Minute mehr haben …«

Während er in solch glückseligen Träumen schwelgte, schlackerte er ein wenig zu enthusiastisch mit seinem Zauberstab und erzeugte nicht die Fontäne mit klarem Wasser, um die es an diesem Tag im Zauberkunstunterricht ging, sondern verspritzte einen starken, schlauchförmigen Strahl, der von der Decke abprallte und Professor Flitwick flach auf die Nase warf.

»Harry ist schon mal appariert«, verkündete Ron dem etwas verschämten Seamus, nachdem Professor Flitwick sich mit einem Schwenken seines Zauberstabs getrocknet und Seamus zum Sätzeschreiben verdonnert hatte (»Ich bin ein Zauberer, kein Pavian, der einen Stock schwingt«). »Dum- äh – jemand hat ihn mitgenommen. Seit-an-Seit-Apparieren, du weißt schon.«

»Woa!«, flüsterte Seamus, und er, Dean und Neville beugten die Köpfe ein wenig näher her, um zu hören, wie sich das Apparieren anfühlte. Den restlichen Tag über belagerten die anderen Sechstklässler Harry und baten ihn zu erzählen, wie es ihm beim Apparieren ergangen war. Als er ihnen schilderte, wie unangenehm es war, wirkten sie durch die Bank eher beeindruckt als abgeschreckt, und als er am Abend um zehn vor acht immer noch dabei war, detaillierte Fragen zu beantworten, musste er notgedrungen lügen und behaupten, er müsse ein Buch in die Bibliothek zurückbringen, damit er noch rechtzeitig zu seiner Stunde bei Dumbledore von ihnen loskam.

Die Lampen in Dumbledores Büro brannten, die Porträts ehemaliger Schulleiter schnarchten friedlich in ihren Rahmen und das Denkarium stand wieder auf dem Schreibtisch bereit. Dumbledores Hände ruhten zu beiden Seiten der Schale, die rechte war nach wie vor schwarz und verbrannt. Offenbar war sie nicht im Geringsten verheilt, und Harry überlegte vielleicht zum hundertsten Mal, was eine so hartnäckige Verletzung verursacht haben könnte, aber er fragte nicht; Dumbledore hatte gesagt, er würde es irgendwann erfahren, und er wollte jetzt sowieso über ein anderes Thema sprechen. Doch bevor Harry etwas über Snape und Malfoy sagen konnte, ergriff Dumbledore das Wort.

»Wie ich höre, hast du an Weihnachten den Zaubereiminister getroffen?«

»Ja«, sagte Harry. »Er ist nicht sehr zufrieden mit mir.«

»Nein«, seufzte Dumbledore. »Er ist auch mit mir nicht sehr zufrieden. Wir müssen versuchen, unseren Qualen nicht zu erliegen, Harry, sondern immer weiter kämpfen.«

Harry grinste.

»Er wollte, dass ich der Zauberergemeinschaft sage, das Ministerium würde hervorragende Arbeit leisten.«

Dumbledore lächelte.

»Das war ursprünglich Fudges Idee, musst du wissen. Als er während seiner letzten Tage im Amt verzweifelt versuchte, sich an seinen Stuhl zu klammern, wollte er ein Treffen mit dir, in der Hoffnung, dass du ihn unterstützen würdest – «

»Nach allem, was Fudge letztes Jahr getan hat?«, sagte Harry wütend. »Nach Umbridge?«

»Ich habe Cornelius erklärt, dass das aussichtslos sei, aber die Idee hat ihn überlebt, als er den Posten räumte. Nur wenige Stunden nach Scrimgeours Ernennung gab es ein Treffen zwischen uns, und er verlangte, dass ich eine Zusammenkunft mit dir arrangiere – «

»Also deshalb haben Sie sich gestritten!«, stieß Harry hervor. »Es stand im Tagespropheten.«

»Der Prophet muss gelegentlich die Wahrheit berichten«, sagte Dumbledore, »auch wenn es nur versehentlich ist. Ja, deshalb hatten wir Streit. Nun, mir scheint, Rufus hat endlich einen Weg gefunden, dich abzupassen.«

»Er hat mir vorgeworfen, ›durch und durch Dumbledores Mann‹ zu sein.«

»Wie unverschämt von ihm.«

»Ich hab ihm gesagt, dass es stimmt.«

Dumbledore öffnete den Mund, um zu sprechen, und schloss ihn dann wieder. Hinter Harry stieß Fawkes der Phönix einen leisen, sanften, wohlklingenden Schrei aus. Harry wurde äußerst verlegen, als er plötzlich bemerkte, dass Dumbledores hellblaue Augen ziemlich feucht aussahen, und er starrte hastig auf seine eigenen Knie. Als Dumbledore sprach, war seine Stimme jedoch ganz fest.

»Ich bin sehr gerührt, Harry.«

»Scrimgeour wollte wissen, wo Sie hingehen, wenn Sie nicht in Hogwarts sind«, sagte Harry und blickte nach wie vor unverwandt auf seine Knie.

»Ja, in dieser Sache ist er sehr neugierig«, erwiderte Dumbledore und klang jetzt vergnügt, so dass Harry es für ungefährlich hielt, wieder hochzusehen. »Er hat sogar versucht, mich beschatten zu lassen. Wirklich amüsant. Er hat Dawlish auf mich angesetzt. Das war unschön. Ich war schon einmal gezwungen, Dawlish mit einem Fluch zu belegen; ich habe es mit dem größten Bedauern noch einmal getan.«

»Also wissen die immer noch nicht, wo Sie hingehen?«, fragte Harry in der Hoffnung, mehr über dieses spannende Thema zu erfahren, aber Dumbledore lächelte nur über den Rand seiner Halbmondbrille hinweg.

»Nein, das wissen sie nicht, und es ist auch noch nicht ganz an der Zeit, dass du es erfährst. Nun, ich schlage vor, wir fahren rasch fort, außer es gibt noch irgendetwas –?«

»Ja, tatsächlich, Sir«, sagte Harry. »Es geht um Malfoy und Snape.«

»Professor Snape, Harry.«

»Ja, Sir. Ich habe während Professor Slughorns Party zufällig ihre Unterhaltung mitbekommen … na ja, eigentlich bin ich ihnen gefolgt …«

Dumbledore hörte sich Harrys Geschichte mit ausdruckslosem Gesicht an. Als Harry geendet hatte, schwieg er eine Weile, dann sagte er: »Danke, dass du mir das erzählt hast, Harry, aber ich denke, es ist besser, du schlägst es dir aus dem Kopf. Ich halte es nicht für besonders wichtig.«

»Nicht für besonders wichtig?«, wiederholte Harry ungläubig. »Professor, haben Sie verstanden –?«

»Ja, Harry, da ich mit außergewöhnlicher Intelligenz gesegnet bin, habe ich alles verstanden, was du gesagt hast«, erwiderte Dumbledore diesmal heftiger. »Ich denke, du solltest sogar die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass ich mehr verstanden habe als du selbst. Noch einmal, ich bin froh, dass du dich mir anvertraut hast, aber ich möchte dir wirklich versichern, dass du mir nichts erzählt hast, was mich beunruhigt.«

Harry saß stumm da und funkelte Dumbledore zornig an. Was ging hier vor? Hatte Dumbledore Snape etwa tatsächlich befohlen, herauszufinden, was Malfoy trieb, und hatte er daher alles, was Harry ihm eben erzählt hatte, bereits von Snape gehört? Oder war er in Wirklichkeit besorgt über das, was er gehört hatte, und täuschte nur das Gegenteil vor?

»Nun, Sir«, sagte Harry mit, wie er hoffte, höflicher und ruhiger Stimme, »Sie vertrauen also eindeutig immer noch –?«

»Ich war weitherzig genug, diese Frage schon einmal zu beantworten«, sagte Dumbledore, doch er klang nun nicht mehr sehr weitherzig. »Meine Antwort hat sich nicht geändert.«

»Das würde ich doch auch meinen«, sagte eine höhnische Stimme; Phineas Nigellus tat offensichtlich nur so, als würde er schlafen. Dumbledore beachtete ihn nicht.

»Und nun, Harry, muss ich darauf bestehen, dass wir weitermachen. Ich habe heute Abend wichtigere Dinge mit dir zu besprechen.«

Harry saß da und war kurz davor, zu rebellieren. Was wäre, wenn er einfach nicht zuließ, dass sie das Thema wechselten, wenn er stattdessen darauf beharrte, die Beweise gegen Malfoy zu diskutieren? Als ob Dumbledore seine Gedanken gelesen hätte, schüttelte er den Kopf.

»Ach, Harry, wie häufig kommt das vor, selbst unter den besten Freunden! Jeder von uns glaubt, was er zu sagen hat, sei viel wichtiger als alles, was der andere beisteuern könnte!«

»Ich denke nicht, dass das, was Sie zu sagen haben, unwichtig ist, Sir«, sagte Harry steif.

»Nun, da hast du vollkommen Recht, denn das ist es nicht«, sagte Dumbledore munter. »Ich will dir heute Abend zwei weitere Erinnerungen zeigen, sie waren beide nur unter größten Schwierigkeiten zu bekommen, und ich glaube, die zweite davon ist die wichtigste, die ich gesammelt habe.«

Harry sagte nichts dazu; er war immer noch wütend darüber, wie Dumbledore seine vertraulichen Mitteilungen aufgenommen hatte, sah aber nicht, was es bringen würde, wenn er weiter argumentierte.

»Also«, sagte Dumbledore mit eindringlicher Stimme, »wir sind heute Abend hier zusammen, um mit der Geschichte von Tom Riddle fortzufahren, den wir in der letzten Stunde zu Beginn seiner Jahre in Hogwarts verlassen haben. Du wirst dich erinnern, wie aufgeregt er war, als er hörte, dass er ein Zauberer sei, dass er mein Angebot ausschlug, ihn auf einer Reise in die Winkelgasse zu begleiten, und dass ich ihn wiederum vor weiteren Diebeszügen in seiner künftigen Schule warnte.

Nun, mit dem neuen Schuljahr kam also auch Tom Riddle nach Hogwarts, ein ruhiger Junge in einem gebraucht gekauften Umhang, der sich in die Reihe der anderen Erstklässler stellte, um einem Haus zugeteilt zu werden. Kaum hatte der Sprechende Hut seinen Kopf berührt, teilte er ihn dem Haus Slytherin zu«, fuhr Dumbledore fort und winkte mit seiner geschwärzten Hand zu dem Regal über ihm, wo der Sprechende Hut lag, uralt und reglos. »Wie schnell Riddle erfuhr, dass der berühmte Gründer des Hauses mit Schlangen reden konnte, weiß ich nicht – vielleicht war es noch am selben Abend. Dieses Wissen wird ihn sicher erregt und seinen Eigendünkel noch verstärkt haben.

Falls er jedoch seine Mitschüler in Slytherin verängstigt oder beeindruckt haben sollte, indem er ihnen im Gemeinschaftsraum Kostproben von Parsel vorführte, so ist jedenfalls nicht der geringste Hinweis darauf an die Lehrerschaft gelangt. Nach außen hin zeigte er keinerlei Arroganz oder Aggression. Als ungewöhnlich begabte und sehr gut aussehende Waise zog er natürlich, kaum dass er angekommen war, die Aufmerksamkeit und die Zuneigung des Kollegiums auf sich. Er wirkte höflich, ruhig und wissensdurstig. Fast alle waren sehr angenehm von ihm beeindruckt.«

»Haben Sie ihnen nicht erzählt, Sir, wie er war, als Sie ihn im Waisenhaus trafen?«, fragte Harry.

»Nein, das habe ich nicht. Denn obwohl er keine Spur von Reue gezeigt hatte, war es doch möglich, dass es ihm Leid tat, wie er sich zuvor verhalten hatte, und dass er entschlossen war, einen neuen Anfang zu machen. Ich wollte ihm diese Chance geben.«

Dumbledore hielt inne und sah Harry fragend an, der den Mund schon geöffnet hatte, um etwas zu sagen. Hier zeigte sich wieder einmal Dumbledores Neigung, Menschen zu vertrauen, auch wenn es absolut offenkundig war, dass sie es nicht verdienten! Doch dann fiel Harry etwas ein …

»Aber Sie haben ihm nicht wirklich vertraut, Sir, oder? Er hat es mir erzählt … der Riddle, der aus dem Tagebuch kam, sagte: ›Dumbledore schien mich nie so zu mögen wie die anderen Lehrer.‹«

»Sagen wir mal, ich nahm es nicht als selbstverständlich hin, dass er vertrauenswürdig war«, erwiderte Dumbledore. »Ich hatte wie gesagt beschlossen, ihn genau im Auge zu behalten, und das tat ich auch. Ich kann nicht behaupten, dass meine Beobachtungen in der ersten Zeit sonderlich fruchtbar gewesen wären. Er war mir gegenüber sehr zurückhaltend; ich bin sicher, er glaubte, er hätte mir vor lauter Freude, entdeckt zu haben, wer er wirklich war, ein wenig zu viel erzählt. Er war sorgsam darauf bedacht, nie wieder so viel zu verraten, aber was ihm in seiner Aufregung herausgerutscht war, konnte er nicht wieder zurücknehmen, und auch das nicht, was Mrs Cole mir anvertraut hatte. Er war aber klug genug und versuchte nie mich zu umgarnen, wie er so viele meiner Kollegen umgarnt hat.

Im Lauf seiner Schuljahre scharte er eine Gruppe treuer Freunde um sich; ich nenne sie so, weil ich keinen besseren Ausdruck weiß, auch wenn Riddle, wie bereits gesagt, zweifellos keine Zuneigung für irgendeinen von ihnen empfand. Diese Gruppe strahlte im Schloss eine Art düsteren Glanz aus. Es war eine bunt zusammengewürfelte Truppe; eine Mischung aus Schwachen, die Schutz suchten, Ehrgeizigen, die etwas vom Ruhm abhaben wollten, und aus Schlägertypen, die sich zu einem Führer hingezogen fühlten, der ihnen noch subtilere Formen von Grausamkeit zeigen konnte. Mit anderen Worten, sie waren die Vorläufer der Todesser, und einige von ihnen wurden tatsächlich die ersten Todesser, nachdem sie Hogwarts verlassen hatten.

Unter Riddles strenger Herrschaft wurden sie nie auf frischer Tat ertappt, während ihre sieben Jahre in Hogwarts im Zeichen einiger übler Vorkommnisse standen, mit denen sie nie überzeugend in Verbindung gebracht werden konnten. Der gefährlichste Zwischenfall war natürlich die Öffnung der Kammer des Schreckens, die zum Tod eines Mädchens führte. Wie du weißt, wurde Hagrid zu Unrecht dieses Verbrechens beschuldigt.

Ich konnte in Hogwarts nicht viele Erinnerungen an Riddle finden«, sagte Dumbledore und legte seine verschrumpelte Hand auf das Denkarium. »Nur wenige, die ihn damals kannten, sind bereit, über ihn zu reden; sie haben zu viel Angst. Was ich weiß, habe ich herausgefunden, als er Hogwarts verlassen hatte, nach vielen sorgfältigen Bemühungen, nachdem ich die wenigen Leute ausfindig gemacht hatte, die man durch eine List zum Reden bringen konnte, nachdem ich alte Aufzeichnungen durchsucht und Muggel- sowie Zaubererzeugen befragt hatte.

Die Leute, die ich überreden konnte zu sprechen, haben mir erzählt, dass Riddle von der Frage nach seiner Herkunft besessen war. Das ist verständlich; er war in einem Waisenhaus aufgewachsen und wollte natürlich wissen, wie er dorthin gekommen war. Es scheint, als hätte er vergeblich auf den Schilden im Pokalzimmer nach einer Spur von Tom Riddle senior gesucht, und auch auf den Listen der Vertrauensschüler in den alten Schulakten und selbst in den Büchern über Zaubereigeschichte. Schließlich musste er sich wohl oder übel eingestehen, dass sein Vater nie den Fuß über die Schwelle von Hogwarts gesetzt hatte. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt legte er den Namen für immer ab, nahm die Identität von Lord Voldemort an und begann mit seinen Nachforschungen über die zuvor verhasste Familie seiner Mutter – jener Frau, von der er geglaubt hatte, wie du dich sicher erinnerst, dass sie keine Hexe sein konnte, weil sie die schändliche menschliche Schwäche gezeigt hatte und gestorben war.

Sein einziger Anhaltspunkt war nur der Name ›Vorlost‹, der, wie er von den Betreuern im Waisenhaus wusste, der Name des Vaters seiner Mutter gewesen war. Nach gewissenhafter Suche in alten Chroniken von Zaubererfamilien entdeckte er schließlich, dass es noch lebende Nachfahren der Slytherin-Linie gab. In dem Sommer, als er sechzehn war, verließ er das Waisenhaus, in das er Jahr für Jahr zurückgekehrt war, und machte sich auf die Suche nach seinen Verwandten, den Gaunts. Und nun, Harry, steh bitte auf …«

Dumbledore erhob sich, und Harry sah, dass er wieder eine kleine Kristallflasche in der Hand hielt, die mit wirbelnder, perlweißer Erinnerung gefüllt war.

»Ich hatte großes Glück, dass ich mir dies hier beschaffen konnte«, sagte er, als er die schimmernde Masse in das Denkarium schüttete. »Was du verstehen wirst, wenn wir es erlebt haben. Wollen wir?«

Harry trat an das steinerne Bassin und neigte sich gehorsam, bis sein Gesicht durch die Oberfläche der Erinnerung drang; er spürte das vertraute Gefühl, durch ein Nichts zu fallen, und landete dann in fast völliger Dunkelheit auf einem schmutzigen Steinboden.

Er brauchte einige Sekunden, um den Ort zu erkennen, dann war auch Dumbledore neben ihm gelandet. Das Haus der Gaunts war nun so unbeschreiblich schmutzig, wie Harry es noch nirgendwo gesehen hatte. Die Decke war dick mit Spinnweben überzogen, der Boden voller Ruß; schimmliges und verfaultes Essen lag auf dem Tisch inmitten einer Ansammlung verkrusteter Töpfe. Licht kam nur von einer einzelnen tropfenden Kerze zu Füßen eines Mannes, dessen Haare und Bart so gewuchert waren, dass Harry weder seine Augen noch seinen Mund sehen konnte. Er saß zusammengesunken in einem Sessel am Feuer, und Harry fragte sich einen Moment lang, ob er tot sei. Doch dann war ein lautes Klopfen an der Tür zu hören und der Mann fuhr ruckartig aus dem Schlaf, hob mit der rechten Hand einen Zauberstab und mit der linken ein kurzes Messer.

Die Tür ging knarrend auf. Dort auf der Schwelle stand, mit einer altmodischen Lampe in der Hand, ein Junge, den Harry sofort erkannte: groß, blass, dunkelhaarig und hübsch – Voldemort als Teenager.

Voldemorts Augen wanderten langsam durch die Bruchbude und fanden schließlich den Mann im Sessel. Einige Sekunden lang sahen sie einander an, dann richtete sich der Mann taumelnd auf, und die vielen leeren Flaschen zu seinen Füßen polterten und klirrten über den Boden.

»DU!«, brüllte er. »DU!«

Und er stürzte mit erhobenem Zauberstab und Messer betrunken auf Riddle zu.

»Halt.«

Riddle sprach Parsel. Der Mann schleuderte gegen den Tisch, und schimmlige Töpfe krachten zu Boden. Er starrte Riddle an. Ein langes Schweigen trat ein, in dem beide einander fixierten. Der Mann durchbrach die Stille.

»Du sprichst es?«

»Ja, ich spreche es«, sagte Riddle. Er trat nun ein paar Schritte in den Raum und ließ die Tür hinter sich zufallen. Harry konnte nicht anders, als Voldemort widerwillig für seine vollkommene Furchtlosigkeit zu bewundern. In dessen Gesicht war nur Abscheu zu lesen, und vielleicht Enttäuschung.

»Wo ist Vorlost?«, fragte er.

»Tot«, sagte der andere. »Schon vor Jahren gestorben, nicht?«

Riddle runzelte die Stirn.

»Und wer bist du?«

»Ich bin Morfin, oder?«

»Vorlosts Sohn?«

»'türlich bin ich das …«

Morfin strich sich das Haar aus dem schmutzigen Gesicht, um Riddle besser sehen zu können, und Harry bemerkte, dass er Vorlosts Ring mit dem schwarzen Stein an der rechten Hand trug.

»Ich dachte, du bist dieser Muggel«, flüsterte Morfin. »Du siehst mächtig aus wie dieser Muggel.«

»Welcher Muggel?«, sagte Riddle scharf.

»Dieser Muggel, in den meine Schwester vernarrt war, der da in dem großen Haus gegenüber wohnt«, sagte Morfin und spuckte unvermutet zwischen ihnen auf den Boden. »Du siehst genauso aus wie der Riddle. Aber der is' jetzt älter, was? Der is' älter wie du, wenn ich 's mir recht überleg …«

Morfin schien leicht verwirrt und schwankte ein wenig, dabei klammerte er sich immer noch Halt suchend an den Tischrand.

»Er is' zurückgekommen, weißt du«, fügte er stumpfsinnig hinzu.

Voldemort starrte Morfin an, als würde er abschätzen, wozu er fähig war. Jetzt ging er etwas näher zu ihm hin und sagte: »Riddle ist zurückgekommen?«

»Aah, hat sie sitzen lassen, und sie hat's nicht anders verdient, wenn sie Dreck heiratet!«, sagte Morfin und spuckte erneut auf den Boden. »Hat uns bestohlen, eh sie durchgebrannt ist, stell dir vor! Wo ist das Medaillon, he, wo ist das Medaillon von Slytherin?«

Voldemort antwortete nicht. Morfin geriet allmählich wieder in Rage; er schwang sein Messer und schrie: »Hat uns entehrt, jawohl, diese kleine Schlampe! Und wer bist du, dass du einfach herkommst und alles wissen willst? 's ist vorbei, sag ich … 's ist vorbei …«

Er wandte den Blick ab, kam leicht ins Taumeln, und Voldemort ging weiter auf ihn zu. In diesem Augenblick brach eine unnatürliche Dunkelheit herein, löschte Voldemorts Lampe und Morfins Kerze, löschte alles aus …

Dumbledores Finger schlossen sich fest um Harrys Arm, und sie flogen wieder zurück in die Gegenwart. Das weiche goldene Licht in Dumbledores Büro blendete Harrys Augen nach jener undurchdringlichen Finsternis.

»Ist das alles?«, sagte Harry sofort. »Warum ist es dunkel geworden, was ist passiert?«

»Weil Morfin sich ab diesem Moment an nichts mehr erinnern konnte«, sagte Dumbledore und bedeutete Harry, wieder Platz zu nehmen. »Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag er am Boden, völlig allein. Vorlosts Ring war verschwunden.

Unterdessen rannte im Dorf Little Hangleton ein Dienstmädchen die Hauptstraße entlang und schrie, dass drei Leichen im Salon des Herrenhauses lägen: Tom Riddle senior, und seine Mutter und sein Vater.

Die Muggelbehörden waren verwirrt. Soweit ich unterrichtet bin, wissen sie bis zum heutigen Tag nicht, wie die Riddles gestorben sind, denn der Avada-Kedavra-Fluch hinterlässt normalerweise keinerlei Anzeichen einer Verletzung … die Ausnahme sitzt hier vor mir«, fügte Dumbledore mit einem Kopfnicken zu Harrys Narbe hinzu. »Das Ministerium hingegen wusste sofort, dass dies ein Mord durch einen Zauberer war. Man wusste auch, dass auf der anderen Seite des Tals gegenüber dem Haus der Riddles ein vorbestrafter Muggelhasser lebte, ein Muggelhasser, der wegen eines Angriffs auf einen der ermordeten Menschen schon einmal im Gefängnis gesessen hatte.

Also nahm sich das Ministerium Morfin vor. Sie brauchten ihn gar nicht zu verhören und auch nicht Veritaserum oder Legilimentik einzusetzen. Er gestand den Mord auf der Stelle und lieferte Einzelheiten, die nur der Mörder kennen konnte. Er sei stolz, behauptete er, die Muggel getötet zu haben, er habe all die Jahre auf seine Gelegenheit gewartet. Er übergab seinen Zauberstab, und man konnte unverzüglich nachweisen, dass er benutzt worden war, um die Riddles zu töten. Und er ließ sich widerstandslos nach Askaban abführen. Das Einzige, was ihn beunruhigte, war die Tatsache, dass der Ring seines Vaters verschwunden war. ›Er bringt mich um, weil ich ihn verloren hab‹, sagte er immer wieder zu den Leuten, die ihn verhaftet hatten. ›Er bringt mich um, weil ich seinen Ring verloren hab.‹ Und das war offenbar alles, was er jemals wieder sagte. Er verbrachte den Rest seines Lebens in Askaban und jammerte über den Verlust von Vorlosts letztem Erbstück, nun liegt er nahe beim Gefängnis neben den anderen armen Seelen begraben, die ihr Leben in seinen Mauern aushauchten.«

»Voldemort hat also Morfins Zauberstab gestohlen und ihn benutzt?«, sagte Harry und richtete sich auf.

»Genau«, sagte Dumbledore. »Wir haben keine Erinnerungen, die uns das zeigen, aber ich glaube, wir wissen ziemlich sicher, was passiert ist. Voldemort belegte seinen Onkel mit einem Schockzauber, nahm dessen Zauberstab und ging dann auf die andere Seite des Tals zu dem ›großen Haus gegenüber‹. Dort ermordete er den Muggel, der seine Hexenmutter verlassen hatte, und seine Muggelgroßeltern noch dazu; er löschte damit die Letzten der unwürdigen Riddle-Familie aus und rächte sich gleichzeitig an seinem Vater, der ihn nie gewollt hatte. Dann kehrte er in die Bruchbude der Gaunts zurück, führte den komplizierten Zauber aus, der dem Gedächtnis seines Onkels eine falsche Erinnerung einpflanzte, legte Morfins Zauberstab neben seinen bewusstlosen Besitzer, steckte den uralten Ring ein, den Morfin trug, und verschwand.«

»Und Morfin ist nie bewusst geworden, dass er es nicht getan hat?«

»Nie«, sagte Dumbledore. »Wie gesagt, er hat ein umfassendes und prahlerisches Geständnis abgelegt.«

»Aber diese echte Erinnerung steckte die ganze Zeit in ihm!«

»Ja, aber es war sehr viel gekonnte Legilimentik nötig, um sie ihm zu entlocken«, sagte Dumbledore, »und warum sollte irgendjemand sich weiter in Morfins Geist vertiefen, wenn er das Verbrechen doch schon gestanden hatte? Ich konnte mir jedoch in den letzten Wochen seines Lebens eine Besuchserlaubnis für Morfin beschaffen, denn inzwischen versuchte ich beharrlich, so viel wie möglich über Voldemorts Vergangenheit herauszufinden. Es war schwierig für mich, diese Erinnerung auszugraben. Als ich sah, was sie enthielt, versuchte ich sie dafür zu verwenden, Morfins Freilassung aus Askaban zu erreichen. Doch noch ehe das Ministerium zu einer Entscheidung gelangte, war Morfin tot.«

»Aber wieso hat das Ministerium nicht erkannt, dass Voldemort Morfin das alles angetan hatte?«, fragte Harry wütend. »Er war damals minderjährig, nicht wahr? Ich dachte, die könnten Zauberei Minderjähriger aufspüren!«

»Du hast vollkommen Recht – sie können Zauberei aufspüren, aber nicht den, der sie ausübt: Du erinnerst dich sicher noch, dass du vom Ministerium wegen eines Schwebezaubers ermahnt wurdest, dabei war es in Wirklichkeit – «

»Dobby«, knurrte Harry; diese Ungerechtigkeit fuchste ihn immer noch. »Wenn man also minderjährig ist und im Haus einer erwachsenen Hexe oder eines Zauberers zaubert, dann merkt es das Ministerium nicht?«

»Sie sind sicher nicht in der Lage festzustellen, wer den Zauber ausgeführt hat«, sagte Dumbledore und lächelte ein wenig angesichts von Harrys zutiefst entrüsteter Miene. »Sie verlassen sich darauf, dass Hexenmütter und Zaubererväter sich bei ihren Kindern Gehorsam verschaffen, solange sie in ihren vier Wänden leben.«

»Also, das ist doch Blödsinn«, fauchte Harry. »Sehen Sie sich nur an, was hier passiert ist, sehen Sie nur, was mit Morfin passiert ist!«

»Das stimmt«, sagte Dumbledore. »Was immer Morfin auch war, er hatte es nicht verdient, auf diese Weise zu sterben, beschuldigt wegen Morden, die er nicht begangen hatte. Aber es wird spät, und ich möchte, dass du diese zweite Erinnerung siehst, bevor wir auseinander gehen …«

Dumbledore nahm ein weiteres Kristallfläschchen aus einer Innentasche und Harry verstummte sofort. Er dachte daran, dass Dumbledore gesagt hatte, dies sei die wichtigste Erinnerung, die er gesammelt habe. Harry bemerkte, dass es sich als schwierig erwies, die Erinnerung in das Denkarium zu schütten, als ob sie sich ein wenig verdickt hätte; konnten Erinnerungen auch verderben?

»Das wird nicht lange dauern«, sagte Dumbledore, als er das Fläschchen endlich geleert hatte. »Wir werden im Handumdrehen wieder zurück sein. Alsdann, noch einmal ins Denkarium …«

Und Harry fiel erneut durch die silbrige Oberfläche und landete diesmal direkt vor einem Mann, den er sofort erkannte.

Es war ein viel jüngerer Horace Slughorn. Harry hatte sich so an dessen Glatze gewöhnt, dass er den Anblick von Slughorn mit dichtem, glänzendem, strohblondem Haar ziemlich verwirrend fand; es sah aus, als hätte er sich seinen Kopf mit Stroh decken lassen, auch wenn bereits ein glänzender, galleonengroßer kahler Fleck oben auf seinem Schädel zu erkennen war. Sein Schnurrbart war rötlich blond und nicht so gewaltig wie zu Harrys Zeit. Er war nicht ganz so rundlich wie der Slughorn, den Harry kannte, doch hatten die goldenen Knöpfe an seiner reich bestickten Weste einiges an Spannung auszuhalten. Seine kleinen Füße ruhten auf einem samtenen Polster, und er saß weit zurückgelehnt in einem bequemen Ohrensessel, hielt in der einen Hand ein Gläschen Wein und stöberte mit der anderen in einer Schachtel mit kandierter Ananas.

Harry schaute sich um, als Dumbledore neben ihm auftauchte, und sah, dass sie in Slughorns Büro standen. Ein halbes Dutzend Jungen saßen um Slughorn herum, alle auf härteren oder niedrigeren Sitzen als er und alle im mittleren Teenageralter. Harry erkannte Riddle sofort. Er hatte das hübscheste Gesicht und machte den entspanntesten Eindruck von allen Jungen. Seine rechte Hand lag lässig auf der Lehne seines Stuhls; Harry fuhr zusammen, als er sah, dass er Vorlosts goldenen Ring mit dem schwarzen Stein trug; er hatte seinen Vater bereits umgebracht.

»Sir, stimmt es, dass Professor Merrythought in den Ruhestand geht?«, fragte Riddle.

»Tom, Tom, wenn ich es wüsste, dürfte ich es Ihnen nicht sagen«, antwortete Slughorn und schlackerte missbilligend mit einem zuckerbestäubten Finger zu Riddle hin, obwohl die Wirkung ein wenig dadurch verpuffte, dass er zwinkerte. »Ehrlich gesagt, wüsste ich gerne, woher Sie Ihre Informationen bekommen, Junge; Sie wissen doch mehr als die halbe Lehrerschaft.«

Riddle lächelte; die anderen Jungen lachten und warfen ihm bewundernde Blicke zu.

»In Anbetracht Ihrer unheimlichen Fähigkeit, Dinge in Erfahrung zu bringen, die Sie nicht wissen sollten, und Ihrer wohl bedachten Schmeicheleien wichtigen Leuten gegenüber – übrigens, vielen Dank für die Ananas, Sie liegen vollkommen richtig, die habe ich am liebsten.«

Während mehrere der Jungen kicherten, geschah etwas sehr Seltsames. Der ganze Raum war plötzlich von einem dichten weißen Nebel erfüllt, so dass Harry nichts als das Gesicht von Dumbledore sehen konnte, der neben ihm stand. Dann drang Slughorns Stimme durch den Nebel, unnatürlich laut: » Sie werden auf die schiefe Bahn geraten, Junge, denken Sie an meine Worte.«

Der Nebel lichtete sich so plötzlich, wie er gekommen war, und doch verlor keiner ein Wort darüber, noch machte irgendjemand den Eindruck, als ob soeben etwas Ungewöhnliches geschehen wäre. Harry sah sich verwirrt um, während eine kleine goldene Uhr auf Slughorns Schreibtisch elf schlug.

»Du meine Güte, ist es schon so spät?«, sagte Slughorn. »Dann geht mal besser, Jungs, oder wir kriegen alle Ärger. Lestrange, ich bekomme Ihren Aufsatz morgen, oder es gibt Nachsitzen. Dasselbe gilt für Sie, Avery.«

Slughorn stemmte sich aus dem Sessel und trug sein leeres Glas hinüber zu seinem Schreibtisch, während die Jungen der Reihe nach hinausgingen. Riddle jedoch blieb zurück. Harry war klar, dass er absichtlich getrödelt hatte und als Letzter mit Slughorn im Zimmer bleiben wollte.

»Nun sputen Sie sich aber, Tom«, sagte Slughorn, als er sich umwandte und bemerkte, dass er immer noch da war. »Sie wollen doch nicht während der Nachtruhe draußen erwischt werden, Sie als Vertrauensschüler …«

»Sir, ich wollte Sie etwas fragen.«

»Dann nur zu, mein Junge, nur zu …«

»Sir, könnten Sie mir sagen, was Sie über … über Horkruxe wissen?«

Und da passierte es wieder: Der dichte Nebel erfüllte den Raum, so dass Harry Slughorn und Riddle nicht mehr sehen konnte; nur noch Dumbledore neben ihm, der heiter lächelte. Dann dröhnte erneut Slughorns Stimme, genau wie zuvor.

»Ich weiß nichts über Horkruxe, und wenn, würde ich es Ihnen nicht sagen! Und nun sofort raus hier, und wehe, Sie erwähnen sie noch einmal!«

»Nun, das war's«, sagte Dumbledore gelassen neben Harry. »Zeit zu gehen.«

Und Harry verlor den Boden unter den Füßen und fiel Sekunden später wieder auf den Teppich vor Dumbledores Schreibtisch.

»Das war alles?«, fragte Harry erstaunt.

Dumbledore hatte gesagt, dies sei die wichtigste Erinnerung von allen, doch Harry hatte keine Ahnung, was daran so bedeutsam sein sollte. Zugegeben, der Nebel und die Tatsache, dass ihn offenbar niemand bemerkt hatte, waren sonderbar, aber ansonsten schien nichts passiert zu sein, außer dass Riddle eine Frage gestellt und keine Antwort bekommen hatte.

»Wie du vielleicht bemerkt hast«, sagte Dumbledore und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, »hat sich an dieser Erinnerung jemand zu schaffen gemacht.«

»Zu schaffen gemacht?«, wiederholte Harry und nahm ebenfalls wieder Platz.

»Ganz bestimmt«, sagte Dumbledore, »Professor Slughorn hat an seinen eigenen Erinnerungen herumhantiert.«

»Aber warum sollte er das tun?«

»Ich denke, weil er sich für das schämt, woran er sich erinnert«, sagte Dumbledore. »Er hat versucht, die Erinnerung zu überarbeiten, um sich selbst in einem besseren Licht darzustellen, er hat die Teile unleserlich gemacht, die ich nicht sehen soll. Wie du sicher bemerkt hast, ist es sehr plump gemacht, und das ist nur von Vorteil, denn man sieht, dass unter den Änderungen immer noch die wahre Erinnerung liegt.

Und aus diesem Grund gebe ich dir auch zum ersten Mal etwas auf, Harry. Deine Aufgabe besteht darin, Professor Slughorn zu überreden, die echte Erinnerung preiszugeben, die zweifellos unsere entscheidende Information sein wird.«

Harry starrte ihn an.

»Aber, Sir«, sagte er und seine Stimme war so respektvoll wie möglich, »Sie brauchen mich doch nicht – Sie könnten Legilimentik einsetzen … oder Veritaserum …«

»Professor Slughorn ist ein äußerst fähiger Zauberer, er wird sich gegen beides gewappnet haben«, sagte Dumbledore. »Er ist in Okklumentik erheblich besser als der arme Morfin Gaunt, und es würde mich wundern, wenn er kein Gegenmittel für Veritaserum bei sich trüge, seit ich ihn zwang, mir diese verzerrte Erinnerung zu geben.

Nein, ich denke, der Versuch, Professor Slughorn die Wahrheit mit Gewalt abzuringen, wäre töricht und könnte mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen; ich will nicht, dass er Hogwarts verlässt. Doch hat er seine Schwächen wie wir anderen auch, und ich glaube, du bist derjenige, der in der Lage sein könnte, seine Abwehr zu durchdringen. Es ist äußerst wichtig, dass wir uns die wahre Erinnerung beschaffen, Harry … wie wichtig, werden wir erst wissen, wenn wir sie tatsächlich gesehen haben. Also, viel Glück … und gute Nacht.«

Harry stand schnell auf, ein wenig überrascht, so plötzlich verabschiedet zu werden.

»Gute Nacht, Sir.«

Als er die Bürotür hinter sich schloss, hörte er deutlich, wie Phineas Nigellus sagte: »Ich kann mir nicht vorstellen, warum der Junge in der Lage sein sollte, es besser zu machen als Sie, Dumbledore.«

»Das hätte ich auch nicht von Ihnen erwartet«, erwiderte Dumbledore, und Fawkes stieß wieder einen leisen, wohlklingenden Schrei aus.