123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

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Lord Voldemorts Gesuch

Harry und Ron verließen den Krankenflügel gleich am Montagmorgen, dank der Pflege durch Madam Pomfrey vollkommen genesen, und konnten nun die Vorteile genießen, die es mit sich brachte, k. o. geschlagen und vergiftet worden zu sein, und der beste davon war, dass Hermine sich wieder mit Ron versöhnt hatte. Hermine begleitete sie sogar hinunter zum Frühstück und brachte die Neuigkeit mit, dass Ginny sich mit Dean gestritten hatte. Die Kreatur, die in Harrys Brust schlummerte, hob plötzlich den Kopf und schnupperte Morgenluft.

»Worüber haben sie sich in die Haare gekriegt?«, fragte er in bemüht lässigem Ton. Sie bogen gerade in einen Korridor im siebten Stock ab, in dem niemand war außer einem ganz kleinen Mädchen, das einen Wandbehang mit Trollen in Ballettröckchen betrachtete. Beim Anblick der näher kommenden Sechstklässler geriet sie offenbar in Panik und ließ die schwere Messingwaage fallen, die sie in der Hand hielt.

»Ist ja schon gut!«, sagte Hermine freundlich und eilte ihr zu Hilfe. »Hier …« Sie tippte mit dem Zauberstab gegen die zerbrochene Waage und sagte »Reparo«.

Das Mädchen bedankte sich nicht. Es blieb wie angewurzelt stehen, während sie vorbeigingen, und sah ihnen nach; Ron blickte zu ihr zurück.

»Ich schwöre, die werden immer kleiner«, bemerkte er.

»Lass sie in Frieden«, sagte Harry mit einem Anflug von Ungeduld. »Worüber haben sich Ginny und Dean gestritten, Hermine?«

»Oh, Dean hat darüber gelacht, wie McLaggen dir diesen Klatscher um die Ohren gehauen hat«, erzählte Hermine.

»Das muss schon komisch ausgesehen haben«, gab Ron zu bedenken.

»Es hat überhaupt nicht komisch ausgesehen«, erwiderte Hermine hitzig. »Es hat schrecklich ausgesehen, und wenn Coote und Peakes Harry nicht aufgefangen hätten, dann hätte er sich wirklich schwer verletzen können!«

»Na ja, deswegen hätten sich Ginny und Dean doch nicht gleich trennen müssen«, sagte Harry, immer noch bemüht lässig. »Oder sind sie noch zusammen?«

»Ja, schon – aber warum interessiert dich das so?«, fragte Hermine und warf Harry einen durchdringenden Blick zu.

»Ich will nur nicht wieder so ein Durcheinander in meiner Quidditch-Mannschaft!«, sagte er hastig, aber Hermine schaute weiterhin argwöhnisch, und er war sehr erleichtert, als eine Stimme hinter ihnen »Harry!« rief und er einen Vorwand hatte, ihr den Rücken zuzukehren.

»Oh, hi, Luna.«

»Ich war im Krankenflügel und hab dich gesucht«, sagte Luna und stöberte in ihrer Tasche. »Aber sie haben gesagt, du wärst schon weg …«

Sie drückte Ron etwas Grünes und Zwiebelartiges, einen großen getüpfelten Giftpilz und eine beachtliche Portion von etwas wie Katzenstreu in die Hände und zog schließlich eine ziemlich schmuddelige Pergamentrolle hervor, die sie Harry überreichte.

»… Das soll ich dir geben.«

Es war eine kleine Rolle, und Harry wusste sofort, dass es eine weitere Einladung zu einer Unterrichtsstunde bei Dumbledore war.

»Heute Abend«, sagte er zu Ron und Hermine, als er sie entrollt hatte.

»Deine Kommentare beim letzten Spiel waren klasse!«, sagte Ron zu Luna, während sie die grüne Zwiebel, den Giftpilz und die Katzenstreu zurücknahm. Luna lächelte vage.

»Du machst dich lustig über mich, oder?«, erwiderte sie. »Alle sagen, dass ich schrecklich war.«

»Nein, ehrlich!«, sagte Ron ernst. »Mir hat schon lange kein Kommentar mehr so gut gefallen! Übrigens, was ist das eigentlich?«, fügte er hinzu und hielt das zwiebelartige Etwas in Augenhöhe.

»Oh, das ist eine Spulenwurzel«, sagte sie und stopfte die Katzenstreu und den Giftpilz zurück in ihre Tasche. »Du kannst sie behalten, wenn du magst, ich hab ein paar davon. Die sind wirklich hervorragend gegen Schluck-Plimpys …«

Und sie zog von dannen und ließ Ron glucksend mit der Spulenwurzel in der Hand stehen.

»Wisst ihr, sie ist mir richtig ans Herz gewachsen, unsere Luna«, meinte er, als sie sich wieder auf den Weg zur Großen Halle machten. »Ich weiß, sie ist verrückt, aber auf 'ne gute – «

Er verstummte schlagartig. Lavender Brown stand am Fuß der Marmortreppe und machte einen zornigen Eindruck.

»Hi«, sagte Ron nervös.

»Komm«, raunte Harry Hermine zu, und sie liefen rasch vorbei, hörten aber Lavender noch sagen: »Warum hast du mir nicht erzählt, dass du heute entlassen wirst? Und warum warst du mit der unterwegs?«

Als Ron eine halbe Stunde später beim Frühstück erschien, wirkte er trotzig und verärgert, und obwohl er bei Lavender saß, sah Harry sie die ganze Zeit kein einziges Wort wechseln. Hermine tat, als ob sie das alles gar nicht mitbekam, doch ein- oder zweimal sah Harry ein unerklärliches Feixen über ihr Gesicht huschen. Sie schien den ganzen Tag besonders gut gelaunt, und abends im Gemeinschaftsraum erklärte sie sich sogar bereit, Harrys Kräuterkundeaufsatz durchzusehen (mit anderen Worten, ihn zu Ende zu schreiben), was sie bislang entschieden abgelehnt hatte, denn ihr war klar gewesen, dass Harry Ron dann alles abschreiben lassen würde.

»Vielen Dank, Hermine«, sagte Harry und klopfte ihr flüchtig auf die Schulter, während er einen Blick auf seine Uhr warf und feststellte, dass es schon fast acht war. »Hör mal, ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät zu Dumbledore …«

Sie antwortete nicht, sondern strich nur ziemlich resigniert ein paar von seinen schwächeren Sätzen durch. Grinsend eilte Harry durch das Porträtloch hinaus und machte sich auf den Weg zum Büro des Schulleiters. Der Wasserspeier sprang bei der Erwähnung von Karamell-Eclairs zur Seite und Harry nahm auf der Wendeltreppe immer zwei Stufen auf einmal und klopfte just in dem Moment an die Tür, als die Uhr drinnen acht schlug.

»Herein«, rief Dumbledore, doch als Harry die Hand ausstreckte, um die Tür aufzustoßen, wurde sie von innen aufgerissen. Vor ihm stand Professor Trelawney.

»Aha!«, rief sie, deutete theatralisch auf Harry und blinzelte ihn durch ihre vergrößernden Brillengläser an. »Das ist also der Grund, weshalb Sie mich sang- und klanglos aus Ihrem Büro werfen, Dumbledore!«

»Meine liebe Sybill«, sagte Dumbledore in leicht aufgebrachtem Ton, »es kann keine Rede davon sein, dass Sie irgendwo sang- und klanglos hinausgeworfen werden, aber Harry hat einen Termin, und ich glaube wirklich nicht, dass es noch mehr zu sagen gibt – «

»Schön und gut«, sagte Professor Trelawney mit tief gekränkter Stimme. »Wenn Sie diesen unverschämten Klepper nicht des Hauses verweisen, dann eben nicht … vielleicht finde ich eine Schule, in der meine Talente besser gewürdigt werden …«

Sie drängte sich an Harry vorbei und verschwand auf der Wendeltreppe; sie hörten, wie sie auf halbem Weg hinunter stolperte, und Harry vermutete, dass sie über einen ihrer flatternden Schals gestrauchelt war.

»Bitte schließ die Tür und setz dich, Harry«, sagte Dumbledore, der ziemlich müde klang.

Harry gehorchte, und als er seinen üblichen Platz vor Dumbledores Schreibtisch einnahm, stellte er fest, dass das Denkarium wieder zwischen ihnen stand, außerdem zwei neue Kristallfläschchen voller wirbelnder Erinnerung.

»Dann ist Professor Trelawney also immer noch unglücklich, weil Firenze Unterricht gibt?«, fragte Harry.

»Ja«, sagte Dumbledore. »Wahrsagen erweist sich als viel problematischer, als ich hätte vorhersehen können, zumal ich das Fach nie selber studiert habe. Ich kann von Firenze nicht verlangen, in den Wald zurückzukehren, wo er jetzt ein Geächteter ist, noch kann ich Sybill Trelawney bitten zu gehen. Unter uns gesagt, sie hat keine Ahnung, in welcher Gefahr sie außerhalb des Schlosses wäre. Sie weiß nicht – und ich glaube, es wäre unklug, sie darüber aufzuklären –, dass sie die Prophezeiung über dich und Voldemort gemacht hat, verstehst du?«

Dumbledore seufzte schwer und sagte: »Aber die Probleme mit meinen Lehrern sind jetzt nicht so wichtig. Wir haben viel bedeutsamere Dinge zu besprechen. Erstens – hast du die Aufgabe bewältigt, die ich dir am Ende unserer letzten Stunde gestellt habe?«

»Oh«, sagte Harry und erstarrte. Die Apparierstunden, das Quidditch, Rons Vergiftung, sein eigener Schädelbruch und seine feste Absicht, herauszufinden, was Draco Malfoy im Schilde führte – über alldem hatte Harry beinahe vergessen, dass Dumbledore ihn beauftragt hatte, Professor Slughorn die Erinnerung zu entlocken … »Also, ich hab Professor Slughorn nach Zaubertränke deswegen gefragt, Sir, aber, ähm, er wollte sie mir nicht geben.«

Eine kurze Stille trat ein.

»Ich verstehe«, sagte Dumbledore schließlich, sah Harry über seine Halbmondbrille hinweg genau an und gab ihm wieder einmal das Gefühl, geröntgt zu werden. »Und du meinst, dass du in dieser Sache wirklich die größten Anstrengungen unternommen hast? Dass du all deinen beachtlichen Einfallsreichtum angewandt hast? Dass du in deinem Streben, dir diese Erinnerung zu beschaffen, keine noch so schlaue List unerprobt gelassen hast?«

»Nun ja«, erwiderte Harry, um Zeit zu gewinnen, denn er wusste nicht, was er jetzt sagen sollte. Sein einziger Versuch, die Erinnerung zu bekommen, wirkte auf einmal peinlich schwach. »Also … an dem Tag, als Ron aus Versehen Liebestrank geschluckt hat, habe ich ihn zu Professor Slughorn gebracht. Ich dachte, wenn ich Professor Slughorn vielleicht in möglichst guter Stimmung erwische …«

»Und ist das gelungen?«, fragte Dumbledore.

»Also, nein, Sir, weil Ron vergiftet wurde …«

»… weshalb du natürlich vollkommen vergessen hast, dass du versuchen solltest, dir diese Erinnerung zu beschaffen; ich hätte auch nichts anderes erwartet, da doch dein bester Freund in Gefahr war. Aber sobald klar wurde, dass Mr Weasley sich völlig erholen würde, hätte ich doch gehofft, dass du dich wieder der Aufgabe zugewandt hättest, die ich dir gestellt habe. Ich dachte, ich hätte dir deutlich gemacht, wie überaus wichtig diese Erinnerung ist. Ich habe mich wirklich nach Kräften bemüht, dir einzuschärfen, dass es die wichtigste Erinnerung überhaupt ist und dass wir ohne sie unsere Zeit verschwenden.«

Heiß und kribbelnd breitete sich ein Gefühl der Scham von ganz oben in Harrys Kopf über seinen gesamten Körper aus. Dumbledore hatte die Stimme nicht erhoben, er klang nicht einmal zornig, aber Harry wäre es lieber gewesen, wenn er geschrien hätte; diese kalte Enttäuschung war schlimmer als alles andere.

»Sir«, sagte er ein wenig verzweifelt, »es ist nicht, dass ich mich nicht bemüht hätte oder so, ich hatte nur – andere Dinge …«

»Andere Dinge im Kopf«, beendete Dumbledore den Satz für ihn. »Ich verstehe.«

Wieder versanken sie in Schweigen, in das unbehaglichste Schweigen, das Harry je mit Dumbledore erlebt hatte; es schien sich ewig hinzuziehen, unterbrochen nur von den leisen grunzenden Schnarchern des Porträts von Armando Dippet über Dumbledores Kopf. Harry fühlte sich merkwürdig klein, als ob er ein wenig geschrumpft wäre, seit er den Raum betreten hatte.

Als er es nicht mehr aushalten konnte, sagte er: »Professor Dumbledore, es tut mir wirklich Leid. Ich hätte mehr tun sollen … ich hätte erkennen müssen, dass Sie es nicht von mir verlangt hätten, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.«

»Danke, dass du das sagst«, antwortete Dumbledore leise. »Darf ich also hoffen, dass du dieser Angelegenheit von nun an absoluten Vorrang geben wirst? Wenn wir diese Erinnerung nicht bekommen, wird es kaum einen Sinn haben, dass wir uns nach dem heutigen Abend noch weiter treffen.«

»Ich werde es tun, Sir, ich krieg sie aus ihm raus«, sagte Harry ernst.

»Dann wollen wir jetzt kein Wort mehr darüber verlieren«, sagte Dumbledore freundlicher, »sondern mit unserer Geschichte an dem Punkt fortfahren, wo wir sie unterbrochen haben. Weißt du noch, wo das war?«

»Ja, Sir«, sagte Harry rasch. »Voldemort hat seinen Vater und seine Großeltern getötet und es so aussehen lassen, als ob es sein Onkel Morfin gewesen wäre. Dann ging er nach Hogwarts zurück und fragte … fragte Professor Slughorn nach Horkruxen«, murmelte er kleinlaut.

»Sehr gut«, sagte Dumbledore. »Nun, du wirst dich hoffentlich erinnern, dass ich dir ganz am Anfang unserer Treffen erklärt habe, dass wir uns in den Bereich der Vermutungen und Spekulationen begeben würden?«

»Ja, Sir.«

»Bislang, und ich hoffe, du stimmst mir zu, habe ich dir einige Quellen gezeigt, die meine Schlussfolgerungen, was Voldemort, bis er siebzehn war, gemacht hat, recht zuverlässig untermauern.«

Harry nickte.

»Aber nun, Harry«, fuhr Dumbledore fort, »nun werden die Verhältnisse undurchsichtiger und merkwürdiger. Wenn es schon schwierig war, Zeugnisse über den jungen Riddle zu finden, so war es fast unmöglich, jemanden aufzutreiben, der bereit war, sich an den erwachsenen Voldemort zu erinnern. Tatsächlich bezweifle ich, dass außer ihm selbst noch eine Menschenseele am Leben ist, die uns umfassend von seinem Leben nach Hogwarts berichten könnte. Aber ich habe noch zwei Erinnerungen übrig, die ich dir zeigen möchte.« Dumbledore deutete auf die beiden Kristallfläschchen, die neben dem Denkarium leuchteten. »Danach würde ich gerne deine Meinung hören, ob die Schlüsse, die ich daraus gezogen habe, triftig erscheinen.«

Bei dem Gedanken, dass Dumbledore seine Meinung so hoch schätzte, schämte sich Harry noch mehr, dass es ihm nicht gelungen war, die Horkrux-Erinnerung zu beschaffen, und er rutschte mit schlechtem Gewissen auf seinem Platz hin und her, als Dumbledore das erste der beiden Fläschchen ans Licht hielt und es musterte.

»Ich hoffe, du bist es noch nicht müde, in anderer Leute Gedächtnisse einzutauchen, denn das sind eigenartige Erinnerungen, diese beiden«, sagte er. »Die erste hier stammt von einer sehr alten Hauselfe namens Hokey. Ehe wir uns ansehen, was Hokey miterlebte, muss ich noch rasch erzählen, wie Lord Voldemort Hogwarts verließ.

Wie du dir sicher schon gedacht hast, trat er sein siebtes Schuljahr mit Bestnoten in jeder Prüfung an, die er abgelegt hatte. Die Klassenkameraden um ihn herum trafen gerade die Entscheidung, welche Berufe sie nach Hogwarts ergreifen wollten. Fast alle erwarteten Aufsehen erregende Dinge von Tom Riddle, dem Vertrauensschüler, Schulsprecher und Träger der Auszeichnung für besondere Verdienste um die Schule. Ich weiß, dass mehrere Lehrer, darunter Professor Slughorn, ihm vorschlugen, ins Zaubereiministerium einzutreten, und ihm anboten, Treffen zu arrangieren, nützliche Kontakte zu vermitteln. Er lehnte alle Angebote ab. Und irgendwann erfuhr dann die Lehrerschaft, dass Voldemort bei Borgin und Burkes arbeitete.«

»Bei Borgin und Burkes?«, wiederholte Harry verblüfft.

»Bei Borgin und Burkes«, bestätigte Dumbledore gelassen. »Ich denke, sobald wir in Hokeys Gedächtnis eingedrungen sind, wirst du nachvollziehen können, welche Attraktionen dieser Laden für ihn enthielt. Aber diese Stelle war nicht Voldemorts erste Wahl. Kaum jemand wusste damals davon – ich war einer der wenigen, denen sich der damalige Schulleiter anvertraute –, doch Voldemort sprach zuerst bei Professor Dippet vor und fragte, ob er als Lehrer in Hogwarts bleiben könne.«

»Er wollte hier bleiben? Warum?«, fragte Harry noch erstaunter.

»Ich glaube, er hatte mehrere Gründe, auch wenn er Professor Dippet keinen davon offenbarte«, sagte Dumbledore. »Erstens und vor allem war Voldemort wohl stärker mit dieser Schule verbunden als jemals mit einem Menschen. In Hogwarts hatte er seine glücklichste Zeit verbracht; dies war der erste und einzige Ort, an dem er sich zu Hause gefühlt hatte.«

In Harry regte sich bei diesen Worten ein leises Unbehagen, denn genauso erging es auch ihm mit Hogwarts.

»Zweitens, das Schloss ist eine Hochburg alter Magie. Zweifellos hatte Voldemort viel mehr von seinen Geheimnissen ergründet als die meisten, die diese Schule durchlaufen, doch vielleicht hatte er das Gefühl, dass es noch weitere Rätsel aufzudecken und eine Fülle von Magie zu erschließen gab.

Und drittens hätte er als Lehrer große Macht und Einfluss auf junge Hexen und Zauberer ausüben können. Vielleicht hatte er die Idee von Professor Slughorn, dem Lehrer, mit dem er auf bestem Fuß stand und der anschaulich gezeigt hatte, welch einflussreiche Rolle ein Lehrer spielen kann. Ich habe keine Sekunde geglaubt, dass Voldemort die Absicht hatte, den Rest seines Lebens in Hogwarts zu verbringen, aber ich denke schon, dass er die Schule als nützlich betrachtete, um dort Leute zu rekrutieren, und als einen Ort, wo er vielleicht beginnen könnte, sich eine Armee aufzubauen.«

»Aber er hat die Stelle nicht bekommen, Sir?«

»Nein, allerdings nicht. Professor Dippet erklärte ihm, dass er mit seinen achtzehn Jahren noch zu jung sei, ermutigte ihn jedoch, sich in einigen Jahren erneut zu bewerben, falls er dann immer noch unterrichten wolle.«

»Was haben Sie dabei empfunden, Sir?«, fragte Harry zögernd.

»Mir war höchst unwohl«, sagte Dumbledore. »Ich hatte Armando von der Ernennung abgeraten – ohne die Gründe anzugeben, die ich dir aufgezählt habe, denn Professor Dippet mochte Voldemort sehr und war überzeugt von seiner Aufrichtigkeit – aber ich wollte Lord Voldemort nicht wieder an dieser Schule haben, und vor allem nicht in einer Machtposition.«

»Welche Stelle wollte er? Welches Fach wollte er unterrichten?«

Irgendwie wusste Harry die Antwort schon, bevor Dumbledore sie ihm gab.

»Verteidigung gegen die dunklen Künste. Damals wurde es von einer alten Professorin namens Galatea Merrythought gelehrt, die seit fast fünfzig Jahren in Hogwarts war.

Voldemort ging also zu Borgin und Burkes, und sämtliche Lehrer, die ihn bewundert hatten, hielten es für eine Verschwendung, dass ein so hervorragender junger Zauberer wie er in einem Laden arbeitete. Allerdings war Voldemort kein bloßer Gehilfe. Höflich, gut aussehend und klug wie er war, wurden ihm bald spezielle Aufgaben anvertraut, wie sie nur in einem Geschäft wie Borgin und Burkes anfallen, das, wie du weißt, Harry, auf Gegenstände mit ungewöhnlichen und machtvollen Eigenschaften spezialisiert ist. Voldemort wurde losgeschickt, um Leute zu überreden, sich von ihren Schätzen zu trennen, damit die beiden Geschäftspartner sie verkaufen konnten, und nach allem, was man hörte, war er ungewöhnlich begabt dafür.«

»Darauf hätte ich wetten können«, entfuhr es Harry unwillkürlich.

»Nun, ganz recht«, sagte Dumbledore mit einem schwachen Lächeln. »Und jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns Hokey die Hauselfe anhören, die für eine sehr alte, sehr reiche Hexe namens Hepzibah Smith arbeitete.«

Dumbledore tippte mit seinem Zauberstab gegen ein Fläschchen, der Korken flog heraus, und er kippte die wirbelnde Erinnerung in das Denkarium und sagte dabei: »Nach dir, Harry.«

Harry stand auf und beugte sich wieder über den sich kräuselnden silbernen Inhalt des Steinbassins, bis sein Gesicht ihn berührte. Er stürzte durch dunkles Nichts und landete in einem Wohnzimmer vor einer ungeheuer dicken alten Dame, die eine kunstvolle rotbraune Perücke und einen leuchtend rosa Umhang trug, der um sie herumwallte und ihr das Aussehen eines schmelzenden Zuckergusskuchens verlieh. Sie blickte in einen kleinen, mit Juwelen besetzten Spiegel und tupfte sich mit einer großen Puderquaste Rouge auf ihre ohnehin schon scharlachroten Wangen, während die kleinste und älteste Hauselfe, die Harry je gesehen hatte, ihre fleischigen Füße in enge Satinpantoffeln schnürte.

»Beeil dich, Hokey!«, sagte Hepzibah gebieterisch. »Er wollte um vier kommen, das sind nur noch ein paar Minuten, und er hat sich noch nie verspätet!«

Sie steckte ihre Puderquaste weg, als die Hauselfe sich aufrichtete. Der Kopf der Elfe reichte kaum bis zur Sitzfläche von Hepzibahs Stuhl und ihre papierene Haut hing ihr von den Knochen wie das spröde Leintuch, das sie wie eine Toga um sich gewickelt hatte.

»Wie sehe ich aus?«, fragte Hepzibah und drehte den Kopf, um ihr Gesicht aus verschiedenen Winkeln im Spiegel zu bewundern.

»Großartig, Madam«, quiekte Hokey.

Harry konnte nur vermuten, dass Hokey vertraglich dazu verpflichtet war, das Blaue vom Himmel herunterzulügen, wenn ihr diese Frage gestellt wurde, denn Hepzibah Smith sah seiner Meinung nach alles andere als großartig aus.

Eine Türglocke klingelte und Herrin wie Elfe zuckten zusammen.

»Schnell, schnell, er ist da, Hokey!«, rief Hepzibah, und die Elfe hastete aus dem Zimmer, das so voll gestopft mit Dingen war, dass man sich nur schwer vorstellen konnte, wie irgendjemand sich einen Weg durch all die Sachen bahnen konnte, ohne mindestens ein Dutzend davon umzuwerfen. Da waren Vitrinen voller lackierter Schächtelchen, Schränke voller goldgeprägter Bücher, Regale mit Kristallkugeln und Himmelsgloben und viele üppige Topfpflanzen in Messingbehältern. Tatsächlich sah das Zimmer aus wie ein Mittelding zwischen magischem Antiquitätenladen und Gewächshaus.

Die Hauselfe kehrte nach wenigen Minuten zurück, gefolgt von einem großen jungen Mann, den Harry ohne jede Schwierigkeit als Voldemort erkannte. Er war schlicht in einen schwarzen Anzug gekleidet; sein Haar war ein wenig länger, als es in der Schule gewesen war, und seine Wangen waren hohl geworden, doch all dies stand ihm gut: Er sah besser aus denn je. Er lavierte sich gewandt durch das voll gestellte Zimmer, was darauf hindeutete, dass er schon viele Male hier zu Besuch gewesen war, beugte sich tief über Hepzibahs fette kleine Hand und berührte sie leicht mit seinen Lippen.

»Ich habe Ihnen Blumen mitgebracht«, sagte er leise und holte einen Strauß Rosen aus dem Nichts hervor.

»Sie ungezogener Junge, das wär doch nicht nötig gewesen!«, protestierte die alte Hepzibah, doch Harry bemerkte, dass sie auf dem nächsten kleinen Tisch eine Vase bereitstehen hatte. »Sie verwöhnen eine alte Dame wie mich, Tom … nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz … wo ist Hokey … ah …«

Die Hauselfe war zurück ins Zimmer gehuscht und hielt ein Tablett mit Törtchen in den Händen, das sie neben dem Ellbogen ihrer Herrin abstellte.

»Bedienen Sie sich, Tom«, sagte Hepzibah, »ich weiß, Sie lieben meine Törtchen. Nun, wie geht es Ihnen? Sie sehen blass aus. Man gibt Ihnen in diesem Laden viel zu viel Arbeit, das habe ich schon hundertmal gesagt…«

Voldemort lächelte mechanisch und Hepzibah kicherte geziert.

»Nun, welchen Vorwand haben Sie diesmal für Ihren Besuch?«, fragte sie und klimperte mit ihren Wimpern.

»Mr Burke würde Ihnen gerne ein verbessertes Angebot für die koboldgearbeitete Rüstung unterbreiten«, sagte Voldemort. »Fünfhundert Galleonen, er ist der Auffassung, dass dies ein durchaus großzügiges – «

»Nun aber gemach, gemach, sonst muss ich ja den Eindruck haben, dass Sie nur auf die billigen Stücke hier aus sind!«, sagte Hepzibah und zog eine Schnute.

»Deswegen wurde ich hierher geschickt«, erwiderte Voldemort leise. »Ich bin nur ein armer Ladengehilfe, Madam, der tun muss, was ihm befohlen wird. Mr Burke wünscht, dass ich nachfrage – «

»Oh, Mr Burke, pfui!«, sagte Hepzibah und wedelte mit ihrer kleinen Hand. »Ich habe Ihnen da etwas zu zeigen, das ich Mr Burke noch nie gezeigt habe! Können Sie ein Geheimnis für sich behalten, Tom? Wollen Sie mir versprechen, dass Sie Mr Burke nicht sagen, dass ich es habe? Er würde mich nie mehr in Ruhe lassen, wenn er wüsste, dass ich es Ihnen gezeigt habe, und ich verkaufe es nicht, nicht an Burke, nicht an sonst jemanden! Aber Sie, Tom, Sie werden es wegen seiner Geschichte zu würdigen wissen, nicht weil Sie soundso viele Galleonen dafür bekommen könnten …«

»Ich sehe mir gerne alles an, was Miss Hepzibah mir zeigt«, sagte Voldemort leise, und Hepzibah ließ wieder ein mädchenhaftes Kichern hören.

»Ich hatte Hokey befohlen, es für mich hier herauszubringen … Hokey, wo steckst du? Ich will Mr Riddle unsere edelste Kostbarkeit zeigen … nun ja, wenn du schon dabei bist, bring beide mit …«

»Hier, Madam«, quiekte die Hauselfe, und Harry sah zwei Lederkästchen, eines auf dem anderen, die scheinbar aus eigener Kraft durch das Zimmer schwebten, doch er wusste, dass die winzige Elfe sie über dem Kopf trug, während sie sich zwischen Tischen, Sitzpolstern und Schemeln hindurchschlängelte.

»Nun«, sagte Hepzibah glücklich, nahm der Elfe die Kästchen ab, legte sie in ihren Schoß und machte sich daran, das obere zu öffnen. »Das wird Ihnen sicher gefallen, Tom … oh, wenn meine Familie wüsste, dass ich es Ihnen zeige … die können es nicht erwarten, selbst ihre Hand daraufzulegen!«

Sie öffnete den Deckel. Harry rückte ein kleines Stück vorwärts, um besser sehen zu können, und erkannte etwas wie einen kleinen goldenen Becher mit zwei fein gearbeiteten Henkeln.

»Ich frage mich, ob Sie wohl wissen, was das ist, Tom? Nehmen Sie es heraus, werfen Sie in Ruhe einen Blick darauf!«, flüsterte Hepzibah, und Voldemort streckte seine langfingrige Hand aus und hob den Becher an einem Henkel aus seinem weichen seidenen Futteral. Harry glaubte ein rotes Funkeln in Voldemorts dunklen Augen zu erkennen. Seine gierige Miene spiegelte sich eigentümlich in Hepzibahs Gesicht, nur waren ihre winzigen Augen wie gebannt auf seine hübschen Züge gerichtet.

»Ein Dachs«, murmelte Voldemort, während er die Gravur auf dem Becher musterte. »Er gehörte also … ?«

»Helga Hufflepuff, wie Sie ganz genau wissen, Sie schlauer Junge!«, sagte Hepzibah, beugte sich mit einem lauten Knarzen ihres Korsetts vor und kniff ihm tatsächlich in die hohle Wange. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich entfernt von ihr abstamme? Dies wurde über viele Jahre innerhalb der Familie weitervererbt. Wunderschön, nicht wahr? Und er soll auch alle möglichen Kräfte besitzen, aber ich habe ihn nicht gründlich erprobt, ich bewahre ihn nur hübsch sicher hier drin auf …«

Sie angelte sich den Becher von Voldemorts langem Zeigefinger und legte ihn sachte in sein Kästchen zurück, viel zu eifrig damit beschäftigt, ihn vorsichtig wieder in die richtige Lage zu bringen, als dass sie den Schatten bemerkt hätte, der über Voldemorts Gesicht huschte, als ihm der Becher abgenommen wurde.

»Nun denn«, sagte Hepzibah glücklich, »wo ist Hokey? Oh, da bist du ja – nimm das an dich, Hokey – «

Die Elfe nahm gehorsam das Kästchen mit dem Becher und Hepzibah wandte ihre Aufmerksamkeit dem viel flacheren Kästchen in ihrem Schoß zu.

»Ich glaube, das hier wird Ihnen noch besser gefallen, Tom«, flüsterte sie. »Beugen Sie sich etwas näher her, mein lieber Junge, damit Sie es sehen können … natürlich weiß Burke, dass ich es habe, ich habe es schließlich bei ihm gekauft, und ich vermute, er würde es nur zu gerne wiederhaben, wenn ich einmal nicht mehr bin …«

Sie schob die edle filigrane Schließe zurück und schnippte den Deckel auf. Da, auf glattem, karmesinrotem Samt, lag ein schweres goldenes Medaillon.

Diesmal streckte Voldemort die Hand ungebeten aus, hielt das Medaillon ans Licht und starrte es an.

»Slytherins Zeichen«, sagte er leise, während das Licht um ein reich verziertes schlangenförmiges S spielte.

»Richtig!«, sagte Hepzibah, offensichtlich entzückt über den Anblick von Voldemort, der ihr Medaillon wie gebannt fixierte. »Ich musste ein halbes Vermögen dafür hinlegen, aber ich konnte mir die Gelegenheit einfach nicht entgehen lassen, eine wahre Kostbarkeit wie diese musste ich einfach für meine Sammlung haben. Burke hat es offenbar einer zerlumpten Frau abgekauft, die es wohl gestohlen hatte, aber nicht ahnte, wie viel es wirklich wert war …«

Diesmal war es unverkennbar: Voldemorts Augen blitzten bei ihren Worten scharlachrot auf und Harry sah, wie seine Fingerknöchel über der Medaillonkette weiß wurden.

»… ich vermute, Burke hat sie mit ein paar Münzen abgespeist, aber was soll man machen … schön, nicht wahr? Und auch ihm werden alle möglichen Kräfte zugeschrieben, doch ich bewahre es nur hübsch sicher auf …«

Sie streckte die Hand aus, um das Medaillon zurückzunehmen. Einen Moment lang dachte Harry, Voldemort würde es nicht loslassen, doch dann war es schon durch seine Finger geglitten und lag wieder auf seinem roten Samtkissen.

»Nun, das war's, Tom, mein Lieber, und ich hoffe, es hat Ihnen gefallen!«

Sie schaute ihm direkt ins Gesicht und Harry sah zum ersten Mal ihr albernes Lächeln schwinden.

»Alles in Ordnung mit Ihnen, mein Lieber?«

»O ja«, sagte Voldemort leise. »Ja, es geht mir sehr gut …«

»Ich dachte schon – aber das Licht muss mir einen Streich gespielt haben«, sagte Hepzibah sichtlich zermürbt, und Harry vermutete, dass auch sie das kurze rote Funkeln in Voldemorts Augen gesehen hatte. »Hier, Hokey, nimm die mit und schließ sie wieder ein … die üblichen Zauberbänne …«

»Zeit zu gehen, Harry«, sagte Dumbledore leise, und während die kleine Hauselfe mit den Kästchen davonhüpfte, packte Dumbledore Harry von neuem über dem Ellbogen, und gemeinsam stiegen sie durch die Vergessenheit empor und zurück in Dumbledores Büro.

»Hepzibah Smith starb zwei Tage nach dieser kleinen Szene«, sagte Dumbledore, nahm seinen Platz wieder ein und bedeutete Harry, sich ebenfalls zu setzen. »Hokey die Hauselfe wurde vom Ministerium überführt, dem abendlichen Kakao ihrer Herrin versehentlich Gift beigemischt zu haben.«

»Unmöglich!«, sagte Harry zornig.

»Ich sehe, wir sind einer Meinung«, sagte Dumbledore. »Zweifellos gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen diesem Tod und dem der Riddles. In beiden Fällen nahm jemand anderer die Schuld auf sich, jemand, der sich deutlich daran erinnern konnte, den Tod verursacht zu haben.«

»Hokey hat gestanden?«

»Sie erinnerte sich, etwas in den Kakao ihrer Herrin getan zu haben, das, wie sich herausstellte, nicht Zucker war, sondern ein tödliches und kaum bekanntes Gift«, sagte Dumbledore. »Man kam zu der Überzeugung, dass sie es nicht absichtlich getan hatte, doch da sie alt und verwirrt war – «

»Voldemort hat ihr Gedächtnis verändert, genau wie er es bei Morfin getan hat!«

»Ja, das ist auch meine Schlussfolgerung«, sagte Dumbledore. »Und genau wie bei Morfin war das Ministerium sehr geneigt, Hokey zu verdächtigen – «

» weil sie eine Hauselfe war«, sagte Harry. Er hatte selten so viel Sympathie für B.ELFE.R empfunden, den Bund, den Hermine ins Leben gerufen hatte.

»Genau«, sagte Dumbledore. »Sie war alt, sie gab zu, etwas in das Getränk gemischt zu haben, und niemand im Ministerium machte sich die Mühe, weiter nachzuforschen. Als ich sie schließlich aufgespürt und es geschafft hatte, ihr diese Erinnerung abzunehmen, war ihr Leben schon fast zu Ende, wie damals bei Morfin auch – aber ihre Erinnerung beweist natürlich nichts, außer dass Voldemort von der Existenz des Bechers und des Medaillons wusste.

Um die Zeit, als Hokey verurteilt wurde, war Hepzibahs Familie aufgefallen, dass zwei von Hepzibahs größten Kostbarkeiten fehlten. Sie brauchten eine Zeit lang, bis sie sich dessen sicher waren, denn sie hatte viele Verstecke, da sie ihre Sammlung immer höchst argwöhnisch gehütet hatte. Doch ehe sie ganz sicher waren, dass der Becher und das Medaillon fehlten, hatte der Gehilfe, der bei Borgin und Burkes gearbeitet hatte, der junge Mann, der Hepzibah so regelmäßig besucht und sie so geschickt umgarnt hatte, seine Stelle gekündigt und war verschwunden. Seine Vorgesetzten hatten keine Ahnung, wo er steckte; sie waren über sein Verschwinden genauso überrascht wie alle anderen. Und dies war für sehr lange Zeit das Letzte, was man von Tom Riddle sah oder hörte.

Nun«, sagte Dumbledore, »wenn du nichts dagegen hast, Harry, möchte ich erneut innehalten, um dich auf gewisse Eigenheiten unserer Geschichte aufmerksam zu machen. Voldemort hatte einen weiteren Mord begangen; ob es der erste war, seit er die Riddles getötet hatte, weiß ich nicht, aber ich vermute es. Wie du sicher bemerkt hast, tötete er diesmal nicht aus Rache, sondern aus Habgier. Er wollte die beiden sagenhaften Trophäen, die ihm diese arme, törichte alte Frau zeigte. Genau wie damals, als er die anderen Kinder in seinem Waisenhaus beraubt hatte, wie damals, als er den Ring seines Onkels Morfin gestohlen hatte, machte er sich nun mit Hepzibahs Becher und Medaillon davon.«

»Aber das ist doch verrückt«, sagte Harry stirnrunzelnd, »… alles zu riskieren, seine Arbeit hinzuwerfen, bloß für diese …«

»Verrückt vielleicht für dich, aber nicht für Voldemort«, sagte Dumbledore. »Ich hoffe, du wirst bald verstehen, was genau diese Gegenstände ihm bedeuteten, Harry, aber du musst zugeben, dass leicht vorstellbar ist, dass er zumindest das Medaillon als sein rechtmäßiges Eigentum betrachtete.«

»Das Medaillon vielleicht«, sagte Harry, »aber warum hat er auch den Becher genommen?«

»Er stammte ebenfalls von einem der Gründer von Hogwarts«, sagte Dumbledore. »Ich denke, Voldemort fühlte sich immer noch stark zu der Schule hingezogen und konnte einem Gegenstand nicht widerstehen, der so sehr von Hogwarts' Geschichte durchdrungen ist. Es gab auch andere Gründe, glaube ich … Ich hoffe, dass ich sie dir zu gegebener Zeit vor Augen führen kann.

Und nun zur allerletzten Erinnerung, die ich dir zu zeigen habe, zumindest bis es dir gelingt, uns Professor Slughorns Erinnerung zu beschaffen. Zehn Jahre liegen zwischen Hokeys Erinnerung und dieser, und wir können nur raten, was Lord Voldemort in diesen zehn Jahren getan hat …«

Harry stand wieder auf, als Dumbledore die letzte Erinnerung in das Denkarium leerte.

»Wessen Erinnerung ist es?«

»Meine«, sagte Dumbledore.

Und Harry tauchte nach Dumbledore durch die wogende silberne Masse und landete in ebendem Büro, das er gerade verlassen hatte. Da saß Fawkes auf seiner Stange und schlummerte glücklich, und dort, hinter dem Schreibtisch, war Dumbledore, der dem Dumbledore neben Harry sehr ähnlich sah, auch wenn er zwei gesunde Hände hatte und sein Gesicht vielleicht nicht ganz so faltig war. Der einzige Unterschied zwischen dem Büro der Jetztzeit und diesem war, dass es in der Vergangenheit schneite; bläuliche Flöckchen trieben in der Dunkelheit am Fenster vorbei und häuften sich auf dem Außensims.

Der jüngere Dumbledore schien auf etwas zu warten, und tatsächlich, wenige Augenblicke nach ihrer Ankunft klopfte es an der Tür und er rief »Herein«.

Harry entfuhr ein hastig unterdrücktes Keuchen. Voldemort hatte den Raum betreten. Seine Züge waren nicht so, wie Harry sie vor fast zwei Jahren aus dem großen steinernen Kessel hatte auftauchen sehen; sie waren nicht so schlangenhaft, die Augen waren noch nicht scharlachrot, das Gesicht noch nicht maskenhaft, und doch war es nicht mehr der hübsche Tom Riddle. Es war, als ob seine Züge verbrannt und verwischt wären; sie waren wächsern und merkwürdig verzerrt, und das Weiße seiner Augen sah jetzt dauerhaft blutig aus, auch wenn die Pupillen noch nicht die Schlitze waren, die sie, wie Harry wusste, einmal werden würden. Er trug einen langen schwarzen Umhang und sein Gesicht war so bleich wie der Schnee, der auf seinen Schultern glitzerte.

Dem Dumbledore hinter dem Schreibtisch war keinerlei Überraschung anzumerken. Offensichtlich war dieser Besuch verabredet worden.

»Guten Abend, Tom«, sagte Dumbledore entspannt. »Wollen Sie sich nicht setzen?«

»Danke«, sagte Voldemort, und er nahm den Platz ein, auf den Dumbledore gedeutet hatte – allem Anschein nach genau der Platz, den Harry in der Gegenwart soeben verlassen hatte. »Wie ich höre, sind Sie inzwischen Schulleiter«, sagte er, und seine Stimme war ein wenig höher und kälter als früher. »Eine gute Wahl.«

»Ich freue mich, dass Sie sie billigen«, sagte Dumbledore lächelnd. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

»Gerne«, sagte Voldemort. »Ich komme von weit her.«

Dumbledore stand auf, ging rasch hinüber zu dem Schrank, in dem er jetzt das Denkarium aufbewahrte, der damals jedoch voller Flaschen war. Nachdem er Voldemort einen Kelch Wein gereicht und auch sich selbst eingeschenkt hatte, kehrte er zu seinem Platz hinter dem Schreibtisch zurück.

»Nun, Tom … was verschafft mir die Ehre?«

Voldemort antwortete nicht gleich, sondern nippte nur an seinem Wein.

»Man nennt mich nicht mehr ›Tom‹«, sagte er. »Inzwischen bin ich unter dem Namen – «

»Ich weiß, unter welchem Namen Sie bekannt sind«, sagte Dumbledore freundlich lächelnd. »Aber ich fürchte, für mich werden Sie immer Tom Riddle bleiben. Das ist eine der lästigen Eigenheiten von alten Lehrern, fürchte ich, dass sie die frühen Anfänge ihrer Schützlinge nie ganz vergessen.«

Er hob sein Glas, als ob er Voldemort zutrinken wollte, dessen Gesicht ausdruckslos blieb. Dennoch merkte Harry, wie die Atmosphäre im Raum sich leicht veränderte: Dumbledores Weigerung, Voldemorts selbst gewählten Namen zu benutzen, war eine Weigerung, sich von Voldemort die Bedingungen ihres Treffens aufzwingen zu lassen, und Harry spürte deutlich, dass Voldemort dies genau so auffasste.

»Ich bin überrascht, dass Sie so lange hier geblieben sind«, sagte Voldemort nach einer kurzen Pause. »Ich habe mich immer gefragt, warum ein Zauberer wie Sie nie den Wunsch hatte, die Schule zu verlassen.«

»Nun«, sagte Dumbledore, immer noch lächelnd, »für einen Zauberer wie mich kann es nichts Wichtigeres geben, als uralte Kenntnisse weiterzugeben und dazu beizutragen, junge Köpfe auszubilden. Wenn ich mich recht erinnere, sahen auch Sie einst einen Reiz im Lehren.«

»Ich sehe ihn immer noch«, sagte Voldemort. »Ich wundere mich nur, warum Sie – den das Ministerium so häufig um Rat fragt und dem man meines Wissens zwei Mal das Amt des Ministers angeboten hat – «

»Tatsächlich drei Mal, nach der letzten Zählung«, sagte Dumbledore. »Aber eine Karriere im Ministerium hat mich nie interessiert. Wieder etwas, das wir gemeinsam haben, meine ich.«

Voldemort neigte ernst den Kopf und nahm noch einen Schluck Wein. Dumbledore brach die Stille nicht, die sich jetzt zwischen den beiden ausbreitete, sondern schien mit einer gewissen Vorfreude darauf zu warten, dass Voldemort das Wort ergriff.

»Ich bin zurückgekehrt«, sagte Voldemort nach einer kleinen Weile, »vielleicht später, als Professor Dippet es erwartet hat … aber ich bin dennoch zurückgekehrt, weil ich erneut um etwas ersuchen will, wofür ich ihm damals noch zu jung war. Ich bin gekommen, um Sie um die Erlaubnis zu bitten, in dieses Schloss zurückkehren zu dürfen, um zu unterrichten. Sie werden sicher wissen, dass ich viel gesehen und getan habe, seit ich von hier wegging. Ich könnte Ihren Schülern Dinge zeigen und berichten, die sie von keinem anderen Zauberer erfahren können.«

Dumbledore betrachtete Voldemort eine Weile über den Rand seines Kelches hinweg, ehe er antwortete.

»Ja, ich weiß natürlich sehr wohl, dass Sie viel gesehen und getan haben, seit Sie uns verlassen haben«, sagte er leise. »Die Gerüchte von Ihren Taten sind bis zu Ihrer alten Schule gedrungen, Tom. Ich wäre betrübt, wenn ich auch nur die Hälfte davon glauben müsste.«

Voldemorts Miene blieb ausdruckslos, als er sagte: »Größe verursacht Neid, Neid erzeugt Groll, und Groll bringt Lügen hervor. Sie wissen das sicher, Dumbledore.«

»Sie nennen das, was Sie getan haben, tatsächlich ›Größe‹?«, fragte Dumbledore sachte.

»Gewiss«, antwortete Voldemort, und seine Augen schienen rot zu glühen. »Ich habe experimentiert; ich habe die Grenzen der Magie erweitert, weiter vielleicht, als es jemals geschehen ist – «

»Einiger Formen von Magie«, korrigierte ihn Dumbledore leise. »Einiger. Von anderen wissen Sie … Sie verzeihen mir … erbärmlich wenig.«

Zum ersten Mal lächelte Voldemort. Es war ein angespanntes Grinsen, etwas Bösartiges, bedrohlicher als ein zornerfüllter Blick.

»Der alte Streit«, sagte er sanft. »Aber nichts, was ich in der Welt gesehen habe, stützt Ihre berühmte Behauptung, dass Liebe mächtiger ist als meine Art von Magie, Dumbledore.«

»Vielleicht haben Sie an den falschen Orten gesucht«, gab Dumbledore zu bedenken.

»Nun denn, welcher Ort wäre besser geeignet, um wieder mit der Suche anzufangen, als Hogwarts?«, erwiderte Voldemort. »Lassen Sie mich zurückkehren? Lassen Sie mich mein Wissen mit Ihren Schülern teilen? Ich stelle mich und meine Fähigkeiten Ihnen zur Verfügung. Ich unterstelle mich Ihrem Befehl.«

Dumbledore zog die Brauen hoch.

»Und was wird aus denen, die Sie befehligen? Was wird mit denen geschehen, die sich – laut dem Gerücht zumindest – die Todesser nennen?«

Harry spürte, dass Voldemort nicht erwartet hatte, dass Dumbledore diese Bezeichnung kannte; er sah, wie Voldemorts Augen wieder rot aufblitzten und seine schlitzartigen Nüstern sich blähten.

»Meine Freunde«, sagte er nach einer kurzen Pause, »werden sicher ohne mich weitermachen.«

»Ich freue mich zu hören, dass Sie sie als Freunde betrachten«, sagte Dumbledore. »Ich hatte den Eindruck, dass sie eher so etwas wie Diener sind.«

»Sie irren sich«, erwiderte Voldemort.

»Wenn ich also heute Abend in den Eberkopf ginge, dann würde ich nicht eine ganze Reihe von ihnen antreffen – Nott, Rosier, Mulciber, Dolohow –, die auf Ihre Rückkehr warten? Treue Freunde in der Tat, dass sie in einer verschneiten Nacht so weit mit Ihnen reisen, nur um Ihnen Glück zu wünschen bei Ihrem Versuch, sich einen Posten als Lehrer zu beschaffen.«

Es stand außer Frage, dass Dumbledores genaue Kenntnis der Leute, mit denen Voldemort reiste, ihm noch unangenehmer war; doch er fing sich in kürzester Zeit wieder.

»Wie immer sind Sie allwissend, Dumbledore.«

»Oh, nein, nur gut Freund mit den Wirtsleuten am Ort«, sagte Dumbledore leichthin. »Nun, Tom …«

Dumbledore stellte sein leeres Glas ab, richtete sich in seinem Stuhl auf und legte die Fingerkuppen aneinander, wie er es so oft tat.

»… reden wir offen miteinander. Warum sind Sie heute Abend hierher gekommen, umgeben von Gefolgsleuten, und ersuchen um eine Stelle, von der wir beide wissen, dass Sie sie nicht haben wollen?«

Voldemort wirkte eiskalt überrascht.

»Eine Stelle, die ich nicht haben will? Im Gegenteil, Dumbledore, ich will sie sehr gerne haben.«

»Oh, Sie wollen nach Hogwarts zurückkehren, aber Sie wollen genauso wenig unterrichten wie damals, als Sie achtzehn waren. Worauf sind Sie aus, Tom? Warum versuchen Sie es nicht einmal mit einer offenen Bitte?«

Voldemort grinste höhnisch.

»Wenn Sie mich nicht einstellen wollen – «

»Natürlich will ich nicht«, sagte Dumbledore. »Und ich glaube keine Sekunde, dass Sie das von mir erwartet hätten. Wie auch immer, Sie kamen hierher, Sie haben gefragt, Sie müssen etwas beabsichtigt haben.«

Voldemort stand auf. Mit seinem wutverzerrten Gesicht ähnelte er Tom Riddle weniger denn je.

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Das ist es«, sagte Dumbledore, der sich ebenfalls erhoben hatte.

»Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen.«

»Nein, nichts«, sagte Dumbledore, und eine tiefe Traurigkeit trat in sein Gesicht. »Die Zeiten sind längst vorbei, da ich Ihnen mit einem brennenden Schrank Angst machen und Sie zwingen konnte, für Ihre Verbrechen zu bezahlen. Aber ich wünschte, ich könnte es, Tom … ich wünschte, ich könnte es …«

Eine Sekunde lang war Harry kurz davor, eine sinnlose Warnung auszurufen: Er war sicher, dass Voldemorts Hand zu seiner Tasche und seinem Zauberstab gezuckt war; doch dann war der Moment schon vorbei, Voldemort hatte sich abgewandt, die Tür ging zu und er war verschwunden.

Harry spürte, wie Dumbledores Hand sich wieder um seinen Arm schloss, und kurze Zeit später standen sie beide an fast derselben Stelle, aber auf dem Fenstersims sammelte sich kein Schnee und Dumbledores Hand war wieder schwarz und abgestorben.

»Warum?«, sagte Harry sofort und blickte hoch in Dumbledores Gesicht. »Warum kam er zurück? Haben Sie das jemals herausgefunden?«

»Ich habe Vermutungen«, sagte Dumbledore, »aber sonst nichts.«

»Was für Vermutungen, Sir?«

»Das werde ich dir sagen, wenn du diese Erinnerung von Professor Slughorn beschafft hast, Harry«, sagte Dumbledore. »Wenn du dieses letzte Teil des Puzzles hast, dann wird hoffentlich alles klar sein … für uns beide.«

Harry brannte noch immer vor Neugier, und obwohl Dumbledore zur Tür gegangen war und sie für ihn aufhielt, rührte er sich zunächst nicht vom Fleck.

»Wollte er wieder Verteidigung gegen die dunklen Künste, Sir? Er hat nicht gesagt …«

»Oh, er wollte ganz bestimmt diese Stelle«, sagte Dumbledore. »Was nach unserem kurzen Treffen geschah, hat das eindeutig bewiesen. Du musst wissen, seit ich Lord Voldemort diesen Posten verweigerte, konnten wir in Verteidigung gegen die dunklen Künste keinen Lehrer länger als ein Jahr behalten.«