123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

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Geburtstagsüberraschungen

Am nächsten Tag erzählte Harry Ron und Hermine von der Aufgabe, die Dumbledore ihm gestellt hatte, allerdings jedem einzeln, da Hermine sich immer noch weigerte, länger in Rons Gegenwart zu bleiben, als man dafür brauchte, ihm einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.

Ron meinte, Harry werde wahrscheinlich nicht die geringsten Probleme mit Slughorn haben.

»Er liebt dich«, sagte er beim Frühstück und wedelte lässig mit einer Gabel voll Spiegelei herum. »Der wird dir doch nichts abschlagen, oder? Nicht seinem kleinen Zaubertrankprinzen. Bleib einfach nach dem Unterricht heute Nachmittag noch da und frag ihn.«

Hermine jedoch sah eher schwarz.

»Wenn Dumbledore es nicht aus ihm rausgekriegt hat, dann muss er fest entschlossen sein, das zu verbergen, was wirklich passiert ist«, sagte sie mit leiser Stimme, als sie in der Pause auf dem menschenleeren, schneebedeckten Hof standen. »Horkruxe … Horkruxe… Ich hab noch nicht mal von denen gehört …«

»Ehrlich nicht?«

Harry war enttäuscht; er hatte gehofft, dass Hermine ihm vielleicht einen Hinweis darauf geben könnte, was Horkruxe waren.

»Das muss richtig fortgeschrittene schwarze Magie sein, warum hätte Voldemort sonst etwas darüber erfahren wollen? Ich schätze, es wird schwierig sein, die Information zu bekommen, Harry, du musst dir sehr gut überlegen, wie du Slughorn darauf ansprichst, denk dir eine Strategie aus …«

»Ron meint, dass ich einfach heute Nachmittag nach der Zaubertrankstunde noch dableiben …«

»Oh, schön, wenn Won-Won das meint, dann machst du es am besten«, sagte sie, sofort aufbrausend. »Wann hat Won-Won schließlich mit seinem Urteil jemals falsch gelegen?«

»Hermine, kannst du nicht – «

»Nein!«, erwiderte sie zornig, stürmte davon und ließ Harry allein im knöcheltiefen Schnee zurück.

Der Zaubertrankunterricht war in diesen Tagen recht unangenehm, da Harry, Ron und Hermine sich einen Tisch teilen mussten. Heute schob Hermine ihren Kessel auf die andere Tischseite, so dass sie neben Ernie saß, und nahm weder Notiz von Harry noch von Ron.

»Was hast du ihr denn getan?«, murmelte Ron Harry zu und blickte auf Hermines überheblich wirkendes Profil.

Doch ehe Harry antworten konnte, befahl Slughorn von vorne Ruhe.

»Setzen, setzen, bitte! Nun aber Beeilung, wir haben heute Nachmittag eine Menge Arbeit zu bewältigen! Golpalotts Drittes Gesetz … wer kann es mir sagen? Unsere Miss Granger kann es, natürlich!«

Hermine rasselte in Höchstgeschwindigkeit herunter: »Golpalotts-Drittes-Gesetz-besagt-dass-das-Gegengift-für-eine-Giftmischung-mehr-als-die-Summe-der-Gegengifte-für-jeden-einzelnen-Bestandteil-ist.«

»Ganz genau!«, strahlte Slughorn. »Zehn Punkte für Gryffindor! Nun, wenn wir davon ausgehen, dass Golpalotts Drittes Gesetz wahr ist …«

Harry würde sich wohl auf Slughorns Wort verlassen müssen, dass Golpalotts Drittes Gesetz zutraf, denn er hatte rein gar nichts davon verstanden. Auch sonst schien niemand außer Hermine dem zu folgen, was Slughorn als Nächstes sagte.

»… und das bedeutet natürlich, dass, einmal angenommen, uns ist anhand von Scarpins Revelatiozauber die korrekte Bestimmung der Trankzutaten gelungen, unser Hauptziel nicht das verhältnismäßig einfache sein kann, Gegenmittel für jede dieser Zutaten an und für sich auszuwählen, sondern jenen zusätzlichen Bestandteil zu finden, der vermittels eines beinahe alchemistischen Prozesses diese unterschiedlichen Elemente verwandelt – «

Ron saß mit halb offenem Mund neben Harry und kritzelte geistesabwesend auf seinem neuen Exemplar von Zaubertränke für Fortgeschrittene herum. Er vergaß immer wieder, dass er sich nicht mehr darauf verlassen konnte, dass Hermine ihm aus der Patsche half, wenn er im Unterricht geschlafen hatte.

»… und daher«, schloss Slughorn, »bitte ich Sie alle, einzeln nach vorne zu kommen und sich eines dieser Fläschchen von meinem Pult zu holen. Sie sollen vor Ende der Unterrichtsstunde ein Gegenmittel für das darin enthaltene Gift entwickeln. Viel Glück, und vergessen Sie Ihre Schutzhandschuhe nicht!«

Hermine hatte ihren Platz verlassen und war schon auf halbem Weg zu Slughorns Pult, ehe der Rest der Klasse begriffen hatte, dass es an der Zeit war, sich in Bewegung zu setzen, und als Harry, Ron und Ernie wieder zum Tisch zurückkehrten, hatte sie den Inhalt ihres Fläschchens bereits in ihren Kessel gekippt und war dabei, ein Feuer darunter zu entfachen.

»Schade aber auch, dass der Prinz dir dabei nicht viel wird helfen können, Harry«, sagte sie munter, als sie sich aufrichtete. »Diesmal musst du die Grundsätze verstehen, die hier eine Rolle spielen. Keine Kurzformeln oder Schummeleien!«

Verärgert entkorkte Harry das Fläschchen mit dem grellrosa Gift, das er von Slughorns Pult geholt hatte, kippte es in seinen Kessel und zündete ein Feuer darunter an. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er als Nächstes tun sollte. Er warf Ron einen Blick zu, der jetzt dastand und ziemlich dumm dreinschaute, denn er hatte Harry alles nachgemacht.

»Bist du sicher, dass der Prinz nicht irgendwelche Tipps hat?«, raunte er Harry zu.

Harry zog sein zuverlässiges Exemplar von Zaubertränke für Fortgeschrittene hervor und schlug das Kapitel über Gegengifte auf. Da stand Golpalotts Drittes Gesetz, Wort für Wort so, wie Hermine es aufgesagt hatte, aber keine einzige aufschlussreiche Notiz in der Handschrift des Prinzen, die erklärt hätte, was es bedeutete. Offenbar hatte der Prinz, wie Hermine, keine Schwierigkeiten gehabt, es zu verstehen.

»Nichts«, sagte Harry düster.

Hermine schwenkte nun begeistert ihren Zauberstab über den Kessel. Leider konnten sie den Zauber, den sie ausführte, nicht nachmachen, weil sie inzwischen so gut in ungesagten Beschwörungen war, dass sie die Worte nicht laut aussprechen musste. Ernie Macmillan jedoch murmelte »Specialis revelio!« über seinen Kessel, was eindrucksvoll klang, und so beeilten sich Harry und Ron, ihn nachzuahmen.

Harry brauchte nur fünf Minuten, um zu erkennen, dass sein Ruf als bester Zaubertrankbrauer der Klasse gerade in die Binsen ging. Slughorn hatte bei seiner ersten Runde durch den Kerker hoffnungsvoll in seinen Kessel gelugt, schon drauf und dran, wie üblich in Jubelrufe auszubrechen, stattdessen hatte er den Kopf hastig zurückgezogen und gehustet, da ihm der Geruch von faulen Eiern entgegengeschlagen war. Hermines Gesicht hätte nicht selbstgefälliger sein können; sie hatte es nicht ausstehen können, in jeder Zaubertrankstunde übertroffen zu werden. Jetzt füllte sie die auf mysteriöse Weise getrennten Bestandteile ihres Giftes in zehn verschiedene Kristallfläschchen um. Vor allem, um sich diesen ärgerlichen Anblick zu ersparen, beugte sich Harry über das Buch des Halbblutprinzen und blätterte unnötig heftig einige Seiten um.

Und da stand es, quer über eine lange Liste von Gegengiften gekritzelt.

Einfach einen Bezoar in den Hals stopfen.

Harry starrte einen Moment auf diese Worte. Hatte er nicht vor langer Zeit schon mal von Bezoaren gehört? Hatte Snape sie nicht in ihrer allerersten Zaubertrankstunde erwähnt? »Ein Stein aus dem Magen einer Ziege, der einen vor den meisten Giften rettet.«

Es war keine Lösung für das Golpalott-Problem, und wenn Snape noch ihr Lehrer gewesen wäre, hätte Harry es nicht gewagt, aber es war der Moment für eine Verzweiflungstat. Er hastete hinüber zum Vorratsschrank und durchwühlte ihn, stieß Einhorn-Hörner und getrocknete Kräuterbüschel beiseite, bis er, ganz hinten, eine kleine Pappschachtel mit der Aufschrift »Bezoare« fand.

Er öffnete die Schachtel genau in dem Moment, als Slughorn rief: »Noch zwei Minuten Zeit für alle!« Sie enthielt ein halbes Dutzend schrumpliger brauner Gegenstände, die eher vertrockneten Nieren als echten Steinen glichen. Harry ergriff einen davon, stellte die Schachtel wieder in den Schrank und eilte zurück zu seinem Kessel.

»Die Zeit ist … UM!«, rief Slughorn fröhlich. »Nun wollen wir uns mal ansehen, wie Sie sich angestellt haben! Blaise … was haben Sie für mich?«

Slughorn schlenderte gemächlich durch den Raum und begutachtete die verschiedenen Gegengifte. Niemand war mit der Aufgabe fertig geworden, doch Hermine versuchte, ein paar weitere Zutaten in ihre Flasche zu stopfen, ehe Slughorn zu ihr kam. Ron hatte ganz aufgegeben und versuchte nur noch, die fauligen Dämpfe möglichst nicht einzuatmen, die aus seinem Kessel stiegen. Harry stand da und wartete, den Bezoar fest in seiner leicht verschwitzten Hand.

Slughorn kam als Letztes zu ihrem Tisch. Er schnupperte an Ernies Gebräu, verzog das Gesicht und ging weiter zu Ron. Über Rons Kessel hielt er es nicht lange aus, sondern wich rasch leicht würgend zurück.

»Und Sie, Harry«, sagte er. »Was haben Sie mir zu zeigen?«

Harry streckte die flache Hand mit dem Bezoar aus.

Slughorn sah den Stein ganze zehn Sekunden an. Einen Moment lang fragte sich Harry, ob er ihn anschreien würde. Dann warf Slughorn den Kopf zurück und brüllte vor Lachen.

»Sie sind mir vielleicht einer, mein Junge!«, dröhnte er, nahm den Bezoar und hielt ihn hoch, damit die Klasse ihn sehen konnte. »Oh, Sie sind wie Ihre Mutter … Nun, ich kann nicht behaupten, Sie hätten es falsch gemacht … ein Bezoar würde sicherlich als Gegengift für all diese Tränke wirken!«

Hermine, die schweißnass im Gesicht war und Ruß an der Nase hatte, schien hell erzürnt. Ihr halb fertiges Gegengift, mit zweiundfünfzig Zutaten, darunter einem Büschel von ihrem eigenen Haar, blubberte träge hinter Slughorn, der nur noch Augen für Harry hatte.

»Und du bist ganz von allein auf einen Bezoar gekommen, stimmt's, Harry?«, fragte sie zähneknirschend.

»Das ist der unabhängige Geist, den ein echter Zaubertrankmacher braucht!«, sagte Slughorn vergnügt, ehe Harry antworten konnte. »Genau wie seine Mutter, sie hatte das gleiche intuitive Gespür für die Zaubertrankbrauerei, zweifellos hat er das von Lily … ja, Harry, ja, wenn Sie einen Bezoar zur Hand haben, funktioniert das natürlich … da sie allerdings nicht gegen alles wirken und ziemlich selten sind, ist es trotzdem wissenswert, wie man Gegengifte mischt …«

Der Einzige im Raum, der noch wütender dreinblickte als Hermine, war Malfoy, er hatte sich zu Harrys Vergnügen mit etwas bekleckert, das wie Katzenkotze aussah. Bevor Hermine oder Malfoy jedoch ihre Wut zum Ausdruck bringen konnten, dass Harry wieder mal mit Nichtstun der Klassenbeste geworden war, läutete die Glocke.

»Sachen einräumen!«, rief Slughorn. »Und zehn weitere Punkte für Gryffindor, allein schon für den Schneid!«

Unentwegt glucksend watschelte er zurück zu seinem Pult an der Stirnseite des Kerkers.

Harry trödelte und nahm sich übermäßig viel Zeit, seine Tasche zu packen. Weder Ron noch Hermine wünschten ihm Glück, als sie hinausgingen; beide wirkten ziemlich verärgert. Schließlich waren Harry und Slughorn allein im Raum.

»Nun aber los, Harry, Sie werden zu spät in die nächste Stunde kommen«, sagte Slughorn freundlich und ließ die goldenen Schnallen an seiner Drachenhautmappe zuschnappen.

»Sir«, sagte Harry und erinnerte sich unweigerlich an Voldemort, »ich wollte Sie etwas fragen.«

»Dann nur zu, mein lieber Junge, nur zu …«

»Sir, könnten Sie mir sagen, was Sie über … über Horkruxe wissen?«

Slughorn erstarrte. Sein rundes Gesicht schien in sich zusammenzufallen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sagte heiser: »Was haben Sie gesagt?«

»Ich habe gefragt, ob Sie etwas über Horkruxe wissen, Sir. Es ist nämlich – «

»Dumbledore hat Sie dazu angestiftet«, flüsterte Slughorn.

Seine Stimme war völlig verändert. Sie klang nicht mehr freundlich, sondern schockiert, maßlos entsetzt. Er fummelte fahrig in seiner Brusttasche herum, zog ein Taschentuch heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Dumbledore hat Ihnen diese – diese Erinnerung gezeigt«, sagte Slughorn. »Oder? Das stimmt doch?«

»Ja«, sagte Harry, der blitzschnell entschieden hatte, dass es das Beste war, nicht zu lügen.

»Ja, natürlich«, sagte Slughorn leise und tupfte immer noch sein weißes Gesicht ab. »Natürlich … also, wenn Sie diese Erinnerung gesehen haben, Harry, dann wissen Sie, dass ich nichts – nichts -«, er wiederholte das Wort mit Nachdruck, »über Horkruxe weiß.«

Er packte seine Drachenhautmappe, stopfte das Taschentuch in die Brusttasche zurück und marschierte zur Kerkertür.

»Sir«, sagte Harry verzweifelt, »ich dachte nur, da wäre noch ein bisschen mehr von der Erinnerung – «

»Tatsächlich?«, sagte Slughorn. »Dann haben Sie falsch gedacht, verstanden? FALSCH!«

Er brüllte das letzte Wort, und ehe Harry noch etwas sagen konnte, schlug er die Kerkertür hinter sich zu.

Weder Ron noch Hermine zeigten auch nur einen Hauch von Mitgefühl, als Harry ihnen von dem katastrophalen Gespräch erzählte. Hermine kochte immer noch vor Wut über die Art und Weise, wie Harry Erfolg eingeheimst hatte, ohne die Arbeit richtig zu machen. Ron nahm ihm übel, dass er ihm nicht auch einen Bezoar zugesteckt hatte.

»Es hätte einfach blöd ausgesehen, wenn wir es beide getan hätten!«, sagte Harry gereizt. »Schau mal, ich musste doch versuchen, ihn weich zu kriegen, damit ich ihn wegen Voldemort befragen konnte, oder? Ach, jetzt reiß dich doch mal zusammen!«, fügte er wütend hinzu, als Ron beim Klang dieses Namens zusammenzuckte.

Zornig wegen seines Fehlschlags und wegen Rons und Hermines Verhalten, brütete Harry in den folgenden Tagen darüber, wie er das nächste Mal an Slughorn herantreten konnte. Er beschloss, Slughorn zunächst einmal glauben zu machen, dass er die ganze Sache mit den Horkruxen vergessen habe; sicher war es das Beste, wenn er ihn in vermeintlicher Sicherheit wiegte, ehe er wieder zum Angriff überging.

Da Harry Slughorn nicht noch einmal befragte, behandelte ihn der Zaubertrankmeister allmählich wieder mit dem üblichen Wohlwollen und schien nicht mehr an die Sache zu denken. Harry wartete auf eine Einladung zu einer seiner kleinen Abendgesellschaften und war entschlossen, sie diesmal anzunehmen, selbst wenn er dafür das Quidditch-Training verschieben musste. Aber leider kam keine. Harry forschte bei Hermine und Ginny nach: Keine der beiden hatte eine Einladung bekommen, und soweit sie wussten, auch niemand sonst. Harry musste sich wohl oder übel fragen, ob dies nicht bedeutete, dass Slughorn nicht ganz so vergesslich war, wie er schien, sondern einfach entschlossen, Harry keine zusätzlichen Gelegenheiten zu bieten, ihm Fragen zu stellen.

Unterdessen hatte die Bibliothek von Hogwarts Hermine zum ersten Mal seit Menschengedenken im Stich gelassen. Hermine war so schockiert, dass sie sogar vergaß, auf Harry wegen seines Bezoar-Tricks sauer zu sein.

»Ich habe nicht eine einzige Erläuterung gefunden, was Horkruxe bewirken!«, berichtete sie ihm. »Nicht eine einzige! Ich hab die ganze Verbotene Abteilung durchgeschaut, sogar die schrecklichsten Bücher, wo drinsteht, wie man die grausigsten Tränke braut – nichts! Alles, was ich finden konnte, war das hier, in der Einleitung zu Gar böse Zauberey – hör zu: ›von dem Horkrux, der ruchlosesten von allen magischen Erfindungen, wollen wir schweigen und auch keinen Fingerzeig geben‹ … Ich meine, warum erwähnen sie ihn dann überhaupt?«, sagte sie ungehalten und knallte das alte Buch zu; es ließ ein gespenstisches Wehklagen ertönen. »Ach, halt die Klappe«, fauchte sie und stopfte es wieder in ihre Tasche.

Es wurde Februar, der Schnee schmolz rund um die Schule, und an seine Stelle trat eine kalte, trübe Nässe. Purpurgraue Wolken hingen tief über dem Schloss und unaufhörlich ging ein eisiger Regen nieder, der die Rasenflächen rutschig und schlammig machte. Deshalb sollte die erste Apparierstunde der Sechstklässler, die auf einen Samstagmorgen angesetzt war, damit kein regulärer Unterricht versäumt wurde, auch in der Großen Halle und nicht draußen stattfinden.

Als Harry und Hermine die Halle betraten (Ron war mit Lavender heruntergekommen), stellten sie fest, dass die Tische verschwunden waren. Regen peitschte gegen die hohen Fenster, und die verzauberte Decke wirbelte düster über ihnen, als sie sich vor den Professoren McGonagall, Snape, Flitwick und Sprout – den Hauslehrern – versammelten sowie einem kleinen Zauberer, der, wie Harry vermutete, der Apparierlehrer vom Ministerium war. Er war merkwürdig farblos, hatte durchsichtige Wimpern, strähniges Haar und machte insgesamt einen so ätherischen Eindruck, als könnte der kleinste Windstoß ihn davonblasen. Harry fragte sich, ob das ständige Verschwinden und Wiederauftauchen ihm vielleicht auf irgendeine Weise an die Substanz gegangen waren oder ob seine zierliche Statur ideal war für Leute, die sich zum Verschwinden bringen wollten.

»Guten Morgen«, sagte der Ministeriumszauberer, als alle Schüler da waren und die Hauslehrer Ruhe befohlen hatten. »Mein Name ist Wilkie Twycross und ich werde für die nächsten zwölf Wochen Ihr ministerieller Apparierlehrer sein. Ich hoffe, dass ich Sie innerhalb dieser Zeit auf Ihre Apparierprüfung vorbereiten kann – «

»Malfoy, seien Sie still und passen Sie auf!«, bellte Professor McGonagall.

Alle drehten sich um. Malfoy war mattrosa angelaufen; mit wütender Miene wich er von Crabbe zurück, mit dem er sich offenbar leise gestritten hatte. Harry warf rasch einen Blick zu Snape, der ebenfalls verärgert schien, obwohl Harry stark vermutete, dass der Grund dafür weniger Malfoys ungezogenes Verhalten war als die Tatsache, dass McGonagall einen Schüler aus seinem Haus gemaßregelt hatte.

» und dann werden viele von Ihnen gut gerüstet sein, um die Prüfung abzulegen«, fuhr Twycross fort, als ob es keine Unterbrechung gegeben hätte.

»Wie Sie vielleicht wissen, ist es normalerweise unmöglich, innerhalb von Hogwarts zu apparieren oder zu disapparieren. Der Schulleiter hat diesen Bann für eine Stunde ausschließlich in der Großen Halle aufgehoben, damit Sie üben können. Darf ich darauf hinweisen, dass Sie nicht aus den Mauern dieser Halle herausapparieren können und dass es unklug wäre, dies zu versuchen.

Ich möchte Sie nun alle bitten, sich so hinzustellen, dass Sie vor sich etwa zwei Meter Platz haben.«

Es gab ein großes Geschiebe und Gedrängel, als sie sich verteilten, gegeneinander stießen und andere von ihrem Platz vertrieben. Die Hauslehrer gingen zwischen den Schülern umher, stellten sie in Position und beendeten Streitereien.

»Harry, wo willst du hin?«, fragte Hermine.

Aber Harry antwortete nicht; er schob sich rasch durch die Menge, an Professor Flitwick vorbei, der quiekend versuchte, ein paar Ravenclaws richtig aufzustellen, die alle vorne stehen wollten, vorbei auch an Professor Sprout, die die Hufflepuffs in eine Reihe scheuchte, bis er schließlich um Ernie Macmillan herumschlüpfte und einen Platz ganz am Ende der Menge ergatterte, direkt hinter Malfoy, der den allgemeinen Aufruhr nutzte, um seinen Streit mit Crabbe fortzusetzen, der zwei Meter entfernt stand und rebellisch dreinblickte.

»Ich weiß nicht, wie lange noch, okay?«, herrschte ihn Malfoy an, ohne zu merken, dass Harry direkt hinter ihm stand. »Es dauert länger, als ich dachte.«

Crabbe öffnete den Mund, aber Malfoy schien seine Worte bereits vorauszuahnen.

»Hör mal, Crabbe, es geht dich nichts an, was ich tue, du und Goyle, ihr macht einfach das, was man euch sagt, und schiebt Wache!«

»Ich sag meinen Freunden, was ich vorhab, wenn sie für mich Wache schieben sollen«, sagte Harry, gerade laut genug, dass Malfoy es hören konnte.

Malfoy wirbelte sofort herum, seine Hand schnellte zu seinem Zauberstab, doch genau in diesem Moment riefen die vier Hauslehrer: »Ruhe!«, und es trat wieder Stille ein. Malfoy drehte sich langsam nach vorne.

»Danke«, sagte Twycross. »Nun denn …«

Er schwang seinen Zauberstab. Augenblicklich tauchte vor jedem Schüler auf dem Boden ein altmodischer hölzerner Reifen auf.

»Beim Apparieren muss man sich vor allem die Goldene Dreierregel einprägen«, rief Twycross. »Ziel, Wille, Bedacht!

Schritt eins: Fixieren Sie Ihre Gedanken fest auf das gewünschte Ziel«, sagte Twycross. »In diesem Fall das Innere Ihres Reifens.

Bitte konzentrieren Sie sich jetzt auf dieses Ziel.«

Alle sahen sich heimlich um, ob auch ja alle anderen in ihre Reifen blickten, dann taten sie hastig, was ihnen befohlen worden war. Harry starrte auf das runde Stück staubigen Boden, das von seinem Reifen eingeschlossen war, und versuchte angestrengt, an nichts anderes zu denken. Das stellte sich als unmöglich heraus, da er nicht aufhören konnte, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wofür Malfoy Wachen brauchte.

»Schritt zwei«, sagte Twycross, »fokussieren Sie Ihren Willen darauf, den Raum, den Sie sich vorstellen, einzunehmen! Lassen Sie Ihren Wunsch, sich dort hinzubegeben, von Ihrem Kopf in jede Zelle Ihres Körpers strömen!«

Harry blickte verstohlen umher. Ein wenig weiter links betrachtete Ernie Macmillan seinen Reifen so angestrengt, dass sein Gesicht rosa angelaufen war; es sah aus, als würde er sich heftig bemühen, ein quaffelgroßes Ei zu legen. Harry verkniff sich das Lachen und wandte den Blick schleunigst wieder seinem eigenen Reifen zu.

»Schritt drei«, rief Twycross, »aber erst wenn ich den Befehl gebe … drehen Sie sich auf der Stelle und erspüren Sie Ihren Weg hinein ins Nichts, bewegen Sie sich mit Bedacht! Nun, auf mein Kommando … eins … «

Harry sah sich erneut um; viele wirkten ausgesprochen verängstigt, weil sie so schnell apparieren sollten.

»… zwei …«

Harry versuchte seine Gedanken wieder auf den Reifen zu konzentrieren; er hatte schon vergessen, wie die Goldene Dreierregel lautete.

»… DREI!«

Harry drehte sich schnell auf der Stelle, verlor das Gleichgewicht und fiel beinahe um. Er war nicht der Einzige. In der ganzen Halle torkelten Leute; Neville lag flach auf dem Rücken; Ernie Macmillan hingegen war mit einer Art Pirouette in seinen Reifen gesprungen und wirkte kurz hellauf begeistert, bis sein Blick auf Dean Thomas fiel, der lauthals über ihn lachte.

»Macht nichts, macht nichts«, sagte Twycross trocken, er schien nichts Besseres erwartet zu haben. »Legen Sie Ihre Reifen bitte wieder richtig hin und begeben Sie sich an Ihre Ausgangspositionen zurück …«

Der zweite Versuch verlief nicht besser als der erste. Der dritte war genauso schlecht. Erst beim vierten geschah etwas Aufregendes. Ein fürchterlicher Schmerzensschrei ertönte, und alle schauten sich entsetzt um und sahen, dass Susan Bones von Hufflepuff in ihrem Reifen schwankte, das linke Bein aber immer noch knapp zwei Meter von sich entfernt stehen hatte, dort, wo sie angefangen hatte.

Die Hauslehrer versammelten sich um sie; mit einem großen Knall erschien eine lila Rauchwolke, und als sie sich auflöste, sah man die schluchzende Susan, wiedervereint mit ihrem Bein, aber mit grauenerfülltem Gesichtsausdruck.

»Das Zersplintern, das heißt, die Abtrennung beliebiger Körperteile«, sagte Wilkie Twycross sachlich, »tritt auf, wenn der Geist nicht ausreichend gewillt ist. Sie müssen sich fortwährend auf Ihr Ziel konzentrieren und sich ohne Hast, aber mit Bedacht bewegen … so!«

Twycross trat vor, drehte sich mit ausgestreckten Armen elegant auf der Stelle, verschwand in seinem wirbelnden Umhang und tauchte hinten in der Halle wieder auf.

»Denken Sie an die Goldene Dreierregel«, sagte er, »und versuchen Sie es noch einmal … eins – zwei – drei – «

Aber eine Stunde später war immer noch nichts Interessanteres passiert als Susans Zersplintern. Twycross wirkte nicht entmutigt. Er band sich seinen Reiseumhang am Hals zu und sagte nur: »Bis nächsten Samstag dann, und vergessen Sie nicht: Ziel. Wille. Bedacht.«

Mit diesen Worten schwang er seinen Zauberstab, ließ die Reifen verschwinden und ging in Begleitung von Professor McGonagall hinaus. Prompt fingen alle an, sich zu unterhalten, und bewegten sich in Richtung Eingangshalle.

»Wie war's bei dir?«, fragte Ron, der auf Harry zueilte. »Ich glaub, bei meinem letzten Versuch hab ich was gespürt – irgendwie hat's in meinen Füßen gekribbelt.«

»Ich schätze mal, deine Turnschuhe sind zu klein, Won-Won«, sagte eine Stimme hinter ihnen, und Hermine stolzierte feixend vorbei.

»Ich hab überhaupt nichts gespürt«, sagte Harry, ohne diese Unterbrechung zu beachten. »Aber mir ist das im Augenblick auch egal – «

»Was soll das heißen, es ist dir egal … willst du nicht apparieren lernen?«, fragte Ron ungläubig.

»Ich bin, ehrlich gesagt, nicht sonderlich scharf drauf. Fliegen find ich besser«, erwiderte Harry, hielt über die Schulter nach Malfoy Ausschau und beschleunigte seine Schritte, als sie in die Eingangshalle kamen. »Hör mal, beeil dich bitte, ich hab da noch was vor …«

Ron folgte Harry völlig verwirrt im Laufschritt zurück zum Gryffindor-Turm. Sie wurden vorübergehend von Peeves aufgehalten, der eine Tür im vierten Stock blockiert hatte und sich weigerte, einen durchzulassen, wenn man nicht seine eigene Unterhose anzündete, aber Harry und Ron machten einfach kehrt und nahmen eine ihrer bewährten Abkürzungen. Fünf Minuten später kletterten sie durch das Porträtloch.

»Sagst du mir jetzt endlich, was das soll?«, fragte Ron leicht keuchend.

»Dort hinauf«, sagte Harry, durchquerte den Gemeinschaftsraum und ging vorneweg durch die Tür, die zur Jungentreppe führte.

Wie Harry gehofft hatte, war ihr Schlafsaal leer. Er riss seinen Koffer auf und fing an darin herumzuwühlen, während Ron ungeduldig zusah.

»Harry …«

»Malfoy setzt Crabbe und Goyle als Wachen ein. Er hat gerade eben mit Crabbe gestritten. Ich will wissen … aha.«

Er hatte gefunden, was er suchte, ein zusammengefaltetes, quadratisches, scheinbar leeres Blatt Pergament, das er nun ausbreitete und mit der Spitze seines Zauberstabs antippte.

»Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin … jedenfalls ist Malfoy einer.«

Sofort erschien die Karte des Rumtreibers auf der Oberfläche des Pergaments. Es war ein detaillierter Plan von jedem einzelnen Stockwerk des Schlosses, und die winzigen, beschrifteten schwarzen Punkte, die sich darauf bewegten, verwiesen auf jeden Schlossbewohner.

»Hilf mir mal, Malfoy zu finden«, drängte Harry.

Er legte die Karte auf sein Bett, und die beiden beugten sich darüber und suchten.

»Da!«, sagte Ron nach etwa einer Minute. »Er ist im Gemeinschaftsraum der Slytherins, sieh mal … mit Parkinson und Zabini und Crabbe und Goyle …«

Enttäuscht sah Harry auf die Karte hinunter, doch er fing sich fast sofort wieder.

»Also, ich behalt ihn von jetzt an im Auge«, sagte er entschlossen. »Und sobald ich ihn irgendwo rumschleichen sehe und Crabbe und Goyle draußen Schmiere stehen, zieh ich den guten alten Tarnumhang an und geh los, um rauszufinden, was er – «

Er brach ab, denn Neville betrat den Schlafsaal. Er trug einen starken Geruch nach angesengtem Stoff herein und begann seinen Koffer nach einer frischen Unterhose zu durchwühlen.

So entschlossen Harry auch war, Malfoy auf frischer Tat zu ertappen, hatte er während der nächsten Wochen doch keinerlei Glück. Obwohl er so oft wie möglich die Karte zu Rate zog und manchmal zwischen den Unterrichtsstunden unnötig aufs Klo ging, um sie abzusuchen, entdeckte er Malfoy kein einziges Mal an einem verdächtigen Ort. Immerhin bemerkte er, dass Crabbe und Goyle häufiger als sonst nur zu zweit im Schloss umhergingen und gelegentlich auch in verlassenen Korridoren eine Weile still stehen blieben, aber zu diesen Zeiten war Malfoy nicht nur nirgendwo in ihrer Nähe, sondern auf der Karte auch überhaupt nicht ausfindig zu machen. Das war äußerst mysteriös. Harry überlegte, ob Malfoy möglicherweise tatsächlich das Schulgelände verließ, aber er wusste nicht, wie er das anstellen konnte, bei dem hohen Sicherheitsstandard, der jetzt im Schloss wirksam war. Er konnte nur vermuten, dass er Malfoy zwischen den Hunderten von winzigen schwarzen Punkten auf der Karte übersah. Und was den Umstand betraf, dass Malfoy, Crabbe und Goyle offenbar eigene Wege gingen, obwohl sie normalerweise unzertrennlich waren, so passierte das eben, wenn Leute älter wurden – Ron und Hermine, dachte Harry traurig, waren der lebende Beweis dafür.

Der Februar ging auf den März zu, ohne dass sich das Wetter änderte, doch war es jetzt nicht nur nass, sondern dazu auch noch windig. Allgemeine Entrüstung rief ein Aushang an den schwarzen Brettern der Gemeinschaftsräume hervor, dass der nächste Ausflug nach Hogsmeade gestrichen war. Ron war hell erzürnt.

»Der war an meinem Geburtstag!«, sagte er. »Ich hab mich drauf gefreut!«

»Ist doch keine große Überraschung, oder?«, sagte Harry. »Nach dem, was Katie passiert ist.«

Katie war immer noch nicht aus dem St. Mungo zurückgekehrt. Mehr noch, der Tagesprophet hatte von neuen Verschwundenen berichtet, darunter mehrere Verwandte von Hogwarts-Schülern.

»Aber jetzt hab ich nichts mehr, auf das ich mich freuen kann, nur das blöde Apparieren!«, sagte Ron missmutig. »Das wird ja ein toller Geburtstag …«

Selbst nach drei weiteren Lektionen erwies sich das Apparieren als unverändert schwierig, obwohl es noch ein paar Leute mehr geschafft hatten, sich zu zersplintern. Die Enttäuschung war groß, und es herrschte einiger Unmut über Wilkie Twycross und seine Goldene Dreierregel, die ihm eine Anzahl von Spitznamen eingetragen hatte, von denen Dreikäsehoch und Misthund-mal-drei noch die höflichsten waren.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Ron«, sagte Harry, als sie am ersten März von Seamus und Dean geweckt wurden, die lärmend zum Frühstück aufbrachen. »Hier, ein Geschenk für dich.«

Er warf das Päckchen hinüber auf Rons Bett, wo es auf einem kleinen Haufen von Geschenken landete, die, wie Harry annahm, bestimmt in der Nacht von Hauselfen gebracht worden waren.

»Danke«, sagte Ron verschlafen, und während er das Papier abriss, stieg Harry aus dem Bett, öffnete seinen Koffer und fing an, darin nach der Karte des Rumtreibers zu stöbern, die er nach jedem Gebrauch versteckte. Er schleuderte den halben Inhalt seines Koffers hinaus, bis er sie unter den zusammengerollten Socken verborgen fand, in denen er immer noch sein Fläschchen mit dem Glückstrank Felix Felicis aufbewahrte.

»Gut«, murmelte er, nahm sie mit ins Bett zurück, tippte sachte darauf und murmelte leise, damit ihn Neville, der gerade am Fußende seines Bettes vorbeiging, nicht hören konnte: »Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin.«

»Klasse, Harry!«, sagte Ron begeistert und wedelte mit dem neuen Paar Quidditch-Hüterhandschuhen, das Harry ihm geschenkt hatte.

»Bitte«, sagte Harry geistesabwesend und suchte den Schlafsaal der Slytherins gründlich nach Malfoy ab. »Hey … ich glaub nicht, dass er in seinem Bett ist …«

Ron antwortete nicht; er war zu beschäftigt damit, Geschenke auszupacken, und stieß ab und zu einen Freudenschrei aus.

»Richtig fette Beute dieses Jahr!«, verkündete er und hielt eine dicke goldene Uhr in die Höhe mit merkwürdigen Symbolen um den Rand und winzigen beweglichen Sternen statt Zeigern. »Schau mal, was ich von Mum und Dad gekriegt hab! Mensch, ich glaub, ich werd nächstes Jahr noch mal volljährig …«

»Cool«, murmelte Harry, der nur einen kurzen Blick für die Uhr übrig hatte, ehe er die Karte noch genauer betrachtete. Wo steckte Malfoy? Er schien nicht am Slytherin-Tisch in der Großen Halle beim Frühstück zu sein … er war nicht in der Nähe von Snape, der in seinem Büro saß … er war in keinem der Klos oder im Krankenflügel …

»Magst einen?«, sagte Ron schmatzend und hielt ihm eine Schachtel Schokokessel hin.

»Nein, danke«, sagte Harry und blickte auf. »Malfoy ist schon wieder verschwunden!«

»Kann nicht sein«, erwiderte Ron, stopfte sich einen zweiten Schokokessel in den Mund und rutschte vom Bett, um sich anzuziehen. »Komm schon, wenn du dich nicht beeilst, musst du auf nüchternen Magen apparieren … obwohl, das könnte es leichter machen, vermut ich mal …«

Ron blickte nachdenklich auf die Schachtel mit den Schokokesseln, dann zuckte er die Achseln und genehmigte sich einen dritten.

Harry tippte mit dem Zauberstab auf die Karte, murmelte »Unheil angerichtet«, obwohl es nicht stimmte, und zog sich an, wobei er scharf nachdachte. Es musste doch eine Erklärung für Malfoys ständiges Verschwinden geben, aber er kam einfach nicht darauf, welche es sein könnte. Der beste Weg, die Sache zu klären, wäre wohl, ihn zu beschatten, doch selbst mit dem Tarnumhang ließ sich diese Idee nicht verwirklichen; er hatte Unterricht, Quidditch-Training, Hausaufgaben und Apparieren; er konnte Malfoy nicht den ganzen Tag durch die Schule folgen, ohne dass seine Abwesenheit bemerkt würde.

»Fertig?«, fragte er Ron.

Auf halbem Weg zur Schlafsaaltür wurde ihm bewusst, dass Ron sich nicht bewegt hatte; stattdessen lehnte er an seinem Bettpfosten und starrte mit einem seltsam verschwommenen Gesichtsausdruck aus dem regennassen Fenster.

»Ron? Frühstück.«

»Ich hab keinen Hunger.«

Harry starrte ihn an.

»Aber du hast doch gerade noch gesagt –?«

»Also, von mir aus, ich geh mit dir runter«, seufzte Ron, »aber ich will nichts essen.«

Harry musterte ihn argwöhnisch.

»Du hast gerade eine halbe Schachtel Schokokessel verputzt, stimmt's?«

»Das ist es nicht.« Ron seufzte erneut. »Du … du würdest das nicht verstehen.«

»Schon gut«, sagte Harry, wenn auch verwundert, wandte sich um und ging zur Tür.

»Harry!«, sagte Ron plötzlich.

»Was?«

»Harry, ich halt das nicht aus!«

»Was hältst du nicht aus?«, fragte Harry, der allmählich ernsthaft beunruhigt war. Ron war ziemlich blass und sah aus, als würde er sich gleich übergeben.

»Ich muss ständig an sie denken!«, sagte Ron heiser.

Harry glotzte ihn mit offenem Mund an. Das hatte er nicht erwartet und er war nicht sicher, ob er es hören wollte. Sie waren zwar Freunde, aber wenn Ron anfing, Lavender »Lav-Lav« zu nennen, würde er ein Machtwort sprechen müssen.

»Und warum hält dich das davon ab, zu frühstücken?«, fragte Harry, um der Sache wenigstens einen Schuss gesunden Menschenverstand zu verpassen.

»Ich glaub, sie weiß gar nicht, dass es mich gibt«, sagte Ron mit einer verzweifelten Geste.

»Sie weiß genau, dass es dich gibt«, sagte Harry verwirrt. »Sie knutscht doch andauernd mit dir, oder?«

Ron blinzelte.

»Von wem redest du?«

»Von wem redest du?«, erwiderte Harry und hatte zunehmend das Gefühl, dass dieses Gespräch vollkommen absurd geworden war.

»Romilda Vane«, sagte Ron leise, und sein ganzes Gesicht schien dabei aufzuleuchten, als wäre es von einem Strahl klarsten Sonnenlichts getroffen worden.

Sie starrten sich fast eine geschlagene Minute lang an, bis Harry sagte: »Das soll wohl ein Witz sein, oder? Das meinst du nicht ernst.«

»Ich glaub … Harry, ich glaub, ich liebe sie«, sagte Ron mit erstickter Stimme.

»Okay«, sagte Harry und ging zu ihm hin, um seine glasigen Augen und seine bleiche Gesichtsfarbe genauer zu betrachten, »okay … sag das noch mal, ohne zu lachen.«

»Ich liebe sie«, wiederholte Ron atemlos. »Hast du ihr Haar gesehen, es ist so schwarz und glänzend und seiden … und ihre Augen? Ihre großen dunklen Augen? Und ihre – «

»Das ist wirklich ein guter Witz und alles«, sagte Harry ungeduldig, »aber jetzt ist es genug, ja? Lass gut sein.«

Er wandte sich zum Gehen; er hatte zwei Schritte in Richtung Tür gemacht, als ihn ein fürchterlicher Schlag am rechten Ohr traf. Er taumelte und sah sich um. Ron hatte mit der Faust weit ausgeholt, sein Gesicht war wutverzerrt; er würde gleich noch einmal zuschlagen.

Harry reagierte unwillkürlich; ohne bewusst darüber nachzudenken, hatte er den Zauberstab schon aus der Tasche und die Beschwörung im Kopf: Levicorpus!

Ron schrie, als er wieder an den Fersen in die Höhe gerissen wurde; hilflos baumelte er mit herunterhängendem Umhang kopfüber in der Luft.

»Wofür war das denn?«, brüllte Harry.

»Du hast sie beleidigt, Harry! Du hast gesagt, es sei ein Witz!«, rief Ron, der allmählich puterrot anlief, da ihm das ganze Blut in den Kopf schoss.

»Das ist doch verrückt!«, sagte Harry. »Was ist in dich –?«

Und dann sah er die offene Schachtel auf Rons Bett liegen, und die Wahrheit traf ihn mit der Wucht eines heranpreschenden Trolls.

»Wo hast du diese Schokokessel her?«

»Die hab ich zum Geburtstag gekriegt!«, rief Ron, der sich verzweifelt bemühte freizukommen und dabei langsam in der Luft kreiste. »Ich hab dir doch einen angeboten!«

»Du hast sie einfach vom Boden aufgehoben, stimmt's?«

»Die waren von meinem Bett gefallen, okay? Lass mich runter!«

»Die sind nicht von deinem Bett gefallen, du Knallkopf, begreifst du nicht? Das waren meine, ich hab sie aus meinem Koffer geschmissen, als ich nach der Karte gesucht hab. Das sind die Schokokessel, die Romilda mir vor Weihnachten geschenkt hat, und da ist überall ein Schuss Liebestrank drin!«

Doch Ron schien nur ein einziges Wort davon zu registrieren.

»Romilda?«, wiederholte er. »Hast du Romilda gesagt? Harry – kennst du sie? Kannst du mich mit ihr bekannt machen?«

Harry starrte auf den baumelnden Ron, dessen Gesicht jetzt ungeheuer hoffnungsvoll aussah, und musste dagegen ankämpfen, laut loszulachen. Ein Teil von ihm – der dem pochenden rechten Ohr am nächsten war – hatte größte Lust, Ron herunterzulassen und dabei zuzusehen, wie er Amok lief, bis die Wirkung des Zaubertranks nachließ … doch andererseits waren sie ja eigentlich Freunde. Ron war nicht er selbst gewesen, als er ihn angegriffen hatte, und Harry dachte, dass er noch einen Schlag verdient hätte, wenn er zulassen würde, dass Ron Romilda Vane seine unsterbliche Liebe erklärte.

»Ja, ich mach dich mit ihr bekannt«, sagte Harry, während er rasch überlegte. »Ich lass dich jetzt runter, okay?«

Er ließ Ron auf den Boden krachen (sein Ohr tat tatsächlich ziemlich weh), aber Ron sprang einfach auf die Füße und grinste.

»Sie wird in Slughorns Büro sein«, sagte Harry in überzeugtem Ton und ging voraus zur Tür.

»Was hat sie dort zu suchen?«, fragte Ron besorgt und beeilte sich ihn einzuholen.

»Oh, sie nimmt bei ihm Nachhilfe in Zaubertränke«, flunkerte Harry wild.

»Vielleicht könnte ich fragen, ob ich mitmachen kann?«, sagte Ron eifrig.

»Großartige Idee«, sagte Harry.

Lavender wartete neben dem Porträtloch, eine Komplikation, mit der Harry nicht gerechnet hatte.

»Du bist zu spät, Won-Won!«, schmollte sie. »Ich hab dir ein Geburtstags-«

»Lass mich in Ruhe«, sagte Ron ungeduldig. »Harry stellt mich gleich Romilda Vane vor.«

Und ohne ein weiteres Wort zu ihr drängte er sich durch das Porträtloch. Harry versuchte, mit entschuldigender Miene zu Lavender hinüberzuschauen, aber vielleicht sah es auch nur amüsiert aus, denn Lavender blickte beleidigter denn je, als die fette Dame hinter ihnen zuschwang.

Harry war ein wenig besorgt gewesen, ob Slughorn vielleicht beim Frühstück war, doch er kam beim ersten Klopfen an seine Bürotür, in einem grünen, samtenen Morgenmantel und einer dazu passenden Nachtmütze, und mit ziemlich trübem Blick.

»Harry«, murmelte er. »Das ist sehr früh für einen Besuch … ich schlafe samstags für gewöhnlich länger …«

»Professor, es tut mir wirklich Leid, Sie zu stören«, sagte Harry so leise wie möglich, während Ron sich auf die Zehenspitzen stellte und versuchte, an Slughorn vorbei in sein Zimmer zu spähen, »aber mein Freund Ron hat aus Versehen einen Liebestrank geschluckt. Wäre es möglich, dass Sie ihm ein Gegenmittel zubereiten? Ich würde ihn ja zu Madam Pomfrey bringen, aber wir dürfen nichts aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze haben und, Sie wissen schon … unangenehme Fragen …«

»Ich hätte gedacht, Sie könnten ihm selber einen Heiltrank zusammenmischen, Harry, ein geschickter Zaubertrankbrauer wie Sie?«, fragte Slughorn.

»Ähm«, sagte Harry, etwas abgelenkt, weil Ron ihm nun mit dem Ellbogen in die Rippen stieß und versuchte, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen, »also, ich hab noch nie ein Gegenmittel für einen Liebestrank gemischt, Sir, und bis ich das richtig hinbekomme, hat Ron vielleicht schon was Schlimmes angestellt – «

Es war hilfreich, dass Ron ausgerechnet in diesem Moment stöhnte: »Ich kann sie nicht sehen, Harry – versteckt er sie?«

»War dieser Trank vielleicht schon etwas älter?«, fragte Slughorn, der Ron nun mit beruflichem Interesse musterte. »Die können stärker werden, wissen Sie, je länger man sie aufhebt.«

»Das würde einiges erklären«, keuchte Harry, der sich inzwischen tatsächlich einen Ringkampf mit Ron lieferte, um ihn davon abzuhalten, Slughorn niederzuschlagen. »Er hat heute Geburtstag, Professor«, fügte er flehend hinzu.

»Oh, na gut, dann kommen Sie rein, kommen Sie«, gab Slughorn nach. »Ich hab alles Nötige hier in meiner Tasche, es ist kein schwieriges Gegenmittel …«

Ron stürmte durch die Tür in Slughorns überheiztes, voll gestopftes Büro, stolperte über einen quastenbesetzten Fußschemel, fand das Gleichgewicht wieder, indem er sich an Harrys Hals klammerte, und murmelte: »Das hat sie nicht gesehen, oder?«

»Sie ist noch nicht da«, sagte Harry und sah zu, wie Slughorn seine Zaubertranktasche öffnete und ein bisschen hiervon und davon in ein kleines Kristallfläschchen gab.

»Das ist gut«, sagte Ron fieberhaft. »Wie seh ich aus?«

»Sehr hübsch«, sagte Slughorn sanft und reichte Ron ein Glas mit klarer Flüssigkeit. »Nun trinken Sie das aus, es ist ein Tonikum für die Nerven, damit Sie ruhig bleiben, wenn sie kommt, verstehen Sie?«

»Genial«, sagte Ron begierig und stürzte das Gegenmittel geräuschvoll hinunter.

Harry und Slughorn beobachteten ihn. Einen Moment lang sah Ron sie strahlend an. Dann, ganz langsam, wurde sein Lächeln schwächer und verschwand, und an seine Stelle trat ein äußerst entsetzter Gesichtsausdruck.

»Also alles wieder in Ordnung?«, sagte Harry grinsend. Slughorn gluckste. »Vielen Dank, Professor.«

»Keine Ursache, mein Junge, keine Ursache«, sagte Slughorn, während Ron, der einen völlig zerschmetterten Eindruck machte, im nächsten Sessel zusammenbrach. »Er braucht jetzt eine kleine Stärkung«, fuhr Slughorn fort und hastete nun hinüber zu einem Tisch voller Getränke. »Ich hab Butterbier, ich hab Wein, ich hab noch eine letzte Flasche von diesem im Eichenfass gereiften Met … hmm … die wollte ich eigentlich Dumbledore zu Weihnachten schenken … Nun ja …«, er zuckte die Achseln, »… was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß! Wir könnten sie doch jetzt öffnen und Mr Weasleys Geburtstag feiern? Nichts ist besser als ein gutes Tröpfchen, um den Schmerz enttäuschter Liebe zu vertreiben …«

Er lachte wieder glucksend und Harry stimmte ein. Das war das erste Mal, dass er mit Slughorn fast allein war, seit seinem katastrophalen ersten Versuch, ihm die wahre Erinnerung zu entlocken. Vielleicht, wenn er Slughorn nur bei Laune halten konnte … vielleicht, wenn sie sich genug von dem im Eichenfass gereiften Met genehmigten …

»Hier, bitte sehr«, sagte Slughorn und reichte Harry und Ron je ein Glas Met, ehe er sein eigenes hob. »Alsdann, auf einen glücklichen Geburtstag, Ralph …«

»Ron«, flüsterte Harry.

Aber Ron hatte den Trinkspruch offenbar nicht gehört, sich den Met schon in den Mund gekippt und ihn hinuntergeschluckt.

Eine Sekunde lang, kaum länger als ein Herzschlag, wusste Harry, dass da etwas fürchterlich schief ging, und Slughorn wusste es anscheinend nicht.

»… und auf noch viele weitere …«

»Ron!«

Ron hatte sein Glas fallen lassen; er erhob sich halb aus seinem Sessel, dann fiel er mit hemmungslos zuckenden Gliedmaßen in sich zusammen. Schaum quoll ihm aus dem Mund und seine Augen wölbten sich aus den Höhlen.

»Professor!«, brüllte Harry. »Tun Sie was!«

Aber Slughorn schien vor Schreck wie gelähmt. Ron zuckte und würgte: Seine Haut wurde allmählich blau.

»Was – aber –«, prustete Slughorn.

Harry sprang über ein niedriges Tischchen und stürzte sich auf Slughorns geöffnete Zaubertranktasche, zog Gefäße und Beutel hervor, während das schreckliche Geräusch von Rons gurgelndem Atem den Raum erfüllte. Dann fand er ihn – den schrumpligen, nierenartigen Stein, den Slughorn ihm in Zaubertränke abgenommen hatte.

Er sauste zurück an Rons Seite, zerrte ihm die Kiefer auseinander und stopfte ihm den Bezoar in den Mund. Ron erschauderte heftig, atmete rasselnd ein, und sein Körper erschlaffte und kam zur Ruhe.